Falling From Grace von Last_Tear ================================================================================ Kapitel 3: With Broken Wings (Issay - Teil 3) --------------------------------------------- Mit einem müden Lächeln auf den Lippen betrachtete Issay sein Gegenüber wie dieser die letzten Umzugskisten ins Auto räumte, dann fuhr er sich seufzend durch die Haare. „Hast du alles?“ Keita verdrehte die Augen, bevor er nickte und einen Arm um Issays Schulter schlang. „Natürlich. Haben wir doch überprüft - zwei Mal. Es ist alles gut, Issay.“ Dieser zuckte mit den Schultern, bevor er ebenfalls einen Arm um Keita legte und diesen eng an sich heran zog. „Es ist einfach so ungewohnt, weißt du?“ Keita gab einen zustimmenden Laut von sich und kuschelte sich mehr an Issay heran, was dieser zum Anlass nahm ihn richtig zu umarmen und die Stirn an die seines Gegenübers zu lehnen. „Ich weiß. Wir hatten eine schöne Zeit zusammen.“ Seit sie damals aus der Fabrikhalle gerade noch so entkommen waren, waren sie ein festes und glückliches Paar gewesen. Sie waren zusammen gezogen und hatten die letzten zehn Jahre einträchtig miteinander verbracht, nicht immer einer Meinung, aber durchaus in der Lage ihre Streitigkeiten zu klären, ohne dass Blut geflossen war. Es war alles gut gewesen, sie hatten beide einen normalen Beruf angenommen gehabt, Keita als Verkäufer in einem Süsswarenladen und Issay bei einem Goldschmied. Das perfekte Leben ohne die Angst töten zu müssen, oder getötet zu werden. Letztes Jahr jedoch hatten sie gemerkt, dass es einfach nicht mehr funktionierte. Sie sahen sich zwar regelmäßig, kochten zusammen und schliefen noch in einem Bett, aber der alte Funke war weg. Die Liebe welche sie verbunden hatte, war verschwunden, ersetzt worden von einer tiefen Zuneigung welche nur Freunde miteinander teilten, die wussten, dass sie einander bedingungslos vertrauen konnten, aber dass ihre Zeit vorüber war. Keita hatte zuerst den Wunsch geäußert, auszuziehen und Issay hatte zugestimmt. Welchen Sinn hätte es noch, etwas zusammen zu halten, dass doch so offensichtlich bereits beendet war? „Warum ausgerechnet Okinawa, Keita?“ Dieser zuckte mit den Schultern, lachte amüsiert auf. „Mir gefällt die Gegend, Issay. Wieso ausgerechnet Osaka?“ Jetzt war es an Issay schief zu grinsen und er zuckte ebenfalls mit den Schultern. „Ich mag die Menschen hier.“ Dann brachen sie beide in Gelächter aus, gefolgt von einer festen Umarmung. „Keita…Kommst du wirklich klar?“ Angesprochener nickte langsam, während er die Umarmung löste und auch Issay nahm die Arme langsam runter. Wenn er es noch länger hinaus zögerte, würde keiner von ihnen glücklich sein. „Willst du doch, dass ich dir schreibe wenn ich da bin?“ Issay schüttelte den Kopf, auch wenn tief in seinem Inneren eine Stimme schrie, dass er ein Idiot war. Aber es musste sein. Sie mussten abschließen können und dazu gehört auch kein Kontakt mehr. Ein sanftes Lächeln legte sich auf Keitas Züge, dann hatte er Issay an sich gezogen und geküsst, bevor dieser überhaupt reagieren konnte. „Es wird alles gut. Ich kann auf mich aufpassen. Was ist mit dir?“ Sollte er es ihm sagen? Aber was für einen Zweck hätte es denn, zu lügen? „Mein Boss ist der Lieblingsgoldschmied eines Yakuzabosses. Ich dachte, ich hör mich mal in die Richtung um, vielleicht springt eine Beförderung für mich raus.“ Erneut lachten beide, dann wurde Keita wieder ernst. „Du willst zurück in diese Richtung gehen? Wirklich?“ Issay zuckte mit den Schultern, dann nickte er. „Ein Mal ein Mörder, immer ein Mörder. Aber ich hoffe, dass du glücklich wirst.“ „Ich auch.