Die mit den Tierwesen tanzt von Calafinwe ================================================================================ Kapitel 2: Am nächsten Morgen ----------------------------- Ich rollte mich herum und gähnte herzhaft. Unter meiner Bettdecke war es mollig warm und ich hatte gar keine Lust, jetzt schon aufzustehen. Trotzdem drückte es mich in der unteren Region, das Hohlorgan musste dringend entleert werden, und ich hatte einen grummelnden Magen, der nicht Ruhe geben wollte. Schlaftrunken, wie ich war, setzte ich mich auf dem Bett auf. Es war irgendwie stockfinster, ich tastete nach dem Schalter meiner Bettlampe, fand ihn aber nicht. Grummelnd stand ich auf und tastete mich in der Dunkelheit in Richtung Toilette. Nur, um abrupt mit einem Möbelstück zusammenzutreffen. Eigentlich traf es eher mich, gegen mein rechtes Schienbein. Wie blöd, dass es mir gerade jetzt entgegenkommen musste, wo ich dringend aufs Örtchen musste. Im Halbschlaf wich ich dem Möbel aus und rannte dann gegen eine Wand. „AU!“ Wieso kam mir jetzt auch noch eine Wand entgegen, die hatte hier doch gar nichts zu suchen? Ich stützte mich an der Wand ab und gähnte noch mal. War das ein leichtes Übelkeitsgefühl in meinem Magen? Ich überlegte, wann ich das letzte Mal etwas zu Essen hatte. Es fiel mir leider nicht ein, aber es schien gerade mein körperliches Hauptanliegen zu sein. Zumindest nach dem Klogang. Ich versuchte, mich in der Dunkelheit zu orientieren. Inzwischen hatten sich meine Augen an das kaum vorhandene Licht gewöhnt. „Scheiße!“, war mein einziger Kommentar. Ich war nicht zuhause. Schlagartig war ich wach. Wo war ich? „Scheiße!“ Die Geschichte mit der Tante vom deutschen Zaubereiministerium! Das hatte ich doch alles nur geträumt, oder nicht? Aber wenn ja, wo war ich dann jetzt? Ich fixierte die Tür, die ich nur deshalb erkannte, weil unter ihrem Schlitz Licht hindurch drang. Langsam bewegte ich mich auf sie zu, sah meine Hand in Zeitlupe zur Türklinke gleiten und sie herunter drücken. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Der Gang, der sich hinter der Tür aufmachte, war ziemlich unspektakulär und schien zum Glück auch nicht besonders lang zu sein. Duster, ohne Tageslicht, wie mir auffiel, stattdessen hingen altmodische Lampen jeweils parallel zwischen den Türen. Sie sahen für mich aus, als wären sie aus der Zeit, wo man Lampen noch mit Gas betrieben hat, aber sicher war ich mir nicht. Ich schaute den Gang einmal rauf und runter. Kein Wunder, dass ich mich nicht mehr erinnere, hier lang gekommen zu sein. Alles höchst mysteriös. Ich ging in mein Zimmer zurück und fand nun endlich auch einen Lichtschalter. Das Zimmer, in dem ich die vergangene Nacht geschlafen hatte, war genauso einfach, wie der Gang. Ein einfaches Bett, etwa einen Meter breit und damit gerade ausreichend für mich, begleitet von einem großen und einem kleinen Schrank und einer Truhe am Bettende. Ein Schreibtisch nebst Stuhl komplettierte das Mobiliar. Es handelte sich um ein Einzelzimmer, wie Dr. Müller am Vortag gesagt hatte. Allerdings hatte er auch gemeint, ich verfüge hier über private Sanitäranlagen. Bisher hatte ich die nicht gefunden. Ich schloss die Tür hinter mir, ging zum großen Schrank hinüber und öffnete ihn. „Äh ...“ In dem Möbel waren feinsäuberlich Klamotten von mir untergebracht. Alles Nötige, Unterwäsche, mehrere Hosen für Sommer und Winter, Pullis, T-Shirts. Sogar eines der Kleider hatte man mir her gebracht. Als mein Blick zum Bett glitt, stellte ich überrascht fest, dass das Bettzeug mit einer meiner eigenen Bettwäschen bezogen worden war. Vermutlich hatte ich deshalb so angenehm darin geschlafen, obwohl es ein fremdes Bett war. In der Truhe fand ich diverse Hygieneartikel und meinen roten Wanderrucksack. Ich griff mir Handtuch und Seife. Meine Blase drückte immer noch. „Hn ...“ An der Tür steckte kein Schlüssel. Richtig, diesen musste ich mir ja an der Rezeption abholen, das konnte ich nachher erledigen, wenn ich meinen Namen änderte. Ich trat auf den Gang hinaus, in Socken, aber mit meiner Straßenbekleidung, bei der sich scheinbar niemand getraut hatte, sie mir auszuziehen. Ich wandte mich nach rechts, links lagen nur noch vier Zimmer und dann war das Ende des Gangs erreicht. Nach einigen Metern kam ich in einen größeren Raum, manche würden es wohl als großzügiges Foyer bezeichnen. Hier zweigten noch zwei Gänge ab, während es auf der einen Seite Sanitärbereiche gab. Die erkannte ich allerdings erst, als ich direkt davor stand, denn die Männlein- und Weibleinzeichen aus Kupfer waren wirklich klein und schlecht zu erkennen. Und stammten wohl wie das meiste hier aus dem letzten Jahrtausend. Der Abort war genauso alt aber sauber. Ich hätte nicht gedacht, dass man so veraltete Sanitäranlagen noch so gut in Schuss halten konnte, aber vielleicht lag es auch an der Magie? Ich wusch mir Hände und Gesicht, mehr war nicht möglich, denn Duschen hatte ich hier nicht gefunden. Ich ging wieder in mein Zimmer zurück, um die Sachen aufzuräumen. Jegliches Zeitgefühl hatte ich verloren, eine Uhr fand ich nicht, aber ich fürchtete, dass ich schon viel zu spät dran war. Doch anstatt mich zu beeilen und mich schnellstmöglich an der Rezeption zu melden, wandte ich mich dem kleinen Schrank zu. Da ich in dem großen und in der Truhe schon das Meiste gefunden hatte, war ich neugierig, ob der kleine Schrank auch befüllt war. Ich öffnete ihn und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Der Schrank war mit einem Raumausdehnungszauber versehen, der in so etwas wie einer kleinen Privatbibliothek mündete. „Gott, warum haben die das in dem kleinen Schrank gemacht und nicht in dem Großen?