Missing Scenes von FreeWolf (Sidestory zu "Ich packe meinen Koffer") ================================================================================ Kapitel 1: 2002 --------------- Durch die Glasfront des modernen Konferenzraums hindurch sah sie, wie die Entwickler langsam eintrafen. Sie war bereits seit zwei Stunden vor Ort, hatte Unterlagen vorbereitet, den Konferenzraum gelüftet, dafür gesorgt, dass die Kaffeemaschine lief, die Unterlagen geordnet und bereitgelegt. Dann hatte sie sich in das große altmodische Büro zurückgezogen, das mit seinem überbordenden Schreibtisch so wenig zu ihr passte wie die aufgezwungene Rolle als stellvertretende Geschäftsführung. Sie hatte sich an dem runden Besprechungstisch in dem Raum niedergelassen und ihre Unterlagen ein letztes Mal studiert, noch drei Details nachgeschlagen. Schließlich hatte sie den Raum wieder verlassen, um mit ihrer neuen Assistentin einige letzte Anweisungen zu geben als sie eintraf. Diese hatte sie schockiert angesehen, als sie zur vereinbarten Zeit eintraf und sämtliche Vorbereitungsarbeit schon erledigt war. Misaki hatte es mit einem Lächeln abgetan. „Das ist eine alte Gewohnheit“, erklärte sie abwinkend auf die Entschuldigung der jungen Frau hin. „Das lässt sich so leicht nicht abschütteln“ Sie war schrecklich nervös, dabei kannte sie jeden einzelnen der Entwickler, die sich zu wundern schienen, wer ihr Treffen leiten würde. Die Neuigkeit, dass ihr CEO für längere Zeit ausfallen würde, hatte bereits die Runde gemacht, doch es war noch nicht offiziell, wer ihn vertreten würde. Misaki holte tief Luft, straffte die Schultern und trat ein; ihre Assistentin schloss hinter ihr die Glastür, während sie zu Soichiro Hiwataris Stammplatz schritt und sich setzte. Sie fühlte alle Augen im Raum auf sich gerichtet, während sie ihrer Assistentin bedeutete, den ersten Stapel an Unterlagen zu verteilen. „Wir sprechen heute über die neue Linie der Verteidigungsringe“, kündigte sie dem Entwicklerteam an. „Das Projekt schreitet zu langsam voran. Ich habe mir Ihre Berichte angesehen und mir sind einige Unstimmigkeiten aufgefallen, an denen wir in der kommenden Woche arbeiten werden.“ Die Entwickler – allesamt Männer, wo waren nur die Frauen in der Beyblade-Industrie? – tauschten unschlüssige Blicke. „Aber Misaki-san, sollten wir nicht auf Hiwatari-kaichou warten?“, wandte einer von ihnen unschlüssig ein. Misaki hatte eine Wortmeldung wie diese erwartet; Hiwatari Soichiro hatte kaum jemanden über seine Verurteilung informiert. „Hiwatari-kaichou ist bis auf weiteres verhindert“, informierte sie sachlich, wie sie es vor dem Spiegel geübt hatte. Sie wartete einen Moment ab, ließ die Information sinken und hob dann die Mappe, die sie vorbereitet hatte. „Nun zum Projekt: Öffnen Sie die Mappe mit Unterlagen, die Sie vor sich liegen haben.“ Die vier Entwickler starrten sie irritiert an. Misaki erwiderte stoisch einen jeden Blick, der sie traf, und hob erwartungsvoll eine Augenbraue. „Wir haben nicht viel Zeit, Gentlemen“, erinnerte sie ihre Entwickler, die unter Hiwatari Soichiro gezittert hatten. Sie beobachtete, wie die vier Männer mittleren Alters einen Blick wechselten, und räusperte sich. „Zunächst möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine Unstimmigkeit in den Ergebnissen hinweisen“, Misaki schlug die erste Seite auf, begann das Meeting nun offiziell. Sie beobachtete zufrieden, wie die vier langjährigen Entwickler von Hiwatari Quality sich hastig über die kopierten Unterlagen beugten. „Sie finden sie auf der zweiten Seite Ihrer Unterlagen. Wer war dafür zuständig?