In Zeiten des Krieges von stone0902 (Draco x Ginny) ================================================================================ Kapitel 38: Teil 2 – Kapitel 11 ------------------------------- August 1998 Zum wiederholten Male starrte Blaise auf seine goldene Taschenuhr. Die beiden Zeiger näherten sich langsam aber sicher der lang erwarteten Zwölf. Hastig steckte er sie zurück in die Tasche seiner enganliegenden schwarzen Anzugweste, die er über seinem ebenfalls schwarzen Hemd trug. Auch wenn er sich bemüht hatte diese Geste so beiläufig wie möglich erscheinen zu lassen, warf Draco ihm dennoch einen kurzen Blick zu. Natürlich hatte er es bemerkt, so wie er immer alles bemerkte. Noch wusste sein bester Freund nicht, dass er sich in ein paar Minuten von ihm verabschieden würde, doch seine Entschädigung würde schon bald auftauchen. Deshalb hatte er auch kein schlechtes Gewissen.   Blaise nippte an seinem Feuerwhiskey. Den Abend über hatte er ein wenig getrunken, aber nicht so viel, um nicht mehr zu wissen, was er tat, nur gerade so viel, um in gute Stimmung zu kommen. Sie saßen an ihrem üblichen Tisch im Papillon. Selbst an einem Mittwochabend war der Laden gut besucht, aber Merlin sei Dank nicht so proppenvoll wie an den meisten Wochenenden. Die Tanzfläche blieb ständig gefüllt mit Menschen, die sich zur Musik bewegten. Eigentlich war das Papillon sein heiß begehrter Lieblingsclub gewesen, doch vor einiger Zeit hatte er – mehr oder weniger durch Zufall – ein anderes Lokal kennengelernt, das ihn eindeutig mehr reizte. Was überwiegend an den Besuchern lag. Der Grund, für seine heutigen Pläne.   Draco erzählte neben ihm irgendetwas und es lag nicht an der lauten Musik, sondern an seinem völligen Desinteresse, da seine alleinige Aufmerksamkeit auf dem Hinfiebern seiner Verabredung lag. Solch eine prickelnde Vorfreude hatte er schon lange nicht mehr empfunden.   Sein momentanes Leben war bisher langweilig und eintönig gewesen. An das Leben abseits von Hogwarts hatte Blaise sich auch nach acht Monaten noch nicht gewöhnt. Manchmal wachte er morgens auf, völlig verwirrt, und glaubte, das laute Schnarchen von Vince und Greg zu hören, woraufhin er nur feststellen musste, dass er sich nicht im Schlafsaal der Jungen befand, sondern in seinem überaus ruhigen Zimmer im Haus seiner Mutter. Nachdem man sieben Jahre lang die meiste Zeit des Jahres in Schottland statt daheim verbracht hatte, fiel es einem verständlicherweise schwer, sich umzugewöhnen. Eine lange Zeit hatte es sich angefühlt wie sehr, sehr lange Sommerferien und am nächsten Tag würde man sich wieder auf den Weg nach King’s Cross machen. Doch dieser Tag kam nie.   Einige seiner Freunde hatten den Kampf in Hogwarts nicht überlebt. Die, die übrig geblieben waren, nannten sich nun Todesser – von denen er sich lieber fernhielt. Es wäre alles andere als klug, sich vom Dunklen Lord komplett zu distanzieren. Selbstverständlich sympathisierte Blaise mit einigen seiner Ideale, aber dennoch gab es einige kleine, wenn auch nicht ganz unwichtige Differenzen, die ihn dazu brachten, sich von den Todessern im Allgemeinen fernzuhalten.   Draco war die Ausnahme.   Womöglich lag es an dem Einfluss ihrer Eltern, dass sie sich in dieser Hinsicht so sehr unterschieden. Dracos Vater war bekanntlich die rechte Hand des Dunklen Lords. Natürlich musste sein einziger Sohn in seine Fußstapfen treten. Noella hingegen, Blaise‘ wunderschöne Mutter, empfand ihr dekadentes Leben mehr als zufriedenstellend, sodass sie sich nicht nach besonderen Veränderungen sehnte. Außerdem empfand das stolze Reinblut das Benehmen der Todesser als äußerst barbarisch. Oft stellte sich Blaise die Frage, wie sein bester Freund das nur aushalten konnte. Sie sprachen nie darüber, weshalb er sich nur vorstellen konnte, wie das Leben eines Todessers aussah. Man hörte viele Gerüchte. Gerüchte, die sich, seitdem der Dunkle Lord über die Zaubererschaft in Großbritannien herrschte, in Realität verwandelt hatten.   Blaise unterdrückte den Impuls noch einmal ungeduldig auf seine Uhr zu starren. Seine grünen Augen wanderten zur Eingangstür, die er von seinem Platz aus gut im Blick hatte, und zwang sich dann wieder dazu Dracos Monolog zuzuhören.   „… egal wo ich hingehe. Der raubt mir noch den letzten Nerv! Ständig scheint er dort zu sein, wo ich bin. Als wäre er ein besessener, kranker Stalker“, beschwerte sich der Blonde gerade, dabei schaute er mit einem finsteren Blick zur tanzenden Menge, als würde dort die verhasste Person stehen, die nur er sehen konnte.   „Wer?“   „Nott.“ Draco warf ihm einen missbilligenden Blick zu. „Sagte ich bereits. Falls du zuhören würdest wüsstest du das.