“ Ich trat durch das Möbel hindurch und stieß mir den Kopf. Ich fluchte, schaute mich dann aber neugierig um. Momentan gab es hier zwei Regale sowie einen großen Schreibtisch mit Stuhl und Schreibzeug, genauso altmodisch, wie die restliche Einrichtung. Das eine Regal war komplett befüllt. Ich trat näher und las die Buchrücken. Auf jedem stand „Encyclopaedia Magica Germanica“, darunter gab es verschiedene Einteilungen in Flora, Fauna und dergleichen mehr. Jede dieser Unterteilungen umfasste ihrerseits mehrere dicke Wälzer, wobei Fauna mit nur zwei Stück sehr übersichtlich war. Das war wohl die Stelle, an der ich ins Spiel kam. Insgesamt schätzte ich die Enzyklopädie auf etwa 30 Einzelbände, was ich als ziemlich ordentlich empfand. Doch anstatt mich weiter um die Bücher zu kümmern, beschloss ich, erst einmal etwas Essbares zu suchen, mein Magen grummelte inzwischen unentwegt. Ich kletterte durch den Schrank zurück in mein Zimmer und verschloss ihn sorgsam. Dann sah ich mich um, wo war mein Zauberstab? Ich fand ihn schließlich unter der Bettdecke wieder, nahm ihn auf und zog mir die Schuhe an. Barfuß wollte ich keinem der anderen Zauberer begegnen. Ich ging wieder in den größeren Raum zurück. Unschlüssig blickte ich die anderen Gänge entlang, fand aber heraus, dass es eigentlich nur einen gab, der aus dieser Ecke des Gebäudes hinausführte. Ich überschlug die Zimmeranzahl und schätzte, dass hier bis zu 20 Personen gleichzeitig leben konnten, wenn es sich ausschließlich um Einzelzimmer handelte. Bisher hatte ich jedoch noch niemanden getroffen, den ich danach hätte fragen können. Ich folgte dem einen Gang und kam zu den Aufzügen. Interessiert trat ich an das Plakat mit dem Grundriss des Ministeriums heran und fand heraus, dass es im zweiten Untergeschoss eine Kantine gab. Bestimmt hatten die dort auch Frühstück. Ich drückte auf den Knopf und musste nicht lange warten, aber dieses Mal bediente nicht Bertie den Aufzug. „Guten Tag“, grüßte ich den Herrn, der auf mich eher noch wie ein Knirps wirkte, und stieg in die Aufzugskabine. „Zweites Untergeschoss bitte.“ Wir fuhren kommentarlos nach oben, hielten im dritten Untergeschoss an und ein Mann, knapp 1,90 Meter groß, muskulös und etwa in meinem Alter, trat ein. Er hatte ein blaues Auge. Ich sah ihn geschockt an, wandte mich aber schnell ab, um nicht aufdringlich zu wirken. „Ist halb so wild!“, meinte er fröhlich. „Beim Training passiert das schon mal. Wollen Sie nach oben?“ Ich nickte. „Training?“ Ach ja, im dritten Untergeschoss befand sich ja das Trainingsgelände, bei dem man mir geraten hatte, es möglichst bald aufzusuchen. Ich schluckte, das konnte ja heiter werden. Und der Typ wirkte auf mich wie ein voll ausgebildeter Zauberer. Er drehte sich zu mir, während wir weiter Meter um Meter mit dem Aufzug erklommen. „Hm? Ach, Sie müssen die Neue aus dem Landwirtschaftsamt sein, oder? Ich bin Jost.“ Jost hielt mir seine Rechte zum Gruß hin. Ich gab ihm meine Hand und musste sie anschließend etwas lockern, nachdem Jost sie überschwänglich geschüttelt hatte. Es schien ihm nicht aufzufallen. „Monika ...“, stammelte ich. „Ein schöner Name. Meine Tante heißt auch Monika.“ Ich verdrehte die Augen. Den Namen hatte ich nie wirklich gemocht, aber auch keine passende Alternative gehabt. Noch mehr Abneigung hatte ich gegen den Namen entwickelt, als ich feststellte, dass vor allem ältere Semester so hießen. „Das ist mein richtiger Name. Mir wurde gesagt, ich solle mir einen Decknamen zulegen.“ „Ah ja. Das gilt für die meisten Hexen und Zauberer hier.“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Zweites Untergeschoss.“ Die Fahrstuhltüren öffneten sich und vor uns stand eine Meute, die in die Kabine wollte. Wir quetschten uns hindurch. Jost bedeutete mir, nach links zu gehen, der Lärm aus der Kantine war bereits hier gut zu hören. „Und hast du dir schon was überlegt?“, fragte er. „Mhm. Schuster wohl als Nachnamen, aber Vorname gefallen mir mehrere Sachen.“ „Welche stehen denn zur Auswahl?“ „Senta, Lizzy oder Wanda, hatte ich mir unter anderem überlegt.“ „Lizzy find ich hübsch.“ „Ist Jost dein richtiger Name?“, fragte ich. Wir kamen endlich in der Kantine an. Optisch sah sie bei weitem besser aus, als das, was ich von der Uni her kannte. Mehr wie die Kantine unseres Kunden. ‚Oder Ex-Kunden‘, dachte ich. Jost und ich nahmen uns ein Tablett und liefen die verschiedenen Stationen ab. „Nein, natürlich nicht. Mein richtiger Name ist eigentlich Heiko.“ „Ah.“ Ich lud mein Tablett voll mit allem, was mich optisch ansprach, Speck, gekochte Eier, Vollkornsemmeln, wobei das hier wohl eher Brötchen statt Semmeln waren, O-Saft, Kaffee und einen kleinen Obstsalat. „Da hat wohl jemand Hunger“, lachte Jost. „Ja, ich hatte zuletzt gestern Mittag was zwischen den Kiefern.“ Sein Gesicht wurde plötzlich ernst. „Ich kam erst spät am Abend hier an!“, fügte ich schnell hinzu. „Ist der Name von Dr. Müller auch ein Deckname?“ „Nein. Die höheren Tiere können mit ihrem realen Namen raus, aber wir Agenten in der Regel nicht. Zu unserem eigenen Schutz.“ Ich folgte ihm zu einem Platz etwas abseits, wir setzten uns und ich machte mich über meine Portion her. Jost nippte an seinem Tee. „Und Frau von Bülow?“ „Auch nicht. Aber sprich sie nicht darauf an, sie reagiert heikel darauf, wenn sich jemand nach der Wahl ihres Decknamens erkundigt.“ „Sie wollte wohl unbedingt einen Adelstitel haben, wie?“ Er zuckte mit den Schultern und biss in ein Croissant. Ich hingegen verputzte Speck, Eier und Semmeln in Nullkommanichts. Auch der Obstsalat war schnell verschwunden, aber ich hatte immer noch Hunger. „Isst du das noch?“, fragte ich. Jost schob mir sein zweites Croissant über den Tisch rüber. „Danke!“ „Und hast du dich schon umgesehen?“, fragte er. „Nein. Ich bin gestern erst sehr spät in der Nacht angekommen, glaube, war so um zwei im Bett oder so.“ „Oh. Dafür bist du aber früh wach.“ Ich horchte auf. „Wie spät ist es denn?“ „Halb neun ...“ „Halb neun?“ Puh, da hatte ich aber ganz schön Glück gehabt. Ich entspannte mich sichtlich, lehnte mich zurück und mümmelte das Croissant vor mich hin. „Wie lange arbeitest du schon für das Ministerium?“ „Seit meiner Ausbildung zum magisch vereidigten Zollfachmann.“ Mir klappte die Kinnlade nach unten. „Zöllner?“ „Ja. Wir überwachen die Einhaltung von Verboten und Beschränkungen beim Warenverkehr, sichern die Grenze und solche Sachen. Unsere Arbeit unterscheidet sich da nicht so sehr von denen der MaKas, nur dass wir eben auf Magier und Hexen und ihre Angelegenheiten spezialisiert sind.“ „Aha.“ „Ich schätze, dass wir in Zukunft gelegentlich zusammenarbeiten werden. Wenn wir zum Beispiel ein magisches Tierwesen konfiszieren müssen.“ „Kommt das häufig vor?