“ Einer der Entwickler hob die Hand. „Ich, Misaki-san“ Misaki nickte sachlich und notierte sich den Namen des Entwicklers. „Wie erklären Sie sich diese Unstimmigkeit?“, forschte sie nach, beobachtete, wie der Entwickler sich stammelnd zu erklären begann. Nach dem Meeting trat einer der Entwickler – er hatte sich immer schrecklich bei Hiwatari Soichiro eingeschleimt und Misaki nicht das geringste Maß an Respekt entgegengebracht – an sie heran. „Misaki-san, wissen Sie, wer Hiwatari-kaichou ersetzen wird?“ Misaki maß ihn mit einem langen Blick, den sie sich von ihrem Schwiegervater abgeschaut hatte. Sie kannte den Umgangston der Firma. „Ich bin Hiwatari-kaichous direkte Stellvertreterin, Mimasawa-san“, informierte sie den Entwickler kühl. „Ich erwarte, dass Sie mir den entsprechenden Respekt entgegenbringen, nicht zuletzt, weil ich während seiner Abwesenheit über sämtliche Projekte entscheide“ Die Drohung war klar: Mimasawa-san verbeugte sich mehrmals als er sich verabschiedete und trollte sich. Sicherlich würde sich diese Begegnung im Unternehmen verbreiten wie ein Lauffeuer. Misaki war es unangenehm, zu solchen Mitteln zu greifen, doch sie kannte die Entwickler, die genauso konservativ waren wie ihr Schwiegervater. Vielleicht sollte sie für das nächste Projekt eine Frau einstellen, nur um ihnen eins auszuwischen. Im Büro ihres Schwiegervaters angekommen beäugte sie den alten Schreibtischsessel mit der hohen Rückenlehne kurz skeptisch, ehe sie sich setzte und den Computer hochfuhr und die offizielle Aussendung an die Mitarbeitenden verfasste. Kapitel 2: 2004 (I) ------------------- Die automatischen Türen schlossen sich mit einem leisen Geräusch. Die vier jungen Männer unterhielten sich leise auf Russisch; Gesprächsfetzen drangen zu ihr, doch sie waren zu undeutlich um sie zu identifizieren. Die vier jungen Männer waren zu unterschiedlichem Grad einbandagiert. Sie wirkten vor allem eines: erschöpft. Die kleine Gruppe schien sich eng um den Captain des Teams, Yuriy, herum zu scharen, als könne er gleich umfallen. Misaki berührte der Anblick der blassen, müden Gesichter, die alle ein wenig dem Rothaarigen zugewandt waren als müssten sie besonders auf ihn achten. Yuriy wirkte noch etwas wackelig auf den Beinen, blasser noch als die anderen. Misaki hatte in der Nähe des Eingangs darauf gewartet, dass Kai das Krankenhaus verließ – er hatte am Telefon darauf bestanden, dass sie ihn nicht in seinem Zimmer abholte. Daitenji-san hatte ihr allerdings verraten, wann er entlassen wurde. Das hatte ihr Sohn ihr nämlich auch nicht sagen wollen. Manchmal war er so stur und bockig wie sein Großvater; doch Misaki hatte genug Erfahrung mit dieser speziellen Art von Sturkopf, die typisch für einen Hiwatari war. Misaki machte einen halben Schritt und hielt inne als die Unterhaltung der kleinen Gruppe erstarb, während die vier sie musterten als sie näherkam. Misaki fühlte sich einen Moment lang stark an den Moment vor dem Verhandlungssaal nach der BioVolt-Verhandlung erinnert, als die Augen der vier ihr folgten. Doch der Jüngste, der sich beim letzten Mal eng an Yuriy gedrängt hatte, war nicht dabei, und im Gegensatz zu damals waren sie nicht vom fahlen Neonlicht eines Verwaltungsgebäudes