Reckless. von karlach ================================================================================ Kapitel 1: 1185, Arianrhod. --------------------------- Die Karaffe gab ein leidiges Klirren von sich, als Ingrid sie energisch auf den Tisch stellte. Sylvain bedachte sie mit einem neugierigen Blick, Augenbrauen gehoben, wie er seine Karten von Arianrhod etwas beiseiteschob. „Ingrid Brandl Galatea, sehe ich da etwa Alkohol?“ Seine Kindheitsfreundin antwortete nicht sofort, reichte ihm stattdessen einen hölzernen Becher. Ihr Ausdruck war düster, ihre Haut selbst im Kerzenlicht fahl. Die Trauer hatte sich über die letzten Wochen beständig weiter und weiter durch sie gefressen und ein bisschen erinnerte die Ingrid, die jetzt vor ihm stand an das Mädchen, das in Duscur ihren Verlobten verloren hatte. „Manuela hat mir den gegeben“, erklärte sie schließlich, während sie beiden eine anständige Portion einschenkte. „Schmerzmittel hat sie es genannt.“ Sie nahm einen viel zu schnellen Schluck und beinahe hätte Sylvain sich darüber amüsiert, wie das Brennen des Weins ihr Tränen in die Augen trieb und sie zum Husten brachte. „He, nun mal langsam.“ Er faltete seine Karte und legte sie ganz beiseite. „Es wird nicht lange halten, wenn am Ende alles wieder hochkommt, weil du zu schnell getrunken hast.“ Er selbst nippte betont langsam an seinem Getränk. Es war etwa so scheußlich, wie man sich hochprozentigen Alkohol aus dem Lazarett vorstellen konnte. Schmerzmittel. Für eine Weile war der Raum still. Zwischen der Zeit, in der Garreg Mach die Räumlichkeiten der Offiziersakademie gestellt hatte und der Gegenwart lagen etwas mehr als fünf Jahre, aber in Sylvains Raum hatte sich so wenig verändert, beinahe könnte man daran glauben, dass sie beide noch immer achtzehn und zwanzig waren. Krieg ließ wenig Zeit für Innenraumdekoration. Beinahe erwartete Sylvain, dass Felix oder Dimitri mit einer Frage in den Raum platzen würde, dass jemand sich über sein Verhalten beschweren wollte. „Morgen brechen wir auf“, sprach Ingrid schließlich. Sylvain musste sie nicht ansehen, um zu wissen, dass sie die Karte missmutig anstarrte. Er schob das Pergament mit einem Seufzer beiseite. Augenblicklich hatte die junge Frau ihn im Visier, ihre Miene missfällig. „Berührt dich denn wirklich gar nichts, wenn es nicht lukrativ für dich ist? Hat der Krieg dein Herz dermaßen abgestumpft?! Wir fallen ins Königreich ein, Sylvain! In unsere Heimat!“ „Das Königreich hat aufgehört, sich als unsere Heimat zu bezeichnen, als wir Edelgard anstelle von Dimitri gewählt haben“, korrigierte der Ältere. Ein Teil von ihm wollte die Geduld mit Ingrid verlieren, ihre ungehaltenen Worte mit Gift zurückweisen. Ein anderer, jedoch, war zu müde für Konfrontation. Ingrid brauchte diese Unterhaltung, auch wenn Sylvain sie lieber vermieden hätte. Und am Ende des Tages waren sie noch immer Verbündete. Beide mochten eine hohe Position in Edelgards Armee bekleiden, doch letzten Endes waren sie beide noch immer Ausländer, Staatsverräter, Fremdkörper. „Es ist zu spät für Selbstmitleid, Ingrid“, fügte er etwas sanfter an. „Wir haben unsere Seiten vor langer Zeit gewählt. Zweifel bringen uns jetzt nicht mehr weiter.“ „Herzog Rodrigue und Felix sind in Arianrhod. Macht dir das denn nichts aus?“ Ah, da war es. Die Schwachstelle. Sylvain wandte seinen Blick ab. „Natürlich tut es das. Aber was wird weinen und mich betrinken an der Situation ändern?“ Seine Finger fuhren langsam über die Karte der silbernen Festung, zogen die Linien nach, die durch das Pergament durchgesickert waren. „Wir brauchen Arianrhod, um den Krieg zu beenden. So einfach.