Der Sieben-Federn-Fluch von Augurey ================================================================================ Prolog: Unerwarteter Besuch --------------------------- Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste nicht was, doch ich spürte es intuitiv. Schon als ich die Augen aufschlug und mir eine Woge warmer Luft um die Nase wehte. Ein Luftzug in einem Zimmer, dessen Fenster verriegelt waren. Doch vielleicht entsprang der Wind nur einem meiner wirren Träume? In letzter Zeit war ich sehr produktiv gewesen. Ein bisschen zu sehr vielleicht. Denn meine Ideen und Charaktere, wenn auch nur geliehen, verfolgten mich schon in meine Träume. Manchmal kamen sie mir fast wie reale Menschen vor, die neben mir standen und mir über die Schulter schauten, wenn ich ihre Geschichten in die Tasten haute. Die allzu rege Fantasie einer Hobbyautorin. Schlaftrunken drehte ich den Kopf zur Seite und blickte mich um, suchte die Quelle des unerwarteten Lüftchens. Im fahlen Schein des Anzeigelichts meines Digitalweckers sah ich verschwommen die Schemen meines Schlafzimmers um mich. Nichts schien ungewöhnlich. In den Regalen ringsumher reihten sich die Bücher – Rücken an Rücken, wie es sich gehörte. Kein Wälzer flog durch die Luft. Kein Monster rumpelte in meinem Kleiderschrank. Keine Vinylscheibe drehte sich ohne mein Zutun auf dem Plattenspieler und erfüllte den Raum mit unheimlichen Tönen. Der Fernsehbildschirm war schwarz und der Monitor tat es ihm gleich. Mein Schlafzimmer sah aus wie in jeder Nacht, sobald ich das Licht gelöscht hatte und zu Bett gegangen war. Und doch: Woher kam dieser warme Luftzug? Hatte ich vergessen, die Heizung auszustellen? Und wenn es nur die Heizung war, warum packte mich auf einmal dieses mulmige Gefühl. Dieses Gefühl, nicht in meinem Schlafzimmer zu sein, sondern in einem Raum hoch oben in einem alten Turm, abgeschnitten vom Rest der Welt? Ich hob meine Beine aus dem Bett, wollte zum Lichtschalter laufen. Doch ich hatte ihn noch nicht erreicht, als mir auf einmal etwas ins Auge stach. Etwas auf dem Boden, den ich zuvor nicht beachtet hatte. Unscheinbar wie eh und je lag es vor meinen Füßen und zog doch meine ganze Aufmerksamkeit auf sich: Mein Notizheft. Jenes kleine, karierte Büchlein, in dem ich all meine Ideen für Geschichten festhielt. Jenes kleine, karierte Büchlein, das von meinem Schreibtisch herabgefallen sein musste, wo es normalerweise die Nacht über lag. Die Seiten blätterten sich wie wild hin und her, als würde der Wind damit spielen. Ich runzelte die Stirn. Wie eigenartig! Gewiss spürte auch ich den warmen Luftstrom an meinen blanken Füßen. Doch war er nur ein Hauch, ein Lüftchen, kein Sturm, der ein solch wildes Seitenrascheln erklären könnte. Etwas sehr Merkwürdiges war hier im Gange, fast etwas Magisches. Verwundert beugte ich mich hinab und streckte meine Hand nach den karierten Seiten aus. Ich wollte mein Notizbuch nur aufheben. Doch kaum berührte meine Fingerspitze das Papier - da passierte es. Ein grünes Licht. Direkt hinter mir. Es blitzte auf, rauschte durch mein Zimmer. Ich war noch dabei mich umzudrehen, als ein Wind aus heißer Luft, viel stärker als der warme Strom zuvor, durch meine Haare fegte. Gerade noch sah ich aus den Augenwinkeln, wie es die eiserne Klappe zum Schornsteinschacht hinfort riss. Und dann: Flammen! Grüne Flammen schlugen empor! Angstvoll krallte ich meine Finger in mein Notizbuch. Taumelte rückwärts, drängte mich an den Schreibtisch. Da trat aus den Flammen eine Gestalt hervor. Eine Gestalt in einer langen, schwarzen Kutte, die Kapuze über den Kopf gezogen. Zögerlich trat sie ins Zimmer. Mit jedem ihrer Schritte stockte mir der Atem mehr und mehr. In der Mitte des Raumes blieb sie stehen, schien sich umzublicken. „Das ist nicht Hörsaal 7 ½ der Merlin