Music Is Life von Phoenix-of-Darkness (Musik heißt: Leben - YuKa / SeBo) ================================================================================ Kapitel 1: My Decision ---------------------- Das Musikbusiness ist hart umkämpft und während in Europa und dem Rest der Welt die Plätze in den Charts ständig wechseln, bestimmt in Russland seit genau 3 Jahren eine Band die Spitze der Charts. Die Band „Fire & Ice“, bestehend aus dem Sänger und Gitarristen Kazuki Sokolov, dem Gitarristen und Sänger Yuriy Ivanov, dem Keyboarder Sergej Petrov und den Drummer Boris Kuznetsov, landet einen Erfolg nach dem Anderen. Dabei kamen sie wie aus dem Nichts. Keine Castingshow, keine Soloprojekte – nichts. Sie tauchten auf und schon kurz darauf schien es, als gehörten sie schon immer dazu. Dabei gab es keine direkte Zielgruppe. Ihre Fans waren zwar größtenteils Teenager, aber auch junge Erwachsene standen auf den Sound. Ihre Texte waren oft tiefgründig und ihr Genre erstreckte sich von Pop über Rock bis hin zu kleinen Einflüssen von Metal. Des Weiteren gelang es Kazuki spielerisch mit seiner Stimme die Leute in seinem Bann zu ziehen. Sein athletischer Körperbau war zudem ein kleiner Bonus. Doch nicht nur er alleine sorgte für das Schmelzen der Herzen bei den Frauen und Mädels. Sein Partner an der E-Gitarre, Yuriy, war ebenfalls athletisch und noch dazu eine absolute Rampensau. Er sorgte mit seinen Einlagen bei Auftritten und Interviews regelmäßig für Ekstase bei den Fans. Die Jüngsten unter den Fans hingegen hatten mit dem Drummer Boris eine echte Sahneschnitte zum anschmachten. Mit seinen mittlerweile 15 Jahren hatte er in den letzten 3 Jahren am Schlagzeug ordentlich Muskeln aufgebaut und diese konnten Fans auch regelmäßig auf Konzerten bewundern. Diese Muskeln waren jedoch nicht mit der imposanten Erscheinung Sergejs zu Vergleichen. Er war groß, blond und hatte blaue Augen. Seine Figur zeichnete sich durch große Muskeln und kräftige Arme aus. Zudem vermochte er es den Sound eines Songs binnen Sekunden an seinem Keyboard und dem Mischpult zu verändern. Es konnte gar nicht besser laufen. Doch wie bei allen gut geölten Maschinen…gab es Updates… Es ist abends als sich zwei Motorräder gegenüber stehen. Im Scheinwerferlicht dieser standen sich Kazuki und Yuriy gegenüber. „Yuriy ich muss mit dir reden.“ Der Ältere und nahm den Helm ab. Seine königsblauen Augen trafen auf die eisblauen Augen seines Gegenübers. „Ich habe einen Anruf erhalten. Die Behörden haben meinen kleinen Bruder gefunden und ich werde ihn in meine Obhut nehmen.“ „Ist das dein ernst?!“ Skeptisch sah Yuriy auf, nachdem er ebenfalls seinen Helm ablegte. „ Wie alt ist dein Bruder nochmal? 10?“ „Nein er ist 6 und ja es ist mein ernst. Er hat niemanden außer mir und ich werde mich um ihn kümmern.“ Sein Gegenüber fing an zu lachen. Doch Kazuki bedachte ihn weiterhin mit ernstem Blick, sodass Yuriys Lachen langsam erstickte und sich die Amüsiertheit in blankes Entsetzen wandte. „Kazuki was wird dann aus uns? Aus unserer Band?“ „Was soll da werden? Die Anwesenheit meines Bruders ändert nichts an meiner Liebe zu dir und für unsere Band bin ich nach wie vor da.“ Lächelte Kazuki seinen Geliebten an. Doch dieser verschränkte nur abwehrend seine Arme. „Das glaubst du doch selbst nicht. Ich weiß, dass du ein Workaholic bist…aber Band, ich und dein Bruder? Bitte das schaffst du nicht und am Ende bin ich der Depp der zurückstecken muss.“ Ihr Gespräch lief gar nicht so, wie Kazuki es sich erhoffte. Im Gegenteil. Alle Argumente die er hervor brachte, prallten an dem Rothaarigen ab und am Ende konnte er nur zusehen wie die Rückscheinwerfer des Motorrads seines Freundes sich immer weiter entfernten. Yuriy wollte Kazukis kleinen Bruder nicht kennenlernen. Doch Kazuki wollte unbedingt für seinen kleinen Bruder da sein. Zu lange hatte er ihn nicht mehr gesehen. Zuletzt vor 3 Jahren, als dieser selbst erst 3 Jahre war und ihre Eltern sich scheiden ließen. Ihre Mutter hatte den Jüngeren mit nach Japan genommen und er selbst war beim Vater geblieben. Allerdings hatte der die Trennung nicht verkraftet und sich 2 Jahre später das Leben genommen. Kazuki kam damit klar und als er davon hörte, wieder Kontakt mit seinem Bruder zu haben, war er sofort Feuer und Flamme. Doch warum musste jetzt gleich seine Beziehung zu Yuriy auf der Kippe stehen? Doch weitere Gedanken konnte er sich erst mal nicht machen. Sein Weg führte ihn zum Flughafen. Dort angekommen begab er sich zum Gate. Etwas nervös sah Kazuki sich um. Ob sein kleiner Bruder ihn erkennen würde? Ob sie sich verstehen würden? Kazuki war zweisprachig aufgewachsen. Zwar sprach er vorwiegend russisch, doch auch japanisch konnte er, dank den japanischen Wurzeln mütterlicherseits, fließend. Ob er seinem kleinen Bruder jetzt die Landessprache beibringen musste, wusste er nicht. Er wusste, dass sie beide mit beiden Sprachen aufgewachsen waren, doch ob der Kleine die letzten 3 Jahre russisch gesprochen hat, wagte er doch sehr zu bezweifeln. „Herr Sokolov?“ ruckartig schreckte Kazuki aus seinen Gedanken. Ihm gegenüber stand eine Dame mittleren Alters, gekleidet mit einem Bleistiftrock, Bluse und hohen Schuhen. Ihre Haare waren zu einem strengen Dutt gebunden und eine Brille zierte ihr Gesicht. Doch Kazuki interessierte sich Null für die Frau. Sein Blick schweifte zu ihrer linken Seite. Dort stand er. Er, sein kleiner Bruder. Schüchtern klammerte sich der 6jährige an seinen Plüschwolf. Kazuki lächelte sanft und hockte sich zu seinem kleinen Bruder. „Hey Kai. Ich freu mich dich endlich wieder zu sehen. Ich hoffe die Reise-“ begann er auf Japanisch seinen kleinen Bruder zu begrüßen. „Kazuki!!!!“ Kai warf sich in die Arme seines großen Bruders und schluchzte hemmungslos. Etwas überfordert sah Kazuki zu der Frau vom Jugendamt auf. Doch er hielt seinen Bruder weiter fest und ließ ihn gewähren. Zusammen mit der Frau vom Jugendamt und seinem kleinen Bruder betrat Kazuki seine Wohnung. Dort erzählte sie ihm, dass Kai von einer Fremden völlig verwahrlost in einem Treppenhaus aufgefunden wurde. Des Weiteren musste er erfahren, dass ihre Mutter in eine Entzugsklinik eingewiesen wurde und dies nicht freiwillig. Sie soll ihren eigenen kleinen Sohn in dieser Situation beschimpft haben und die Beamten ebenfalls. Sogar Handgreiflichkeiten soll es gegeben haben. Kazuki konnte sich das alles gar nicht vorstellen, hatte er bei dem Gedanken an seine Mutter doch die zierliche liebe Person vor Augen die er gekannt hatte. Es war spät in der Nacht, als die Frau vom Jugendamt sie verließ und Kazuki mit Kai zurück blieb. Jetzt war er also nicht nur für sich, sondern auch für den Jungen neben sich verantwortlich. Ob er das schaffen würde? Doch ein Blick in die ihn hoffnungsvoll ansehenden Augen und er wusste, dass er das Richtige tat. Die Tage vergingen und die beiden schafften sich einen Alltag. Kazuki konnte in den folgenden Wochen beobachten wie sich Kai bei ihm einlebte und langsam aufblühte. Zu seinem Glück konnte sein kleiner Bruder die russische Sprache noch. Lediglich ein Wort hier und eine Redewendung da war ihm mal nicht geläufig. Aber im Großen und Ganzen lief alles super und da Kai erst jetzt in die Schule kam, lernte er das Lesen und Schreiben der kyrillischen Schrift genau wie alle anderen. Kazuki konnte glücklich sein….könnte… Denn seine Beziehung zu Yuriy litt. Dieser weigerte sich nach wie vor zu Kazuki zu kommen, wie er es früher tat, wenn Kai da war. Sie trafen sich in den ganzen Wochen nur noch bei Bandproben oder mal vormittags wenn der Kleine in der Schule war. Jedoch wusste Kazuki nicht wie er noch auf seinen Freund zugehen sollte. Nicht wissend wohin mit seinen Emotionen und seinem Kummer schrieb Kazuki an einem Song. Dieser ließ ihn auch nicht los und so vergingen die ersten Monate bis der Halbrusse seinen Mut zusammen nahm und diesen Yuriy vorlegte. Eben dieser las sich den Text durch. Sie hatten sich im Park getroffen und so wie Kazuki seinen Freund kannte, war dieser ganz und gar nicht mit dem Songtext einverstanden. Yuriys Körperhaltung war angespannt und dessen Gesichtszüge ließen nichts Gutes erahnen. „Was willst du mir mit dem Text sagen?“ kühl sah Yuriy seinen Freund an. „Na ja es ist das was ich so fühle…“ begann Kazuki und kratze sich ratlos am Hinterkopf. „Ach was du fühlst!?“ Yuriy zerknüllte das Stück Papiermit nur einer Hand. „ Echt super!!! Dann können wir ja auch gleich Schluss machen!!“ blaffte er hitzköpfig und sprang auf. Irritiert sah Kazuki ihn an. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet. Seufzend kniete er sich hin und hob sein Geschriebenes wieder auf. Bei der überzogenen Reaktion seines Freundes kam ihm jedoch ein Verdacht und auch die ausgeatmete Luft bestätigte seinen Verdacht immer mehr. Er richtete seinen Blick auf den Rothaarigen. „Yuriy jetzt beruhig dich doch. Ich versteh nicht warum du jetzt so ausflippst. Hast du wieder getrunken?“ Versuchte Kazuki erst noch beschwichtigend auf seinen Freund einzureden, so schwang am Ende doch ein leichter Vorwurf mit und dieser verfehlte seine Wirkung nicht. Yuriy blickte ihn sauer an. Ja er hatte Alkohol getrunken. Das tat er immer, wenn er mit Gefühlen nicht klar kam und das auch leider mal zu heftig. Doch aus seiner Sicht, tat er dies aktuell nur weil sein ach so toller Freund lieber kleine Kinder hütete anstatt mit ihm Zeit zu verbringen. Er war sauer…nein angepisst. „Weißte was…leck mich, Kazuki!!! Ich werde diesen Song nicht singen und wenn du den unbedingt performen willst, dann steige ich aus!! Ich hab so keinen Bock mehr. Ständig hast du mit deinem Bruder zu tun. Wir sehen uns kaum noch und wenn dann sind da auch noch Sergej und Boris. Wir verbringen fast keine Zeit mehr miteinander. Dann können wir es am besten auch gleich lassen!“ Yuriy wandte sich ab und ohne einen weiteren Blick oder auf die Rufe seines Freundes zu reagieren verschwand er. Kazuki blieb verletzt zurück. Er konnte nicht verstehen, was sein Freund gegen seinen Bruder hatte. Apropos kleiner Bruder….Kazukis Blick fiel auf die Uhr. Er schwang sich auf sein Motorrad und fuhr zur Grundschule. Dort angekommen wartete er auf das läuten der Schulglocke. Kurz darauf erkannte er seinen kleinen Bruder. Dieser lief strahlend auf ihn zu und sprang Kazuki in die Arme. Glücklich drückte dieser Kai an sich. Für einen Moment war der Streit mit Yuriy vergessen. „Was machen wir heute?“ fragte Kai glücklich. Für ihn war dies hier das Beste was ihm passieren konnte. Er hatte wieder eine Familie und sein großer Bruder war einfach der Hammer. Kai vergötterte ihn. „Heute nehme ich dich mit zur Probe der Band. Dann kannst du sie mal kennenlernen und sehen was ich so mache.“ Lächelte Kazuki. Sein kleiner Bruder sah ihn mit großen Augen an. Er war baff und aufgeregt zugleich. Zusammen gingen sie zu Kazukis Motorrad. Kai setzte seinen kleinen Helm auf und sein Bruder half ihn auf die Maschine. Sie fuhren durch die Stadt und Kai umarmte seinen Bruder fest. Vor dem Tonstudio parkte Kazuki sein Motorrad. Beeindruckt sah der Kleine sich das Gebäude an. Etwas unsicher griff er nach Kazukis Hand. Schmunzelnd nahm dieser das zur Kenntnis und ging mit Kai rein. Im Studio angekommen warteten bereits Sergej und Boris. Kazuki begrüßte die beiden freudig. Kai hingegen sah sich unsicher um. „Na nu?“ fragend sah Boris zu dem Jungen. Auch Sergej fiel jetzt der kleine Besucher auf. Doch im Vergleich zu Boris, kannte er den Kleinen. Er erhob sich von dem Stuhl und ging auf den Jungen zu. Unbeirrt hockte er sich vor den Jungen und streckte ihm seine Faust entgegen. „Jo hey kleiner Kumpel!