“     · · ·     Es war nicht so einfach. Der Krieg hatte das Königreich stärker getroffen als das Imperium, aber Felix selbst schien auf dem Schlachtfeld aufzublühen. Die scheinbar mühelose Eleganz seiner Bewegungen hatte nach so viel Tod lange ihren Reiz verloren, aber sie erinnerte Sylvain daran, dass sich manche Dinge nicht änderten. „Erinnerst du dich, Felix? Damals, als wir Kinder waren, hatten wir uns geschworen, gemeinsam zu sterben.“ Sylvain richtete seinen Griff um seine Lanze und stieg von seinem Wyvern. Das Reptil knurrte seinen Gegner an und breitete die Flügel in einer Drohgebärde aus. Felix wirkte herzlich unbeeindruckt. „Ich erinnere mich.“ Sein Tonfall war eisig – eisig vor Wut. Fünf Jahre mochten vergangen sein, aber Sylvain kannte noch immer die Nuancen seiner Stimme, wusste noch immer, wie sein Gesicht lesen. Felix war wütend und der Schmerz seines Verrats stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Sieht ganz so aus, als würden wir uns heute gegenseitig ein Ende bereiten“, fuhr der Rotschopf fort. Es erstaunte ihn selbst, wie sein Tonfall lässig blieb, unberührt, als würde ihn das alles kalt lassen. Gut so. Je einfacher es für Felix war, ihn zu hassen, desto weniger würde dieser Kampf schmerzen. „Sag‘ mir, dass du nicht mein Leben gerettet hast, um es selbst zu beenden. Sag‘, dass dein Versprechen nicht bedeutungslos war.“ Felix‘ Hände zitterten. Ein Teil von Sylvain, den er für ertrunken gehalten hatte, sehnte sich danach, den Jüngeren in seine Arme zu nehmen und sein Gesicht so lange mit Küssen zu bedecken, bis er weggestoßen wurde. Bis es Felix reichte und er die Geduld verlor, sich mit Trostküssen zufriedenzugeben. Für einen Augenblick waren sie zwei Teenager in Garreg Mach und hatten keine Ahnung, weder von der Welt noch von der Liebe. „Die Dinge haben sich geändert, Felix. Ich stehe hinter der Vision der Kaiserin.“ „Kaiserin?! Eine herzlose Tyrannin, das ist sie!“ Felix stampfte mit einem Fuss auf, tat einen furchteinflößenden Schritt auf Sylvain zu. Sein Wyvern stieß ein warnendes Brüllen aus. „Aber es sollte mich nicht erstaunen, dass du so tief gesunken bist.“ „Unsere Welt hat zu lange zugelassen, dass unser Bluterbe über unsere Zukunft entscheidet. Ich bin fertig damit.“ „Lachhaft!“ Sylvains Stolz schmerzte hinter seinem müden Lächeln. Er hatte nicht erwartet, dass Felix verstand, nicht nach einem Verrat, der ihn so viele seiner Landsmänner, zwei seiner engsten Freunde und soeben sogar seinen eigenen Vater gekostet hatten. Doch es gab kein Zurück, hatte es schon lange nicht mehr gegeben. Die Welt musste sich ändern und Edelgard war eine Chance. Eine riskante, grausame, blutige Chance. Sylvain hatte sich damit abgefunden, dass er einen heftigen Preis dafür zahlen würde, Teil an dieser Revolution zu haben. „Deine fehlgeleitete Existenz endet heute, Sylvain José Gautier“, knurrte Felix und hob sein Schwert. Aegis' rotes Juwel schimmerte unheilverheißend. “Immer preschst du rücksichtslos voran, ohne dich darauf zu achten, wem du damit wehtust!” Sylvain erinnerte sich an den anklagenden Tonfall seines Freundes, auch wenn diese spezifische Unterhaltung Jahre zurücklag. Felix hätte wohl nie daran gedacht, wie wahr seine Worte selbst jetzt sein würden, in einer Welt, in der sie sich auf gegenüberliegenden Seiten eines Krieges wiederfinden würden. Sylvain hob die Lanze des Ruins und schenkte seinem Gegner ein letztes, trauriges Lächeln. „Es tut mir leid, mein Versprechen zu brechen, Felix, aber ich kann heute noch nicht sterben. Du musst ohne mich weiter.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)