“ Doch statt ihm dies weiter vorzuhalten beschwerte er sich weiter über ihren ehemaligen Mitschüler. „Ich kann sein Gesicht nicht mehr ertragen. Vor allem jetzt nicht, mit dieser riesigen Narbe im Gesicht.“ Er schnaubte verächtlich und klang wieder wie der eingebildete und oberflächliche Erstklässler, der er früher einmal gewesen war, und der nach all den Jahren immer noch in ihm zu stecken schien. Bei der Erwähnung der Narbe stutzte Blaise kurz. Vielleicht war sein Vorhaben doch etwas zu waghalsig? Egal, für einen Rückzug war es inzwischen zu spät. Sie würde jeden Moment hier sein.   „Was meinst du, woher das plötzliche Interesse kommt? Ihr habt euch früher nie nahe gestanden. So lange ich mich erinnern kann hatten wir nie etwas mit Nott zu tun.“ Theodore Nott war schon immer ein Einzelgänger gewesen. Das war ihm nur recht gewesen.   Draco zuckte mit den Schultern, den Blick wieder in die Ferne gerichtet. „Ich weiß es nicht. Er ist nicht gerade ein offenes Buch.“   „Vielleicht betrachtet er dich ja als Bezugsperson, weil du einer der wenigen bist, die er dort kennt“, führte Blaise seine Überlegungen fort. „Überleg doch mal. Aus unserem Jahrgang sind wir drei die einzigen, die noch übrig sind.“ Seine Aussage war bar jeder Emotion, als wäre es ganz normal für Siebzehnjährige, den Tod mehrerer Mitschüler zu betrauern. „Und glaub mir, Draco, es gibt schlimmere, als Theodore Nott.“   Graue Augen blickten ihm entgegen. „Ja, die gibt es.“ Etwas in seinem Blick veränderte sich. Blaise fragte sich, woran er wohl denken mochte. Die Gesichter einige Todesser tauchten vor seinem inneren Auge auf – Bellatrix Lestrange, Augustus Rookwood, Corban Yaxley oder, auch wenn er kein Todesser war, Fenrir Greyback. Augenblicklich lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.   Selbst wenn sie sieben Jahre lang den gleichen Schlafsaal gesteilt hatten, Blaise kannte Nott zu wenig, um ihn einschätzen zu können. Der Slytherin in ihm sagte ihm jedoch, dass ihm nicht zu trauen war, auch wenn sie dem gleichen Haus angehörten. „Sei vorsichtig“, riet er deshalb, als er einen weiteren Schluck von seinem Feuerwhiskey nahm. „Wer weiß, was er plant.“   „Ich bin immer vorsichtig.“   Für einen kurzen Moment war Blaise von ihrem Gespräch so abgelenkt gewesen, dass er ganz vergessen hatte, worauf er wartete. Doch dann fiel sein Blick auf die Eingangstür und er sah, wie sie in einen dunklen Kapuzenumhang gehüllt das Papillon betrat. Gleich würde sich zeigen, ob sich seine Idee als genialer Geniestreich oder aber als totale Katastrophe entpuppte. Ihre Augen wanderten durch das Lokal, bis sie auf die seinen trafen. Das erleichterte Lächeln erschien so kurz, dass es innerhalb eines Wimpernschlags wieder verschwunden war. Vielleicht hatte sie befürchtet, er würde sie versetzen. Dann bahnte sie sich unauffällig den Weg durch die Menschenmenge.   Es war nicht das erste mal, dass er sie seit der Schlacht in Hogwarts persönlich traf, und doch war ihre Erscheinung noch zu ungewohnt, noch nicht vertraut genug, um sie nicht wie gebannt anzustarren. Als sie neben ihm stehen blieb und ihre Kapuze absetzte, die ihr Gesicht vorher versucht hatte möglichst zu verbergen, zeigte die stolze Slytherin nicht den kleinsten Funken von Scham.   Astoria war ein wunderschönes Mädchen gewesen, ebenso wie ihre ältere Schwester. Doch nun blickte er in ein entstelltes Gesicht. Daphne Greengrass hatte den Kampf in Hogwarts nicht überlebt. Gemeinsam mit Pansy war sie von Severus Snape, ihrem eigenen Hauslehrer, getötet worden. Und als Vergeltung für den Verrat dieser beiden hatte Voldemort ihre Familien bestraft, um einen Exempel zu statuieren. Astoria trug seitdem die Fluchnarben im Gesicht, drei insgesamt, die quer über das blasse, hübsche Gesicht verliefen, und niemals geheilt werden konnten. Er fragte sich kurz, ob Nott wohl ebenso aussah.   „Hallo, Blaise.“   Endlich fand er seine Sprache wieder. „Na so eine Überraschung“, mimte er den Unwissenden. Blaise stupste Draco mit dem Ellenbogen an. „Sieh mal, wer hier ist, Dray.“   Angestupster riss seinen Blick von den Menschen auf der Tanzfläche los und richtete nun seine Augen auf Astoria. Blaise musterte jede Regung, fand jedoch bedauerlich wenig. Als der Blonde nichts sagte fügte Blaise schnell hinzu: „Du kennst doch noch Astoria, nicht wahr? Daphnes Schwester.“ Blaise warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu, der ihn an seine guten Manieren erinnern sollte, woraufhin Draco sie kurz und förmlich grüßte. Dies würde vermutlich nicht so einfach werden, wie er es sich vorgestellt hatte.   Blaise wandte sich wieder an Astoria: „Was stehst du denn da so herum? Setz dich doch zu uns.