Candlelight von Morgi (Inu no Taishō / Kagome) ================================================================================ Kapitel 2: Myouga ----------------- Candlelight - Myouga - Autor: Beta: Fandom: Inu Yasha Genres: Romantik (Hetero), Humor, Alternatives Universum Disclaimer: Inu Yasha ist Eigentum von Rumiko Takahashi, ich verdiene hiermit kein Geld. Die Geschichte wird durch meine Rückkehr auf Animexx erneut hochgeladen. - - - - - - - 2 Es war erst fünf Uhr morgens, und mein Tag war bereits vollkommen ruiniert. Was hatte mich bloß dazu geritten, Sango so ein dummes Versprechen in die Hand zu drücken? Ich hätte mich totstellen sollen, eine Grippe erfinden können oder einen toten Frosch im Garten meines Großvaters anbeten müssen - irgendetwas, um der aufziehenden Katastrophe rechtzeitig die rote Karte zu zeigen! Und was hatte ich stattdessen getan? Geschluckt, genuschelt und gefragt, ob sie das wirklich für eine so gute Idee halten würde. Nun hatte ich den Salat. Mein kluger Einwand war überhört und ignoriert worden, weil ich kurz nach dem Aufstehen nie genug Elan aufbrachte, um ernsthaft Widerstand zu leisten. Wahrscheinlich war Sango deshalb auf den Beinen geblieben, diese schamlose Headhunterin! Toll gemacht, Kagome. Missmutig starrte ich auf den Wischmopp, dessen blau-weiß gestreifte Fransen reichlich uninspiriert im Putzwasser schwammen, dann verzog ich mein Gesicht und tunkte mein wichtigstes Arbeitsutensil zurück in die schwarz-trübe Brühe. Drei Atemzüge später landete die nächste Flut Wischwasser auf dem Boden des Büros und wurde noch wütender von mir verteilt. Am liebsten hätte ich den handgeknüpften Ghom-Seidenteppich, der direkt vor dem massiven Schreibtisch lag, ebenfalls ertränkt, aber das stand erst gar nicht zur Debatte. Der Besitzer und zweite Geschäftsführer der "Taishou Holdings Corp." zahlte zum Großteil meine Miete und gehörte zu den unausstehlichsten Zeitgenossen, die ich im Laufe meines Lebens getroffen hatte. Ach, was sagte ich? Er war der Schlimmste von allen! Noch schlimmer als seine geschiedene Mutter, unter deren Fittichen ich zuvor geputzt hatte, und die war bereits giftig wie Efeu. Dieser Eisklotz hatte seiner Adoptivtochter - einem bezaubernden, schwarzhaarigen Mädchen namens Rin - vor meinen Augen vier Monate Hausarrest für eine zerbrochene Blumenvase erteilt. Für eine bescheuerte Blumenvase! Und ich, ich war nicht einmal über zehn Ecken und drei verschlungene Pfade mit ihm verwandt, also war ich bei einem falschen Blick auf seine überteuerte Teppichfaser wahrscheinlich schon so gut wie tot! "Sie sind sogar noch langsamer als üblich", erklang es schneidend hinter mir. Quietschend schnappte ich nach Luft und wirbelte auf dem Absatz herum. Die Mühe hätte ich mir allerdings sparen können, denn mein finsterer Arbeitgeber war bereits dazu übergegangen, mich wie eine rote Ziffer zwischen seinen Bilanzen anzusehen. "Guten Morgen", presste ich hervor. "Sie verschwenden meine Zeit, Higurashi. Raus." Unfassbar! Ja, du mich auch, dachte ich aufgebracht und biss mir geistesgegenwärtig auf die Lippen, um dem einreihigen Armani-Anzug nicht spontan eine Doppelreihe Schmutzflecken anzudrohen. Hoheitlich wie selten zuvor, schnappte ich mir Mopp, Plastikeimer und meine Würde, um an seinen breiten Schultern vorbei zu gehen und das Kinn noch etwas höher zu strecken. Dank des Namensschildes, das in Gold gestochen auf seinem Schreibtisch stand, kannte ich zwar seinen Vornamen, doch eher würde ich mich in einen morschen Brunnen stürzen, als so viel Freundlichkeit an den Mann zu bringen. Als er, Sesshoumaru, mich vor sieben Monaten das erste Mal nach meinem Namen gefragt hatte, war ich dumme Gans fast aus dem Häuschen gewesen. Unternehmer mieden es nämlich wie die Pest, eine Putzfrau auch nur aus den Augenwinkeln zu mustern - doch inzwischen benutzte er 'Higurashi' jede