Akademie“, erklang eine ärgerliche, ölige Männerstimme. Ich wagte nicht zu antworten. Der Anblick des Mannes ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Wer war er? Und wie in Teufels Namen kam er in mein Zimmer? Im grünen Schimmer des erlöschenden Feuers sah ich schattenhaft, wie er einen länglichen Gegenstand unter der Kutte hervorzog und auf meine Zimmerdecke deutete. Eine Sekunde später leuchteten die Birnen meiner Deckenlampe auf. Dann drehte der Mann sich um, so dass Licht auf sein Gesicht fiel. Und hatten sich meine Finger gerade noch angstvoll in das Holz meines Schreibtischs zu krallen versucht, so ließ ich die Platte jetzt schlagartig los. Mit offenem Mund und aufgerissenen Augen starrte ich den Mann an. Unter der Kapuze schaute ein blasses Gesicht hervor. Ein blasses, längliches Gesicht mit einer großen Hakennase und dunklen, kalten Augen, über die Strähnen fettigen, schwarzen Haares fielen. „Severus Snape!“, rief ich voller Überraschung und ließ mein Notizbuch fallen, auf dem zufällig gerade eine meiner Ideen für eine Geschichte über ihn aufgeschlagen war. Doch Snape schien mich nicht wahrzunehmen. Ja, er behandelte mich wie Luft. Dass ich tatsächlich so etwas wie Luft für ihn sein musste und es nicht nur pure Ignoranz war, wusste ich, als er im nächsten Moment auf meinem Bett niedersank und die Hände im schwarzen Haar vergrub. Eine Geste, die sich Severus Snape niemals vor fremden Augen erlauben würde. Ich runzelte die Stirn. Wie konnte es sein, dass ich in meinem eigenen Zimmer unsichtbar war? Aber wo Romanfiguren mir nichts dir nichts durch den Schornsteinschacht hereinspazierten, gehörte wohl auch dies zur Normalität. „Verdammt. Da will man sich einmal, nur einmal heimlich einen Vortrag von Dumbledore anhören und dann geschieht gleich sowas“, keuchte Snape, „Verhaspelt und in irgendeinem Schlafzimmer von wer weiß wem gelandet und noch nicht mal Flohpulver da, um hier wieder weg zu kommen!“ Er presste die Augen zusammen, als bestehe die Welt aus Ungerechtigkeiten über Ungerechtigkeiten. Und erst jetzt fiel mir auf, dass er viel jünger wirkte als ich mir Severus Snape immer vorgestellt hatte. Eher wie Mitte Zwanzig als Mitte Dreißig. Merkwürdig! Damit war er ja genauso alt wie in meiner Geschichte, die sich seiner Jahre zwischen Lilys Tod und Harrys erstem Schuljahr widmen sollte. Noch zerbrach ich mir den Kopf über diese Absonderlichkeit, als ich plötzlich aus dem Augenwinkel etwas erhaschte. Ein erneuter Windstoß fegte durch die Seiten des Notizbuchs, blätterte sie um. Den Bruchteil einer Sekunde später loderte im schwarzen Schornsteinschacht wieder grünes Feuer auf. Reflexartig wich ich vom Schacht zurück, bis ich an der anderen Seite des Zimmers stand, direkt vor dem Fenster. Severus Snape blickte auf. Durch die Öffnung schob sich ungelenk ein korpulenter Mann in den Raum, hustete, klopfte sich Ruß und Asche vom Mantel. Ich rätselte noch, wer dies nun wieder war, als Snapes ungläubige Stimme wie ein Pfeil durchs Zimmer schoss. „Professor Slughorn?“ Der Mann blickte auf und schien Snape erst jetzt zu bemerken. Dann von einer Sekunde auf die andere weiteren sich seine Augen wie von großer Überraschung gepackt. „Du meine Güte, sind Sie das, Severus?“ „Ja“, antwortete Snape und beäugte Slughorn skeptisch. „Bei Merlin. Sie sind ja ganz schön gewachsen. Und das von einer Sekunde auf die andere. Ich muss wohl träumen. Gerade noch ein Zwölfjähriger und jetzt ein junger Mann.“ Nun runzelte Snape die Stirn. „Wenn Sie träumen, tue ich es auch, Professor. Ich bin so real wie Sie.“ Horace Slughorn starrte ihn an, sichtlich irritiert. „Na, hier scheint mir aber sehr sonderbare Magie im Spiel zu sein“, stammelte er ungläubig. „Offensichtlich“, bemerkte Snape kühl. „Nun, wie auch immer“, fuhr Slughorn fort, versuchend, sich zu fassen, „Mein herzliches Beileid zum Tod Ihrer Eltern.