“ lächelte er und plötzlich taute Kai auf. Er kannte diesen Riesen. Der Kleine erinnerte sich an diese Art der Begrüßung. Mit der flachen Hand klatschte er auf die Faust und rief „Hey Schlumpi!“ und strahlte übers ganze Gesicht. Schon vor Jahren, als die Familie noch heil war und nicht nur noch aus den Brüdern bestand, hatten sie sich so begrüßt wenn Sergej, damals in meist zu weiten Klamotten, Kazuki zu Hause besuchte. Boris war überrascht, dass Sergej diesen Jungen wohl auch kannte. Doch aufgrund der Situation konnte er sich denken, dass es sich bei dem schüchternen Kind um Kazukis kleinen Bruder handeln musste. Dennoch war er verwundert. Was suchte dieses Kind hier, während ihr anderer Gitarrist nicht wie sonst mit dem Anderen zusammen hier aufkreuzte. Kazuki erahnte was in dem Kopf des jüngsten Bandmitgliedes vor ging und seufzte. „Er wird nicht kommen.“ Sagte er und in seiner Stimme konnte man eindeutig die Verletzlichkeit heraus hören. Seine Schritte führten ihn jedoch zu seiner Gitarre. „Ich hab nen neuen Song dabei. Hört ihn euch mal an und wenn er euch zusagt, könnt ihr ja versuchen mit einzustimmen.“ Sprach Kazuki ruhig und begab sich ans Mikro. Er schloss seine Augen. Boris nickte und ließ sich auf den kleinen Hocker hinter seinen Drums fallen. Auch Sergej erhob sich, strich noch kurz durch die Haare Kais und sah dann zu dessen großen Bruder. Kazukis Finger strichen über die Saiten und gaben die Melodie vor. Aufmerksam hörten seine Bandkollegen und sein kleiner Bruder zu. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Als Kazuki endete, öffnete er seine Augen und sah fragend zu Sergej und Boris. Der Jüngere fand den Song auf Anhieb toll und war hin und weg. Sergej hingegen war etwas betrübt. Im Gegensatz zu dem Jüngeren konnte er sich denken, dass der Inhalt auf die Beziehung zwischen Kazuki und Yuriy anspielte. Nichts desto trotz konnte er aber nicht abstreiten, dass dieses Lied Potential hat. Daher stimmte er zu und begab sich an seinem Keyboard. Die 3 begannen an den Noten zu arbeiten und die Melodie weiter auszuarbeiten. Kai sah sich indes um. So interessant wie die Arbeit seines Bruders auch war, aber die ganze Zeit rum stehen wollte er auch nicht. Daher zog er sich in eine Ecke zurück und setzte sich auf den Boden. Die Zeit verflog und der kleine Junge lauschte dem Sound des Liedes während er nebenbei seine Hausaufgaben machte. Zuerst summte er nur gedanklich mit. Doch da die Band den Song immer und immer wieder spielte, schlichen sich die Worte in Kais Kopf und er begann diese mitzusingen. Leise drang Kais Stimme an Boris Ohr, welcher am nächsten war. Dieser hielt augenblicklich inne und lauschte der leisen Stimme. Als er sie zuordnen konnte, drehte sich der 15 jährige überrascht zu dem kleinen Jungen in der Ecke. Kapitel 2: Make Me Fly ---------------------- Rückblende: Die Zeit verflog und der kleine Junge lauschte dem Sound des Liedes während er nebenbei seine Hausaufgaben machte. Zuerst summte er nur gedanklich mit. Doch da die Band den Song immer und immer wieder spielte, schlichen sich die Worte in Kais Kopf und er begann diese mitzusingen. Leise drang Kais Stimme an Boris Ohr, welcher am nächsten war. Dieser hielt augenblicklich inne und lauschte der leisen Stimme. Als er sie zuordnen konnte, drehte sich der 15 jährige überrascht zu dem kleinen Jungen in der Ecke. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Der plötzliche Abbruch von Boris ließ auch Sergej und Kazuki aufhören und es wurde still, während Kai noch die Strophe leise zu Ende sang. Stutzend über die augenblickliche Ruhe sah er von seinen Hausaufgaben auf. Sein Blick traf auf 3 Augenpaare die ihn musterten. Sofort senkte der Kleine den Kopf und schluckte. „Ent..entschuldigung…ich wollte euch nicht stören“ stammelte er kleinlaut. Kazuki stellte seine Gitarre zur Seite und schritt auf seinen kleinen Bruder zu. Er hockte sich vor diesen und legte seine Hand auf die silberfarbenen Haare. Unsicher blickten die roten Augen auf. Hatte er doch Angst, dass sein Bruder sauer war und ihn nie wieder mit zu den Proben nehmen würde. Doch zu seiner Überraschung lächelte dieser sanft und nicht nur das. Kai traute seinen Ohren nicht. Sein großer Bruder hatte ihn tatsächlich soeben gefragt, ob er auch mal am Mikro stehen will. Was sollte er jetzt sagen? Unsicher sah er zu den beiden anderen. Jedoch wirkte keiner der beiden irgendwie aufgebracht über die Störung durch ihn. Im Gegenteil. Boris nickte ihm zu und Sergej deutete mit dem Daumen hinter sich in Richtung Mikro. Kai schluckte. Zaghaft stand er auf und schritt auf das Mikro zu. Als er davor stand sah er zögernd nach oben. Das Mikrofon war so weit oben und er kam sich noch kleiner vor, als er es war. Wieso sollte er jetzt vorsingen? Er konnte das doch gar nicht. Immerhin kam er nicht mal an dieses Ding heran. Das Geräusch eines über den Boden gezogenen Stuhls ließ Kai aus seiner Starre schrecken. Als er aufsah, stand der Hüne neben ihn. Dieser stellte den Stuhl zum Mikro und ohne zu Fragen packte er den Jungen und setzte ihn drauf. Fragend sah Kai zu Sergej und dieser grinste. „Jetzt kommst du ran und nun will ich nochmal deine Stimme hören.“ Verblüfft sah Kai ihn an. Doch Sergej stellte sich einfach wieder hinter sein Instrument und sah zu ihm. Der Junge schluckte, sah erst zum Mikro und dann zu seinem großen Bruder. Kazuki sah von ihm zu den anderen beiden. „Wir fangen einfach mal an.“ Lächelte er und sah dann erneut zu Kai. „Und du singst einfach mit wenn du magst.“ Kazuki wandte sich an sein Mikro und begann langsam den Song zu spielen. Passend dazu begann Boris auf seinen Drums zu spielen und auch Sergej stimmte mit ein. Das Intro begann und Kazuki atmete innerlich durch. Kurz herrschte absolute Stille im Studio. Times when I just can't Bring myself to say it loud 'Fraid that what I'll say comes out somehow awry Kazukis Stimme erfüllte den Raum. Seine Stimme war fest und klar. Kai musste schlucken. Selten sah er seinen Bruder so ernst und doch war da noch etwas anderes. So richtig konnte er es nicht einordnen, doch mit seinem Bruder stimmte etwas nicht. Irgendwas bedrückte ihn und Kai wusste nicht was. Er beobachtete wie die Finger seines älteren Bruders über die Saiten der Gitarre glitten. That is when it seems We move in circles day to day Twist the drama of the play to get us by Schmerz zeichnete sich in seinen Augen. Das Drama mit Yuriy machte ihm so unendlich zu schaffen und je öfters er seinen geschrieben Song sang, desto bewusster wurde es ihm. Konnte ihre Beziehung überhaupt noch gerettet werden? Und wenn ja, wie? Immerhin war der Rothaarige noch immer nicht aufgetaucht. Das hier war ihre gemeinsame Band, ihr gemeinsamer Traum… Schmiss Yuriy dies wirklich alles hin, nur weil er Kazukis kleinen Bruder als „Störenfried“ empfand!? And it feels like fear Like I'll disappear Gets so hard to steer Yet I go on Do we need debate When it seems too late Like I bleed but wait Like nothing's wrong Die Melodie des Songs nahm Fahrt auf. Der vorherrschende Klang der Gitarre trat zurück und der Klang von Boris Drums vervollständigte den Sound der Gitarre und des Keyboard. Kazuki war in seinem Element. Die Musik trug seine Emotionen. Doch nicht nur ihm ging es so. Kai sah über seine Schulter zu Boris. Dieser hatte die Augen geschlossen und wie selbstverständlich folgten dessen Bewegungen an den Drums Kazukis Song. Da war keine Anstrengung in den Bewegungen des Lilahaarigen. Das Muskelspiel wirkte leicht und beinahe beflügelt. Kai musste erneut schlucken. Dieser Drummer war gut – sehr gut. „Los.“ Kai zuckte zusammen und sein Blick fiel auf Sergej, welcher ihm die Worte zugewispert hatte. Der riesige Russe hinter dem Keyboard hatte ihn die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen. Der Blick des Jungen glitt über Sergej bis hin zu dessen Fingern. Diese glitten wie selbstverständlich über die Tasten und er musste nicht eine Sekunde überlegen, welche Note als Nächste folgen würde. Für Kai waren die drei und ihre Musik eins. Sollte er es wirklich wagen in diese Intimität einzudringen? Was wenn er den Song seines Bruders zerstören würde? Sein Blick wandte sich nach vorn und er schloss die Augen. You lift my spirit, take me higher, make me fly, Touch the moon up in the sky, when you are mine You lift me higher, take my spirit, make it fly, Where all new wonders will appear Oooooooooooooooohhhhhhhhhhhh ~ Kazuki sah kurz zu seinem kleinen Bruder und fragte sich ob dieser erstarrt sei. Er wusste nicht ob Kai dem gewachsen war. Vielleicht war es zu viel für den Kleinen. Nicht jeder traute sich in ein Mikro zu singen. „Take me high, make me fly…” Kazuki stockte kurz und seine Pupillen weiteten sich für einen Augenblick. Kai hatte seine Augen nicht aus Angst geschlossen. Nein er hatte auf den perfekten Moment gewartet um diese Worte zu wispern. Sie stammten nicht aus den ursprünglichen Lyriks. Kai hatte sie soeben hinzugefügt. Like the other day I thought you won't be coming back I came to realize my lackluster dreams And among the schemes And all the tricks we try to play Only dreams will hold their sway and defy Sprachlos beobachten die drei wie die Worte über Kais Lippen glitten. Seine Aussprache war perfekt und das obwohl der Junge mit seinen 6 Jahren noch gar kein Englisch konnte, geschweige denn ihm bewusst war, was die Worte bedeuteten. Er ließ sich einfach von der Melodie und der Stimmung des Songs leiten. Boris war baff und er hatte kurzzeitig zu tun um nicht aus den Takt zu geraten. Ähnlich erging es Sergej. Allerdings fasste er sich schnell. Der Russe war begeistert von dem Jungen und konnte sich nur im entferntesten Vorstellen was gerade in Kazuki vorgehen musste. Immerhin sang dessen kleiner Bruder die Worte, die das Seelenheil von Kazuki waren. Dieser wurde in einer kleinen textlichen Pause auch etwas unsicher von dem Silberhaarigen angesehen. Kai hatte die Augen geöffnet, nachdem er bemerkt hatte, dass er die Strophe alleine sang, während die anderen – teilweise wie in Trance – die Melodie weiter spielten. Hatte er es vergeigt? War sein Bruder sauer? Jedoch fing dieser sich wieder und lächelte seinen kleinen Bruder aufrichtig an. Ermutigend nickte er ihm zu, ehe er sich selbst dem Mikro wieder zu wandte und mit einstimmte. When it feels like fear Like I'll disappear Gets so hard to steer Yet I go on Do we need debate When it seems too late Like I bleed but wait Like nothing's wrong You lift my spirit, take me higher, make me fly, Touch the moon up in the sky, when you are mine You lift me higher, take my spirit, make it fly, Where all new wonders will appear Ooooooooooooohhhhhhhhhhhhhhhhhhh~ Sie sahen sich an und Kazuki fühlte etwas, dass er nicht beschreiben konnte. War dies wirklich sein kleiner Bruder der ihn hier an seine eigenen Grenzen trieb? You lift my spirit, take me higher, make me fly, Touch the moon up in the sky, when you are mine You lift me higher, take my spirit, make it fly, Where all new wonders will appear Take me high – Take me high Make me fly – make me fly Make me fly – in the sky Take me high Take my Spirit, make it fly Make me fly Sie harmonierten zusammen. Teilweise überließ der Ältere dem Jüngeren den Text und fügte sich in die Backingvocals. Kazuki wirkte gelöster. Die anfängliche Schwere des Songs verflog und sie fühlten sich alle plötzlich leichter. Die negative Energie war ausradiert und das nur wegen dem kleinen Jungen da auf dem Stuhl. Sergej kam hinter seinem Keyboard hervor und legte seine große Hand auf den Kopf des Jungen. „Das war großartig! Ich dachte ja erst, dass du dir ins Hemd gemacht hast!