“ „Gelegentlich ja. Ab und zu haben wir auch mal ein Totes dabei, weil jemand dachte, er könne es einfach im Koffer mitnehmen, den er am Flughafen aufgibt.“ „Äh ...“ „Hm?“ „Hexen und Zauberer reisen mit Flugzeugen?“ „Ja, warum denn nicht?“ „Äh, wäre Apparieren nicht viel schneller und unkomplizierter?“ „Klar, macht aber nicht jeder. Vor allem dann nicht, wenn sie mit MaKas unterwegs sind. Und manche Tierwesen sind auch einfach zu groß, um mit ihnen zu apparieren.“ „Mit MaKas unterwegs, gibt es keine Trennung zwischen ...?“ „Zwischen uns und den magisch Unbegabten? Nein, hat man Anfang der 1970er Jahre abgeschafft.“ „Oh.“ Ich erinnerte mich daran, dass Newt in den Filmen behauptete, die Amerikaner hätten ziemlich bornierte Regeln in Bezug auf die Interaktion mit Muggeln, das war Mitte der 1920er Jahre. Ob die USA diese Regel mittlerweile abgeschafft hatten, wusste ich nicht. Deutschland scheint sich da etwas weiterentwickelt zu haben. „Selbstverständlich sind wir dazu angehalten, unsere Welt vor den MaKas geheim zu halten, aber das ist natürlich nicht immer möglich. Vor allem dann, wenn es sich innerhalb einer Familie abspielt.“ „Aber dürfen wir sie denn heiraten?“ „Ja. Nur sollten wir halt trotzdem nicht mit unseren Fähigkeiten hausieren gehen, das zieht zu viele Probleme nach sich.“ Ich nickte, um ihm zu bedeuten, dass ich verstanden hatte. Inzwischen war mein Tablett leer, Kaffee und Saft getrunken und ich pappsatt. „Was hast du jetzt vor?“, fragte Jost. „Den Decknamen an der Rezeption abklären und den Schlüssel zu meinem Zimmer organisieren. Und dann ins dritte Untergeschoss.“ „Zum Trainieren? Viel Spaß!“ Wir standen auf und brachten unsere Tabletts zur Rückgabe. „Na vielen Dank. Ich hab‘ ja gar keine Ahnung, worauf ich mich einlasse.“ „Huh?!“ Wir machten uns auf den Weg zu den Aufzügen. „Ich habe erst gestern Abend durch Frau von Bülow erfahren, dass ich eine Hexe bin.“ „Ähh, du bist nicht in Arenberg ausgebildet worden?“ „Arenberg?“ „Deutschlands Schule für Zauberkunst?“ „Äh, nein?“ „Dann in Beauxbaton? Oder Hogwarts?“ Ich schüttelte den Kopf. „Doch nicht etwa in Durmstrang?“ „Nein.“ „Äh ...“ „Ich wusste bis gestern Abend nicht, dass ich eine Hexe bin“, erklärte ich ihm. Es war das erste Mal, dass Jost keinen fröhlichen Eindruck machte. „Ich bin genauso verwirrt wie du. Dr. Müller sagte, sie hätten mich vor einigen Jahren aus den Augen verloren.“ „Ach, einer von den Fällen ...“ „‚Einer von den Fällen‘, was meinst du damit?“ „Ach, das soll dir lieber Dr. Müller erklären.“ „Ich hab ihn gefragt, aber er hat nur herumgedruckst.“ „Kann sein, aber ich kann mich da nicht einmischen und dir Dinge erzählen, die deine Vorgesetzten vorerst vor dir geheim halten.“ Ich seufzte. Wir waren wieder beim Aufzug angekommen, doch die Kabine brauchte einige Zeit, um wieder bei uns anzukommen. „Wo musst du jetzt hin?“, fragte ich Jost, damit das Gespräch nicht vollends abbrach. „Hn, eigentlich hätte ich jetzt ein wichtiges Meeting, aber ich hab beschlossen, mit dir mitzukommen.“ „Huh? Warum das denn?“ „Um dir beim Training zu helfen!“, erklärte er. „Es ist verantwortungslos, komplett unerfahrene Hexen allein loszuschicken.“ „Wie schön, dass wenigstens einer das versteht.“ „Es sieht zwar nicht danach aus, aber das Ministerium ist chronisch unterbesetzt.“ „Chronisch unterbesetzt? So in etwa hat sich Müller gestern auch geäußert. Was ist denn der Grund dafür, wenn ich fragen darf?“ Jost sah mich an und überlegte. Endlich kam der Aufzug, wir stiegen ein und ließen uns eine Etage nach oben fahren. Während der Fahrt schwiegen wir, aber als wir oben waren und zur Rezeption gingen, beugte er sich zu mir rüber. „Kaputtgespart“, flüsterte er. Ich schwieg. Dass Jost mir für meinen Geschmack zu lange mit dieser Antwort gewartet hatte, als dass sie für mich plausibel klang, konnte er schließlich nicht wissen. Der Rezeptionist grüßte mich höflich, während mir ein kalter Schauer über den Rücken lief. Schüchtern lächelte ich den Mann an, dessen Namensschild ihn als Herrn Schneider auswies. Jost wartete beim Anschlagbrett auf mich. „Willkommen beim Ministerium für Zauberei Deutschland. Was kann ich für Sie tun?“ „Guten Tag, ich bin gestern hier angekommen und mir wurde gesagt, dass ich mir einen Decknamen zulegen muss.“ „Ah ja, richtig. Ich wurde schon darüber informiert.“ Beruhigt sah ich dabei zu, wie der Rezeptionist in einem Stapel Unterlagen zu wühlen begann. Er fand schließlich die richtige Mappe und öffnete sie. „Ah ja, Sie benötigen außerdem noch den Schlüssel zu Ihrem Zimmer, korrekt?“ Ich nickte. Schneider reichte mir ein Formular über die Theke. „Wenn Sie bitte hier Ihren gewünschten Vor- und Nachnamen eintragen würden. Unten rechts müssen Sie dann noch unterschreiben.“ Er reichte mir eine Schreibfeder. „Mit meinem richtigen Namen oder mit meinem Decknamen?“, fragte ich. „Mit richtigem Namen.“ „Oh.“ Ich sah auf das Formular. Meine persönlichen Daten hatte man soweit eingetragen. Von der Augenfarbe über Körpergröße und Geschlecht war alles dabei. Sogar mein richtiger Name stand auf dem Papier. Rechts oben war ein leeres Kästchen, das mich irritierte. Ich setzte meine Signatur darunter. „Hier, bitte.“ Ich reichte das Blatt zurück. „So, dann müssten wir jetzt noch ein Foto von Ihnen machen.“ Ich erschrak sichtlich. „Wofür wird denn ein Foto benötigt?“, fragte ich. „Das Foto wird für Ihren Dienstausweis benötigt. Ohne diesen können Sie die für Ihre Sicherheitsstufe zugänglichen Bereiche des Ministeriums nicht betreten.“ „Muss das jetzt sein?“ „Ja, umgehend. Sonst können wir Ihren Ausweis nicht fertigstellen.“ „Und wo kann ich so ein Foto machen lassen?“ „Wenn Sie bitte einmal um die Theke herum kommen wollen, dann können wir das gleich hier und jetzt erledigen.“ Ich tat, was Schneider mir sagte und versuchte, meine Frisur halbwegs in Ordnung zu bringen. Warum hatte mir niemand gesagt, dass sie ein Foto von mir brauchten? Komplett ungeschminkt konnte das nur eine Katastrophe werden. Wobei ich mich nur in den seltensten Fällen schminkte, für Bewerbungsfotos und dergleichen. Immerhin hatte ich davor noch mein Gesicht gewaschen, aber etwaige Reste vom Frühstück konnte ich mir nur mehr schlecht als Recht wegwischen. „Bitte stellen Sie sich einmal hier hin und blicken Sie direkt in die Kamera“, wies mich der Rezeptionist an, der bereits einen auffällig großen Fotoapparat in der Hand hielt. Ich fragte mich, ob der auch so ein bewegliches Foto von mir machen würde, wie ich es aus den Filmen kannte. Der Rezeptionist hielt die Kamera auf mich. „So, und jetzt lächeln Sie bitte einmal leicht.