“ Er rutschte daraufhin so nah an Draco heran, dass dieser unweigerlich zurückweichen musste, und Astoria setzte sich auf den nun freien Platz neben den Schwarzhaarigen. Dracos warnenden Blick ignorierte Blaise dabei völlig. Da musste Draco nun durch. Manche mussten zu ihrem Glück eben gezwungen werden.   „Alles klar?“, fragte er Astoria so leise, dass sie es noch gerade so über die Musik hinweg verstehen konnte. Sie nickte. Ihre blauen Augen inspizierten das Lokal. Äußerlich wirkte sie ruhig und gelassen, schon beinahe gelangweilt, doch er wusste, dass sie nervös war.   „So gut ist die Musik hier nun auch wieder nicht“, meinte sie kühl. „Du hast wie immer maßlos übertrieben, Blaise.“   Entschuldigend lächelnd hob er die Schultern. Er mochte die Musik. Geschmäcker waren nun einmal verschieden. Aber Blaise wusste, dass sie nicht wegen der Musik hier war.   In Hogwarts hatte Blaise nicht viel mit Daphne, geschweige denn mit ihrer kleinen Schwester zu tun gehabt. Ein Zufall wollte es jedoch, dass er vor einigen Wochen die jüngere Greengrass während eines Einkaufbummels in der Winkelgasse traf. Er erinnerte sich noch genau an die Gesichter der Angestellten bei Twilfitt und Tatting, die ihr aufgrund ihrer Narben pikierte Blicke zuwarfen. Blaise wusste nicht, ob er diese Bürde, wäre er an ihrer Stelle, ebenfalls mit solcher Gleichgültigkeit tragen würde. Dafür wäre er vermutlich zu eitel. Auf sein gutes Aussehen bildete er sich viel zu sehr ein.   Vielleicht mochte es daran liegen, dass sie sich auf Anhieb so gut verstanden, oder aber, dass er insgeheim eine Verbindung zu Hogwarts suchte, oder aber, es kam einfach, weil er sich so einsam fühlte, seitdem er Draco und Pansy nicht mehr jeden Tag um sich hatte. Auf dieses Treffen folgten viele weitere und schnell entwickelte sich so etwas wie Freundschaft zwischen den beiden. Am Anfang hatte er schon geglaubt, die blonde Hexe wäre vielleicht in ihn verliebt, doch als er das Thema ansprach stellte sich ziemlich schnell heraus, dass es jemandem in ihrem Herzen gab, dieser jemand jedoch nicht er war.   Astoria war in Draco verliebt. Schon seit vielen Jahren.   Und Blaise wollte seinen besten Freund auf andere Gedanken bringen. Bei den Todessern gab es bestimmt keine hübschen Mädchen und Weasley war ohnehin unerreichbar. Vielleicht würde Draco seine Vorurteile über Bord werfen und der Kleinen eine Chance geben. Mit diesem Kupplungsversuch wollte er ihnen beiden einen Gefallen tun.   Blaise unterhielt sich mit Astoria und versuchte Draco des Öfteren mit einzubeziehen. Dabei versuchte er den grimmigen grauen Augen weitestgehend auszuweichen, denn er spürte recht schnell, dass Draco alles andere als begeistert von ihrem plötzlichen Neuzugang war. Sein bester Freund war ein Planer und mochte es nicht gern, wenn etwas geschah, das außerhalb seiner Kontrolle lag. Blaise hätte sich vermutlich ebenso übergangen gefühlt, wenn Draco irgendjemanden zu ihren seltenen Treffen ohne zu fragen eingeladen hätte.   Das Lied endete und ein neues wurde angespielt. Die Melodie war langsamer, düsterer und die männliche Stimme säuselte in einem kräftigen Bassbariton von der Freundin seiner Freundin. Als der Refrain zum zweiten Mal einsetzte raunte sein Freund ihm gefährlich zu: „Was soll das werden, Blaise?“   Der Schwarzhaarige spielte den Dummen. „Ich weiß nicht, was du meinst. Ist doch nett, wenn wir zwei Junggesellen solch eine hübsche Gesellschaft genießen dürfen.“   „Astoria Greengrass?“ Draco schnaubte und warf mit gerunzelter Stirn einen kurzen Blick über Blaise hinweg zu der Blonden. „Ich dachte immer die Kleine hasst mich.“   „Glaub mir, Draco.“ Er tätschelte kurz Dracos Knie und bedachte ihn mit einem Blick, den man einem unerfahrenen Erstklässler zuwarf, dem man versichern wollte, dass Filch alles andere als gefährlich war. „Das tut sie nicht.“   Blaise wusste nicht, wie Draco zu diesem Schluss kam, aber er schien keine Ahnung zu haben. Astoria war wie er Vertrauensschülerin gewesen. Zumindest von der gemeinsamen Zugfahrt musste er sie kennen. Aber er konnte sich auch nicht daran erinnern, wie sich Astoria ihm gegenüber verhalten hatte. Soweit er sich entsinnen konnte war sie immer sehr ruhig und unauffällig gewesen, mit einem distanzierten und kühlen Gesichtsausdruck, der andere eher auf Abstand hielt. Vielleicht hatte sie Draco die kalte Schulter gezeigt, um von ihren wahren Gefühlen abzulenken. Umgekehrte Psychologie. Blaise schüttelte den Kopf. Frauenlogik ...   Seine Finger fanden den Weg in die Westentasche wie von selbst. Demonstrativ hielt er seine Taschenuhr hoch. Zwölf Uhr. Na endlich. „So leid es mir auch tut, aber ich muss mich jetzt verabschieden. Ich habe noch etwas zu erledigen. Aber ich bin sicher, ihr zwei kommt auch bestens ohne mich zurecht.