The Diary of Mrs Moriarty von Miceyla ================================================================================ Kapitel 16: Bühne der Einsamkeit -------------------------------- „Nun lernst auch du sie kennen, die eigens für dich errichtete Bühne der Einsamkeit. Du befindest dich im Zentrum und die gesamte Aufmerksamkeit deiner Zuschauer, richtet sich nur auf dich. Dennoch bleibst du für dein Publikum unantastbar. Du wirst zu einem Phänomen der Fantasie, das die Menschen kurzweilig unterhalten soll. Doch zurück bleibt lediglich der bittere Nachgeschmack von Einsamkeit, welcher sich auf ewig in dein Herz einbrennt, während du die rastlose Hülle deiner leblosen Seele, hinter einer ach so glücklichen Maske versteckst." Miceyla lief munter durch die kleine Ortschaft von Durham. Mittlerweile kannte sie einige der Leute dort persönlich und wurde häufig mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Und das, obwohl sie sich nur zwei Tage in der Woche in Durham aufhielt. Zwar ist es ihr Wunsch gewesen, zusammen mit William fern von der lauten Stadt ein wenig entspannen zu können, doch saß sie die meiste Zeit alleine bei gespenstischer Stille im Anwesen, während er in der Universität arbeitete. Und auch wenn er zurückkam, fand er stets genug Vorwände, um beschäftigt zu sein. Er schien wahrhaftig seine Begabungen, bis zur bitteren Erschöpfung auszunutzen. Dies bereitete ihr große Sorgen. Sie vermisste in jeder stillen Minute Moran, der immer für lebhafte Stimmung sorgte, Louis und Fred, wie sie ihn ohne Gnade zurechtwiesen und nicht zuletzt Alberts charmante Sprüche. So sehr hatte Miceyla sich bereits an das gemeinschaftliche Leben in London gewöhnt. Die ganze familiäre Heiterkeit lenkte sie ab. Aber sobald sie mit William alleine war, holte die finstere Realität sie wieder ein und ihr schwirrten jegliche bitterernsten Umstände durch den Kopf, welche sie tagtäglich im Geheimen verfolgten. Am liebsten hätte sie sich mit ihm in einen Raum eingeschlossen und so lange darauf gewartet, bis die Menschen draußen von alleine zur Vernunft kämen und die Rivalität zwischen den unterschiedlichen Ständen beendeten. Dann wäre es endlich möglich, gemeinsam ein langes glückliches Leben zu leben, in dem alle Träume in Erfüllung gehen konnten. Solch närrische Vorstellungen bekam sie schon. Aber der Frieden schien zum Greifen nah. Die Meinungsverschiedenheit, würde die Menschheit wohl irgendwann vollends ausmerzen. Vielleicht war Egoismus ja gar kein so schlechtes Vergehen, wenn Nächstenliebe keinen Anklang fand. Denn wieso sich für eine Gesellschaft aufopfern, in der jeder einen letztendlich doch nur mit Füßen trat. Solange Miceyla jedoch, die tiefe Verbundenheit zu ihren neuen Freunden aufrechterhalten konnte, würde sie all ihre Hoffnungen in Williams grandiose Pläne stecken, bis zum Schluss. Manchmal bekam sie aber auch den Eindruck, dass er sie ebenfalls abschirmen wollte, vor sich selbst und dem unentrinnbaren Hauch des Todes, der ihn umgab. Damit er die Beharrlichkeit nicht verlor, an seinem selbstlosen Lebensziel festzuhalten und seinen Gefühlen für sie nicht zu sehr verfiel… Sie konnte es aus seinen rubinroten Augen genau ablesen, er wollte nicht, dass die skrupellose Art seiner Vorgehensweisen auf sie abfärbte. Obwohl sie sich selbst dazu entschlossen hatte, jenen sündhaften Weg zusammen mit ihm zu gehen. Und er sie im Gegensatz zu Albert, der sie vorzugsweise von jeglicher Gefahr fernhielt, Einsetzen zuteilte, bei denen ein lebensbedrohliches Risiko nie ganz auszuschließen war. Nur um ihren Willen zu stählern. Was beabsichtigte William bloß damit? Wie Sherlock es erwähnte, war das Schweigen die Waffe der Weisen, um Konflikte zu verhindern. Dennoch sah sie gerade darin die wahre Lüge. Miceyla glaubte allerdings nicht, dass dies zu einer Hürde für ihre Liebe werden könnte. Ganz im Gegenteil, es war eine Herausforderung die sie annahm, um William dazu zu bringen, ihr sein Herz zu öffnen. Das Vertrauen, welches sie sich gegenseitig entgegenbrachten, war schließlich unerschütterlich und beflügelte sie. Ein Geheimnis blieb nicht lange unausgesprochen, an dieser Tatsache gab es nichts zu rütteln. Und Sherlock musste oft hintergangen worden sein, wenn er ihre Liebe so sehr anzweifelte. Miceyla blieb vor dem Außengelände der Universität stehen. Sie grüßte einige der an ihr vorbeilaufenden Studenten und wartete bis William aus dem breiten Haupteingang trat. Sofort entdeckte er sie und lief lächelnd auf sie zu. „Hallo meine Liebe. Kommst du mich heute abholen? Das ist aber eine Überraschung“, sprach er heiter. „Hallo Will, ich hoffe du hattest einen angenehmen Tag. Ich gestehe, dass mir etwas langweilig daheim wurde, nachdem ich meine alltäglichen Aufgaben erledigt hatte. Sogar das Wohnzimmer und die Küche habe ich hübscher eingerichtet. Mir fehlt hier im Anwesen immer noch das gewisse idyllische Flair, bei dem man sich zu Hause fühlt. Hoffentlich findest du meinen Geschmack nicht zu übertrieben, ha, ha“, erzählte sie ihm bester Laune. „Ha, ha. Du hast immer deine ganz eigenen Vorstellungen, wie du deine Umgebung gestaltest. Dies reflektiert die Kreativität deiner Seele. So häufig sind wir ja nicht hier. Komm, lass uns heimkehren.“ Seite an Seite liefen sie den Kiesweg entlang, der an dem großen Universitätsgebäude vorbeiführte. Noch einmal erhaschte sie einen Blick, auf die in kleinen Grüppchen zusammenstehenden Studenten, welche voller Lebensfreude miteinander lachten. `All diese jungen Männer, haben eine strahlende Zukunft vor sich. Mehr oder weniger… Manche von ihnen, werden einen bedeutenden Posten in unserer Gesellschaft einnehmen. Einer wird eine revolutionäre Erfindung entwickeln, die ihm möglicherweise jemand anderes klaut. Und der wahre Name des Erfinders, erhält niemals seine ihm zustehende Anerkennung. Einer wiederum bereist die Welt und erkennt plötzlich, worin seine wahre Aufgabe im Leben besteht. Ein anderer verliebt sich unsterblich und ist am glücklichsten, wenn er von seiner kleinen Familie umgeben ist. Und dann gibt es da noch die beiden Kindheitsfreunde, welche sich gegenseitig geschworen haben, Soldaten zu werden. Doch der eine muss unfreiwillig in den Krieg ziehen…`, stellte sich Miceyla in Gedanken vor und wandte rasch wieder den Blick ab. Denn umso länger sie die Jungspunde betrachtete, umso mehr meinte sie, dass Schicksal eines jeden von ihnen voraussehen zu können. Seufzend sah sie zu William auf und errötete, als sie sein Schmunzeln sah. Da hatte er sie doch glatt wieder erwischt. „Wünschst du dir ebenfalls, eine Universität zu besuchen? Dein Fleiß wäre sicher ein exzellentes Vorbild, für gewisse nachlässige Herren…“, meinte er mit strenger Miene, wobei er bestimmt an jene faulen Studenten denken musste, die sich ständig seinen Tadel einfingen. „Oh… Daran habe ich eigentlich nie gedacht. Zumindest war es für mich sinnlos, sich Hoffnungen zu machen, etwas schier Unerreichbares anstreben zu wollen. Meine Pflegeeltern bezahlten, wie es bei den meisten Kindern meines Standes üblich war, einen Privatlehrer, der mich in einer großen Bandbreite an Fächern unterrichtete. Allein dafür bin ich schon unendlich dankbar, dass ich dieses Privileg einige Jahre genießen durfte. Sie mussten wegen mir nicht gerade sehr bescheidene, finanzielle Defizite in Kauf nehmen… Und ich möchte noch den Tag erleben, an dem es zur Normalität wird, als Frau eine Universität besuchen zu dürfen“, sprach Miceyla ruhig und schwelgte dabei in Erinnerungen. William schwieg einen Moment und ein stilles Lächeln umspielte seine Lippen. „Hm… Vielleicht sollte ich dich einfach mal mitnehmen. Deine Anwesenheit käme sicherlich einer Attraktion gleich, ha, ha, ha“, schlug er lachend vor. Jedoch konnte sie ganz deutlich heraushören, dass er dies mehr als Scherz meinte. „A-aber das geht doch nicht! Also wirklich…ha, ha“, erwiderte sie verlegen. „Bist du nervös, wegen Samstag? Ich weiß, es raubt dir den Schlaf…“, begann er nun wieder ein wesentlich ernsteres Thema. Miceyla dachte noch einmal an die ausweglose Situation im Glockenturm zurück. An ihr vor Angst rasendes Herz, die Kälte des Sturmes und daran, an den Rand des Todes getrieben worden zu sein. Sie konnte noch nicht viel über den Mann namens Clayton Fairburn sagen. Er mordete anscheinend im Auftrag der unterdrückten Bürger. Ein wenig wie es William und seine Verbündeten taten. Doch war er nun ein guter oder ein böser Mensch? Allerdings musste sie sich eingestehen, es von sich selbst nicht mehr wirklich zu wissen. Denn konnte man sich, als jemand der anderen das Leben nimmt oder Beihilfe zum Mord leistet, auch wenn ein noch so edler Grund dahintersteckt, einen rechtschaffenden Menschen nennen? Sherlock würde ihr jetzt eine eindeutige Antwort darauf geben. Wer sich schuldig macht, muss dafür geradestehen und die Konsequenzen daraus ziehen. Jedenfalls war sie auf die nächste Begegnung mit Clayton vorbereitet, um ihn genaustens analysieren zu können. Was garantiert nicht nur das ihre Vorhaben war… „Wir werden zu viert hingehen, Louis, Albert, du und ich. Moran und Fred lasse ich dennoch den Außenbereich des Theaters im Blick behalten. Allerdings denke ich nicht, dass Clayton Fairburn in seinem eigens errichteten Schauspielhaus, für Furore sorgen wird. Nichtsdestotrotz ist Wachsamkeit angesagt. Eine beschauliche Kennenlernrunde hat er wohl kaum geplant. Seit ende letzten Jahres, treibt er hinter unserem Rücken seinen obszönen Schabernack. Komplikationen gab es dadurch zwar nie, aber er weiß genaustens Bescheid, was sich hinter dem Namen Moriarty verbirgt. Soll er sich ruhig still ins Fäustchen lachen und den Irrsinn besitzen zu glauben, mich auf die Folter spannen zu können. Nicht mit mir. Welches Mittel ich anwenden muss, um ihn zum Schweigen zu bringen, lasse ich noch offen. Ich habe sogar in Betracht gezogen, eine zweckdienliche Verhandlung mit ihm zu führen. Aber mit dem was er dir antat, hat er sein durchtriebenes Spiel auf die Spitze getrieben. Wäre ich dabei gewesen, so hätte er sein letztes Stoßgebet sprechen können“, sprach William sachlich und ergriff für sie mit einem erzwungenem Lächeln Partei, das seinen Zorn verschleierte und ein wenig die Spur eines schlechten Gewissens, dass nicht er derjenige gewesen ist, welcher sie aus ihrer Notlage gerettet hatte. Liebevoll nahm sie seine Hand. „Du musst dich nicht grämen, dass du mir keinen Beistand leisten konntest. Ich bewundere immer wieder dein Vertrauen uns gegenüber, dass wir selbstständig einen Weg aus einer ausweglosen Situation finden. An das Vertrauen in meine eigenen Fähigkeiten, muss ich weiterhin noch arbeiten… Allein die Vorstellung, hättet ihr zwei da oben im Turm randaliert, ha, ha. Und bevor ein Urteil gefällt wird, sollten erst die Gründe von Claytons Taten hinterfragt werden.“ „Da fällt mir ein, du hast noch immer nicht verraten, weswegen du ihm eigentlich nachgelaufen bist. Ich vermute, dass er dir etwas genommen hat. Ist es…“, hakte er umsichtig nach. „Ähm… Nun, vor dir kann ich es ja eh nicht verbergen. Er stahl mir Alberts Hochzeitsgeschenk…“, gestand sie mit trübem Blick. „Oh, die goldene Kette mit dem Aquamarin. Ach, du erhältst sie am Samstag zurück, wirst sehen“, nahm William ihr die Sorgen und strahlte über das ganze Gesicht. Er schien sich dessen hundertprozentig sicher zu sein. „Wenn du das sagst…“ Im Anwesen angekommen, legte er seinen Zylinder ab und wollte die Tür zur Küche öffnen, doch Miceyla stellte sich angespannt davor. „Äh…ha, ha… Da solltest du besser noch nicht reingehen! Es ist noch ein klein wenig unordentlich, ha, ha!“, haspelte sie nervös. „Ach, ich dachte du hättest alles fein hergerichtet? Fliegen mir deine Dekorationen entgegen, wenn ich die Tür öffne?“, fragte er und grinste herausfordernd. „Naja…ha, ha… Mir ist heute Morgen ein klitzekleines…Missgeschick passiert. Ich hätte besser direkt alles wieder in Ordnung bringen sollen. Was bin ich doch für ein hoffnungsloser Tollpatsch…“ William legte sich die Hand vor den Mund und fing einfach nur an, lauthals loszulachen. „D-du müsstest jetzt eher sehr verärgert sein und mit mir schimpfen. `Du kannst ja gar kein gescheites Weib sein, wenn du bei der Küchenarbeit versagst! Wieso habe ich bloß nicht besser eine andere Frau geheiratet?!` Ich warte darauf, so etwas zu hören“, sprach sie voller Ironie und musste nun auch lachen. Ihre Worte verstärkten seinen Lachanfall nur noch mehr. „Ha, ha, ha! Meine liebe Miceyla, du bist mir ein wahres Goldstück. Die schwierigsten Tätigkeiten erledigst du mit Bravour und lässt andere alt aussehen. Aber bei vielerlei simplen Aufgaben, kommt plötzlich deine unschuldige Ungeschicklichkeit zu Tage. Das macht dich unvergleichbar liebenswürdig… Dann fürchte ich, dass du uns heute den Tee servieren musst“, trug William ihr gütig auf und verzauberte sie mit seinem sanftesten Lächeln. Kurz darauf beugte er sich etwas zu ihr hinab und küsste sie zärtlich auf die Wange. „Ja…mache ich selbstverständlich…“, hauchte sie leise und wich verlegen seinem innigen Blick aus. „Dann gehe ich schon mal ins Wohnzimmer… Dort droht mir keine akute Gefahr?“, rief er ihr neckend zu während er loslief. „Nein, ha, ha. Dort bist du in Sicherheit“, versicherte sie ihm und betrat lachend die Küche. Der Abend brach herein. Nach dem Abendessen legte William sich alle Unterlagen zurecht, die er für den nächsten Tag benötigte. Miceyla lief den Flur entlang und hatte vor, einen flüchtigen Blick in sein Arbeitszimmer zu werfen. Genau im selben Moment trat er heraus und sie wäre um ein Haar gegen ihn gestoßen. „Huch…Verzeih mir! L-lass dich nicht bei der Arbeit stören! Das hat schließlich oberste Priorität. Ich bin auch gleich wieder weg…“, entschuldigte sie sich rasch und wollte umkehren, doch er packte sanft ihre Hand. „Aber, aber meine Liebe. Alles ist längst vorbereitet. Ich habe sogar mehr geschafft, als ich eigentlich geplant hatte. Der Abend gehört also ganz uns beiden. Heute vertreibe ich deine Sorgen, die du heimlich mit dir herumschleppst. Es ist immer viel zu tun. Allmählich sollte ich mich schämen und wie ein anständiger Ehemann benehmen, nicht wahr?“, scherzte William und strich ihr langsam über das Haar und zog sie an sich. Miceylas Herzschlag überschlug sich und wie benommen suchte sie seinen Blickkontakt. „Herrje… Mein Gefühl sagt mir, dass dein Herz bald zu mir herausspringt. Versetzt es dich denn noch immer in eine solche Ekstase, wenn ich dich berühre? Und dann blickst du mich mit diesen hilflosen Augen an, die sich mir vollständig unterwerfen wollen…“, flüsterte er lächelnd und klopfte ihr behutsam, im Takt ihres Herzschlags auf den Rücken. „Es kommt nun mal…so selten vor… Ich habe Angst, dass du deine Kräfte überstrapazierst. Nachts ist es furchtbar kalt ohne dich. Mag sein das es selbstsüchtig von mir ist… Aber ich wünsche mir nichts mehr, als morgens zusammen mit dir aufzuwachen. So oft bist du schon vorm Schreibtisch eingeschlafen. Vielleicht...ist dein Interesse an mir, auch einfach doch nicht sonderlich groß und…“ Abrupt brach Miceyla ab, als sie seinen schockierten Gesichtsausdruck sah. `Das hätte ich jetzt nicht auf diese Weise sagen sollen…`, dachte sie mit Reue. William ließ für einen Moment wie entgeistert von ihr ab, nur um sie danach noch fester in die Arme zu schließen. Er verstand auf Anhieb, was sie mit ihren kummervollen Worten zum Ausdruck bringen wollte und lächelte besänftigend. „Du glaubst meine gelegentliche Distanz sei Absicht, um mich nicht ablenken zu lassen, da irrst du dich. Ich tue es vor allen Dingen für dich und versuche auf dein Wohlergehen Rücksicht zu nehmen. Denn ich versuche zu vermeiden, dass ich mich dir ständig aufdränge und über dich herfalle. Gefühle…können ganz schnell die eigene Gedankenwelt verzerren. Ich wünsche mir, dass du in deiner Einzigartigkeit erhalten bleibst und das wir weiterhin eine angemessene Sorgfalt walten lassen. Das Maß der Dinge währt länger, als Übermut der rasch wieder verblasst. Wann immer ich in deiner Nähe bin, ergeht es mir nicht viel anders als dir. Es gleicht beinahe schon einem Kampf, das Gleichgewicht zwischen Leidenschaft und Rationalität aufrecht zu erhalten. Aber meine Empfindungen für dich, haben jegliche Vernunft längst weit hinter sich gelassen…“, sprach er ungehemmt und ehrlich. Miceyla bekam bei ihrer innigen Umarmung den Eindruck, als stünde ihnen ein schmerzvoller Abschied bevor. „Unsere junge Liebe, die stärker und unerschütterlicher ist, als alles andere auf der Welt, eines Tages loslassen zu müssen, kann ich mir einfach nicht vorstellen…ich weigere mich es mir vorzustellen…“, flüsterte sie und war den Tränen nah. „Ich habe eine Idee! Komm mit, hier drinnen steigt einem ja auch irgendwann die Langeweile und Eintönigkeit zu Kopf“, sprach William plötzlich enthusiastisch und zog sie an der Hand geschwind hinter sich her. „Wir haben einen solch großen Balkon, der viel zu selten genutzt wird!“ Mit diesen Worten öffnete William die hohe Flügeltür, hinter welcher sich ein großflächiger Balkon befand. Auf jenem breitete er anschließend eine weiche Decke aus. Sobald er damit fertig war, löschte er alle Lichter im Raum, sodass es stockduster wurde. „Ähm… Sollen wir nicht wenigstens ein paar Kerzen anmachen? Ich sehe nichts mehr, ha, ha“, meinte sie verwundert und rätselte was er wohl vorhaben mochte. „Wir brauchen kein künstliches Licht. Denn schau mal hinauf. Dir entgeht doch sonst dieser prächtige Anblick“, sprach William fröhlich, während er sie vor sich herschob, bis sie mitten auf dem Balkon standen. Miceylas Augen begannen auf einmal zu funkeln und ihr Kummer löste sich wie von Zauberhand in Luft auf. „Was für ein traumhaftschöner Sternenhimmel! In der Stadt ist es selten so klar. Es ist ein unbeschreiblich friedliches Gefühl hinaufzublicken. Während wir uns mit jedem Tag weiter verändern, erscheint dennoch jede Nacht aufs Neue dasselbe Himmelszelt. Ein beinahe schon unwirkliches Phänomen…“, beschrieb sie hingerissen und gleichzeitig auch voller Ehrfurcht, die unzähligen kleinen Sterne, welche hoch über ihr in der Stille der Nacht hell leuchteten. „Unerreichbare Weiten, mächtiger als alles Wissen auf Erden und uneinnehmbare Planeten. Ein unendliches Universum, dass uns alle in sich trägt… Und sieh dir nur an, welch undankbare und habgierige Geschöpfe sich in der Menschheit tummeln. Sie besudeln unseren schönen Planeten und glauben, ihr eigenes Reich in dem sie leben beherrschen zu können. Mag unser Kosmos auch grenzenlos erscheinen, unser Leben hingegen, ist mit vielerlei Einschränkungen verbunden. `Also lasst uns unser Können, unsere Kräfte und all unser Wissen bündeln, um für jedermann ein faires Leben zu ermöglichen. ` Dies ist mein Aufruf an die gesamte Welt und es beginnt in diesem Land. Komm meine Liebe, setzen wir uns“, sprach er würdevoll von seinen Visionen und die besonnene Ruhe welche er ausstrahlte, ging auf ihr über. Nun saßen sie dicht beieinander auf der warmen Decke und betrachteten lächelnd den flimmernden Sternenhimmel. „Dieser Augenblick ist fast schon wie in einen meiner Träume… Aber hoffentlich bleiben gewisse unheilvolle Dinge in der Traumwelt eingeschlossen und werden niemals real. Auch frage ich mich was geschieht, wenn all die eigenen Träume ihre Erfüllung gefunden haben. Wie geht es danach weiter? Wonach soll man noch streben, wenn es nichts mehr zum Träumen gibt? Bleibt dann nicht eine fade leere Hülle von einem zurück, da man gar nicht so glücklich geworden ist, wie man es hätte werden sollen?“, grübelte Miceyla und dachte daran, ihren allerersten großen Traum, eine bekannte Schriftstellerin in England zu werden, weiter zu verfolgen. „Ich denke nicht, dass ein kurzes Menschenleben ausreicht, um sich jeden einzelnen Traum erfüllen zu können. Das größte Problem besteht darin, dass die meisten Leute ihre eigenen Fähigkeiten völlig falsch einschätzen und einer Tätigkeit nachgehen, die ihrer eigentlichen Neigung nicht entspricht. Oft hat man gar keine andere Wahl. Es sind die Lebensumstände, die einen jeden von uns fest im Griff haben. Und das Traurige daran ist, dass diese Menschen irgendwann an einen Punkt angelangen, wo sie ihre ganze verlorengegangene, wertvolle Zeit bereuen und in purer Verzweiflung versinken. Dem muss Abhilfe verschafft werden. Wenn jeder Mensch auf einer Stufe stünde und dieselben Chancen zur Verfügung gestellt bekommt, auf denen er sein Leben aufbauen kann, herrschte endlich Gleichberechtigung. Daher nutzen wir unsere Privilegien als Adel der Oberschicht, um dies durchzusetzen. Auch wenn wir dabei gegen das ein oder andere Gesetz verstoßen müssen. Doch was spielt das schon für eine große Rolle. Das Endproduckt wird eine revolutionäre Befreiung, aller zu Unrecht behandelten Menschen, der unteren Schichten der Gesellschaft sein. Aber lassen wie das Thema. Du musstest es ja bereits zur Genüge über dich ergehen lassen, ha, ha. Ich kann kaum fassen, dass unsere Hochzeit erst seit etwas über zwei Wochen zurückliegt…“, versuchte er den friedlichen Moment zu berücksichtigen und ihr Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ja… Doch von nun an, rennt auch uns unaufhörlich die Zeit davon…“, bestätigte Miceyla wehmütig und blickte weiterhin träumerisch zum klaren Firmament empor. „Zähle nicht so häufig die Tage und genieße es im Diesseits zu stehen. Was wir für die Zukunft planen, arbeiten wir nach und nach ab. Die Entscheidungen treffen schließlich wir allein, wann die einzelnen Konstrukte jenes Plans ausgereift sind, um sie in die Tat umsetzen zu können. Unsere Reise dorthin, schweißt uns mit jeder Herausforderung enger zusammen. So war es auch bereits in der Vergangenheit, mit mir und meinen Brüdern. Und da du ebenfalls zu uns gestoßen bist, gehörst nun auch du vollwertig dieser tiefen Bindung an. Verschweigen kann ich nicht, dass besonders Albert dich von Anfang an, als ein wahres Mitglied unserer Familie ins Herz geschlossen hat… Stets beobachte ich, dass ihr euch wie richtige Geschwister, gegenseitig liebevoll behandelt. Trotzdem frage ich aus reinem Interesse einfach mal nach… Was siehst du in Albert? Und was fühlst du, wenn du bei ihm bist? Es muss dir nicht unangenehm sein, denn wir haben dich damals ja praktisch überfallen. Doch in dir schlummert eine tapfere junge Frau, die sich sogar wagt Louis die Stirn zu bieten. Ha, ha! Verzeih, dass musste ich nur kurz mal aussprechen. Aber nun zurück zu meiner Frage…“ Gelassen lächelte William sie an und wartete geduldig ihre Antwort ab. Kurz trafen sich ihre Blicke, ehe sie nachdenklich hinabsah. Es war ihr wichtig, ebenso entspannt zu bleiben, da sie nur zu gut wusste, dass er ihre wahren Gefühle, von ihrem Gesicht ablesen konnte. Daran vermochte selbst die dunkle Nacht nichts zu ändern. `Das er dies einmal zur Sprach bringt, war abzusehen… Es stimmt, dass sich mein Verhalten Albert gegenüber, seitdem ich weiß was er für mich empfindet, noch mehr versteift hat als zuvor. Bestimmt muss es ihn verletzen, mich so glücklich mit William zu sehen. Aber vielleicht verflüchtigen sich seine Gefühle auch irgendwann wieder. Denn er ist ein bodenständiger Mensch und arbeitet auf dasselbe Ziel hin wie seine Brüder, welches nur dank seiner unendlichen Güte und der Bewunderung für Williams gerissenen Verstand, ins Leben gerufen werden konnte. Genau, anders wird es nicht sein, anders darf es auch gar nicht sein`, versuchte Miceyla sich selbst davon in Gedanken zu überzeugen. „Albert ist für mich der große Bruder, den ich nie gehabt hatte. Manchmal stelle ich mir vor, dass wir uns schon von Kindesbeinen an kennen. Mit ihm an meiner Seite, wäre meine Kindheit deutlich unbeschwerter verlaufen. Wann immer meine Mutter voller Zorn auf mich los ist, Albert kam und stellte sich schützend vor mich. Wenn ich zu weit von zu Hause weglief und mich verirrte, er suchte nach mir und Hand in Hand liefen wir wieder heim. Er hat dafür gesorgt, dass mir im Winter nie kalt geworden ist und das ich nie hungern musste. War ich traurig, so nahm er mich tröstend in die Arme und sagte zärtlich zu mir: Gib niemals auf, denn ich werde für immer bei dir bleiben. Diese Erinnerungen existieren ausschließlich in meiner Fantasie, da von all dem nichts passiert ist. Doch nun ist er bei mir, mein führsorglicher Bruder, der mich in jeder Notlage beschützen wird…“, beschrieb sie lächelnd, was sie sich für eine Beziehung mit Albert wünschte. William wirkte kein wenig erstaunt und dennoch schien es ihm einen Stich ins Herz zu versetzen, welch leidvollen Weg sie bereits hinter sich hatte. Sanft legte er einen Arm um sie und brachte sie dazu, ihren Kopf gegen ihn zu lehnen. „Geschwisterliebe… Das ist etwas Wunderbares und hält meist ein Leben lang. Jetzt darfst du all das erleben. Dank deiner schweren Kindheit, bist du stärker und schöner als der Rest geworden. Sage dir das selbst jeden Tag. Unsere Kindheit ist ebenfalls nicht ganz unschuldig, an unserem Werdegang gewesen… Es gibt noch einige Geheimnisse. Doch wenn du mir weiterhin vertraust, werden wir am Ende zufrieden und glücklich sein. Ich verspreche es dir. Denn schließlich…gehört all meine Liebe nur dir allein…“, versicherte William ihr so standhaft, als würde er ihr jedes erdenkliche Opfer darbringen. `Welche Geheimnisse…? Natürlich vertraue ich dir. Ich gab mein Leben in deine Hände.