“ lachte er gelöst und wuschelte durch die silbernen Haare. Auch Boris kam applaudierend zu ihnen nach vorn. „Wirklich nicht schlecht, Kleiner. Wenn Yuriy nicht bald auftaucht, machst du ihm seinen Platz definitiv streitig!“ grinste er. „Yuriy?“ fragend sah Kai auf, nachdem er es endlich geschafft hatte sich aus der Wuschelattacke des großen Russen zu befreien. „Wer ist das?“ fragend sah er in die Runde und es herrschte betretendes Schweigen. Weder Sergej noch Boris stand es zu dem Jungen zu erklären, dass dies der feste Freund seines Bruders ist und eben jener eigentlich auch hier hätte sein müssen. Ihre Blicke fielen auf Kazuki. Dieser stellte seine Gitarre hin und kam auf seinen Bruder zu. Er legte ihm die Hand auf die Schulter. Kai sah auf und fragte sich warum nun Schweigen herrschte. Von einer Sekunde auf die nächste hatte sich die Stimmung in dem Raum erneut geändert. „Weißt du…Yuriy gehört ebenfalls zur Band. Er ist, wie ich, Gitarrist und singt oft mit mir zusammen.“ „Eeehh!? Echt!?“ Kais Augen wurden groß. Es gab noch jemand der diese tolle Musik zusammen mit seinem Bruder machte. Nicht nur, dass die anderen beiden hier im Raum, für Kai, geniale Musiker waren… Nein da gab es also noch eine Person, die Kai noch nicht gehört hatte. „Wann kommt er denn? Und kann ich ihn spielen und singen hören?“Der Kleine war aufgesprungen und stand auf den Stuhl. Seine Hände waren in Kazukis Oberteil gekrallt und leicht schüttelte er diesen in seinem Übermut. Total überrascht von dieser Reaktion war sein älterer Bruder nicht in der Lage zu antworten, während Boris und Sergej in schallendes Gelächter ausbrachen. Der Anblick war aber auch zu genial. Immerhin stand dieser kleine Zwerg auf dem Stuhl und nötigte seinen großen Bruder gerade regelrecht den Rothaarigen hier antanzen zu lassen. Kazuki verdonnerte sie jedoch mit einem Blick zum Schweigen, ehe er Kais Hände umfasste. Tief sah er in die roten Augen. „Er wird nicht her kommen, Kai.“ Erneut bemerkte der Kleine den Schmerz und das Leid in den Augen des anderen. „Ich glaube er ist derzeit nicht gut auf mich zu sprechen und-“ „Habt ihr euch etwa gestritten!? Dann geh zu ihm und entschuldige dich!! Ihr müsst zusammen Musik machen und ich will es hören!“ rief Kai ernst. Verdutzt sah Kazuki ihn an. Die Unschuld und natürlich auch die Unwissenheit seines Bruders über die gesamte Situation machten Kazuki sprachlos. Wie sollte er Kai erklären, dass Yuriy sein Partner war und dieser wegen Kai nicht kommen wollte. Er konnte ihm das doch nicht sagen. Der Junge vor ihm schien eine unbekannte, einmalige Beziehung zur Musik zu haben… Irgendetwas hatte dieser Trip ins Studio bei dem Kleinen verändert. Kazuki konnte es spüren. Sein kleiner Bruder wirkte allein bei dem Song wie ein anderer Mensch. Er hatte erwachsener gewirkt, als würde er die Tragweite der Worte instinktiv spüren. Als würde er die Worte nehmen und sie würden zu seinen eigenen werden. Er hatte die Schwere des Songs genommen und zum Ende hin in Leichtigkeit verwandelt. Das hatte Kazuki gemerkt und es zugelassen. Immerhin hatte auch er sich zum Ende hin und im Duett mit seinem kleinen Bruder leichter, befreiter gefühlt. Er atmete aus und löste sich von Kai. „Wir sollten Heim.“ Wich er aus und wandte sich an seine Bandkollegen. Kazuki bat die beiden das eben Aufgenommene auf einem Tape zu sichern. Es allerdings nicht Yuriy zukommen zu lassen. Dieser würde nur weiter ausrasten, erklärte Kazuki Boris. Denn Letzterer war der Meinung, dass der Rothaarige hiervon erfahren sollte. Erfahren sollte, dass sie weiter machen wollen und ein unglaublicher Song in den Startlöchern steht. Doch Kazuki blieb stur und so ergab sich der Lilahaarige. Auch Sergej war sich nicht ganz sicher, ob es gut wäre Yuriy dies vorzuenthalten, doch er wollte dem Halbrussen jetzt nicht reinreden. Daher wandte sich der große Russe ab und half Kai dabei seine Schulsachen zusammen zu räumen. „Hab ich was falsch gemacht?“ fragte dieser leise an Sergej gewandt. Kurz sah dieser über seine Schulter zu Kazuki, welcher seine Gitarre verstaute. „Nein hast du nicht. Das mit Yuriy ist nur kompliziert und ein wunder Punkt bei deinem Bruder. Aber mach dir keine Sorgen, Kleiner.“ Lächelte er den Kleinen an. „Du hast nix falsch gemacht.“ Und wieder fand seine Hand den Weg in Kais Haare und wuschelte diese ordentlich durch. Das war aber auch zu verführerisch. Die von sich aus wilden Haaren des Kleinen luden regelrecht zum Wuscheln ein und trotz der augenscheinlichen Unbändigkeit der Haare waren diese weich. Das kannte er schon von Kazukis Haaren. Diese waren auch nicht zu bändigen. Allerdings bei weitem nicht so sehr wie bei dem Kleinen. „Naaargh!!!“ Kai stieß Sergejs Arm weg und stampfte mit dem Fuß auf, während seine Hände zu Fäusten geballt waren. „Lass das doch mal!“ schimpfte er schmollend und Sergej konnte nicht anders als belustigt zu grinsen. Der Kleine war einfach zu süß. „Kai kommst du?“ rief Kazuki und hatte die Helme in der Hand. „Jahaa~“ rief Kai freudig, sah Sergej nochmal gespielt beleidigt an, schnappte sein Schulzeug und lief zu seinem großen Bruder. Die Vier verabschiedeten sich und während Kazuki mit seinem kleinen Bruder los ging, blieben die anderen beiden zurück. „Meinst du sie bekommen das wieder hin?“ wandte sich der Lilahaarige an Sergej. Dieser seufzte. Er wusste es nicht. Natürlich hoffte er, dass Yuriy und Kazuki wieder auf einen Nenner kamen, doch er hatte da so seine Zweifel. Er wusste von Kazuki, dass Yuriy ein Problem mit Kai hatte. Nun ja nicht direkt mit Kai. Immerhin hatten sich die beiden noch nie gesehen. Sergej konnte sich nicht erklären, weshalb der Rothaarige so reagierte. Mit Eifersucht hatte das hier doch nichts mehr zu tun. Oder etwa doch? War Yuriy wirklich so eifersüchtig auf Kai und die Zeit die dieser von Kazuki geschenkt bekam? Nun, dann würde ihre Band wohl bald zerbrechen. Yuriy war jemand der gern im Mittelpunkt stand. Egal ob privat oder eben auch auf der Bühne. Bis jetzt gab es da nie Probleme. Denn Kazuki war da das genaue Gegenteil. Zwar war dieser der Leadsänger, doch er verstand es seinem Freund Freiraum auf der Bühne und in den Songs zu lassen und soweit Sergej wusste, kamen sie privat auch immer klar bis…ja bis eine weitere Person in Kazukis Leben trat. Anscheinend hatte Yuriy wirklich diese krankhafte Angst, dass er den Halbrussen an dessen kleinen Bruder verlieren würde. Eigentlich totaler Schwachsinn. Immerhin war die Bruderliebe eine gänzlich andere. Doch Sergej wurde soeben klar, dass der Rothaarige darin wohl keinen Unterschied sah. „Ich bin mir ehrlich nicht sicher, ob die beiden das wieder hinbekommen.“ Antwortete er auf Boris Frage, welcher schon gar nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hatte, da der Größere so lange geschwiegen hatte. Dennoch war ihm nicht verborgen geblieben, wie der Ältere nachgedacht hatte. Er kannte das Mimikspiel Sergejs wenn dieser nachdachte. Er kannte es auswendig. Immerhin hatte er ihn beobachtet, Tag für Tag, seit ihrer ersten Begegnung. Boris war der Jüngste in der Band und Sergej der Älteste. Es trennten sie 4 Jahre, doch als Boris den blonden Hünen vor 3 Jahren das erste Mal sah, war es um ihn geschehen. Sein Herz hatte damals so laut geschlagen, dass er nicht mal dessen Namen verstanden hatte. Erst im darauffolgenden Meeting mit ihrem Manager hatte er den Namen des Russen vernommen und diesen sich gedanklich auf der Zunge zergehen lassen. Doch der Ältere schien keinerlei Interesse an ihm zu haben. „…den?“ Boris schreckte auf. Er war in Gedanken gewesen und hatte zu spät mitbekommen, dass Sergej mit ihm gesprochen hatte. „Ähm was?“ stotterte Boris. „Ich fragte, ob du nicht mal mit Yuriy reden könntest. Immerhin ist er doch dein bester Freund, oder?“ Die Laternen flackerten kurz ehe sie anfingen die Straßen zu beleuchten und der Wind schickte eine ordentliche Brise durch die Kleidung der Geschwister. Kazuki sah gen Himmel. „Scheint als würde es gleich anfangen zu regnen. Zumindest riecht es danach.“ Kai folgte Kazukis Blick und in dem Moment bekam er den ersten Regentropfen ab. Er wischte sich über die Wange und nickte. „Ja scheint so. Wir sollten ganz schnell Heim.“ Sagte der Kleinere und setzte den Helm auf. Der Ältere schmunzelte und hob Kai auf die Maschine, ehe er sich selbst auf diese schwang und los fuhr. Es dauerte nicht lange und der Regen prasselte auf die beiden herab. Zitternd hielt sich Kai an dem nassen Oberteil von Kazuki fest. Dieser bemühte sich zügig voran zu kommen, was bei den ganzen Ampeln gar nicht so leicht war. Doch sie mussten auf den schnellsten Weg Heim. Sie waren beide komplett durchnässt und er hatte keine Lust dem Jugendamt erklären zu müssen, warum sein kleiner Bruder am Ende eine Lungenentzündung hatte. Gerade warteten sie, dass die Ampel endlich von rot auf grün umspringen würde, als ein schwarzer Porsche neben ihnen hielt und der Fahrer immer wieder kurz das Gas betätigte. Genervt sah Kazuki kurz zu dem Fahrer rüber. Er wusste, dass dieser ihn mit dem Gespiele am Gas zu einem Rennen auffordern wollte. Doch darauf hatte er keine Lust. Zum einen wäre das Unverantwortlich. Immerhin hatte er Kai bei sich und zum anderen, machte Kazuki sich nichts aus illegalen Straßenrennen. Nicht, dass er etwas gegen ein Rennen an sich hätte. Er und Yuriy hatten schon öfters ihre Maschinen gegen einander antreten lassen. Doch dafür hatten sie ausschließlich die Rennbahn benutzt. Im öffentlichen Straßenverkehr kam so etwas für Kazuki einfach nicht in Frage. Die Ampel sprang auf Grün und die Reifen des Porsches drehten ohrenbetäubend, quietschend durch, ehe sie Gripp auf der nassen Straße bekamen und das Fahrzeug vorpreschte. Kazuki hatte mit so etwas schon gerechnet und einen Moment gewartet bevor er selbst los fuhr. Sollte dieser Bekloppte doch los rasen. Mit den freigegebenen 70km/h fuhr er über die 2 spurige Umgehungsstraße. Nur noch wenige Meter und sie waren an der Ausfahrt zu dem Wohnviertel in welchem sie lebten. Kazuki spürte das Zittern, des kleinen Körpers hinter sich. Wenn sie zuhause ankommen, würde er Kai erst mal in die warme Wanne stecken und ihm eine heiße Schokolade machen. Er hoffte inständig, dass sie diese Sturzbäche an Wasser ohne Erkältung überstehen würden. Kazuki setzte den Blinker. Da war sie endlich. Die Abfahrt, die sie nach Hause führte. Er verlagerte sein Gewicht etwas und wollte die Spur wechseln, als er gerade noch im Spiegel das Aufflackern von Scheinwerfern wahrnahm und mit einer ruckartigen Bewegung diesen Wechsel abbrach. Kurz geriet die Maschine auf dem nassen Boden ins schlittern. Doch augenblicklich hatte Kazuki sie wieder im Griff. Fester krallten sich die kleinen Finger Kais in den nassen Stoff von Kazukis Kleidung. Natürlich hatte er die Bewegung seines großen Bruders mitbekommen, als dieser abbiegen wollte und so hatte Kai sich dem angepasst. Was er jedoch nicht mitbekommen hatte war, dass sich ein Fahrzeug rasend schnell genähert hatte und sein Bruder den Vorgang abrupt abbrechen musste. Dementsprechend rüttelte es den Kleinen auch ordentlich durch und er hatte so seine Probleme sich festzuhalten. Der Verursacher schloss zu ihnen auf. Angepisst sah Kazuki zu dem Fahrzeug neben sich und war irritiert. Wieso war er plötzlich wieder hinter ihnen gewesen? Es war der Porsche von der Ampel. Der Fahrer ließ die Scheibe runter und sah Kazuki grinsend an. „Ich bekomme immer mein Rennen. Wann ich will und wo ich will.