“   Er erhob sich und griff bereits nach seinem Umhang, mit dem Vorhaben so schnell wie möglich zu verschwinden, um einer Erklärung aus dem Weg zu gehen, doch Draco packte ihn grob am Unterarm. „Das ist nicht dein Ernst.“ Sein drohender Blick ließ ihn allerdings kalt. Mit sanfter Gewalt löste er Dracos Finger von seinem Arm. Astoria gab währenddessen vor die Menge auf der Tanzfläche zu beobachten. „Du lässt mich sitzen?“, fragte Draco barsch.   „Jetzt sei mal nicht so“, meinte Blaise gutmütig, während er sich den schwarzen Kapuzenumhang überstreifte. „Astoria ist ja noch da.“   „Na ganz toll.“ Anscheinend war Draco alles andere als begeistert. Er scherte sich nicht einmal darum, dass sie hörte, was er sagte. „Das hast du ja schön eingefädelt.“   „Dir wird es gut tun, wenn du mal unter Leute kommst.“   Draco sah ihn stirnrunzelnd an und machte eine ausladende Bewegung, die den Raum erfasste. „Und was genau sind das hier für Wesen? Grindelohs?“   Blaise schnaubte, während er mit den Augen rollte und beugte sich zu ihm, damit er wegen der Musik nicht brüllen musste. „Du weißt was ich meine. Abgesehen von mir hast du doch niemanden, mit dem du reden kannst. Unterhalte dich mit ihr. Astoria ist nett. Gib ihr eine Chance. “   Dracos Gesicht blieb ernst. Ohne auf seinen Vorschlag einzugehen fragte er streng: „Wo gehst du hin?“   Blaise seufzte. Noch war es zu früh ihm davon zu erzählen. „Das erzähle ich dir nächstes Mal“, versprach er.   „Blaise, wenn du–“   Doch der Schwarzhaarige wandte sich bereits zum Gehen. Zum Abschied tippte er an seine imaginäre Hutkrempe und sagte förmlich: „Ich wünsche noch einen schönen Abend.“ Dann drehte er sich um, setzte sich die Kapuze auf und verließ das Papillon. Draußen auf der Straße disapparierte er.   * * *   Blaise tauchte in einem anderen Stadtteil von London wieder auf. Die enge Seitenstraße wurde kaum von den entfernten Straßenlaternen beleuchtet und lag deshalb in der Dunkelheit der Nacht verborgen. Er ging noch zwei weitere Straßen entlang, sah sich mehrmals um, doch mitten in der Woche hielt sich keine Menschenseele mehr zu solch später Stunde in der Stadt auf. Die Häuser hier sahen alle gleich aus: sie reihten massenweise aneinander und wirkten äußerlich sehr vernachlässigt. Das Kopfsteinpflaster der Straße war uneben und an mehreren Stellen aufgeplatzt. Es schien, als wäre sie seit Jahren nicht repariert worden. Womöglich gab es wichtigere Straßen, in die die kostbaren Steuergelder investiert wurden. Keine zehn Hippogreife würde Blaise freiwillig in diese Gegend einziehen lassen. Es wirkte schäbig und nicht sicher. Doch er würde hier nicht lange bleiben und in einigen Stunden wieder in die sicheren und protzigen Mauern seines Anwesens zurückkehren. Vielleicht sogar nicht allein.   Mit schnellen Schritten eilte er eine Treppe hinunter, die zu einer dicken, verschlossenen Tür führte. Weder Schilder noch Fenster ließen darauf schließen, was sich hinter diesen unscheinbaren Wänden verbarg. Vor der Tür stand ein großgewachsener, stämmiger Mann, mit einer Pfeife voll Zwergengras im Mundwinkel, aus der ein seltsam riechender Rauch herausstieg. Seine muskulösen entblößten Oberarme waren übersät mit Tätowierungen. Dieser Mann hätte genauso gut auch rein zufällig hier stehen können, um nachts gemütlich eine zu rauchen. Sein Mund, der von einem dichten dunklen Bart umrahmt wurde, öffnete sich kurz, um ein einzelnes Wort auszusprechen. „Passwort?“ Seine ebenso dunklen Augen musterten Blaise argwöhnisch unter dessen Kapuze.   „Libertas.“   Der Türsteher nickte kaum merklich und schnipste mit den Fingern, woraufhin ein Klacken von der Tür ertönte. Sie war nun geöffnet. Blaise nickte ebenfalls mit einer knappen höflichen Verbeugung, griff nach dem runden Türknauf und betrat das Dreams. Beim Öffnen der Tür drang für einen Moment die Musik hindurch, die jedoch durch einen unsichtbaren Schutzschild aufgehalten wurde, sodass der Lärm nicht auf die Straße drang und die schlafenden Nachbarn weckte. Blaise schloss hinter sich die schwere Tür und überreichte seinen Umhang wortlos dem runzligen Hauselfen, der die Garderobe betreute. Anschließend ging er den schmalen Flur entlang, der von unzähligen schief hängenden Plakaten geziert wurde, und folgte der einladenden Musik und dem hämmernden Bass in den nächsten Raum.   