“ „Danke“, sagte Snape und nun war er es, der ein wenig verwundert wirkte, „Wenn auch ein paar Jahre zu spät“. „Ja, das kann man wohl sagen“, bemerkte Slughorn und musterte Snape geistesabwesend. Dann schüttelte er den Kopf und atmete tief ein. „Eigentlich wollte ich ja zu Professor Dumbledore, den Fall mit ihm besprechen“, fuhr er fort und schaute sich nervös im Zimmer um, „Aber dies scheint mir nicht sein Büro zu sein. Ich hoffe, ich bin nicht in seinem Schlafzimmer gelandet. Das wäre mir sehr peinlich.“ „Welchen Fall?“, fragte Snape und hob die Augenbraue. „Na den Fall Ihrer Vormundschaft“, erklärte Slughorn beiläufig, während er meinen Bücherschrank inspizierte. „Meiner was bitte?!?“ Snape stand auf. In seinem Gesicht spiegelte sich tiefste Überraschung. Er schien nicht den blassesten Schimmer zu haben, wovon sein ehemaliger Hauslehrer sprach. Ich hingegen schon. Slughorns Worte kamen mir seltsam bekannt vor. „Na, Ihrer Vormundschaft, die Dumbledore übernehmen soll“, erklärte dieser auch prompt, „Sie werden sich doch wohl noch an unserer Gespräch erinnern, als Sie zwölf waren – oder wie alt Sie jetzt auch sein mögen. Haben Sie etwa heimlich Alterungstrank gebraut?“ „Nein, nicht im Geringsten!“ sagte Snape und die beiden Männer starrten sich einen Moment lang gegenseitig entgeistert an. Noch immer schien keiner von ihnen mich bemerkt zu haben. „Zumindest scheinen wir beide uns wohl auf dem Weg zu Dumbledore verirrt zu haben“, brach Snape schließlich das Schweigen. „Ach was!“, witzelte ‚Slughorn, „Sie etwa auch, Severus?“ „Ja“, knirschte Snape bedrückt, „Ich wollte eigentlich in die Merlin Akademie“ Slughorn schien ihm nicht zuzuhören. „Nun, ich hoffe unser Schulleiter hat seine Kaminaddresse nicht ge-“ Das Geräusch von knackendem Holz zerschnitt Slughorns Worte abrupt. Ich spürte, wie ich leicht zu frösteln begann, als ein heißer Wind durchs Zimmer wehte. Wieder bewegten sich die Seiten meines Notizbuchs, wurde eine neue aufgeschlagen. Slughorn wandte sich um, starrte zum Schornstein. „Du meine Güte, was geht denn hier vor sich?“, fragte er ahnungslos. „Vermutlich bekommen wir Besuch“, bemerkte Snape nüchtern. Und schon im nächsten Augenblick dröhnte Stimmengewirr aus dem Schornsteinschacht, der bald in grünem Licht aufloderte. „Meinst du, wir sind richtig, Al?“, drang eine noch sehr junge Stimme aus dem Schacht. Die Zweite klang schon etwas älter: „Würd mich wundern. Ins Zaubereiministerium kommt man nicht einfach so“ „Einen Versuch war es wert“, bemerkte eine Dritte – deutlich im Stimmbruch. „War klar, dass du das sagst, James“, meinte wieder die Zweite. Und noch während sie sprach, schob sich ein roter Haarschopf ins Zimmer, gefolgt vom rosigen Gesicht eines etwa elfjährigen Mädchens. Wer war nun wieder dieses Kind? Zuerst dachte ich an Lily Evans. Doch ihre Augen waren braun, nicht grün. Severus Snape musste es ähnlich ergangen sein, denn er war erbleicht, hatte sich reflexartig ans Herz gefasst, dann aber ausgeatmet und wieder auf meinem Bett Platz genommen. „Oh seht mal, wir sind in einem Schlafzimmer gelandet“, rief das Mädchen, während hinter ihr ein Junge mit wildem, dunklen Haar und grünen Augen aus dem Kaminschacht kletterte. „Wunderbar!“, keuchte ein Weiterer hinter ihnen, „dann kriegen ich und Al ja doch noch ein Gemeinsames.“ Der erste Junge wandte sich panisch um und sah zu wie der zweite - ein rothaariger, etwa um die vierzehn - feixend aus dem Schacht kletterte. „Mann, war doch nur Spaß, Al!“, rief dieser, als der andere sich noch immer nicht abwandte. Das Mädchen indessen erstarrte. Ihr Blick war auf Snape und Slughorn gefallen. Mir schenkte sie keine Beachtung. „Oh… oh… Verzeihen Sie. Wir wollten nicht stören. Wir haben uns nur verirrt“, stammelte sie aufgebracht und versuchte, die beiden Jungen schon wieder in den Schacht zurück zu drängen. „Was ist denn?