Abgelenkt von FreeWolf ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ 0:43 Yuriy: Ich habe die Nacht vor einem Hochofen verbracht. Yuriy: Ich bin offiziell heißer als du. Yuriy: (Rußverschmiertes Selfie, das übermüdete Schlafzimmeraugen macht)   06:32 Kai: In your dreams. Kai: Nachtschicht?   „Unsere Gegner für das nächste Turnier ist ein norwegisches Team. Den offiziellen Informationen nach, die wir von Daitenji-san bekommen haben, sind sie nich zu unterschätzen.“, Manabu blickte von seinem Laptop auf und in die Runde. Er hatte sein Gerät, das er trotz wechselnder Modelle stur „Dizzy“ nannte, an Takaos Fernseher angeschlossen und rief die Statistiken der vier Blader ab. Er tippte einen Befehl ein und spielte eine Aufnahme ab, die er Hiromi gestern auf Beytube gezeigt hatte als sie das Team-Meeting vorbereitet hatten. „Es gibt nicht viel Videomaterial zu ihnen“, stellte Kyoujou fest, während sie die verwackelte Handy-Aufnahme betrachteten, die die Attacke eines der vier Blader zeigte. Hiromi raschelte mit ihren Unterlagen. „Ich recherchiere gerade nach mehr Material. Über die WBBA müssten wir noch ein paar mehr Aufnahmen bekommen“, erklärte sie. Kyoujou nickte ihr zu und fuhr fort: „Auf Basis der Informationen, die ich zu ihren Beyblades habe, stehen die Chancen gut, dass zumindest Mikka auf der Aufnahme hier stark defensiv spielt.“   15:47 Yuriy: (Bild des Betts, darauf eine Hand mit Bleistift, Notizen und Physikbuch) Yuriy: Was ist Schlaf?   Hiromi beobachtete die konzentrierten Gesichter von Takao und Max. Kai schien seinem Smartphone mehr Aufmerksamkeit zu widmen als der Aufnahme. Hiromi überraschte das: Solches Verhalten war untypisch für Kai, der normalerweise darauf bestand, dass alle ihre Smartphones draußen ließen. Vor allem, seit Takao und Max Pokémon Go entdeckt hatten. Vielleicht hatte Kai einen Grund dafür. Vielleicht machte er sich Notizen. Seit er mit dem Studium angefangen hatte, sah man ihn oft mit verschiedenen Apps lernen. Andererseits lächelte er beim Lernen nicht verhalten, sondern sah danach aus als wolle er jemandem Schmerzen zufügen. Niemandem schien aufzufallen, dass er nicht bei der Sache war.   15:53 Kai: Yura.   15:54 Yuriy: Was?   15:54 Kai: Geh schlafen.   15:55 Yuriy: Ich habe drei Stunden geschlafen, Mama. Das muss reichen. Yuriy: Ich muss lernen.   Manabu räusperte sich, um die Aufmerksamkeit des Teams auf sich zu ziehen. „Das Team scheint ziemlich gut auf wildem Terrain bladen zu können“, setzte er seine Ausführungen fort. Hiromi nickte erneut, blätterte in ihren Notizen. „Es gibt eine kleine Dokumentation auf Beytube zu ihnen. Da sagen sie sie trainieren viel in der Steppe in Lappland, ohne Dishes.“ Kyoujou rief einen Stadtplan auf, auf dem verschiedene Orte rot eingekreist waren. „Deswegen haben Hiromi und ich unser Training für die nächsten zwei Wochen etwas umgestellt, um Ballance, Wendigkeit und Reaktion auf schwierigen Untergründen zu trainieren“ „Ich habe letztes Wochenende nach geeigneten Trainingsplätzen gesucht und ein paar gute Plätze gefunden“, verkündete Hiromi und sah in ihre kleine Runde. „Damit fangen wir morgen an!“   16:10 Kai: Husch, ab ins Bett. Kai: Wenn du so weitermachst, können wir das nächste Turnier vergessen.   Kai tippte noch immer – oder wieder? – auf seinem Handy herum. Das war wirklich untypisch. Ihr Blick verweilte einen Moment zu lange bei ihm, sie fuhr jedoch unbeirrt fort. Der Stadtplan auf dem Bildschirm wurde nun von einer Reihe von Bildern überdeckt. „An der JBBA munkeln alle darüber, dass das nächste größere Turnier viel stärker mit natürlichen Böden und größeren Arenen arbeiten wird.