“ Rief er dem jungen Halbrussen und dessen Bruder zu. „Wenn du nicht mitspielst, werde ich schon dafür sorgen, dass du um dein Leben fährst!“ lachte der Porschefahrer und ließ die Scheibe wieder nach oben. Anscheinend hatte der nicht mehr alle Schrauben beieinander. Da war sich Kazuki sicher. Wie konnte der Typ nur so ein gefährliches Manöver machen? Der musste doch gesehen haben, dass er noch ein Kind hinter sich hatte! Zumal bei dem ganzen Aquaplaning ein Bremsvorgang seitens des Fahrers gescheitert wäre, hätte Kazuki vorhin nicht rechtzeitig seinen Abbiegevorgang abbrechen können. Außerdem hatten sie nun auch noch die Abfahrt verpasst. Der Umweg würde sie ganze 15 Minuten kosten. Kazuki wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ein Motor heulte auf, der Lenker seiner eigenen Maschine wackelte fast unkontrollierbar nach links, nach rechts und wieder nach links und sein kleiner Bruder schrie. Ein Blick in den Seitenspielgel und Kazuki konnte es nicht fassen. Der idiotische Fahrer des Porsches hatte sich zurückfallen lassen. Jedoch nur so viel um hinter ihnen einscheren zu können. Dies nutze er aber jetzt um immer wieder mit der Schnauze der Front gegen den hinteren Reifen von Kazukis Honda zu stoßen. Wollte der sie allen Ernstes abdrängen? Nein, dies war nicht das Ziel. Der Typ wollte ein Rennen und das um jeden Preis. Nur was sollte Kazuki jetzt tun? Er wollte dieses schwachsinnige Rennen nicht. Doch sich von der Straße schieben zu lassen war auch keine Option. Er hatte nicht mal die Möglichkeit irgendwo anzuhalten. Angestrengt glitten die Augen des Halbrussen hin und her. Eine Lösung…verdammt er brauchte eine Lösung um aus dieser Situation zu entkommen. Der Porsche ging auf Abstand. Kurz hoffte Kazuki, dass es vorbei sei. Doch augenblicklich jaulte der Motor des Fahrzeugs hinter ihnen auf und der Fahrer trat das Gaspedal durch. Binnen einer Millisekunde reagierte Kazuki. Er schaltete einen Gang zurück und gab Gas. Die Stärke seiner Honda brach hervor und der Vorderreifen der schweren Maschine verlor kurzzeitig die Bodenhaftung, ehe sich der Abstand zwischen dem Motorrad und dem Auto rasant vergrößerte. Kazuki hoffte diesen Idioten hinter sich zu lassen. Aber ein kurzer Blick reichte und ihm wurde schlecht. Der Porsche holte und schloss auf. Erneut ließ der Fahrer die Scheibe runter. Die königsblauen Augen sahen durch das Visier seines Helmes in das gehässige Grinsen des Fahrers. „Na geht doch, Kumpel! Und nun werd ich dich jagen!!“ lachte der Idiot und schloss das Fenster. Sie heizten über die 2 spurige Umgehungsstraße. Der Porsche trieb Kazuki vor sich her und jeder Flucht- oder Ausweichversuch scheiterte. Diese Hetzjagd forderte Kazukis ganzes Können. Er durfte sich unter keinen Umständen mürbe machen lassen. Denn den kleinen Körper hinter sich riss es von einer Seite zur Nächsten. Panisch versuchte Kai sich an seinem Bruder festzuhalten, als ein ohrenbetäubender Knall hinter ihm Metall bersten ließ. Kapitel 3: Wings Of A Butterfly ------------------------------- Rückblende: Sie heizten über die 2 spurige Umgehungsstraße. Der Porsche trieb Kazuki vor sich her und jeder Flucht- oder Ausweichversuch scheiterte. Diese Hetzjagd forderte Kazukis ganzes Können. Er durfte sich unter keinen Umständen mürbe machen lassen. Denn den kleinen Körper hinter sich riss es von einer Seite zur Nächsten. Panisch versuchte Kai sich an seinem Bruder festzuhalten, als ein ohrenbetäubender Knall hinter ihm Metall bersten ließ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Es war spät geworden. Sergej und Boris hatten noch lange zusammen gesessen. Der Jüngere hatte bestimmt 20x versucht den Rothaarigen zu erreichen, doch dieser wollte anscheinend wirklich nichts von seinen Bandkollegen wissen. Warum sich Boris da so sicher war? Nun ganz einfach. Die ersten Male wurde der Anruf weggedrückt, dann wurde solange klingeln gelassen bis die Mailbox ansprang und am Ende musste Yuriy wohl das Handy ausgeschalten haben. „Kein rankommen…“ murmelte Boris frustriert. „Tja ist nicht zu ändern.“ Seufzte Sergej und schaltete die Technik ab. „Wir sollten auch Heim. Soll ich dich bei dir absetzen?“ fragte er den Jüngeren und zog seine Jacke über. Boris musste schlucken. Schlagartig war sein Hals staubtrocken. Er alleine mit Sergej in dessen Auto. //Kein Kazuki, kein Yuriy!// Nur sie beide. //Vielleicht ist das ja die Gelegenheit um Sergej zu kü-// Energisch schüttelte Boris den Kopf um die aufkommenden Gedanken zu verjagen. „Ok dann nicht.“ Meinte Sergej gelassen. Der Lilahaarige stockte. Verdammt so hatte er das nicht gemeint. Doch was sollte er dem Älteren jetzt sagen? Immerhin hatte er doch den Kopf geschüttelt und da Sergej keine Gedanken lesen konnte, musste er es ja für die Antwort auf seine Frage gehalten haben. //Ganz toll gemacht, Boris…bist ein echter Held.// schallte er sich gedanklich. Sie räumten noch schnell zusammen auf und verließen zusammen das Studio. Boris trat vor die Tür und….er war sofort nass. Es schüttete noch immer wie aus Eimern. Das konnte ja ein spitzen Heimweg werden. Ihm entwich ein lautloses Seufzen und er ließ die Schultern hängen. Schmunzelnd trat Sergej neben ihn „Na komm schon. Ich nehm dich mit.“ und legte seinen Arm über die Schultern des Jüngeren. Ohne Widerstand ließ sich Boris zu Sergejs Auto führen und stieg ein. Die Nähe zu dem großen Russen ließ sein Herz rasen. Sie saßen jetzt nebeneinander und er brachte einfach kein Wort heraus. Sie fuhren schon eine Weile schweigend durch den Regen. Nur das Radio dudelte seichte. Doch Sergej entgingen die flüchtigen Blicke des kleineren Russen nicht. Sie waren ihm in letzter Zeit öfters aufgefallen, aber er hoffte einfach, dass es verging. Der Kleine war attraktiv und die 4 Jahre Altersunterschied störten den blonden Hünen jetzt auch nicht wirklich. Allerdings war Boris noch Minderjährig und Sergej hatte keine Lust auf Stress. Zumal er es liebte sich sexuell auszutoben. Er brauchte Sex, viel Sex und seiner Meinung nach konnte der Kleine dieses Pensum nicht befriedigen. Daher wünschte Sergej sich insgeheim, dass die Schwärmerei des Jüngeren bald verflog. Eben jener rührte sich endlich und das ließ Sergej kaum merklich zusammen zucken. „Das liegt doch auf unserem Weg oder?“ fragte der Jüngere und drehte das Radio lauter. Die Aufmerksamkeit des Russen richtete sich auf die Verkehrsnachrichten. „….die Unfallstelle ist noch nicht geräumt. Auf beiden Spuren befinden sich Fahrzeugteile. Sie werden von der Polizei über den Standstreifen vorbei geleitet. Es kommt zu einer Verzögerung von 20 Minuten.“ „Na ganz toll.“ Boris sank tiefer in seinen Sitz. Er war müde und ein Blick auf die Digitaluhr verriet ihm auch weshalb. Es war bereits nach 22 Uhr und vor 2 Stunden hätte er daheim sein müssen um Hausaufgaben zu machen. Das würde ein Donnerwetter von seiner Mutter geben. Wenigstens brachte ihn Sergej Heim und diese Tatsache würde vielleicht auch seine Mutter besänftigen, denn aus irgendeinem Grund schien sie ebenfalls etwas für den Hünen übrig zu haben. Nicht auf die Art wie Boris. Doch er war sich sicher, dass sie ihn mochte. Nun da sie jedoch noch eine Weile im Stau stehen würden, konnte er ja getrost noch etwas die Augen schließen und es dauerte auch nicht lang. Das monotone Trommeln des Regens an den Scheiben und das leise Surren des Motors, ließen ihn abdriften. Schmunzelnd registrierte Sergej die ruhigen Atemzüge und ließ den Kleinen dösen. Nach wenigen Minuten tauchte auch der angekündigte Stau vor ihnen auf. Sergej verlangsamte seine Geschwindigkeit, schaltete den Warnblinker ein und setzte sein Fahrzeug an die rechte Fahrbahnmarkierung um die Rettungsgasse aufrecht zu erhalten. Er seufzte, denn das hier konnte dauern. Die Zeit verstrich und erst nach über 20 Minuten setzte das typische Stop And Go ein. In der Ferne machte er das hektische Blinken des Blaulichtes aus. Die Unfallstelle musste hinter der nächsten Kurve liegen, vermutete der Russe. Allerdings näherten sie sich nur sehr schleppend. Genervt stützte Sergej seinen Arm am Fenster und seinen Kopf gegen seine Hand ab. Vor seinem geistigen Auge malte er sich aus wie es zu diesem Unfall gekommen sein könnte. Vermutlich hatte irgendein Spinner die Kurve geschnippelt und war von der Fahrbahn abgekommen. Kennt man ja. Gerade erst den Führerschein bekommen und dann einen auf dicke Hose machen. Natürlich war Sergej mit seinen 19 Jahren jetzt kein altes Eisen, aber er fuhr ordentlich. Immerhin hatte er sein Auto eisern zusammen gespart und jeder noch so kleine Kratzer schmerzte. Apropos altes Eisen. Eventuell war es ja auch ein Rentner und kein Jungspunt. Immerhin gab es auch Fahrer die ernsthaft überlegen sollten ihren Führerschein abzugeben. Nicht, dass er etwas gegen ältere Fahrer hatte. Doch wenn er manchmal sah, dass diese mit Gehstützen sich hinters Steuer klemmten, dann kamen ihm schon Zweifel ob diejenigen überhaupt über die nötige Reaktion verfügten, sollte etwas Unvorhergesehenes passieren. Und während er so über die möglichen Szenarien fantasierte, kam er an der Unfallstelle an. Die Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die Gaffer in den Griff zu bekommen. Schon krass welche Sensationslust in dem ein oder anderen steckte. Für ein Foto oder kurzes Video hielten sie an oder fuhren noch langsamer. Das es dadurch zu weiteren Auffahrunfällen kommen könnte, daran verschwendeten sie keinen Gedanken. Ruckartig schreckte der Körper neben ihm nach oben. „Scheiße!! Halt sofort an!“ schrie Boris, schnallte sich ab und noch bevor Sergej reagieren konnte, hatte der Lilahaarige die Tür geöffnet und war aus dem in Schrittgeschwindigkeit fahrenden Auto gesprungen. „Bist du verrückt!?“ brüllte Sergej, parkte sein Auto in einer kleinen Haltebucht und rannte dann zu Boris. Er packte den Jüngeren am Kragen und schnauzte diesen sofort an. „Wie kannst du einfach aus dem Auto springen? Jetzt sag mir ja nicht, dass du wie diese dämlichen Aasgeier ein Foto machen wolltest!“ Doch Boris antwortete nicht, sondern hob seinen Arm und deutete Sergej auf die Wrackteile zu sehen. Genervt seufzend folgte er der Aufforderung. Es traf ihn wie ein Stromschlag. Das durfte nicht sein. Er kannte dieses abgesplitterte Teil der Verkleidung, welches herrenlos aus den Trümmern hervorragte. Wie von fremder Hand gesteuert ließ er von dem Lilahaarigen ab und sein Körper setzte sich in Bewegung. Er lief die Unfallstelle entlang und sein Tempo beschleunigte sich von Schritt zu Schritt. Die Rufe der Polizei und der Leute der Feuerwehr prallten an ihm ab. Über eine Strecke von 100 Metern verteilt lagen Fahrzeugteile. Auf seinem Weg zum Rettungswagen stieg er über eine schwarze Stoßstange und dann holte ihn die Gewissheit ein. Dies waren die Überbleibsel von Kazukis Honda Fireblade und eben jener wurde von den Sanitätern gerade mit äußerster Vorsicht mittels Vakuummatratze auf die Trage gelegt. „Kazu!