“, fragte der jüngere der beiden Jungen hinter ihr. „Wir sind nicht allein“, flüsterte sie ihm zu. „Nicht allein?“, sagte der zweite Junge, „Lasst mich mal sehen!“ „Nicht!“, rief das Mädchen. Doch da hatte er die beiden schon zur Seite gestoßen. „He, schaut euch mal den Mann an“, sagte er plötzlich mit verwundert aufgerissenen Augen und deutete ungeniert auf Severus Snape, „Sieht der nicht fast so aus wie Severus Snape? Vielleicht ist das ein Sohn von ihm oder so und kann uns weiterhelfen, mehr über Snape heraus zu finden.“ „Allerdings werde ich ihnen weiterhelfen!“, donnerte Severus Snapes Stimme plötzlich durch den Raum. „Ich bin Severus Snape höchstpersönlich, Tränkemeister von Hogwarts“, Slughorn hob die Augenbrauen, putzte sich die Ohren und kratzte sich an der Schläfe, „Und damit Ihr Lehrer. Dürfte ich wohl bitte Ihre Namen erfahren, damit ich Ihrem Haus für diese Unverschämtheiten die angemessene Punktzahl abziehen kann?!?“ Das Mädchen stöhnte schwer. „Albus, James und Lily Potter“, ratterte sie herunter. „Albus, James und Lily Potter, soso“, wiederholte Snape höhnisch, „Sie kommen sich wohl sehr lustig damit vor, sich nach Hexen und Zauberern zu benennen, über die Sie vor ein paar Jahren jeden Tag in der Zeitung lesen konnten. Ihre echten Namen, wenn ich bitten darf!“ „Das sind unsere echten Namen“, beteuerte das Mädchen verzweifelt, „Ehrlich!“ Und anders als Snape wusste ich, dass sie die Wahrheit sagte. Harry Potters Kinders. Darum also hatte ich sie zunächst nicht erkannt. Ihr Auftritt in den Büchern hatte nur sieben Seiten in Anspruch genommen. Und zwei in meinem Notizbuch. Warum musste ich gerade jetzt daran denken? Wie war dieser merkwürdige Zufall zu erklären? „Ich kenne Sie nicht“, sagte Snape kühl. „Aber wir Sie!“, polterte Lily Luna los, „Sie hängen als Porträt im Schulleiterbüro. Sie haben im zweiten Voldemort-Krieg als Spion für den Phönixorden gearbeitet. Mein Bruder ist nach Ihnen benannt und Sie und Albus Dumbledore wussten irgendetwas, das uns vielleicht weiterhelfen kann.“ Snape starrte das Mädchen mit gerunzelter Stirne an. Und wenn ich seine Miene richtig deutete, so fragte er sich in diesem Moment wohl, ob er einen schlechten Zaubertrank getrunken hatte oder die Kinder. Slughorn neben ihm hatte sich inzwischen die Schläfe blutig gekratzt. Ich wollte mich gerade räuspern, als… Zschhht Wieder grünes Feuer, wieder heißer Wind in meinem Notizbuch. Wieder Stimmengewirr im Schornsteinschacht. Und eine dunkle Vorahnung überfiel mich, als ich auf einmal eine junge Frauenstimme rufen hörte: „Du hast genuschelt, Ron!“. Nur den Bruchteil einer Sekunde später folgte die Antwort: „Es war deine Idee übers Flohnetzwerk zu reisen, Hermine, also beschwer dich nicht.“ „Ja, weil es der schnellste Weg vom Grimmauldplatz aus war. Du weißt, dass wir in Hogwarts nicht apparieren können!“ Mehr an Beweisen brauchte es nicht. Jetzt war ich mir sicher. Die Seiten, die der Wind in meinem Notizbuch aufgeschlagen hatte, gehörten zu einem ganz bestimmten Sequel. Auch das noch! Ron und Hermine stiegen aus dem Schornsteinschacht. „Tante! Onkel!