` Langsam sah sie zu ihm auf und ihr Herz machte wie gebannt einen Sprung. Im blassen Sternenlicht, sah sein Gesicht noch schöner aus. Als sei er geradewegs einem Gemälde entsprungen. Würde man ihn verletzen, so verletzte es sie ebenfalls. Miceyla hob eine Hand und legte sie ihm liebevoll auf seine warme Wange. Kurz darauf verschmolzen ihre Blicke miteinander und er beugte sein Gesicht zu ihrem hinab. „Das sind sie, die schönsten Augen der Welt. Jedes Mal ziehen sie mich magisch an…“, hauchte William gefesselt. Einen Wimpernschlag später, trafen ihre Lippen aufeinander. Sein Kuss war das Süßeste, dass sie je kosten durfte. Bei dieser sachten, stetig wachsenden Leidenschaft, die jedes Mal in ihnen aufzuflammen begann, konnte sich keiner von beiden noch länger zurückhalten. Es war die unaufhaltsame Flamme der Liebe. Beinahe zerstörerisch brannte sie in ihnen und verriet, dass sie zueinander gehörten. Mit allen Ungetümen, welche sie auseinanderzubringen versuchten, würden sie kurzen Prozess machen. Ein gefährliches Verlangen, bei dem Miceyla spürte, nicht mehr sie selbst zu sein. Nie hätte sie gedacht, dass Gefühle eine solche Macht besäßen. Mit halb geöffneten Augen, ließ William allmählich von ihren feuchten Lippen ab und erhob sich plötzlich. Vom Schwindel gepackt, nach seinem hitzigen Kuss, tat sie es ihm nach. „Lass uns hineingehen, langsam wird es kühl. Und noch mal zur Erinnerung, du genießt viele Freiheiten bei uns und ich bin sehr großzügig, was deine Wünsche betrifft. Zum einen, dulde ich deine Freundschaft mit Sherlock. Doch beherzige im Gegenzug deine Pflichten und werde niemals nachlässig. Es wäre fatal, wenn die Harmonie in unserer kleinen Familie, auf einmal auf der Kippe stehen sollte. Da wirst du mir zustimmen. Drum bleibe bedachtsam und verlasse unter keinen Umständen den Pfad, an den wir beide gebunden sind. Du gehörst zu mir und zu niemandem sonst“, sprach er mit fester Stimme, während er an der Balkontür stand und seine rubinroten Augen blickten ihr mit einer solchen Standhaftigkeit entgegen, dass sie einen eisigen Schauer verspürte. Doch seine dämonische Miene wich alsbald wieder einem gütigen Lächeln und er lief unbeirrt hinein. Noch ein letztes Mal betrachtete Miceyla den klaren Sternenhimmel und sah einen schimmernden Lichtstrahl, pfeilschnell über den Himmel gleiten. `Eine Sternschnuppe… Was ist wohl mein wahrer Wunsch…?`, überlegte sie verträumt und legte sich dabei eine Hand auf die Brust. Nicht lange dauerte es, da folgte sie William mit einem Lächeln hinein. „Schwindendes Sonnenlicht, oh bitte verlass mich nicht. Schenke mir noch einmal deine Wärme, ehe ich mich von dieser Welt verabschiede. Mein Herz trägst du mit dir als Trophäe herum. Unvollkommen bleibe ich, bis deine Hände mich fest in Armen halten und nie mehr loslassen… Wie war das?“ Irene stand auf einer riesigen Bühne und trug ein stattliches, bodenlanges Kleid in kräftigen Rottönen. Strahlend blickte sie geradeaus auf die Zuschauertribüne, wo nur ein einziger Mann saß, der sich in der vordersten Reihe platziert hatte. „Bravo, bravo meine bezaubernde Saphira! Hiermit wäre die letzte Probe für den heutigen Tag beendet. Die Premiere unseres neuen Stücks am Samstag wird perfekt!“, sprach Clayton begeistert und klatschte eifrig Beifall. Da öffnete sich eine der Türen und eine junge blondhaarige Frau betrat den großen Theatersaal. „Ich bin fertig mit meinem Kontrollgang. Die Leitungen sind allesamt mit der Dampfmaschine verbunden. Jeden einzelnen Schalter habe ich auch noch mal überprüft. Zwar weiß ich nicht genau, wie die Vorrichtung genau funktioniert, aber unheimlich finde ich das Ganze allemal… Versprich, das du die Kontrolle darüber behältst, Clay. Deine Erfindungen werden immer gefährlicher. Was hast du überhaupt vor, in den kesselartigen Behälter zu füllen?“, berichtete sie mit einer Spur von Besorgtheit. „Ach, das dient als Katalysator. Es muss alles flott und zügig vonstattengehen. Zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf, mein lieber Sonnenschein. Ich werde nicht zulassen, dass es hier in unserem idyllischen Palast, zu einem hässlichen Blutvergießen kommt. Und hab noch mal tausend Dank. Warum beehrst du uns nicht am Samstag, ebenfalls mit deiner liebreizenden Anwesenheit? Das wird schließlich ein feierlicher Anlass! Das darfst du nicht verpassen! Für dich ist stets noch eine Rolle reserviert. Stell dir vor, der berühmte Meisterdetektiv erscheint und die Familie Moriarty. Ein umwerfendes Singvöglein hat den jungen, teuflischen Lord geheiratet. Ich sah in ihren Augen einen ähnlichen Schmerz, wie ich ihn in deinen sehe. Ein bemitleidenswertes Mädchen… Aber Miceyla würde dir gefallen“, erzählte Clayton euphorisch. In den rehbraunen Augen der jungen Frau, leuchtete für einen flüchtigen Moment ein nostalgischer Glanz. „Miceyla… Nein, ich bleibe bei den Kindern im Waisenhaus. Als Älteste trage ich die Verantwortung. Irene wird schon hier sein. Sie ist wesentlich reifer und geschickter als ich. Außerdem liebt sie das Rampenlicht und weiß sich bei Gefahr selbst zu verteidigen. Einer Frau wie sie, könnte ich nicht mal in hundert Jahren das Wasser reichen. Doch solange ich bei dir sein kann, fehlt es mir an nichts…“ „Hach… Meine trübselige kleine Sonnenblume, was ruinierst du dir bloß mit deinen Sorgenfalten dein hübsches Gesicht. Lächle mein Kind, lächle! Und ich flehe dich an, iss ordentlich was! Bei deiner zerbrechlichen Erscheinung bekomme ich Angst, dass du mir bald zusammenbrichst. Mache dich nicht unnötig schlecht. Irene musste auch hart arbeiten, um an Bekanntheit und Raffinesse zu gewinnen. Unter anderem ist sie dir fünf Jahre voraus. In dieser Zeit wirst du deine eigenen Träume für dich entdecken. Auf dem Weg dahin, werde ich dich immer unterstützen. Und du wirst sehen, dass du mich eines Tages nicht mehr brauchst… So, die Uhr sagt uns, dass wir langsam Feierabend machen sollten. Es war ein langer Tag und fleißig waren meine tüchtigen Akteure wie eh und je. Fühlt euch von mir gedrückt! Räumen wir noch etwas auf. Und jemand soll bitte nachsehen gehen, ob heute schon wieder so ein faules Stück in der Umkleide eingeschlafen ist, ha, ha! Es werden alle rausgescheucht. Wegen Samstag… Vielleicht überlegst du es dir ja doch noch anders, Amelia“, verkündete Clayton und verschwand mit seinem für ihn typisch unergründlichen Lächeln, hinter der Bühne. „Und wohin soll dieser ganze Stapel? Ich renne nicht ständig zwischen Ost- und Westflügel hin und her. Das ist ein halber Gewaltmarsch!“ Mittlerweile befand Miceyla sich wieder in London und war gerade dabei, gemeinsam mit Louis das Archiv auf Vordermann zu bringen. Sie schimpfte trotzig, während er sie rücksichtslos herumkommandierte. „Im Beschweren bist du weltklasse. Wenn du nichts zu tun hast, gehst du mir gefälligst zur Hand. Morans schlechte Manieren färben noch auf dich ab, ließe ich dich ständig mit ihm abhauen und… Oh! Sieh mal einer an, dass hier sind doch alle Kontaktdaten der Personen, welche mit jener zwieträchtigen Handelsgesellschaft aus Nordengland zu schaffen haben. Neulich sprach Albert davon. Bringe ihm bitte zügig diese Unterlagen, um den Rest hier kümmere ich mich dann. Beim Aufräumen wird man doch immer fündig“, sprach Louis heiter und drückte ihr einen Ordner mit einigen losen Blättern darin in die Hand. „Gut, mache ich. Ist Albert denn schon zu Hause?... Ach, bereits so spät. Stundenlang habe ich mich also mit dem Sortieren von Papierkram herumschlagen müssen… Was solls, ich gehe dann mal.“ Rasch verließ Miceyla das Archiv, ehe Louis auf ihre Nörgeleien kontern konnte. Vor der Tür empfing sie die kleine Luna mit einem zarten Miauen. Nun, nach einigen Tagen des Päppelns, sahen die beiden Katzenkinder wieder wesentlich munterer aus und bekamen langsam aber sicher ein gesundes Gewicht und glänzendes Fell. „Na du, kommst du mit mir Albert einen kleinen Besuch abstatten?“, fragte Miceyla lächelnd und bückte sich, um ihr weiches Fell zu streicheln. Daraufhin lief sie geschwind los und sah mit einem Blick über die Schulter, dass Luna ihr hinterhersprang. Bei seinem Arbeitszimmer angelangt stellte sich rasch heraus, dass er nicht dort war. Luna flitzte plötzlich an ihr vorbei und verschwand in Alberts Schlafzimmer. „He, wo willst du denn so schnell hin?!“ Miceyla eilte dem Kätzchen hinterher und hielt inne, als sie Albert durch die leicht geöffnete Zimmertür entdeckte. Dieser kleidete sich gerade aus und legte seine Militäruniform ab. Sie wusste, dass es sich für sie als anständige Ehefrau nicht gehörte, einem Mann außer William, ohne Scham beim Umkleiden zuzusehen. Doch er tat es auf eine solch graziöse Weise, dass ihre Augen nirgendwo anders mehr hinschauen konnten. Er besaß ebenfalls einen makellos schönen Körper, der verriet wie jung und stark er war. Als Albert sich dann mit der Hand durch sein braunes Haar fuhr, ertappte sie sich dabei, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. `Was mache ich hier eigentlich gerade?! Aber…ist es denn schimpflich, den eigenen Bruder zu beobachten…?`, ermahnte sie sich selbst. Da saß auf einmal wieder Luna vor ihr und miaute laut, woraufhin Albert sofort zur Tür blickte. `Herrje, jetzt hast du mich doch glatt verraten, ha, ha.` Auch wenn es dafür längst zu spät war, klopfte sie höflich, mit sichtlicher Erleichterung, dass er bereits wieder fertig angekleidet war. „Miceyla meine Liebe, tritt ein! Ich hätte meine Uniform besser noch ein Weilchen länger anbehalten sollen, huh?“, grüßte er sie mit keckem Grinsen. Schüchtern und ohne ihn direkt anzusehen, hielt sie ihm den Ordner hin. „Bitte sehr. Louis hat mich damit beauftragt, dir das hier zu überreichen.“ „Oh, seid ihr beiden fleißig am Ordnung schaffen? Und dabei ist genau das aufgetaucht, wonach ich seit längerem suchte. Hervorragend! Dir gilt mein aufrichtigster Dank. Dies trifft sich gut, denn im Gegenzug, habe ich auch ein kleines Präsent für dich…“, sprach er voll Vorfreude und holte eine kleine Schachtel, mit einer rosafarbenen Schleife darum, aus seiner Tasche hervor. „Als ich das im Schaufenster sah, dachte ich dabei sofort an dich und wusste, dir damit ein Lächeln auf die Lippen zaubern zu können“, fügte er gütig hinzu, während sie neugierig den Deckel abnahm. „Wie wundervoll, ein solch außergewöhnliches Briefpapier, habe ich noch nie in Händen gehalten, geschweige denn darauf schreiben dürfen. Dieses goldbraun mit den Rosen wirkt zeitlos und ist beinahe schon zu schade, für einen stumpfen Schriftverkehr. Hierauf sollten nur Worte stehen, die von Herzen kommen… Und was für ein beachtlicher Vorrat an Blätter. Da wird einem so schnell nicht bange, dass sie schnell ausgehen. Du hast mal wieder genau meinen Geschmack getroffen. Ich danke dir, Albert“, nahm Miceyla freudestrahlend sein Geschenk an. „Nichts erfüllt mein Herz mit mehr Freude, als dich glücklich zu sehen. Aber das weißt du ja, meine liebe Eisblume. Lass dich niemals beim Schreiben aufhalten. Ein besonderes Briefpapier, für besondere Menschen. Manchmal ist es schwer, gewisse Gefühle in Worte zu fassen. Daher ist es oftmals einfacher sie aufzuschreiben. Briefe sind die Geheimnisse der Seele. Keiner kann sie uns rauben und vergessen lassen…“, sprach er mit einer betörenden und selbstsicheren Stimme, die nicht davor zurückschreckte, jede noch so hartnäckige Regel zu brechen. Und abermals senkte er den Kopf und hauchte seine gefühlvollen Worte dicht neben ihrem Ohr. Miceyla schloss die Augen, um sich nicht von seinem schmeichelhaften Charisma vereinnahmen zu lassen. Einzig er schaffte es, dass in ihr ein unbändiges Chaos zu toben begann. Als wollte er die Grenzen ihrer Selbstdisziplin erproben. Weder fühlte es sich für sie angenehm an, noch bedauerte sie diese unzugängliche Sehnsucht, welche in der Luft lag, sobald sich ihre Blicke trafen. Es hatte etwas Aufregendes, bei dem sie sich lebendiger denn je fühlte. Doch ihr klarer Verstand warnte sie im Verborgenen. Albert könnte seine ehrlichen Gefühle über Bord werfen und daraus ein Spiel machen, nur um sein intensives Verlangen nach ihr zu stillen, das er gezwungenermaßen unterdrückte. Es war unsagbar schmerzvoll, auf etwas verzichten zu müssen, dass man sich sehnlichst wünscht. Und was wenn man keine geeignete Lösung fand und der innerliche Kampf nicht enden wollte? Was wäre das daraus entstehende Resultat? Welche selbstsüchtigen Gedanken und Taten würden erweckt werden, um seinem Frust Luft zu machen? „Du hast vollkommen recht… Und ich weiß auch schon, welchem besonderen Menschen ich meinen ersten Brief schreiben werde“, meinte Miceyla lächelnd. Schweigend erwiderte er ihr Lächeln und sah sie dabei voller Hingabe an. Wann immer sie in das tiefe Grün seiner Augen blickte, stellte sie sich vor, wie sie beide ganz allein mitten in einem dichten, geheimnisvollen Wald standen. Umringt von hohen, dunkelgrünen Tannen, welche ihnen Schutz boten. Keinen ihrer Schritte vermochte man auf dem weichen Moss zu hören. Zartes Licht fiel von oben durch die Baumkronen auf sie herab. Einzig und allein die friedlichen Geräusche der Natur, leisteten ihnen Gesellschaft. Frei und unbefangen konnten sie miteinander tanzen, auf ihrer ganz privaten Tanzfläche, inmitten eines Märchenwaldes, in dem die Zeit stehen blieb. Ein geheimer Ort, an dem sie beide sich nur nachts im Traume treffen durften. Etwas geistesabwesend verließ Miceyla Alberts Schlafzimmer und lief mit ihrem neuen Briefpapier zum Schreibtisch und ließ sich dort nieder. Da William erst spät nach Hause kommen würde, nutzte sie die Zeit, um ihren ersten Brief zu schreiben und zückte einen Stift. Einen Moment betrachtete sie noch, die langsam am Himmel vorüberziehenden Wolken durch das Fenster, ehe sie begann und ihre Gedanken geordnet hatte. Lieber Albert, ich denke ich beginne damit, dir ein wenig die Wut und den Kummer zu nehmen, wegen der unvorhergesehenen Vorfälle in Lambeth. Ja, meine Angst ist gewaltig gewesen, doch nur dank dem Vertrauen in meine neuen Kameraden, zu denen Moran und Fred gehören, konnte ich überhaupt erst den Mut aufbringen, mich Clayton zu stellen. Ich weiß das du und William immer in Gedanken bei mir seid. Und auch ich denke stets an euch. Natürlich darf Sherlock ebenfalls nicht unerwähnt bleiben. Zwischen uns beiden ist das Band einer treuen Freundschaft entstanden. Will nutzt sein Talent knifflige Fälle zu lösen, nach Belieben für seine Zwecke aus. Und mir ist klar, dass du jedes Vorhaben von Will, ohne mit der Wimper zu zucken ausführen würdest. Ihr Brüder lebt ja praktisch nur für jenen Plan… Auch ich muss mich dem unweigerlich beugen. Aber ich bitte dich Albert, aus allertiefsten Herzen, sei vorbereite. Denn sollte die Feindschaft erstmal anfangen, wird sie nicht mehr aufzuhalten sein… Ich gestehe, dass ich mich noch etwas unbehaglich fühle, wenn ich an die Zukunft denke. Von Glück kann ich sagen, dass ich mich euch jeder Zeit anvertrauen kann. Ach verzeih, jetzt schreibe ich hier bloß von meinen Sorgen. Doch ich bin mir sicher, dass du in jeder noch so verzwickten Situation, nach einer Möglichkeit suchen wirst, mich aufzuheitern. Und darf ich dir etwas verraten? Ich fühle mich wie neugeboren, wann immer ich Bruder zu dir sage. In dieser Familie lerne ich eine Geborgenheit kennen, die schöner nicht sein könnte. Trotz aller holprigen Umstände. Doch unser starker Zusammenhalt, kennt keine unüberwindbaren Hürden, nicht wahr? Bitte überarbeite dich nicht ständig und nimm dir ein wenig mehr Zeit für dich selbst. Spiele häufiger auf dem Klavier, du liebst es doch so sehr. Und ich genieße es ebenfalls, dir beim spielen zuzuhören. Es öffnet uns die Türen zu fernen Welten. Wundersame Orte, die wir uns erträumen. Deine lieblichen Klänge werden mich zu dir tragen, das verspreche ich dir… Deine Miceyla Sie überflog noch einmal den Text und war sich unschlüssig, ob sie Albert wirklich diesen Brief zum Lesen geben konnte. Noch ehe Miceyla es sich anders überlegte, faltete sie das schöne Papier ordentlich und tat es in einen Umschlag. Leise auf Zehenspitzen schlich sie den Flur entlang. Von unten hörte sie heitere Stimmen zu ihr hinaufschallen. William war nach Hause zurückgekehrt und unterhielt sich mit Albert. Miceyla lugte in dessen stilles Arbeitszimmer hinein und huschte kurz darauf geschwind zu seinem Schreibtisch. Dort legte sie den Brief ab und verließ mit einem zufriedenen Lächeln wieder den Raum. Nach dem Abendessen und einer ausgiebigen Besprechungsrunde, lief Albert hinauf in sein Arbeitszimmer und sortierte seufzend etliche Dokumente, welche er noch abarbeiten musste. Da fiel ihm alsbald Miceylas Brief ins Auge. Die ausstehende Arbeit schob er erstmal beiseite und setzte sich in aller Ruhe. Er begann zu lesen und lächelte, bei der wohligen Wärme, die er bei ihren Worten spürte. Genau dies wünschte er zu lesen, Worte die ausschließlich ihm gewidmet waren. Sanft strich er mit der Hand über ihren Brief und legte ihn zur Seite, sobald er fertiggelesen hatte. Anschließend holte er sein eigenes Papier hervor. Kurz ging Albert in sich, dann begann er mit dem Schreiben. Da kam er nun, jener unheilverheißende Samstag der sechzehnte April. Im Moriarty-Anwesen herrschte Aufbruchstimmung. Sie wollten frühzeitig beim Theater eintreffen, um einem stürmischen Menschenauflauf aus dem Weg zu gehen. Miceyla hatte mal wieder damit zu kämpfen, ihr Kleid für den Abend anzuziehen. Der Stoff war dunkellila und zwar gefiel ihr das aufwendige Schnittmuster, doch war das Kleid für ihren Geschmack viel zu schwer und extravagant. Aber was tat man nicht alles dafür, um sich der gehobenen Gesellschaft anzupassen. Während sie verbissen versuchte sich in das Kleid zu zwängen, klopfte es plötzlich an ihrem Ankleidezimmer. „Ja, bitte. Oh, Miss Moneypenny, Guten Abend!“, grüßte Miceyla die junge Frau, welche lächelnd in den Raum trat. „Guten Abend, Mrs Moriarty. Wie ich sehe, komme ich genau zur rechten Zeit, he, he. Man trug mir auf, Ihnen beim Ankleiden zu helfen. Um Ihre Frisur kümmere ich mich gleich auch noch“, teilte ihr Moneypenny höflich mit. „Welch eine Erleichterung, ich danke dir vielmals!“, atmete Miceyla dankbar auf. „Es wird bestimmt eine unterhaltsame Vorstellung. Der Regenbogenschwingen -Palast ist dafür bekannt, dass dort jedes einzelne Stück, auf seine eigene Art und Weise einzigartig ist. Doch geben Sie Acht. Das gesamte Theater ist genauso sonderbar, wie sein Name. Dabei handelt es sich um kein gewöhnliches Schauspielhaus, wie man es aus den großen Städten gewohnt ist. Das Theater `lebt` regelrecht. Es ist mit der fortschrittlichsten Elektrizität ausgestattet. Ständig ist dort etwas am leuchten oder in Bewegung. Jeder Besuch in diesem Haus, wird zu einem einmaligen Erlebnis. Daher ist es auch unheimlich beliebt. Leute aus ganz England reisen an, um sich dort eine Vorstellung anzusehen. Ebenso zieht es viele Touristen an. Zwar weiß ich nicht, ob Lord Fairburn persönlich dahintersteckt, doch die klugen Köpfe in unserer Gesellschaft, sprechen von einem `Wunderwerk der Wissenschaft`. Ich kann es selbst bezeugen, da ich bereits selbst einmal in jenem Theater gewesen bin“, vertraute Moneypenny ihr vorwarnend an. „Das hört sich wirklich sehr interessant an. Ich werde Augen und Ohren offenhalten“, erwiderte Miceyla und ihre Aufregung war nun in Höchstform. Endlich war sie angemessen gekleidet und staunte nicht schlecht, über die Fingerfertigkeiten der jungen Frau. „Eine prachtvolle Frisur hast du mir da gezaubert! Du hast wahrlich magische Hände! Und das in der kurzen Zeit, ich hätte bestimmt Stunden gebraucht, ha, ha“, lobte Miceyla sie strahlend und betrachtete sich dabei von allen Seiten im Spiegel. „Ihr Lob ehrt mich sehr. Scheuen Sie sich nicht davor, mich zukünftig zu rufen, wenn Sie meine Dienste in Anspruch nehmen möchten. Es ist eine willkommene Abwechslung, zu meiner groben Arbeit da draußen, ha, ha. Dann verabschiede ich mich an dieser Stelle und wünsche Ihnen einen erlebnisreichen Abend. Kommen Sie und die Brüder wieder wohlbehalten zurück“, sprach Moneypenny zum Abschluss noch freundlich. „Das werden wir, versprochen. Nochmals danke für deine Hilfe. Dann kann der Showdown ja beginnen…“ Miceyla holte ihre Perlenohrringe aus der Schmuckschatulle hervor und zog sich die glänzenden Erinnerungsstücke an. Kurz darauf verließ sie mit klopfendem Herzen das Ankleidezimmer. Oberhalb auf der Treppe stehend sah sie bereits, wie William, Albert und Louis sich makellos herausgeputzt wie eh und je im Anzug, vor dem Eingangsbereich versammelt hatten. So ausgelassen plauderten sie miteinander, als stünde ihnen bloß eine gewöhnliche Vorstellung zur Bespaßung bevor. `Bin ich denn hier die Einzige, welche schrecklich nervös ist?`, fragte sie sich gekränkt. „Schaut an, da kommt unsere Nachzüglerin! Gerade noch rechtzeitig kreuzt du hier auf. Wir wollten gerade ohne dich aufbrechen“, kam es sogleich neckend von Louis. „Ha, ha, nicht doch. Du bist sogar früher mit dem Ankleiden fertig geworden als gedacht. Und was soll ich sagen… Die Grazie deiner Schönheit wächst von Tag zu Tag…“, schwärmte Albert mit sanfter Stimme. „Hach… Bei so viel Schmeicheleien werde ich wieder rot und… Huch! Wah!“ Miceyla trat versehentlich auf ihr langes Kleid und wäre beinahe die Treppe hinuntergestürzt. Doch glücklicherweise gab das Geländer ihr Halt. „Herrjemine… Was für ein Schreck. Das wird diesen Abend sicherlich noch öfters passieren, ha, ha“, meinte sie verlegen. Albert seufzte erleichtert und William trat mit einer ihr entgegenhaltenden Hand auf sie zu. „Das werde ich zu verhindern wissen. Sei unbesorgt, mein Liebling.“ Lächelnd ließ sie sich von ihm vor die Eingangstür führen. Da tauchte plötzlich Moran auf, der im Gegensatz zu den Brüdern nicht fein zurechtgemacht war und seine normale Alltagskleidung trug. „Viel Spaß, Jungs und Mädels. Mischt den Laden ordentlich auf. Schade, ich verpasse garantiert eine grandiose Vorstellung. Aber ich bekomme ja hinterher alles erzählt, he, he. Dann mache ich mich auch mal auf die Socken, muss ja eine separate Kutsche nehmen… Fred ist bereits vor Ort. Hoffen wir mal, dass es ein einigermaßen friedlicher Abend wird und ich mich nur langweilen muss, anstatt einzugreifen… Hals und Beinbruch, bis später!“ verabschiedete dieser sich und lief winkend hinaus. „Dir auch gutes Gelingen, Meister!“, rief Miceyla ihm noch motivierend hinterher. William setzte sich seinen schwarzen Zylinder auf und zückte seinen Spazierstock. „Dann wollen wir uns mal ins Vergnügen stürzen!“, verkündete er zum Aufbruch. Dabei glühten seine rubinroten Augen beinahe vor Euphorie und seine Lippen waren zu einem furchtlosen Grinsen geformt. Etwas über eine halbe Stunde waren die vier unterwegs, bis sie beim Theater in Zentrallondon ankamen. Bereits durch das Fenster der Kutsche, sah Miceyla von Weitem das prachtvolle Gebäude. Durch die Flammenfarben der allmählich hereinbrechenden Abenddämmerung und das beleuchtende Licht der Straßenlaternen, schimmerte es rötlich. Vor dem Eingang hatten sich bereits einige Personen in einer langen Schlange eingereiht und warteten auf ihren Einlass. Von allen Richtungen kamen Kutschen angefahren, welche Adelswappen zierten, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Und ihr fiel auf, dass sogar mittellose Arbeiterkinder angerannt kamen, die ihre Eintrittskarten den Torwächtern vorzeigten und ohne Umschweife durchgelassen wurden. „Nanu? Ich dachte für den Eintritt wird ein deftiger Preis verlangt? Wie haben es diese Kinder dann geschafft, an Karten zu gelangen?“, fragte Miceyla verwundert. „Der Preis ist auf die unterschiedlichen Schichten abgestimmt. Wer vermögend ist, muss tiefer in die Tasche greifen. Die Ärmeren zahlen hingegen nicht mal ein Viertel des Gesamtpreises. Ich finde es erstaunlich, wie dies gehandhabt wird, ohne das es dabei zu Scherereien kommt oder jemand heimlich pfuscht“, verriet William, der kurz stehengeblieben war und das gesamte Gebäude von außen genaustens inspizierte. Auch Miceyla blickte ehrfürchtig hinauf und betrachtete das auffällig bunte Schild, auf dem Regenbogenschwingen-Palast in geschwungenen Buchstaben geschrieben stand. „Ist jemand von euch schon einmal hier gewesen?