“ Einige Sekunden sahen sich beide tief in die Augen, keiner gewillt, den ersten Schritt zu machen, aber schlussendlich brach Keita doch den Zauber, indem er den Autoschlüssel aus der Hosentasche zog und tief durchatmete. „Das wars also?“ „Das wars.“ Keita nickte stumm und öffnete die Fahrertür des Autos, bevor er nochmal zu Issay sah und diesem ein trauriges Lächeln schenkte. „Ich liebe dich.“ Issay musste schlucken und es kostete ihn jegliche Selbstbeherrschung, Keita nicht wieder an sich zu ziehen. So wie es war, war es das Beste für sie. Sie waren noch jung, hatten ihr Leben vor sich. Wer wusste, was passieren würde und wenn es sein sollte, würden ihre Wege sie sicherlich wieder zueinander führen. „Ich weiß.“ Issay folgte dem Auto mit den Augen während es sich entfernte, bis er es nicht mehr erkennen konnte und es dauerte einige Momente, bis ihm bewusst wurde, dass er weinte. Dieses Auto war eines der ersten Dinge gewesen, welche sie sich zusammen gekauft hatten. Damals, nachdem sie sicher gestellt hatten, dass sie genug Geld hatten um ihre Wohnung jeden Monat bezahlen zu können und es hatte ihnen seitdem treue Dienste geleistet. Hoffentlich würde es Keita auch in Zukunft weiterhin begleiten. Erst zurück in ihrer alten Wohnung ließ er den Tränen wirklich freien Lauf, hier traf ihn die Wucht des Verlustes erst richtig und er wusste, dass er nicht hier bleiben konnte. Am nächsten Tag kündigte Issay den Mietvertrag der Wohnung und bat seinen Chef ihn mit dem Yakuza bekannt zu machen. Zwei Wochen war es her, dass er mittlerweile für die Yakuza arbeitete und wenn er ehrlich war, langweilte sich Issay. Die ganzen Aufträge die er bekommen hatte, waren beinahe schon zu einfach gewesen. Und er fragte sich doch, ob es ewig so weiter gehen würde. Vielleicht wollte Akane ihn auch nur testen, wie lange es dauerte, bis er den Verstand verlor? Zumindest hatte er von den Yakuza eine neue Wohnung gestellt bekommen und diese so gut es ging eingerichtet. Viel war es nicht gewesen, dass er aus der alten Wohnung mitgenommen gehabt hatte und er war froh darüber. Je weniger Erinnerungen zurück blieben, desto einfach war es gar nicht mehr darüber nachzudenken. Vielleicht rannte er vor dem Schmerz davon, den Keitas Verlust hinterlassen hatte, aber es war eben verdammt effektiv. Für gewöhnlich bekam er seine Aufträge von Akane persönlich, heute aber war dieser nicht allein als Issay die kleine Lagerhalle am Hafen betrat. Ein perfektes Versteck und doch juckte es ihn jedes Mal in den Fingern das Gebäude bis auf seine Grundfesten nieder zu brennen. Nachdem er sich hingekniet und verbeugt hatte, wartete er auf die Erlaubnis sich wieder zu erheben und zuckte zusammen, als Akane ihm sanft über den Kopf strich als wäre er ein Hund. Es kostete ihn einiges an Selbstbeherrschung, nicht zu beißen. „Mayu, das ist Issay. Issay, das ist Mayu, dein neuer Partner.“ Die Hand auf seinem Kopf verhinderte, dass er aufsah, aber das Schnauben des Anderen hörte er nur zu deutlich. „Oh ich bin sicher, dass ihr euch prächtig verstehen werdet.“ Damit gab Akane ihm das Zeichen sich zu erheben und drückte Issay eine Schriftrolle in die Hand. „Hier steht alles über euren neuen Auftrag. Wenn einer von euch versagt…Na ja, ihr wisst ja was das bedeutet. Tod. Für Beide.“ Das kalte Lächeln auf Akanes Lippen erinnerte Issay nur erneut daran, wieso er diesen Mann niemals enttäuschen wollte und er nickte. „Verstanden.