“ Es blitzte. „Noch eines als Reserve.“ Ich grinste noch mal windschief ins Objektiv. „Das hätten wir.“ Er schickte mich wieder zurück auf die andere Seite der Theke. „Wir werden den Ausweis so schnell wie möglich für Sie fertigstellen. Wo werden Sie sich die nächsten Stunden aufhalten?“ Ich sah zu Jost hinüber. „Im Trainingsgelände.“ „Wir werden Ihnen den Ausweis bringen. Jetzt bräuchte ich noch einmal Ihre Unterschrift dafür, dass Sie den Schlüssel zum Zimmer erhalten haben.“ Ich unterschrieb auf einem zweiten Formular. Schneider reichte mir einen altmodisch aussehenden Messingschlüssel. „Ich wünsche einen angenehmen Aufenthalt, guten Tag.“ Ich verabschiedete mich von dem Rezeptionisten und ging zu Jost. Den Schlüssel steckte ich in meine Hosentasche. „Wieso hast du mir nicht vorher gesagt, dass die ein Foto machen?“, fragte ich. „Wusstest du das nicht?“ „Nein.“ „Oh. Entschuldige. Bist du bereit, das Trainingsgelände unsicher zu machen?“, fragte er dann. „Ja, wenn es mich nicht vorher unsicher macht.“ „Keine Sorge, am Anfang klingt es viel schlimmer, als es in Wahrheit ist.“ Wir wandten uns wieder zum Aufzug und fuhren ins dritte Untergeschoss.  Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Aber jedenfalls nicht den Anblick, der sich mir jetzt bot. Anstatt noch einmal durch einen Gang oder Ähnliches laufen zu müssen, traten wir direkt von der Aufzugskabine ins Trainingsgelände. Wie Dr. Müller am Vortag erzählt hatte, war es eine weitläufige Gegend. Am Horizont konnte ich einige Berge erahnen, vermutlich waren sie nicht größer als 1.500 Meter, aber mit den Gewitterwolken um die Gipfel herum wirkten sie bedrohlich und imposant. Davor konnte ich einen kleinen See ausmachen, der sich an ein Birkenwäldchen schmiegte. Insgesamt wirkte alles sehr malerisch. Jost lachte vergnügt neben mir auf und lief einige Schritte in das Gelände hinein. Ich folgte ihm angemessenen Schrittes. Es fühlte sich nicht anders an, als wäre ich in der richtigen freien Natur. Ich atmete die frische Luft und ließ den Wind mit meinen Haaren spielen. „Also, wie findest du’s?“, fragte Jost. „Überwältigend! Ich wusste nicht, dass es so groß ist.“ „Ja, nicht? Es ist eines der Glanzstücke unseres Ministeriums.“ „Ist es?“ „Ja. Du hast doch bestimmt auch die Encyclopaedia Magica Germanica bekommen, oder? Schau bei Gelegenheit mal rein, das Trainingsgelände ist dort genau beschrieben. Wie es erschaffen wurde, seit wann es das Gelände gibt, wer es erschaffen hat und solche Sachen.“ „Ich hatte ja eigentlich eher eine Turnhalle erwartet, in der man das Zaubern üben konnte. Oder ein chemisches Labor, wenn man Tränke brauen will. Ehrlich, als Müller mir die Landschaft beschrieb, habe ich gedacht, er lügt mich an.“ Jost grinste. „Also lass mal überlegen. Da du ja noch komplett neu bist, sollten wir mit einigen grundlegenden Zaubern beginnen. Deinen Zauberstab hast du hoffentlich dabei?“ Ich zog ihn unter meinem Pulli hervor. In Ermangelung einer Alternative hatte ich ihn mir in den Bund meiner Hose geschoben. Jost sah mir irritiert dabei zu. „Die haben dir gar nichts gesagt, oder?“ „Wer?“ „Müller und die Bülow.“ „Na ja, fast nichts.“ „Okay. Vielleicht solltest du im KaDeZa vorbei schauen, wenn du mal Zeit hast.“ „‚KaDeZa‘?“, wiederholte ich. „Kaufhaus der Zauberdinge, wie es eigentlich heißt, aber jeder nennt es nur KaDeZa. Die Ähnlichkeit zum KaDeWe ist natürlich nur rein zufällig.“ „Natürlich“, bestätigte ich mit einem Grinsen. „Dort findest du alles, was das Hexenherz begehrt. Von Trankzutaten über die richtige Garderobe bis hin zu so nützlichen Sachen wie einem Zauberstab-Halfter für den Gürtel.“ „Oh, okay, dann werde ich da mal hinschauen.“ Wir hatten uns etwas von der Stelle entfernt, an der uns der Aufzug abgesetzt hatte. „Also hör zu, bevor wir mit dem Training anfangen, musst du einige Dinge über das Gelände hier wissen. Es hat 24 Stunden geöffnet, sieben Tage die Woche. Es gibt keine Aufseher oder Leute, die hier patrouillieren. Wenn du dich also in eine missliche Lage bringst und allein bist, hast du ein Problem. Du kannst dann nur hoffen, mit einem Signalzauber jemanden auf dich aufmerksam machen zu können. Oder dass vielleicht zufällig jemand des Weges kommt, solltest du bewusstlos, oder, na ja, tot, sein.“ „Na du machst mir ja Freude, aber okay.“ „Außerdem solltest du dir die Stelle mit dem Stein da merken, an der wir rausgekommen sind. Der Stein beherbergt den Knopf für den Aufzug. Er befindet sich genau in der Mitte des Geländes, ist aber trotzdem nicht so leicht zu finden, da du immer noch Horizont siehst, wenn du am Rand des Geländes angekommen bist. Vergiss das besser nicht.“ „Ja, sonst bin ich hier gestrandet. Wie sieht es mit Überlebensmöglichkeiten aus?“ „Was meinst du damit?“, fragte Jost. „Na ja, falls ich den Stein doch nicht mehr finde und auch sonst niemand da ist, kann ich z. B. essbare Beeren finden oder sowas?“ „Hab mich nie drum gekümmert, wenn ich ehrlich sein soll.“ „Oh.“ „Schau einfach, dass du nicht verloren gehst, okay?“ „Ja.“ „Also hör zu, Zaubern wird uns ja eigentlich relativ früh beigebracht. Weil du erst so spät dazu gekommen bist, musst du anders lernen, als die Knirpse in Arenberg.“ „Ich werde mich wohl vorranging auf das konzentrieren müssen, was in direkter Verbindung mit den Tierwesen steht, die ich untersuchen soll.“ „Korrekt. Sowas wie Runen brauchst du zum Beispiel nicht. Auch Geschichte der Zauberkunst erscheint als weniger relevant, aber da solltest du vielleicht trotzdem mal reinschauen. Unerlässlich sind aber die zwei Bände über die Tierwesen, die unsere Enzyklopädie enthält.“ „Das habe ich mir schon gedacht“, erwiderte ich. „Aber das wird wohl auch vorranging nur Lesen und auswendig lernen sein und weniger Zauberstabschwingen, oder?“ „Ja, trotzdem solltest du deinen Zauberstab anwenden können, oder nicht? Zum Beispiel für den Fall, dass du dich mal gegen etwas verteidigen musst.