“ „So wie beim Justice Five-Turnier?“, fiel Takao ein. „So in etwa“, Hiromi nickte. „Niemand weiß, was Daitenji-san genau vor hat, wie immer, aber wie es aussieht müssen wir uns darauf einstellen, dass klassische Beydishes der Vergangenheit angehören“ „You serious?“, Max lehnte sich mit einem frustrierten Stöhnen nach hinten und stützte sich auf seinen Händen auf. „Warum spielt kein Mensch mehr normale Turniere mit normalen Beydishes?“ Takao stieß ihn mit einem breiten Grinsen an. „Wo bleibt denn da der Spaß, wenn wir keine Alien-Invasionen abwenden und Verrückte davon abhalten müssen, mit Kreiseln die Weltherrschaft an sich zu reißen?“, scherzte er, worauf Max nur die Augen verdrehte. „Am Ende müssen wir wieder gegen irgendeinen Verrückten antreten“, seufzte dieser theatralisch. „Oder wir sind die Verrückten ”, kam es da trocken von Kai, der von seinem Handy aufgeblickt hatte. Max prustete los. “Let us rain some doom down upon the heads of our doomed enemies ”, zitierte er kichernd und die beiden grinsten sich an. Hiromi fing Takaos Blick ein, der ahnungslos mit den Schultern zuckte. Max‘ und Kais gemeinsame Liebe für U.S.-amerikanische Cartoons, mit denen sie den Samstag Morgen verbrachten, ging an ihnen vorbei. „Es kommt in Sachen Training einiges an Arbeit auf uns zu, wenn wir bis zum G.B.C. fit sein wollen“, fing Hiromi die Aufmerksamkeit des Teams wieder ein. Auf dem Bildschirm erschien der Trainingsplan für die nächste Woche, den sie ausgedruckt an alle austeilte. Ein paar Minuten lang blieb es still. Takao stöhnte entnervt, aber ergeben. Auch Max schien nicht glücklich darüber zu sein, die nächsten Wochen fürs Training quer durch die Stadt laufen zu müssen. Kai warf einen Blick auf den Plan, notierte ein, zwei Dinge darauf und Hiromi registrierte stolz sein anerkennendes Nicken. Sein Handy, das mit dem Display nach oben neben ihm lag, blinkte kurz mit einer neuen Nachricht auf.   16:12 Yuriy: Die Prüfung ist übermorgen, Kai. Yuriy: ÜBERMORGEN. Yuriy: Danach denke ich vielleicht über das Turnier nach.   Hiromi beobachtete, wie er die Nachrichtenvorschau kurz anblickte, ehe er den Bildschirm mit einem Knopfdruck wieder ausschaltete. Hiromi entging das verstohlene Lächeln, das sich über seine Lippen zog, nicht. Es erinnerte sie ein wenig an Mao, als sie nach einer kleinen Party bei ihr übernachtet und noch spätabendliche Nachrichten mit Rei ausgetauscht hatte. Hiromi runzelte die Stirn. Konnte es sein … ? Sie führte den Gedanken nicht zu Ende.   16:13 Kai: Ist das ein Versprechen?   Sie sprachen noch den Trainingsplan durch, dann beendete Kyoujou das Team-Meeting. „Kai, hast du noch eine Minute?“, fragte Hiromi gewohnheitsmäßig, während Takao und Max sich in Richtung des Trainingsdishes im Garten aufmachten und Kyoujou die Kabel säuberlich einrollte, mit denen er seinen Laptop mit dem Fernseher verbunden hatte. Der Angesprochene nickte ebenso gewohnheitsmäßig und blieb schlicht auf dem Platz sitzen, den er während der letzten zwei Stunden in Takaos Wohnzimmer, in dem sie üblicherweise ihre Teambesprechungen abhielten, eingenommen hatte. Der Tatami-Raum war bequem, bewegte sich irgendwo zwischen traditionell und modern. Vor allem bot er einen Fernseher sowie genug Platz für das gesamte Team, egal in welcher Besetzung. Hiromi rutschte auf Knien zu Kai und platzierte sich neben ihm, während sie