beleuchtet, sondern standen im strahlenden Sonnenschein. Wenn auch eindeutig blass um die Nasen und körperlich angeschlagen, wirkten sie gesünder als damals, lebendiger. Kai blickte ihr entgegen, die rotbraunen Augen, die er von ihr hatte, überrascht geweitet. Er tat mit einem Seitenblick auf Yuriy einen halben Schritt nach vorne, während sie die letzten Meter überwandt und ihn in eine feste Umarmung zog. Er versteifte sich im ersten Moment. Misaki wusste nicht, ob sie ausversehen auf einen Bluterguss oder eine verbundene Wunde drückte oder ob ihn ihre Geste überraschte, da sie sein Bedürfnis, eine gewisse Distanz zu wahren, normalerweise respektierte. Es dauerte zwei Herzschläge, die sich anfühlten wie zwei Ewigkeiten, ehe sie Kais Arme spürte, die sich vorsichtig um sie schlossen. Sie verharrte zwei weitere Herzschläge, die nun umso schneller vergingen, ehe sie die Umarmung löste. Ihre Hände blieben auf seinen Schultern ruhen. Sie atmete einmal durch, fühlte die Sorge, die beständig gewachsen war, während sie die Matches im Fernsehen verfolgte, von ihr abfallen wie ein schweres Gewicht. Sie lächelte ihren Sohn an, der die Geste zögerlich erwiderte. „Ich bin stolz auf dich“, erklärte Misaki zärtlich, leise auf Japanisch. „Aber warum bist du nicht nach Hause gekommen? Ich habe mir verdammt nochmal Sorgen gemacht“ Kai öffnete den Mund, schloss ihn wieder und öffnete ihn erneut, doch gab er kein Wort der Erklärung von sich. Er senkte den Blick. Aus den Augenwinkeln sah sie die anderen drei Blicke wechseln, die sie nicht lesen konnte. Misaki atmete tief durch, zuckte mit den Schultern und ließ nun von ihrem Sohn ab. Sie wandte sich stattdessen den drei Russen zu, die sie aufmerksam und etwas skeptisch beobachteten. Sie lächelte, wie sie es vor dem Spiegel geübt hatte. „Ich habe von Daitenji-san gehört, dass ihr drei meinen Sohn daran gehindert habt, unvernünftig zu sein“, erklärte sie auf Russisch. Sie merkte, wie Kai neben ihr sich merklich unangenehm berührt wand. Misaki reichte Yuriy, der neben Kai stand, die Hand. Dieser hob überrascht eine Augenbraue, erwiderte jedoch ihren Händedruck. Sie blickte ihm fest in die Augen. „Ich danke euch dafür“, erklärte sie. Kai verdrehte die Augen, verschränkte die Arme vor der Brust. „Jetzt reicht’s aber“, murmelte er peinlich berührt, und Misaki lachte leise. Der Silberhaarige hinter Kai – Boris, wenn sie sich recht erinnerte – lachte spöttisch. „Ja Kai, hör auf deine Mutter“, trietzte er, während der große Blonde nur den Kopf schüttelte. „Zatknis‘, Borya“, knurrte der Angesprochene, während der Rotschopf zum ersten Mal hinter seinen distanzierten Gesichtsausdruck blicken ließ und leise lachte. Das Geräusch schien die anderen beiden zu erschrecken, denn sie blickten überrascht zu Yuriy. Kai hingegen schmunzelte verhalten. Misaki lächelte warm, während sie das Team betrachtete, dem Kai beigetreten war. Sie erinnerte sich noch gut an das erste Mal, als sie das Team vor sich gesehen hatte. Sie hatten alls dünn und blass und traurig gewirkt. Sie waren alle um einiges gewachsen und wirkten drahtig. Besonders Yuriy schien schlicht in die Höhe geschossen zu sein und wirkte nun einfach lang. Sie waren noch immer blass, aber wirkten nicht mehr so traurig wie damals. Ganz im Gegenteil. Yuriy schien ihren Blick zu bemerken und musterte sie kühl, ehe er zu Kai blickte. Dieser zuckte mit den Schultern, und