“, erkundigte sie sich dabei. „Obwohl wir jede Ecke und jeden Fleck von ganz London kennen, gab es bisher nie eine Gelegenheit oder triftigen Grund, um dieses Theater zu besuchen. Weder hat es Vorstellungsthemen gegeben, die uns hätten interessiert, noch wurden wir von Bekannten hierher eingeladen. Aber kein anderes Schauspielhaus, hat in weniger als drei Jahren, an solch einer Popularität gewonnen. Was nicht zuletzt unserem kleinen Provokateur zu verdanken ist…“, antwortete Albert, der seine Augen leicht argwöhnisch zusammenkniff, wodurch sein sonst so sanftmütiger Gesichtsausdruck zornig aussah. „Wie wahr, Bruder. Wenn dieser Mann unbedingt auf Vergeltung aus ist, soll er sie bekommen!“, fügte Louis ebenso eisern hinzu. William jedoch, ließ sich nicht zu irgendwelchen negativen Emotionen hinreißen und lief unbeirrt mit Miceyla an seiner Seite voraus. „Danke sehr. Bitte folgen Sie dem rechten Korridor, dort führt Sie eine Treppe hinauf zu ihren Plätzen“, ließ ein extraordinär gekleideter Mann die vier passieren, nachdem William ihre Karten vorgezeigt hatte. Im Innern hielt sie instinktiv nach Sherlock Ausschau, ob er ebenfalls verfrüht zugegen war. Doch bislang fehlte von ihm jede Spur. Da kam sie abrupt zum Stillstand und riss die Augen verdutzt weit auf. „Gütiger Himmel! Wie sollen wir den bitteschön, diese skurrile Treppe hinaufkommen?! Da fehlen ja die ganzen ersten Treppenstufen!“ Auch Louis neben ihr wusste nicht, was er von jener unbegehbaren Treppe halten sollte. „Wer zum Henker kommt bloß auf solch irrsinnige Ideen?! Soll das etwa der einzige Weg, zu unseren Logenplätzen sein? Die anderen Besucher, haben nicht mit einem derartigen Hindernis zu kämpfen“, beschwerte dieser sich empört. Albert hingegen fing leise an zu kichern. „Ein ansprechender Willkommensgruß. Findest du nicht auch, Will? So viel Mühe macht man sich nur für unseren Empfang, da sollten wir uns geehrt fühlen.“ „In der Tat. Doch eine solche Lappalie, stellt nun wirklich in keiner Weise eine nennenswerte Herausforderung dar. Ich hatte gehofft, etwas mehr gefordert zu werden. Allerdings, gleich zu Beginn das beste Ass aus dem Ärmel zu schütteln, wäre auch wieder fatal. Nun gut. Werft mal einen Blick auf den Boden vor euch. Folglich werdet ihr erkennen können, dass die fehlenden Stufen, sich unter unseren Füßen befinden müssen. Sie werden höchstwahrscheinlich mit einem Mechanismus in Verbindung stehen, der wenn er betätigt wird, die Treppenstufen emporsteigen lässt. Was sagt man dazu, die Lösung unseres kleines Problems, finden wir dort drüben an dieser `unauffälligen` Wand“, kam William ziemlich unbeeindruckt, ihrer ein wenig dreisten Stolperfalle auf die Schliche und zeigte auf eine hervorragende Stelle in einer Wand, an der sich etliche Zahnräder in unterschiedlichen Größen befanden. „Das heißt, wir müssen die Zahnräder lediglich in Bewegung bringen und die Stufen kommen dort, aus der verdächtig aussehenden Stelle im Boden hervor? Die Idee dahinter ist eigentlich recht schlau und ungewöhnlich zugleich, ha, ha. Nur was passiert, wenn wir einen Fehler machen…?“, grübelte Miceyla besorgt. „Das finden wir besser gar nicht erst heraus. Von vornherein alles korrekt zu machen, ist ja wohl das Mindeste“, meinte Louis nüchtern. William durchlöcherte die Wand für kurze Zeit mit seinen scharfen Augen. „Albert, dürfte ich dich bitten, dass Zahnrad ganz oben links im Uhrzeigersinn zu drehen. Und Miceyla, drehe bitte das Zahnrad unten rechts gegen den Uhrzeigersinn“, bat er mit felsenfester Überzeugung, dass dies funktionieren würde. Die beiden befolgten nickend seinen Anweisungen und begannen zur gleichen Zeit die Zahnräder zu drehen. Ohne großen Kraftaufwand schafften sie es, dass jedes der aneinandergereihten Zahnräder, sich leicht quietschend zu drehen begann. Und auf einmal lief der gesamte Mechanismus, ohne ihre Hilfe weiter. Es dauerte nicht lange, da kamen tatsächlich auf beinahe magische Weise, Treppenstufen aus dem Boden hervor und vervollständigten die Treppe. Sprachlos beobachtete Miceyla das eindrucksvolle Geschehen. William setzte einen Fuß prüfend auf die erste Stufe. „Ladys und Gentleman, folgt mir nach oben“, gab er ihnen lächelnd zu erkennen, dass es sicher war. Endlich durften sie auf ihren bequemen Sitzplätzen Platz nehmen. Sobald Miceyla die imposante Theaterhalle von oben betrachten konnte, kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das erste Mal befand sie sich in einem Theater dieser Größe. Ein dunkelroter Samtvorhang, verbarg momentan noch die Bühne. Jegliche Säulen und Geländer, waren mit funkelnd goldenen Mustern verziert, die Engelsflügeln ähnelten. Es sah nach einer aufwendigen Handarbeit aus. An der hohen, nach außen gewölbten Decke, hingen mehrere riesige schillernde Kronleuchter. Aber da entdeckte sie noch etwas recht Fragwürdiges an der Decke. Unzählige kleine schwarze Einkehrbungen befanden sich dort, die nach absichtlich angebrachten Löchern aussahen. Auch William neben ihr, nahm die Innenarchitektur des Theaters genaustens unter die Lupe und folgte ihrem grübelnden Blick. „Wozu dienen denn diese ganzen Löcher? Wir werden doch hoffentlich nicht beschossen…“, hoffte Miceyla, während sie grausame Spekulationen bekam. „Es wäre wohl etwas unvorteilhaft, dass eigene Publikum unter Beschuss zu nehmen. Lassen wir uns einfach überraschen“, sprach William bloß und lächelte unbesorgt. `Das beruhigt mich jetzt nur wenig…`, dachte sie mit einem mulmigen Gefühl. `In einer halben Minute ist achtzehn Uhr zwanzig`, stellte sie fest, nachdem sie die Uhrzeit auf ihrer Taschenuhr überprüft hatte. Langsam ließ sie ihren Blick über die gefüllten Zuschauerplätze schweifen. Ausnahmslos jeder Platz war besetzt worden, ebenso die Plätze der anderen Logen. Sofort blieben ihre Augen freudig an einer Person haften, die ihr von unterhalb zuwinkte. `Sherlock! Er ist wirklich hier, wie er gesagt hatte und auf die Minute genau, ha, ha. Und John ist auch mit hergekommen.` Die beiden saßen ziemlich in der Mitte nebeneinander. Ganz flüchtig winkte sie ihm ebenfalls zu. Sie glaubte kaum, dass sie es schaffte sich einfach zurückzulehnen und die Vorstellung genießen zu können. Viel mehr tobten in ihr wilde Vorstellungen, was an diesem Abend noch alles passieren würde. Zehn Minuten vergingen, da war es soweit und der Vorhang öffnete sich. Mucksmäuschenstill wurde es, als man eine leise, dramatische Musik hören konnte. Nun hatte ein jeder freie Sicht auf die Bühne, wo der zur Seite gleitende Vorhang, einen dort alleinstehenden Mann zum Vorschein brachte. `Clayton Fairburn…`, erkannte Miceyla ihn rasch und ein Anflug unbändiger, innerer Aufregung überkam sie. Reflexartig griff sie nach Williams Hand, der zärtlich ihren Händedruck erwiderte, was sie sogleich wieder ein wenig beruhigte. „Seid gegrüßt werte Damen. Meine farbenfrohen Blumen, die unserer Welt zu wahrem Glanz verhelfen. Und willkommen ihr tüchtigen Herren, die Geldscheffler und Stützen unserer Nation. Da sind wir wieder alle versammelt, in alter Frische. Euer Matador Muscari hat die Ehre, euch heute ein brandneues Stück zu präsentieren. Aber es wäre anmaßend, dazu nur schlicht Aufführung zu sagen. Nein, es ist Zeit für ein revolutionäres Gefecht. Täglich denken wir uns fantasievolle Szenarien aus, bloß um der hoffnungslosen Realität zu entfliehen. Doch verkümmert dabei unser Wille, im wahren Leben etwas bewegen zu wollen. Vertraut mir, die Realität ist weitaus interessanter als ihr denkt. Ihr müsst einfach mal richtig hinschauen, was sich hinter unserem Rücken alles verbirgt… Drum kostet mit mir zusammen etwas von der Süße des Schmerzes, der lähmenden Trauer und der dämonischen Wut. In jedem von uns schlummert schließlich ein Monster. Die ernüchternde Wahrheit wird nach euch greifen und jeden in den Ruin führen. Aber fürchtet euch nicht, die Todesengel haben sich bereits versammelt, um ihr gerechtes Urteil zu fällen. Also seid schön artig. Ob ihr die Jager oder Gejagten werdet, liegt ganz in euren Händen…“, begann Clayton seine Empfangsrede, teils fröhlich, teils düster. Und als er mit finsterem Grinsen zu ihren Logenplätzen hinaufblickte, glaubte Miceyla ihr Herz würde stehen bleiben. Doch nicht nur sie, das ganze Publikum, wurde durch seine einschüchternden Worte in den Bann gezogen. Clayton verließ die Bühne und verriet mit dieser Geste, dass nun die Vorstellung begann. Bei dem momentanen tristen Hintergrund der Bühne, handelte es sich um ein karges Ödland, dass aussah als stünde es in Flammen. Eine schöne, junge braunhaarige Frau erschien. Sie trug einen dreckigen, zerfetzten Mantel und hatte den Blick trübselig zu Boden gerichtet. Da stoppte sie plötzlich und sackte auf die Knie. „So viel habe ich gegeben, meine Güte, meine Hilfsbereitschaft, ich opferte einfach alles. Muss ich denn bis zur bitteren Erschöpfung arbeiten? Wenn aus meinen Händen Blut strömt, wird mich dann endlich jemand anerkennen? Oh Hoffnung und Glück, ihr habt mich beide betrogen! Mein Leid zerfrisst mich… Von meinem Lebenswillen ist längst nichts mehr übrig… Was soll ich tun? Wieso bloß besitze ich nicht die Kraft, etwas zu verändern? Ich weiß es…die Welt muss bluten, genau wie mein Herz. Wenn alle Sünden verbluten, wird in jedem der wahre Frieden wiedergeboren…“, wimmerte sie verzweifelt, doch schien der Wille ihr noch nicht vollends entglitten zu sein. Da erschien erneut Clayton, jedoch in einem völlig neuen Gewand und einer schwarzen Perücke. Er sah aus wie ein heldenhafter Ritter, ehrenhaft und unverdorben. Trostspendend hielt er der jungen Frau seine Hand entgegen. „Oh weh, mein holdes Mädchen. Noch nie erblickte ich solch Kummer, in derart schönen Augen. Dein unschuldiges Wesen ist getränkt in hässlichem Hass. Willst du denn leibhaftig diese schwere Last tragen und dich gegen die gesamte Welt auflehnen? Doch sollte jener Entschluss deine klagende Sehnsucht stillen, werde ich dein treuer Begleiter sein. Mit mir wirst du jeden Kampf gewinnen, meine violette Knospe des Frühlings…Amethesya“, sprach er beschützend. Plötzlich ging bei Miceyla ein Licht auf und sie wäre um ein Haar von ihrem Platz gesprungen. `D-das gibt es nicht! Warum bin ich bloß die ganze Zeit über so blind gewesen?! Der Mann, welcher mir im letzten Jahr diese rätselhaften Gedichtzeilen, auf mein verloren gegangenes Blatt schrieb, ist Clayton gewesen! Meine Güte, der Kerl ist das reinste Chamäleon, wenn es darum geht sein Äußeres zu verwandeln. Aber hat er wahrhaftig die ganzen Ereignisse vorhergesehen oder ist alles schierer Zufall…? Entweder er besitzt lediglich eine künstlerische Ader, der seine grenzenlose Kreativität zuzuschreiben ist oder er ist…ein Genie…`, dachte sie und schluckte schwer. Trotz ihrer aufwühlenden Erkenntnisse, versuchte sie sich wieder auf das Stück zu konzentrieren. Mittlerweile hatte die junge Frau, besser gesagt `Amethesya`, ihren ärmlichen roten Mantel abgeworfen und zeigte sich nun in einem prachtvollen, rubinroten Kleid und strahlte jetzt neugewonnene Selbstsicherheit und einen bannbrechenden Frohsinn aus. Auf dem Boden lagen nun etliche Menschen, deren teure Kleidung mit Blutflecken beschmutzt waren. Verzweifelt bettelten sie um Gnade. „Sterbt, ihr undankbares Gesindel! Möget ihr endlose Qualen erleiden. Eure Körper sollen denselben Schmerz zu spüren bekommen, den ihr anderen wehrlosen Seelen zugefügt habt! Und steigt empor ihr klagenden Menschen, für die leider jede Hilfe zu spät kam. Ihr seid endlich frei! Fliegt und zeigt das reine Licht eurer Herzen!“, blaffte sie verurteilend, blickte hinauf und breitete dabei ihre Arme weit aus. Wie auf ein Zeichen hin, geschah etwas so Unerwartetes, dass ein erstauntes Raunen durch die gesamte Zuschauermenge ging. Jedes der kleinen Löcher an der Decke, begann plötzlich zu leuchten. Und nicht nur das, es regnete aus ihnen glitzernde, helle Funken. Sie fielen langsam und geräuschlos herab, wie dicke Schneeflocken. `Sitze ich gerade wirklich in einem Theater…? Über mir befindet sich ein Sternenhimmel und es regnet Sternenstaub auf mich herab…`, versuchte Miceyla den traumhaftschönen Augenblick zu begreifen. In jenem Moment glaubte sie, schwerelos durch den endlosen Nachthimmel zu schweben. Sie bekam Flügel und ihre Angst vor Höhen geriet in Vergessenheit. Mussten nicht gerade alle im Theater, dieses unwirkliche Gefühl, bei dem die Zeit stehenbleiben zu schien, verspüren? Ganz gleich ob arm oder reich? Ja, in jenem Moment waren sie alle miteinander verbunden. Weit und breit kein Groll, keine Vorurteile mehr. Einfach nur in der Stille den Anblick zu genießen, fühlte sich richtig an. Miceyla streckte ihre geöffnete Handfläche nach vorne aus, um eine der schimmernden Funken aufzufangen. Dabei spürte sie nur eine leichte Wärme und kurz nachdem das schimmernde Licht ihre Haut berührte, löste es sich wieder auf. Dieser Überraschungsmoment mit den Lichtern, besaß die Macht, jeden Griesgram zu besänftigen und jedes niedergeschlagene Kind aufzuheitern. Das Stück lief längst weiter, doch bekam sie nur die Hälfte mit. Als es allerdings einen radikalen Handlungswechsel gab und es allmählich auf das Finale zuging, war sie wieder hellwach bei der Sache. Am Rande tauchte Clayton auf und beobachtete angewidert das Geschehen vor sich. Nun war von seinem ritterlichen Glanz, nicht mehr viel übriggeblieben. „Was bin ich töricht gewesen. Ein Narr der herumgeschuppst wird. Ich sah so viele Menschenleben enden, dass ich sie schon gar nicht mehr zu zählen vermag. Und wo bleibt der langersehnte Frieden, die wahre Gerechtigkeit? Letztendlich ist es bloß eine Lüge gewesen, die deinem selbstsüchtigen Verstand entsprungen ist. Heute werde ich dem Ganzen ein Ende bereiten! Nimm all meine Liebe mit ins Grab. Ich brauche sie nicht mehr, wenn du dich von dieser Welt verabschiedet hast. Doch eines verspreche ich, die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, werde ich für immer im Herzen tragen. Solange, bis mein eigenes Leben endet…“ Mit diesen dramatischen Worten, zog er ein langes Schwert und mit Tränen in den Augen, durchbohrte er damit die ahnungslose Amethesya. Miceyla stockte der Atem. Alles sah so unglaublich realistisch aus, dass man kaum glauben konnte, dass es sich nur um ein Schauspiel handelte. Alle gerade Anwesenden im Theater, fieberten zitternd mit. „Mein…mein Liebster… Noch nie sah ich solch Wut, in den gefühlskalten Augen eines Verräters… Der Tod…ich spüre seinen ewigen Kuss… Die notleidenden Menschen waren auf mich angewiesen. Aber du…hast mich in Wahrheit nie gebraucht. Jedoch…bereue ich nicht, dir mein Herz geschenkt zu haben… Nun lebe und trage von jetzt an, die bitteren Folgen unserer beiden Schicksale durchs Leben. Lebe wohl…“ Noch ein letztes Mal lächelte sie ihren Geliebten an, dann schloss sie regungslos die Augen. Clayton befreite sich aus der Umarmung ihres leblosen Körpers und erhob sich teilnahmslos. „Schaut her, was aus mir geworden ist! Ein Mörder! Für mich gibt es keine Zukunft mehr. Deine verführerischen Absichten, haben aus mir einen Verbrecher gemacht… Mich, die Gerechtigkeit in Person, hat es ins Verderben gestürzt… Die Nacht bricht herein, mein Herz, es wird zu Stein. Keine klagenden Stimmen mehr, dein Trank des Todes ist nun endlich leer. Lasst mich fortlaufen zu fernen Weiten, müde bin ich, vom ewigen Streiten. Zeit, das ich den Verlauf ordnungsgemäß richte, dennoch fragt mich bestimmt ein jeder, nach deiner Geschichte. An dich werde ich denken, wenn mich umgibt der Flieder. Liebste, eines Tages sehen wir uns in einer glücklichen Welt wieder…“, prophezeite Clayton abschließend und hielt dabei das Schwert, an dem das Blut von Amethesya klebte, fest umklammert. Derweil rätselte Miceyla über die verborgene Interpretation des Stücks. Man wollte nämlich ganz bestimmten Personen eine Botschaft übermitteln, dies war nun mal Fakt. `Doch wen genau sollen die Hauptdarsteller darstellen? Die Frau mit dem Pseudonym Amethesya, könnte den Meisterverbrecher repräsentieren, also William. Und Clayton den ihn jagenden Detektiv, nämlich Sherlock`, spekulierte sie gedankenversunken. Jedoch musste sie eingestehen, dass die Rolle der jungen Frau, auch recht gut zu ihr selbst passte. Vielleicht lag sie aber mit jeder ihrer Theorien daneben und man wollte sie alle nur, mit einer abstrakten Vorstellung in die Irre führen. Miceyla warf einen Blick zu William, um seine Reaktion auszukundschaften und erschrak zusammenzuckend, als hätte sie ein greller Blitz getroffen. Seine Augen fixierten mit einer beängstigenden Finsternis die Bühne. Bei seiner unterdrückten Anspannung meinte man, er wolle am liebsten hinunterpreschen und Clayton sein eigenes Schwert ins Herz rammen. `Nein… Irrtum…`, dachte sie berichtigend, als seine funkelnd roten Augen zur Zuschauertribüne wanderten und an Sherlock haften blieben. `H-hast du etwa die Interpretation des Stücks verstanden? Aber selbst wenn, ist es doch nicht weiter von Belang. Dies war eine rein frei erfundene Handlung. Auch jemand der so ideenreich wie Clayton ist, kann nicht die Zukunft vorhersehen. Das solltest du schließlich am besten wissen, Will. Du wirst einfach immer die genauen Absichten der Leute analysieren und deine Pläne umstrukturieren, sollte etwas unstimmig sein. Ich glaube kaum, dass eine noch so kluge Person, deinen Perfektionismus übertreffen könnte… Denn du hast liebevolle Menschen um dich herum, die dich zu jeder Zeit unterstützen werden`, dachte sie wehmütig und versuchte dabei, ihre friedvolle Güte auf ihn zu projektzieren. William schien zu spüren, dass ihr umsorgender Blick auf ihm ruhte und schenkte ihr zur Beruhigung sein sanftestes Lächeln. `Ja meine Liebste… Genau das meinte ich damit, als ich davon sprach mich daran zu erinnern, meinen eigenen Zielen treu zu bleiben. Mag ich auch verfrüht Urteile fällen, wir werden die tückischen Fallen von anderen mit Bravour umgehen, sodass wir siegreich durch die Ziellinie schreiten. Differenzieren wir uns weit genug von jenen Menschen, die uns Steine in den Weg legen wollen, wodurch unsere Pläne für deren Sabotagen unantastbar werden…`, beschloss er mit geruhsamer Miene und nahm zur Besiegelung seiner Worte ihre Hand. `Die gesamte Welt wird zwar zu unserem Feind, doch ich bleibe in jeder noch so stürmischen Zeit an deiner Seite. Egal welche Opfer ich in Kauf nehmen muss. Meine Liebe zu dir übersteht alles, ausnahmslos alles…`, dachte sie mit pochendem Herzen, während der Vorhang fiel und ein schallender Applaus zu hören war. Die zwei ignorierten das laute Treiben um sich herum und widmeten den Moment ganz sich selbst. `Auch wenn wir auf Kriegsboden wandeln, nichts könnte mich davon abhalten, immer wieder zu dir zu finden und deine Hand zu halten. Solange bis…` Williams Gedanken wurden jäh unterbrochen, als Albert jeweils ihm und Miceyla eine Hand auf die Schulter legte. Er und Louis hatten sich ebenfalls nicht dem jubelnden Applaus angeschlossen und verharrten still auf ihren Plätzen. „Schwesterherz, Bruderherz, schaut! Das Publikum zieht nach und nach von dannen und verlässt das Theater. Nun beginnt für uns die eigentliche Vorstellung. Wollen wir mal dem Hauptdarsteller, zu seinem gelungenen Auftritt gratulieren gehen…“, rief er die beiden Träumer freundlich ins Diesseits zurück. Miceyla spürte die unermüdliche Bereitschaft welche in Albert brodelte, sich einer Konfrontation zu stellen, bei der noch keiner so wirklich wusste, wie sie ausgehen mochte… `Das Stück hat fast zwei Stunden gedauert. Nun ist es soweit… Oh bitte, ein höfliches Gespräch genügt doch schon. Ich habe wie immer das ungute Gefühl, dass gleich die Fetzen fliegen werden… Aber hätte Will etwas Derartiges geahnt, würde er mich nicht unbewaffnet hier herumlaufen lassen. Jedoch gibt es auch Gefechte, die ohne den Einsatz einer Waffe auskommen…`, rechnete sie nervös mit dem Schlimmsten und wusste aber insgeheim, dass die drei Brüder ihre schützenden Hände über sie hielten, falls die Lage eskalierte. „Eine ernüchternde Vorstellung, mit Möchtegern-Schauspielern. Hättet ihr nicht auch eine Parodie, von unserer schändlichen Gesellschaft vorgezogen? Dann hätten die Zuschauer wenigstens, über ihre eigene Dummheit lachen können“, meinte Louis mit wenig Begeisterung. „Ha, ha, das wäre auch nicht schlecht gewesen. Vielleicht steht das noch aus und ist für das zukünftige Programm geplant. Wer weiß was die Vielfalt der Darsteller, noch alles Skandalöse in petto hat. Gut, die Treppe ist noch vollständig, sputen wir uns lieber“, sprach William lächelnd und lief wieder voraus. `Moneypenny hat kein bisschen übertrieben. Dieses Theater gleicht wahrhaftig einem magischen Zauberschloss. Wer so geschickt mit Technik und Elektrizität umgehen kann, muss ein sehr helles Köpfchen besitzen`, erkannte Miceyla mit beinahe kindlicher Bewunderung, für die ihr unbekannten Wunder der heutigen Zeit. Jedoch blieb sie auf dem Boden der ernsten Tatsachen. Denn sie befanden sich noch immer in einem Theater, dessen Eigentümer bislang als ihr vermeidlicher Feind einzustufen war. Unterhalb vor der Bühne, entdeckte sie Clayton wieder ohne Perücke, der von einigen Damen umringt war, welche ihn mit Komplimenten bombardierten. Das Geschnatter der Frauen war so laut, dass es bis zu ihr herüberschallte. „Sir Muscari! Mir sind die Tränen gekommen. Das Ende hat mich sehr bewegt. Oh welch schicksalhafte Tragödie…“ „Die herabfallenden Lichter, haben mir den Abend versüßt! Sie sind ein wahrer Zauberer!“ „Es ist trotzdem beruhigend zu wissen, dass es sich bloß um eine ausgedachte Geschichte handelt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass dieser berüchtigte Meisterverbrecher, um den etliche Gerüchte kursieren, auch nur einem Ammenmärchen entsprungen ist. Die Leute erfinden heutzutage doch gerne irgendwelchen Humbug, um anderen Angst einzujagen.“ `Wenn du dich da mal nicht irrst… Eine Spekulation entfaltet erst dann ihre komplette Wirkung, wenn man die Wahrheit mit eigenen Augen gesehen hat… Daher schreibe ich nicht nur von dem oberflächlichen Ganzen, sondern setze mich auch mit den verschiedenen kleinen Details auseinander, die es verdient haben, näher betrachtet zu werden. Ob die Menschen eines Tages unserer Geschichte Glauben schenken, ist ihnen selbst überlassen. Aber vielleicht gibt es ja einen unter tausenden, der nachvollziehen und begreifen kann, was sich hier auf der düsteren Seite von London, alles zugetragen hat. Das genügte schon. Doch die alleinigen Zeugen, sind und bleiben wir, die für gerechte Ideale kämpfen…`, dachte Miceyla anmerkend, beim Zuhören der ahnungslosen Frauen. „Ladys, ich erfreue mich immer an euren treuen Besuchen. Und hört her, der heutige Abend war erst die orakelhafte Ouvertüre. Wartet ab, die nächsten Vorstellungen werden wahre Meisterwerke! Ich tue alles dafür, um eure trägen Gemüter, die im trübseligen Alltagstrott gefangen sind, mit Spannung einzuheizen! Die leuchtenden Augen von schönen Frauen, bereichern mich mit einem unvergleichbaren Frohsinn“, erwiderte Clayton schmeichelnd und hatte schwer damit zu kämpfen, die anhänglichen Damen abzuwimmeln, wie es nach jedem seiner Auftritte sein musste. „Widerlich… Was für ein Süßholzraspler…“, spottete Louis leise, der ebenfalls dem Gespräch lauschte. Miceyla blickte Clayton aus der Ferne, noch einmal ganz genau an und ihr fiel dabei ein winziges Detail, an seinem Verhalten gegenüber den Frauen auf, dass anderen nur schwer ins Auge springen würde. „Miceyla! Welch eine Freude dich heute Abend hier zu sehen!“ Bei dieser vertrauten und lebhaften Stimme, wechselte sie sofort die Blickrichtung. „John! Ach was freue ich mich! Es ist fast, als ob wir uns an diesem farbenfrohen Ort verabredet hätten, nicht wahr? Wie hat dir das…`originelle` Stück gefallen? Bei mir hat es jedenfalls einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen…“, begrüßte sie den gutgelaunten jungen Arzt, während sie zwischen den mittlerweile leeren Sitzbänken, auf den Gang am Rande zulief. „Oh ja, das hat es bei mir auch… Ich bekam sogar am Ende eine Gänsehaut… Aber ich bin froh, dich gesund und munter zu sehen. Komm doch die Tage mal bei uns vorbei, falls du in der Nähe bist. Wir müssen uns schließlich darüber austauschen, wie wir bei unseren aktuellen Werken vorankommen! Und ich soll dich ganz herzlich von Mrs Hudson grüßen. Sie versprach, wieder etwas ganz besonders leckeres zu backen, wenn du bei uns bist“, sprach er mit überschwänglicher Euphorie. „Dann ist es ja meine Pflicht, euch bald zu besuchen! Die nächstbeste Möglichkeit werde ich dazu ergreifen, Schriftstellerehrenwort!