den Plan, den sie vorhin ausgeteilt hatte, vor ihnen ausbreitete. Neben dem Plan für die kommenden zwei Wochen hatte sie auch eine Reihe von Übungen recherchiert, die sie in die Trainingsroutine einfließen lassen wollte. „Ich habe mir für diese Woche überlegt, mal wieder zum Hanteltraining zurückzugehen. Takao und Kyoujou bekommen schon Pudding-Arme, das kann so nicht weitergehen“, erklärte sie, während sie auf ein Blatt im Speziellen deutete, auf dem sie die ergänzenden Übungen aufgelistet hatte. „Ich glaube, ihr kennt alle schon, aber es wäre gut, wenn du sie vorzeigen könntest. Takao macht sicher wieder einen Haufen technischer Fehler und ich will nicht nochmal ein Hexenschuss-Debakel erleben wie letzten Monat“ Kai nickte, er setzte eine für Hiromi unleserliche Notiz auf sein Blatt. Hiromi identifizierte die Buchstaben als Kyrillisch – das war unüblich. Normalerweise waren die unleserlichen Krähenfüße, die Kai auf Papier setzte, immerhin noch in Hiragana, Katakana oder Kanji. Sein Handy leuchtete wieder mit einer Nachricht auf, die er kurz musterte, ehe er den Bildschirm wieder in den Schlafmodus versetzte.   17:17 Yuriy: Ich habe gerade eine Stunde auf dieselbe Seite gestarrt.   Hiromi wartete geduldig, die Augen auf den Teamcaptain gerichtet. Er schmunzelte, fiel ihr auf. Und: Kai sah wahnsinnig gut aus, wenn er lächelte. Hiromi vertrieb den zweiten Gedanken ganz schnell wieder. Sie räusperte sich, halb für sich, halb für Kai, der sie einen Moment lang ertappt musterte, ehe er seine Mimik wieder einfing und ihr seine Aufmerksamkeit widmete. Ein letzter Seitenblick zu seinem Handy, dessen Display dunkel blieb. Er begann, ihr seine Notizen Schritt für Schritt zu erörtern und beugte sich über die Papiere, die vor ihnen lagen. „Hier und hier kannst du noch eine Übung dazunehmen oder die Übungen, die du geplant hast, für einen längeren Zeitraum einplanen“, gab er Hiromi geschäftsmäßig Feedback, während er auf verschiedene Stellen im Trainingsplan deutete. „Das halten die anderen aus, und Max braucht die zusätzliche Muskulatur wegen seiner neuen Attacke“ Hiromi nickte und notierte sich die Änderungen in schnellen Bleistiftstrichen. Kais Blick schweifte währenddessen zurück zu seinem Smartphone, auf dem wieder eine Nachricht aufleuchtete. Er runzelte die Stirn, tippte eine kurze Antwort, ehe er sich wieder Hiromi zuwandte, die ihn beobachtete.   17:20 Yuriy: Physik ist schwer, Kai. Ich verstehe nichts.   17:21 Kai: Schick mir die Aufgabe. Kai: Dann leg dich hin. Ich schick dir die Lösung heut Abend.   „Passt es gerade schlecht?“, fragte sie offen, was Kai einen Moment lang zu entwaffnen schien. Doch Kai fing sich schnell wieder. Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein“, erwiderte er. „Wie kommst du darauf?“ Hiromi deutete auf sein Smartphone. „Es scheint um was Wichtiges zu gehen“, ihr Ton hob sich gegen Ende des Satzes in Richtung einer ungestellten Frage. „Wir können uns auch später noch zusammensetzen.