“ Sergej bahnte sich seinen Weg zu dem Verletzten und je näher er trat, desto mehr konnte er von dem Ausmaß der Verletzungen erkennen. Kazukis Haut war an einigen Stellen verbrannt. Die Hitze muss riesig gewesen sein. Er konnte erkennen, dass sich Teile der Kleidung in die Haut des Halbrussen gesenkt hatten. Geronnenes Blut klebte an dessen Gesicht, während Sergej noch frisches Blut zwischen den blauen Haaren ausmachen konnte. Was war nur passiert? Der Körper seines Leadsängers war total in Mitleidenschaft gezogen. Neben den Verbrennungen und der Wunde am Kopf wies der Körper weitere Abschürfungen, Blutergüsse und richtig klaffende Wunden auf. Sein Hals war mit einer Halskrause stabilisiert und die Sanitäter versorgten eine Wunde nach der anderen, während der Notarzt ihm gerade einen Schlauch in den Mund schob, damit Kazukis Atmung gesichert war. Der Blick des Russen fiel auf das angeschlossene EKG. Er kannte sich damit nicht sonderlich aus, doch durch diverse Fernsehshows wusste ja mittlerweile jeder Laie, dass ein unregelmäßiges Piepen keineswegs etwas Gutes hieß und das Kazuki nicht bei Bewusstsein war, konnte nur ein schlechtes Zeichen sein. Boris trat an seine Seite und klammerte sich leicht an Sergejs Arm. „Was…was ist mit Kazuki?“ „Ich weiß es nicht…“ gab er zu und wandte sich an den Polizisten der gerade auf sie zugestürmt kam. „Sie haben hier nichts verloren!! Wenn sie gaffen wollen, dann kann ich sie auch gerne-“ „Was ist mit unserem Freund? Was ist hier passiert?“ fiel Sergej dem Beamten augenblicklich ins Wort, was diesen kurz stutzen ließ. „Sie kennen den Verunglückten? Können sie Angaben zu ihm machen?“ sofort hatte der Polizist seinen Notizblock gezückt und sah die beiden Russen auffordernd an. „J..ja..das ist Kazuki Sokolov. Er ist unser Freund.“ Begann Boris und ließ Sergej los um den Beamten sämtliche Angaben zu liefern, die er machen konnte. Der Ältere schwieg unterdessen und ließ seinen Blick über das Trümmerfeld gleiten. Er wusste, dass Kazuki ebenfalls kein Raser war. Zumindest nicht im öffentlichen Verkehrsraum und dennoch sah hier alles nach einem Rennen aus. Ihm war der demolierte Porsche nicht entgangen. Dessen Front war mittig völlig nach innen in Richtung Motorraum gedrückt, so als wäre der Fahrer ungebremst und mit hoher Geschwindigkeit Kazuki hinten rein gefahren. Auch das zerfetzte Motorrad ließ keinen anderen Schluss zu. „Und der kleine Junge?“ fragte der Beamte. Junge? Welcher Junge? Die beiden Russen sahen sich kurz fragend an, ehe ihre Blicke zu dem Streifenwagen glitten, auf welchen der Beamte nun deutete. Die hintere Tür war auf und auf dem Sitz saß er. Der Junge, welcher ebenfalls Unfallopfer war. „Das..das ist Kai!“ Sergej wandte sich ab und lief zu dem Jungen. Er kniete sich vor Kai, welcher die Füße aus dem Streifenwagen hängen ließ und zu Boden starrte. „Kai…hey…was ist hier passiert?“ fragte er sofort und legte eine Hand auf den Oberschenkel des Jungen. Die Hose war durchweicht und der Ältere zog seine Hand zurück. Zuerst dachte er nur an das Regenwasser, doch als er auf seine Handfläche sah, schimmerte diese blass rötlich. Von seiner Hand sah er wieder zu Kai. Dieser hatte überhaupt nicht reagiert. Er starrte weiter ins Leere. Natürlich….er musste einen Schock haben. Immerhin war dieser Unfall heftig und wahrscheinlich hatte Kai alles mit ansehen müssen und war bis zum Eintreffen der Beamten und Sanitäter der Situation komplett ausgeliefert. „Er hat einen Schock.“ Sergej sah hinter sich. Boris war ihm gefolgt und dieser betrachtete den Kleinen besorgt. „Der Beamte meinte, dass Kai bei Eintreffen der Leute hier neben Kazuki kniete und die ganze Zeit geschrien hatte. Er wollte sich erst nicht von seinem Bruder lösen. Sie mussten ihm ein Beruhigungsmittel spritzen.“ Abgeklärt drangen die Worte aus Boris Mund. Doch wenn sich das Sergej hier so ansah – was für ein Szenario. Der Blonde wandte seinen Blick wieder zu Kai und ließ diesen über den zierlichen Körper gleiten. Dieser zitterte wie Espenlaub, trotz der Decke die ihm die Feuerwehrleute über die Schultern gelegt hatten. An der Stirn hatte auch er eine kleine Platzwunde und der linke Arm war komplett bandagiert. Doch ansonsten schien der Junge deutlich weniger abbekommen zu haben. //….wenigstens ein Lichtblick.// dachte Sergej noch, als sein Blick auf etwas fiel, das bis eben noch durch den Jungen vor seinen Augen verdeckt gewesen war. Hinter dem 6jährigen lagen die sichergestellten Helme der beiden und was der Russe da erkennen konnte, ließ nichts Gutes erahnen. Das Visier von Kazuki musste zerborsten sein und auch der gebrochene Rahmen der Helmbasis wies auf den heftigen Aufprall hin. Geschockt wandte sich der Russe in Richtung der Trage. Mit dieser wurde Kazuki gerade in den Rettungswagen verlegt. „Er ist jetzt transportfähig. Wir sollten uns beeilen!“ hörten sie den Notarzt zu dem Beamten sagen. Boris wandte sich an jenen und ehe Sergej sich versah, fuhr er dem Streifenwagen und dem Rettungswagen hinterher. Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Boris war hinten eingestiegen und hatte darauf bestanden Kai mit zunehmen. Denn dieser hätte keinen Platz im Rettungswagen gehabt und hätte ansonsten alleine hinten im Streifenwagen sitzen müssen. Der Ältere war vor Ort aufrichtig beeindruckt von dem Lilahaarigen gewesen. Sekundenschnell hatte dieser die Situation eingeschätzt und sich dafür eingesetzt, dass Kai nicht alleine bleiben musste und dass sie beide diesen sogar in Obhut nehmen durften. Des Weiteren hatten sie die Erlaubnis den Einsatzfahrzeugen zu folgen, ungeachtet der Verkehrszeichen und Ampelanlagen. Sie sollten den Sonderfahrzeugen folgen ohne wie in der StVO üblich an roten Ampeln zu halten. Abgesichert waren sie dabei durch ein Fahrzeug der Polizei vor und hinter sich. Nicht zuletzt war dies auch dem Umstand geschulten, das auch Kai in ärztliche Behandlung gehörte. Im Krankenhaus angekommen brach die Hölle auf sie ein. Sie waren den Uniformierten gefolgt und somit direkt in der Notaufnahme gelandet. Eine Scharr an weißen Kitteln stürzte sich regelrecht auf den bewusstlosen Mann auf der Trage. Überwachungskabel wurden gelöst und wieder angeschlossen. Das unregelmäßige Piepen des EKG wechselte von dem transportablen Monitor des Rettungsdienstes auf den Klinikmonitor. Die Beatmungsmaschine wurde gelöst und der Halbrusse nur mittels Beatmungsbeutel weiter beatmet. Die weißen Kittel mischten sich mit den Uniformen des Rettungsdienstes und mit dem Kommando „auf 3“ hoben alle den Körper des Leadsängers an um ihn von der Trage, aus der Vakuummatratze, möglichst schonend und achsengerecht auf die Liege des CT‘s zu legen. Dies war das Letzte was sie sahen. Denn in diesem Moment schloss sich die automatische Tür zu dem Raum. Hilflos standen sie in der Ecke und Sergej drückte instinktiv den kleinen Körper in seinen Armen näher an sich. Wie würde es jetzt weiter gehen? Was sollte er nur tun? Er wollte doch eigentlich nur Boris Heim bringen und nun stand er hier. Hier, in einer Ecke in der er eigentlich nichts zu suchen hatte. Hier, mit Kai in seinen Armen, den er einfach nur festhalten konnte. Festhalten – ja er musste sich festhalten. Er brauchte Halt. Dieses fatale Ereignis stürzte gerade auf sein Bewusstsein ein und alles schien wie in Zeitlupe vor ihm abzulaufen. Wie im Nebel nahm er war wie die Schwestern hektisch an ihm vorbei rannten und wieder zurück kamen, beladen mit Infusionen, Verbandsmaterial. Eine hatte sogar diese roten Konserven dabei die man immer in Filmen sah. War das alles für seinen besten Freund? Ein langer hoher Ton drang an sein Ohr und Boris ängstlicher, fester Griff an seinem Oberarm holte ihn in die Realität. „Holt den Reawagen!!!“ schrie einer der Ärzte und die beiden Russen konnten nur noch sehen wie ein Pfleger mit beiden Händen begann auf dem Brustkorb von Kazuki herum zu drücken, ehe sich die Türe erneut vor ihren Augen schloss. Kapitel 4: Before I Come Undone ------------------------------- Rückblende: Ein langer hoher Ton drang an sein Ohr und Boris ängstlicher, fester Griff an seinem Oberarm holte ihn in die Realität. „Holt den Reawagen!!!“ schrie einer der Ärzte und die beiden Russen konnten nur noch sehen wie ein Pfleger mit beiden Händen begann auf dem Brustkorb von Kazuki herum zu drücken, ehe sich die Türe erneut vor ihren Augen schloss. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ „Noch einen!“ Es war so einfach in dieser kleinen Kneipe. Probleme vergessen, Frust ertränken und das Beste - keine Alterskontrolle! Der alte, bärtige und leicht untersetzte Besitzer kannte ihn mittlerweile ziemlich gut. So gut, dass dem Russen die mitleidigen Blicke keineswegs entgingen. Doch er wäre nicht er selbst, wenn es ihm nicht scheißegal wäre, was die Leute in dieser Kaschemme von ihm dachten. Daher war es ihm auch egal, dass er fast täglich hier war um seinen Frust und seine Sehnsucht zu ertränken. Die verdammte Sehnsucht nach seinem Freund. Dieser idiotische Freund, welcher lieber heile Familie mit dessen kleinen Bruder spielte, anstatt die Zeit mit ihm zu verbringen. Ein Seufzen entwich seiner Kehle, ehe er den Wodka Shot diese herunter rinnen ließ. Yuriy vermisste Kazuki. Seinen Geruch, seine Stimme, die blauschwarzen Haare, die königsblauen Augen, das Kuscheln auf dem Sofa oder dem Bett, die heißen Küsse und natürlich auch den Sex, sogar dessen Eigenart immer viel zu besonnen zu reagieren. „Verdammt!“ Yuriys Faust schlug auf den Tresen. Sie waren wirklich extrem unterschiedlich. Während er hier vor Wut am liebsten alles kurz und klein schlagen würde, würde Kazuki wahrscheinlich alles einfach nur tot argumentieren, sodass sein Gegenüber aufgab. Aber auch dies liebte er an dem Halbrussen. Denn bei diesem kam er zur Ruhe. Doch, dass er nun nicht einfach zu diesem konnte, ließ ihn zum unruhigen Wolf werden. Ein weiteres Seufzen entwich ihm. Sollte er sich nicht doch einen Ruck geben und auf den Älteren zugehen? Seine Hand glitt in seine Jackentasche und zog sein Handy hervor. Unschlüssig starrte er auf das schwarze Display seines Smartphone. Sollte er es wirklich wieder anschalten? Wahrscheinlich würden sofort gefühlt 1000 verpasste Anrufe aufploppen. Immerhin hatte Boris ihn solange mit Anrufen bombardiert bis es dem Russen zu viel geworden war und er sein Handy eiskalt abgeschalten hatte. „Ach was soll’s…“ murmelte Yuriy und startete sein Handy. Angespannt sah er zu wie es hochfuhr. Wie der nervige Schriftzug der Marke Buchstabe für Buchstabe aufleuchtete und schließlich sein Sperrbildschirm erschien. Kurz huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht. Ob sein Freund auch so gelassen bleiben würde, wenn dieser wüsste was für ein Foto Yuriy da von ihm gespeichert hatte? Vermutlich nicht. Seine Finger glitten über den Touchscreen und gaben den Pin ein und sofort begann sein Handy zu vibrieren. Ein verpasster Anruf nach dem anderen wurde registriert. Skeptisch hob Yuriy die Augenbraue. Konnte Boris wirklich so hartnäckig sein? Denn auf seinem Display leuchteten tatsächlich: 97 verpasste Anrufe und 13 neue Nachrichten von ein und derselben Nummer. „Ja Mum. Mir geht es gut. Ja…sorry. Kazuki liegt im Krankenhaus. Ich…ich melde mich.