Er bog nach rechts durch einen hohen Torbogen und fand sich in einem riesigen gut besuchten Raum wieder. Links hinter dem Eingang befand sich die Theke, an der drei Kellner damit beschäftigt waren, den wartenden Gästen ihre Getränkewünsche zu erfüllen. Dem gegenüber standen einige runde Stehtische, sowie ein halbes Dutzend schwarze lederne Sofas, auf denen sich bereits einige Pärchen tummelten und sich im spärlichen Licht näher kamen. An den Decken hingen Lautsprecherboxen, aus denen die magische Musik ertönte, sowie einige Lichtstrahler, die die Tanzenden in rotes, grünes und blaues Licht tauchten. Einige Nebelschwaden waberten über den Boden. Dieser Laden hatte ihn bereits bei seinem ersten Besuch fasziniert. Blaise hatte ja nicht einmal gewusst, dass es solch einen Ort überhaupt gab. Nun spürte er die ersten interessierten Blicke und er fuhr sich durchs kurze schwarze Haar, wissend, dass er heute Abend mehr als nur gut aussah und er genoss die Aufmerksamkeit, die ihm zu Teil wurde. Ein Mann mit langen dunklen Haaren, die ihm über die Schultern fielen, und halb aufgeknöpftem dunkelrotem Hemd beobachtete ihn deutlich interessiert. Aber Blaise war nicht interessiert. Er war bereits verabredet.   Langsam, mit den Händen in den Hosentaschen, schlängelte er sich seinen Weg durch die ausschließlich männlichen Gäste des Dreams in Richtung Tanzfläche. Dort, inmitten der tanzenden Zauberer, war er. Blaise‘ Augen musterten jede seiner Bewegungen. Mit geschlossenen Augen bewegte sich der Zauberer anmutig zur Musik, schien sie mit jeder Faser seines Körpers genau zu spüren. Er hatte noch nie etwas Schöneres gesehen.   Es war verrückt. Blaise kannte ihn erst seit zwei Wochen und dennoch hatte er es geschafft sein Leben komplett auf den Kopf zu stellen. Er nannte sich Xavier, auch wenn Blaise bezweifelte, dass dies sein richtiger Name war. Nach allem mussten sie immer noch vorsichtig sein. Jeder, der sich im Dreams befand, wusste, dass sie gegen ein Gesetz verstießen, denn das, wonach Blaise sich sehnte, wurde von den Todessern mit der Höchststrafe bestraft. Der Aufenthaltsort dieses Treffpunkts für die männlichen Zauberer war geheim und hätte Xavier ihm nicht davon erzählt hätte er womöglich nie davon erfahren.   Blaise nutzte den Moment um Xavier ausgiebig zu mustern. Ihm war sofort aufgefallen, dass dieser wunderschöne Mann nicht aus England kam, eher einem südeuropäischen Land, wie vielleicht Spanien oder Portugal. Seine Haut war stark gebräunt, und sein lockiges schwarzes Haar reichte ihm bis zum Kinn. Seine Augen hatten die Farbe von geschmolzener Schokolade und sein Lächeln war so verführerisch, dass Blaise niemals nein sagen könnte, egal wonach er ihn fragen würde. Der Slytherin hatte noch nie so für jemanden empfunden. Falls er sich bisher nicht sicher gewesen war, ob er wirklich auf Männer stand – dieser Kerl lieferte ihm die Antwort auf einem Silbertablett.   Wo war dieser Mann nur all die Jahre gewesen? Er war einige Jahre älter als er. Vielleicht waren sie sich dennoch in Hogwarts begegnet? Blaise würde ihn irgendwann danach fragen. Aber nicht heute. Die heutige Nacht hatte er bereits anders verplant.   Xaviers Augen öffneten sich und fanden schnell die von Blaise, als hätte er gespürt, dass er beobachtet wurde. Seine Mundwinkel hoben sich leicht und Blaise spürte, wie er es ihm gleichtat. Merlin sei Dank hatte er solch ein großes Selbstbewusstsein, andererseits wäre er womöglich vor Aufregung gestorben, als er sah, wie Xavier die Tanzfläche verließ und auf ihn zukam.   Bei ihm angekommen legte er seine Handflächen an Blaise‘ Wangen und drückte seine Lippen fest gegen seine. „Da bist du ja endlich“, säuselte er mit einem schmutzigen Lächeln. „Ich habe schon auf dich gewartet.“ Blaise wollte eine Entschuldigung erwidern, doch der stürmische Kuss ließ ihn nicht mehr klar denken und sein Kopf war plötzlich ganz leer. Xavier gab ihm ohnehin keine Zeit zu antworten, als er ihn erneut küsste. Dieser Mann raubte ihm den Verstand.   Einen Moment sahen sie sich in die Augen, Xavier war einige Zentimeter größer als er, sodass Blaise zu ihm aufsah, dann griffen seine Finger nach seinen. „Komm mit“, forderte er mit einem charmanten Lächeln und zog ihn auf die Tanzfläche. Blaise ließ sich widerstandslos mitziehen.   Seltsam, wenn man bedachte, dass sie sich gerade erst kennengelernt hatten. Und doch verhielten sie sich bereits so vertraut miteinander, als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen. Dabei war alles noch ganz neu – neu und aufregend. Was auch immer das zwischen ihnen war konnte Blaise nicht benennen, auch nicht, was sich daraus noch entwickeln würde. Was auch immer er erwartete, er würde es früher oder später erfahren. Im Moment wollte er nur das Hier und Jetzt mit allen Zügen genießen. Es fühlte sich so an, als wäre er endlich angekommen, als wäre eine lange Suche endlich beendet. Und irgendwann, wenn er bereit war, würde er auch seinem besten Freund davon erzählen. Draco kannte sein Geheimnis ohnehin schon. Und Blaise wusste, er konnte ihm vertrauen. Wenn er jemandem von diesem Abenteuer erzählen würde, dann ihm.   