Things That Should Not Be von Yuugii (Kunikida/Dazai) ================================================================================ Kapitel 15: Kapitel 15 ---------------------- Die darauffolgende Woche brachte den normalen Alltag zurück, denn Kunikida weigerte sich, noch länger zuhause zu bleiben und auf seinen Kollegen aufzupassen, welcher ohnehin nur Unsinn trieb und jede Sekunde nutzte, um ihn in den Wahnsinn zu treiben. Am frühen Morgen schleifte er also seinen brünetten Mitbewohner ins Auto und fuhr mit ihm in Richtung des Büros. Dazai schlief auf dem Rücksitz, schnarchte absichtlich laut, um Kunikida zu provozieren und ihm zu signalisieren, dass sämtliche Form von Predigt an ihm abprallen würde und er nicht vorhatte, auf seine tollen Vorschläge zu hören. Als sie ankamen und vor der Tür standen, hörte man bereits aufgeregtes Tuscheln hinter der Bürotür. Kunikidas Auge zuckte gefährlich. Was hatte er auch nur erwartet? Anstatt zu arbeiten und ihre Pflichten zu erfüllen, hatte dieser Trupp einfach nur gefaulenzt und das bedeutete mit Sicherheit, dass sämtliche Missionen und Anfragen der Polizei unbearbeitet auf seinem Schreibtisch liegen würden. Zum Durchdrehen. Bei diesem Gedanken platzte ihm der Kragen. Seine Hand ruhte immer noch auf der Türklinge und ein gähnender Dazai stand hinter ihm, der sein Kinn auf seiner Schulter ablehnte und sich anschmiegte, um seine Müdigkeit und sein Desinteresse an der Arbeit zu demonstrieren. Innerhalb weniger Sekunden riss er nun die Türklinge herunter, riss die Tür ebenso schnell auf und warf Dazai erbarmungslos inmitten des Raumes, welcher laut jammerte. Im nächsten Moment flog Dazai Konfetti entgegen und all seine Kollegen versammelten sich um ihn. „Willkommen zurück, Dazai!“, riefen sie aus und sie alle klatschten in die Hände. Verwirrt betrachtete Dazai die lachenden Gesichter um sich herum, legte den Kopf leicht schief und versuchte zu verstehen, was hier gerade vor sich ging. Warum flog Konfetti im Raum? Wieso trugen seine Kollegen bunte Partyhütchen und was sollten die Luftballons an allen Ecken und Enden? Dazai blinzelte einfach nur, brachte kein Wort heraus und machte keinerlei Anstalten sich zu erheben. Er spürte, dass Kunikida sich ihm näherte und hinter ihm stehen blieb. Er zeigte auf seine Kollegen vor sich, sah dann hilfesuchend zu Kunikida, welcher ebenfalls provokant grinste und ihn dann dabei half, wieder auf die Beine zu kommen. Kaum hatte Dazai wieder festen Boden unter den Füßen und stand aufrecht im Raum, warf sich Atsushi in seine Arme. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht, Dazai-san!“, schrie er aus und zerquetschte seinen Mentor, der nach Luft rang und mit geistesabwesenden Blick immer noch durch die Gegend blickte und kein einziges Wort fand, das er über die Lippen brachte. Eine Feier. So viel stand fest. Aber für wen? Es war absolut abwegig, dass irgendjemand eine Feier für ihn warf und sich darüber freute, dass er zur Arbeit kam und doch wollte irgendetwas in ihm fest daran glauben, dass diese Menschen, die seit zwei Jahren sein Leben begleiteten, sich über seine Anwesenheit freuten. Er biss sich auf die Unterlippe. Absolut regungslos stand er da und als Atsushi bemerkte, dass der Brünette diese feste Umarmung nicht erwidern würde, ließ er ihn endlich los, tapste unbeholfen einige Schritte zurück und gestikulierte wild mit seinen Händen umher. „Sumimasen![18]“, sagte er und wiederholte seine Worte mehrere Male. Dazai sah ihn einfach nur perplex an. Plötzlich stand Kyouka vor ihm. Sie hatte ein buntes Päkchen in ihren Händen – ein Geschenk. Mit einem Lächeln hielt sie es Dazai hin und wartete geduldig darauf, dass dieser ihr das Geschenk abnahm. Doch Dazai legte nur den Kopf schief und zeigte mit zittriger Hand auf das Päkchen. „F-für mich?