“ Boris legte auf und atmete durch. Wenigstens seine Mutter konnte er beruhigen. Handyverbot hin oder her. Er konnte hier nicht weg und so ein kleiner Anruf würde schon nicht alle Geräte abstürzen lassen – hoffte er zumindest. Denn so wie es derzeit lief, war er sich da nicht sonderlich sicher. Sie könnten etwas Positives gebrauchen. Der Lilahaarige lehnte sich zurück und legte den Kopf in Nacken. Sie waren seit Stunden hier und nachdem sich die automatische Tür in der Notaufnahme geschlossen hatte, hatte sich tatsächlich ein Assistenzarzt erbarmt und sich um sie gekümmert. Er hatte Kai untersucht und behandelt. Der Junge hatte, betrachtete man das Ausmaß bei Kazuki, wirklich Glück gehabt. Der Cut an der Stirn würde von selbst verheilen, sodass nur zwei kleine Steri Strips angebracht wurden. Laut dem Arzt sollten diese einfach nur die Wundränder zusammen halten und somit die Heilung begünstigen. Anscheinend würde nicht mal eine Narbe zurück bleiben und zum Glück hatte ansonsten der Helm wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Natürlich würde der Kleine wohl um einige Blutergüsse nicht herum kommen, doch dies war nicht weiter der Rede wert. Die einzig wirklich ernste Verletzung war daher an seinem linken Arm. Der Assistenzarzt vermutete, dass Kai wohl mit diesem auf dem Asphalt aufgekommen sein musste und sich dabei die ersten Hautschichten durch die Reibung versenkt hatten. Es würde einige Nachsorgebehandlungen benötigen, in der Hoffnung, dass das sich bildende Narbengewebe nicht zu hart werden würde. Vorerst war der gesamte Arm wieder bandagiert worden um ihn vor Infektionen zu schützen. Anschließend sollte eine Schwester den Jungen auf die Kinderstation bringen, damit er sich von dem Unfall und dem Schock erholen konnte. Der Arzt meinte zudem, dass etwas Schlaf dem Jungen nicht schaden könnte. Doch Kai hatte Boris und Sergej angefleht bei ihnen bleiben zu dürfen. An Schlaf war in dieser Situation auch wirklich nicht zu denken und so saßen sie in dem Warteraum vor der Notaufnahme. Es war nach 2 Uhr und niemand konnte ihnen Auskunft über Kazukis Zustand geben und ohne die Anwesenheit Kais hätten die beiden Russen auch nichts erfahren dürfen. Boris Blick fiel auf den blonden Russen. Dieser starrte ernst auf die gegenüber liegende Uhr und anscheinend war der gleichmäßig tickende Sekundenzeiger dieser sehr interessant. Doch Boris vermutete, dass der Ältere lediglich die Sekunden zählte um sich irgendwie abzulenken. Die herrschende Stille war zermürbend. Von dem Blonden sah der Lilahaarige zu Kai. Dieser hatte sich auf dem Stuhl neben dem blonden Russen zusammengerollt und seinen Kopf auf dessen Schoß gebettet. Durch das monotone Kraulen, von Sergejs Hand, durch dessen Haare, fielen ihm immer wieder die Augen zu. Zu gern würde Boris etwas sagen um die Situation zu verbessern, doch ihm fiel schlichtweg nichts ein. Unruhig ließ er sein Handy von einer Hand in die Nächste wandern und wieder zurück. Ob er nochmal Yuriy anrufen sollte? Immerhin hatte er ihn nicht erreicht und der Rothaarige musste einfach wissen was hier vor sich ging. Gerade wollte sich Boris erheben, als sich die Türe zum Wartezimmer öffnete. „Herr Hiwatari?“ der Angesprochene richtete sich auf und auch Sergej und Boris standen auf. „J…ja? Wie…wie geht es meinem Bruder?“ stammelte der 6jährige nervös. Der Arzt sah noch einmal auf sein Klemmbrett ehe er fortfuhr. „Sie können jetzt zu ihm…aber regen sie ihn nicht auf…“ sprach der Mann in dem weißen Kittel ruhig. Allerdings war Sergej der kurze Blick, mit welchem der Arzt auf sein Klemmbrett gesehen hatte, nicht entgangen und ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Denn dieser Blick hatte etwas Beunruhigendes. Daher wandte er sich an den Jungen und hockte sich vor diesen um ihn in die Augen zu sehen. „Kai…“ er legte seine Hand auf dessen Schulter und übte einen leichten Druck auf diese aus. Wollte er dem Jungen doch wenigstens etwas Halt geben. „…wir begleiten dich, wenn du das möchtest.“ Natürlich wollten sie beide ebenfalls wissen was mit ihrem Leadsänger war. Doch als nächster Angehöriger stand dies nur Kai zu. Aber dieser war ein Kind und Sergej wollte diesen nicht alleine lassen. Der Kleine hatte für heute schon viel zu viel durchgemacht und was wäre er für ein mieser bester Freund, wenn er den kleinen Bruder von Kazuki hier alleine lassen würde. Dankbarkeit zeichnete sich in den roten Augen ab und mit einem knappen Nicken seitens des Silberhaarigen war es beschlossen. Sergej erhob sich und wandte sich an den Arzt. „Wir begleiten ihn.“ „In Ordnung. Bitte folgen sie –“ Je wurde der Weißkittel unterbrochen, als Boris Handy sich lautstark mit der Melodie von ACDC’s Highway To Hell meldete und dieser es vor Schreck fallen ließ. „Sorry!“ murmelte er und hob sein Smartphone auf. Ein Blick aufs Display und er wusste wer ihn um diese Uhrzeit anrief. Er sah zu Sergej und auch diesem war klar, wer der Anrufer war. Sie nickten sich zu und während Sergej zusammen mit Kai dem Arzt folgte, lief Boris nach draußen. Kurz atmete der Lilahaarige durch, ehe er den Anruf entgegen nahm. „Alter, Boris hast du Langeweile!? Du hast mich fast 100 Mal angerufen und nun lässt du mich warten!?“ schallte es Boris entgegen. „Yuriy! Herr Gott, wieso hast du mich ignoriert!?“ „….Termine…“ murmelte dieser. „Ach verarsch mich nicht! Du hast sicher wieder irgendwo gesessen und einen Shot nach dem anderen in dich rein geschüttet.“ „Wie redest du denn mit mir? Ist das DER Grund für deine Anrufe? Du hast sie doch nicht mehr alle!“ „Wa- Nein!!! Hast du meine Nachrichten nicht gelesen? Yuriy hör‘ zu. Es-“ „Wenn es darum geht, dass ich nicht bei der Probe war dann, sorry… Aber weißte ich hab einfach keinen Bock Kazu zu sehen. Die Situation ist beschissen für mich und ich will ihm nicht unter die Augen treten. Na ja und deine und Sergejs Anwesenheit macht es bei der ganzen Sache auch nicht….“ „KAZUKI HATTE EINEN SCHWEREN UNFALL!!!“ - Stille – Yuriy stand vor der Kneipe und nur langsam sickerten die Worte in sein Bewusstsein. Sein Freund hatte einen Unfall, einen schweren Unfall. War der Rothaarige eben noch gut betankt, so war er gefühlt schlagartig nüchtern. Der Griff um sein Handy verstärkte sich. „Das….ist ein schlechter Witz!“ „Verdammt, Yuriy ich mach keine Witze! Glaubst du allen Ernstes, dass ich über so etwas Witze mache?!“ Deutlich konnte Boris seinen Gesprächspartner schlucken hören. „Wie geht es ihm?“ „Das weiß ich nicht. Aber die Unfallstelle glich einem Trümmerfeld und es sah vorhin nicht gut aus. Bitte spring über deinen Schatten und komm her.“ Noch einmal herrschte Stille. Yuriy rang mit sich. Sollte er zu Kazuki fahren? „….ok…in welcher Klinik seid ihr?“ „Aa Maximov Hospital. 105203 Moskau.“ „Bis gleich!“ Yuriy legte auf und ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden ging er zu seinem Motorrad. In seinem Zustand wäre ein Taxi zu rufen wahrlich die sicherere Variante gewesen und auch aufgrund des Alkoholkonsums der letzten Stunden, sollte er selbst nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Doch rationales Denken war für den Rothaarigen gerade überflüssig. Er musste zu seinem Freund. Schließlich traute er Boris nicht zu, dass dieser ihn so perfide anlügen würde. Außerdem war der Jüngere kein guter Lügner und schon gar kein Schauspieler. Daher klang dessen Stimme und die darin enthaltene Besorgnis glaubwürdig. Yuriy aktivierte noch einmal sein Handy und suchte sich die schnellste Route zur Klinik. Anhand der Funktion – aktuelle Verkehrslage – konnte er schon jetzt sehen, dass er nicht auf direktem Wege zur Klinik fahren konnte. Er zoomte durch Maps und prägte sich seine persönliche Strecke ein. Der Rothaarige verstaute sein Smartphone und machte sich zügig auf den Weg. Unschlüssig stand Kai im sogenannten Schockraum der Notaufnahme. Dieser Raum wurde für Patienten genutzt, deren gesundheitlicher Zustand äußerst kritisch war, sodass diverse Geräte vorhanden waren, die in den normalen Zimmern nicht zu finden waren. Auch gab es hier einen Haufen Schränke, deren Beschriftung auf diverse Medikamente und medizinische Materialien schließen ließen. Schockraum – was für eine beschissene Bezeichnung für jeden Angehörigen. Ging es denn noch bescheuerter? Natürlich stand der 6jährige unter Schock. Auf dieser bettenähnlichen, fahrbaren Trage lag sein Bruder und sah gar nicht gut aus. Er trug eines dieser typischen Op-Hemden des Krankenhauses und das weiße Bettzeug ließ ihn noch blasser wirken, als er es ohnehin schon war. Beide Arme waren bandagiert und an der linken Hand steckte eine orange Nadel. Kais Blick folgte dem Infusionsschlauch von Kazukis Hand zur dazugehörigen Infusion. Wie in Zeitlupe konnte er die einzelnen Tropfen in den Schlauch tropfen sehen. Synchron dazu vernahm er das nervige Piepen des angeschlossenen Monitors. Doch so nervig wie der Ton war, so glücklich konnte er über diesen sein. Zeigte dieser doch, dass Kazukis Herz schlug. Ja es schlug, doch wenn man genau hinhörte konnte man erkennen, dass es immer wieder kleine Pausen gab. „…Kai…“ Angesprochener zuckte zusammen und sah das erste Mal seit Stunden in die Augen seines Bruders. Doch die königsblauen Augen wirkten stumpf und Kazukis Stimme war rau und heißer, geschunden durch den Beatmungsschlauch, welcher erst vor wenigen Minuten entfernt worden war. „…ich bin so froh, dass es dir gut geht…“ wisperte der Ältere schwach. Man spürte, dass ihm das Sprechen schwer fiel und es ihm sehr viel Kraft kostete. Kai löste sich von Sergej und lief zu seinem Bruder. Ohne einen Gedanken zu verschwenden, kletterte er zu Kazuki, legte sich zu ihm und drückte sich an den geschundenen Körper. Sergej wollte ihn erst aufhalten, doch ein kurzes Handzeichen seines besten Freundes ließ ihn inne halten. Kazuki genoss die Nähe seines kleinen Bruders und er erlaubte es sich seine Wange an die Stirn von Kai zu lehnen. Gleichzeitig fand seine Infusionsfreie Hand ihren Weg in die silbernen Haare, wo seine Finger sanft durch diese fuhren. So verging eine Weile und Sergej fühlte sich in dieser Situation völlig fehl am Platz. Es tat ihm weh seinen besten Freund und dessen kleinen Bruder so zu sehen. Denn im Gegensatz zu Kai sah er genau, dass Kazuki in dieser Situation Schmerzen hatte und dennoch den Kleinen gewähren ließ. Keiner von ihnen sagte etwas, niemand stellte Fragen und so waren nur die Maschinen zu hören bis sich die Tür öffnete und Boris zu ihnen kam. Erleichtert über diese „Störung“ wandte sich Sergej an den Lilahaarigen. „Und?“ „Er kommt her.“ „Na ein Glück. Ich dachte schon er bleibt stur.“ „Das dachte ich auch erst. Zu Beginn hielt er es auch für einen schlechten Scherz. Aber sag…wie geht es Kazuki?“ flüsterte Boris besorgt. Traurig sah Sergej noch einmal zu den beiden und Boris Blick legte sich ebenfalls auf sie. Innerlich erschrak das jüngste Bandmitglied, denn ihm fielen sofort die ganzen Hämatome auf, welche nicht von den Verbänden an den Armen und am Brustkorb verdeckt waren. //Er sieht mehr tot, als lebendig aus…// Kazuki spürte die Anspannung seiner Bandkollegen und Freunde. Natürlich sahen die beiden wie er aussah und logischer Weise wollten sie wissen was nun genau Sache war. Doch so ausführlich wollte der Halbrusse das nicht vor seinem kleinen Bruder erläutern. „H..hey.. Kai..“ sprach er leise und löste seinen Arm von ihm. „Ja?“ fragend sahen die roten Augen auf. „Könntest du mit Boris zusammen etwas zu trinken für uns alle holen?“ Es fiel ihm wirklich schwer die Worte am Stück zu sprechen, doch das sanfte Lächeln und das beherzte Nicken seines kleinen Wirbelwindes waren wie Balsam. Kai löste sich vorsichtig von Kazuki und sprang auf. Er lief zu Boris, schnappte sich dessen Hand und ehe der lilahaarige Russe reagieren konnte, wurde er von dem Jungen schon mit nach draußen gezerrt. Etwas perplex sah Sergej ihnen hinterher. „S..Sergej…“ Angesprochener wandte sich zu Kazuki und musste mit ansehen wie dieser vergebens versuchte sich weiter aufzusetzen. Der Halbrusse scheiterte kläglich und ließ sich mit schmerzverzehrten Gesicht zurück ins Kissen sinken. Zu schwach war sein Körper und die Schmerzen lähmten seine Muskulatur zusätzlich. „Warte, ich helf dir.“ Sergej ging zu seinem Freund. Er nahm die Fernbedienung des Bettes in beide Hände und betätigte den Knopf für das Kopfteil. Kurz darauf setzte sich dieses auch in Bewegung und stellte sich auf. „Danke…“ Der blonde Russe nickte und setzte sich auf die Bettkante. Besorgt musterte er seinen Freund. „Kazu…“ Noch einmal glitt sein Blick über den geschundenen Körper. „..du siehst echt scheiße aus.