“, versprach Miceyla lächelnd. Erst jetzt fiel ihre Aufmerksamkeit auf Sherlock, der mit ineinander verschränkten Armen und einer Zigarette im Mund, in sich gekehrt an der Wand angelehnt stand. „Frohe Zusammenkunft wünsche ich dem Herrn Detektiv! Oh und welch ungewöhnlicher Anblick. Wer hat dir denn deine alte Kluft geklaut und dich in diesen todschicken Anzug gezwängt? Du bist ja beinahe nicht wiederzuerkennen“, grüßte sie ihren guten Freund mit einem kleinen Scherz. Normalerweise wäre er sofort darauf angesprungen und hätte grinsend angefangen, mit ihr herumzublödeln. Doch dieses Mal verzog er keine Miene und sah sie nur mit einem unergründlich prüfenden Blick an, der in ihr Unwohlsein weckte. `Ich hätte es wissen müssen… Sherlock hat selbstverständlich ebenfalls, die Interpretation verstanden und versucht nun seine Schlüsse daraus zu ziehen… Argh! Ich komme mir vor, wie bei einem Wettrennen um Leben und Tod!`, dachte Miceyla und war von Sherlocks unnahbarem Verhalten, mehr als nur verunsichert. Allerdings war ihr bewusst, dass das heutige Aufeinandertreffen einen ausschlaggebenden Meilenstein darstellte, wie die nächsten Züge der jeweiligen Kontrahenten auszusehen hatten. John jedoch, verhielt sich weiterhin heiter und unbekümmert. „Das bin ich gewesen. Ich habe Sherlock gezwungen, sich dem Anlass entsprechend anzukleiden. Denn ich würde mich ansonsten in Grund und Boden schämen, mit ihm zusammen auszugehen und ein feines Theater zu besuchen. Er ist ja nicht mal dazu in der Lage, sich anständig eine Krawatte zu binden“, tadelte John seinen anpassungsunfähigen Mitbewohner. Miceyla musste sich zwingen, Sherlock ein Lächeln zu schenken, um ihn wenigstens ein bisschen aufzumuntern. „Nanu? Wo bleibt dein: `Ha, siehst du! Hab ich nicht gesagt, dass wir uns im Theater wiedersehen? Ich warte auf mein wohlverdientes Lob deinerseits, für meine unübertreffbar grandiose Vorhersage!`“ Sherlock legte den Kopf etwas schräg und wich ihrem Blick aus. Doch dabei entging ihr nicht, dass seine Mundwinkel sich zu einem flüchtigen Lächeln formten. „Verzeih, mir hat das Stück schwer auf den Magen geschlagen“, entschuldigte er sein abweisendes Verhalten und betrachtete nun mit einem ernsten Gesichtsausdruck, die drei Moriarty-Brüder, welche sich hinter Miceyla näherten. „Ah, ich wünsche den Herren der Familie Moriarty, auch einen schönen Abend! Schön das Sie heute allesamt erschienen sind“, grüßte John höflich. „Guten Abend, Doktor Watson. Und ich freue mich, dass Sie die Zeit gefunden haben, sich eine Vorstellung der Extraklasse anzusehen, Mr Holmes“, sprach William neutral und die Blicke von ihm und Sherlock trafen sich. „Liam, auf ein Wort“, fiel dieser direkt mit der Tür ins Haus, ohne irgendwelche Höflichkeitsfloskeln. Und ehe sich Miceyla versah, entfernte er sich mit einem nickenden William. `Das fängt ja schon gut an… Ich wüsste nur zu gern, was er mit Will besprechen möchte. Aber es ist nicht wirklich schwierig, dies zu erraten…`, dachte sie und blickte den beiden ein wenig frustriert nach. Die zwei liefen auf die gegenüberliegende Seite der Theaterhalle und auch dort lehnte Sherlock sich wieder lässig gegen die Wand an. „Sie brennen darauf, Antworten auf Ihre Fragen zu erhalten. Dann nur keine Zurückhaltung. Wobei kann ich Ihnen mit meiner Meinung dienen?“, begann William zuvorkommend. „Fairburn… Miceyla hat Ihnen garantiert eifrig, von ihrer Konfrontation mit ihm in Lambeth erzählt. Die entscheidende Frage lautet, ob er nur ein Wohltäter ist, der junge Mädchen aus ihren kläglichen Verhältnissen befreit und dabei alle Missetäter aus dem Weg räumt, was für mich schon als schwerwiegendes Verbrechen ausreicht, um ihn in die Schranken zu weisen. Oder ob er zusätzlich ein heimtückisches Vorhaben am basteln ist, dass einem viel größeren Zweck dient“, erläuterte Sherlock und schloss kurz die Augen, um seine bisher gesammelten Fakten, über den mysteriösen Clayton zu ordnen. „Hm… Ich kann aus Ihren Worten herausfiltern, dass Ihre Gedankengänge sich in Richtung des Meisterverbrechers bewegen. Sie haben nun eine Person gefunden, die man leicht mit ihm vergleichen könnte. Jedoch lassen Sie sich nicht von einer oberflächlichen Ähnlichkeit und Zufällen täuschen. Sie ziehen in Betracht, dass der wahre Meisterverbrecher, Clayton Fairburns Handlungen als Beleidigung, seiner perfekt inszenierten Verbrechen ansehen könnte und sich somit seiner lästigen Person entledigen würde. Und genau dabei wollen Sie ihn erwischen“, offenbarte William Sherlocks Gedanken, als wäre er kurz in dessen Geist gewandert. „Liam, kein Mensch den ich kenne, ist mit einem vergleichbar bemerkenswerten Verstand gesegnet worden. Doch zurück zum Thema Fairburn. Sie haben exakt ins Schwarze getroffen. Das wäre der Plan, mit der größten Chance auf Erfolg. Dennoch birgt die ganze Sache, einen nicht zu ignorierenden Haken. Der Meisterverbrecher wird Clayton nicht unüberlegt Schaden zufügen. Denn ihn zu stürzen, würde mehr als nur eine Lücke, in Londons Vergnügungsszene hinterlassen… Aber nun gut… Wir haben leider nicht die Zeit, um ausführlicher darüber zu diskutieren. Das müssen wir vertagen. Doch einer Sache will ich mich noch vergewissern, solange wir noch unter vier Augen sprechen können. Und verzeihen Sie mir, wenn ich einen etwas forscheren Tonfall wählen sollte. Ihnen ist sehr wohl bewusst, was für einer Gefahr Sie Miceyla aussetzen. Der Ausflug nach Lambeth, diente nicht als Freizeitbeschäftigung. Und dann kommt auch noch das ganze Training hinzu. Ich kann nicht leugnen, dass sie eine aufgeweckte junge Seele ist, die wissensdurstig ihrem Entdeckungsdrang nachgeht. Doch in jener Nacht, sah ich sie voller Angst um ihr Leben bangen. Ich glaube kaum, dass Sie Ihre eigene Frau so sehen wollen. Weshalb also soll Miceyla abgehärtet werden? Lebt sie nicht wohlbehütet in einem Heim, in dem drei starke Männer über sie wachen? Wie dem auch sei… Ich erbitte lediglich, mir eine Frage ehrlich zu beantworten. Werden Sie Miceyla ein glückliches Leben schenken? Eine Zukunft, der sie trotz der Spaltungen in unserer Gesellschaft, positiv entgegenblicken kann? Ihre Aufgeschlossenheit und ihr Optimismus, werden noch vielen Menschen helfen, denen es als Kind ähnlich schlecht erging. Und bitte stellen Sie nicht immer nur ihre Beobachtungsgabe in den Vordergrund, die sie schulen wollen. Denn das…ist mittlerweile zu meiner Aufgabe geworden…“, mahnte Sherlock verantwortungsvoll. Jedoch wurden seine Worte weicher, als er einen Blick auf die andere Seite warf, wo Miceyla munter mit John, Louis und Albert plauderte. Zusätzlich hielt er die ganze Zeit über ein scharfes Auge darauf, ob Clayton auftauchte, der schon seit längerem hinter der Bühne verschwunden war. Seine dezent vorwarnende Anmerkung, kam für William nicht unerwartet und dennoch fiel sein Blick ebenfalls, mit einer Spur der sachten Melancholie auf Miceyla, ehe er ihm eine Antwort gab. „Ihnen scheint Miceyla sehr ans Herz gewachsen zu sein. Sie genießt die Abenteuer und die Herausforderung, schwierige Fälle zu lösen. Und wenn Sie dabei an ihrer Seite sind, kann ich mich darauf verlassen, dass ihr nichts geschieht. Denn auch ich muss meiner Arbeit mit Sorgfalt nachgehen und kann folglich nicht immer zugegen sein. Dasselbe gilt auch für meine Brüder. Und Sie haben mein Wort, vor Miceyla liegt ein langes und glückliches Leben, in dem sie all ihre Interessen und Fähigkeiten voll ausschöpfen kann. Schließlich ist genau das mein größter Wunsch für sie. Seien Sie daher unbesorgt, Sherlock“, versicherte William ihm mit einem ehrlichen Lächeln. Sherlock fixierte ihn forschend mit den Augen, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln, als wollte er ihn hypnotisieren. `Er spricht die Wahrheit und liebt Miceyla aufrichtig. Dessen kann ich mir nun sicher sein. Aber trotzdem verschleiern seine Worte die Wahrheit hinter der Wahrheit. Die wahrwerdende Lüge lässt mal wieder grüßen…. Ach verflixt! William, du bist wie ein zweischneidiges Schwert. Und aus Miceyla machst du auch nichts anderes. Eventuell hätte ich nach einem `gemeinsamen` glücklichen Leben fragen sollen…` Sherlock blieb keine Zeit mehr übrig, um tiefgründiger nachzudenken, da Clayton nun endlich wieder auftauchte und im Schlepptau einer ihm wohlbekannten Frau, auf Miceyla und die anderen zumarschierte. „Es ist so weit, die Abrechnung steht kurz bevor. Sind Sie nicht auch gespannt, welche Überraschung man für uns geplant hat? Ich denke es wird noch ein wenig spektakulärer, als ein paar herabrieselnde Lichter“, meinte William vorwurfsvoll und beobachtete Clayton mit zusammengekniffenen Augen. „In der Tat. Die Spannung liegt förmlich spürbar in der Luft. Beeilen wir uns. Ich will nichts verpassen. Weder ein einziges gesprochenes Wort von ihm, noch die kleinste Veränderung seiner Mimik“, stimmte Sherlock ihm angespannt zu und hofft, nun mehr über die Persönlichkeit von Clayton zu erfahren, wenn er ihm Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Genau zur rechten Zeit, trafen die zwei wieder bei den anderen ein. „Willkommen! Voller Ungeduld wartete ich auf den Moment, meine größten Verehrer in meinem Reich begrüßen zu dürfen! Heute Abend werdet ihr allesamt mit dem Privileg beglückt, ein privates Gespräch mit mir führen zu dürfen. Denn die Spätaufführung fällt aus. Das heißt, keiner außer uns ist gerade hier…“, verriet Clayton und grinste unheilvoll, während er vor der Gruppe zum Stehen kam. Miceyla erkannte bei der Frau neben ihm, dass es sich um die Darstellerin aus dem Stück handelte. Sie trug hochgesteckte, leicht gewellte blonde Haare und hatte hellblaue Augen. Anhand ihrer aufrechten Haltung und ihrem wachen Blick erkannte sie sofort, dass sie eine ordentliche Portion Selbstbewusstsein besaß. Und aus ihrem ersten Eindruck konnte Miceyla schließen, dass sie bestimmt nicht vor schmutzigen Tricks zurückschreckte und Männer mit den Waffen einer Frau um den Finger wickelte. Als Clayton Miceyla ins Visier nahm, schmiegte sie sich gegen Albert und schwor sich, dieses Mal keine Furcht vor ihm zu zeigen. „Hinreißend mein Vöglein! Wahrlich hinreißend! Was für ein farbenprächtiges Kleid! Ihr Brüder habt aus dem hässlichen Entlein, wortwörtlich einen schönen Schwan gezaubert! Doch, was verbirgt sich wohl hinter der Maskerade…?“ Albert legte einen Arm um Miceyla und nahm sie mit einem zornigen Blick in den Schutz. „Und was verbirgt sich hinter `Ihrer` Maskerade? Miceyla war auch bereits bevor sie anfing luxuriöse Kleider zu tragen, eine Schönheit, deren Grazie von ihren unvergleichbar klugen und liebenswerten Charakterzügen abgerundet wird. Also halten Sie sich bitte mit Ihren grotesken Äußerungen zurück“, konterte Albert in einem solch schroffen Ton, den man nur äußerst selten bei ihm zu hören bekam. Clayton tat so, als hätte ihn seine Bemerkung schwer beleidigt. „Ah… Ihre Worte bohren sich wie spitze Nadeln tief in mein Herz! Mein Vergleich war doch wesentlich charmanter.“ „Also ich persönlich bevorzuge Alberts Charme. Seine Sprüche sind wesentlich stilvoller“, sagte Miceyla und lächelte Clayton mutig an. „Erst einmal bedanke ich mich für die Einladung, welche Sie uns auf abnormalem Wege haben zukommen lassen, Lord Fairburn. Aber… Darf ich Sie überhaupt so ansprechen? Ich hörte Gerüchte, dass Ihre Familie bereits seit längerer Zeit, vom Adel ausgestoßen wurde… Und Sie meine Dame sind…?“, fragte William freundlich die junge blondhaarige Frau, während Clayton ihn kurz finster anfunkelte. „Ich bin die Aktrice Saphira“, antwortete sie sogleich freudestrahlend. „Sie heißt Irene Adler…“, enthüllte Sherlock daraufhin ihren wahren Namen und tauschte mit ihr einen rätselhaft innigen Blick aus. `Sherlock scheint diese Frau zu kennen… Jagd er dann auch hinter ihr her, da sie für einen Verbrecher arbeitet…?`, dachte sie grübelnd darüber nach, welche Rolle Irene wohl bei dessen Verfolgungsjagd spielen mochte. „Überspringen wir die langweilige Vorstellungsrunde. Wir scheinen uns doch alle mehr oder weniger zu kennen. Also, wie hat Ihnen eigentlich unser Stück gefallen?“, fragte Clayton mit kindlicher Neugierde nach. „Ein vortreffliches Fiasko haben Sie erschaffen. Ich kam mir vor wie bei einem Kasperletheater. Spielen Sie ruhig weiter den Hampelmann. Sie besitzen ja anscheinend genug Pappenheimer, die bei Ihren sinnfreien Imitationen Anklang finden“, meldete Louis sich als Erster zu Wort und grinste ohne Zurückhaltung höhnisch. `Oha, Louis teilt ordentlich aus, ha, ha`, dachte Miceyla schmunzelnd und musste sich ein Kichern verkneifen, als sie Johns entsetzten Gesichtsausdruck sah. „Oh lala… Das hat gesessen. Doch was kümmert mich schon die Meinung einer einzelnen Person… Meine wehrten Gäste, wenn Sie mich dann entschuldigen würden, ich habe noch einiges vorzubereiten…“, tat Clayton geheimnistuerisch seinen Austritt aus der Runde kund und zwinkerte mit dem rechten Auge. `Hä, was?! Das war jetzt doch noch kein vernünftiges Gespräch! Und er will einfach wieder schnell abhauen? Nicht mit mir! Ich habe noch ein paar Takte mit diesem Aufschneider zu reden!`, dachte Miceyla sturköpfig und marschierte ihm ohne ihre Freunde vorzuwarnen hinterer. „Miceyla!“, kam sogleich der zurückhaltende Ruf von William. Jedoch machte er keine weiteren Anstalten, sie aufhalten zu wollen. Sie öffnete dieselbe Tür neben der Bühne, durch welche Clayton verschwand und folgte seiner schattenhaften Gestalt in einem dunklen Korridor. Er bog in einen Raum ab, der nach einem Umkleideraum für die Darsteller aussah. Denn dort fand man etliche, maßgeschneiderte Kostüme in den schillerndsten Farben. Nicht zu ignorieren war auch das künstlerische Chaos. Zwar brannte nur ein schwaches Licht, doch sah sie vor sich im Geiste, die unterschiedlichsten Geschichten, welche auf der Bühne zum Leben erweckt wurden. Prächtige Bilder der Fantasie, die zum Träumen einluden. Clayton empfing Miceyla mit einem ungewöhnlich warmherzigen Lächeln, als sie den Raum betrat. Angst hatte sie nun keine mehr. „Was liegt dir auf dem Herzen, mein Trauervöglein?“, begann er in einem ruhigen Ton. „Wer sagt das ich trauere? Und Sie wissen ganz genau, was für ein Anliegen mir keine Ruhe lässt. Jene Gedichtzeilen, die Sie mir Ende des letzten Jahres geschrieben haben. Dank der heutigen Aufführung, kenne ich ihre versteckte Bedeutung. William ist der Rubin, der für mich gleichzeitig Glück, als auch Zerstörung bedeutet. Amethesya, das bin ich selbst. Aber dieses Schicksal, wählte ich eigenständig. Und der Saphir, der mich beschützen soll, wollen Sie ihn etwa darstellen? Sie hätten mich um ein Haar fast umgebracht…“, interpretierte Miceyla furchtlos sein eigenes Gedicht. „Welch erschütternder Vorwurf! Wie könnte ich einem so schönen Mädchen, jemals etwas antun! Hätte ich dich ernsthaft umbringen wollen, wäre es nicht nur bei einem leichten Schubser geblieben… Und zudem waren doch deine ganzen Mitstreiter vor Ort. Aber das ist nun Schnee von gestern. Übrigens liegst du mit deiner Annahme daneben, ich sei der schützende Saphir. Denn ich habe bereits genug Schäfchen, die ich hüten muss. Obwohl ich dem auch nicht abgeneigt wäre. Allerdings dachte ich dabei viel eher an…“ Clayton brach grinsend mitten im Satz ab, da er von ihrem perplexen Gesichtsausdruck ablas, dass sie sich ihren eigenen Reim draus machen konnte. `…Sherlock…` Für einen Moment war sie wie weggetreten und verwirrt darüber, dass seine Gedichtzeilen teilweise vollkommen gegensätzlich, zu der heutigen Vorstellung waren. Schließlich handelte es sich um ein und dieselben Charaktere. Jedoch dämmerte es ihr langsam, was Clayton mit der Interpretation des Stücks auszudrücken versuchte. `Es ist bloß eine unwirkliche Zukunftsvorstellung, die seiner Fantasie entsprungen ist`, versuchte Miceyla einen vernünftigen Gedanken zu fassen und nicht gleich wieder in Wallung zu geraten. „Oh! Haben wir zwei Hübschen nicht etwas Wichtiges vergessen? Jetzt muss ich dich schon selbst, an dein kostbares Schmuckstück erinnern. Ich dachte dein Herz hängt mehr daran, he, he. Wo hab ich es noch gleich hingelegt…“, bekam er plötzlich einen spontanen Einfall und begann leise murmelnd in einer Schublade zu wühlen. Kurz darauf warf er ihr etwas Glänzendes entgegen. „Meine Halskette!“, rief sie voller Erleichterung und drückte Alberts funkelnde Kette erleichtert gegen die Brust. „Ich war bereits am überlegen, ob ich das Collier verkaufen solle. Es hätte mir bei dem richtigen Händler, ein nettes Sümmchen eingebracht“, meinte Clayton seufzend. „Unterstehen Sie sich! Das Sie überhaupt daran dachten, ist wahrlich unverschämt. Aber Sie haben Ihr Wort gehalten und mir die Kette zurückgegeben. Dafür bedanke ich mich anstandsgemäß. Nur warum Sie so viel Geld benötigen, erschließt sich mir nicht. Sie müssten doch mit Ihrem Theater, ein komplettes Vermögen zusammenbekommen haben“, erwiderte Miceyla mit einem fragenden Blick. Auf einmal warf er sich vor sie auf die Knie und machte ein klägliches Gesicht „Ach, ich armer Schlucker habe kein Geld! Meine Ausgaben sind einfach viel zu hoch und ich stehe bis zum Hals in Schulden…“, wimmerte Clayton gespielt theatralisch. Sie war über sein stark schwankendes Verhalten belustigt und verwundert zugleich. `Er macht einem professionellen Schauspieler alle Ehre.` „Und wofür geben Sie all Ihr Einkommen aus, wenn ich fragen darf?“, wollte sie neugierig von ihm wissen. Clayton erhob sich wieder mit elegantem Schwung. „Ein gewissenhafter Geschäftsmann hat eben seine Geheimnisse…“, antwortete er nur verschwiegen und legte seinen Zeigefinger auf die Lippen. „Wie dem auch sei… Endlich sehe ich Sie mal ohne Maske, Lord Fairburn. Oder Sir Muscari. Wie auch immer Sie genannt werden wollen“, wechselte Miceyla das Thema, da ihr klar war, dass sie auf direktem Wege nichts aus ihm herausbekommen würde. „Sag einfach nur Clayton zu mir, dass ist völlig ausreichend, mein Vöglein. Aber bist du dir deiner Entscheidung sicher? Wer einmal auf dem Pfad eines Verbrechers wandelt, kann ihn nie mehr verlassen. Klammerst du dich nicht bloß an William, um dein tiefes Loch in deinem Herzen zu schließen? Es wird jedoch unweigerlich dazu führen, dass sich ein noch wesentlich größeres Loch dort auftut…“, warnte er sie mit einem Hauch Trübsal. „In William habe ich einen Menschen gefunden, der mich so gut wie kein anderer versteht. Was auch immer mit meinem Herzen geschehen möge, es gehört einzig und allein ihm“, gab sie Clayton eine knappe, jedoch klare Antwort. „Das unzertrennbare Band der Liebe… Ehe man sich versieht, zerreißt es von ganz allein. Gegenwehr ist nutzlos“, hauchte er so leise, dass sie sich anstrengen musste ihn zu verstehen. Für einen Moment herrschte Stille und sie beobachtete ihn einmal ganz ungeniert. Denn nun besaß sie eine größere innere Ruhe, als bei ihrer letzten Begegnung in Lambeth. Er besaß ein äußerst hübsches Gesicht. Seine längeren, hellbraunen Haare fielen ihm auf die Stirn. Und das kräftige Blau seiner Augen, kam ihr beinahe unwirklich vor. Sein charakterstarkes Antlitz vergaß niemand so schnell. Dessen große und schlanke Statur verriet ihr, wie wendig und geschickt er beim Fechten sein musste. Doch sie achtete nicht nur auf sein Äußeres. Allem voraus wollte sie schließlich erfahren, welche Art Mensch sich dahinter verbarg. „Nun gut, Clayton… Du spielst unterschiedliche Rollen, die deinen Schmerz verbergen. Aber nicht nur Trauer, es ist endloser Hass, der dich antreibt und aus dem der Wunsch entsprungen ist, die Welt brennen zu sehen. Du kämpfst verbissen dafür, alles auszulöschen, was dir jenen unerträglichen Schmerz angetan hat. Bis…deine Rache gestillt ist… Und du schlüpfst in so viele Rollen, dass ich nicht sagen kann, was deine wahre Persönlichkeit ist. Vielleicht weißt du es nicht einmal mehr selbst…“ Miceyla vergaß die Zeit und verschmolz mit ihren Spekulationen über Claytons Beweggründe. Er sah sie zuerst verwundert an, dann blickte er nachdenklich zu Boden. „Ich verstehe… Du besitzt also auch die Gabe, in die Herzen der Menschen zu sehen… Such dir eine Seite von mir aus, welche dir am besten gefällt. Das ist der einfachste Weg.“ Ihre Unterhaltung endete abrupt, als plötzlich Albert hereinplatzte und Miceyla so unvorbereitet an sich drückte, dass sie die Augen vor Verwunderung weit aufriss. „A-Albert…“, stammelte sie verlegen. „Ich denke Sie durften nun lange genug das `Privileg` auskosten, mit meiner bezaubernden Eisblume zu sprechen, meinen Sie nicht auch?“, sprach Albert gelassen und blickte Clayton herausfordernd an. „Eisblume? Oh ja, sie ist wahrlich eine seltene und zerbrechliche Blume… Sie sind das also…hm…“, murmelte dieser grinsend. „Komm, lass uns wieder gehen. Es haben sich bereits einige Sorgen um dich gemacht und… Nanu? Weshalb hältst du auf einmal die Kette in den Händen? Du hattest sie heute Abend doch gar nicht angelegt“, fragte Albert etwas verwirrt. „Das ist eine etwas kompliziertere Geschichte… Gehen wir erst mal zu Will und den anderen zurück“, erwiderte Miceyla zögerlich und blickte sich beim hinauslaufen, noch einmal nach Clayton um. Dieser lächelte sie in einer verbeugenden Position mysteriös an. In jenem Augenblick, wo sich ihre Blicke trafen, fällte sie ihr Urteil über seine wahre Person. `Clayton…ist kein böser Mensch…` Als sie sich wieder in der großen Theaterhalle befanden, fiel ihr als allererstes auf, dass Irene nicht mehr dort war. „Miceyla! Ein Glück, du bist zurückgekehrt. Fairburn soll ein schlimmer Langfinger sein. Daher sei bitte auf der Hut, wenn du mit ihm alleine bist“, sagte John besorgt und stürmte auf sie zu. `Sherlock wird ihm wohl auch alles über Clayton erzählt haben. Zumindest fast alles…`, dachte sie, während Sherlock, William und Louis anhand ihres Gemütszustandes zu erraten versuchten, ob sie etwas Interessantes herausgefunden hatte. `Nachher werde ich wieder von allen ausgefragt... Aber ich bin ja selber diejenige, die immer neugierig ist.` Die kurzweilige Idylle fand ein jähes Ende, als urplötzlich alle Lichter ausgingen und auf magische Weise, einige Fackeln an den Wänden zu brennen begannen. Es herrschte ein gespenstisches Ambiente. Da schallte auf einmal ein lautes Klatschen zu ihnen hinüber und sie sahen Clayton auf die Mitte der Bühne zumarschieren. „Meine wehrten Querdenker und Anhänger der freien Rechte! Zeit für ein kleines Kennenlernspiel!“, rief er laut. Und während er klatschte, kam aus mehreren Spalten des Fußbodens und den Wänden, zischend ein eigenartig riechender Rauch heraus und begann die Luft in der Theaterhalle zu verpesten. „Alle Türen und Fenster dieses Gebäudes sind verriegelt. Wenn ihr das giftige Gas länger als fünfundzwanzig Minuten einatmet, geht es zu Ende mit euch. Drum sucht die Quelle allen Übels und verhindert, dass noch mehr Gas austreten kann, ehe eure Zeit abgelaufen ist. Teilt euch auf, dies erleichtert die Suche. Simpel, oder? Viel Erfolg…“, beschrieb Clayton die Regeln seines grotesken Spiels und tauchte in den Schatten hinter sich unter. Miceyla schaute panisch umher und bemühte sich dennoch, so wenig wie möglich von dem schädlichen Gas einzuatmen. „Na wer sagts denn! Mir sind vor Langeweile bereits die Füße eingeschlafen. Liam, hätten Sie etwas dagegen, wenn wir beide den ersten Suchtrupp bilden würden?“, sprach Sherlock so ausgeglichen, als hätte er schon ihr baldiges Unglück verhindert. Und auch William lächelte bester Launer. „Da sage ich doch nicht nein. Lassen Sie uns einen kleinen Spaziergang, durch die bescheidenen Räumlichkeiten dieses Theaters unternehmen“, willigte er ohne zu zaudern ein und lief zielstrebig mit dem Detektiv, auf die Tür rechts neben der Bühne zu. `Schon wieder reden die zwei in einem solch lockeren Ton miteinander. Nach außen hin wirkt es so, als wären sie unglaublich dicke miteinander. Aber testen beide nicht bloß in Wahrheit, aus welchem Holz der jeweils andere geschnitzt ist…?`, überlegte Miceyla und blickte William und Sherlock mit einem unbehaglichem Gefühl hinterher. Leicht stutzig bemerkte sie, wie Louis ihr einen verständnisvollen Blick zuwarf. Ihm schien wohl derselbe Gedanke durch den Kopf zu gehen. „Kommen Sie Doktor Watson, klappern wir die oberen Ebenen im südlichen Bereich ab“, sprach Louis an John gewandt und übernahm sogleich die Führung. „Ich folge Ihnen auf Schritt und Tritt! Dieser dreisten Schikane von Fairburn, muss Einhalt geboten werden! Bis später Miceyla und pass gut auf dich auf“, rief John ihr aufgewühlt, aber dennoch führsorglich zu. „Dann wollen wir uns mal wieder in die Richtung begeben, aus der wir gerade kamen“, meinte Albert sanft und lächelte sie zuversichtlich an. „In Ordnung…“ `Wir befolgen gerade genau den Plan von Clayton und teilen uns auf… Ob das gut gehen wird bezweifle ich…`, dachte sie ein wenig misstrauisch und hielt die Hand vor Mund und Nase, als der bestialisch riechende Gestank des Dampfes intensiver wurde. „Na sieh sich das mal einer an! Welch untypische Anordnung der Räumlichkeiten in einem Theater und die ganzen Glastüren und Fenster sind abgeriegelt worden. Auf was tippen Sie, was sich hinter der Fassade dieses Gebäudes versteckt?