Woche auf eine andere, demütigende Weise und ich verfluchte ihn leidenschaftlich dafür, sich nicht einfach der Allgemeinheit anpassen zu können und den Mund zu halten. Dieser Hund! Während ich an ihm vorbeitrat, landete mein Blick jedoch auf einem guten Grund, mich so schnell loswerden zu wollen. Verwundert hob ich eine Augenbraue, denn zu dieser gottlosen Stunde waren Geschäftskunden äußerst ungewöhnlich. Im Windschatten Sesshoumarus stand trotzdem ein kleiner, untersetzter Mann, der sich nervös mit einem Tuch das gesamte Gesicht und das dünne Seitenhaar abtupfte. Dabei hielt er einen aufwendig versiegelten Briefumschlag in der linken Hand - und was Siegelwachs in dieser Firma bedeutete, ließ mich fast überstürzt den Schritt beschleunigen. Damit wollte ich nun wirklich nichts zu tun haben! Das letzte Mal, als ich ein mit Magnolien-Parfüm bestäubtes Kuvert aus dem Papierkorb gefischt hatte, saß mir immer noch in den Knochen. Schnell wie der Wind ließ ich den zweiten Geschäftsführer und dessen Gast zurück und scherte mich auch nicht darum, dass die Tür lautstark ins Schloss fiel. Gott sei Dank! Ich hatte bereits genug Probleme seit dem Morgengrauen und die holten mich auf dem Weg zum Vorzimmer des froschgesichtigen, keifenden Chefsekretärs der 'Taishou Holdings Corp.' auch wieder ein: Sango, meine beste Freundin, hatte mich nämlich dazu überredet, sie in eines der exklusivsten Restaurants der Stadt zu begleiten, um ihr Rendezvous von einem Nachbartisch aus zu überwachen. Falls alle Stricke rissen, war ich ihre Lebensversicherung, um nicht an Langeweile oder Ekel zu Grunde zu gehen. Ich sollte sie so früh wie möglich aus der Misere retten und das war nach ihrem letzten durchgeknallten Freund, Naraku, die beste Nachricht des Tages. Na ja, für ungefähr fünf Sekunden, denn nach meinem gejauchzten "Verlass dich auf mich!" war Sango endlich so gnädig gewesen, mir zwischen Waschbecken und Wäschekorb das allererste Foto ihrer Zufallsbekanntschaft aus einem renommierten Anwaltsbüro zu zeigen. Und seitdem war mir schlecht. Furchtbar schlecht. Ungefähr so schlecht, als ob ich mir beim bekanntesten Juwelier der Stadt ein zweites Mal das Preisschild des Shikon no tama angesehen hätte. Und je mehr Details mir zu Sangos Schwarm Miroku wieder einfielen, desto furchtbarer wurde es. "Ich bin geliefert, wenn sie mir dank ihres Dates auf die Schliche kommt", murmelte ich. Denn ja, ich hatte ein Geheimnis vor meiner Mitbewohnerin. Seit dem Bankrott ihres Vaters, der auf das Konto eines skrupellosen Dämons ging, suchte ich nämlich nach der taktvollsten Gelegenheit, um Sango zu verraten, für wen ich seit einem Jahr nebenberuflich putzte und die Rechnungen abheftete. Sie war bei Weitem kein rachsüchtiger Unmensch, aber sobald das Thema in die Richtung der erfolgreicheren Unternehmen der Stadt ging, hörte ich sie nur noch mit den Zähnen knirschen. Dummerweise unterhielt ihr Herzblatt Miroku auch noch eine Feindschaft mit meinem Chef, die von der Boulevardpresse bereits im ganzen Westen des Landes breitgetreten wurde - und da ich Komplikationen wie andere Menschen hübsche Juwelen sammelte, handelte es sich bei Sangos und Mirokus Restaurant natürlich um den Lieblingsort Sesshoumarus. Nun, wenigstens lief ich nicht Gefahr bei einem Flirt mit diesem Eisklotz erwischt zu werden ... 