Blaise und Xavier hatten nur noch Augen füreinander, tanzten, berührten sich, küssten sich, und blendeten alles um sich herum aus, als bestünde die Welt nur noch aus ihnen und der betörenden Musik. Es schien beinahe so, als wäre es zu schön, um wahr zu sein.   Ihre Lippen trafen sich gerade zu einem weiteren Kuss, als plötzlich ein Lärm ausbrach, der die Musik des Dreams übertönte. Die Aufregung breitete sich schnell unter den Anwesenden aus und die ersten Schreie ertönten. Blaise drehte sich um und sah einige Lichtfunken, die nicht zu den Strahlern an der Decke gehörten. Seine Hand griff instinktiv nach seinem Zauberstab, der in seiner Westentasche steckte. Und sein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als er die Todesser erblickte.   * * *   Draco staunte immer noch darüber, wie es Astoria tatsächlich gelungen war, ihn in ein Gespräch zu verwickeln. Nachdem sein bester Freund ihn einfach mit einer – für ihn – völlig Fremden in dem Schuppen zurückgelassen hatte, in den Blaise ihn immer schleppte, hatte seine Laune den Tiefpunkt erreicht. Doch Astoria ließ nicht locker. Ehrgeiz war eben eine Eigenschaft des Hauses Slytherin …   Letztendlich hatte er sich dazu breit schlagen lassen sich mit ihr zu unterhalten, auch wenn es ihm am Anfang wahrlich schwer gefallen war, sich auf sie zu konzentrieren, wenn er sie ansah, statt die langen grässliche Narben anzustarren, wie jeder, der an ihrem Tisch vorbei ging. Doch auch wenn ihre Gesellschaft weniger unangenehm war, als erwartet, wollte er diese Situation so schnell wie möglich beenden und den Heimweg antreten, nur um zuhause Blaise einen Heuler zu schreiben, der sich wahrlich gewaschen hatte.   „Ich wusste nicht, dass ihr euch kennt“, sagte er, als sie die Straße, in der sich das Papillon befand, entlanggingen. Trotz der warmen Temperaturen der Sommernacht trugen beide ihre Umhänge und Astoria hatte ihre Kapuze weit über ihren Kopf gezogen. Sie wandte den Kopf, um ihn kurz anzusehen. Und Draco bemerkte wieder einmal, dass sie ihrer Schwester wirklich unheimlich ähnlich sah.   „Wir kennen uns ja auch noch nicht lange“, antwortete sie, während das Klackern ihrer hohen Absätze von den steinernen Wänden widerhallte. „Wir begegneten uns vor einer Weile in der Winkelgasse. Ich wollte mir bei Twilfitt und Tatting ein neues Kleid anfertigen lassen, als plötzlich Blaise vor mir stand, mir eine Stoffprobe unter die Nase hielt und mich fragte, ob ihm dieser Farbton stehen würde.“ Die Erinnerung schien sie zu amüsieren und sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. „Das Muster war grauenvoll. Wir suchten einen neuen Farbton aus und dann ...“ Sie ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen.   „Twilfitt und Tatting?“, fragte Draco. „Wieso nicht das bekannte und allseits beliebte Madam Malkins?“   Astoria rümpfte die Nase. „Also wirklich, da geht doch jeder hin.“ Draco schmunzelte. Sie erinnerte ihn an seine Mutter, denn die hatte das früher auch immer gesagt.   Ihnen kamen zwei Männer entgegen, sichtlich angeheitert. Schnell kreuzten sich ihre Wege und sie waren wieder allein. Eine Weile beschritten sie ihren nächtlichen Spaziergang stillschweigend, bis Astoria begann zu erzählen.   „Ist es nicht seltsam, wie man sich einander begegnet? Blaise und ich haben in Hogwarts nie ein Wort miteinander gewechselt und nun verstehen wir uns wirklich gut. Auch wir beide“, sie warf ihm erneut einen kurzen Blick zu, bevor sie wieder auf das Kopfsteinpflaster der Straße starrte, „haben heute mehr miteinander gesprochen, als in den vergangen fünf Jahren zusammen.“   Draco versuchte sich daran zu erinnern, wann die beiden sich überhaupt mal unterhalten hatten. Langsam aber sicher formte sich ein Bild vor ihm. Die Fahrt im Abteil der Vertrauensschüler und ihr genervter Blick, als er sie mit Daphne verwechselt hatte. Die Wahrheit war, dass er sie in seiner Schulzeit nie wahrgenommen hatte. Das einzige, woran er sich erinnerte, war der ernste, schon fast wütende Blick, mit dem die blonde Slytherin ihn stets bedachte, was ihm immer das Gefühl vermittelt hatte, dass sie ihn nicht mochte, weshalb er sich wiederum nur noch mehr von ihr ferngehalten hatte.   „Mit anderen wiederum“, fuhr sie fort, „habe ich fünf lange Jahre verbracht und ich werde sie nun vermutlich nie wieder sehen. Man geht eine Zeit lang einen gemeinsamen Weg und dann trennen sich die Wege wieder.