Wer wir waren von Jaelaki (Seto & Joey | Puppyshipping) ================================================================================ Kapitel 1: Plötzlich vor ihm ---------------------------- Nach all den Jahren, in denen er kein einziges Mal an ihn gedacht hat, steht er plötzlich vor ihm und alles ist wieder da. Ausgerechnet hier. Es schneit nicht, wie es in einem schlechten Film getan hätte, stattdessen strömt der Regen herab und prasselt auf seinen Schirm. Joseph Wheeler erstarrt ein paar Meter vor ihm und betrachtet ihn, als sei er ein fleischfressender Schneemann mitten in einer Pfütze. »Was machst du hier?«, fragt er überrascht und Seto Kaiba überlegt nicht zum ersten Mal, ob Wheeler tatsächlich dermaßen kognitiv limitiert ist, wie es seine Worte vermuten lassen, oder ob er diese Fragen stellt, um ihn zu provozieren. Ganz bewusst. Weil er schon immer die zweifelhafte Fähigkeit besessen hat, ihn dort zu packen, wo es ihn besonders reizt. In jedem Sinne, spöttelt eine Stimme in seinem Kopf. »Das, was Menschen auf Friedhöfen machen, solange sie noch nicht tot sind.« Wheeler schaut ihn an, als wisse er nicht, ob er lachen darf – oder schon wieder kann. Dann schaut er weg, mustert etwas auf dem Boden, knapp vor seinen Sneakers, die inzwischen völlig durchweicht sein dürften. Die Regentropfen laufen sein Haar hinab und perlen von den Strähnen in sein Gesicht. Einen Moment lang ist er versucht, ihm die Tropfen von der Wange zu wischen, aber Seto Kaiba gibt keinem so niederen Bedürfnis nach. Er ist kein Schwächling, der sich von Emotionalität einwickeln und durch das Leben jagen lässt. Seine Handlungen und seine Entscheidungen unterliegen stets einer Rationalität, auf die er insgeheim unheimlich stolz ist. Feigling, schnarrt die Stimme. Er hält einige Schritte vor ihm, gerade weit genug, dass Wheeler im Regen steht und nicht in die Versuchung gerät, sich mit unter den Schirm zu stellen. Kaiba beobachtet, wie Wheelers Blick über das frisch aufgeschüttete Grab fliegt, als habe er Angst, das Bild würde sich in seinen Kopf fräsen und ihn nie wieder loslassen. Als könne er die Wirklichkeit austricksen, wenn er nur nicht zulassen würde, sie als solche anzuerkennen. Dabei ist das belanglos. Kaiba weiß das. Das Grab seiner Eltern blitzt in seinen Gedanken auf, aber er schiebt die Bilder zur Seite, wie er es schon seit Jahren, fast sein ganzes Leben lang, getan hat. Er betrachtet Wheeler und überlegt, ob er betet oder einfach nur ins Leere starrt – und ob das überhaupt einen Unterschied macht. »Ich kann nicht zurück«, murmelt Wheeler irgendwann und das Prasseln des Regens nimmt die Worte mit. »Ich habe das Gefühl, dass er jeden Moment durch die Tür kommt, wenn ich zu Hause bin.« Aber es kommt niemand. Der Regen trägt die Worte zu ihm und sie pochen in seinen Ohren, weil er sie so oft gespürt hat. Stattdessen wartet man, hofft und wird enttäuscht. Immer und immer wieder. Bis man irgendwann resigniert die Realität annimmt – oder daran zugrunde geht. Seto Kaiba sagt sich, dass es nichts mit Empathie zu tun hat, als er vor seiner Wohnungstür stehen bleibt. »Oh, krass. So Gesichtserkennung und so?