“, fragte Sherlock William grinsend und klopfte an mehreren Stellen gegen die Wand, um auszutesten wo sich Hohlräume befanden und die Gasleitungen entlangliefen. „Ich tippe darauf, dass wir uns gerade in einem alten Krankenhaus befinden, welches zu einem Schauspielhaus für Unterhaltungszwecke umfunktioniert wurde. Wir müssen lediglich den Katalysator finden, der für den Ausstoß des Gases verantwortlich ist und stoppen somit die Leitungen“, kam William sogleich mit der Lösung des Problems. „Sie treffen den Nagel auf den Kopf. Außerdem hat Fairburn ein klein wenig geflunkert. Es handelt sich um kein tödliches Gas. Bei längerer Einatmung, hätte es nur eine mäßig lähmende Wirkung. Wird Zeit, dass wir den Spieß bei seinem kleinen Katz- und Mausspiel umdrehen.“ Derweil lief Louis mit John durch ein Schneideratelier, in dem die aufwändigen Kostüme hergestellt wurden. Er wusste das sein Bruder William, den Ausweg aus Claytons Falle finden würde und richtete sein Augenmerk daher auf etwas ganz anderes… „Bemerkenswert das Lord Fairburn, alles eigenständig fabrizieren lässt und keine Hilfe von außenstehenden, fachkundigen Händlern annimmt. Dieser Mann steckt viel Herzblut in seine Arbeit, dies muss man einfach zugeben“, sprach John mit staunendem Blick. `Holmes und Watson geben als Doppelpack ein lästiges Duo ab. Will hat den Detektiv bereits fest in seinen Plan integriert. Doch nun ist ein weiterer Störenfried aufgetaucht, der uns zum Verhängnis werden könnte. Denn Clayton nutzt im Gegensatz zu Sherlock, dieselben rechtswidrigen Mittel wie wir. Er ist wegen diesem nervigen Schauspieler, immer näher dran zu erfahren, wer der Meisterverbrecher ist. Eine verfrühte Offenbarung sollte dringend verhindert werden. Es muss für Ablenkung gesorgt werden. Und der gutherzige Doktor, stellt dabei das perfekte Opfer dar… , dachte Louis und fixierte John energisch mit seinen Augen. Miceyla und Albert ließen den Ankleideraum hinter sich und liefen eine Treppe nach oben. „Wie viele Stockwerke und Räume es hier gibt… Wenn man im Zentrum der Theaterhalle sitzt, bleibt einem das alles verborgen. Und was ist das hier…?! Wah! Hilfe!“ Sie lief in eine vollgestellte Kammer, mit den skurrilsten Gegenständen, die bei diversen Bühnenbildern zum Einsatz kommen mussten. Und da baumelte plötzlich ein Skelett, direkt vor ihr von der Decke herab. Verschreckt sprang sie zurück und befreite sich von dem klappernden Knochengerüst. „Ha, ha. Lass mich besser vorangehen. Wer weiß was uns noch alles entgegenspringt. Es handelt sich hierbei sogar um echte Menschenknochen. Wo Clayton das Skelett aufgetrieben hat, mag ich lieber erst gar nicht wissen“, meinte Albert beschützend und war dennoch etwas amüsiert, über ihren erschrockenen Gesichtsausdruck. „Einer ist hier makabrer als der andere… Was auch immer als Nächstes mit mir Bekanntschaft machen mag, hau ich in Stücke!“, sprach Miceyla sich selbst Mut zu und war heilfroh, Albert an ihrer Seite zu haben. Auf einmal hörten sie ein lautes Klacken und die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. „Das darf doch nicht wahr sein! Sie lässt sich nicht mehr öffnen! Wir sind jetzt eingeschlossen. Und hier strömt ebenfalls Gas hinein…“, rief sie verzweifelt und blickte ängstlich von einer Ecke des fensterlosen Raumes zur anderen. „Nur keine Panik, wir finden schon wieder einen Weg hinaus. Es ist aber deutlich weniger Gas, dass hier hereingelangt. Zufall? Das bezweifle ich. Machen wir uns erst mal etwas Licht“, beschwichtigte er sie geruhsam und entzündete die Kerzen eines kleinen Kronleuchters. „Ich bewundere deine Gelassenheit, in einer solch ungewissen Situation. Findest du nicht auch, dass Clayton ein ziemlich ambivalentes Verhalten an den Tag legt? Wieso wollte er das wir uns aufteilen? Ihm ist bewusst, dass William oder Sherlock zuerst die Apparatur ausfindig machen werden, welche für das verpestende Gas verantwortlich ist. Hat er vor während des Kopf-an-Kopf-Rennens, sich einem von ihnen zu stellen? Noch diesen Abend? Oh Albert, ich habe ein schreckliches Gefühl… Ich lege großes Vertrauen in den Scharfsinn der beiden, jedoch…“, sie hielt inne, als sie die recht geräumige Kammer, mit mehr Licht betrachten konnte. Allerlei Spieluhren und Musikinstrument waren dort verstaut. Sogar eine hübsch bemalte Kuckucksuhr fand sie. Miceyla wollte eine der Spieluhren näher betrachten, als diese von Zauberhand zu spielen begann. „Ich rühre nichts mehr an… Mir hätte klar sein müssen, dass egal wo Clayton sich aufhält, es spukt…“, seufzte sie und wappnete sich für alle kommenden, surrealen Phänomene. „Es wird nicht lange dauern, bis William seinem Streich ein Ende bereitet. Aber ich verstehe deine Sorgen nur zu gut. Auch ich ziehe in Betracht, Vorsicht wallten zu lassen. Und schau an, was haben wir denn hier Feines…“ Albert zog eine Decke weg und enthüllte ein schneeweißes Klavier. „Es sieht danach aus, als wäre es eine Ewigkeit her, seitdem jemand darauf gespielt hat. Eine Schande um das schöne Instrument“, sagte sie leise mit träumerischem Blick. „Dann wird es höchste Zeit, dass wir dies ändern“, beschloss Albert lächelnd und setzte sich würdevoll auf den davorstehenden kleinen Hocker. Sofort war er voll und ganz in seinem Element, als er zu spielen begann. „Jedenfalls ist das Klavier vortrefflich gestimmt worden. Es hat einen ausgezeichneten Klang“, meinte er zufrieden und genoss die eigene Melodie, welche er zauberte. „Dieses Stück kenne ich noch gar nicht. Es weckt tiefe Sehnsucht. Jedoch steckt keine bitterliche Trauer dahinter. Ein Lied, das jedem jungen, liebenden Herzen schmeichelt. Die Vorfreude auf…“ Miceyla hielt inne, da sie viel zu spät bemerkte, wie sehr ihr Blick mit dem von Albert verschmolz. Peinlich berührt starrte sie auf das weiße Klavier. „Weißt du welche Geschichte dieses Stück erzählt? Sie handelt von einem sensiblen Mädchen, das von der wahren Liebe träumt. Hartnäckig versteift sie sich darauf danach zu suchen und übersieht dabei all die selbstlosen Gefühle, die man ihr mittels stiller Zeichen zusendet. Letztendlich ist es das Schicksal des Mädchens, niemals ihr Glück zu finden. Allerdings ist sie nicht die Einzige, welche mit diesem Verzicht leben muss…“, erzählte Albert gefühlvoll seine eigene Geschichte, zu dem lieblichen Klavierstück. „Solch ein trauriges Schicksal ist keine Seltenheit. Es kann ein Risiko sein, zu intensiv dem eigenen Herzenswunsch nachzujagen. Denn manchmal entsteht sogar aus einem niedergebrannten Aschehaufen, neues Leben. Jeder Mensch verdient Liebe gleichermaßen. Abgesehen von denen, die andere ausnutzen, machtgierig sind und kaltblütig morden. Nur ein Herz das Mitgefühl, Schmerz, Trauer und Schuld empfindet, kann die Liebe erreichen und sie wiederum anderen schenken. Wahre Liebe ist das schönste Geschenk, welches wir auf der Welt finden können. Sie bedeutet blindes Vertrauen und selbst in der dunkelsten Stunde ist man sich nah. Daran glaube ich…“, sprach Miceyla in einem solch weichen Tonfall, dass Albert mit wehmütigem Blick sein Klavierspiel beendete. Lächelnd erhob er sich und schritt gemächlich auf sie zu. Das sie eigentlich gerade mit Zeitdruck zu kämpfen hatten, schien für beide vorerst in den Hintergrund gerückt zu sein. „Das du dabei selbstverständlicher Weise an Will denkst, ist für mich etwas frustrierend. Doch weißt du woran `ich` glaube? Das wahre Liebe auf den unterschiedlichsten Wegen entstehen kann und oftmals viele, viele Jahre braucht, um zu erblühen“, sagte er sanft und sie konnte nicht anders, als dabei tief in seine grünen Augen zu blicken. „Und was ist, wenn einem die Zeit geraubt wird und…dem einen die Liebe überhaupt nichts bedeutet…?“, flüsterte sie, wollte ihre Frage aber gar nicht ausgesprochen haben. „Dann hat diese Person sein Herz verschlossen, aus Angst dich zu verlieren. Und zum Eigenschutz, nicht verletzt zu werden. Wer sich vor der Liebe fürchtet, verpasst das schönste und gleichzeitig auch schmerzvollste Gefühl, das wir empfinden können. Und vergiss nicht, der am längsten aufgesparte Kuss, ist der Schönste und mit keinem vorherigen zu vergleichen…“ Mit diesen hingebungsvollen Worten, legte er seinen Zeigefinger auf ihre weichen Lippen. Und ehe Miceyla wusste wie ihr geschah, beugte er sich zu ihr hinab und berührte den Finger mit seinen eigenen Lippen. Nur sein Finger trennte nun ihre beiden Lippen voneinander. Ihr Herz drohte jeden Moment aus ihrer Brust zu springen. So nah wie in jenem Augenblick, war sie ihm noch nie zuvor gewesen. Sie konnte sich nicht mehr rühren und drohte von einer Schwindelattacke gepackt umzukippen. Für ein paar Sekunden schloss er die Augen, dann löste er sich wieder schweigend von ihr. `Warum…setzt du uns einer solchen Gefahr aus…? Du müsstest doch wissen, welches unglückliche Dilemma auf dich und mich wartet wenn…` Ihre Gedanken wurden jäh unterbrochen, als beide ein unheilvolles Geräusch, von einer der zugestellten Wände vernahmen. Albert stellte sich schützend vor Miceyla und lugte hinter einen Schrank, der an jener Wand stand, von welcher das dumpfe Geräusch zu hören war. Rasch erhellte sich seine Miene. „Du darfst aufatmen, dahinter befindet sich eine zweite Tür!“, verriet er freudig und sie half ihm, noch immer aufgewühlt, den zierlichen Schrank beiseite zu schieben. „Ich gehe zuerst hinaus. Denn ich habe das ungute Gefühl, dass uns dahinter eine weitere unliebsame Überraschung erwarten könnte…“ Behutsam drückte er den Türgriff hinunter. Die Tür ließ sich ohne Weiteres öffnen und Albert überprüfte lautlos, einen menschenleeren Korridor. Gerade wollte Miceyla nachfragen, ob die Luft rein sei, doch da zog sie eine Person mit grobem Griff zurück in den Raum und schlug die Tür zu, noch ehe Albert reagieren konnte. „Miceyla! Geht es dir gut? Antworte mir bitte! Die Tür lässt sich von außen nicht mehr öffnen!“, schrie er panisch und ärgerte sich über seine eigene Unaufmerksamkeit. Verzweifelt trat und schlug er gegen die Tür, allerding ohne Erfolg. Sie war einfach zu schwer, um sie aufbrechen zu können. Ängstlich fuhr Miceyla herum, da sie schnellstmöglich in Erfahrung bringen wollte, wer sie derart böswillig überfallen hatte und sah hellblaue Augen ihr forsch entgegenblicken. „Irene…!“ Mittlerweile waren Sherlock und William im Keller unterhalb des Theaters angelangt und spürten, dass sie kurz davor waren auf Clayton zu stoßen. „Hier spaltet sich der Gang. Ich tippe darauf, dass sich rechts der Raum mit der zentralen Energieversorgung befindet. Was schlagen Sie vor? Ich ziehe zu Rate, dass nur einer von uns die Höhle des Löwen betritt“, entschied Sherlock und blickte konzentriert geradeaus. „Das ist definitiv ein kluger Vorschlag. Dann übernehme ich diesen Part und wage mich zum Herzen seiner Festung vor. Heute wird es ohnehin zu keinem ausartenden Zwist kommen“, antwortete William lächelnd. „Nein, die Ruhe vor dem Sturm, hält fürs erste noch an. Fairburn scheint nicht nur an mir, sondern auch an Ihnen einen Narren gefressen zu haben. Die Frage ist, wer hier wen aufeinanderhetzt. Sehen Sie sich vor, William James Moriarty. Ich lasse mich nicht als Opfer einer eingefädelten Intrige abstempeln. Es existiert kein ehrenvolles Verbrechen. Ob nun Fairburn oder der Meisterverbrecher, solange ich lebe werde ich nicht davon ablassen, ihnen das Handwerk zu legen. Nun denn, dann suche ich mir mal meine eigenen Hinweise zusammen…“, sagte Sherlock mit bitterernstem Ton und ging seines Weges. „Gewiss Herr Detektiv, dass werden Sie. Schließlich sind Sie ein Meister in Ihrem Beruf und überschreiten mit aufopferungsvoller Leidenschaft Ihre Grenzen“, meinte William und grinste dezent zynisch. „Danke für die Blumen. Das kann ich nur zurückgeben. Sie sind ein meisterlicher Professor, Herr Mathematiker. Passen Sie jedoch auf, dass Sie sich bei Ihren zukünftigen, strategischen Ausarbeitungen nicht verrechnen. Es wäre ein Verhängnis für Ihre beispiellose Perfektion. Denn es soll Leute geben, die ein solch kleines Anzeichen von Schwäche ausnutzen würden“, kamen Sherlocks letzte beharrliche Worte, ehe er den linken Gang entlanglief und ihm grinsend einen messerscharfen Blick zuwarf. Unbeeindruckt von dessen Anspielungen, lief William nach rechts weiter. `Dein facettenreiches Wissen ist mit fehlenden, handfesten Beweisen genauso unspektakulär, wie ein Instrument ohne seinen Spieler. Erst wenn es zu einem Zusammenspiel der beiden kommt und man sich Gehör vom Publikum verschafft, wird es brenzlig. Solange ich aber die zwei sich suchenden Gegenstücke voneinander fernhalte, bleibt mir selbst genügend Spielraum, bis die inszenierten Verbrechen erste Früchte tragen`, dachte William ruhigen Gemüts, um noch mal seine persönlich ausgeklügelte Vorgehensweise wachzurufen, die in seinen Augen unantastbar war. Ohne seine Anwesenheit verschleiern zu wollen, stieß er die schwere Tür zu einem großen Maschinenraum auf. Dort befand sich ein riesiger Kessel, über einem knisternden Heizofen. An dem Kessel befanden sich provisorisch angelegte Rohre, welche bis zu etlichen Öffnungen in der Decke verlegt worden waren. „Nicht schlecht. Mithilfe dieser Vorrichtung wäre es möglich, ein Gebäude mit einer stattlichen Größe wie dieses, komplett mit Wärme zu versorgen. Oder alle sich dort aufhaltenden Menschen, an einem akuten Sauerstoffmangel, qualvoll verenden zu lassen… Für einen studierten Physiker, scheinen Sie aber mit den unabänderbaren Naturgesetzen auf Kriegsfuß zu stehen“, sprach er bewusst laut und deutlich, als Clayton auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes erschien, um seinen Gast zu empfangen. „Aller Achtung! Sie haben einen ausgezeichneten Riecher, werter Meisterverbrecher. Hoppla, sollte ich das vielleicht nicht so laut aussprechen?“, meinte er und grinste gerissen. „Sie wissen ganz genau, dass ich mich nicht von Ihnen provozieren lasse. Da wir beide wie ein offenes Buch füreinander sind, bietet dies doch die geeignete Grundlage, um ehrliche Worte miteinander zu wechseln, oder etwa nicht? Ich akzeptiere Ihre ganz privaten Gründe, wegen denen Sie den `Schmutz`, aus unserem Klassensystem der Tyrannei entfernen. Jedoch brauche ich eigentlich gar nicht zu erwähnen, dass Sie ein völlig gegensätzliches Ziel verfolgen. Wir beide machten es uns wesentlich einfacher, wenn ich dieses erfahren dürfte. Und falls ich mir dessen sicher sein kann, dass Sie Ihr Schweigen nicht brechen werden, gebe ich Ihnen mein Versprechen, dass wir uns gegenseitig nicht in die Quere kommen werden. Und so ganz nebenbei erlaube ich mir, Ihre brodelnde Apparatur auszuschalten. Denn wir wollen doch nicht, dass einer von uns mit geschädigter Lunge nach Hause geht. Ich bin sogar so umsichtig und zerstöre nichts, denn Sie müssen bestimmt viele Stunden daran gebastelt haben“, gab William sich verhandlungsbereit und schaltete mit keinerlei Schwierigkeiten den überhitzten Kessel ab und sofort hörte es in allen Rohren auf zu rauschen. Clayton blieb geduldig auf der Stelle stehen, ohne ihn davon abhalten zu wollen. „Da verlangen Sie aber recht viel auf einmal von mir. Ihr Ziel würde ich im Gegenzug dann genauso gern erfahren. Für mein Schweigen brauche ich keinen Lohn. Ich erfreue mich nicht an den Streitigkeiten anderer. Ein solch verwerfliches Verhalten missfällt mir. Mein Interesse gilt etwas ganz anderem… Wohlan, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Erachten Sie es als einen Handel unter Freunden der Wissenschaft. Veranstalten wir doch ganz einfach am kommenden Dienstag, einen kleinen Wettbewerb. Irene hat an diesem Tag einen Gesangsauftritt. Sie müssen wissen, das Publikum liebt ihre Stimme. Finden Sie ein weiteres Singtalent, dass im Anschluss auftreten kann. Wer den meisten Applaus erhält gewinnt. Sollten Sie gewinnen, gewähre ich Ihnen am darauffolgenden Tag ein Fechtduell, bei dem wir uns gegenseitig alle offenen Fragen beantworten. Wenn ich jedoch gewinne… Nun, dies können Sie sich bestimmt selbst ausmalen, was dann passiert. Und übrigens brauchen Sie gar nicht lange suchen, um ein geeignetes Singvöglein zu finden… Was sagen Sie? Klingt doch fair, oder?“, schlug Clayton mit einer Mischung aus kindischem Gehabe und tatsächlicher Vernunft vor. William dachte genaustens über seinen spontan wirkenden Vorschlag nach, der in Wahrheit geplant sein musste und kniff dabei seine feuerroten Augen leicht zusammen. „Jeder normale Bürger würde nun behaupten, dass Sie einen schändlichen Sinn besitzen, um sich die Langeweile zu vertreiben. Aber ich sehe Ihnen klar und deutlich an, dass Sie bitterernste Absichten verfolgen. Sie sind Opfer der Rechte und Pflichten des Adels geworden. Ihr wunder Punkt scheint mehr nach außen, als Sie denken. Wie dem auch sei, ich willige ein. Denken Sie nun nicht, dass Sie mir einen Schritt voraus seien. Zugegebenermaßen geben Sie für die breite Masse, einen souveränen Spieler und Akteur ab. Doch da ich längst Ihre gewieften Tricks durchschaut habe, mit denen Sie spielen, ist Ihre prahlende Überheblichkeit leider vom Tisch. Mehr habe ich nicht vor, Ihnen heute zu sagen. Nur eines noch. Verwickeln Sie Miceyla nicht, in irgendwelche persönlichen Angelegenheiten. Ich halte mich bewusst mit schärferen Drohungen zurück, da Sie bestens Bescheid wissen müssten, was Ihnen andernfalls droht. Derweil wünsche ich noch ein heiteres Schauspiel, Mr Muscari“, gab William ihm seine sofortige, dennoch wohldurchdachte Einwilligung. „So soll es sein. Dann lasse ich für heute Abend, erst einmal den Vorhang fallen. Halten Sie weiterhin Ihre scharfen Augen geöffnet. Der wahre Feind, lauert immer in den Schatten…“ „Du bist wirklich ein reizendes Mädchen. Doch ich muss zugeben, dass ich mir die Frau des Meisterverbrechers, etwas anders vorgestellt habe. Ich finde, du passt nicht richtig in das Bild eines Gesetzesbrechers. Es tut weh zu sehen, wie man dich maßlos ausnutzt. Naja, möglicherweise kannst du noch gerettet werden, wenn Sherlock deinen hochachtungswürdigen Gatten, hinter Schloss und Riegel befördert“, begann Irene vergnüglich und lief dabei einmal um Miceyla herum, um sie genaustens zu betrachten. „Dafür steht Ihnen umso mehr ins Gesicht geschrieben, dass Sie eine Verbrecherin sind. Mich interessiert was Sie dazu bewogen hat, mit Clayton gemeinsame Sache zu machen. Und wie Sie von der Identität des Meisterverbrechers erfahren haben. Die Bühne ist sicherlich nicht Ihre einzige Tätigkeit… Aber bevor ich mir irgendwelche, an den Haaren herbeigezogene Lügengeschichten über mich ergehen lassen muss, hake ich da erst gar nicht weiter nach. Und könnten mich vielleicht alle mal, mit ihrem aufgezwungenen Mitleide in Ruhe lassen! Ich bin an der Seite von William mehr als glücklich. In meinem bisherigen Leben, ging es mir wesentlich schlechter. Kapiert das endlich mal! Ich treffe meine eigenen Entscheidungen! Liebe ist außerdem stärker, als irgendwelche Intrigen. Es wird zu keinem ungeplanten Aufruhr, zwischen William und Sherlock kommen, solange ihr hinterlistigen Schauspieler nichts verratet. Sherlock hält zudem an unserer Freundschaft fest, komme was wolle. So gut kenne ich ihn bereits. Also brauchen Sie sich überhaupt nichts vorzumachen, dass er zu Ihnen halten würde!“, wagte Miceyla sich ohne Zurückhaltung, die vorlaute junge Frau anzublaffen. Sie wusste nicht weshalb, doch Irene brachte sie einfach zur Weißglut. „Liebe… Du bist ja tatsächlich noch ein richtiges Kind. Soso, du bist also mit Sherlock `befreundet`. Wird Zeit, dass dich mal jemand auf den Boden der vollendeten Tatsachen zurückholt. Denn momentan irrst du zwischen Traumwelt und einem ausgedachten Wunderland umher. Armes Mädchen…“, sprach Irene mit gespieltem Mitgefühl. Miceyla platzte allmählich der Geduldsfaden. „Es reicht langsam mit dem ganzen wirren Zeug, das Sie da faseln! Lassen Sie mich gefälligst zu Albert zurückgehen. Die Herzen der Menschen sind kein Spielzeug, mit dem man nach Belieben herumspringen kann. Sie mögen Ihrem Publikum etwas vorgaukeln können, bei mir haben sie dafür jedoch die falsche Person erwischt. Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Ich begebe mich wieder hinaus…“ Irene blickte für einen kurzen Augenblick verwundert drein. „Du klingst beinahe wie…“, flüsterte diese, da zückte sie ohne Vorwarnung ein Messer und verpasste Miceyla eine kleine Schnittwunde mitten auf die Wange. Es geschah so schnell, dass sie nicht einmal im ersten Moment einen Schmerz verspürte und einfach nur regungslos auf der Stelle verharrte. Allerdings dauerte es nicht lange, da machte sich ein intensives Pochen bemerkbar und sie fasste sich reflexartig mit ihrer Hand an die triefende Wunde. Anschließend sah sie von der blutverschmierten Handfläche, entsetzt zu Irene. „W-was sollte das? Ich habe Sie weder mit Taten, noch mit Worten verletzt, sondern nur meine Meinung zu Ihren provozierenden Äußerungen gesagt“, stammelte Miceyla und fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unbehaglicher, mit dieser unberechenbaren Frau alleine zu sein. Irene wollte gerade schonungslos kontern, da öffnete sich jene Tür, durch welche sie mit Albert hereingekommen war, ohne das eine Person zum Vorschein kam. Und auf unerklärliche Weise löste sich das Seil, an welchem das Skelett befestigt war von der Decke und es fiel direkt krachend zwischen sie und Irene. Miceyla zögerte nicht und nutzte das Ablenkungsmanöver, um schnurstracks durch die offenstehende Tür zu flüchten. Ohne zu überprüfen ob sie verfolgt wurde, rannte sie blindlinks den dunklen Gang entlang. Dabei bemerkte Miceyla nicht, dass sie an einer weiteren jungen Frau vorbeirannte, die sich nahe der Tür versteckt hielt… „Hach Amelia… Jetzt hast du unser lebhaftes Gespräch unterbrochen. Es fing doch gerade erst an interessant zu werden“, seufzte Irene und blickte dennoch lächelnd zur Tür, wo Amelia hereintrat. „Lass Miceyla bitte in Frieden. Du bist mal wieder zu weit gegangen. Sie ist ein warmherzigerer Mensch als wir. Ich…wollte mich vergewissern, ob sie tatsächlich wie Clayton gesagt hatte, einer Verbrecherbande angehört. Nicht das ihm misstrauen würde, er lügt mich nicht an, niemals… Aber…ich…“, Amelia konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Zu viele Emotionen überwältigten sie, wo sie nun endlich ihre Freundin aus ihrer kurzen, schweren gemeinsamen Kindheit wiedergefunden hatte. `Miceyla… Ich bin erleichtert, dass auch du herzensgute Menschen getroffen hast, die dich in ihren Schutz genommen haben. Nur hoffte ich, dass du wenigstens im Gegensatz zu mir, aus der Vergangenheit gelernt hättest. Du verkennst den Wert des Lebens… Verlorenes kehrt nicht mehr zu einem zurück…`, dachte sie verbittert und lehnte sich bedrückt gegen den Türrahmen. „Wenn dir doch so viel an diesem Mädchen liegt, warum zeigst du dich ihr dann nicht und sprichst direkt mit ihr?“, fragte Irene, um ihr bei der Problemlösung für ihre Sorgen behilflich zu sein und legte tröstend einen Arm um sie. „Ich…bin noch nicht bereit dazu… Kann gut sein, dass ich sogar ein wenig Angst habe. Denn schließlich weiß Miceyla nicht, dass ich noch unter den Lebenden weile…“ Keuchend drosselte Miceyla ihr Tempo, da sie hinter sich keine Schritte vernahm. In ihrem langen und schweren Kleid, hatte sie ohnehin keine Chance, länger rennen zu können. Ihr blieb beinahe das Herz vor Schreck stehen, als sie mit jemandem zusammenstieß. Doch schnell erkannte sie, dass es sich um Albert handelte und fiel erleichtert in seine Arme. „Dem Himmel sei Dank, du bist wohlauf! Verzeih mir, ich hätte für keinen Augenblick von deiner Seite weichen dürfen. Das ist mir nun eine Lehre. Und dann hat es auch noch ewig gedauert, wieder auf die andere Seite zu gelangen und…“ Er brach mit entsetzter Miene ab, da er ihre blutige Schnittwunde im Gesicht entdeckte. „Welcher Widerling hat es gewagt dich zu verletzen?! Sage es mir bitte und ich werde mich für dich rächen! Wer dir Leid zufügt, soll meinen Zorn zu spüren bekommen! Ist das schon wieder Clayton gewesen?“, sprach Albert wütend und streichelte dabei zärtlich über ihren Kopf. „Beruhige dich…Bruder. Wegen einer solch mickrigen Wunde, brauchst du nicht gleich einen riesen Aufstand zu machen. Nein, Clayton hat damit nichts zu tun. Er würde niemals eine Frau verletzen. Auch ich hatte zu Beginn ein falsches Bild von ihm. Das hat sich nun geändert… Was gerade eben geschehen ist, spielt jetzt erst mal keine bedeutende Rolle. Suchen wir schleunigst die anderen und verschwinden von hier. Das war genug düsteres Schauspiel für einen Tag. Mir geht es gut, glaube mir“, beschwichtigte Miceyla seinen in Rage geratenen Beschützerinstinkt. „Du hast recht… Ich kann mich nur einfach nicht zügeln, wenn du in Gefahr bist, meine liebe Eisblume. Ständig tapfer zu sein, wird dich früher oder später erschöpfen…“, sagte er sanft und blickte sie erneut mit hilfloser Wehmut an. „Natürlich, jeder von uns darf sich ab und an mal fürchten. Selbst der mutigste Soldat, lässt seine Waffe in einer aussichtslosen Lage fallen und weiß nicht mehr weiter. Doch wenn er sich der Angst stellt und erneut seine Waffe ergreift, beweist er wahren Mut. Keiner kämpft alleine“, meinte sie bestärkend und lächelte ihn an. Er sah kürz verblüfft darüber, wie sie es immer schaffte sich und andere zu motivieren, zu ihr hinab. „Deine Worte erwärmen mein Herz… Komm, William wartet auf dich.