“ „Und welchen Band empfiehlst du mir da zum Lesen?“ „Verschiedene. Auf jeden Fall den Zauberspruchalmanach, der umfasst derzeit sieben Bände und wird auch in Arenberg gelehrt, aber du musst individuell vorgehen, anstatt chronologisch beim ersten Band anzufangen, wie die Schüler. Und alles, was mit Zaubertränken zu tun hat, solltest du auch als erstes durchgehen. Also Zauberrezepte für Anfänger, Fortgeschrittene und Profis und das Standardlehrwerk 1001 Magische Bohnen. Sicher ist es auch nicht verkehrt, wenn du mal in Verzauberungen für Anfänger gelesen hast. Falls mal jemand ein Tierwesen in eine Statuette verzaubert und auf diesem Wege schmuggeln will, oder sowas. Wobei das eher das Fachgebiet meiner Abteilung ist.“ „Oh, okay. Klingt ziemlich aufwändig. Kann ich mit den Büchern auch hierher kommen, um zu trainieren?“ „Klar, aber du solltest keines der Bücher verlieren. Die komplette Enzyklopädie wird jedem Mitarbeiter kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn du ein Buch verlierst, musst du es aber auf eigene Kosten ersetzen.“ „Verstanden, aber werde ich nicht im Umkehrschluss vom Ministerium bezahlt?“ Jost sah mich schief an und verschränkte die Arme. „Unsere Gehälter sind nicht so üppig, als dass wir uns davon so viel leisten könnten“, brummte er. „Mhm. Und womit fangen wir jetzt an?“ „Schwing erst einmal deinen Zauberstab, nicht in meine Richtung, versteht sich.“ „Wozu?“, fragte ich. „Solltest du mir nicht erst einen konkreten Zauberspruch beibringen, bevor ich ihn schwinge?“ „Nein, ich will einfach nur sehen, wie er reagiert. Jeder Zauberstab hat eine Persönlichkeit, musst du wissen.“ Ich versuchte, ihn möglichst überrascht anzuschauen. Was Jost mir da erzählte, war im Grunde nicht neu für mich. Der Zauberstab wählte den oder die Zauberin, nicht anders herum. In den Filmen schloss sich mit diesem Satz der Kreis, denn Voldemort hatte den Elderstab zwar verwenden, aber nicht gegen dessen eigentlichen Besitzer, Harry Potter, wenden können. Ich sah mich in der näheren Umgebung um und visierte einen umgefallenen Baumstamm an. Eifrig richtete ich meinen Zauberstab darauf und schwang ihn einmal. Der Baumstamm wurde zerfetzt und ein Regen Holzsplitter kam auf uns zu. Jost war so geistesgegenwärtig, einen Schildzauber zu wirken, sodass wir geschützt waren. „Huh, damit solltest du vorsichtig sein“, war sein Kommentar, als die Reste des Stamms wieder auf dem Boden gelandet waren. „Du hast gut reden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemanden verletze, ist ziemlich groß, findest du nicht?“ „Ja, aber eine andere Wahl hast du nicht. Außer natürlich, du schaust dich nach einem anderen Zauberstab um.“ „Wo wir gerade dabei sind, woher ist dieser eigentlich?“, fragte ich. „Der Zauberstab? Vermutlich aus der Asservatenkammer.“ „Aus der Asservatenkammer?“ „Ja, vielleicht war er mal ein Beweisstück gegen einen kriminellen Zauberer oder so und wird jetzt nicht mehr als Beweismittel benötigt.“ „Ah.“ Ich machte mir innerlich einen Punkt auf der Liste, die ich abarbeiten musste. In der Enzyklopädie gibt es sicher auch ein Kapitel über Zauberstäbe und wie man in Deutschland auf legalem Wege an sie heran kam. „Jedenfalls, der Zauber, mit dem ich uns gerade geschützt habe, ist der Protego. Das ist ein Basiszauber gegen allerlei Arten von Flüchen und schwächere Zaubersprüche, die gegen dich gewirkt werden. Du musst deinen Zauberstab dafür einmal so bewegen und dabei deutlich ‚Protego‘ sagen.“ Jost führte es mir mit dem Zeigefinger vor. „Versuch es einmal.“ Ich nickte und hob meinen Zauberstab wieder. „Protego!“ Ich führte meinen Zauberstab in einer kurzen, senkrechten Bewegung. Nichts tat sich. Ich sah verwirrt zu Jost. „Beim Basiszauber ist der Effekt unsichtbar, wenn nicht etwas an ihm abprallt.“ „Du müsstest also einen Stein auf mich werfen, oder wie?“ „Wohl eher einen einfachen Fluch gegen dich sprechen. Willst du es probieren?“ „Äh, und wenn mein Protego misslingt?“ „Dann landest du auf dem Hintern.“ „Äh ...“ Jost stellte sich mir gegenüber, ohne meine Antwort abzuwarten. Ich hob meinen Zauberstab wieder, er bebte in meinen Händen. „Ganz ruhig, so schwer ist es nicht. Du darfst nur den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen. Sobald ich meinen Zauberstab schwinge, musst du reagieren. Ich werde nur einen ganz harmlosen Spruch anwenden, der dich zurückstubsen wird.“ „Okay.“ Ich war überrascht, wie fest meine Stimme trotz meiner Aufregung klang. Ich fixierte Jost mit meinen Augen, aber ich hätte mich mehr auf seinen Zauberstab konzentrieren sollen. Mein Protego kam einige Sekunden zu spät, ich sah es nur kurz aufblitzen, aber da war der Stoß von Jost schon durch. Ich taumelte einige Schritte nach hinten. „Los, gleich noch mal!“ Er wartete, bis ich wieder fest auf beiden Beinen stand, und meine Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Beim zweiten Mal war ich schneller, mein Protego blitzte auf. „Gar nicht schlecht“, lobte Jost. Ich fühlte mich fast wie ein Hund, der gerade ein schwieriges Kommando gelernt hatte. Gerade, dass mir mein Trainer kein Leckerli hinhielt. Trotzdem sah ich ihn erfreut an. „Willst du es noch mal probieren?“ „Klar!“ Wir nahmen wieder Aufstellung und richteten unsere Zauberstäbe aufeinander. Erneut schaffte ich es, mein Protego im richtigen Moment anzuwenden. Doch von dem Aufprall von Josts Zauber auf meinem Schild wurde ich nach hinten gestoßen, stolperte, und landete nun doch auf meinem Allerwertesten. „Hey!“ „Entschuldige!“ Jost eilte schnell auf mich zu, ich ließ mir von ihm aufhelfen. Mein Hintern tat weh und der Aufprall auf dem Boden hatte mir den Atem aus den Lungen gepresst. „Das war gemein!“, beschwerte ich mich. „Ich weiß. Es war nur ein Test“, entschuldigte er sich. „Zauber, die gegen dich gewirkt werden, können mal mehr, mal weniger mächtig sein. Das hängt von dem Zaubernden ab und davon, wie gut er ihn beherrscht. Gleiches gilt allerdings auch für dich. Je mehr du dein Protego übst, desto mächtiger wird dein Schutzschild. Ganz davon abgesehen, dass du ihn viel routinierter einsetzen wirst, je mehr du ihn trainierst. Hast du das soweit verstanden?“ „Ja. Aber wie kann ich den Zauber am besten trainieren, wenn du zum Beispiel mal keine Zeit hast, um mit mir zu üben?