«, ruft Wheeler hinter ihm und er spürt, wie der sich zu ihm lehnt und er tritt hastig in den Flur. Nicht hastig. Zügig. Effizient. Weil es regnet. Die Stimme gackert. Kaiba redet sich ein, dass es absolut rational vertretbar ist, eine Person nicht im strömenden Regen auf sich gestellt zurückzulassen. Unterlassene Hilfeleistung geistert durch seine Gedanken. Eine innere Stimme lacht ihn aus. Eine andere schweigt. Er weiß nicht, was besser ist. »Danke, Alter«, sagt Wheeler, während er seine Schuhe auszieht und in feuchten Socken und durchnässter Kleidung in seinem Flur steht. Wheeler schaut sich planlos um, beißt auf seiner Unterlippe herum und überlegt offensichtlich, wie er es schafft, keine Pfotenabdrücke auf dem teuren Parkett zu hinterlassen. »Du siehst aus wie ein begossener Hund.« Er wartet auf das Funkeln in den Augen, das Lodern, das er ihm geschenkt hat, sobald die Worte zwischen ihnen gesprüht haben. Stattdessen wirft Wheeler ihm einen verlegenen Blick zu. »Ja, sorry. Ich will echt nichts volltropfen.« Vor ein paar Jahren hätte er ohne zu zögern einen zweideutigen Spruch losgelassen. Wheeler tritt von einem Fuß auf den anderen und er redet sich ein, dass er keine Enttäuschung verspürt, als nichts Dergleichen folgt. Seto Kaiba redet sich ein, dass es keine große Sache ist, als er Wheeler einen Pullover und eine Jogginghose in die Arme drückt. Er fragt sich, wie einfach es wäre, zu ihm zu gehen, ihn zu berühren, seine Strähnen aus der Stirn zu streichen und mit seinen Lippen über die feuchte Haut zu streifen. Ob er ihn von sich stoßen würde? Ob er überrascht wäre? »Hey, sind das nicht noch meine –« »Du kannst dich im Bad –«, unterbricht er Wheelers Geplapper und schluckt den restlichen Satz herunter, weil sich Wheeler bereits den nassen Pullover über den Kopf zieht und plötzlich halbnackt im Gang steht. »Danke«, sagt er ungeniert und Seto Kaiba fragt sich, seit wann er sich bei ihm bedankt. Ob das eine irritierende Höflichkeit ist, die aus ihrer Entfremdung resultiert oder aus Wheelers Bedürfnis, seine Planlosigkeit zu kaschieren. Er beobachtet, wie sich Wheeler die schmerzhaft vertrauten Sachen überstreift. Ob er immer noch so schmeckt, wie damals. Nach all den Jahren, in denen er kein einziges Mal an ihn gedacht hat, ist er ihm plötzlich wieder so nah und alles, was er gedacht hat, vergessen zu haben, kommt schlagartig zurück. »Wo warst du?«, will er ihn fragen, aber tut es nicht, weil es ihn nichts mehr angeht. Ausrede, zischt diese nervige Stimme, die immer mehr wie Wheeler klingt. »Boah, wie krass. Mokuba ist ja so was von erwachsen geworden.« Nur Wheeler besitzt die Unverschämtheit in einer fremden Wohnung umherzustreifen und einfach ein Bild aus dem Regal zu nehmen und zu befingern. Kaiba will es ihm aus der Hand reißen, aber kämpft gegen den Zorn, den er immer irgendwann verspürt, wenn ihm Wheeler zu nahekommt. »Wie alt ist er jetzt eigentlich?« Wheeler verzieht sein Gesicht, wahrscheinlich, weil für ihn jegliche Grundrechenart höchste Anstrengung bedeutet. Dabei war es eine simple Rechnung. Plus die Jahre, seit denen Wheeler verschwunden ist. »Sechsundzwanzig?« »Siebenundzwanzig«, korrigiert Kaiba ihn scharf. Wheeler nickt gedankenverloren, während er das Bild zurück in das Regal stellt. Es ist wahrscheinlich das Einzige, dem in der ganzen Wohnung etwas Persönliches anhaftet. Aber das ist nichts Neues. Mokuba ist schon immer die Ausnahme in Seto Kaibas Leben gewesen. »Weißt du, er hätte sich kaputtgelacht«, flüstert Wheeler. Sein Name ist ein Tabu. »Dass wir uns ausgerechnet an seinem – also – dort wiedertreffen. Eigentlich war es überhaupt wegen ihm, dass wir –« »Wheeler«, unterbricht er ihn harsch, »du kannst im Gästezimmer schlafen. Solltest du noch etwas brauchen, dann warte, bis du wieder aus meiner Wohnung verschwunden bist und besorge es dir irgendwo außerhalb meiner Reichweite.