eine Konversation in Blicken begann, an der niemand außer ihnen teilnahm. Der Rothaarige hob eine Augenbraue, woraufhin Kai die Augen verdrehte und den Kopf schüttelte. Dann war es an Yuriy, die Augen zu verdrehen, woraufhin Kai nochmals den Kopf schüttelte. Misaki sah den beiden zu, find Boris‘ Blick ein, ehe sie sich räusperte. Kai seufzte schließlich ergeben, steckte die Hände in die Hosentaschen und trat einen halben Schritt von der kleinen Gruppe weg. „Wir sehen uns morgen“, brummte er, und Yuriy grinste, wohl zufrieden mit dem Ausgang ihres stummen Austausches. „Pünktlich“, betonte er und es schien ein Witz zu sein, den nur sie verstanden, denn Sergej und Boris lachten. Misaki schmunzelte und verabschiedete sich förmlich mit einer Verbeutung, ehe sie gemeinsam mit Kai den Weg in Richtung der Gästeparkplätze einschlug. „Was passiert morgen?“, fragte sie beiläufig als sie das Auto erreichten und einstiegen. Kai gab einen unwilligen Laut von sich. „Yura, Borya und Seryoga wollen sich Tokyo ansehen“, er seufzte entnervt. „Ich dachte echt nicht sie seien die Typen für sight seeing“ Misaki lachte amüsiert, während sie Fahrbahn wechselte. „Ihr habt viel geleistet. Ich denke, ihr habt euch ein wenig Urlaub verdient“, sie schmunzelte, während ihr Sohn neben ihr auf dem Beifahrersitz die Arme verschränkte und unwillig brummte. Kapitel 3: 2004 (II) -------------------- Der Vorstandsvorsitzende stellte sich auf eine umgedrehte Kiste, die ihm als behelfsmäßiges Podium dienen sollte, und klatschte in die Hände. Die umliegenden Gespräche erstarben, während sich alle ihm zuwandten. Eine Lichterkette, die sie für den Anlass aufgebaut hatten, bewegte sich im lauen Augustwind und warfen schimmernde Reflexionen auf den Fluss. „Ich will gar keine langen Reden schwingen“, begann der kleine, rundliche Herr und machte eine ausladende Geste in die Runde. „Ihr alle wisst, was ihr getan habt und welche Opfer ihr gebracht habt, damit die BEGA den Sport nicht zerstört, der uns zusammenbringt. Eure Treue und euer Vertrauen rühren mich tief und ich möchte mich dafür von ganzem Herzen bedanken“ Applaus brandete auf. Daitenji hob die Hände und lächelte breit, bevor er weitersprach. „Ich möchte mich nicht nur bei euch für eure Unterstützung bedanken, sondern auch bei unseren Partnern, PPB Labs und Hiwatari Quality. Durch ihre Hilfe konnten wir den Wiederaufbau der BBA so schnell in Angriff nehmen – bitte gebt ihnen einen Applaus!“   Yuriy beugte sich zu Kai, nickte vage in Richtung von Misaki Hiwatari und fragte leise: „Wusstest du davon?“ Der Angesprochene schüttelte den Kopf, während er klatschte. „Nein, das ist mir alles neu“, gab er ebenso leise von sich, während Misaki verlegen winkte und sich in Richtung Daitenji verbeugte. „Es war klar, dass Judy Tate ihre Finger mit drin hat, aber dass meine Mutter wieder in Beyblades investiert …“   Der Vorsitzende der BBA hob erneut die Hände als Zeichen, dass er noch nicht fertig war, und zog damit die Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Aber genug der langen Worte: Wir haben durch eure großartige Zusammenarbeit eine Anlage und Getränke und wollen den Neubeginn feiern!“ Ein paar der Anwesenden hoben ihre Saftgläser, ein paar andere klatschten, und Daitenji mühte sich von seinem behelfsmäßigen Podium herunter, um die Tanzfläche freizugeben. Jemand machte sich an der Anlage zu schaffen und es dauerte nicht lange, bis Musik ertönte.   „Misaki-san!“, Misaki wandte sich um, um sich gegenüber einer großen, blonden U.S.-Amerikanerin mit deutlichem Akzent in ihrem Japanisch gegenüber zu finden. Sie war laut, auffallend, groß – dafür war sie, wie Kai ihr erzählt hatte, berüchtigt unter den Team-Managern. Sie hatte selbst Kinomiya Hitoshi dazu gebracht, den Schwanz einzuziehen, was scheinbar etwas heißen musste. „Judy-san! Wie geht es Ihnen?“, Misaki verbeugte sich zur Begrüßung. Judy verzog das Gesicht angesichts des formellen Grußes. „Unsere Kinder bladen schon so lange zusammen. Wollen wir nicht langsam per Du sein?“, fragte sie also geradeheraus, und Misaki nickte überrascht, lächelte. „Gerne“ Sie wurde aus Judy Tate nicht schlau, die eine Flasche Bier in der Hand hielt und ihrem Sohn freundlich zuwinkte. Der Blick ihrer blauen Augen war weich, in ihre Augenwinkel schlichen sich Krähenfüße als sie breit lächelte. Der winkte zurück, ehe er sich wieder seiner Hauptbeschäftigung zuzuwenden: Er redete auf die Rothaarige des U.S.-amerikanischen Teams neben sich ein. Er schien sie wohl zu etwas überreden zu wollen und wurde dabei tatkräftig vom Beyblade-Weltmeister unterstützt. Mizuhara Max schien erfolgreich zu sein, denn kurz darauf tummelte sich eine kleine Gruppe junger Leute aus allen Nationen auf der improvisierten Tanzfläche. Misaki fühlte sich an Studentenparties erinnert, an ihre erste Liebe und hatte Lust, es den Jugendlichen nachzutun. „Sie werden viel zu schnell erwachsen“, merkte Judy neben ihr seufzend an. „Unter uns gesagt fürchte ich mich ein wenig davor, dass Max bald mit einer Freundin im Schlepptau daherkommt“ Misaki schmunzelte. „Das stimmt“, sie nickte langsam, ließ ihren Blick schweifen. „Bald ist Beyblade für sie nicht mehr das wichtigste. Erinnerst du dich an dieses Alter?“ Judy lächelte breit. „Das sind doch die schönsten Jahre, nicht?“, fragte sie augenzwinkernd. Misaki lachte und prostete ihr zu. Die Teams, die in der Weltmeisterschaft gegeneinander angetreten waren, hatten sich in Grüppchen auf Decken und stehend um die Fläche herum verteilt. Die kleine Gruppe probierte Tanzschritte aus, die sie wohl bei ihren Eltern gesehen hatten. Es sah ungelenk aus, wie Bewegungen die noch nicht so ganz passten. Misaki sah wie der weibliche Part der spanischen Zwillinge die Chinesin mit den auffallenden Haaren und die junge Frau, die immer in der Nähe des Weltmeisters war, mit sich auf die Tanzfläche zog. Einige der anderen bladeten, wieder andere spielten Karten. Das kleine Buffet, das die Erwachsenen vorbereitet hatten, war eine gute Idee gewesen. Misakis Blick fiel auf Kai, ohne ihn bewusst gesucht zu haben. Sie beobachtete, wie Kai zu Yuriy und Boris schlenderte, ein Becher in der Hand. Sie sah, wie sie ein paar Worte wechselten, lachten. Ob Kai bewusst war, wie sehr er am russischen Team hing? Dann sah sie, wie Boris etwas aus seiner Jackentasche hervorzog, nachdem er sich einmal unauffällig umgesehen hatte. Etwas glänzte im Halbdunkel, und verschwand wieder. War das ein Flachmann? Misaki runzelte die Stirn. Judy gab ein abfälliges Geräusch von sich, was Misaki dazu veranlasste, sich überrascht zu ihr zu drehen. Judys blaue Augen waren hart geworden und waren kalt auf die Russen gerichtet. „War doch klar, dass die Unruhe stiften“, bemerkte sie abfällig. Misaki schluckte den Stich hinunter, den es ihr gab. „Wieso?