“, riefen drei Kinderstimmen im Chor – erschrocken, doch irgendwie auch fröhlich -, als die beiden Gesichter aus der Dunkelheit tauchten. Völlig verdattert tauschten die Angesprochenen ratlose Blicke. Fragezeichen standen in ihren Gesichtern geschrieben. Ob sie wohl auch darüber nachdachten, welchen Zaubertrank sie zuletzt getrunken hatten? Oder lag ihnen der Gedanke an einen Verwechslungszauber näher? Was immer ihnen auch durch den Kopf gegangen sein mag, sie hatten nicht lange Zeit, darüber nachzudenken. Plötzlich wurde es dunkel im Zimmer, als hätte jemand unbemerkt ein „Nox“ gezaubert - und kalt. Eisig kalt. So kalt, dass ich zu frieren begann, richtig zu frieren. Und wieder fegte ein Wind durchs Zimmer. Sturmwind, Nordwind, Schneewind. Etwas geschah. Etwas Unheimliches. Ich spürte es. Alle spürten es. Denn jedes Gespräch war augenblicklich verstummt und niemand rührte sich auch nur einen Millimeter. Wie die warme Briese zuvor fuhr auch dieser kalte Wind durch mein Notizbuch, riss die Seiten hin und her, bis er das Buch fallen ließ - wie leblos, wie tot. Kein grünes Feuer flackerte im Schornsteinschacht auf. Dafür erhob sich in der Ecke zu meiner Linken ein Wirbelwind. So nah, dass der Zug mir über die Haut strich. „Her-mi-ne, was passiert hier?“, rief Ron, der direkt an mir vorbeistarrte, käsebleich. Doch noch ehe er antworten konnte… Ein Gesicht! Ein blasses, schlangenartiges Gesicht manifestierte sich im Wirbelwind. Rote Augen starrten in den Raum. Dann – ein Schatten vor dem Bett. Er sprang auf, raste auf mich zu und „STUPOR!“ Für einen Moment stockte mir der Atem. Ich dachte, ich wäre getroffen. Doch dann atmete ich aus, als ich hörte, dass etwas schwer wie ein Mehlsack links neben mir zu Boden ging. Dieses Etwas war niemand Geringeres als Lord Voldemort höchstpersönlich. Vor dem Bett stand Snape mit zitterndem Zauberstab und einem Gesicht, in dem der blanke Hass geschrieben stand. „Guter Schuss, Severus“, bemerkt Slughorn anerkennend, während beide durch mich hindurch zu schauen schienen. Severus blinzelte und ein Schüttelfrost packte ihn, als ob ihm erst jetzt klar würde, was er getan hatte. Auch in Hermine kam Bewegung. Sie stürzte vor, lief direkt an mir vorbei und beuge sich über den reglosen Dunklen Lord. „Bei Merlins Unterhose! Und ich dachte, er wäre seit dem letzten Sommer endlich erledigt“, rief sie entsetzt. „Ach“, antwortete Ron trocken, „Auch nach allem, was die letzten Wochen in der Schule passiert ist? Wir haben ja kaum die Trauerfeiern und Ehrungen hinter uns gebracht, als es wieder los ging mit den ganzen Rätseln.“ „Rätsel in Hogwarts wird’s wohl immer geben und böse Schwarzhexen und Schwarzmagier auch“, seufzte Albus Severus Potter. Doch niemand schien ihm zuzuhören. „Ja, aber da steckt doch nicht ER dahinter“, zischte Hermine, drehte sich zu ihm um und stand wieder auf. „Sicher? Woher willst du das wissen? Vielleicht haben wir ja irgendwas übersehen.“ „Weil… ach vergiss es, Ron. Wir sollten zusehen, dass wir nach Hogwarts kommen. Harry und McGonagall haben noch immer nicht alles von Snapes Erbe ausgeräumt.“ „Meinem Erbe?!?“, rief Snape, halb perplex und halb wütend. „Verzeihen Sie bitte die Störung“, wandte sich Hermine förmlich an die Anwesenden, die sie bisher nicht richtig in Augenschein genommen hatte und drängte ihren Freund in Richtung Schornsteinschacht. Sie hatte ihren Fuß schon in das Loch gesetzt. Dann, plötzlich, hielt sie inne. Ich wusste, was geschehen würde. Ich wusste es, als aus dem Schornsteinschacht ein warmer Luftstrom ins Zimmer blies und mein Notizbuch auf jener Seite aufschlug, die ich mit der Zeichnung einer Statue von Dobby verschönert hatte. Verwundert starrte Hermine in das Loch, als schon die grünen Flammen emporschlugen. „Nanu, wer kommt denn da?“, rief sie und wich vom Schornsteinschacht zurück. Doch es war kein Mensch, der diesmal aus dem Feuer trat. Ein ganzes Bündel von verzauberten Flugblättern flatterte im wahrsten Sinne des Wortes ins mein Zimmer. Neugierig schnappte sich Hermine eines, begann es halblaut vorzulesen. Wie Sie Ihren Meister dazu bringen, Ihnen Kleidung zu schenken… Jede Elfe hat das Recht… Fünf einfache Tricks, die Freiheit zu erlangen… Gezeichnet die Elfenfront… Ihre konzentrierten Züge wandelten sich zu einem Lächeln, dann zu einem Strahlen. „Sie tun es, Ron! Endlich tun Sie es!