« Nur Wheeler besitzt die unglaublich nervenaufreibende Art, ihn nach einer solchen Zurechtweisung schief anzugrinsen. Als habe er irgendeinen lahmen Witz erzählt und die Pointe versaut. Als habe Wheeler den Witz schon gekannt und nur um seinetwillen gelächelt. Ohne ein weiteres Wort, erhebt sich Kaiba und lässt Wheeler auf dem Sofa zurück. Er weiß nicht, ob er die Worte, die ihm schon, immer noch, wieder auf der Zunge liegen, geflüstert oder gebrüllt hätte. Er will es nicht herausfinden. Weil du ein Feigling bist, zischelt die Stimme. Später liegt er im Bett und starrte die Schatten an der Zimmerdecke an. Er zählt ihre Beine, Arme und Flügel, während er sich einredet, wegen des Stresses in der Firma nicht einschlafen zu können. Lügner, kichert die Stimme. Als sich die Tür scharrend öffnet, wendet er seinen Blick nicht von der Decke. Weil er vielleicht hofft, dass Wheeler nicht denselben Fehler zweimal begehen würde. »Kaiba?«, flüstert er. »Schläfst du schon?« Natürlich lernt Wheeler nichts aus Fehlern. »Ja«, antwortet er der Zimmerdecke. Nach all den Jahren, in denen er kein einziges Mal an ihn gedacht hat, steht er plötzlich dort und alles ist wieder da. Jede Berührung, wie er über seine Wange, sein Schlüsselbein, seinen Bauch gestreichelt hat; jeder Atemzug, dem er mitten in der Dunkelheit der Nacht lauschte, weil er nicht begreifen konnte, dass sie beide wirklich hier lagen; jedes geflüsterte Wort, jeden anvertrauten Gedanken, jeden Traum. »Also«, murmelt Wheeler und er hört, wie er von einem Fuß auf den anderen tritt, als würde er schon zu ihm schleichen wollen, aber sich zurückhalten. Die Worte formen sich auf seiner Zunge, aber er schluckt sie herunter. Die Frage, die er nicht stellen will, verpufft irgendwo zwischen seinen Lippen. Du bist ein Idiot, sagt die Stimme nüchtern. Die Decke raschelt, als er sie zurückschlägt und er lauscht Wheelers nackten Füßen auf dem Parkett, spürt das Gewicht auf der Matratze, wie sie sich senkt und fühlt dann die Wärme. Er atmet tief ein und aus und den Duft Wheelers, der ihm so vertraut ist wie sein eigener. »Seto«, flüstert Wheeler in sein Ohr. Und legt dann seine Stirn an seine Schulter. Seto Kaiba vergisst einige Momente zu atmen. Wheelers Nähe schnürt ihm die Luft ab. Wie eine zu feste Umarmung. Als tauche er unter in die Vergangenheit, wie unter Wasser. Jede Erinnerung überschwemmt ihn. Wheelers Sturheit. Wheelers große Klappe. Wheelers Kampfgeist. Wheelers Lachen. Wheelers Blick. Joeys Nähe. Er dreht sich auf die Seite, zu ihm und schaut ihn stumm an. »Seto«, haucht Joey und da ist dieser Ton in seiner Stimme, der Versprechen flüstert, ohne es in Worten auszudrücken. Er lehnt sich zu ihm, spürt die Haut auf seiner, die Lippen gegen die eigenen gepresst, berührt und hält ihn und in diesem einen Augenblick ist alles komplett. Als könnte er endlich das Bild erkennen, das all die Puzzleteile zusammen ergeben. Sie könnten nochmals von vorne anfangen, die Vergangenheit vergangen sein lassen, vergeben und verzeihen und endlich glücklich sein. Er öffnet den Mund, um Joey zu fragen, ob er dieses Bild ebenso sieht, aber er schweigt. Feigling, säuselt die Stimme, während er ihn berührt, berührt wird und im Augenblick zerschmilzt. Sie leben vor sich her. Er fragt nicht, was Joey in den letzten Jahren getan hat, was er plant zu tun und Joey stellt keine Gegenfrage. Vielleicht sieht so Glück aus, überlegt er. Dieses Nicht-Wissen, Nicht-Erwarten, Nicht-Planen. Vielleicht funktionieren sie nur so, ohne dass ihr Puzzle in alle Teile auseinanderbricht. Aber Wheeler scheint das nicht zu begreifen. Wheeler hat nie begriffen, dass Worte mehr zerstörten als zu schweigen. »Ich habe dich oft vermisst, weißt du?