3 "Ist das deine größte Sorge?" Sango sah mich spöttisch an, denn sie kannte mich lange genug, um mir an der Nasenspitze ansehen zu können, wann ich am verwundbarsten war. Andererseits stand ich in meinen eigenen vier Zimmerwänden vor einem Spiegel und schimpfte so laut über die auseinanderklaffende Rückseite des cremefarbenen Cocktailkleides, dass es sogar meine Mutter eine Stadt weiter hören musste. "Das ist nicht witzig!", zeterte ich wie ein Rohrspatz. "Hilf mir lieber, statt dich über mich lustig zu machen. Ich bleibe hier, wenn dieser verflixte Reißverschluß nicht zugeht. Und glaube mir, ich habe damit das geringste Problem! Du weißt genauso gut wie ich, dass ich sonst nichts Passendes anzuziehen habe!" "Meinst du das jetzt im wortwörtlichen oder übertragenen Sinne?" Sango gluckste, und ich musste tief einatmen, um nicht zu versuchen, sie dafür in Grund und Boden zu starren. Das hatte die letzten Male schon nicht funktioniert, das war deprimierend genug. Ärgerlicherweise nahm sie mir mit drei Handgriffen die Hoffnung darauf, dem vermaledeiten Restaurantbesuch von der Schippe zu springen, nachdem mich bereits der gewünschte Magen-Darm-Infekt und die ausgefuchste Lungenentzündung schändlich im Stich gelassen hatten. Verflucht! Wann war mir der Traum aus Seide eigentlich um ein Haar zu eng geworden? Seit Kogas Hochzeit waren erst vier Jahre vergangen und ich hatte von der Torte aus Marzipan und Napolitains kaum die zwei Hochzeitsfigürchen - Rotkäppchen und der Schokoladenwolf - gesehen! Und wenn ich das Risiko in Kauf nehmen musste, meinem Chef auf heiligem Grund und Boden über den Weg zu laufen, wollte ich nicht wie unsere aus ihrem Fell platzende Hauskatze Kirara aussehen. "Hmpf." Ich zog abermals die Luft ein, dann zupfte ich den hellen Stoff, der mit Apfelblüten bestickt war, ein weiteres Mal in Form. Am Ende musste ich trotzdem einsehen, dass mein Brustkorb mehr Platz benötigte, also verabschiedete ich mich unter angestrengter Miene von den hübschen, praktischen Einlagekissen, die das Dekolleté nach oben geschoben hatten. Sango starrte mich an, als ob ich etwas Blasphemisches getan hätte. "Wenn du jetzt einen knackigen Weinkellner bekommst, wirst du dich für diesen Schachzug verabscheuen, Kagome!" "Vertrau mir. Das würde ich noch viel heftiger tun, sobald sich meine Garderobe vor seinen Augen in Luft auflöst." "Was du nicht sagst. Du wirst doch niemanden mit ernsten Absichten kennen lernen wollen, oder?" Ich sah, wie ihre Mundwinkel hauchdünn nach oben wanderten, aber bevor ihr dämonisches Lächeln fertig ausgebrütet war, hatte ich schon abgewunken. "Ich dachte, dass mit meinen Beziehungen hätten wir seit dem Deal um meinen Fake-Freund geklärt. Ich bin einfach nur froh, wenn der Abend ohne eine Katastrophe zu Ende geht. Das ist alles!" "Ach komm, was soll denn Grauenhaftes passieren?" Sango schob mich beiseite, um ihr mit Reispuder bestäubtes Gesicht im Spiegel zu betrachten. Erst spitzte sie die erdbeerroten Lippen, dann sah ich dabei zu, wie sie ihre frisch manikürten Fingernägel an den Hals legte und unsichtbare Falten glatt zog. "Wir werden beide einen wunderbaren Abend verbringen", sprach sie mir Mut zu, bevor sie an mir vorbei griff und einen schwarzen Mascara von der beistehenden Kommode angelte. "Ich werde Mirokus Aufmerksamkeit genießen, einige Komplimente erhalten und bevor er ahnt, worauf er sich mit mir eingelassen hat, wird er mich darum anflehen, die Mutter seiner Kinder zu werden." Wie bitte? "Ich dachte, das war bereits seine allererste Frage, als du ihm aus Versehen die Tür an den Kopf geschlagen hast?" "Papperlapapp, in dem Moment wusste er doch nicht, was er sagt." Ich runzelte skeptisch die Stirn, ehe ich stillschweigend beobachtete, wie Sango das Bürstchen in einer Wellenbewegung durch die Wimpern zog und noch etwas hübscher wurde. Es tat mir fast leid, dass ich ihr bevorstehendes Rendezvous mit untrüglichen Bauchschmerzen betrachtete: Ihre Wangen glühten vor himmlischer Aufregung, und der Schwarzhaarige vom Foto schien genug Eindruck auf sie gemacht zu haben, um noch ein viertes Mal den Concealer in Erwägung zu ziehen. "Das hast du doch gar nicht nötig", versetzte ich empört. "Aber es wäre eine Schande, wenn er munterer aussieht als ich, obwohl ich den halben Tag schlafen konnte." "Das Licht wird wie überall gedimmt sein, Sango." "Ja, aber es könnte sich unvorteilhaft im