“, rief sie voller Begeisterung und fiel ihrem ahnungslosen Freund stürmisch um den Hals. „Wer tut was?“, stammelte Ron völlig verdattert. Doch seine Frage sollte sich von selbst beantworten. Im gleichen Augenblick noch erschallten Schlachtrufe im Schornsteinschacht. „RECHTE FÜR ELFEN – WIR WOLLEN NICHT MEHR HELFEN!“ Und aus den Flammen traten zwei Hauselfen mit Plakaten an Besenstilen. Auf dem einen: Dobby in einem weißen Gewand und mit einem Heiligenschein versehen. Auf dem anderen die Parole: Elfen-Ehre heißt Freiheit Die beiden Elfen hatten wohl gerade bemerkt, dass das Flohnetzwerk sie nicht zur gesuchten Demonstration gebracht hatte, als direkt neben mir plötzlich ein eiskaltes Lachen erschallte. Voldemort hatte sich vom Schockzauber erholt, erhob den Zauberstab und: „Avada Kedavra!“ Ein grüner Blitz rauschte durchs Zimmer, direkt auf die Elfen zu. Doch bevor er sie erreichen konnte, flog mein Notizbuch vom Boden, rauschte dazwischen. Der Todesfluch zerbarst am karierten Papier zu tausend grünen Funken. Und dann ging alles furchtbar schnell. Ron und Hermine fuhren zu Voldemort um. Ihre Nichte und ihren Neffen zogen die Zauberstäbe. Die Elfen rannten los. Snape und Slughorn ebenso. Aus vier Richtungen stürmten sie alle auf die Ecke zu, in der Voldemort sich wieder aufgerappelt hatte – und kollidierten mitten im Raum. In der Hektik bemerkte keiner, dass mein Notizbuch sich wieder wie wild umblätterte. Dass hinter ihnen der Schornsteinschacht erneut grün aufflammte. Dass ein kleines Nagetier herauskrabbelte und hastig über den Boden huschte. Das hieß – fast keiner bemerkte es. Denn sogleich rauschte ein weiterer Blitz durch den Raum und in der dunklen Ecke zu meiner Rechten ertönte ein schmerzhafter Schrei. Die Ratte verwandelte sich in einen untersetzen Mann, der sich den Hintern rieb, dann umdrehte. Er blickte auf zu Voldemort mit seinem erhobenen Zauberstab und erbleichte vor Entsetzen. „Mein Lord, Ihr lebt?!?“, ein fassungsloses Quieken. Harry, Ron und Hermine starrten ihn vom Boden aus an, während sich der Elfen- und Menschenknoten langsam löste. Sie schienen über den Fragesteller das Gleiche zu denken – wie schätzungsweise über so ziemlich alle, die sich gerade im Zimmer befanden. „Natürlich lebe ich, Wurmschwanz“, höhnte Voldemort drohend, „Doch was dich angeht, wäre ich mir dessen nicht mehr so lange sicher. Wo verstecken sich die Longbottoms? Ich will den Jungen! Ich will ihn vernichten, ehe er zur Gefahr wird. Sprich!“ „Neville?!?“, flüsterte Ron, „Aber ich dachte, ich dachte, Harry wäre der Auserwählte?“ „Schscht“, zischte Hermine, „Ich muss zielen“. Wurmschwanz warf sich vor Voldemort auf den Boden und begann zu zittern und zu keuchen. „Ich… ich weiß nicht, mein Lord“, flehte er, „Aber... aber wenn mein Herr es befiehlt, so halte ich für ihn die Ohren offen im Hause der Weasleys, wo ich derzeit lebe.“ Ron hob die Augenbrauen. „Das doch ist Jahre her“, sagte er, während Hermine ihren Arm aus dem Knäul streckte und ihre Stimme erbeben ließ: „EXPELLIARMUS“. Voldemorts Zauberstab fiel augenblicklich zu Boden. „Also wenn das kein schlechter Traum ist“, keuchte Ron und rappelte sich auf, „dann… dann glaube ich, sind wir jetzt soweit, dass der ganze Ärger uns hat verrückt werden lassen.“ Er hatte es gesagt und für eine Sekunde herrschte Stille im Raum, als hätte er ausgesprochen, was allen durch den Kopf ging. Dann plötzlich erklang eine Stimme. Eine sanfte, gelassene, beruhigende Stimme. „Oh, aber nicht doch, Mr Weasley. Es gibt keinen Grund, sich über Ihren Geisteszustand Sorgen zu machen. Mit ihren Kopf und auch dem aller anderen hier im Raum ist alles in bester Ordnung. Nicht immer liegt die Antwort auf ein Rätsel darin, dass jemand den Verstand verloren hat.