“ Liebevoll nahm Albert Miceyla bei der Hand und lief mit ihr abermals den verlassenen Gang in die Theaterhalle zurück. Es wunderte sie kein bisschen, dass sich die anderen dort bereits versammelt hatten. William lief mit einer Spur von Schuldgefühlen, auf Miceyla zu. Sie zögerte nicht länger und eilte ihm entgegen. „Vergib mir, mein Liebling… Auch wenn es keine Entschuldigung dafür gibt, dass man dich verletzt hat. Doch du weißt ja, wir teilen uns jeden Schmerz. Beim nächsten Mal bin ich wieder an deiner Seite“, sprach er einfühlsam und packte zärtlich ihre Hände. Für einen kurzen Moment, meinte sie in seinen Augen eine Besorgnis zu sehen, die leicht mit Angst zu verwechseln war. Und das in unerschütterlichen Augen, welche selbst niemals Furcht zeigten, sondern eher anderen das Fürchten lehrten. „Du liebe Zeit! Da hat aber jemand mit einem gefährlich geschärften Messer herumgefuchtelt! Gott sei Dank ist die Wunde nicht sehr tief. Aber lass mich sie vorsichtshalber mal genauer betrachten…“, rief John überführsorglich und ging sofort seinem Arztinstinkt nach. Miceyla ließ ihn geduldig die Wunde überprüfen, die er mit einem Taschentuch vorsichtig abtupfte. Währenddessen fiel ihr Blick auf Sherlock, der sich wieder ins Abseits verkrümelt hatte. Und ein wenig erschrocken bemerkte sie ohne Umschweife, wie er kurz wutentbrannt, auf den blutenden Kratzer in ihrem Gesicht starrte und danach zähneknirschend zu Boden sah. `Weiß er etwa, wer mich verletzt hat…?` Grübelnd versuchte sie mit ihm Blickkontakt aufzunehmen, doch er vermied es erneut sie direkt anzusehen. „Gut, fürs erste ist die Wunde gesäubert und wird sich rasch schließen. Glücklicherweise ist sie nicht tief und ich kann dich beruhigen, dass keine Narbe zurückbleibt“, versicherte John ihr und schien selbst erleichtert darüber zu sein, denn er lächelte so heiter wie er nur konnte. „Vielen Dank, John. Es ist wahrlich ein Segen, einen solch gütigen und verlässlichen Arzt um sich zu haben“, bedankte Miceyla sich aufrichtig. „Lasst uns aufbrechen. Die Pforten sind wieder geöffnet worden. Es besteht kein Grund, hier noch länger zu verweilen“, verkündigte Louis sichtlich ungeduldig. Seine Brüder stimmten ihm nickend zu. „Noch eine angenehme Nacht, Mr Holmes und Doktor Watson“, verabschiedete William sich knapp mit höflicher Stimme, während er ihre Hand nahm, um zu Albert und Louis, die gerade das Eingangstor passierten, aufzuschließen. Als Miceyla an Sherlock vorbeilief, warf sie ihm noch einen allerletzten stillen Blick zu und riss dabei die Augen perplex weit auf. Er sah sie mit vollkommener Entspanntheit an und hatte dabei das friedlichste Lächeln auf den Lippen, dass sie je bei ihm gesehen hatte. `Was hat denn so plötzlich, deine resignierte Stimmung vergessen lassen…?`, fragte sie sich und dachte, dass dies garantiert keine gewöhnliche Stimmungsschwankung sei. Genau wie sie selbst, brachte auch Sherlock seine Emotionen auf ehrliche Weise zum Ausdruck. Man musste nur das sensible Fingerspitzengefühl besitzen, um sie richtig zu deuten. Miceyla zeigte ihm ihre Freude darüber, indem sie sein herzliches Lächeln erwiderte. Mit neuer Entschlossenheit verließ sie mit den Brüdern das Theater und bevor sie in die Kutsche stieg, blickte sie noch mal auf die äußere Fassade, des in die hereinbrechende Nacht gehüllten Regenbogenschwingen-Palastes. `Der heutige Abend mag glimpflich ausgeklungen sein. Doch ich höre bereits das unheilverheißende Getöse der Kriegsfanfahnen…` Mit diesem Gedanken, fuhr sie in der Kutsche zusammen mit den Brüdern, zum Moriarty-Anwesen zurück. Dort angekommen, trafen sie mit Moran und Fred zusammen und entschieden sich für eine kurze Besprechungsrunde, um die Ereignisse und Informationen des Tages auszuwerten. „Und was heißt das jetzt im Klartext? Ich bin der Meinung, dass wir bei Fairburn kein Auge zudrücken können. Der pfuscht uns doch nur wieder dazwischen. Machen wir kurzen Prozess und fertig! Ich sehe keinen Zweck darin, dem Kerl weiterhin freien Spielraum zu lassen“, brüllte Moran mit geballten Fäusten, nach einer groben Zusammenfassung des Theaterbesuchs. „Zügle etwas deine Brutalität. Die Entscheidung, wie wir mit diesem Mann verfahren, liegt nicht bei dir allein. Erst gut zuhören, dann handeln“, wies Fred ihn sogleich vernünftig zurecht. „Fragen wir doch einmal Miceyla, bevor ich mich weiter zu ihm äußere. Du hattest ebenfalls die Gelegenheit, kurz unter vier Augen mit Clayton zu sprechen. Wie ist nun dein Eindruck über ihn?“, fragte William, seine Abmachung ihm gegenüber, verschwieg er vorerst. „Also… Es ist schwer dies in Worten auszudrücken… Ich versuche dennoch, seine Persönlichkeit näher zu beschreiben. Ein äußerst kluger Mensch ist er, der sich nicht viel aus den Meinungen anderer macht. Recht zukunftsorientiert denkt er und findet die gesellschaftlichen Ungleichheiten, ebenso abstoßend wie wir. Negative Gefühle treiben ihn an. Ich vermute, dass ihm besonders racheähnliche Gelüste keine Ruhe lassen. Seine gespielte positive Ausstrahlung, versucht er auf sein Publikum zu übertragen. Außerdem wirkt er trotz seiner offenen Art sehr distanziert, wenn es darum geht engere Kontakte zu knüpfen. Das fiel mir auf, als er sich mit ein paar Frauen unterhielt. Er sträubt sich gegen jegliche romantischen Gefühle und scheint allerdings ein waschechter Feminist zu sein, da er Frauen einen höheren Stellenwert zuschreibt, als sie ihn erhalten. Kurzum, von Claytons Handlungen kann keiner behaupten, dass sie ebenso gut oder böse, wie die unseren seien. Ein wenig schade finde ich es schon, dass wir keine Zusammenarbeit mit ihm einfädeln können. Sein Wissen wäre eine gewinnbringende Bereicherung für uns.“, beschrieb Miceyla detailgetreu seine verborgenen Charakterzüge. „Ein Feminist sagst du… Dafür hat er dich in Lambeth aber ziemlich grob angepackt…“, äußerte Albert sich am Rande. „Danke für deine ausführliche Beschreibung. Ich bin mit dir ganz einer Meinung. Nur würde Clayton niemals mit uns kooperieren. Für ihn ist es unabänderlich, dass er der alleinige Bestimmer seiner Pläne ist. In dieser Hinsicht könnte er es unter keinen Umständen über sich bringen, Abstriche zu machen. Jedenfalls wird sein schauspielerisches Talent, die Herzen der Menschen zu bewegen, uns noch von Nutzen sein. Wie wir allerdings letztendlich mit ihm verfahren und ob er zum Makel unserer Pläne wird, hängt von seinem wahren Vorhaben ab. In der nächsten Woche, werde ich mein Urteil darüber fällen“, entschied William und lächelte verschwiegen. „Nächste Woche…? Und hast du denn gar keine Bedenken, dass Clayton oder diese Irene, etwas vor Sherlock ausplaudern könnten? Ich sehe da eine ganz deutliche Gefahr. Launisch sind sie schließlich allesamt“, meldete Louis sich besorgt zu Wort. „Keine Bange, Bruder. Was hätte Clayton schon momentan davon, mit Sherlock aus dem Nähkästchen zu plaudern. Fairburn liebt die große Bühne und setzt seine Hiebe gezielt dorthin, wo es am meisten schmerzt. Und Holmes setzt sich eigenständig mit der Materie, seiner ungelösten Fälle auseinander, ohne dabei auf Beihilfe zu hoffen. Eine eiserne Entschlossenheit, besitzen jedoch alle beide. Wir behalten die Lage ununterbrochen im Blick und können jederzeit die Gefahr eindämmen, falls sie auszubrechen droht. Das Band unserer Gemeinschaft, kann von niemandem zerstört werden. Hiermit löse ich nun die Runde auf. Es wird Zeit, dass wir uns etwas ausruhen, schließlich war es ein langer, nervenstrapazierender Abend“, beschloss William, als er all die müden Gesichter vor sich sah. „Ich vertraue deinem Instinkt. Trotzdem fände ich es erstrebenswert, ein scharfes Auge darauf zu haben, dass die zwei Egomanen, uns nicht in einer ausweglosen Zwickmühle einkesseln“, sagte Moran erinnernd zum Abschluss und lief mit einer Flasche Cognac in der Hand, hinauf in sein Zimmer. „Will, ich gehe auch schon mal ins Schlafzimmer. Ich gestehe, dass mich der Tag sehr erschöpft hat“, verriet Miceyla ihren ausgelaugten Gemütszustand und tat sich schwer damit, die Augen noch länger offen zu halten. „Selbstverständlich, meine Liebe. Gehe dich bitte ausruhen. Aber ehe ich es vergesse, hätte ich noch einen Apell an dich. Halte dich vorerst von Clayton distanziert, solange ich keine weiteren Anweisungen gebe. Es dient zu deiner eigenen Sicherheit“, antwortete William und lächelte verständnisvoll. „Gewiss, Vorsicht ist besser als Nachsicht. Ich werde deiner Bitte Folge leisten“, erwiderte Miceyla sogleich. „Nicht doch, dies ist zur Ausnahme mal ein Befehl. Verzeih, wenn das etwas gestochen klingt, doch steht zu viel auf dem Spiel Du hast nicht immer Schutz um dich herum…“, korrigierte er sie leicht beharrlich. „Natürlich… Ich kann dich voll und ganz verstehen“, meinte sie daraufhin nickend. „Schlafe gut und habe süße Träume“, wünschte Albert ihr noch, in einem unvergleichbar sanften Ton. Mühsam schleppte Miceyla sich in ihrem unpraktischen Kleid, welches ihr mittlerweile mehr als nur unbequem vorkam, die Treppenstufen empor. Heilfroh war sie, sich nun endlich auskleiden zu dürfen. Als sie ihr knöchellanges Nachthemd anhatte, öffnete sie die oberste Schublade ihres Schreibtischs und überlegte, ob sie ihren Tagebucheintrag auf den nächsten Tag verschieben sollte. Doch entschied Miceyla sich rasch dagegen. `Nein, die heutigen Ereignisse müssen sofort verschriftlicht werden, ehe neue dazukommen.` Gerade wollte sie ihr Tagebuch herausnehmen, da fiel ihr ein hübscher Briefumschlag auf, der darunter lag. `Der Brief ist von Albert…` Lächelnd legte sie sich auf das Bett und öffnete sorgfältig den Umschlag. An den Rändern des darin befindlichen Papieres, waren wunderschöne Dahlien in Korallfarben abgebildet. Ihr Herz klopfte freudig, als sie begann seine schöne Schrift zu lesen. Liebe Miceyla, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich mich über deinen ersten Brief gefreut habe. Es beschäftigt mich, aus was für einer Perspektive, du unsere Einstellungen und die daraus resultierenden Fortschritte, der Eingriffe in das Klassensystem siehst. Ich bin dankbar, dass du offen deine Sorgen ansprichst. Du musst wissen, dass wir mit möglichen Fehlschlägen rechnen und das nicht alles immer perfekt verlaufen wird. Daher benötigt William unsere vollste Unterstützung, um Rückschläge wieder auszugleichen. Er ist genauso ein Mensch wie wir es alle sind, mag seine Intelligenz auch noch so überragend sein. Verwundbar ist er dennoch. Daher braucht er deine liebevolle Güte. Mehr als ich es tue… Wir können nur spekulieren, was noch alles auf uns zukommen wird. Unsere Zuversicht kann uns jedoch keiner nehmen. Meine liebe Eisblume, ich bitte dich von ganzem Herzen, deinen sturen Willen zu behalten, egal wie hart dir eine Situation vorkommt. Zwar ist jeder für sein eigenes Glück verantwortlich, aber mit Zusammenhalt kommen wir am weitesten. Nur ein einzelner Mensch braucht den richtigen Weg einzuschlagen, mögen die anderen dem auch keine Zustimmung schenken. Aber nach und nach folgen sie ihm und zeigen Einsicht. Ohne Zwänge über sein Leben frei entscheiden zu können, sollte für jedermann selbstverständlich werden. Drum lache stets, verliere niemals dein zauberhaftes Lächeln. Du wirst sehen, eines Tages lacht die ganze Welt mit dir und dein Lächeln wird sich in den Herzen der Menschen einprägen. Du bist stark, eine wahre Kämpferin. Ich bin unendlich stolz, dass du Teil unserer Familie geworden bist. Das Leben gleicht oftmals einem Kampf, doch kann es dennoch wunderschön sein, wenn wir nur all die positiven Güter dieser Welt nicht vergessen und dankbar bleiben. Ich hoffe meine Worte geben dir Kraft, denn auf diesem Wege, können wir beide uns zu jeder Zeit nah sein. Dein Albert Miceyla drückte den Brief an sich und schloss lächelnd die Augen. Der nächste Tag begann mit einer viel größeren Heiterkeit, als sie erwartet hatte. Nach dem Frühstück lief sie auf den Balkon, um etwas frische Luft zu schnappen. Es war ein milder Apriltag und sie genoss den Anblick auf die himmlischen Kirschblüten, welche vor dem Anwesen in voller Blüte standen. Miceyla war glücklich und dankbar darüber, gerade dort an jener Stelle stehen zu dürfen. Auch wenn die Erinnerung an die bittersüße Vergänglichkeit, ihr immer wieder zuflüsterte. „Du kamst als ich dich rief, während ich ziellos durchs Leben lief. Meinem Dasein gabst du einen Sinn, nun gehe ich befreit zu dir hin. Mein Schmerz brannte wie Feuer, die Hoffnung war mir noch nie geheuer. Ich folge dir auf deinem Wege, mächtige Gefühle ich für dich hege. Unsere Träume erzählen eine Geschichte, auf das die Liebe eine strahlende Zukunft für uns herrichte…“ Es packte Miceyla plötzlich der Drang zu singen und so sang sie. Alsbald fühlte sich ihr Herz losgelöst an und wurde von jeglichen Sorgen befreit. `Ich vergaß wie schön es ist zu singen. Sollte ich vielleicht öfters die Gelegenheit dazu ergreifen…? Vor allem wenn mir keiner zuhört und mich die Einsamkeit packt`, dachte sie schwermütig und glaubte gerade alleine zu sein. Doch als sie sich an dem Geländer des Balkons umdrehte, erstarre sie, da sich einige Zuschauer vor der Tür versammelt hatten. William, Albert, Louis, Moran und Fred, sie standen einfach allesamt da und hatten schweigend gelauscht. Die ganze Situation war für Miceyla furchtbar unangenehm und sie trippelte peinlich berührt auf der Stelle. „W-was belauscht ihr mich denn hier alle, mit solch einer unschuldigen Miene? Wie lange steht ihr schon da?“, stotterte sie nervös. „Lange genug um zu wissen, dass in diesem Haus eine Elfe mit einer Engelsstimme lebt“, sprach Albert mit schwärmerischem Blick. „Du singst wunderschön… Es ist eine Wohltat dir zuzuhören“, meinte Louis mit einem entspannten Gesichtsausdruck. `Ich muss wohl träumen… Ein Kompliment von Louis!` Miceyla konnte kaum glauben, was ihre bloße Stimme gerade vollbracht hatte. „Singe bitte öfters. Ich fände es schade, wenn keiner etwas von deinem versteckten Talent mitbekäme“, ermutigte Fred sie lächelnd. „Tja Wirbelwind. Wir haben Sonntag und sind ausnahmsweise mal alle hier. Also ist es recht absehbar, dass wir eine kleine Showeinlage von dir mitkriegen“, sprach Moran frech. „Ha, ha, Meister. Das klingt ja fast so, als hättet ihr nur darauf gewartet, mich singen zu hören. Denn ein wenig verdächtig, finde ich eure plötzliche Massenversammlung schon“, erwiderte Miceyla und lachte verlegen. William der bislang geschwiegen hatte, trat zu ihr auf den Balkon und zog sie mit einem Arm zärtlich an sich. „Mein Liebling, was hältst du davon nächste Woche Dienstag, vor einem großen Publikum zu singen? Du erhältst deinen eigenen Auftritt im Regenbogenschwingen-Palast. Ganz London wird mit Begeisterung, von deiner zauberhaften Stimme sprechen. Dies wird auch deinem Bekanntheitsgrad als Schriftstellerin zugutekommen“, schlug er mit geübter Überzeugungskraft vor. „W-wie kommst du denn auf einmal darauf? Das wäre bereits übermorgen! Und dann auch noch ohne vorher viel geübt zu haben, vor einer solch gewaltigen Menschenmenge singen… Will, du überschätzt mich… Garantiert hast du das mit Clayton ausgemacht. Was ist nun der wahre Grund, weshalb ich dort im Theater auftreten soll?“, fragte sie völlig perplex. „Da stecken zwei Gründe dahinter. Zum einen wird es ein kleiner Wettbewerb, bei dem du Irene Adler übertreffen musst, damit es zu einer ausführlicheren Unterredung, zwischen mir und Clayton kommt. Zum anderen ist deine Chance auf einen eigenen Auftritt, eine Wiedergutmachung, weil er in Lambeth so korrupt mit dir umgesprungen ist. Das brauchte er gar nicht auszusprechen, ich weiß es einfach. Außerdem muss ich dich dazu nicht groß überreden, da für dich ein geheimer Wunsch in Erfüllung geht. Habe ich recht?“, sprach William liebevoll und legte etwas den Kopf schräg. Miceyla lächelte verlegen und musste sich eingestehen, dass sie nichts dagegen einzusetzen hatte. Eine solche Chance ihr Gesangstalent unter Beweis zu stellen, bekam sie nicht alle Tage. „Ich habe ja praktisch keine Wahl, wenn du dadurch über den weiteren Werdegang entscheiden kannst. Für dich wäre ich bereit, ausnahmslos jedes Risiko einzugehen, da ich weiß wie wertvoll diese Opfer sind. Nun… Ganz allein auf einer riesigen Bühne zu stehen und dabei von hunderten Menschen angestarrt zu werden, ist dennoch eine nicht zu verkennende Herausforderung…“ Ihr Blick fiel nachdenklich auf Albert und sogleich sahen seine tiefgrünen Augen sie beruhigend an. Gemächlich lief Miceyla zu ihm hinüber. „Das ist zwar alles etwas kurzfristig… Aber wenn es wirklich zu einem angekündigten Auftritt von mir kommt, möchte ich die Sache ernst nehmen und alles richtig machen. Und nichts wäre mir dabei eine größere Hilfe, als wenn du mich auf dem Klavier begleiten würdest. Mir gäbe es Mut zu wissen, dass sich jemand den ich gut kenne, in unmittelbarer Nähe befindet. Solltest du die Güte besitzen, mir für die kurze Zeit auf der Bühne beizuwohnen, müsste ich mich den durchlöchernden Blicken des Publikums, nicht vollkommen alleine stellen. Clayton hat bestimmt nichts dagegen“, bat Miceyla ihn um einen Gefallen, den sicherlich niemand so elegant mit Bravour bewältigen könnte wie er. Albert legte sanft seine linke Hand auf ihre Schulter und fasste sich mit seiner rechten Hand an sein Herz. „Meine liebe Eisblume, es wäre wie ein wahr gewordener Traum, mit dir zusammen aufzutreten. Du darfst ein Stück wählen, welches deine Stimmer perfekt untermalen wird. Wir werden…nein `du` wirst den Zuschauern ihren Atem rauben. Zaubere mithilfe deiner harmonischen Stimme, Glück in die trüben Herzen der Menschen. Die Bühne wird zu deinem eigenen Schlachtfeld und deine Stimme zu einer unbezwingbaren Waffe, die von Gerechtigkeit und dem Elend dieser Welt erzählt. Nirgendwo anders kann man sich so effektiv Gehör verschaffen, als in einem gut besuchten Theater. Zwei Tage reichen uns zum proben aus. Denn schließlich beherrschen wir unsere Leidenschaften fehlerfrei im Schlaf“, kam er ihrer Bitte liebevoll, mit überschwänglicher Bereitschaft entgegen. „Albert, keine Worte dieser Welt, können meine Dankbarkeit dir gegenüber ausdrücken. Ich werde singen und kämpfen. Es sei euch gesagt, dass ich das Schlachtfeld ohne Furcht betrete und mich mit erhobenem Haupt, den kritischen Meinungen der egoistisch eingestellten Gesellschaft stelle. Und ihr habt mein Wort, dass ich siegreich aus dem Kampf hervorgehen werde, zum Wohle unserer zusammengeschweißten Gemeinschaft“, verkündete Miceyla verantwortungsbewusst ihren Freunden und war dabei stolz auf sich selbst, den Mut zu besitzen, sich unbekannten Herausforderungen zu stellen. Sie spürte, wie sie innerlich von dynamischer Stärke und neugewonnenem Selbstvertrauen strotzte. Am Tag vor ihrem großen Auftritt, nutzte sie die verbliebene freie Zeit zwischen ihren Proben mit Albert, um mit der Kutsche in die Innenstadt zu fahren. Da ihr zweitägiger Aufenthalt mit William in Durham ausfiel. Dabei dachte Miceyla hin und hergerissen darüber nach, ob sie nun Sherlock einen Besuch abstatten sollte oder nicht. Während sie unschlüssig darüber durch die Straßen lief, entdeckte sie auf einmal Irene, die gerade ein Geschäft verließ. Sofort war Miceyla in Alarmbereitschaft und versteckte sich hinter einer Hauswand. Von dort aus beobachtete sie, wie Irene in ihrem vornehmen, dunkelblauen Kleid zielstrebig in eine schmale Gasse einbog. Ihre Neugierde und ihr Instinkt trieben sie dazu, der zwielichtigen Frau zu folgen. Miceyla gelang es unentdeckt zu bleiben, während sie Irene verfolgte, welche morgen im Theater ihre Konkurrentin sein würde. `Sie ist keine gewöhnliche Frau. Wenn ich mehr über sie herausfinden könnte, käme das auch William zugute.` Allmählich stellte Miceyla bei ihrer Verfolgung fest, dass sie sich langsam der Baker Street näherten. `Sie will doch nicht etwa?!` Jegliche Zweifel wurden eingeräumt, als Irene das Haus von Sherlock und John betrat. Emily ließ sie ohne längere Diskussionen hinein. `Was mache ich denn jetzt? Ich muss erfahren, was sie bei ihnen zu schaffen hat. Aber befördere ich mich nicht in eine kritische Lage, wenn ich da nun auch noch hineinspaziere? Andererseits kann es nicht viel schlimmer als am Samstag enden. Nur darf ich nicht vergessen, dass diese Frau mich alles andere als gut leiden kann und ich habe ebenfalls schon nettere Zeitgenossen kennengerlernt…`, dachte sie angestrengt nach. Dennoch lief Miceyla gefasst auf die Haustür zu, bevor sie noch länger zögerte. `Ich lasse mir von nichts und niemand, den Besuch bei meinen Freunden verderben!` Sie atmete tief durch und zog entschlossen an der Türklingel. Einige Minuten musste sie dort vor der Tür ausharren, ehe Emily ihr mit dezent gereizter Miene öffnete. „Hier hat man aber auch wirklich keine Ruhe! Nicht mehr lange und ich drehe durch!... Oh! Miceyla! Entschuldige mein ruppiges Verhalten. Doch eine gewisse aufdringliche Dame, besitzt mal wieder die dreisten Nerven, es sich hier bequem zu machen und Unruhe zu stiften. Ich nehme an du weißt, von welcher aufschneiderischen Frau ich spreche. Komm nur herein, falls du dir dieses Tohuwabohu antun möchtest“, sprach sie misslaunig und bemühte sich trotzdem um einen freundlichen Ton. „Ha, ha… Ruhig Blut Emily. Ich habe Irene zufällig in der Stadt gesehen und folgte ihr hierher. Und dann ist sie mir tatsächlich zuvorgekommen, euch einen Besuch abzustatten. Leider weiß ich nicht viel über ihre wahre Natur, doch ich bin drauf und dran dies zu ändern. Vor allem werde ich nicht zulassen, dass sie Sherlock auf der Nase herumtanzt. Übrigens freue ich mich sehr, nach einigen turbulenten Ereignissen wieder hier zu sein. Frei Zeit ist nämlich in meinem stramm strukturierten Tagesablauf, wie immer nur spärlich zu finden“, meinte Miceyla lächelnd und merkte mittlerweile, dass die Nervosität, sobald sie an ihren morgigen Gesangsauftritt dachte, sie hibbelig werden ließ. „Lass dich nicht unter Druck setzen. Du weißt, dass wir immer auf deiner Seite sind“, versuchte Emily sie etwas aufzumuntern. Miceyla zog ihren Hut, mit lila Federn darauf aus und legte ihre cremefarbenen Handschuhe ab. Dann stieg sie zügig die Treppenstufen empor. Sie hörte bereits die helle Stimme von Irene, die sich wie Gift in ihren Ohren anfühlte. „So trifft man sich wieder, Irene Adler. Und ich grüße euch, Sherlock und John“, sagte sie tapfer und platzte mitten ins Wohnzimmer. „Ha, ha, es wird langsam voll hier. Hallo Miceyla, gesell dich zu uns“, begrüßte John sie teils belustigt, teils beunruhigt. „Oha… Na das kann ja jetzt heiter werden. Ein Zufall jagt den nächsten. Ich grüße dich, Mia“, sprach Sherlock mit einem erzwungenen Lächeln. Und anhand seines leicht genervten Gesichtsausdrucks konnte sie ablesen, wie unwohl er sich bei so viel weiblichen Besuch fühlte. „Nein, welch eine Überraschung! Mrs Moriarty, wir beide müssen wahrlich telepathische Fähigkeiten besitzen, da wir zur selben Zeit den gleichen Ort besuchen. Oder suchen Sie bloß detektivischen Rat, um Informationen weiter zu geben?“, sagte Irene mit gekünstelter Freude bei ihrem Hereinplatzen und erhob sich übertrieben euphorisch von ihrem Sitzplatz. `Dein schauspielerisches Gehabe zieht bei mir nicht. Behalte deine manipulierenden Griffel lieber bei dir, sonst verbrennst du dir noch an meinem eisernen Willen, deine hübschen Hände`, dachte Miceyla zähneknirschend und versuchte sich dennoch weiterhin höflich ihr gegenüber zu verhalten. Kindisches Gezanke unter Gleichaltrigen, wäre ein anmaßendes Verhalten für eine gebildete Lady. Plötzlich räusperte sich Emily, die mit einer Teekanne und Tassen auf einem silbernen Tablett, vor der Wohnzimmertür stand. „Mögen die Damen vielleicht Tee?“, erkundigte sie sich aufmerksam. „Aber gewiss, meine werte Mrs Hudson. Ihr selbstgebrauter Tee mundet mir so vorzüglich, wie kein anderer in London.“, bejahte Irene sofort strahlend Emilys Angebot. Ohne jegliche Begeisterung für ihre lobenden Worte, stellte sie schweigend die Tassen auf dem Tisch ab und schenkte den dampfenden Tee ein. Anschließend lief sie zu Miceyla, die noch immer abseits der Tischgruppe stand und sich bislang nicht dazu gesellt hatte. „Ich kann diese Frau einfach nicht ausstehen. Für wen hält die sich eigentlich, dass sie glaubt sich auf solch unmanierliche Weise, bei Sherlock einzuschleimen zu können?