“, fragte ich. „Du kannst auch andere Mitarbeiter des Ministeriums um Hilfe bitten. Für die schon etwas Erfahreneren gibt es einen ministeriumsinternen Duellierklub.“ „Oha.“ So einen gab es wohl überall und in jeder Epoche. Ich erinnerte mich noch gut daran, wie sich Draco und Harry gegenüber gestanden hatten und zunächst der eine, dann der andere, auf dem Boden gelandet waren. „Es macht wohl wenig Sinn, mich im Klub anzumelden, wenn ich nur einen einzigen Zauber nicht besonders gut beherrsche, oder?“ „Ja, das stimmt allerdings.“ Ich überlegte und hatte plötzlich einen Geistesblitz, wie ich den Protego-Zauber auch ohne fremde Hilfe würde üben können. Jost entging nicht, dass sich mein Gesicht aufhellte. „Was ist?“ „Nichts. Okay, was kannst du mir noch beibringen?“ Jost legte den Kopf schief. „Vielleicht wirst du hin und wieder einen Levitationszauber anwenden müssen“, überlegte er. „Zum Beispiel, um eines der Tierwesen mit etwas Fressbarem anzulocken oder so.“ Ich wartete nur darauf, dass er mit Wingardium Leviosa ankam, einem der ersten Zaubersprüche, die Harry, Ron und Hermine im ersten Schuljahr gelernt haben. Und so sollte es dann auch kommen. „Einer der einfachsten Levitationszauber ist Wingardium Leviosa. Die Zauberstabbewegung dafür ist so.“ Er schwang seinen in einem Halbkreis und dann senkrecht nach unten. Zwei Meter von uns entfernt fing ein großer Stein zu schweben an, der wieder zu Boden fiel, als er den Zauber löste. „Jetzt du.“ Ich musste die ganze Zeit daran denken, wie künstlich Hermine im Film die Aussprache von Ron betont hatte. Und dass die Feder bei Seamus Finnigan explodiert war, weil er den Zauberspruch falsch ausgesprochen hatte. Entsprechend ehrfürchtig ging ich an die Sache heran, aber Wingadrium Leviosa wollte nicht so richtig klappen. Die Steine in der näheren Umgebung wackelten auf dem Boden, aber keiner schwebte so, wie es zuvor Josts Stein getan hatte. Immerhin explodierte auch keiner. „Okay. Den kann ich wenigstens alleine trainieren“, meinte ich, nachdem ich es mehrmals relativ erfolglos versucht hatte. „Ja, aber fang klein an, mit Steinen und so. Erst, wenn du etwas geübter darin bist, sie auch in bestimmte Richtungen schweben zu lassen, solltest du dich an größere Objekte heranwagen.“ Ich nickte. „Willst du mir noch was zeigen?“ „Nein. Ich muss mich langsam wieder an meine eigene Arbeit machen. Eigentlich habe ich schon viel zu lange herumgetrödelt.“ Ich sah Jost erschrocken an. „Warum hast du denn nicht gesagt, dass ich dich aufhalte?“ „Ach was. Eine neue Kollegin kann man doch nicht einfach so im Regen stehen lassen.“ „Trotzdem. Dass du wegen mir deine Arbeit liegen lässt, muss ja auch nicht sein“, konterte ich. „Was soll denn dein Chef dazu sagen?“ „Den lass mal meine Sorge sein, er kann eh nicht auf mich verzichten. Also komm, sicher haben die mittlerweile auch deinen Ausweis fertig.“ Wir gingen zu dem großen Felsen zurück. Jost ließ mich den Knopf für den Aufzug suchen, aber ich hatte ihn schnell gefunden. Der Aufzug ließ etwas auf sich warten, aber plötzlich schoben sich die Türen wie aus dem nichts vor uns auseinander. Wir stiegen in die Kabine. „Viertes Untergeschoss“, sagte ich. „Achtes Untergeschoss.“ Die Aufzugtüren schlossen sich wieder. „Du musst aber tief runter.“ „Ja, man gewöhnt sich dran.“ „Darf ich dich mal besuchen kommen?“, fragte ich. „Klar, aber du musst dich am Tresen anmelden.“ „Am Tresen?“ „Ja, in unserer Abteilung haben wir noch mal eine eigene Rezeption mit einem Mitarbeiter. Damit nicht einfach jeder herumspaziert und sich die Asservatenkammer von innen anschaut.“ „Oh.“ „Viertes Untergeschoss“, verkündete der Aufzugwärter. „Vielen Dank, dass du mir so viel geholfen hast“, sagte ich zu Jost, als ich ausstieg. „Keine Ursache, lass dich nur nicht unterkriegen und pass auf, wenn du mit den Tierwesen zu tun hast. Manche können ziemlich gefährlich sein.“ Als ob ich das nicht wüsste. Ich grinste ihm verhalten ins Gesicht, während sich die Fahrstuhltüren wieder schlossen und er in der Tiefe verschwand. Ich atmete einmal tief ein und wieder aus. Und war froh, als ich wieder für mich war, ohne dass ich unter Beobachtung stand. So nett sich Jost mir gegenüber auch verhalten hat, so wenig wusste ich tatsächlich über ihn. Außer, dass sein Deckname Jost war, sein richtiger Name angeblich Heiko, und er ein Mitarbeiter beim magischen Zoll war. Genauso wahrscheinlich konnte sein, dass das alles Käse war und man ihn auf mich angesetzt hatte, um mir wenigstens die ersten paar Stunden durch den Tag zu helfen. Oder, um mich zu überwachen. Oder ich bildete mir das alles nur ein, das war natürlich auch im Rahmen des Möglichen. Ich zuckte mit den Schultern und ging zu meinem Zimmer. Wie schon am Morgen kam mir niemand in diesen Gängen entgegen. Ob außer mir überhaupt jemand hier lebte? ‚Aber wieso nicht? Wenn sie schon so sparen müssen, werden die kaum die Zimmer frei haben. Wäre ja die reinste Platzverschwendung‘, dachte ich. Die Tür zu meinem Schlafzimmer war immer noch offen. Ich prüfte den Schlüssel, den mir der Rezeptionist gegeben hatte. Er passte wie angegossen und schloss die Tür vernünftig ab. Wenigstens ein Punkt, den ich von meiner Arbeitsliste streichen konnte. Ich sah mich in meinem Zimmer um. Augenscheinlich hatte sich nichts verändert, was mich nur bedingt beruhigte. Ich konnte nirgends etwas entdecken, das einem Dienstausweis oder einer Nachricht der Obrigkeit glich. Ich musste also wohl noch länger darauf warten und beschloss, nun doch einmal in der Enzyklopädie zu stöbern. Sehnsüchtig schaute ich auf mein Bett, die Decke war noch immer zerwühlt. Einen Zimmerservice gab es offensichtlich nicht, aber das war mir ganz recht. Da musste ich auch nicht dran denken, morgens aufzuräumen, weil jemand ins Zimmer kommt. Ich ließ das Bett links liegen und wandte mich dem kleinen Schrank zu, der meine persönliche Privatbibliothek beherbergte. „Bestimmt ist es sinnvoll, wenn ich mir die gelernten Zaubersprüche notiere und alles Wissenswerte über sie zusammenfasse“, überlegte ich. Ich kletterte wieder durch das Möbel und stieß mir dabei die rechte Schulter an. „Autsch!