“, fragte er unsicher nach. Kunikida schlug ihm hart auf die Schulter, sodass er kurz strauchelte. Grummelnd sah er den Blonden an, welcher die Arme verschränkt hatte und nun den Kopf abwandte, weil es ihm sichtbar peinlich war, dass Dazai so verlegen war. Er selbst hatte nichts von dieser kleinen Feier gewusst. Selbst Fukuzawa, der sonst immer in seinem Büro saß, stand inmitten des Raumes. Sein Gesichtsausdruck war ernst, aber seine Augen sanftmütig. Auch wenn er kein Lächeln hervorbringen konnte, so war sein Blick gezeichnet von Freude. Zögerlich öffnete Dazai das Päckchen, betrachtete den Inhalt. „Eine Lampe?“, fragte er und sah Kyouka an, die seinen Blick mit funkelnden Augen erwiderte. Sie nickte eifrig. Atsushi stand neben ihr und rieb sich verlegen den Nacken. „Na ja, die Lampe hat eine Klatschfunktion, also kannst du sie jederzeit von überall anschalten“, meinte er und wusste sich nicht so recht zu helfen, da sein Mentor einfach nur verwirrt dreinblickte und nicht nachvollziehen konnte, was er damit sollte. Ranpo trat dazu, breit grinsend. „Du hast doch deine Wohnung verloren, also ist das doch ein klasse Anfang!“ Dazai lächelte und kicherte leise. Ihm war bewusst, dass Kyouka ihm diese Lampe aus einem anderem Grund geschenkt hatte, aber er wagte es nicht, diesen Gedanken auszusprechen, da er das Thema seines gescheiterten Selbstmordversuchs umgehen wollte und nach Möglichkeit auf andere Gedanken kommen wollte. Sie feierten gemeinsam Dazais Rückkehr, aßen Kuchen und scherzten. Die Arbeit ließen sie liegen. Dazai war es unangenehm, der Mittelpunkt dieser Feier zu sein und wie hartnäckig seine Kollegen sich aufdrängten und immer wieder Fragen stellten, um sicher zu gehen, dass es ihm gut ging. Als selbst Yosano mehrmals nach seinem Befinden fragte, dämmerte es ihm so langsam. Seine Kollegen mussten den Abschiedsbrief gefunden haben, den er niedergeschrieben hatte, als er sich in einem depressiven Loch befand und mithilfe des Alkohols den Entschluss gefasst hatte, sein Leben endgültig zu beenden und seine Pulsadern zu durchtrennen. Dass seine Kollegen diesen Brief gefunden hatten, war ihm unangenehm. Aber er konnte es nicht mehr ändern. Stattdessen zwang er sich zu einem Lächeln und kämpfte um Haltung, um bloß nicht noch mehr seiner Schwächen zu offenbaren. Fukuzawa legte eine Hand auf seine Schulter. „Dazai, ich würde gerne unter vier Augen mit dir sprechen“, erklärte der Grauhaarige und bat ihn in sein Büro. Die anderen Mitglieder der Detektei sahen den beiden schluckend hinterher. Irgendwie hatten sie das Gefühl, dass die Atmosphäre sich geändert hatte und Kunikida glaubte, rockige Musikklänge vernehmen zu können, aber das musste Einbildung sein. Es war einfach Fukuzawas Präsenz, die ein jeden einschüchterte und dieser strenge Blick ließ jeden vor Respekt zusammenschrumpfen und in die Knie gehen. Dennoch fragte sich Kunikida, was Fukuzawa mit Dazai besprechen wollte. Am Wochenende hatte er ihn telefonisch über Dazais Zustand informiert und seit dessen Einweisung schriftlich mit ihm korrespondiert. „Wie ich sehe, sind deine Verletzungen gut verheilt. Das freut mich sehr“, sagte er sanft und Dazai nickte nur, während er wie angewurzelt einige Meter von dem Schreibtisch entfernt stand und sich nicht traute ungefragt näher zu kommen. Mit einer raschen Handbewegung wies Fukuzawa ihn dazu an, Platz zu nehmen, was er auch sofort tat. Trotzdem verschwand die Anspannung nicht. „Ich habe mit Kunikida über E-Mail Kontakt gehalten. Er schrieb, dass du Alpträume hast und sehr schlecht schläfst“, meinte er und sah Dazai