“, fragte sie bemüht ruhig nach. Judy schnaubte abfällig. „Sie haben während der Weltmeisterschaft eine nette Show abgezogen, aber ich bin mir sicher, dass das nur das war: Show. Die haben sich keinen Deut gebessert“, ihr kühler Blick richtete sich auf Misaki, in deren Magengegend es zu brodeln begann. „W-woher glaubst du das zu wissen?“, erkundigte sie sich gepresst. Judy blickte sie überrascht an, schien jedoch ihre Tirade nicht beendet zu haben. „PPB wollte sie in die USA holen, da habe ich die Akten gesehen, weil ich ein Gutachten ausstellen sollte. Die Berichte der Sozialarbeiter sind erschreckend. Weißt du, aus welchen Umständen die kommen? Sie waren vor vier Jahren ein verlorener Fall und das hat sich nicht geändert“ „Judy“, Misaki straffte die Schulern, sah ihr Gegenüber ernst an. „Sie haben sich gegen Volkov gestellt, als wir alle zu überrumpelt waren, um etwas zu tun. Sie haben viel durchgemacht, aber man sieht, dass sie sich verändert haben“ Misaki warf einen kurzen Seitenblick auf die kleine Gruppe, zu der sich nun auch die Spanierin gesellt hatte, hoffte, dass sie nichts davon mitbekamen, ehe sie Judys Blick traf und hielt. Ihre Unterhaltung wurde von Kinomiya Hitoshi unterbrochen, der sich zu ihnen gesellte. „Glauben wir, wir merken nicht, dass sie einen Flachmann eingeschmuggelt haben?“, fragte er an niemand bestimmtes gewandt, die Arme verschränkt. Misaki biss die Zähne zusammen. „Ach, lass sie doch, Grünschnabel“, schaltete sich Kinomiya Ryou ein, der den Kommentar seines älteren Enkelsohns wohl überhört haben musste. Er lächelte Misaki an, die Judy ein wenig erleichtert den Rücken zuwandte. „Der Meinung bin ich auch“, pflichtete sie ihm bei, fühlte sich schon etwas leichter. „Solange sie nicht übertreiben ist alles okay. Außerdem gehen wir nicht unbedingt mit dem besten Beispiel voran“ Sie hob ihre Bierflasche, und Ryou stieß mit ihr an. Judy und Hitoshi schienen sich in ihrer Gegenwart unwohl zu fühlen; nach wenigen Minuten waren Misaki und Ryou-san alleine. Ryou trank demonstrativ einen Schluck Bier und nickte in Richtung ihres Sohnes. „Sie haben sich gut gemacht, nicht wahr?“   „Worüber lästert ihr so, Mädels?“, Giulia gesellte sich zu der kleinen Gruppe, die Boris, Kai und Yuriy bildeten, und brachte damit das bisherige Gespräch zum Erliegen. Sie hatte einen Becher in der Hand, nickte Kai und Yuriy kurz zu, wandte sich dann an Boris. „Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass ihr die Anlaufstelle für Alkohol seid“, erklärte sie, und Boris verdrehte die Augen. Er blickte zum dritten Mitglied ihres Teams, der sich ein wenig Abseits ins Gras gesetzt hatte und sich mit Mathilda und Raoul unterhielt. „Sergej kann auch nichts für sich behalten“, grummelte er, während er unauffällig seinen Flachmann aus der Tasche holte. Kai sah sich unauffällig um. „Mach dich mal locker, Hiwatari“, Boris verdrehte die Augen. „Zatknis‘, Borya“, doch auch er hielt ihm seinen Becher mit Orangensaft hin. Boris grinste zufrieden, füllte mit einem großzügigen Schuss aus seinem Flachmann auf und prostete den beiden zu, ehe er ihn mit einem Seitenblick auf Daitenji wieder einsteckte. Kai verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere, sah an der anderen Seite des kleinen erleuchteten Platzes am Fluss seine Mutter neben Takaos Großvater stehen, die ihm mit einem Augenzwinkern zuprostete. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)