“ Meine Privatbibliothek war noch genauso, wie ich sie verlassen hatte. Zunächst inspizierte ich den Schreibtisch, auf dem sich eine Bankerleuchte mit grünem Schirm sowie eine Schreibunterlage und ein Tintenfass samt Schreibfeder fanden. Rechts hatte er zwei Schubladen, in der obersten waren ein ledernes Notizbuch und ein Block. Ich legte beides auf den Tisch. Die untere Schublade war leer. Danach wandte ich mit der Enzyklopädie zu. „Also lass mal sehen, Zauberspruchalmanach und 1001 Magische Bohnen hatte Jost gemeint.“ Die entsprechenden Bücher fanden sich schnell, wobei allein das Bohnebuch doppelt so breit wie meine Handfläche war. Ich wollte es aus dem Regal ziehen, merkte aber schnell, dass es viel zu schwer war. ‚Jost, du alter Schlawiner. Deswegen wolltest du mir den Wingardium Leviosa beibringen‘, dachte ich amüsiert. Ich holte meinen Zauberstab hervor und richtete ihn einmal auf den Schinken. „Wingardium Leviosa!“, sprach ich deutlich und schwang meinen Zauberstab. Statt dem Schmöker segelte ein anderes Buch aus dem Regal hervor. Es schwebte kurz, ehe es zu Boden fiel. „Scheiße.“ Immerhin hatte ich es geschafft, wenigstens ein bisschen den richtigen Zauber zu wirken. ‚Macht es vielleicht einen Unterschied, ob ich Bücher oder Steine fliegen lasse?‘, dachte ich. Schnell hatte ich das Buch vom Boden aufgehoben und las den Titel. „‚Magische Spurensuche‘, das schein wohl eher Josts Metier zusein.“ Ich stellte den Band zurück ins Regal und versuchte es noch einmal. Dieses Mal schaffte ich es, mit meinem Zauberspruch das richtige Buch zu erwischen. Langsam schwebte 1001 Magische Bohnen aus dem Regal heraus und dem Schreibtisch entgegen. Einen Meter davor fiel es auf den Boden und ich fragte mich, warum. War meinem Zauber zwischendrin die Puste ausgegangen? Ein drittes Wingardium Leviosa beförderte das Buch endgültig auf den Schreibtisch, wo ich es erst einmal liegen ließ. Als Nächstes holte ich mir die beiden Bücher über die Fauna, meinen neuen Fachbereich sozusagen, und als letztes den ersten Band vom Zauberspruchalmanach. Da hatte ich ja einiges vor mir, wenn ich mir den Bücherstapel so ansah, und das war nur das, was mich direkt betraft. Geschichte der Zauberei hatte ich noch gar nicht angefasst. Ich setzte mich und nahm den Zauberspruchalmanach zur Hand. „Also lass mal sehen, Protego und Wingardium Leviosa, das sollte ja in der ersten Klasse in Hogwarts drankommen. Oder Arenberg vielmehr.“ Doch anstatt dass ich mich auf den Inhalt des Buches konzentrierte, schweiften meine Gedanken zu der Schule für Magie und Zauberei ab, die es in Arenberg gab, und auf die ich nie gegangen war. Der Ort klang mir wie der Name einer Burg oder eines Klosters oder etwas vergleichsweise Altem. Wo die Schule lag, wusste ich nicht, aber das ließ sich sicher in einem meiner Bücher nachschlagen. Blind für das Wissen vor meiner Nase blätterte ich durch den Zaubereialmanach, als sich etwas geräuschvoll hinter mir bemerkbar machte. Ich zuckte ob des Knalls zusammen und sprang von meinem Stuhl hoch. „Wer ist da?“ Ich erhielt keine Antwort. Besorgt nahm ich meinen Zauberstab zur Hand in dem Wissen, dass ich mich mit Protego schützen und mit Wingardium Leviosa Bücher herumschweben lassen konnte, sollte mich jemand angreifen. Doch die Sorge war unbegründet, der Schrank war wohl zu klein, als dass der gefiederte Besucher im Flug hindurch gepasst hätte. Ich beobachtete, wie sich die Schleiereule einmal schüttelte und wieder auf zwei Beinen stand. „Wie kommst du denn hier rein?“, fragte ich sie, erhielt aber natürlich keine Antwort. Stattdessen hielt sie mir einen Umschlag hin, natürlich nicht grün beschriftet und mit dem Siegel von Hogwarts auf der Rückseite, aber trotzdem war ich angemessen erstaunt. Vorsichtig nahm ich der Eule den Brief ab und blickte darauf. Ehe ich mich versah, war mein Besucher wieder verschwunden. „Huh?“ Die Tür war nach wie vor zu. Gab es hier einen Ausgang, von dem ich nichts wusste, und durch den die Eule gekommen war? Ich zuckte die Schultern und öffnete den Umschlag. Er enthielt meinen Dienstausweis, von dem mir tatsächlich meine eigene, ungeschminkte Visage entgegen starrte. Ich drehte ihn einmal, aber die Rückseite war ziemlich unspektakulär mit einigen meiner körperlichen Eigenschaften versehen. „Ist ja schon wie ein Perso.“ Ich steckte die Karte ein und fischte dann ein weiteres Blatt aus dem Umschlag. „Kommen Sie bitte zu Dr. Müller, sobald Sie mit Ihrem Training fertig sind“, stand da. Unterzeichnet war die Nachricht nicht und natürlich kannte ich weder die Handschrift von Dr. Müller noch die von Frau von Bülow. Ob Müller eine Sekretärin hat? Und ob die sehen konnten, ob ich das Trainingsgelände schon wieder verlassen hatte? ‚Vermutlich. Wenn sie mir keinen Peilsender verpasst haben oder Jost tatsächlich nicht dazu da war, mich im Auge zu behalten, dann verrät ihnen sicher die Eule durch ihre Rückkehr, dass sie Ausweis und Nachricht erfolgreich zugestellt hatte.‘ Wie im Reflex wollte ich auf mein Fitnessarmband schauen, aber das lag ja zuhause auf dem Sideboard. Wenn ich nach meinem Magen ging, war es wohl langsam wieder Zeit für etwas zwischen die Kauknochen. „Hm, aber Müller warten zu lassen, ist vermutlich keine so gute Idee.“ Ich verschloss den kleinen Schrank wieder, sah mich in meinem Zimmer um und verließ es. Hinter mir sperrte ich ab und ging vorne auf die Toilette, ehe ich mit dem Aufzug ins fünfte Untergeschoss fuhr. Die Abteilung für Magische Landwirtschaft war menschenleer. Lediglich im Büro von Dr. Heribert Gernot Müller brannte Licht. Oder zumindest ließ etwas das Licht in seinem Büro sehr stark flackern. Die Tür stand sperrangelweit offen und ich trat leise näher. Dr. Müller stand an einem Sideboard und hatte mir den Rücken zugedreht. Seine Nase hatte er in einem Aktenordner vergraben. Sein Haustier, der Jobberknoll, flog flink wie ein Kolibri vor seiner Schreibtischlampe herum. Als der Vogel mich wahrnahm, flatterte er aufgeregt zu seinem Besitzer und setzte sich auf dessen Schulter. Dr. Müller drehte sich um. „Oh, ich habe gar nicht bemerkt, dass Sie schon da sind.“ Verlegen lächelte ich ihn an. „Entschuldigen Sie, ich hätte mich eher bemerkbar machen sollen.