durchringend an. Dazai schüttelte den Kopf und lächelte. „Jeder hat doch Alpträume, das ist ganz normal“, sagte er und versuchte das Thema zu wechseln, doch Fukuzawa schlug mit seiner flachen Handfläche auf den Tisch, sodass Dazai erschrocken zusammenfuhr und ihn unsicher ansah. „Kunikida hat vorgeschlagen, dass du eine Therapie machst und ich denke, dass dies eine gute Idee ist. Doch wenn du das nicht willst und dich weigerst, kann ich dich nicht zwingen, deine Meinung zu ändern. Ich respektiere dich und will deinen Zustand nicht unnötig verschlechtern.“ Dazai senkte betroffen den Blick. „Mein Zustand?“, wiederholte er fragend und verschränkte die Arme, schnaufte verächtlich. „Ich bin beeindruckt, dass offenbar jeder besser über meinen Zustand Bescheid weiß, als ich selbst“, nörgelte er dann und versuchte weiterhin Haltung zu bewahren. Er musste seine Worte genau überlegen und nicht zu viel verraten. „Du musst mich auch nicht unter Drogen setzen, damit ich mit dir schlafe“, sagte Fukuzawa trocken und komplett tonlos, sein Blick war unverändert, als hätte er eine Zeile aus einem Buch vorgelesen. Dazai riss erschrocken die Augen auf und sah Fukuzawa an. Er wirkte sofort angespannt. „Das hast du zu mir gesagt, als du aus der Narkose aufgewacht bist. Du warst verwirrt, aber ich wusste, dass diese Aussage eine Bedeutung hatte. Ich bin mir jetzt sicher, dass dein Verhältnis zu Mori-sensei dir weitaus mehr geschadet hat, als du es dir eingestehen willst. Du wurdest jahrelang ausgenutzt und erniedrigt und ich kenne Mori-sensei gut genug, um zu wissen, dass er deine emotionale Instabilität für sich zum Vorteil genutzt hat. Du warst noch zu jung und unerfahren, um solche Entscheidungen zu treffen und auch wenn du dir selbst einredest, dass du es gewollt hättest, warst du noch nicht erwachsen genug, um die Konsequenzen deines Handels abzuschätzen.“ Dazai sagte daraufhin nichts, vermied es jedoch Fukuzawa direkt in die Augen zu sehen. „Es war nicht deine Schuld. Das war es nie. Du bist von Mori-sensei manipuliert worden. Der Dazai Osamu von damals war ein Opfer des kranken Geistes eines abartigen Arztes, deshalb darfst du dich nicht selbst hassen. Du musst deinem damaligen Ich endlich verzeihen und loslassen“, erklärte er und seufzte tief. „Das kann ich nicht“, antwortete Dazai leise. „Ich kann mir niemals vergeben. Nur meinetwegen musste er sterben. Wenn ich Mori-san nie von ihm erzählt hätte, hätte er ihn niemals für diese Mission ausgewählt. Ich war es, ich allein habe seinen Tod zu verantworten. Ich verdiene keine Erlösung.“ „Er hätte nicht gewollt, dass du dich so sehr quälst. Ich weiß nicht, was für eine Beziehung du zu diesem Mann hattest, aber ich sehe, dass du dir selbst die Schuld an seinem Tod gibst. Aber warst du es, der ihn in den Tod geschickt hat? Oder war es Mori-sensei? War auch dies nicht wieder eines seiner abartigen Spielchen, um dich zu testen? Vielleicht sogar abzuhärten? Etwas aus dir zu machen, was du nicht bist?“ „Ich... weiß es nicht.“ „Kunikida hat mir vage Informationen gegeben und ich denke, dass er recht hat. So wie es momentan läuft, kann es nicht weitergehen. Aber wir sind für dich da und werden dich auffangen, deshalb bitte ich dich inständig darum, uns Bescheid zu sagen, wenn du Hilfe brauchst oder einfach nur jemanden, der für dich da ist.“ Fukuzawa verbeugte sich, um seine Bitte zu unterstreichen. „Es tut mir leid“, flüsterte Dazai nur. Er war komplett überfordert. „Ich weiß, dass es nicht einfach für dich werden wird. Aufgrund des gängigen Gesellschaftsbildes eines Mannes ist es schwierig, sich selbst einzugestehen, das Opfer einer Gewalttat geworden zu sein. Das männliche Selbstbild und die Opferidentität passt nicht zusammen, aber Dazai: Männer sind auch nur Menschen und es geht nicht darum, dich zu stigmatisieren, sondern dir eine Möglichkeit zu geben, dich frei zu entfalten und ein Leben ohne Angst zu führen.