“, flüsterte Emily ihr beleidigt ins Ohr. „Auch ich kann sie nicht leiden. Jedoch sind es gerade jene Menschen wie sie, welche mit ihrem schamlosen Durchsetzungsvermögen am weitesten kommen“, antwortete Miceyla ihr leise. „Nana. Lästern gehört sich nicht. Wir trinken alle denselben Tee und teilen den gleichen Ärger mit den Männern. Drum lasst uns Freundinnen sein! Nichts geht über ein idyllisches Teekränzchen, oder Sherly?“, meinte Irene lächelnd, an einen empathisch wirkenden Sherlock gerichtet. Dieser vergrub für einen kurzen Moment den Kopf in seinen Händen. Dann blickte er wieder mit grimmiger Miene in die Runde. „Raus! Allesamt raus, sofort! Bei diesem ganzen Frauenauflauf, kann ja keiner einen klaren Gedanken fassen! John, ich wäre dir sehr verbunden, wenn auch du kurz den Raum verlassen würdest“, befahl er diskret, um weiteren Chaos aus dem Weg zu gehen. Ohne Protest verließen John und Irene ihre Plätze. Auch Miceyla wollte etwas gekränkt hinauslaufen, doch wurde sie noch ehe sie die Tür erreichte zurückgehalten. „Warte Miceyla, du darfst bleiben“, sprach er wieder ruhiger. Überrascht drehte sie sich zu ihm herum. „Ach herrje. Sherlock sieht in dir noch nicht einmal eine richtige Frau“, rief Irene ihr noch kichernd zu, ehe sie endlich das Zimmer verlassen hatte. Miceyla warf ihr einen wütenden Blick zu und fühlte sich noch erniedrigter als zuvor. „Hach… Ruhe…“, seufzte Sherlock und schloss erleichtert die Tür. „Was machst du denn für ein bekümmertes Gesicht? Lass dich von Irenes Aufmüpfigkeit doch nicht niedermachen. Du bist viel stärker. Sage dir einfach immer: `Hochmut kommt vor dem Fall`. Na hopp, lass uns in mein Zimmer gehen“. Mit zartem Lächeln folgte sie ihm und erkannte erstaunt seine Rumpelkammer kaum wieder. „Nanu? Du hast aufgeräumt?! Ich sehe zum ersten Mal richtig den Boden! Und atmen kann ich auch! Du machst Fortschritte, ich bin stolz auf dich“, sagte sie mit amüsierter Begeisterung und klopfte ihm lobend auf den Rücken. „Jetzt übertreib mal nicht. So grauenvoll hat es hier vorher gar nicht ausgesehen. Ich wollte meinen Experimentiertisch etwas erweitern und ich nutzte die Gelegenheit, für einen verspäteten Frühjahrsputz. Ich habe einige Versuche geplant, bei denen du mir assistieren kannst“, erzählte er ihr aufgeregt und grinste über das gesamte Gesicht. Miceyla teilte seine Freude, jedoch verdüsterte sich ihre Stimmung kurz darauf wieder. „Darauf freue ich mich schon. Aber… Du wusstest also, dass Irene zu Besuch kommt und hast alles extra auf Hochglanz gebracht…“ „Wie bitte?! Du glaubst doch wohl selber nicht, dass ich für diese Furie auch nur einen Finger krumm mache!“, erwiderte Sherlock entrüstet. „Ha, ha, ist ja schon gut. Doch woher und wie lange kennt ihr euch eigentlich? Du wirkst ein wenig zurückhaltender, wenn sie zugegen ist. Bewunderst du Irene etwa? Es gibt nicht viele Frauen, die es wagen ihren gerissenen Verstand, bei den dominanten Männern einzusetzen, wie sie es tut…“, murmelte sie leise. „Oh Mann. Ich bewundere Irene nicht. Komm, setzen wir uns erst mal.“ Sherlock ließ sich auf seinem Sofa nieder und bedeutete ihr mit einer winkenden Handbewegung, es ihm nachzutun. Miceyla nahm neben ihm Platz und war gespannt, was er ihr zu erzählen hatte. „Irene traf ich das erste Mal im Spätsommer des letzten Jahres. Aufgrund ihrer schauspielerischen Gabe, durchschaut sie die Tricks von anderen in Nullkommanichts. Es war auch dasselbe Jahr, in dem der Meisterverbrecher auffällig aktiv wurde und ich Nachforschungen über Clayton Fairburn anstellte. Zu ihm verrate ich dir mal ein paar Fakten, die dich bestimmt ebenfalls interessieren. Er wurde 1856 nahe Pembroke in Südwales geboren und war ein Einzelkind einer bescheidenen Adelsfamilie. Um die existenziellen Sorgen zu begleichen, stellte die Familie Fairburn ihre Dienste viele Generationen, in die einflussreiche Grafenfamilie Granville. Mir scheint das Clayton einen guten Draht zu seinen Eltern gehabt haben muss. Denn er trat in die Fußstapfen seines Vaters und studierte Physik an der Oxford Universität. Jener verstarb vor sieben Jahren. Seine Todesursache geht leider aus keinen meiner Aufzeichnungen hervor. Seine Mutter ist zwar noch am Leben, doch erblindete sie und verfiel dem Wahnsinn. Ein zusammenhängender Punkt mit dem Schicksal der Eltern, ist möglicherweise das beinahe zeitgleiche Ableben, der jüngsten Tochter von den Granvilles, Lydia. Ich versuche so gut es geht, die Vergangenheit von Clayton zu durchleuchten. Denn der bisherige Lebensweg, ist das Spiegelbild eines jeden Menschen. Es formt die eigenen Ideale, aus denen die vermeidlich unbegreiflichen Beweggründe entspringen. Wie du siehst ist es ganz simpel, da immer nur eine Wahrheit existiert, die es herauszufiltern gilt. Sobald ich den Namen des Meisterverbrechers kenne, werde ich dasselbe mit ihm tun. Aber eventuell benötige ich diesen noch nicht einmal dafür… Nun aber zurück zu Clayton. Nach seinem Studium zog er nach London und errichtete hier ein Waisenhaus, in dem ausschließlich Mädchen aufgenommen werden. Um seine finanziellen Mittel aufzustocken, eröffnete er zusätzlich sein eigenes Theater, bei dem er Arbeit und Leidenschaft unter einen Hut bringen konnte. Dies war ihm alles nur möglich, da er dank seiner sympathischen Redegewandtheit, unterstützende Hilfskräfte, in allen Schichten der Gesellschaft für sich gewann. Auch Irene ging ihm Tatkräftig zur Hand. Wirklich wählerisch war Clayton diesbezüglich nie. Er ist ein Mann, in dessen Herz es sehr düster aussieht und dennoch versucht er der Welt eine positive Farbpracht zu verleihen und begegnet jedem Mädchen mit aufrichtiger Würde. Sein Ziel könnte ganz simpel Rache sein. Denn sonst nähme er nicht in Kauf, sich die Hände schmutzig zu machen. Clayton verabscheut eigentlich was er da tut und weiß nur all zu gut um die Schuld Bescheid, welche er auf sich lädt. Aktuell kann ich nur sagen, dass ich ihn vorerst noch weiter beobachten werde, ehe ich meinen Zug mache. Die Kaltblütigkeit des Meisterverbrechers, erscheint mir dagegen doch wesentlich barbarischer. Radikal die Befehlsgewalt des Adels ausmerzen zu wollen, führt auf Dauer zu keiner ausbaufähigen Grundlage, um der Arbeiterklasse mehr Rechte zu gewähren. Wie dem auch sei, gut Ding will Weile haben. Der Weise zieht seine Kraft aus der Geduld. Obwohl ich manchmal selbst etwas über die Stränge schlage. Doch bei meinen jetzigen Kontrahenten, muss ich jeden meiner Schritte penibel genau überdenken. Denn mindestens einer wird am Ende den Kürzeren ziehen, so viel steht fest. Tut mir leid Mia, dass du dir mal wieder eine Moralpredigt von mir, über dich ergehen lassen musstest. Aber du bist eine unschlagbar gute Zuhörerin, die mir nicht ins Wort fällt und meinen Gedankengängen folgen kann“, schilderte Sherlock entspannt seine bisherigen Recherchen. Miceyla hörte sofort heraus, wie sehr er sich für Clayton interessierte und das nicht nur im negativen Sinne. `Na jetzt weiß ich auch, was Clayton das Geld aus den Taschen zieht. Wenn er für die Unkosten eines ganzen Waisenhauses aufkommen muss, ist es kein Wunder das er dauerpleite ist`, dachte Miceyla bewundernd für dessen aufopferungsvolle Hingabe. „Aller Achtung, vor dir ist wirklich keine Biografie sicher. Vielen Dank, dass du deine Informationen mit mir teilst. Und nein, ich spiele keine Spionin und gebe alles an William weiter. Dies habe ich gar nicht nötig. Man weiß nie, ob er bereits mehr in Erfahrung gebracht hat… Nun mag ich mich dir auch anvertrauen. Es geht um morgen…“, begann sie nervös und ihre Blicke trafen sich flüchtig. „Du wirst morgen im Theater singen, ich weiß. Irene hat damit geprahlt, dass sie dich haushoch in den Schatten stellen wird. Ich frage erst gar nicht, was Clayton und dein William, im Geheimen für ein Scharmützel geplant haben. Doch ich für meinen Teil kann dir nur ans Herz legen, diese Chance zu genießen. Wie ich immer sage, schmeiße auch mal die pessimistischen Gedanken über Bord und erkunde die aufregenden Seiten des Lebens. Sonst wirst du dich eines Tages, über all die verpassten Möglichkeiten ärgern. Dich einmal auf der großen Bühne singen zu hören, wird ein fantastisches Erlebnis. Heißt de facto ich gehe morgen abermals ins Theater. Und jetzt denke nicht wieder, ich würde wegen Irene dort hingehen. Die gesamte Stadt kennt ihr Showtalent. Doch bald wirst auch du in aller Munde sein. John und Mrs Hudson werden mich natürlich sofort unaufgefordert begleiten, sobald ich deinen Auftritt erwähne“, versprach er und lächelte stolz „Lieben Dank… Mir kommt das alles nur noch ein wenig unwirklich vor. Ich und auf einer riesigen Bühne singen… Da fällt mir ein, dass ich heute noch ausreichend Zeit zum proben nutzen sollte. Beim nächsten Mal leiste ich dir wieder länger Gesellschaft“, entschied Miceyla sich für einen zeitigen Aufbruch. Dabei fiel ihr Blick auf seine an der Wand angelehnte Geige. Sie konnte nicht anders als zu lächeln. `Violine wäre ebenfalls ein traumhaftschönes Begleitinstrument… Vielleicht ein anderes Mal…`, dachte sie verträumt und hatte dabei Sherlock vor Augen, wie er graziös auf diesem lieblichen Instrument spielte. Er folgte schweigend ihrem Blick und lächelte ebenfalls still vor sich hin. „Dann werde ich dich hier nicht länger festhalten. Bis morgen und schlafe heute Nacht ausreichend“, verabschiedete er sich umsichtig und geleitete Miceyla zur Tür. Eigentlich wollte sie sich noch von Emily und John verabschieden, jedoch fehlte von beiden jegliche Spur. `Ich glaube die beiden haben sich vor dem mürrischen Sherlock, in dem Keller versteckt, ha, ha`, dachte sie belustigt und schlug den direkten Weg zu ihrer wartenden Kutsche ein. Gerade bog Miceyla an einer Hausecke ab, da stand sie plötzlich abermals Irene gegenüber und kam gezwungenermaßen abrupt zum Stillstand. „Sie sind ja noch immer in dieser Gegend! Warteten Sie hier etwa auf mich? Ich wüsste nicht, dass ich mit Ihnen noch etwas zu bereden hätte. Und mich vor dem morgigen Gesangsauftritt einzuschüchtern ist zwecklos. In meinem bisherigen Leben habe ich etliche Male gelernt, mich als Schwächere durchzusetzen“, begann Miceyla mit kühner Standhaftigkeit. Rasch musste sie aber feststellen, dass Irenes friedliches Antlitz, ihr alles andere als den Eindruck vermittelte, dass sie Streit suchte. „Aber nein, Miceyla. Ich freue mich, in dir eine würdige Gegnerin gefunden zu haben und blicke mit ungeduldiger Erwartung, der morgigen Kostprobe deines Talents entgegen. Doch nun ist es meine Pflicht, mich bei dir zu entschuldigen. Ich habe dich im Theater feige angegriffen und verletzt. Sieht wohl ganz danach aus, als besäßest du von uns beiden eine bessere Selbstbeherrschung“, entschuldigte Irene sich mit überraschender Aufrichtigkeit. Miceyla fühlte sich von ihrer plötzlichen, gütigen Geste etwas überrumpelt. Jedoch sah sie ihr unverkennbar an, dass sie es ehrlich meinte. „Entschuldigung angenommen. Auch ich verhielt mich leicht daneben und war ein klein wenig aufbrausend. Ich hoffe du vergibst mir mein voreingenommenes Verhalten. Danke das du mich als Rivalin anerkennst. Morgen werde ich mein Bestes geben und garantiert nicht verlieren!“, teilte sie Irene mit entschlossener Miene mit. „Das höre ich doch gern. Du bist eine Frau, die ordentlich Mut und Selbstvertrauen besitzt, das gefällt mir. Genau solche Leute braucht diese träge Welt, um den Schwächeren aus der Patsche zu helfen. Aus dir kann noch viel werden. Dann sehen wir uns morgen im Theater. Und vergiss nicht, ich verhalte mich dir gegenüber nur vorerst rücksichtsvoll, weil es da jemanden gibt, dem du sehr am Herzen liegst. Und da ich für das Wohlergehen dieser Person mitverantwortlich bin, kann ich nicht zulassen, dass sie wegen dir in Sorge gerät. Also solltest du deinem Leben einen größeren Stellenwert zuschreiben und es dir zweimal überlegen, bevor du dich in Gefahr begibst. Der Tod wird bei uns allen, noch früh genug an die Haustür klopfen. Noch einen angenehmen Tag, Lady Moriarty“, verabschiedete Irene sich mit mysteriösem Lächeln und ging ihres Weges. Miceyla blickte ihr mit leicht gerunzelter Stirn, nach ihrem seltsam klingenden Worten hinterher. „Ebenso, Lady Adler…“ `Diese Frau zu durchschauen, wird wohl härter als ich erwartet hatte. Und von welcher Person hat sie bitte gesprochen? Ich besitze keine in Vergessenheit geratenen Verwandten oder Freunde mehr, denen etwas an mir liegen würde… Meine jetzige Familie und neugewonnen Freunde, bedeuten mir mehr als alles andere auf der Welt. Auch ich sträube mich davor, geliebte Menschen und Gefühle zurücklassen zu müssen. Doch solange jene mit mir von dannen ziehen, habe ich damit kein Problem. Also, was gäbe es schon so Bedeutungsvolles, von dem ich nichts wissen sollte? Dann kann es ja gar nicht wirklich wichtig sein…`, dachte sie ein wenig naiv, um nicht wankelmütig zu werden und lief endlich zu ihrer Kutsche. Bereits früh am Morgen erwachte Miceyla und atmete beim öffnen des Fensters, die kühle und frische Luft von draußen ein. Sie fühlte sich ausgeschlafen und bereit dazu, am Abend im Theater beim Singen gegen Irene zu revoltieren. Miss Moneypenny war wieder so zuvorkommend und würde sie erneut für ihren Auftritt herrichten. Die letzten Vorbereitungen waren erledigt und alles Notwendige besprochen. Gerade lief Miceyla an Alberts offenstehender Arbeitszimmertür vorbei und erwischte ihn dabei, wie er lächelnd an seinem glänzenden Flügel stand. Er ließ sich extra für diesen Tag von seiner Arbeit freistellen. „Du scheinst den heutigen Abend, noch mehr als ich herbeizusehnen, habe ich recht?“, erkundigte sie sich heiter und trat andächtig in den Raum. „Nun, es muss doch auch dich erleichtern, wenn meine Hände zur Abwechslung mal ein Instrument spielen, anstatt eine Waffe zu führen. Wäre eine Schande, solch löbliche Fähigkeiten verkommen zu lassen. Für dich spiele ich so oft es mir nur möglich ist. Fröhliche und traurige, dramatische und heitere Stücke. Wir versetzen unser Publikum mit jedem beliebigen Genre in Staunen. Jedoch gehört die Bühne ausschließlich uns, den Darstellern. Das von uns gespielte Stück kann niemand übertrumpfen“, sprach Albert enthusiastisch in die Zukunft blickend und sah sie liebevoll an. „Wie wahr, zusammen sind wir unbesiegbar. Es gefällt mir sehr, dir beim Klavierspielen zuzusehen. Aber…als Soldat gefällst du mir immer noch am besten… Der starke und stattliche Beschützer, welcher jedem in der Not zur Hilfe eilt. Du trägst deine Waffe nicht um Leben zu nehmen, sondern um Gerechtigkeit walten zu lassen. Dasselbe gilt für William und die anderen. Es gab in der Geschichte keinen ehrenvollen Ritter, der dieses Schicksal nicht akzeptiert und zum Schwert gegriffen hätte. Wer in diesem Leben etwas verändern will und die Ungerechtigkeiten nicht auf sich beruhen lassen kann, muss kämpfen. Ganz egal ob man am Ende siegt oder verliert, das ist ohnehin subjektiv. Hauptsache keiner von uns gibt jemals auf“, offenbarte Miceyla Albert ihre eigene Einstellung und schenkte ihm dabei ein treues, liebenswürdiges Lächeln. „Die tapfere Soldatin schlummert auch in dir. Denn wieso sonst, würden sich Bilder von dir auf dem Pfad eines Soldaten, in meine Vorstellungen einschleichen. Wenn du danach strebst eine Waffe zu führen, werde nicht einmal ich dich daran hindern. Schönheit ist nur dann vollkommen, wenn sie sich in ihrer eigenen Freiheit ungezügelt entfalten kann. Liebe Schwester, lass mich heute Abend deine Melodie sein, die deine zauberhafte Stimme beflügelt. Auf der Bühne werden wir eins…“, hauchte er unbeschreiblich sanftmütig, während er sich etwas zu ihr herabbeugte und seinen Kopf sachte gegen den ihren schmiegte. „Ja, lieber Bruder… Lass uns zu einer harmonischen Melodie werden, dessen sinnliche Klänge, all unsere unerfüllbaren Träume in den Himmel emporsteigen lassen…“, flüsterte sie und schloss mit einem melancholischen Gefühl in der Brust die Augen. Der vorüberziehende Nachmittag, läutete allmählich den Abend ein. Zwar hatte sie dieses Mal länger gebraucht, um sich in Schale zu werfen, jedoch war es von Nöten eine mehr als nur perfekte Erscheinung zu besitzen, wenn sie auf die Londoner Bühne trat. Ausgehfertig gesellte Miceyla sich zu ihren Kameraden, welche ebenfalls fein hergerichtet waren. Ihre Stimmung erheiterte ganz besonders, dass Moran und Fred sie dieses Mal als Gäste des Theaters begleiten durften. „Seht nur, unsere umwerfende Eisblume, trägt heute ein wie für sie gemachtes himmelblaues Kleid. Der Mantel eines ewigen Winters hüllt dich ein, doch deine wohltuenden Töne, werden die eingefrorenen Herzen der Menschen erwärmen“, begrüßte sie Albert so überschwänglich wie eh und je. „Wie recht du hast, Bruder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Herz existiert, welches bei deinem bildschönen Anblick nicht dahinschmelzen würde, mein Liebling. Eine Erleichterung zu wissen, dass du zu mir gehörst. Und es war eine gute Entscheidung, heute deine Haare offen zu tragen. Dies untermalt prächtig deine unbeugsame Seele“, sagte William zärtlich mit einem Leuchten in den Augen, dass seine bedingungslose Liebe ihr gegenüber zum Ausdruck brachte. Liebevoll nahm er ihre rechte Hand und schmiegte sie sich an die Wange. „Will…“, hauchte sie leise mit klopfendem Herzen und liebte ihn unendlich dafür, dass sie mit ihm diese aufregende Leidenschaft erleben durfte. Moran räusperte sich laut und verdrehte dabei etwas genervt die Augen. „Genug Sentimentalität für einen Tag. Lasst uns aufbrechen, sonst wurden die ganzen Häppchen im Theater schon weggefuttert“, nörgelte er ungeduldig. „He, he, ich finde als Schürzenjäger solltest du dich nicht so hartnäckig, gegen ein paar Lektionen in Sachen Liebe sträuben, um längerfristig Erfolge zu erzielen. Da musst du mir doch zustimmen“, zog Louis Moran lachend auf. „Bei dir piepts wohl! Komm her, ich zieh dir die Ohren lang!“, fuhr dieser wütend aus allen Wolken. „Hach…Moran… Dein peinliches Verhalten ist gesellschaftsuntauglich. Du lässt dich wahrlich so schnell provozieren, wie ein kleines Kind. Mir ist es schleierhaft, wie du es mit deinen rebellischen Charakterzügen bewerkstelligt hast, zum Oberst aufzusteigen…“, seufzte Fred zurechtweisend. „Ha, ha, hier ist es wieder lebhafter denn je. Freunde, die Bühne wartet! Beweisen wir, dass kein professioneller Schauspieler uns etwas vormachen kann! Schließlich sind wir alle die wahren Meister unseres Werkes!“, verkündete Miceyla lebhaft und blickte erwartungsvoll in die Runde. Im Regenbogenschwingen-Palast war mal wieder jeder einzelne Platz belegt worden. Nun packte Miceyla doch das Lampenfieber bei dem Gedanken, vor all diesen Menschen auftreten zu müssen. Selbst den allerkleinsten Patzer von ihr, würden alle mitbekommen. Glücklicherweise hatte sie gleich Albert an ihrer Seite. Ein vornehm gekleidetes Dienstmädchen führte sie in den Umkleideraum, um während des Auftritts von Irene letzte Vorbereitungen zu treffen. `Was Clayton wohl treibt…? Ich habe ihn noch nirgends gesehen…` Neugierig suchte sie ihre Umgebung nach ihm ab, doch sie erhaschte nicht die kleinste Spur von ihm. Nun saß Miceyla alleine im Raum an einem Frisiertisch und blickte hypnotisierend ihr eigenes Spiegelbild an. Die glasklare, bannbrechende Stimme von Irene, schallte zu ihr herüber. Und all die Jubelrufe des begeisterten Publikums, sprachen für sich. `Du liebe Zeit… Was habe ich mir da nur wieder eingebrockt? Wie soll ich ihr Talent, denn bloß noch übertreffen können? Oh Will… Was wenn ich letztendlich doch versage…?` Miceyla wurde die Zeit geraubt, um länger nervös zweifeln zu können, als das Dienstmädchen wieder vor ihr erschien. „Mrs Moriarty, Sie werden nun auf die Bühne gebeten“, forderte man sie höflich auf, sich bereit zu machen. „Jetzt schon…? Ist gut, denn ich sollte der Ehre mit Respekt begegnen, heute hier zu singen.“ `Die stundenlangen Proben, dürfen nicht umsonst gewesen sein. Ich habe nicht so hart an mir gearbeitet, um an diesem Abend jemanden zu enttäuschen.` Während Miceyla sich innerlich Mut zusprach, betrat sie eine halbdunkle Bühne, dessen Vorhang sich vor ihr noch unten befand. Mit einem vor Aufregung rasendem Herzen, betrachtete sie das am linken äußeren Rand stehende Klavier. Albert würde erst beim öffnen des Vorhangs die Bühne betreten. Sie zuckte am ganzen Leib, als jemand von hinten eine Hand auf ihre Schulter legte. „Willkommen mein Sprössling des Verbrechens. Möge die Nachtigall heute aus ihrem Käfig befreit werden“, sprach Clayton so dicht neben ihrem Ohr, dass sie eine Gänsehaut bei der Intensivität seiner Worte bekam. „C-Clayton! Guten Abend… Du hast dir wahrhaftig die Fähigkeiten, einer sich anschleichenden Katze angeeignet“, beschrieb Miceyla wachgerüttelt seine gewieften Tarnungskünste. „Nun lernst auch du sie kennen, die eigens für dich errichtete Bühne der Einsamkeit. Du befindest dich im Zentrum und die gesamte Aufmerksamkeit deiner Zuschauer, richtet sich nur auf dich. Dennoch bleibst du für dein Publikum unantastbar. Du wirst zu einem Phänomen der Fantasie, das die Menschen kurzweilig unterhalten soll. Doch zurück bleibt lediglich der bittere Nachgeschmack von Einsamkeit, welcher sich auf ewig in dein Herz einbrennt, während du die rastlose Hülle deiner leblosen Seele, hinter einer ach so glücklichen Maske versteckst. Es ist schierer Irrglaube zu denken, da draußen warteten Gleichgesinnte auf dich, die dein düsteres Schicksal nachempfinden können. Reiner Irrsinn! All die Betrüger greifen mit ihren verdreckten, gierigen Händen direkt in die Herzen der Unschuldigen und entreißen ihnen jegliche Liebe und Hoffnung. Denn mein liebes Vöglein, die Menschen sind die größten Monster, welche unsere scheinbar so fantastische Welt jemals hervorgebracht hat. Bewahre deinen Glauben an das Gute, ehe du ihn verlierst, so wie ich ihn vor langer Zeit verloren habe… Wer es nicht schafft in seinem Leben ein Einzelkämpfer zu werden, muss sich auf einen verfrühten, qualvollen Tod einstellen…“, erzählte Clayton von seiner eigenen Sichtweise, auf die momentanen Lebensumstände. Miceyla war bestürzt und schockiert zugleich über seine drastische Wortwahl und hatte noch nie so viel Leid und Kummer auf einmal, in den Augen einer einzelnen Person gesehen, wie sie es gerade bei ihm sah. „Hast du etwa eine solch triste Einstellung, zu deiner eigenen Arbeit, der Arbeit eines bekannten Schauspielers? Die etlichen von dir gespielten Stücke, sollten dir und deinen Zuschauern Freude bereiten. Deine Präsenz ist nicht bloß von kurzweiliger Dauer, nein! All deine übermittelten Botschaften, prägen sich in die Erinnerungen der Menschen ein. Du bist ein wertvoller Bestandteil unserer Londoner Gesellschaft. Zwar weiß ich nicht, was zu deiner pessimistischen Sichtweise geführt hat, doch du kannst gar nicht allein sein. Soweit ich weiß, rettest du junge Mädchen aus ihrer verwerflichen Lebenslage. Die Kinder werden alle zu dir halten und eine unersetzbare Dankbarkeit wird dir zuteil. Du besitzt ein gutes Herz, also bitte, gehe nicht so hart mit dir selbst ins Gericht“, versuchte Miceyla ihn von Mitleid gepackt ein wenig aufzubauen. Jedoch erkannte sie an seinem unzugänglichen Lächeln, dass dies keinerlei Wirkung bei ihm erzielte. „Solch ähnlich rührende Worte hörte ich schon einmal… Ach mein Mädchen, du hättest auch noch Güte für den Teufel übrig. Du wirst deinen eigenen Untergang heraufbeschwören, wenn du nicht rasch lernst, dich etwas unnahbarer gegenüber Gefühlen zu verhalten… Nun aber genug geplaudert! Die Pause ist vorüber! Sing mein Vöglein, sing! Hauche diesem eingerosteten Theater, mit deinem wiederbelebenden Gesang neues Leben ein. Wunder bleiben lediglich ein Produkt unserer Fantasie, wenn wir sie nicht selbst erwecken…“, läutete er mit einer unterstreichenden Verbeugung, ihren in Kürze beginnenden Auftritt ein und schlich langsam wieder davon. Aufgewühlt blickte sie ihm nach. `Nun tun sich mir unendlich viele Fragen auf, mit denen ich Clayton bombardieren möchte. Ich muss mich jetzt wohl am Riemen reißen und mir diese für eine spätere Gelegenheit aufsparen. Doch eines steht nun für mich fest, ich werde die Geschichte über sein gebrochenes Herz in Erfahrung bringen, noch ehe William oder Sherlock handgreiflich werden und kurzen Prozess mit ihm machen. Diese Entscheidung lasse ich mir nicht nehmen…`, dachte sie eisern, als zeitgleich der schwere Vorhang hochgezogen wurde. Leises Gemurmel ging durch die Zuschauermenge, während diese das ihnen unbekannte Gesicht betrachtete. `Konzentriere dich. Nur ein Lied, aber jeder einzelne Ton muss sitzen`, ermahnte Miceyla sich. Doch sogleich wurde ihre Nervosität von Glücksgefühlen abgelöst, als Albert