“ Dr. Müller klappte die Akte zu und legte sie auf das Sideboard. Freundlich wies er mich an, in einem der Besuchersessel Platz zu nehmen. Er setzte sich ebenfalls. „Und haben Sie sich schon etwas eingelebt?“, fragte er. „Äh, ein bisschen. Soweit es mir in den wenigen Stunden jetzt möglich war.“ „Ja, natürlich. Ich fürchte, Sie werden auch erst einmal nicht weiter dazu kommen, das Ministerium zu erkunden oder das Zaubern zu lernen. Es gibt eine Sache, der Sie sofort nachgehen müssen.“ „Äh ...“ „Ich weiß, was Sie jetzt wieder sagen wollen. Dass es noch zu früh sei, Sie auf die Welt da draußen loszulassen.“ Ich nickte ergeben. „Wir werden leider nicht umhin kommen, Sie jetzt schon einzusetzen. Wie ich gestern schon erwähnte ...“ „... ist das Ministerium chronisch unterbesetzt“, beendete ich seinen Satz. „Kann sich Frau von Bülow nicht darum kümmern? Oder einer der anderen Mitarbeiter der Abteilung?“ „Nein, leider nicht. Die haben ihre eigenen, ihnen zugewiesenen Aufgaben, von denen ich sie nicht abziehen kann. Sie jedoch ...“ Es machte mir ein bisschen Angst, wie er das sagte. Vor allem, wie er sich dabei zurücklehnte und mich mit studierendem Blick betrachtete. „Sie sind noch unbedarft.“ „Sie wollten wohl ‚unerfahren‘ sagen“, half ich ihm auf die Sprünge. „Das auch. Ihren Dienstausweis haben Sie mittlerweile erhalten, nehme ich an.“ Ich nickte, zog das Dokument hervor und reichte es ihm. „Lizzy Schuster“, las er vor. „Nicht schlecht, nicht schlecht. Klingt etwas flotter im Vergleich zu manch anderen Decknamen.“ „Äh ...“ Er gab mir meinen Ausweis zurück. „Was Ihren Fall betrifft, müssen Sie sofort zum Botanischen Museum. Dr. Feld wird sich dort mit Ihnen in Verbindung setzen.“ „Dr. Feld?“ „Ja, einer unserer Leute, aber nicht auf Tierwesen spezialisiert, sondern auf Zaubertrankgewächse und dergleichen.“ „Arbeitet er an 1001 Magische Bohnen?“, hakte ich nach. Dr. Müller nickte. „Wie ich sehe, haben Sie schon in Ihrer Bibliothek gestöbert.“ „Ja, dieses und jenes. Aber natürlich wirkt alles ein bisschen mächtig“, gestand ich. „Ja ja, das ist nachvollziehbar. Nutzen Sie die Gelegenheit, um sich bei Dr. Feld ein paar Tipps zu holen, er ist wirklich eine Koryphäe auf dem Gebiet der Kräuterkunde. Jedoch auch etwas verschroben.“ „Oh.“ Leider führte Dr. Müller den Gedankengang nicht weiter aus. „Haben Sie sonst Fragen, die wir jetzt auf dem kurzen Dienstweg klären können?“ „Äh ...“ Verlegen rutschte ich in dem Sessel herum. „Nur raus damit, Fräulein Schuster.“ Ich zuckte leicht zusammen. Hatte er mich gerade tatsächlich mit „Fräulein“ angesprochen? Dr. Müller war wohl von der ganz alten Schule. „Äh, ich hab leider keine Duschen im vierten Untergeschoss gefunden.“ „Huh? Tatsächlich?“ Der Leiter der Abteilung für Magische Landwirtschaft sah ehrlich verwundert aus. Er kratzte sich am Kinn und überlegte. „Hm, kann natürlich sein, dass sich da jemand einen Scherz erlaubt hat, als er das Zimmer auf Vordermann gebracht hat und das Bad durch einen Illusionszauber versteckt ist. Ich werde das für Sie überprüfen lassen, bis zum Abend sollte alles so sein, wie es sein sollte.“ „Okay, vielen Dank.“ „Drückt noch wo der Schuh?“ „Nein.“ „Gut, dann wär’s das für’s erste.“ Dr. Müller erhob sich, ich tat es ihm gleich. „Passen Sie da draußen auf sich auf. Dr. Feld hat mir leider nicht gesagt, worum es sich genau handelt. Er meinte nur, irgendein Tierwesen sei im botanischen Museum aufgetaucht.“ „Okay, hoffentlich ist es nichts Gefährliches.“ „Das hoffe ich auch. Scheuen Sie sich nicht davor, mir eine Eule zu schicken, sollten Sie gar nicht zurecht kommen. Und jetzt ab mit Ihnen.“ Ich verabschiedete mich von Dr. Müller und verließ sein Büro. Doch anstatt das Ministerium auf direktem Wege zu verlassen, ging ich zunächst in mein Zimmer zurück und kramte meinen Rucksack hervor. Danach holte ich die zwei Bände über die magische Fauna in Europa aus meiner Bibliothek und stopfte sie in den Rucksack. ‚Wie soll ich auch sonst Tierwesen untersuchen?‘, dachte ich bei alldem. Danach überprüfte ich, was sich sonst so in meinem Rucksack befand. „Hah!“ ‚Die haben sogar an mein Smartphone gedacht.‘ Darüber war ich tatsächlich erstaunt. Ich hatte immer geglaubt, die Zaubererwelt von Harry Potter würde ohne Handys und dergleichen auskommen. Andererseits spielten die Filme der Hauptreihe während der 1990er Jahre, soweit ich wusste. Und Handys flächendeckend kamen erst um die Jahrtausendwende auf. Zumindest in meinem Bekanntenkreis. Auch meinen Geldbeutel zog ich aus meinem Rucksack hervor und fand darin das Geld, das ich am Vortag in der Mittagspause gezählt hatte. In einem anderen Leben, wie mir inzwischen schien. Mein Personalausweis war ebenfalls enthalten, vermutlich, falls ich mich mal gegenüber herkömmlichen Polizisten ausweisen musste. Dafür fehlten mein Führerschein und der Fahrzeugschein meiner Suppenschüssel. ‚Ob die mir irgendwann einen Besen zum Fliegen geben?‘, fragte ich mich da. Leicht wehmütig war mir schon zumute, denn ich fuhr gern Auto. Allerdings nicht unbedingt in einer Großstadt und in Berlin kam man vermutlich auch gut mit dem öffentlichen Nahverkehr von A nach B. Weiterhin fanden sich ein paar Papiertaschentücher und mein Lippenbalsam, ansonsten war der Rucksack leer. Ich zog die Reißverschlüsse wieder zu und schulterte ihn. „Boah, ziemlich schwer.“ Ich hoffte, dass ich die Bücher nicht den ganzen Tag mit rumschleppen musste. Wenn doch, würde ich am nächsten Tag bestimmt einen Muskelkater haben, weil es sich jetzt schon wie das reinste Gewichtstraining anfühlte. Ich verließ mein Zimmer und ließ mich vom Aufzugwärter ganz nach oben fahren, in den Sockel der Siegessäule. „Ähm, wie komm ich denn wieder raus?“, fragte ich den Mann oben. „So, wie Sie reingekommen sind, natürlich.“ Ohne mich weiter zu beachten, fuhr er wieder nach unten. Ich tastete mich in dem dunklen Gang entlang und kam zu der Wand, durch die ich in der Nacht zuvor gelaufen war. Dort vergewisserte ich mich, dass ich nichts vergessen hatte, auch nicht den Zauberstab, und atmete einmal tief durch. Und schluckte. Draußen konnte es mir schließlich passieren, dass ich geradewegs in jemanden hinein rannte. Ich atmete noch mal schwer, und lief nach draußen, um in strahlendem Sonnenschein anzukommen   Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)