“ „Ich denke nicht, dass ich die Kraft habe, mich meiner Vergangenheit zu stellen. Mir wäre es lieber, ich könnte einfach weiterhin so tun, als wäre nie etwas passiert. Das hat bisher immer funktioniert und ich denke, dass es am sinnvollsten wäre, nie wieder über dieses Thema zu sprechen.“ „Und dann?“ Dazai zwang sich zu einem Lächeln. „Was dann?“, fragte Fukuzawa erneut, hob fragend eine Augenbraue und durchbohrte Dazai mit seinen ernsten Blick. Unnachgiebig beäugte er ihn, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Dazai biss sich auf die Unterlippe. „Dann... ist alles so wie vorher und wir können zum normalen Alltag zurück.“ „Oh, verstehe“, kam es schnaubend von Fukuzawa, der den Kopf leicht schüttelte und seine Abneigung und seinen Widerwillen ob Dazais Aussage zu unterstreichen. „Also wir kehren zurück zum normalen Alltag, ja? Du verletzt dich weiterhin selbst, schmeißt dich in die Flüsse Yokohamas, in der Hoffnung, dort zu ertrinken und von niemanden gefunden zu werden, während du dich Nacht für Nacht von einer Bar zur nächsten schleifst und dich hemmungslos betrinkst, nur um weiterhin von Alpträumen deiner Vergangenheit verfolgt zu werden, die die nachts nicht schlafen lassen und dann am nächsten Tag auf deinem Arbeitsplatz zu dösen. Klingt nach einer produktiven Einstellung, die uns alle weiterbringen wird. Es ist ja nicht so, dass irgendjemand in dieser Detektei sich Sorgen um dich macht oder gar Tränen vergießen würde, würdest du verletzt werden. Nicht wahr?“ Der Sarkasmus in Fukuzawas Stimme war so stechend wie die Klinge eines Katanas, das in die Bauchhöhle des Gegners gerammt wurde. So konnte Dazai nicht anders, als verlegen zur Seite zu sehen und sich leise zu entschuldigen. „Atsushi war nicht der einzige, der um dich geweint hat. Selbst Ranpo war fassungslos! Wir alle haben uns Sorgen gemacht und jeder einzelne von uns ist bereit dich auf deinem Weg der Heilung zu unterstützen. Allem voran Kunikida, mit dem ich bereits am Wochenende telefoniert habe.“ Dazai sah ihn mit großen, fragenden Blicken an. „Es wird nicht einfach, aber du bist nicht allein. Wir stehen das gemeinsam durch. Atsushi und auch du, Dazai, ihr habt beide Gewalt in eurem Leben erfahren, aber im Gegensatz zu dir, versucht er wenigstens einen Neuanfang zu machen. Und ich bitte dich darum, dass du es ebenfalls versuchst. Mit uns allen gemeinsam.“ „In Ordnung.“ „Wie? Du stimmst einfach so zu?“, kam es perplex vom Grauhaarigen. „Jep.“ Fukuzawa beäugte ihn misstrauisch. „Wenn ich an Atsushi-kun denke, wird mir klar, dass ich ihn nicht hängen lassen darf. Ich will versuchen, in Richtung Zukunft zu gehen und etwas zu ändern. Er hätte es so gewollt“, hauchte er und lächelte traurig. Denn so langsam dämmerte es ihm. Er und Odasaku waren sich ähnlich, sie beide hatten einen Schützling, den sie über alles beschützen wollten. Nur deshalb hatte sich Dazai in diese gefährliche Situation gebracht. Um sicher zu stellen, dass Atsushi nichts geschah, dass er ausreichend Zeit hatte, stärker zu werden, bevor es zu einem unnachgiebigen Kampf gegen die Port Mafia kam. Der Gedanke, dass Atsushi verletzt werden könnte oder sich gar selbst verletzte, war unerträglich. Odasaku ginge es sicher genauso. Er wusste, dass ich mich selbst verletze und sterben will und deshalb war er immer bei mir und hat mich abgelenkt. Mit ihm war die Welt bunter, schöner und die Luft nicht so drückend. Es muss ihn sehr geschmerzt haben, mich so zu sehen. Odasaku, so langsam verstehe ich, was du wolltest. „Dann kann ich darauf bauen, dass du uns zukünftig sagen wirst, wenn du Hilfe brauchst?