ehrwürdig die Bühne betrat und auf dem Hocker vor dem Klavier Platz nahm. Einen Moment lang tauschten beide lächelnde Blicke aus. `Deine Melodie und mein Gesang werden ihren Einklang finden. Und ein perfektes Lied wird daraus resultieren`, dachte sie startklar und sah mit einer aufrechten Körperhaltung geradeaus. Miceyla wusste, dass ihre Freunde gerade irgendwo vor ihr saßen, doch richtete sie ihre komplette Aufmerksamkeit auf ihre Stimme. Es breitete sich eine angenehme Wärme in ihrer Brust aus, als Albert den Auftakt des Liedes zu spielen begann und sie bei den ruhigen Klängen auf ihren Einsatz wartete. „Hörst du mich? Spürst du nicht meine flehende Hand, die dich aufzuhalten versucht? Glück war uns hold, doch eisige Winde flüsterten uns längst eine Warnung zu. Den Wechsel der Jahreszeiten hat noch niemand aufhalten können und dennoch kämpfst du unbeirrt gegen den Strom der Zeit an. Du bist wie silbernes Sternenlicht auf gefrorenem Schnee. Du besitzt wärmende Güte, aber du erreichst damit die Verwundeten nicht. Dabei ziehst du eine brennende Blutspur hinter dir her und ich, einen endlosen Fluss aus Tränen. Wir sind Könige, führen die Klinge der Gerechtigkeit. Der Weg zum Frieden ist geebnet, doch der Tod befindet sich dicht auf unseren Fersen… Du kamst und nahmst mir meinen Schmerz. Besessen warst du davon, die Wunde dieser klagenden Welt zu schließen. Die größte Verletzung würde dich am Ende selbst ereilen. Noch immer lehrst du mich Vertrauen, während ich den Fehlern der Vergangenheit vergebe. Uns wohnt unermessliche Kraft inne, die Kraft Neues zu errichten und Altes zu zerstören. Für was wirst du dich entscheiden, wenn von der Liebe nur noch eine verblasste Erinnerung übrigbleibt? Gelobet hier und jetzt, dass ihr eure Waffen fallen lassen werdet und Feindseligkeit durch Wertschätzung ersetzt. Keiner von uns wird mit bloßer Macht unsterblich. Erkämpft euch die Anerkennung, doch bettelt nicht darum. Wie oft hat man mich verachtet. Wie oft wurde ich allein gelassen. Der Schmerz zerfrisst mich, bis nichts mehr von mir übrigbleibt. Öffnet eure Augen, schaut nicht weg beim Anblick des Elends. Nur die Gemeinschaft kann etwas verändern. Denn wir sind Könige, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Hörst du mich? Mein geliebter Lichtstrahl, geboren aus einem unscheinbaren Aschehaufen. Bei dir bin ich sicher, losgelöst von allen Sorgen. Vereinen wir unsere Wünsche, auf das uns bei der Morgendämmerung, eine geläuterte Welt begrüßen wird…“ Die letzte Strophe ihres dramatischen und fesselnden Liedes endete. Wie in Trance legte Miceyla sich eine Hand auf ihr rhythmisch schlagendes Herz und lauschte wie gebannt, dem von Albert gespielten Abspann. Ihr Werk war vollbracht und während sie auf das Resultat wartete, erspähte sie nun endlich Sherlock, der in einer der vordersten Reihen saß. Unsagbar herzlich lächelte er ihr zu, ohne Worte teilte er ihr mit, dass er ihren Gesang mehr als nur genossen hatte. John und Emily saßen mit Tränen in den Augen gerührt neben ihm. `Meinen Freunden hat das Lied gefallen. Für mich ist dies schon ein Sieg…`, dachte Miceyla glücklich und hätte ihren gerade empfundenen Stolz, nicht in Worte fassen können. Ihr Blick wanderte zwei Reihen weiter vor, wo William zwischen Louis, Moran und Fred saß. Bei dem magischen Moment, alsbald sich ihre anziehenden Blicke trafen, erinnerte sie sich abermals an die erste schicksalhafte Begegnung zurück. Niemand könnte seinen liebevollen Gesichtsausdruck übertreffen, der so voller Hingabe war und nur ihr allein galt. `Mein geliebter Will, dank dir stehe ich nun hier. Allmählich vertraue ich darauf, dass wir gemeinsam alles erreichen können…` Miceyla versuchte von den erstarrten Gesichtern des schweigenden Publikums abzulesen, ob ihr Lied nun einen positiven Eindruck hinterlassen hatte oder die übermittelte Botschaft alle erschüttert hatte. Noch ehe sie ein genaueres Urteil darüber fällen konnte, erhob sich die gesamte Zuschauermenge und applaudierte zeitgleich mit begeisterten Blicken. Es kam ihr beinahe schon unwirklich vor, dass der ganze Beifall für sie bestimmt sein sollte. Diesen Augenblick würde sie nie mehr vergessen. Wer sie war schien für jedermann zweitrangig zu sein, man lobte sie ausschließlich für ihren Gesang. Freudestrahlend blickte sie zu Albert, der ihr nickend zulächelte. `Wir haben es geschafft! Unser Lied hat ein Wunder vollbracht!`, dachte Miceyla überglücklich und wäre ihm am liebsten um den Hals gefallen, doch riss sie sich vor all den Menschen zusammen. Auf einer der oberen Logen stand Amelia und blickte mit einem wehmütigen Lächeln hinab auf die Bühne zu Miceyla. `Das Bauernmädchen ist zur Königin aufgestiegen. Fest entschlossen kämpft sie um Rang und Ehre. Der König schenkte ihr eine gestohlene Krone. Die Feinde warten bereits darauf, mit dem Königspaar die Klingen zu kreuzen. Wer wird am Ende die Krone behalten? Auch ich werde viel verlieren, doch eines kann mir keiner rauben, die Erinnerung an deine wunderschöne Stimme…` Mit diesem Gedanken wandte Amelia sich ab und verließ die Loge. Miceyla hatte das Gefühl, der Applaus wollte gar nicht mehr enden, als sie zusammen mit Albert die Bühne verließ. „Ich gratuliere zum Sieg. Wie nur schwer zu überhören ist, haben sich die Leute über ein neues Gesicht in der Theaterbranche sehr gefreut. Meine Erwartungen hast du jedenfalls nicht enttäuscht. Für eine Anfängerin besitzt du ein ungewöhnliches Talent. Nur die Besten der Besten schaffen es hier bei uns, längerfristig die Bühne zu besteigen. Wer nicht den hohen Ansprüchen von Matador Muscari gerecht wird, kann ganz schnell wieder das Handtuch werfen und sich von seiner Theaterkariere verabschieden“, lobte Irene sie ehrlich, jedoch setzte sie dabei wieder ein vorwarnendes Lächeln auf. „Vielen Dank für solch rühmende Worte. Und das bekomme ich auch noch von einer Frau zu hören, die weitaus mehr Erfahrung als ich, auf dem Gebiet der Unterhaltung besitzt. Ich kann mir sicher noch das eine oder andere von dir abschauen. Es gibt stets viel zu lernen, um die eigenen Leidenschaften zu perfektionieren“, dankte Miceyla ihr zufrieden und war froh über ein Lob der erfahrenen Irene. Dennoch wusste sie das es besser wäre, weiterhin in ihrer Gegenwart wachsam zu bleiben. So einfach würde Miceyla ihr nicht vertrauen können… William betrat zur selben Zeit einen Balkon des Theaters, auf dem sich niemand außer Clayton aufhielt. Er hatte seine Arme ineinander verschränkt, während er dort angelehnt am Geländer stand und ihn mit schiefgelegtem Kopf angrinste. „Glückwunsch! Wer hätte gedacht, dass Ihre geliebte Miceyla ein solches Gesangstalent ist… Aber wir wussten ja beide, wie das heutige Wettsingen ausgehen würde. Trotzdem lade ich Sie nachher auf ein Glas Champagner ein“, gratulierte Clayton ihm feierlich. „Sie sind zu freundlich, Lord Fairburn. Das Angebot eines wahren Gentlemans, nehme ich dankend an. Doch nun wüsste ich gern, wann und wo Sie gedenken, unser kleines Duell plangemäß auszuführen. Zwar sind Sie der Verlierer, dennoch mag ich Nachsicht zeigen und Ihnen die Wahl von Zeit und Ort überlassen“, sprach William mit höflichem Lächeln. „Zu gütig der werte Herr. Wahrlich Formidabel! Sie müssen zweifellos den perfekten Ehemann aus einem Bilderbuch abgeben. Aber wie ich immer zu sagen pflege: Die hellste Sonne, wirft die größten Schatten... Nun, ich hatte dafür gleich den morgigen Tag vorgesehen. Ich kenne da einen behaglichen Ort, an dem man sich herrlich nach Sonnenuntergang ungestört unterhalten kann…“, verriet Clayton ihm und kniff seine Augen leicht verschwörerisch zusammen. William verstand nur zu gut, worauf er hinauswollte und grinste ihn dämonisch an. „Ich bin ganz Ohr…“ Eine schwere und dicke Wolkenfront, bedeckte am nächsten Tag den gesamten Himmel. Man konnte nur schwer sagen, ob die Sonne bereits am untergehen war. Denn vom Morgen bis in die frühen Abendstunden, herrschte bereits eine düstere Atmosphäre. William marschierte an dem Gewölbeeingang, einer großen unterirdischen Krypta vorbei und betrat die vertrocknete Rasenfläche eines verlassenen Friedhofs. Das lärmende Gekreische der umherfliegenden Krähen, war das einzige Zeichen von Leben in der Umgebung. Er blieb mit der Ruhe weg stehen, als er mit seinen rubinroten Augen Clayton erspähte, der es sich etwas von ihm entfernt, auf einem Grabstein bequem gemacht hatte. Und er hielt schon erwartungsfreudig seinen langen, gezogenen Degen fest umklammert. „Hoffentlich habe ich Sie nicht allzu lange warten lassen. Sie besitzen wirklich ein Faible für das Drama und einen seltsamen Geschmack, was groteske Orte betrifft. Ein Friedhof für Adelige also…“, sprach William mit vorwurfsvollem Lächeln, bei der Ankunft am vereinbarten Ort ihres Duells. „Ist doch recht treffend, nicht? Hier liegen jede Menge bedeutende Persönlichkeiten begraben. Vom einfachen Wissenschaftler und Architekten, bis hin zum ehemaligen Mitglied des Parlaments, ist hier alles dabei. Jedenfalls… Mag mein Name auch nicht von bedeutungsvoller Abstammung sein, durch meine Adern fließt dennoch das Blut eines gebürtigen Adeligen. Doch wie sieht es bei Ihnen aus? Haben Sie überhaupt das Recht, um an diesem Platz begraben zu werden? Ich hege da so meine Zweifel… Ob Sie nun den gerissenen Hochstapler spielen oder nicht, kann mir letztendlich egal sein. Denn wissen Sie was? Diese verfluchte Ständegesellschaft, interessiert mich einen feuchten Dreck!“, zischte Clayton mit einer ungezügelten Wut, welche allerdings nicht William galt und richtete seinen Degen auf ihn. „Mit dieser Einstellung erhalten Sie bei mir größte Genugtuung. Beginnen wir nun unser kleines Frage-Antwort-Spiel, oder wollen Sie vorher noch ein paar Gräber besichtigen? Den Toten soll ihre Ruhe vergönnt sein“, meinte William beharrlich und zog angriffsbereit die Klinge aus seinem Spazierstock. „Wir werden ja sehen, wie viel Luft Ihnen noch zum Plaudern übrig bleibt… Denn leider ist mir heute nicht nach Zurückhaltung zumute.“ Mit diesen energischen Worten sprang Clayton von dem Grab und ohne weitere Vorbereitungsmaßnahmen, preschte er direkt auf seinen gelassen wirkenden Gegner zu. William gelang es gleich zu Beginn des Gefechts, die wohlüberlegten Hiebe von ihm zu parieren. Jedoch wich er von dessen Durchschlagskraft überrascht ein wenig zurück. „Meine Hochachtung. Mir war von Anfang an klar, dass Sie Fechten nicht bloß für Ihre Schauspielkünste trainierten. Man wird Sie bereits in jungen Jahren, ernsthaft darin unterwiesen haben. Ihr Vater muss für Sie ein unangefochtenes Vorbild gewesen sein…“, meinte William herausfordernd. „Sie nehmen wie immer den Mund ganz schön voll. Verschonen Sie mich mit Ihrem hellseherischen Gefasel! Noch wissen Sie rein gar nichts über mich oder meine Gefühle. Doch ich gestehe es als Wohltat zu empfinden, mich mit jemandem zu duellieren, der noch weiß wie man eine Klinge zu führen hat. Bedauerlicherweise dient Fechten heutzutage, größtenteils als Zeitvertreib der Obrigkeit. Lassen Sie uns aber langsam mal zur Sache kommen! Also, was bezwecken Sie mit Ihren ganzen, aufwendig eingefädelten Tötungsdelikten an Adeligen? Welches Hirngespinst wollen Sie damit in die Welt setzen? Die Meinungen über den Meisterverbrecher sind sehr gespalten. Ich sehe keinen Sinn darin, den ehrenvollen Vollstrecker für die Armen zu spielen. Dadurch werden sie auch nicht reich und der Adel stirbt durch eine Handvoll weniger auch nicht aus“, stellte Clayton hemmungslos die entscheidende Frage und attackierte ihn weiter. „Ihre Zweifel sind berechtigt. Doch lassen Sie mich das Konzept meines Plans kurz und knapp erläutern. Es geht mir darum, die alleinige Befehlsgewalt dem Adel zu entreißen, um sich auf eine menschenwürdige Zusammenarbeit, mit den unteren Klassen einzulassen. Dafür inszenieren wir auffällige Morde, damit wir die Verwerflichkeit der Reichen, dem gesamten Volk vor Augen führen. Und wir die Moriartys, werden somit zu einem gemeinsamen Feind der beiden Schichten, den sie nur bezwingen können, wenn sie sich zusammenrotten und Hand in Hand dagegen ankämpfen. Jeder in diesem Land verdient seine Freiheiten und eine Chancengleichheit. Wir gehen langsam aber sicher auf die nächste Jahrhundertwende zu. Da wird es Zeit, dass die Menschen endlich mal mit dem vernünftigen Denken anfangen“, schilderte William zügig seine Ideale und wurde dennoch beim Fechten nicht annähernd unaufmerksam. Während Clayton die gerade gewonnenen Informationen zu verarbeiten versuchte, bemühte er sich darum, weiterhin keinen der gegnerischen Hiebe zu ihm durchdringen zu lassen. „Aha… Ich verstehe… Mir geht ein Licht auf. Und Sherlock Holmes hat an Bekanntheit gewonnen, da er Ihre mysteriösen Fälle auflöst. Es hagelt ständig neue Schlagzeilen über ihn. Nun ja, ein solch ehrenvolles Ziel verfolge ich nicht. Tun Sie sich keinen Zwang an, wenn Sie glauben durch Ihre Mittel und Opfer, etwas an dieser verdorbenen Welt ändern zu können. Da vernichte ich lieber weiterhin im Geheimen das niederträchtige Gesindel und helfe an Orten, wo Ihr scharfes Auge nicht hinreicht. Denn auch Sie können nicht überall gleichzeitig sein“, erwiderte er ein wenig abwertend und glaubte vorerst nicht an eine Bewältigung, seines schwer umsetzbaren Plans. „Sie helfen wo Sie nur können und scheuen sich nicht davor, gegen die Gesetze zu verstoßen. Dies ist das größte Indiz dafür, dass auch Sie etwas verändern wollen. Mein Ziel kennen Sie jetzt. Ich bin gespannt darauf, nun Ihres näher erläutert zu bekommen“, stellte William die Gegenfrage und genoss es in einem Kampf auf Augenhöhe, sein komplettes Potenzial entfalten zu können. „Mir entgeht nicht, dass es für Sie längst offensichtlich ist. Rache… Den einzigen Sinn, welchen ich noch in meiner Existenz sehe. Sagt Ihnen der Name Harley Granville etwas?“, offenbarte Clayton ohne Scheu seine wahren Absichten und kämpfte unermüdlich weiter mit ihm. William riss erstaunt die Augen weit auf, bei der Erwähnung jenes Namens. „Nun, jedem Bürger des Vereinigten Königreichs, sollte der Name des amtierenden Premierministers ein Begriff sein. Sie brauchen mir keine ausführlicheren Details darüber zu verraten, warum Sie nach dem Leben dieses Mannes trachten. Auch so weiß ich, dass er Leben auf dem Gewissen haben muss, für die Sie sich rächen wollen und nicht ruhen, ehe er seinen letzten Atemzug getan hat…“, fuhr er weiter für Clayton fort und konnte sich nur zu gut, in dessen aufgebrachte Gefühlslage hineinversetzen. „Setzten Sie ihn gar nicht erst auf Ihre Liste. Um ihn kümmere ich mich persönlich. Ich kenne ihn lange genug, um zu wissen wie ich mit ihm fertig werde. Nur ist ein Attentat auf den Premierminister kein Unterfangen, das man mal eben schnell erledigen könnte. Daher benötige ich Zeit. Oder wie Sie nun sagen würden: Es muss perfekt geplant werden. Schon wieder dieser Blick… Schauen Sie mich nicht so an, als könnten Sie die Gefühle für meine Absichten nachempfinden. Glauben Sie, dass Sie allen überlegen seien und Ihnen ständig jede Tat, leicht von der Hand gehen wird? Ja mir ist bewusst, auch Sie sind in ihrem Leben oft, mit den Ungerechtigkeiten dieser Welt konfrontiert worden, sonst hätten Sie nicht solch extreme Denkansätze. Jedoch haben Sie alles erreicht und bekommen, was immer Sie wollten. Pures Glück, nichts weiter. Aber… Wissen Sie denn auch wie es ist, etwas Geliebtes zu verlieren? Kennen Sie den Schmerz, etwas für immer loslassen zu müssen? Sich machtlos zu fühlen und glauben, an einer überwältigenden Trauer ersticken zu müssen? Nein! Nein, Sie kennen all diese entsetzlichen Gefühle nicht! Auch Sie erleben schon noch den Tag, an dem Sie etwas Unersetzbares verlieren und mit der puren Verzweiflung konfrontiert werden… Stellen Sie sich nur einmal vor, Miceyla würde in ihren Armen sterben. Könnten Sie dann noch länger unbeirrt durchs Leben wandern und an Ihren heiligen Plänen festhalten? Dieses Szenario ist gar nicht mal so unwahrscheinlich, bei der ganzen Gefahr, welcher Sie Miceyla aussetzen. Wenn…wenn Sie nicht bereit sind, für die Liebe zu sterben…haben Sie auch keine verdient!“, schrie Clayton von Argwohn gepackt und steigerte sich immer mehr, in seine eigenen verletzten Gefühle hinein. Erbarmungslos brachte er William blitzschnell in eine Verteidigungsposition und zielte geradewegs auf seinen ungeschützten Hals. Clayton rechnete damit, dass er sich unter seinem Hieb wegducken würde. Doch zu dessen großen Erstaunen, blieb er nur lächelnd wie versteinert auf der Stelle stehen und bot sich seinem Gegner mit keinerlei Gegenwehr an. Verwirrt schaffte es Clayton nicht mehr rechtzeitig, seinen kraftvoll ausgeholten Degenhieb zu stoppen und schnitt ihm mit seiner Waffe, eine tiefe Wunde in die Schulter. William verzog kurz schmerzverzerrt das Gesicht, woraufhin er seinen Widersacher allerdings wieder kühn anlächelte. „Wieso…wieso sind Sie meinem Schlag nicht ausgewichen? Das wäre für Sie kein Problem gewesen. Ich hätte Sie lebensbedrohlich verletzen können“, sprach er aufgewühlt und hielt regungslos seinen Degen fest, dessen Spitze sich noch immer in Williams blutender Schulter befand. „Niemals würden Sie mich ernsthaft verletzen, geschweige denn mir das Leben nehmen. Da Sie im Hinterkopf haben, dass dann für Miceyla eine Welt zusammenbräche“, meinte William ruhigen Gemüts. Clayton schüttelte lächelnd den Kopf und zog nun endlich seine Klinge von ihm zurück und steckte sie weg. „Sie sind ja doch ein wahrer Teufel… Seien Sie froh, dass es noch einen weiteren Teufel gibt, der Ihnen übergeordnet ist“, sagte dieser seufzend und blickte schwermütig hinauf zum düsteren Himmel. „Und… Vielleicht gibt es ja eine Person außer mir, die bereit wäre für Miceyla ihr Leben zu opfern…“, fügte William noch mit trister Miene hinzu. Verwundert richtete Clayton wieder seinen Blick auf ihn. Doch als er die Bedeutung seiner Worte begriffen hatte, lächelte er ihn verständnisvoll an. „Scheint mir, als hätten Sie erst durch die Begegnung mit Miceyla gelernt, was es bedeutet ein Herz zu haben. Die Lektion der Liebe, ist die wichtigste im Leben. Vergessen Sie das nicht, William James Moriarty“, sprach er gewissenhaft zum Abschluss und wollte sich nun von ihm abwenden. Aber William hielt ihn mit einem weiteren Anliegen zurück. „Clayton, ich hätte da noch eine Bitte. Würden Sie Miceyla in Ihrem Theater arbeiten lassen? Eins, zwei Auftritte von ihr die Woche, werden Sie schon miteinplanen können. Sie brauchen doch das Geld, richtig? Und Miceyla wäre ebenfalls sehr erfreut darüber. Aber vor allen Dingen weiß ich nun, dass Ihr Theater ein sicherer Ort für sie ist. Zusätzlich gäbe uns dies vorerst, einen triftigen Grund für eine Waffenruhe“, schlug er taktvoll vor. Abrupt blieb Clayton stehen und drehte sich wieder mit einem gerissenen Grinsen zu ihm herum. „Ha, ha, ha! Netter Vorwand um mich auszuspionieren! Schön, schön, dann soll es so sein. Doch das ich diesen Gefallen nicht für Sie tue, ist wohl selbsterklärend. Unsere unterschiedlichen Pfade, bleiben damit auch zukünftig miteinander verwoben. Wir schreiten weiter voran in Richtung eines Schicksals, voller Höhen und Tiefen…“ William kehrte bei Einbruch der Nacht wieder in das Moriarty-Anwesen zurück und stellte beim eintreten überrascht fest, dass sich alle im Eingangsbereich versammelt hatten, um ihn zu empfangen. „Willkommen daheim! Wie verlief das Gespräch mit Clayton? Wir haben bereits während wir warteten, etliche Spekulationen aufgestellt und…! Du wurdest verletzt! Ich habe es ja geahnt! Geht es dir gut? Das sieht sehr schmerzvoll aus…“, platzte es bestürzt aus Miceyla, beim Anblick seines blutverschmierten Anzugs und sie rannte gemeinsam mit Louis sorgenvoll auf ihn zu. „Aber nein ihr Lieben, beruhigt euch bitte wieder. Diese Stelle auf der Schulter verheilt im Nu. Ich erzähle euch gleich alles“, sagte William besänftigend und legte liebevoll einen Arm um Miceyla, deren bekümmertes Leuchten in den Augen, ihm einen Stich ins Herz versetzte. `Keiner von uns wird vorzeitig den jeweils anderen im Stich lassen. Ich werde dich stark machen, meine geliebte Winterrose. So stark, dass du dank deines unbeugsamen Willens, frei und unabhängig leben kannst…`, dachte William wehmutsvoll und zog Miceyla lächelnd an sich. Am nächsten Tag, half Miceyla ausnahmsweise einmal ohne Widerworte Louis bei der Arbeit und durfte anschließend als Belohnung, mit Moran im Wald trainieren gehen. Später am Nachmittag wartet sie dann, dass Albert und William von der Arbeit nach Hause kamen, um mit ihnen gemeinsam zu essen. Als es Abend wurde saß sie grübelnd an ihrem Schreibtisch und konnte ihre wirren Gedanken nur schwer verschriftlichen. Da trat gerade William ins Zimmer und sie blickte lächelnd zu ihm auf. „Na meine Liebe. Die geeigneten Worte zu finden, ist oftmals selbst für den geübtesten Schreiber nicht leicht. Aber möglicherweise erhältst du hiermit ja neue Inspirationen… Dies ist mein Geburtstagsgeschenk für dich. Es wird dein Herz höherschlagen lassen, davon bin ich fest überzeugt. Mit einem herzlichen Lächeln überreichte er ihr ein kleines, silbern glänzendes Kästchen. Gerührt erhob sich Miceyla und nahm ihm verlegen sein Geschenk ab. „Danke… Das ist sehr lieb von dir…“ Beim Öffnen der Schachtel begannen ihre Augen zu strahlen. Darin befand sich ein dunkellilafarbener Füller und als sie ihn herausnahm erkannte sie, dass auf der goldenen Federspitze ihr Name eingraviert war. „Oh wie wunderschön! Nichts hätte mich glücklicher machen können! Ich danke dir, mein geliebter Will. Mit diesem Füller, verhelfe ich unseren Geschichten zu noch mehr Glanz…“, sprach Miceyla beflügelt und schloss kurz die Augen, ehe sie William entschlossen anblickte. „Vertreiben wir all das Böse…“, begann sie zaghaft. „…Und verhelfen der Welt zu rechter Größe“, fuhr er fort und nahm sie daraufhin zärtlich in die Arme. Liebes Tagebuch, 21.4.1880 heute darf ich das erste Mal mit meinem neuen, zauberhaftschönen Füller schreiben. Auf magische Weise, werden meine Gedanken auf Papier festgehalten. Will ist wahrlich ein Engel, der genau weiß was mir am besten gefällt. Ich bin erleichtert, dass seine Wunde auf der Schulter schnell wieder verheilen wird. Es hätte alles noch wesentlich schlimmer ausgehen können. Uns stehen Kämpfe bevor, bei denen unsere Gegner nicht mehr so gnädig sein werden… Ich habe schreckliche Angst davor, dass sich einmal jemand von uns schwer verletzt… Mir wird übel, wenn ich nur daran denke… Doch ich sollte mich weiter um die Gegenwart kümmern. Auch meine Wunde auf der Wange verschwindet allmählich. Ich kann noch immer nicht fassen, dass Will mir angeboten hat, von nun an öfters im Theater zu singen! Er schaffte es tatsächlich, Clayton dazu zu überreden. Und ich musste schmunzeln als er hinzugefügt hatte, dass ich dort ganz bequem, aus nächster Nähe Clayton beschatten könnte, da ich mich ja bereits bei Sherlock weigere dies zu tun. Es stimmt aber, wir haben alle Vorteile dadurch. Denn nicht nur Claytons düstere Beweggründe, möchte ich besser verstehen lernen. Auch die Persönlichkeit von Irene, mag ich näher durchleuchten. In diesem Theater warten so viele Geheimnisse darauf gelüftet zu werden, dass ich kaum weiß, wonach ich zuerst Ausschau halten soll. Eine gute Gelegenheit, um mich an Sherlocks Methoden heranzutasten und meine eigene Auffassungsgabe zu schärfen. Das Will mich jetzt doch in die Nähe von Clayton lässt kann nur bedeuten, dass auch er sich nun davon überzeugt hat, dass er zwar den wankelmütigen Geist eines undurchschaubaren Schauspielers besitzt, der von viel Kummer geprägt wurde, wie wir ihn alle besitzen, doch in Wahrheit kein bösartiger Mensch ist. Die wahren Bösewichte warten da draußen auf uns. Wer jedoch letztendlich ein Feind oder Freund für uns ist, zeigt sich wohl erst dann, wenn aus dem Spiel bitterer Ernst wird… Falls mich jedoch meine Sorgen zu sehr belasten sollten, kann ich jeder Zeit Albert einen vertraulichen Brief schreiben. Der Gedanke daran spendet mir Trost. Bühne der Einsamkeit Die freudige Erwartung löst sich auf im Nebel, eisige Luft durchdringt mich wie ein spitzer Säbel. Die triste Bühne fällt in sich zusammen, sie geht auf in grellen Flammen. Wie ein leises Echo höre ich den letzten Jubel, von dannen zieht der lebendige Trubel. Lass mich erstrahlen in einem neuen Licht, ohne das ich dabei aussehe wie ein winziger Wicht. Ich verlor mich selbst in meiner Einsamkeit, noch bin ich nicht so besonnen wie ihr es alle seid. Mein eigener Verstand ist es der mich betrügt Und das lechzende Flüstern das mich ständig anlügt. Weiterleben ohne etwas zu bereuen, mich nicht mehr vor dem Unbekannten scheuen. Ein neues reines Herz wird erwachen und die Welt erfüllen mit wunderbarem Lachen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)