“   „Was ich daraus höre ist, dass du nicht nach Hogwarts zurückkehren wirst.“   Für ihn war die Schulzeit vorbei, doch Astoria fehlten noch zwei Jahre bis zu ihrem Abschluss. Wie alt war sie jetzt? Sechzehn? Siebzehn? Seit dem Angriff am Anfang des Jahres waren die Tore der Schule verschlossen geblieben, doch am ersten September, in nur wenigen Wochen, sollte Hogwarts wieder eröffnen. Der Dunkle Lord wollte weiterhin, dass die zukünftige Generation gut ausgebildet wurde – selbstverständlich seinen Idealen entsprechend. Hogwarts würde unter neuen Bedingungen sowie neuen Lehrkräften eröffnen. Dumbledore war weiterhin untergetaucht und was aus den meisten Lehrkräften geworden war, wusste Draco nicht. Er wusste ja nicht einmal, wer der neue Schuldirektor werden würde. Aber um ehrlich zu sein, interessierte es ihn auch nicht wirklich. Hogwarts hinterließ bei ihm immer noch einen bitteren Nachgeschmack.   „Nein“, stimmte sie mit fester Stimme zu. Doch langsam ließ sie den Kopf sinken und sprach nun leiser als zuvor: „Wie könnte ich auch. Meine Schwester ist dort gestorben. Und nachdem ich gebrandmarkt wurde meiden mich die meisten Leute. Meine Eltern werden mich zuhause unterrichten.“ Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Es wären eh nur noch zwei Jahre bis zum Abschluss gewesen.“   Sie gingen wieder einige Schritte. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Eine der Straßenlaternen flackerte und Draco sah aus den Augenwinkeln etwas in der Gasse entlang huschen. Vielleicht war es ein Kniesel.   „Darf ich dich etwas fragen, Draco?“   Er holte tief Luft und wusste, er würde es vermutlich bereuen. Dennoch antwortete er: „Klar.“   „Wieso hat Snape das getan?“   Das fragte er sich selbst jeden Tag. Sie musste nicht genauer erläutern, was sie meinte. Er wusste es ganz genau.   „Ich meine“, begann sie und klang schon fast verzweifelt. „Wie konnte er das nur tun? Wir haben ihm vertraut.“ Sie blieb stehen und Draco tat es ihr gleich. „Mord im eigenen Haus. Das ist eine Schande. Nur weil sie nicht … Man hätte sie doch nicht gleich …“ In ihren Augen sammelten sich Tränen und sie sah alles an, nur nicht ihn. „Meinst du, er bereut es?“   Draco dachte darüber nach, steckte die Hände in die Hosentaschen und blickte gen Himmel. Es war eine wunderschöne sternenklare Nacht. „Nein, ich denke nicht.“ Es schmerzte ihn beinahe so sehr über diese Nacht zu sprechen wie sie, denn schließlich hatte seine beste Freundin das gleiche Schicksal ereilt, wie ihre Schwester. Und ihm fiel auf, dass sie das irgendwie miteinander verband.   Astoria nickte und schluckte bitter. „Manchmal sage ich mir, dass er es nur getan hat, weil ihm keine andere Wahl blieb. Das er es eigentlich gar nicht wollte. Das macht es irgendwie einfacher.“ Sie lächelte ein trauriges Lächeln, das schnell wieder verschwand. „Dennoch werde ich ihm das niemals verzeihen.“   Draco sah sie ernst an. Es war deutlich, dass sie nicht nur Snape meinte. Er konnte ihre Gefühle gut nachvollziehen, denn sie spiegelten seine eigenen wider. Pansys Tod hatte er noch nicht überwunden, würde es vielleicht auch nie. Jedes mal, wenn er Snape sah, drohte der Zorn ihn zu übermannen und er würde nichts lieber tun, als Rache zu nehmen. Doch er hielt sich zurück und war klug genug seine Gedanken und Gefühle für sich zu behalten. Denn wenn er seine Hand gegen Snape erheben würde, würde er sie automatisch gegen seinen Meister erheben. „Du solltest lieber aufpassen, was du sagst“, warnte er, als er einen prüfenden Blick die Straße entlang warf. Sie schien verlassen, doch er wusste, das musste nichts bedeuten.   Als er wieder zu Astoria sah, begegnete er ihren tiefblauen Augen. „Ich weiß, ich kann dir vertrauen.“   Mir vielleicht, aber man weiß nie, wer zuhört, dachte er bitter. Schon seit Kindesalter an hatte Draco gelernt, dass es sicherer war, sein Innerstes zu verschließen.   Ihre Aussage irritierte ihn dennoch ein wenig. Immerhin gehörte er den Todessern an, was sie vermutlich wusste, schließlich war das kein Geheimnis. Dieses unscheinbare Mädchen überraschte ihn und er fragte sich, was sie wohl noch alles hinter ihrer vorgetäuschten starken Fassade verbarg. Ihre Schwester hatte es nicht gekonnt, jemanden zu vergiften. Wie wäre es bei ihr gewesen? Hätte sie es gekonnt? Wenn ja, aus Überzeugung? Oder weil ihr keine andere Wahl blieb? Oder hätte sie sich geweigert, wie Daphne und Pansy, weil sie entweder nicht den Mut hatte oder einfach wusste, dass es nicht richtig war?   „Was macht dich da so sicher?“   Sie kam einige Schritte auf ihn zu und lächelte geheimnisvoll. „Weil ich dich beobachtet habe.“ Sie legte den Kopf schief und musterte sein Gesicht. „Ich kenne dich besser, als du glaubst.