“ Kai schüttelte zerstreut den Kopf, nahm sein Smartphone vom Boden auf und steckte es endlich in die Hosentasche. „Es ist zwar wichtig, aber es kann warten“, stellte er klar. „Wir waren gerade bei Ausdauertraining“, nahm Hiromi den Faden wieder auf und versuchte die Neugier, die ihr ins Gesicht geschrieben sein musste, zu überspielen. „Gehst du wieder mehr joggen? Mir ist aufgefallen, dass du nicht mehr so schnell außer Atem zu kriegen bist“ Kai maß sie einen Moment zu lange mit kryptischem Blick, fast so als hätte er eine andere Antwort im Sinn als er ihr gab. Hiromi erwiderte den Blick etwas irritiert. „Möglich“, antwortete Kai. Hiromi schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Du machst auch aus allem ein Geheimnis“, gab sie zurück. Kai zuckte die Schultern und ging zurück zu seinen Erläuterungen zum Trainingsplan. Der Rest ihrer Besprechung verlief mehr oder weniger normal. Sie legte Kai ihre Überlegungen offen, dieser antwortete ihr mit Feedback und konstruktiven Vorschlägen. Alles war wie immer, mehr oder weniger zumindest. Dass er noch immer nicht ganz bei der Sache zu sein schien, übersah Hiromi gnädig.   Eine halbe Stunde später saßen sie in der Abendsonne auf der Veranda. Hiromi ließ die Beine baumeln, Kai saß im Schneidersitz neben ihr. Zwischen ihnen standen zwei Gläser eisgekühlten Tees – eines für sie, eines für Kai, der wieder auf dem Smartphone herumtippte. Hiromi beobachtete ihn eine Weile, was er nicht mitzubekommen schien; auch das war untypisch für Kai. Sie erhaschte sogar einen Blick auf ein Selfie. Dieses rote Haar kam ihr seltsam bekannt vor …   19:13 Yuriy: (Selfie, halb von einer Bettdecke verdeckt, verschlafene Augen blicken in die Kamera)   „Ist das Yuriy?“, entfuhr Hiromi ungläubig. Kais mürrischer Blick spach Bände: Hiromi fühlte die Hitze über ihre Ohren in ihr Gesicht kriechen: Er hatte sie auf frischer Tat ertappt. Kai war in Privatangelegenheiten schon immer reserviert gewesen. Hiromi versuchte dennoch, beiläufig einen zweiten Blick auf das Bild zu erhaschen, doch Kai hatte sein Smartphone weggelegt. Die Person auf dem Bild hatte nicht wirklich nach Yuriy ausgesehen. Oder? Hiromi hielt ihn nicht für jemanden, der Selfies machte, und Kai würde wohl nicht aus dem Nähkästchen plaudern, wenn sie seinen Blick richtig deutete.   19:14 Yuriy: Ich habe geschlafen. Zufrieden? Yuriy: Wenn ich die Physikprüfung versemmel ist es deine Schuld.   Kai verdrehte genervt die Augen und griff nach seinem Glas. „Du bist zu neugierig“, tadelte er. Hiromi hob beschwichtigend die Hände. „Es war keine Absicht, ich hab‘ zufällig hingeschaut“, versuchte sie die Situation zu retten. Kai beäugte sie nur. „Aha“, kam es trocken von ihm, während ein spöttisches Grinsen seine Mundwinkel hob. Sie schwiegen, während Hiromi ihre Füße anstarrte. Sie zählte im Geiste zehn Mississippis ab, ehe sie wieder sprach. „…und?“ „Was und?“ „War es Yuriy?“, Hiromi grinste schief und stieß ihn scherzhaft an. „Freundest du dich etwa mit dem Feind an?“ Kai schnaubte und verschränkte die Arme vor der Brust. „Selbst wenn er es wäre, ginge dich das nichts an“, erklärte er bockig, offensichtlich genervt von der Japanerin. Hiromi sah ein, dass sie so nicht weiterkommen würde. Kai schien sie zu ignorieren und tippe wieder auf seinem Smartphone herum.   19:19 Kai: Nicht wenn. Kai: Falls. Kai: Und der Fall tritt nicht ein.   Als er sein Smartphone in die Hosentasche steckte, wagte Hiromi den nächsten Vorstoß, das Gespräch wieder in Richtung eines Dialogs zu lenken. „Wie geht es Yuriy eigentlich? Ich habe ihn das letzte Mal persönlich kurz nach dem Justice-Five-Turnier gesehen, da sah er noch ziemlich blass aus“ „Gut. Besser als vor einem Jahr. Er arbeitet zu viel“, kam die überraschende Antwort von Kai, der von seinem Handy aufsah. Hiromi nickte. „Was macht er denn?