«, sagt er an einem Morgen, sitzt am Tisch und schaufelt Cornflakes in sich hinein, während Seto in seine leere Kaffeetasse starrt. Er fragt sich, seit wann es in seiner Küche Cornflakes gibt und welche Auswüchse die Inkompetenz Wheelers noch annehmen könnte. Ob er bewusst ihr Glück aufs Spiel setzte. »Wo warst du?« Er spürt, wie Joey erstarrt. Nach all den Jahren, in denen er kein einziges Mal an ihn gedacht hat, sitzt er plötzlich dort und alles ist wieder da. Seine Präsenz füllt den Raum, als wäre er nie weggewesen. Jeder Vorwurf, jede Ausrede, jedes Wort, das ihn zur Explosion getrieben hat, jeder Blick voller Enttäuschung, jeder Kommentar, der ihn dazu getrieben hatte, in Wheelers Wunden zu bohren, jedes ratlose Schweigen, jedes resignierte Ignorieren, jeder Zweifel. »Was meinst du?«, fragt Wheeler und ballt seine Hand um den Löffel. Seto hört, wie er seine Zähne kaum auseinanderbekommt. »Warum bist du nie zurückgekommen?«, fragt er und ignoriert das letzte Zischen der Kaffeemaschine. Wheeler atmet ein. Und aus. Seto beobachtet, wie er seine Stirn kräuselt und die Lippen aufeinanderpresst. Er kennt diese Mimik, hat sie schon so oft gesehen, dass er weiß, Wheeler würde als nächstes seine Augen schließen in dem vergeblichen Versuch, sich zu kontrollieren. »Warum hast du mich nie angerufen? Warum hast du mir nie gesagt, dass ich wiederkommen soll?«, presst er zwischen seinen Lippen hindurch, schließt die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust. Seto Kaiba sieht es schon vor sich. Er weiß, welche Worte er sagen muss, um Wheeler zum Explodieren zu bringen. Das hat er schon immer gewusst. In seinem Kopf drängt ihn eine Stimme, die Worte endlich zu sagen. Eine andere warnt ihn. Tu es endlich, flüstert die erste, immer lauter, bis sein Kopf pocht. Er presst die Finger gegen seine Schläfen und zählt gedanklich bis zehn. Dann fünfzehn. Aber die Frage lässt ihn nicht los. »Warum bist du gegangen?«, stolpert über seine Lippen und er weiß in diesem Moment, ihr Augenblick ist unumkehrbar vergangen. Wheeler erbleicht, dann steigt Wut in seine Wangen. »Du hast gesagt, ich soll gehen, du Dreckssack!«, bricht aus ihm heraus. »Weil du gehen wolltest!«, poltert er. »Glaubst du, ich halte dich zurück, wenn dich hier nichts mehr hält?« »Ich wäre hiergeblieben, wenn du es gewollt hättest!«, brüllt Wheeler. »Wenn du nicht selbst bleiben willst, kann ich darauf verzichten«, zischte er. Er wird nicht laut in seiner Wut, sondern leiser. Die Silben der Worte scharf wie Messer und kalt wie Metall in einer Winternacht. Wheeler schaut ihn einen Moment an, schweigt, schluckt, schüttelt den Kopf. »Arschloch«, sagt er nur, erhebt sich und dreht sich um, poltert durch den Gang und reißt seine zerfledderte Jacke von der Garderobe. Nach all den Jahren schaut er ihm nach und fragt sich, ob er ihn dieses Mal aufhalten soll.   [Fortsetzung folgt ...]     Frage des Kapitels: Seid ihr auf Setos oder Joeys Seite bisher? 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