“   Draco runzelte die Stirn. Noch etwas, dass sie mit Nott gemeinsam hat, dachte er, dem die Ähnlichkeit zu seinem zweiten Schatten nicht entging. Er zweifelte ihre Aussage allerdings an, denn kaum einer kannte ihn wirklich. Weder seine Eltern, noch seine besten Freunde. Nicht einmal Ginevra gegenüber hatte er sich geöffnet. Die einzige Person, die ihn wirklich kannte, war tot.   Astoria ging noch einen Schritt auf ihn zu und kam ihm für seinen Geschmack nun ein wenig zu nah. Er kämpfte gegen seinen Instinkt an einen Schritt zurückzutreten und sah zu ihr hinab. Er musterte ihr blasses Gesicht. Ohne diese Narben wäre sie wirklich unheimlich schön.   „Weißt du eigentlich, dass ich früher in dich verliebt war?“   Draco verzog keine Miene und überspielte seine Überraschung gekonnt. „Nein, das wusste ich nicht.“ Ihre blauen Augen blickten in seine und schienen nach etwas zu suchen, nach einer Antwort, zu einer Frage, die sie nie gestellt hatte. Er blieb stumm.   Schließlich lächelte sie wehmütig. „Ja, weil du nur Augen für eine andere hattest.“   Draco spannte sich unwillkürlich an. In ihm ertönten die Alarmglocken. Er konnte nur hoffen, dass sie Pansy meinte. Vielleicht dachte sie, so wie einige andere Slytherins, oder auch die Schüler der anderen Häuser, dass sich mehr hinter ihrer Freundschaft verbarg. Wen sollte sie sonst meinen? Draco sah sie mit vorgetäuschter Ahnungslosigkeit an.   „Ich habe euch mal zusammen gesehen“, gestand Astoria, sodass sich ihm die Nackenhaare aufstellten. Sie zog ihren Umhang enger, als wäre ihr plötzlich sehr kalt und krallte ihre Finger in den dicken Stoff. „Ich war im fünften Stock und habe die Gänge kontrolliert, als ich gesehen habe, wie du aus dem Bad der Vertrauensschüler gekommen bist. Dein Haar war noch ganz nass. Ich blieb dort, weil ich zwei Schülern Punkte abzog, die sich kurz darauf in dem Gang duelliert haben. Dann sah ich, wie Weasley ebenfalls aus dem Bad kam. Mit nassen Haaren. Da wurde es mir klar.“   Draco starrte sie an. Überlegte. Was sollte er tun? Es leugnen? Diese Information durfte nicht in die falschen Hände gelangen. Wie konnten sie damals nur so unvorsichtig gewesen sein? Nicht nur Blaise, sondern auch Astoria hatten sie erwischt. Merlin wusste, was die junge Hexe wirklich gesehen hatte. Es gäbe noch allerhand Ausreden, die er sich einfallen lassen könnte.   „Ich konnte es nicht verstehen“, fuhr sie gekränkt fort. „Sie war eine Blutsverräterin. Es war so ungerecht. Ich dachte immer, du würdest jemanden aus Slytherin wählen, jemanden aus der Oberschicht.“ Jemanden wie mich, schienen ihre Augen zu sagen. „Damals hast du mir das Herz gebrochen.“   Allmählich verstand er auch, was Blaise an diesem Abend bezwecken wollte. Die Puzzleteile setzten sich Stück für Stück zusammen. Diese Art, wie sie ihn in diesem Moment ansah, dieses Funkeln in den Augen, kannte er nur zu gut. Er hatte es schon oft in anderen, braunen Augen gesehen. Ihm wurde nun klar, dass Astoria keine längst vergangene Schulschwärmerei erwähnte, sondern dass sie in ihn wahrhaftig verliebt war. Immer noch. Er hatte sich in einer Sache in ihr geirrt. Sie konnte ihre Emotionen tatsächlich sehr gut verbergen. Vielleicht hatte sie ihn damals deswegen immer so angesehen. Es war keine Wut gewesen, sondern Enttäuschung, weil er sie mit ihrer Schwester verwechselt und nicht als Individuum wahrgenommen hatte, weil er sie einfach nicht gesehen hatte.   Langsam hob er die rechte Hand und streifte ihr vorsichtig die Kapuze herunter. Als er sie wieder zurückzog fuhr er mit dem Rücken seines Zeigefingers sanft über ihre Wange, als wolle er sich mit dieser zärtlichen Geste für sein damaliges Verhalten entschuldigen wollen. Sein Gesicht kam ihrem immer näher.   „Hast du jemandem davon erzählt?“, fragte er leise, woraufhin er ihre Aufmerksamkeit zu seinen Lippen zog. Er konnte genau sehen, wie ihre Augen seinen Mund sehnsüchtig betrachteten.   Sie schüttelte den Kopf. Ihre Antwort war nur noch ein Hauchen. „Nein.“   Es war beinahe zu einfach. Sie war zu unvorsichtig. Zu naiv. Er sendete ihr die Signale, die sie nur zu gierig in sich aufnahm. Warum auch nicht, schließlich vertraute sie ihm. Sie lehnte ihr Gesicht gegen seine Berührung und sah ihn erwartungsvoll an. In seiner linken Hand hielt er bereits den Zauberstab, den er gezogen hatte, ohne, dass sie es bemerkte. Langsam, ganz langsam, beugte er sich zu ihr hinab und in dem Moment, in dem sie die Augen schloss, hielt er ihr seinen Zauberstab an die Schläfe und flüsterte, bevor sich ihre Lippen berühren konnten: „Obliviate.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)