“, erkundigte sie sich, ohne auf eine Antwort zu hoffen. Doch Kai schien in Plauderlaune zu sein. Das musste sie ausnutzen. „Yura, Sergej und Boris arbeiten momentan in der Schwerindustrie in Yakutsk“, Kai schien einen Moment lang zu überlegen. „Ich weiß nicht genau, was der Konzern macht. Schichtarbeit, aber ganz gut bezahlt. Und dann holt er gerade seinen Schulabschluss nach. Lernt die ganze Zeit.“ Yura? Hiromi verkniff sich ein Lächeln und nickte. „Bleibt da überhaupt Zeit fürs Bladen?“, schmunzelte sie, und Kai zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, er hat grad nicht mal einen Blade.“ Diese Aussage hinterließ bei Hiromi ein flaues Gefühl im Magen. Sie erinnerte sich undeutlich daran, wie Takao Wolborgs Bitchip aus den Splittern der Arena geborgen hatte. „Aber – das letzte Turnier ist doch schon mehr als ein Jahr her!“, protestierte sie schwach und wusste nicht, wogegen sie protestierte. Kai zuckte nur erneut mit den Schultern. „Beyblade ist nicht alles, Hiromi“, gab er leise zurück. Dass ausgerechnet Kai Hiwatari das zu ihr sagte war surreal und gab Hiromi einen kleinen Stich. „Aber du bladest ja auch noch, obwohl du nicht mehr in Turnieren antrittst“, wandte sie ein, und Kai sah sie einen Moment lang an. Er schien zu zögern. „Versteh mich nicht falsch, Hiromi“, begann er. „Beyblade ist für mich immer noch wichtig. Für Yuriy und sein Team auch, soweit ich weiß. Sie müssen sich momentan aber noch um ein paar andere Dinge kümmern“ Hiromi schwieg eine Weile, versuchte aus den vagen Worten einen Sinn zu ziehen. Kai hatte gesagt, sie arbeiteten und Yuriy machte den Schulabschluss. Das klang stressig. Vielleicht blieb nicht mehr genug Zeit fürs Training? Die braunhaarige Japanerin warf einen Seitenblick auf Kai. Sein Blick verweilte auf dem Trainings-Dish, das sie zum Training nutzten, seit Hiromi denken konnte, ehe er wieder etwas in sein Smartphone tippte. Er wusste eindeutig mehr, aber seine Worte machten es sehr klar, dass er nichts weiter darüber sagen würde.   19:27 Kai: Wenn du nach Japan kommst, bladen wir. Ich kenne ein paar gute Plätze.   19:29 Yuriy: Deal Yuriy: Bis dahin habe ich vielleicht wieder einen Blade der sich Blade nennen kann. Yuriy: Aber zuerst muss ich die Physikprüfung schaffen.   Hiromi beobachtete, wie Kai angesichts einer Nachricht auf seinem Smartphone schmunzelte. Dann legte er sein Handy mit Display nach unten hinter sich ab und lehnte sich zurück. Sie lauschten den gedämpften Geräuschen, die aus dem Dojo drangen: Kinomiya-san und Takao trainierten. Den Geräuschen nach hatte Takao gerade eine Kopfnuss kassiert. Hiromi kicherte. „Glaubst du, sie kommen zum G.B.C.?“, fragte sie dann an Kai gewandt. „Wer?“ „Yuriys Team“ Der Angesprochene zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, antwortete er ehrlich. Hiromi nickte und versuchte, sich an die Spielerstatistiken der letzten Weltmeisterschaft zu erinnern. Es fiel ihr schwer; mit dem Justice Five-Turnier war einfach zu viel in zu kurzer Zeit passiert. „Im Team sind alle so alt wie du, oder?“, erkundigte sie sich. Kai schien kurz nachzurechnen, ehe er nickte. „Ungefähr“ „Was könnte sie davon abhalten zu kommen? Du meintest, Yuriy holt seinen Abschluss nach und sie arbeiten alle“, überlegte Hiromi laut. „Da bleibt wohl nicht viel Zeit zum Trainieren übrig“ Hiromi warf einen Seitenblick auf Kai, dessen Miene wie immer unlesbar war. Sie würde wohl nichts weiter aus ihm herausbekommen. Hiromi zuckte mit den Schultern. „Ich hoffe, sie kommen trotzdem“, erklärte sie. „Ohne die alten Hasen wären die Beyblade-Turniere nicht dasselbe“ Kai schnaubte amüsiert. „Daitenji-san scheint dieselbe Einstellung zu haben. Er hat mich