“ Alle Köpfe wandten sich um. Alle Augen blickten in die Richtung, aus der die Stimme kam. Hinüber zum Schornstein, direkt mir gegenüber. Der Schornstein, vor dem nun – ganz ohne Wind und grünes Feuer - ein Mann mit einem langen Silberbart und einer schneeweißen Robe stand: Albus Dumbledore. Voldemort kniff wütend die Augen zusammen. Wurmschwanz nutzte die Ablenkung, um als Ratte unter das Regal zu fliehen. Harrys Kinder begannen aufgeregt zu tuscheln. Ihr Onkel und ihre Tante tauschten irritierte Blicke. Die beiden Hauselfen starrten Dumbledore verwundert an und Snape hob skeptisch die Augenbraue. Doch es war Horace Slughorn, der das Wort ergriff. „Was meinst du damit, Albus? Worauf willst du hinaus?“ Dumbledore lächelte. „Wie mir scheint, befinden sich in diesem Raum elf Menschen oder Wesen, die den gleichen Respekt verdienen. “ Er zwinkerte den Hauselfen zu, dann sprach er weiter. „Elf, die ein Schicksal teilen und doch auch wieder nicht. Elf Charaktere, die aus sieben unterschiedlichen Geschichten stammen und deren Wege in diesem Zimmer zusammenführen.“ Ron starrte ihn an. „Geschichte? Wege? Ich versteh nur King’s Cross“. „Nun, es mag Sie verwundern, vielleicht auch erschrecken, Mr Weasley, aber die Wahrheit ist: Sie sind nichts weiter als eine Romanfigur. Genau wie ich, wie ich sagen darf und Ihre Freunde und jeder, den Sie in diesem Raum sehen können.“ Ron starrte ihn noch immer an. Jetzt mit einem Blick, als ob es nun Dumbledore wäre, der den Verstand verloren hätte und nicht er selbst. Hermine neben ihm jedoch hatte nachdenklich den Finger an ihre Lippen gelegt. „Moment mal“, sagte sie, „Das ergibt Sinn. Denk doch mal nach, Ron. Wenn wir alle Romanfiguren sind und alle aus unterschiedlichen Geschichten stammen, dann ist es auch kein Widerspruch mehr, dass Wurmschwanz lebt, obwohl er eigentlich tot ist oder dass Voldemort Neville jagt oder dass das da unsere Nichte und unsere Neffen sind. Das ist einfach nur so, als würde man sieben Bücher aufschlagen und sie nebeneinander auf den Boden legen und alle gleichzeitig lesen.“ Dumbledores Lächeln verwandelte sich in ein Strahlen. „Sie haben das Prinzip erfasst, Miss Granger!“ „Aber wenn wir alle nur Romanfiguren sind, wie kommen wir überhaupt hier her? Müssten wir nicht alle in unseren eigenen Geschichten sein?“, fragte Snape scharf, „Und vor allem: Wie kommen wir wieder von hier fort?“ „Ich bin froh, dass du das ansprichst, Severus“, antwortete Dumbledore sanft, „Nun, der Grund, warum wir hier sind, liegt in einem uralten Fluch aus dem Bereich der elementaren Magie begründet. Ich bin selbst nur durch Zufall bei meinen Forschungen auf ihn gestoßen, doch weiß ich genug darüber, um sagen zu können, dass er unter Schriftstellern, ganz gleich ob sie Muggel oder Zauberer, Berufs- oder Hobbyautoren seien, weiter verbreitet ist als man annehmen mag. Derivate dieses Fluchs sind jedem Schriftsteller vertraut. Es handelt sich um das bekannte Phänomen, dass Ideen zu Geschichten, wenn sie nur skizziert und nicht geschrieben werden, dazu neigen, ein Eigenleben zu entwickeln. Sie quälen den Autor, sie rauben ihm den Schlaf, sie geißeln so lange seine Gedanken, bis die Geschichte geschrieben ist.“ Mir war, als spräche Dumbledore direkt aus meinem Herzen und darum spitzte ich meine Ohren, um ihm nur noch besser lauschen zu können. Wenn einer die Lösung für all diese Rätsel wusste, dann doch wohl er! „In seltenen Fällen nun“, fuhr Dumbledore fort, „Das heißt, wenn ein Autor sich einer magischen Geschichte widmet, kann es passieren, dass diese Entwicklung eines Eigenlebens den Bereich des Metaphorischen verlässt. Oder mit anderen Worten: Die Geschichten werden tatsächlich lebendig, genauer gesagt die Charaktere daraus. Dies geschieht, sobald ein Autor sieben unfertige Geschichten in seinem Notizbuch skizziert hat, also sieben Mal seine Feder in die Hand genommen hat, ohne das Werk wirklich zu schreiben. Daher spricht man auch vom Sieben-Federn-Fluch. Romanfiguren, die durch den Sieben-Federn-Fluch zum Leben erweckt wurden, sind zusammen mit dem Notizbuch in einem Raum gefangen. Sie können in weder verlassen, noch in ihre angestammte Welt der Gedanken zurückkehren. Es gibt nur ein Mittel, das diesen Zustand beheben kann“ „Und das wäre?