“ Dazai nickte leicht. „Gut. Kunikida! Du kannst aufhören zu lauschen und reinkommen!“, rief der Grauhaarige dann und man hörte von draußen ein Rumpeln. Verlegen öffnete Kunikida die Tür. Hinter ihm standen auch die anderen Mitglieder der Detektei. Nicht nur der Vizepräsident hatte gelauscht, sondern alle wollten wissen, was Dazais Entscheidung war und wie es weitergehen sollte. Kunikida kam rein, wies die anderen dazu an, sich zu benehmen und die Feier weiterhin zu genießen, dann stolperte er räuspernd in Richtung des Bürotisches, blieb dort stehen und verneigte sich tief und demütig. „Kunikida, ich kann mich darauf verlassen, dass du dich um unseren Querkopf kümmerst?“ „Selbstverständlich, Präsident!“ Dazai kicherte amüsiert. ——————————— Mitten in der Nacht. Kunikida schlief bereits und Dazai lag wach auf der Coach, in seiner Hand sein Smartphone, dessen Licht nicht nur ihn, sondern den ganzen Raum in ein blaues Licht taufte. Dann setzte er sich auf. Nervös tippte er über den Bildschirm. Mori-san, ich habe neue Nachrichten. In der alten Kellerdisco haben sich ein paar Gangster niedergelassen, die dich angreifen wollen. Das Zentrallager der Mori Corporation ist ihr Ziel, sie wollen dich aus der Reserve locken. Er atmete laut hörbar aus. Der Deal beschützte die Mitglieder der Detektei und er musste sichergehen, dass niemand unnötig verletzt wurde. Nicht auszudenken, würde die Port Mafia sich plötzlich dazu entscheiden, aus dem heiteren Himmel anzugreifen und auszunutzen, dass sie nicht so viele erfahrene Kämpfer auf ihrer Seite hatten. Sein Smartphone vibrierte. Sein ganzer Körper versteifte sich, dennoch öffnete er die eingehende Nachricht, ohne weiter nachzudenken. Mein süßer, süßer Dazai-kun! ♥ Ich danke dir für deinen unermüdlichen Einsatz und die Information! Komm doch zum Abendessen vorbei, ich will dich gerne wieder sehen. Typisch für diesen Mann. Er wusste genau, wie er Dazais Schwächen am besten ausnutzen konnte und hätte er Kunikida und dem Präsidenten nicht versprochen, an sich selbst zu arbeiten und sich seiner Vergangenheit zu stellen, hätte er vermutlich diese Einladung nicht widerstehen können. Dann hätte er zugelassen, dass Mori ihn erneut demütigt, im Glauben, dies verdient zu haben. Schmerz und Lust waren nah beieinander und beides eine Form von Liebe. Das hatte er all die Jahre glauben wollen. Mittlerweile wusste er natürlich, dass das Unsinn war. In seinem naiven Denken, von diesem Mann gebraucht zu werden, hatte er ihm alles durchgehen lassen. Immerhin wollte Mori ja nur das Beste für ihn. Er ließ sich beschmutzen und missbrauchen, weil er sich in seiner Einsamkeit geradezu krankhaft an Mori klammerte. Bei diesem Gedanken lachte er leise auf. Stockholm Syndrom. Er hatte tatsächlich geglaubt, dass die Misshandlung, die er erfahren hatte, ein Zeichen von Zuneigung war. Aber woher hätte er es denn besser wissen sollen? Er hatte keine Familie. Oder gar Freunde. Seit seiner Kindheit hatte er um das Überleben gekämpft, lebte in den Slums von Suribachi, tagtäglich auf der Suche nach etwas, das ihm einen Grund zum Leben gab. Dort war er unsichtbar. Die Menschen sahen ihn an, doch sie sahen nicht ihn, sondern ein Ding. Ein weiteres Opfer, ein weiteres ungewolltes Kind, abgeschoben und weggeworfen. Er wusste nicht, was es bedeutete, geliebt zu werden. Er wollte kein Mensch sein, wollte über diesen Menschen stehen, die sich gegenseitig niederschlugen und sich mit Gewalt nahmen, was sie wollten. Suribachi kannte keine Moral, keine Regeln, der Stärkste überlebte. So einfach war das. Und