letzte Woche allein dreimal gefragt ob ich nicht doch bladen will“ Hiromi trank von ihrem Eistee und grinste. „So ist er eben. Er will die alte Gang nochmal in einem Turnier sehen bevor er sich aus dem Geschäft zurückzieht“, vermutete sie. „Andererseits hat er seine Pensionierung schon so oft angekündigt, dass niemand so wirklich daran glaubt, dass er geht“ Hiromi schüttelte lächelnd den Kopf, ehe sie Kai zuzwinkerte, der schmunzelte. „Davor hängt Kinomiya sein Basecap an den Nagel“, Kai nickte in Richtung Dojo, aus dem die gedämpften Stimmen Takaos und seines Großvaters nun deutlich lauter zu ihnen drangen. Takao und Kinomiya-san fochten ein undeutliches Wortgefecht aus, es ertönte Stampfen und ein Aufschrei. Schiebetüren raschelten und Schritte hallten auf der Veranda wider, während Takao sich ihnen näherte. Er schnaufte aufgeregt: Das Gefecht war wohl nicht zu seinen Gunsten ausgegangen. Den Beulen auf seinem Kopf nach zu schließen, hatte Kinomiya senior seinem Enkel zum wiederholten Mal bewiesen, wer das Sagen hatte. „Dieser Alte!“, qualmte Takao, ließ sich geräuschvoll neben Hiromi plumpsen und langte nach ihrem halbvollen Glas, um es in einem Zug auszutrinken. „Hey!“, Hiromi rammte Takao ihren Ellenbogen in die Seite und blickte ihn empört an. „Das ist mein Eistee! Hol‘ dir gefälligst einen eigenen!“ Dieser legte freundschaftlich-jovial einen Arm um ihre Schultern. „Jetzt hab dich nicht so, Hiromi-chan“, flötete er besänftigend. „Ich bin durstig!“ Hiromi hob Takaos Arm mit ihren Fingerspitzen und wies ihn von sich. „Lass‘ das, du stinkst!“, protestierte sie und nahm ihm das Glas weg. Takao verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lachte halb verlegen. „Du übertreibst!“, gab er zurück, schnupperte jedoch verhalten an sich, was ihm ein spöttisches Grinsen von Kai einbrachte. Hiromi verschränkte die Arme vor der Brust und drehte Takao betont den Rücken zu. „Ich rieche dich bis hier!“, verkündete sie überzeugt und Takao zog eine Grimasse. Dann grinste er schelmisch und festigte den Griff um Hiromis Schultern, um sie näher an sich in eine Umarmung zu ziehen. „Was fällt dir ein?“, Hiromi protestierte angesichts der ungewollten, schwitzigen Nähe und drückte gegen Takaos Brust, um ihn von sich zu schieben. Dieser jedoch lachte nur gespielt böse, was ihm eine Kopfnuss einbrachte. Diese bewirkte, dass er von ihr abließ. Zur Sicherheit brachte er auch gleich etwas Abstand zwischen sie beide: Er rutschte zur Seite, bis er an Kai stieß, der ihn nur mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. Takao war sich in dem Moment nicht mehr ganz sicher, von welcher der beiden Personen er gerade weiter weg sein wollte. Hiromi war furchteinflößend, wenn sie wütend war, aber Kai, der amüsiert grinste, versprach auch nichts Gutes. Hiromi setzte sich wieder hin und verschränkte schmollend die Arme vor der Brust. „So geht man mit einer Lady nicht um!“, belehrte sie Takao. „Welche Lady? Ich sehe hier nur eine Wetterhexe!“, schoss es gleich zurück. „Pass‘ auf was du sagst, Kinomiya, oder du wirst beim Training ein Wunder erleben!“, drohte Hiromi mit erhobenem Zeigefinger.   19:48 Kai: (Bild von Hiromi, die Takao mit dem Finger droht. Beide sind total konzentriert aufeinander.) Kai: Die beiden sind gleichermaßen anstrengend wie amüsant.   19:53 Yuriy: Wie Boris und Ivan?   19:54 Kai: Mehr wie Boris hoch Boris.   19:55 Yuriy: Mein Beileid. Not.   