Wasserglas spiegeln." "Das... das ist doch absurd", lachte ich hölzern. Was war denn das für eine Behauptung? Licht, Glas, Spiegelung. "Nun wirst du albern. Als Nächstes erzählst du mir noch, dass Rattenfell feuerbeständig ist!" "Kein Risiko eingehen, wie mein Mitarbeiter Shippou immer zu sagen pflegt", tippte mir Sango mit der Fingerspitze auf die Nase, bevor sie in einer federweichen und dezenten Duftwolke auf dem einzigen Stuhl niedersank, auf dem sich kein Sammelsurium an Kleidern, Blusen und Accessoires ausgebreitet hatte. Mir grauste es immer noch, wenn ich daran dachte, mit welcher Akribie sie mich dazu aufgefordert hatte, endlich eine Entscheidung zu treffen. Meine Schwindelei, wahrscheinlich in wenigen Stunden meine Tage zu bekommen und dann eine dicke, flauschige Wärmflasche zu benötigen, hatte sie mit einem unversöhnlichen Blick und drei Tabletten zum Schweigen gebracht. "Wie auch immer", ergab ich mich seufzend meinem Schicksal. "Der Plan ist immer noch der gleiche?" "Natürlich." Nun ja, es war einen letzten Versuch wert gewesen, meinen Hals zu retten. "Dann lass uns zum Taxi gehen, bevor die Zeit lernt, rückwärts zu laufen." "Hast du deine Schlüssel?" "Schlüssel?", fragte ich verwirrt. "Was sonst?", grinste Sango verschmitzt und erhob sich mit dem Stolz einer Jägerin vor meiner Nase. "Man weiß doch nie, wo der Abend endet, oder?" Wenn es so weitergeht? In der Hölle, dachte ich, aber ich biss mir auf die Zunge, ehe sich irgendeine höhere Macht dazu berufen fühlte, mich dorthin zu schicken. An einem solchen Ort würde ich sowieso nur meine alte Arbeitgeberin, die Fürstin, wieder treffen - und wenn ich mir etwas an diesem Montag erhoffte, dann dass mir die gesamte dämonische Familie Sesshoumarus erspart bleiben mochte! "Ich packe sie ein", erwiderte ich. "Lass uns nur ein Zeichen ausmachen, sobald eine von uns den Abend ohne die Andere fortsetzen möchte, ja?" 4 Im Ernst! Das war wirklich das Lächerlichste, was ich in einer langen Reihe an absurden, grotesken und lebensmüden Dingen getan hatte. Ich war dreißig und saß wie ein unartiges, kleines Mädchen auf einem Stuhl, der meinen Gehaltscheck schallend auslachte, während ich mich hinter einer mit Goldfäden besäumten Speisekarte duckte, um nicht beim Lauschen ertappt zu werden. Nun, nicht dass es bereits etwas Aufsehenerregendes mit anzuhören gab. Miroku, der einen maßgeschneiderten Anzug mit farblich passendem Einstecktuch trug, scherzte drei Tische weiter mit der schwarzhaarigen Kellnerin, die seine Freundlichkeit mit einem frostigen, reservierten Lächeln vergolt und sich viel Besseres vorzustellen schien, als Sango die Weinkarte und sämtliche Spezialitäten des Hauses zu erklären. Ich hatte zwar damit gerechnet, Qualen ausstehen zu müssen, doch gähnende Langeweile war mir dabei nicht in den Sinn gekommen. Eher ein Drama, fliegende Teller und vor Wut gerötete Wangen, während mein Chef aus dem Nichts heraus mein Einstellungsdatum rekonstruierte und Sango damit noch weiter aus der Fassung brachte. Aber es war still. Sogar mucksmäuschen-langweilig-kein-Chef-in-Sicht-besinnlich-still. In meinem Rücken plätscherte lediglich ein Zierbrunnen und so weit ich es überblicken konnte, waren die Blumenbouqets auf den perfekt dekorierten Tischen mit jeder Minute schöner anzusehen, als für meine Angewohnheit eine herausgeschlüpfte Haarsträhne an ihren Platz zu verbannen, gut sein konnte. Wenn das so weiterging, würde ich darauf achten müssen, keines der extra durch ein Glätteisen gezogenen, frisch gelockten Biester neben dem Serviettenring vorzufinden. Überhaupt, wie hatten sie das hinbekommen? Auf dem silbernen Reif waren hauchdünne Schwerter zu sehen, doch sobald man ihn um die eigene Achse drehte, wurden sie zu Schmetterlingen. Lag das an dem gedämpften Licht, das sich in den Kristallleuchtern über meinem Kopf spiegelte? Oder war es eine