so hatte Dazai gelernt, die Menschen zu hassen und auf sie herabzublicken, in der Hoffnung niemals so zu werden wie sie. In einer Nacht im September hatte sich jedoch etwas geändert. Drei Männer waren über ihn hergefallen. Er schrie um Hilfe. Vollkommen egal, wie sehr er sich wehrte, er brachte nicht die Kraft auf, diese erwachsenen Männer von sich zu schubsen. Aus dem Augenwinkel konnte er Passanten erkennen. Keiner half. Man überließ ihm seinen Schicksal. Benutzt und verdreckt warf man ihn in eine Seitengasse. Da hatte er den Entschluss gefasst, alles zu beenden. Sein eigener Körper war kein Teil mehr von ihm, nur eine schäbige Hülle, die einfach nur Ekel und Hass in ihm erzeugte. Zwei Tage später durchtrennte er seine eigenen Pulsadern. Die Schnitte waren stümperhaft, aufgrund des stechenden Schmerzes, konnte er den starken Druck nicht aufrecht erhalten. Der Anblick des Blutes hatte ihn beruhigt. Es war ein schwarzhaariger Mann mit einem weißen Kittel, der ihn rettete. Mori kümmerte sich um seine Wunden, redete ihm gut zu und beteuerte ihm, dass nun alles gut werden würde. Ohne, dass er es hätte ändern können, wurde Mori zum Mittelpunkt seiner Welt. Also hatte er verzweifelt daran geglaubt, dass Mori, der sein Leben gerettet hatte und ihn liebevoll über den Kopf streichelte und sanft seine Stirn küsste, ihn schätzte. Mori hatte seine Unerfahrenheit ausgenutzt. Aus einer harmlosen Berührung wurde schon bald ein intensives und intimes Streicheln und Dazai, der geglaubt hatte, bereits erwachsen zu sein und die Welt verstanden zu haben, hatte sich mitreißen lassen. Hatte zugelassen, dass der Doktor ihm immer näher kam und obgleich sein Körper sich gegen diese Berührungen sträubte, hatte er eine gewisse Sympathie und ein Vertrauen zu ihm aufgebaut. Mori näherte sich ihm an, versicherte ihm, dass er nur seinen Befehlen folgen musste, um Glück erfahren zu können. Bis dahin hatte Dazai nur Hass und Ablehnung gekannt. Die Welt war einfach nur grau. Schäbig. So häßlich, dass sie seine Augen blendete und seinen Geist verpestete. Menschen als solche waren einfach nur abscheulich. Aber Mori half ihm. Er verletzte ihn, schnitt tiefe Wunden in sein Fleisch und doch glaubte Dazai, ganz genau verstehen zu können, warum er das tat. Er vertraute Mori, sah etwas in ihm, das nicht da war. Eine Form von Sympathie und Zuneigung, die er zuvor in seinem Leben nicht erfahren hatte. Auch wenn Mori ihm schreckliche Dinge antat, verteidigte er ihn. Jetzt wo er die Welt der Finsternis hinter sich gelassen hatte und bereit für einen Neuanfang war, hatte er verstanden, dass alles, woran er in der Vergangenheit geglaubt hatte, nichts weiter als Lug und Trug war. Doch er konnte seine Entscheidungen nicht rückgängig machen. Niemanden zurückbringen. Das geht nicht. Ich werde nicht mehr vorbeikommen. Mehr schrieb er nicht. Mehr gab es nicht zu sagen. Dazai war aufgewacht, endlich zur Vernunft gekommen. Um einen Schlussstrich ziehen zu können und seine Vergangenheit endgültig ruhen zu lassen, musste er die Verbindung zu diesem Mann abbrechen. Mori hatte Dazai nie geliebt. Mori hatte ihn ausgenutzt und unterdrückt. Ein Teil seiner Heilung war, zu akzeptieren, dass er missbraucht und manipuliert worden war. Im Nachhinein schämte er sich sogar dafür, Mori verteidigt zu haben. Kunikida hatte Recht gehabt. „Mori-san hat mich missbraucht. Nichts, was geschehen ist, war in meinem Interesse. All die positiven emotionalen Gefühle, die ich durch Mori-san erfahren habe, waren reiner Selbstschutz und führten zu einer Wahrnehmungsverzerrung“, sprach er laut aus und atmete tief ein. Die Worte des Psychologen hatten ihn bereits bei der ersten Therapiestunde zu denken