Ein leises Glucksen von der Seitenlinie riss die beiden Streithähne aus der vollkommenen Konzentration auf einander. Kai erhob sich mit einer fließenden Bewegung. Er steckte sein Smartphone in die Hosentasche, ließ die eine Hand darauf ruhen, in der anderen hielt er sein leeres Glas. „Wir sehen uns morgen zum Training“, verabschiedete sich der Halbrusse und wandte sich um. Hiromi beobachtete, wie Kai den Flur in Richtung Küche verließ. Wenig später hörte man, wie er sich förmlich von Takaos Großvater verabschiedete.   Hiromi verpasste Takao eine erneute Kopfnuss. „Du Trottel! Ich hab‘ mich gerade mit Kai unterhalten!“, herrschte sie ihn an. Takao hielt sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf und gab einen kläglichen Laut von sich. „Au … Du musst dein Aggressionsproblem echt unter Kontrolle kriegen“, stichelte er, schreckte jedoch zurück, als Hiromi erneut drohend die Faust hob und ihn wütend anblitzte. „Nur Spaß! Schlag alle um dich herum so viel du willst! Das ist super normal und überhaupt nicht seltsam!“, fügte er hinzu. Hiromi atmete aus und ließ die Faust sinken. Schmollend verschränkte sie die Arme vor der Brust. „So wie du das sagst, klingt es als wäre ich ein Brutalo“, beschwerte sie sich beleidigt. Takao grinste. „Was, das war dir noch nicht bewusst?“, gab er scherzend zurück. Dann nickte er, etwas ernster, vage in die Richtung, in die Kai verschwunden war. „Was für ein Gespräch hab‘ ich bitte unterbrochen? Deine Monologe über irgendwelche Typen will jetzt wirklich niemand hören“, er grinste breit. „Oder willst du Kai aufreißen?“ Diese Frage handelte ihm die nächste Kopfnuss ein. „Du bist so ein Idiot!“, echauffierte sich Hiromi mit hochrotem Kopf. „Kai ist ein Freund! Ich will ihn doch nicht aufreißen“ „Weiß ich doch …“, lenkte Takao mit erhobenen Hände ein und rieb sich grinsend die schmerzende Beule. „Au … Aber ernsthaft, musst du so brutal sein? So verjagst du jeden Typen sofort!“ Hiromi schnaubte. „Du hast es nicht anders verdient!“, verkündete sie, während sie die Arme vor der Brust verschränkte und beleidigt zur Seite sah. „Pah“, machte Takao. „Du bist die einzige die das sagt!“ Es herrschte eine kurze Weile Schweigen zwischen ihnen, die Takao dazu nutzte, sich bequemer hinzusetzen und sich zurückzulehnen. „Worüber habt ihr gesprochen?“, erkundigte er sich irgendwann neugierig. Hiromi zuckte mit den Schultern und beschloss mit einem Blick in Takaos schokoladenbraune Augen, zunächst für sich zu behalten, dass Kai den Kontakt zu Yuriy hielt. Zumindest bis sie wusste, was es bedeutete. Vielleicht war es nichts. Vielleicht – sie dachte„Eigentlich nichts Aufregendes. Den Trainingsplan, wie immer“, die Braunhaarige grinste stolz. „Aber es war ein ganzes Gespräch! Kai macht Fortschritte!“ Takao nahm dies grinsend zur Kenntnis. „Und, wie sehr quält ihr uns diese Woche?“, hakte er scherzend nach, nur um sich einen bösen Blick einzufangen. „Das wüsstest du, wenn du heute aufgepasst hättest!“, schoss Hiromi zurück. „Hey! Ich hab‘ aufgepasst, ich-“ Takao wollte gerade noch etwas hinzufügen, da ertönte ein lautes Knallen. Schwere Schritte Stampften über die Veranda quer durch das Dojo und wurden immer lauter, je näher sie kamen. „IHR HABT EUCH GETROFFEN! OHNE MICH!“, Daichis Vorwurf kam den beiden in einer Lautstärke entgegengeschmettert, dass das gesamte Viertel es hören musste. Hiromi hatte automatisch die Hände auf ihre Ohren gelegt und funkelte ihn böse an, während Takao aufsprang, um den jüngeren Hitzkopf in Empfang zu nehmen. Dieser stellte sein Stampfen ein, sobald er bei ihnen angekommen war und blitzte Takao und Hiromi wütend an. „Ich bin auch Teil des Teams!