dämonische Spielerei? Mir fröstelte etwas bei dem Gedanken daran, und so zog ich die Speisekarte rasch über den Rand meiner Nase, um meine Befürchtungen dahinter zu zügeln. Wenn sich jemand gruseln sollte, dann war das schließlich mein Portemonnaie. Unglaublich, dass ich nicht daran gedacht hatte, Sango an dieser Stelle in die Pflicht zu nehmen. Da sich der Abend nicht gerade zu einer Katastrophe aufzuplustern schien, würde ich in den nächsten Stunden wahrscheinlich bei einem Glas Wasser verbleiben müssen. Alles Andere konnte doch niemand bezahlen, ohne vorher mit einem Höllenschwert bewaffnet eine Bank zu überfallen! "He", schnalzte es da neben mir. Was? Ich schob die Karte einige Millimeter tiefer, um ungehindert nach oben zu schielen. Der Schatten war unverkennbar: Mein persönlicher Oberkellner. Ein schlaksiger Grauhaariger, der eine grüngestreifte Krawatte trug und mich aus großen, griesgrämigen Augen anstarrte, da er bestimmt zehn Meilen gegen den Wind witterte, wie es um meinen Reichtum bestellt war. Er sah unkonventioneller aus, als ich einen Angestellten in einem Restaurant vermutet hätte, dessen astronomische Preise fast von der Karte verschwanden, um Gäste wie mich nicht in Tränen ausbrechen zu lassen. "Eine Aufmerksamkeit des Hauses", brachte er jedoch zu meiner Überraschung vor, dann hielt er mir ein Tablett hin, das an den Rändern mit stilisierten Orochi verziert war. Wow. Ein Glückskeks, den man mit Blattgold überzogen hatte? Das sprengte alle Grenzen der Dekadenz. "Vielen Dank", erwiderte ich und hob das Gebäck mit spitzen Fingern an - sehr zu seinem Missfallen, denn er hätte es mir wohl mit seiner aus dem Revers befreiten Zange übergeben sollen. Oh. "Das nächste Mal", lächelte ich schief und zählte die Sekunden, bevor er das bedrohliche Instrument wieder versteckte. Nachdem wir uns weiter angestarrt hatten, entschied er zu meinem Gunsten, dass ich immer noch nicht weiter als bis zum ersten Wasserglas gekommen war. "Rufen Sie mich, sollten Sie etwas benötigen. Es wird mir eine Freude sein." Ja, genauso sah er für mich auch aus, als er sich durch die zwei dünnen Bartenden fuhr. Ich nickte ihm hinterher, dann stierte ich auf die knusprige, süße Backware: Das war auch eine fürchterliche Angewohnheit von mir. Ich konnte meine Neugierde nur beherrschen, wenn mir das Pech bereits die Hand schüttelte. Aber was sollte an einem Glückskeks gefährlich sein? Akkurat brach ich das gute Stück in zwei Hälften, schob mit dem Handrücken einige hinabgerieselte Krümelchen zum Tellerrand und zog den schmalen Zettel heraus. Eine unabänderliche Situation sollte man sich stets zum Freund machen. Na toll. Der Oberkellner hatte mir keinen Glücks-, sondern einen Scherzkeks gegeben. Mir würde es in der Praxis bestimmt helfen, sobald alle darüber kicherten, weil mein Lügenmärchen entlarvt wurde. Wie witzig. Ich zog eine Grimasse, die mein Gesicht alles Andere als vorteilhaft wirken ließ, dann fiel ein zweites Mal ein Schatten auf mich und ohne weiter darüber nachzudenken, hielt ich den Zettel gleich wieder wedelnd nach oben. "Sind Sie so freundlich und nehmen das mit?", murmelte ich grätig. "Diese Weisheit ist an mir leider völlig verschwendet." "Tatsächlich? Sie könnten es mit meinem Präsent versuchen. Mir wurde eine überraschend angenehme Begegnung versprochen, obwohl ich geplant hatte, allein zu Abend zu essen." Oh Gott. Ich starrte wie gerädert ins Nichts, dann wanderte mein Blick im Schneckentempo nach oben und fuhr die Konturen des Fremden ab. Bereits das Paisley-Muster der locker gebundenen, stahlblauen Krawatte brachte mich dazu, noch ein Stückchen tiefer im Erdboden zu versinken. Das war definitiv nicht die kratzige Stimme des Kellners, sondern... - - - - - - - Hör auf den Glückskeks, Kagome! Kapitel #3, "Toutousai", folgt in Kürze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)