gegeben. Verstanden. Schlaf gut, mein Prinz. Ich werde dich immer lieben. ♥ Er blinzelte, schluckte hart. Dann schüttelte er den Kopf. „Er liebt mich nicht, sondern will mich nur benutzen. Das ist keine Gnade, keine Liebe, sondern reiner Egoismus. Er versucht mich zu kontrollieren und“, begann er, doch seine Stimme verstummte, stattdessen starrte er geistesabwesend auf Moris Nachricht. Dass sein Mitbewohner in den Raum getreten war, bemerkte er nicht einmal. Kunikida trug ein Hemd und eine Pyjamahose. Abwartend stand er unter dem Türrahmen, flehte innerlich darum, dass Dazai diesen Satz zu Ende brachte, doch Dazai schwieg. Kunikida kam näher. „Mori-san versucht dich zu kontrollieren, er will, dass du mit ihm sympathisiert. Es ist ein Denkfehler deinerseits und du hast jahrelang krampfhaft versucht, dieses falsche, verdrehte Weltbild als Realität zu sehen, um dich und deine Psyche zu schützen.“ Dazai schaltete sein Smartphone aus und hob seinen Kopf, lächelte Kunikida an. „Du bist ja noch wach“, meinte er nur. Kunikida setzte sich neben ihn. „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Nach dem ersten Termin bei der Beratungsstelle wirktest du extrem angespannt und während des Gespräches hast du kaum etwas gesagt. So kenne ich dich gar nicht. Du hast doch immer irgendetwas, das du nicht für dich behalten kannst“, erklärte er und sah Dazai durchdringend an, dieser zog die Augenbrauen in die Höhe, kratzte sich verlegen an der Wange und wurde rot um die Nase. Er lachte, mehr um sich selbst zu beruhigen. „Von einem Ermittler aus der Detektei kann man auch nichts verheimlichen, nicht wahr?“ „Hattest du wieder einen Alptraum? Soll ich dir Tee machen?“ Dazai schüttelte den Kopf. „Kann ich heute Nacht bei dir schlafen?“ Kunikida stand urplötzlich kerzengerade, sein Gesicht glich einer Tomate, während seine Augen ungläubig versuchten einen Punkt zu fixieren. Er plapperte unverständliches Zeug. Er war sich sicher, dass Laute aus seinem Mund kamen, aber waren dies tatsächlich verständliche Wörter? Sein Kopf dampfte und er gestikulierte wild umher. „Ich! Du?!“, sagte er dann und räusperte sich, immer noch nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. „Ich weiß nicht, ob ich mir nicht doch wieder etwas antue“, flüsterte Dazai nur und senkte den Blick. Von einer Sekunde zur nächsten befand sich Kunikida vor Dazai und nahm dessen Hände in seine, drückte sie sanft. „Selbstverständlich kannst du bei mir schlafen“, sagte er dann und zog Dazai in Richtung seines Schlafzimmers, wartete darauf, dass Dazai sich ins Bett legte, ehe er das Licht löschte. Mit Dazai in einem Bett. Eigenartiges Gefühl. Dazai hatte sich von ihm weggedreht und lag an der äußersten Kante. Minuten vergingen. Schlief Dazai etwa schon? Vorsichtig drehte er sich auf die Seite, um nach Dazai sehen zu können. Dazais schmächtige Figur zitterte. Kunikida wusste, dass er das, was er jetzt tun würde, am nächsten Morgen bereuen würde und dass Dazai ihm das noch tagelang vorhalten würde, trotzdem konnte er nicht anders, als näher zu kommen und einen Arm um Dazai zu legen, dieser sanft an seine Brust zu schieben. Dazai hielt die Luft an. Sie hatten noch nie derartigen Körperkontakt gehabt. Dazais Rücken an seiner Brust, sein Arm um seinen Oberkörper fühlte sich jedoch vertraut an, sodass das erst unangenehme Gefühl langsam wich und Geborgenheit sich in ihm breit machte. Fühlte es sich so an, jemanden zu umarmen und ein Bett mit ihm zu teilen? „Schlaf gut, Dazai“, hauchte er in dessen Schopf und Dazai murmelte leise: „Danke“, ehe er tatsächlich einschlief und seit langem eine ruhige und erholsame Nacht erlebte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)