“, kam es in einem Ton, der irgendwo zwischen empört und weinerlich schwang. Daichi sah kurz so todtraurig und enttäuscht aus, dass Takao und Hiromi einen Moment lang ganz anders zumute wurde. „Ihr habt mich einfach vergessen!“ „Hör mal, Daichi“, Takao trat einen halben Schritt nach vorne und hielt beschwichtigend die Hände in die Luft. „Wir haben dich doch nicht vergessen! Wir dachten du bist noch bei deiner Ma! Wir dachten du musst lernen! Im Ernst!“ Tatsächlich trug Daichi ein sauberes Hemd und eine intakte Jeans: Die Kleidung, die er normalerweise trug, um zum Nachhilfeinstitut zu gehen. Seit seine Mutter davon Wind bekommen hatte, dass er herumlief wie ein halb verwilderter Junge und so viel Schule schwänzte, dass er den Sprung in die Oberschule nur durch viel Sitzfleisch und ein kleines Wunder schaffen würde, hatte sie eine neue erzieherische Strategie begonnen und setzte ihn auf eine Weise unter Druck, mit der Hiromi nur begrenzt einverstanden war. Daichi plusterte sich auf. „Da komm‘ ich gerade her! Ich hab’s hinter mich gebracht, jetzt will ich bladen!“, verlangte er und zog Strata Dragoon hervor. Takao hob breit grinsend seinen Beyblade in die Höhe. „Glaubst du, du hast es drauf?“, stichelte er und sprang auf. „Dich mach‘ ich im Schlaf fertig!“, schoss Daichi zurück und war wieder ganz er selbst. Hiromi lächelte. Die neue Strenge und der Druck, den seine Mutter auf ihn auswirkte, hatten Daichi kurz vollkommen von der Bildfläche verschwinden lassen. Hiromi und Takao hatten sich schon Sorgen gemacht. Dann waren sie ihm zufällig auf der Straße begegnet, und alles hatte plötzlich Sinn gemacht. Hiromi, Takao und Manabu hatten seine Mutter dazu überreden können, das Bannsiegel vom Beyblade herunterzunehmen – gegen das Versprechen, ihm beim Lernen zu helfen. Oh verdammt, das hatte sie auf dem Trainingsplan natürlich vergessen. Hiromi verzog unwillig den Mund. Daichi konnte nicht ohne Beyblades, und auch wenn er manchmal anstrengend war, war er doch Teil des Teams. Hiromi seufzte geschlagen. „Ich ruf‘ deine Mutter an und sag‘ ihr, dass wir dir lernen helfen“, bot sie an und erntete dafür einen Jubelschrei, der bestimmt irgendwo Vögel aufscheuchte. „Du bist die beste Obaa-chan, die es gibt, Hiromi!“, verkündete Daichi enthusiastisch und vollführte ein paar aufgeregte Saltos. Takao lachte, und Hiromi seufzte theatralisch. „Ich bin gar keine Obaa-chan, du kleines Aas“, protestierte sie und drohte Daichi mit der Faust. Dieser lachte nur übermütig und zog an Takaos Ärmel, um diesen so schnell es ging zum Trainings-Dish zu bekommen. Hiromi schüttelte nur augenverdrehend den Kopf, während sie in sich erhob und zu ihrem Rucksack ging, um ihr Handy zu finden. Sie freute sich so gar nicht auf den Anruf bei Daichis Mutter, aber es war wohl notwendig: Sie musste ihr wenigstens glaubhaft versichern, dass sie ihrem Sohn beim Lernen helfen würden und ohne ihn nicht konnten. Hiromi suchte die Nummer aus ihrem Adressbuch und wischte nach links, um den Anruf hinter sich zu bringen. Während sie auf das Freizeichen wartete, beobachtete sie schmunzelnd das lockere Trainingsmatch zwischen Takao und Daichi. Das Leben wurde nie langweilig mit Beyblades. Das hatte sich ab dem Moment abgezeichnet, als sie in einem seltsamen Bannkreis auf einem Bein herumsprang und „Bitbeast oh Bitbeast“ rufend darauf wartete, ihr erstes Bitbeast zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)