“ Ein Blick zu seinem neuen Partner und Issay wandte sich zum gehen - wenn der Kerl mit kommen würde, sollte er es. Wenn nicht, war das auch völlig egal. Draußen zündete er sich erstmal eine Zigarette an und inhalierte den Rauch tief. Durfte ja wohl alles nicht wahr sein. Was wollte er denn mit einem Partner? Er arbeitete effektiv allein, unter Akanes Leuten gab es niemandem, dem er so weit vertrauen konnte, dass er sich komplett auf ihn einlassen konnte und vielleicht hätte er Keita einfach nach Okinawa folgen sollen. Ein ruhiges Leben führen. Aber…“Hey, hast du Feuer für mich?“ Völlig unerwartet aus seinen Gedanken gerissen starrte er sein Gegenüber einige Sekunden lang an, bevor er wieder reagieren konnte und ihm das Feuerzeug hin hielt. Hübsch war das Kerlchen ja. Lange braune Haare, dunkle Augen, schlank gebaut. Eigentlich niemand von dem man erwartete, dass er für die Yakuza arbeitete. Andererseits nur die wenigsten Kerle sahen so aus wie in den Filmen. „Bist du überhaupt alt genug um zu rauchen?“ Daraufhin traf ihn ein böser Blick und er lachte amüsiert auf. Konnte nur besser werden. Wie sie ihren Auftrag erfolgreich abgeschlossen und auch noch überlebt hatten, verstand Issay bis heute nicht. Sie hatten kaum miteinander geredet, nur das Nötigste und irgendwie hatte es ausgereicht. Akane war sogar zufrieden gewesen und seitdem hatten sie sich damit arrangieren müssen, dass sie Partner waren. Zuerst hatten sie beide versucht zu protestieren, dann es schweigend hingenommen. Und irgendwann nach zwei Jahren war das Eis zwischen ihnen Stück für Stück gebrochen und sie hatten sich eingesehen müssen, dass der Andere doch gar kein so schlechter Mensch war. Noch ein Jahr später hatte Issay ein weiteres Problem entwickelt - er hatte sich verliebt. In Mayu, seinen Partner. Sie waren zusammen essen gewesen, nichts spektakuläres, nur eine einfache Nudelsuppe und während Mayu in der Karte geblättert hatte, war sich Issay bewusst geworden, wie dankbar er dafür war, jemanden an seiner Seite zu haben der so verständnisvoll war, obwohl sie sich erst hatten zusammen raufen müssen. Es war einfach der Gedanke gewesen, dass er sein Gegenüber nicht mehr verlieren wollte, egal was noch kam. Mayu hatte ihm den ganzen Abend lang schiefe Blicke geschenkt, aber er hatte geschwiegen. Teils aus Angst, teils weil er selbst verwirrt war von diesen plötzlich aufgetretenen Gefühlen. Probleme, wohin man sah. Zuerst hatte er sich nicht getraut etwas zu sagen, aus Angst, dass es ihre Kampfdynamik zerstören würde, dann war er sich wieder sicher gewesen, dass er immer noch an Keita hing und diese Gefühle nur auf Mayu projizierte. Es war alles nicht so leicht gewesen. Zwischen den ganzen Aufträgen für Akane, welche sich gehäuft hatten, je höher sie im Rang aufgestiegen waren, war es auch schwer geworden, Zeit für sie allein zu finden und so hatte er schließlich einfach aufgegeben weil er sicher gewesen war, dass es sowieso nicht funktionieren würde zwischen ihnen. Er hatte keine Ahnung von Mayus Vergangenheit, aber dieser erzählte auch nicht viel über sich und er hatte sich nie getraut, nachzufragen aus Angst, eine Grenze zu überschreiten ab der es kein zurück mehr gab. Denn eins war Issay klar geworden - wenn er Mayu je nahe gekommen wäre, hätte es keine Chance gegeben, das wieder zu beenden. Selbst als sie in Akanes Kreis der besten Kämpfer aufgenommen worden waren, hatte er geschwiegen. Gefühle machten angreifbar und verletzlich und all das, was er mit Keita gehabt hatte und doch zerbrochen war, hatte ihn nachdenklich werden lassen. Natürlich waren sie noch jung, aber das war keine Ausrede. Vielleicht hatten er und Keita von Anfang an keine Zukunft haben sollen, aber es doch irgendwie geschafft, zumindest einige Jahre miteinander zu leben. Er hätte dankbar sein sollen, für das, was er gehabt hatte. Die ganzen Akten ihrer Freunde hatte Keita