“, fragte Snape. Dumbledore atmete tief ein: „Die Geschichte muss geschrieben werden, zumindest in Teilen“. Stille. Verwunderte Blicke. Ratlosigkeit. Diese Antwort war wohl nicht das gewesen, was die Anwesenden erhofft hatten. Voldemort lächelte eiskalt. „Oh fürwahr, der weise Dumbledore hat gesprochen. Du hoffst wohl, mich zum Narren halten zu können, alter Mann. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Ich bin in meinem Wissen über die Magie viel weiter gekommen, als du mir je an Verwandlungszaubern beibringen konntest. Viel weiter, als du auch nur ahnst. Ich brauche niemanden, der eine Geschichte über mich schreibt. Schon gar keinen unwürdigen Muggel“. Dumbledore erwiderte sein Lächeln. „Oh, ich ahne mehr über dein Wissen als dir lieb ist, Tom. Und ich kann dir versichern, Du wirst keine andere Wahl haben. Doch falls es dich beruhigt: Ich habe den leisen Verdacht, dass Mr. Longbottom in der Geschichte, aus der du stammst, ohnehin die tragendere Rolle spielt als du. Ist es nicht so?“ Voldemort schien dies keineswegs zu beruhigen. Seine Hände krampften sich in seinen Zauberstab, als wolle er jede Sekunde einen Fluch losschicken. Doch nachdem ihm schon einmal ein Avada Kedavra misslungen war, schien er diesmal davon abzusehen. „Nun“, sagte er leise, bedrohlich, „Wie sieht dein Plan aus, alter Mann? Möchtest du etwa einem der Hauselfen den Befehl erteilen, deine Biografie zu schreiben? Ach nein, ich vergaß ja, dass du ihren lächerlichen Aufzug hier auch noch für gut befindest. Wie schade.“ Unter dem Regal erklang ein quiekendes Kichern. Dumbledore zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Gewiss nicht“, sagte er sanft, „Der Zauber würde nicht wirken, wenn einer von uns zur Feder greifen würde. Dies muss schon derjenige tun, der uns erst in diese Lage gebracht hat.“ „Sie sprechen vom Autor!“, rief Albus Severus Potter. „Ja, mein Junge, das tue ich.“ „Und wie kriegen wir den hier her?“, platze Lily-Luna heraus. „Oh“, lächelte Dumbledore, „Das dürfte nicht allzu schwer sein.“ Und dann geschah es. Zwei bohrende, hellblaue Augen blickten mich an. Mich, die ich geglaubt hatte, für alle hier im Raum unsichtbar zu sein. Sie schauten mir direkt ins Gesicht, direkt in die Augen. Kalter Schweiß lief mir den Rücken herab. Albus Dumbledore konnte mich sehen. Er konnte mich wirklich sehen. Vielleicht schon die ganze Zeit über! Verwundert wandten sich nun auch die anderen um und auch sie schienen mich zum allersten Mal zu erkennen. Ich sah in neun verblüffte Gesichter. Voldemort beäugte mich nur abfällig und Wurmschwanz lugte vorsichtig unter dem Regal hervor. „Pro -Professor Dumbledore“, stotterte ich, während mein Herz wie panisch schlug, „Ich wollte das nicht. Ich wollte niemandem solche Schwierigkeiten bereiten. Ich wusste nichts von diesem Fluch.“ Er lächelte. „Gemach, Miss Augurey. Dass einem zu viele Ideen durch den Kopf gehen und man sie gerne ablegen möchte, kann jedem passieren. Manch einer hat dafür ein Denkarium, ein anderer ein Notizbuch. Entscheidend ist nicht, was geschehen ist. Entscheidend ist, was geschehen wird. Sie wissen und haben gehört, wie Sie uns befreien können. Walten Sie Ihres Amtes!“ Ich zögerte nicht, als Dumbledore meinen Blick hielt und mir zunickte. Eine kurze Erwiderung, dann trat ich zum Schreibtisch und - begann zu schreiben… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)