ihm bei seinem Auszug zurück gelassen und wenn sie einen Abend frei hatten, hatte Issay sich damit aufs Sofa geworfen, Bier getrunken und so lange auf die Steckbriefe gestarrt, bis alles vor seinen Augen verschwommen war. Es war ein Wunder gewesen, dass sie überlebt hatten, Glück und Zufall mit eingerechnet. An einem dieser Abende hatte Issay schließlich auch einen Entschluss gefasst - mit Mayu zu reden. So schnell wie möglich. Mit einem schiefen Grinsen streckte sich Issay auf dem Sofa aus und blinzelte unschuldig zu seinem Liebsten nach oben. „Na~ Sag schon, dass das eine gute Idee war.“ Mayu verdrehte leicht die Augen und tätschelte seinem Freund sanft den Kopf. „Jaja. Takeout und unsere Serie weiter schauen ist definitiv besser als jemanden beschatten zu müssen. Aber nächstes Mal gehen wir wieder essen, sonst wirst du noch faul.“ Issay lachte nur leise, bevor er sich etwas aufgerichtet hatte um Mayu sanft küssen zu können. „Ok, machen wir. Ich zahle auch und wir teilen uns eine Flasche Wein, hm? Bevor du mir wieder vorwirfst dass mein Bier keinen Geschmack hat.“ Noch ein Kuss bevor Mayu protestieren konnte und Issay machte es sich wieder richtig bequem. Mit dem Kopf auf dem Schoß seines Liebsten lag es sich wirklich wahnsinnig gut. Zwar war ihr neues Sofa auch so traumhaft, aber das war etwas völlig anderes. Während sein Blick wieder in Richtung Fernseher schweifte, konnte er nicht anders als zu grinsen. Es war alles Bestens gelaufen damals. Nachdem er seinen Rausch ausgeschlafen gehabt hatte wohlgemerkt. Wider Erwarten hatte Mayu ihn nicht für verrückt erklärt, sondern hatte freudig einem Date zugestimmt. Aus einem Date war ein zweites Date geworden, gefolgt von einem dritten Date. Irgendwann hatten sie begonnen, auch ihre freien Tage miteinander zu verbringen. Nicht nur um zu lernen oder zu trainieren. Auch wenn Issay zugeben musste, dass er anfangs Mayus Sprachbegabung genutzt hatte, um sich ein paar Stunden zusätzliche Zeit mit ihm zu erschleichen. Thailändisch war einfach eine faszinierende Sprache, er hatte nur nie die Gelegenheit gehabt, eine andere Sprache zu erlernen, außer japanisch. Ihr Ausbilder hatte das für unnötig befunden. Da war es praktisch, dass Mayu nicht abgeneigt gewesen war, Lehrer zu spielen. Wenn sie mit thailändisch fertig waren, würde er sich vielleicht noch an koreanisch versuchen. „Hey Machan?“ Issay gähnte leise bevor er wieder zu seinem Liebsten aufsah. „Hm?“ „Ich liebe dich.“ Mayu schwieg, aber begann ihm durch die Haare zu streicheln und Issay gähnte erneut, schloss langsam die Augen. Auch wenn er keine Antwort bekam, so wusste er, dass seine Gefühle erwidert wurden. Man zog mit niemandem zusammen, für den man nicht mindestens freundschaftliche Gefühle hegte. Außerdem teilten sie sich jede Nacht ein Bett. Und er wusste, wie schwer sich Mayu eigentlich damit tat, Gefühle zu zeigen. Er hatte ihm Kleinigkeiten erzählt, Bruchstücke über seine Ausbildung, von seinen Eltern und seiner Kindheit. Sie mochten unterschiedlich trainiert worden sein, aber während er selbst immer noch Keita gehabt hatte als Lichtblick in der Dunkelheit, war Mayu allein gewesen und hatte gelernt, dass es einfacher war, sich von allem abzuschotten, nichts mehr an sich heran zu lassen. Vielleicht würde es Jahre dauern, bis dieser sich ihm noch mehr öffnen und ihm seine komplette Vergangenheit anvertrauen konnte, aber es war gut wie es war. Er konnte es nachvollziehen. Sie waren beide kaputt, auf ihre eigene Art und Weise, aber ihre Bruchstücke passten perfekt zusammen. Und das war doch alles, was wirklich zählte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)