“ Ein trauriges Lächeln konnte sich der Halbrusse nicht verkneifen. „Na vielen Dank.“ Auch Sergej schmunzelte betrübt. Denn sein bester Freund konnte ihm nichts vor machen. Zu lange kannten sie sich bereits und anders als Kai war Sergej alt genug und hatte auch genug Lebenserfahrung, sowie Verständnis um zu wissen, dass die Situation äußerst ernst war. „Was haben diese Weißkittel gesagt, Kazu?“ „Ich werde sterben.“ Kurz und schmerzlos war Kazukis Antwort, doch Sergej traf diese Information wie ein Schlag in die Magengegend. Sprachlos und entsetzt sah er seinen besten Freund an. „Es…ist kein Witz. Ich hab keine Zeit dafür um…um den heißen Brei zu reden. Sie läuft mir schlichtweg davon. Meine Aorta… hat einen Riss… Ich verblute innerlich und die können nichts tun.“ Sprach er weiter und mit jedem Buchstaben wurde er kurzatmiger. Der Brustkorb des Verletzten hob und senkte sich unregelmäßig und seine Finger umschlossen krampfhaft den Bettbezug der Decke. „Scheiße..“ fluchte er leise und zitternd ergriff er die Sauerstoffmaske, welche bis eben auf dem kleinen Schrank neben dem Bett lag. So schnell es ihm möglich war, presste Kazuki die Maske auf seine Nase und Mund. Sergej konnte nur fassungslos zusehen. Diese Szenerie verdeutlichte ihm, dass Kazukis Körper am Limit war und es keine Rettung gab. Er würde tatsächlich sterben und das langsam und quälend. So richtig realisiert hatte der blonde Russe es dennoch nicht, konnte er auch einfach nicht. Wie sollte er begreifen, dass sein bester Freund nicht mehr lebend aus dieser Klinik kommen sollte, wo er doch hier mit ihm sprach. Kazuki unterhielt sich mit ihm. Gut vielleicht etwas stockend und ja man sah die Anstrengung dabei, aber – Herr Gott vor 12 Stunden waren sie noch zusammen im Studio und hatten musiziert und jetzt!? Die Hand Kazukis schloss sich um seine Hand und Sergej zwang sich innerlich zur Ruhe. „Sergej…ich…bitte..“ Angesprochener musste erneut schlucken. Kazukis Stimme zitterte und war nicht mehr als ein Hauch. Jedoch spürte er auch wie Kazuki versuchte seine Hand fester zu drücken. „..bitte…kümmer dich um…Kai..“ „Um Kai!?“ irritiert sah der Hüne auf und einen Moment lang herrschte Stille. Sergej brauchte einige Zeit um zu verstehen, was sein bester Freund damit ausdrücken wollte. Er musste seine Gedanken ordnen und die Situation endlich verarbeiten. „Wie stellst du dir das denn bitte vor? Ich kann mich doch nicht einfach um deinen kleinen Bruder kümmern. Wir sind immerhin nicht verwandt und außerdem kennt mich Kai doch gar nicht wirklich. Gut ein wenig von früher, aber das ist doch keine Grundlage. Zumal ich auch keine Erfahrung mit Kindern habe. Kazuki das geht nicht. Ich hab da auch gerade keinen Kopf für. Gefühlt platzt mir gleich der Schädel. Ich kann es einfach nicht glauben, dass du hier ins Gras beißen sollst. Das ist so verdammt unwirklich.“ „Das…weiß ich alles…“ Noch einmal musste er etwas Sauerstoff inhalieren. „Aber die einzige Angehörige ist unsere Mutter….die in Japan…in der Klapse hockt…und ihn misshandelt hat.“ „Verdammt Kazuki…“ Sergej musste aufstehen, denn er rang mit sich. Unruhig lief er in dem Zimmer auf und ab. Er verstand die Beweggründe die Kazuki hier handeln ließen. Es war verständlich, dass der Halbrusse seinen Bruder gut aufgehoben wissen wollte und er sah auch wie der Halbrusse all seine Kraft aufbrachte um ihn um diesen „Gefallen“ zu bitten. Jedoch konnte sich Sergej beim besten Willen nicht vorstellen, dass er dafür geeignet war. Er war ja nicht mal bereit dazu das alles hier zu akzeptieren, geschweige denn richtig zu realisieren. Dies musste auch seine Mimik deutlich gemacht haben, denn Kazukis sprach weiter. „Du schaffst das…. Du bist verantwortungsbewusst und der Einzige den ich darum bitten kann.“ Sergej hielt in seinem Auf und Ab inne. „Kazuki ist dir klar, dass ich nicht einfach zum Jugendamt marschieren und denen sagen kann, dass Kai ab jetzt bei mir lebt!?“ „Doch…genau…so…“ Der Russe sah den Blauhaarigen an wie ein Auto. Was zum Kuckuck inhalierte der Halbrusse da? Das konnte nicht nur Sauerstoff sein und wenn doch, dann mussten die Medikamente dessen Hirn vernebeln. Ok so abwegig war das mit den Medikamenten nicht. Immerhin wurde der sterbende Körper Kazukis regelrecht vollgepumpt. Doch dieser musste doch wissen wie verrückt er sich anhörte. „Hör zu..“ Kazuki legte die Sauerstoffmaske wieder beiseite. „Ich weiß, dass ich mir das als einfach machbar einrede…aber was bleibt mir denn übrig, hm?“ Tränen sammelten sich in den königsblauen Augen. „Ich will nicht sterben…ich hatte noch so viel vor…verdammt ich bin nicht mal 20 Jahre alt und soll jetzt den Löffel abgeben!?“ seine Finger gruben sich in die Decke und er biss sich auf die Unterlippe um ein Schluchzen zu unterdrücken. Denn die Tränen, welche über seine Wangen liefen, hatte er nicht aufhalten können. „Kazu…“ wisperte Sergej und setzte sich neben seinen besten Freund. Er legte eine Hand auf die verkrampften Finger. Sie waren kühl. „I..ich weiß nicht wie ich es schaffen soll…“ Er atmete durch. „…aber ich verspreche dir, dass ich nichts unversucht lassen werde und ich werde immer ein Auge auf Kai haben. Er wird es gut haben….mach dir darüber keine Gedanken mehr.“ Sie sahen sich an und Sergej konnte die aufrichtige Dankbarkeit in Kazukis Augen sehen. Erschöpft ließ dieser sich etwas zurück ins Kissen sinken. Dieses Gespräch hatte Kraft gekostet, beinahe all seine verbliebene Kraft. Doch zum Glück konnte er seinem besten Freund dieses Versprechen abnehmen. Es war egoistisch von ihm, dies wusste Kazuki. Doch darauf konnte und wollte er keine Rücksicht nehmen. Seinen kleinen Bruder konnte er nur dem Russen anvertrauen. Müde schloss er für einen Moment die Augen und genoss das sanfte Streicheln von Sergejs Fingern auf seinem Handrücken. „Weißt du…“ wisperte er. „…ist es herzlos, dass ich jetzt gern euch drei gegen Yuriy eintauschen würde? Nur für einen Moment…“ Der Russe schmunzelte sanft. „Nein. Du liebst diesen rothaarigen Sturkopf nun mal und ich kann mir denken, dass du lieber ihn hier sitzen hättest, als mich. Ich mit meinen großen rauen Patschern.“ Kazukis Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln und er sah an die Zimmerdecke. Es war surreal, dass sie nun scherzten. Aber wie sollten sie sonst mit der Situation umgehen? Alles war besser, als Verzweiflung. „Ich würde diesen Idiot wirklich gern noch einmal sehen, bevor ich sterbe.“ Das Geräusch von zerspringendem Glas, riss die beiden aus ihrer Unterhaltung und sie wandten ihren Blick zur Tür. „Du…du stirbst?“ „K..kai...“ die Stimme des älteren Halbrussen brach und er versuchte sofort sich aufzurichten. Doch sein Körper verwehrte es ihm. Zeitgleich erhob sich Sergej und ging auf den Jungen zu. „Hör mal Kai, dein Bruder…“ begann er um den Jungen zu beruhigen, welcher einen Schritt zurück wich – bereit zur Flucht. „NEIN!“ Kai fuhr den Russen an und ließ diesen innehalten. Der Kleine wandte sich wieder an seinen Bruder. „Ist das wahr!?“ Die Stimme des kleinen Jungen zitterte. Kazuki schluckte. So sollte es sein Bruder nicht erfahren. Nicht auf diesem Wege. Ihm war klar, dass diese Nachricht nicht schön überbracht werden konnte, jedoch hätte er es Kai gern in Ruhe erklärt, ihn dabei im Arm haltend und nicht so wie jetzt. Jetzt, zwischen Tür und Angel und wie mit der Faust ins Gesicht. Er musste es ihm erklären, denn je länger er schwieg, desto schlimmer machte Kazuki es für seinen Bruder. Denn keine Antwort, war auch eine Antwort und dem 6 jährigen dämmerte es. Es war die Wahrheit. Die roten Augen wurden feucht und der kleine Körper Kais begann zu zittern. Hilflosigkeit machte sich in dem kleinen Zimmer breit. Sergej konnte nichts tun. Er musste dieser Szene untätig beiwohnen, während Kazuki nicht zu Kai laufen konnte, um ihn in den Arm zu nehmen. Sein Körper war an dieses Bett gefesselt. „Kai…ich..bitte..lass es mich erklären…“ flehte der Blauhaarige. „Was ist denn hier los?“ völlig unwissend trat Boris gerade mit 2 weiteren Flaschen und Gläsern in den Raum und war überrascht über die Pfütze samt Glasscherben. „Kazuki….stirbt…“ Kai sah nicht auf. Er hatte den Kopf gesenkt und einige seiner Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht, sodass sein Blick für die anderen verborgen blieb. „Was!?“ Irritiert sah Boris zu seinen Freunden. Doch Kazuki antwortete nicht. Sein verzweifelter Blick war auf Kai gerichtet. Er könnte fluchen. Verdammt er musste zu seinem Bruder, ihn umarmen, festhalten und ihm sagen wie sehr er ihn liebte. Das alles gut werden würde und er immer über Kai wachen würde. Doch er konnte sich kein Stück bewegen. „Ja es ist wahr…“ antwortete daher Sergej und wie schon Minuten davor, zersprang erneut Glas auf dem Boden und Wasser breitete sich aus. Alles wirkte wie aus einer schlechten Komödie. Doch diese “Komödie“ war echt und die realen Scherben auf dem Boden waren lediglich eine Manifestation des emotionalen Scherbenhaufens dieser Situation. „Du lässt mich alleine…“ wisperte Kai. „Nein so darfst du das nicht sehen.“ „Aber es ist so….DU VERLÄSST MICH!!! DU WOLLTEST IMMER FÜR MICH DA SEIN. DAS HAST DU MIR VERSPROCHEN!!!“ Kai konnte nicht anders. Die Emotionen brachen aus dem kleinen Jungen heraus und entluden sich indem er seinen Bruder anschrie. Den Bruder, der eigentlich alles für ihn war. „DU BIST SO EIN LÜGNER, KAZUKI!! ICH HASSE DICH!!“ „KAAAAI!!!“ Kazuki streckte seine Hand aus. Doch es war vergebens. Er musste zusehen wie sein kleiner Bruder die Flucht ergriff und aus dem Zimmer rannte. Kapitel 5: No Matter What You Do -------------------------------- Rückblende: „Du lässt mich alleine…“ wisperte Kai. „Nein so darfst du das nicht sehen.“ „Aber es ist so….DU VERLÄSST MICH!!! DU WOLLTEST IMMER FÜR MICH DA SEIN. DAS HAST DU MIR VERSPROCHEN!!!“ Kai konnte nicht anders. Die Emotionen brachen aus dem kleinen Jungen heraus und entluden sich indem er seinen Bruder anschrie. Den Bruder, der eigentlich alles für ihn war. „DU BIST SO EIN LÜGNER, KAZUKI!! ICH HASSE DICH!!“ „KAAAAI!!!“ Kazuki streckte seine Hand aus. Doch es war vergebens. Er musste zusehen wie sein kleiner Bruder die Flucht ergriff und aus dem Zimmer rannte. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Er rannte und rannte. Dabei wusste er gar nicht wohin. Wohin mit sich, mit seinen Gefühlen, mit der Verzweiflung. Er wollte einfach nur noch fliehen. Der Silberhaarige verließ durch die offene Tür die Notaufnahme. Seine Füße trugen ihn durch die Gänge. Die Gänge, die um diese Uhrzeit nur schwach beleuchtet waren und alle gleich aussahen, sodass Kai jegliche Orientierung verlor. Der 6jährige hoffte, dass dies ein Albtraum sei und er bald aufwachen würde. Doch er spürte etwas Nasses auf seinen Wangen und seine Sicht verschwamm zunehmend. Dies hier war kein Traum. Es war Realität und Kai konnte die immer wieder kehrenden Tränen einfach nicht stoppen. Seine Schritte führten ihn in die Empfangshalle der Klinik. Hier war deutlich mehr los als in den Gängen, die er durchquert hatte. Das Licht hier war nicht gedämmt. Im Gegenteil - es war blendend und der Silberhaarige musste inne halten. Das grelle Neonlicht brannte in seinen verweinten Augen. Mit der rechten Hand vor diesen, versuchte Kai das Licht etwas abzuschirmen. Ziellos glitt dabei sein Blick umher. Die große Uhr der Halle zeigte, dass es kurz nach 5 Uhr war und der Klinikbetrieb schien langsam zu erwachen. Vereinzelte Patienten in Schlafanzug oder Trainingsanzug streiften herum und erkundigten sich bei der Empfangsdame über irgendwelche Dinge. Pflegepersonal kam in privater Kleidung herein - bereit die Frühschicht anzutreten. All dieser Trubel und das auch noch um diese Zeit. Erschöpft ließ sich Kai auf einen der Sessel in der großen Halle fallen. Er war müde und er wusste einfach nicht wohin. Der 6jährige fühlte sich allein gelassen und das obwohl genügend Personen um ihn herum waren. Vielleicht sollte er einfach hier bleiben und den Leuten zusehen. Eventuell würde ihn dies ablenken. Ein Motor heulte auf und das dazu gehörende Fahrzeug raste die Auffahrt zum Krankenhaus hinauf. Yuriy überholte die vielen Fahrzeuge, die durch die Schranke aufs Klinikgelände wollten. Dabei nutzte er den Umstand aus, dass es keine Vollschranke gab und somit eine Lücke vorhanden war, durch welche er mit seinem Motorrad passte. Eben jenes stellte er direkt neben dem Haupteingang ab. Das daneben stehende Schild mit dem Symbol des absoluten Halteverbots ignorierte er gekonnt. Der Rothaarige zog seinen Helm ab und ließ diesen an seiner Maschine zurück. Zielsicher und schnellen Schrittes steuerte er auf die Rezeption zu. Doch er dachte nicht daran sich brav hinten anzustellen und zu Warten bis er an der Reihe gewesen wäre. Er schob die Leute zur Seite, stellte sich unverblümt neben den Mann, welcher gerade an der Reihe war und ehe die junge Empfangsdame zu Wort kam, ergriff er jenes. „Wo ist die Notaufnahme!?“ Perplex sah die junge Rezeptionistin ihn an. Sie musterte ihn abschätzend von oben bis unten. „Können Sie nicht warten bis Sie an der Reihe sind!?“ Das war alles was er als Antwort erhielt und als wäre dies nicht schon genug, schaltete sich auch noch eine ältere Kollegin der Dame ein. Wenn Yuriy sie hätte beschreiben müssen, so hätte er sie 1:1 mit Fräulein Rottenmeier aus Heidi verglichen. „Wie wäre es, wenn Sie erst einmal ihr Fahrzeug aus dem Halteverbot fahren würden!? Das Schild steht immerhin nicht umsonst dort. Die Jugend von heute hat einfach keine Manieren mehr.“ Der rothaarige Russe verdrehte entnervt die Augen. „Ich wiederhole mich nur ungern! Wo ist die verdammte Notaufnahme!?“ Yuriy hatte keine Lust auf Spielchen und somit wurde seine Wortwahl schärfer und lauter. Auch seine Faust fand den Weg lautstark auf den Tresen. Er wollte zu Kazuki. Allerdings schienen die zwei Damen an der Rezeption keine Notiz von seiner Anspannung zu nehmen. Sie nahmen ihn nicht mal ernst. Im Gegenteil - sie wandten sich von ihm ab und den brav wartenden Leuten zu. Sie blendeten ihn völlig aus. Das konnte doch alles nicht wahr sein. Der rothaarige Russe knirschte mit den Zähnen. Seine Kiefer mahlten vor Wut aufeinander. Als außenstehende Person konnte man zusehen, wie die Beherrschung des jungen Russen flöten ging und der Mann, welcher direkt neben Yuriy stand, war schlau genug den Rückzug anzutreten. „VERDAMMT, MEIN FREUND WURDE HIER EINGELIEFERT!!! ER HATTE EINEN SCHWEREN UNFALL UND SIE IGNORIEREN MICH HIER!!!“ Er konnte seine Wut nicht zurück halten. Diese zwei Puten in Kostüm raubten ihm den letzten Nerv. „SAGEN SIE MIR JETZT ENDLICH WO DIE VERFICKTE NOTAUFNAHME IST!!!“ Allerdings führte sein kleiner Ausbruch nicht zur Lösung seines Problems. Es verschlimmerte die Situation nur. Denn ‚Fräulein Rottenmeier‘ griff zum Telefon und informierte den Sicherheitsdienst. Als sie den Hörer wieder auflegte, bedachte sie den Rothaarigen mit einem abfälligen Blick. Dieser lautstarke Disput zwischen Yuriy und den Damen am Tresen, war auch dem 6jährigen nicht entgangen. Ab dem Moment, in welchem der Rothaarige die Eingangshalle betreten hatte, hatten sich die roten Augen an ihn geheftet. Kai saß zwar einige Meter entfernt, doch dieser Mann hatte sofort seine Aufmerksamkeit erregt. Interessiert verfolgte der Rotäugige den Streit - lenkte dieser ihn doch von seiner eigenen Situation ab und im Gegensatz zu den zwei Rezeptionistinnen, entging seinem Blick die Anspannung des Rothaarigen nicht. Dem Silberhaarigen blieb nicht verborgen wie Yuriys Fingern nervös auf dem Tresen trommelten und auch das gelegentliche herum kauen auf der Unterlippe entging ihm nicht. Ebenso sah er auch die Blicke des Rothaarigen, welche verloren umher streiften auf der Suche nach einem Hinweis, wo sich die Notaufnahme befand. Kai warf einen Blick über seine Schulter hinter sich. Er selbst hatte nicht auf den Weg geachtet. Dennoch war er der Meinung diesen eventuell zusammen zu bekommen und wenn er damit einem anderen helfen konnte zu seinem Freund zu kommen, warum nicht!? Alles war besser, als weiter hier herum zu sitzen. Daher wischte Kai sich mit dem Ärmel die letzten Tränenspuren weg und erhob sich. Doch gerade als er auf den Fremden zu gehen wollte, traf die gerufene Security ein. „Würden Sie uns bitte nach draußen begleiten!?“ Yuriy wandte sich um. Vor ihm standen zwei Security Männer. Einer muskelbepackter als der Andere und ihr Auftreten machte deutlich, dass sie Widerworte nicht kannten. Wer würde sich auch mit diesen beiden wandelnden Schränken anlegen? Vermutlich niemand der hier anwesenden. Niemand – außer einem gewissen Rotschopf. Finster sah er zu einen der beiden auf. „Nein verdammt, ich begleite Sie nicht nach draußen, um es mal mit Ihren Worten zu sagen!! Ich muss zu meinem Freund!! Aber diese zwei Stockenten dort, scheinen mich nicht zu verstehen. Es ist wirklich wichtig.“ Inständig hoffte der Russe, bei den beiden Personen vor sich Gehör zu finden. Allerdings schienen die beiden auf `Befehle‘ programmiert zu sein. „Wir bringen sie jetzt raus.“ Die beiden Security Männer ließen nicht mit sich reden und als einer der beiden laufenden Schränke Yuriys Oberarm ergriff, machte sich dieser schon für eine handgreifliche Auseinandersetzung bereit. Diese Bereitschaft schienen sie zu spüren, denn mit ernstem Blick sahen die beiden Männer ihn an. Yuriys Oberarm fühlte sich an, als sei er in einen Schraubstock geraten. Doch er wollte nicht klein bei geben. Er wollte zu Kazuki und kein Riese der Welt würde ihn davon abhalten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und die Muskeln in seinen Oberarmen spannten sich an. „Bratischka!“ Yuriy zuckte zusammen und sah nach unten. Soeben hatten sich zwei kleine Arme um seine Körpermitte gelegt. Hatten die zwei Schränke jetzt noch einen Zwerg als Kollegen? Mit hochgezogener Augenbraue folgte er den kleinen Armen zu seinem Besitzer. Sein Blick traf auf zwei rote Kinderaugen, die ihn ernst ansahen. „Wo warst du denn so lange? Wir haben ewig auf dich gewartet!“ Irritiert sah der rothaarige Russe den Jungen an. Wer war dieses Kind? „Ähm…“ Doch Yuriy kam nicht dazu weiter zu sprechen, denn der Silberhaarige stellte sich vor ihn und wandte sich an die Muskelpakete. „Bitte lassen sie meinen Bruder los. Wir müssen ganz schnell zu seinem Kumpel, bitte!!!“ Mit flehendem Blick sah der 6jährige die beiden Security Männer an und anscheinend zeigte sein Blick Wirkung. Die beiden ließen von Yuriy ab und ehe der Rotschopf reagieren konnte, bedankte sich der kleine Junge vor ihm bei den beiden. „Aber macht keinen Unsinn!“ raunte einer der beiden und der Kleine nickte. Irritiert stand der Rothaarige hinter dem kleinen Wuschelkopf. Er fragte sich was das Ganze sollte und wer dieses Kind überhaupt war. Zu wem gehörte er und warum half dieser Junge einem Fremden, wie ihm? Jenes Kind wandte sich ihm zu. Doch anstatt eine Erklärung für das Schauspiel zu bekommen, schnappte sich der 6jährige Yuriys Hand und zog ihn mit sich. „Komm! Ich bring dich zur Notaufnahme.“ Völlig überrumpelt folgte er dem Jungen, welcher seine Hand fest umschlossen hielt. Sie liefen von einem Gang zum Nächsten, überquerten Flure, und ließen Fahrstühle hinter sich zurück ohne, dass ein weiteres Wort zwischen ihnen fiel. Kai spürte die fragenden Blicke des rothaarigen Russen hinter sich. Doch er musste sich konzentrieren. Denn immerhin wollte der Mann hinter ihm so schnell wie möglich zur Notaufnahme. Er hatte gespürt, dass es dem Rotschopf sehr wichtig war und deshalb musste er sich an den richtigen Weg erinnern. Aufmerksam sah er sich um, ohne dabei den Kopf zu auffällig, suchend zu bewegen und dann, ja dann erkannte er den Warteraum vor der Notaufnahme in der Ferne. Seine Augen fingen an zu strahlen. „Da vorne ist es, los!“ Rief Kai freudig und beschleunigte seine Schritte. Yuriy stolperte kurz hinterher. „H..hey jetzt warte doch mal!!“ Er blieb stehen und so war auch Kai gezwungen innezuhalten. Fragend wandte sich der kleine Junge um und ließ die Hand des Russen los. „Was ist? Du wolltest doch zur Notaufnahme. Dein Freund liegt doch hier, oder?“ Yuriy hockte sich vor den Jungen und sah ihm eindringlich in die Augen. Dieser durchdringende Blick ließ Kai leicht schlucken. Er hatte das Gefühl, als würden die eisblauen Augen ihn durchdringen.“Warum hilfst du mir? Du kennst mich doch gar nicht. Was wenn ich jemanden was böses will?“ Ernst sah der Russe den Knirps vor sich an. Doch dieser fasste sich und erwiderte den ernsten Blick. „Ich glaube nicht, dass du etwas Böses vor hast.“ „Ach nein?“ Yuriy legte seine Finger um das Kinn des Kindes vor ihm und hob dessen Kopf ein Stück an. Er wollte mehr von diesen roten Augen sehen, welche ihn so entwaffnend ehrlich ansahen. „Nein!“ Ein trotziger Glanz schimmerte in dem Rot und der Ältere schnaubte belustigt. Der Kleine hatte Mut. Denn normalerweise hatten Kinder seines Alters Angst vor Yuriy und diesen Umstand hatte der Russe bis jetzt immer ausgenutzt. Doch dieser Junge hier war anders. Dieser ließ sich nicht so einfach einschüchtern und das obwohl er ihn nicht gerade zimperlich am Kinn gepackt hatte. Der Kleine hatte eine unsichtbare Grenze überschritten und mit seinem Handeln sich Yuriys Respekt verdient. Welcher 6jährige würde es auch sonst mit zwei Muskelprotzen aufnehmen, nur um einen Fremden zu helfen!? Der Ältere atmete durch und seine Finger lösten sich von dem Gesicht des Jüngeren. Kurz rieb sich Kai dieses. „Ich habe dich am Eingang beobachtet und es schien dir wichtig zu sein zu deinen Freund zu kommen.“ Aufrichtig blickten die roten Augen sein Gegenüber an und Yuriy musste lächeln. „Ja es ist mir wirklich sehr wichtig.“ Damit erhob er sich und wandte seinen Blick zur Notaufnahme. „Danke, dass du mich her gebracht hast. Diese zwei Puten haben mich ziemlich lange aufgehalten.“ Kai musste grinsen. „Ich fand, die eine sah eher aus wie ein Truthahn.“ Yuriy stockte, ehe er ein aufrichtiges Lachen sich nicht verkneifen konnte. Der Jüngere hatte dies so trocken raus gehauen und er war darauf definitiv nicht vorbereitet gewesen. „Du bist mir ja einer. Du weißt schon, dass man sowas in deinem Alter nicht sagen sollte.“ Kai murrte und zog dabei unbewusst eine kleine Schmollschnute. „Ja, ja…“ Er wusste, dass er manchmal vorlaut war. Seine Lehrerin in der Schule wurde auch nicht müde, dies immer wieder zu erwähnen. Dabei war sein Mundwerk manchmal einfach schneller als er selbst. Okay, diese Schnute war niedlich. Das musste sich selbst Yuriy eingestehen und er wuschelte dem Jungen kurz durch die Haare. „Keine Sorge! Ich verrate es niemanden. Du hast genau meinen Humor.“ Kai lächelte. Irgendwie mochte er den Älteren. Daher ergriff er erneut die Hand des Russen und ging mit ihm zu der großen Tür mit der Aufschrift „Notaufnahme“. Dort angekommen, betätigte der Silberhaarige die Klingel und kurz darauf steckte eine Krankenschwester ihren Kopf raus. „Ja bitte?“ Ihr Blick fiel auf den Silberhaarigen. „Ach du bist es. Wir haben schon nach dir gesucht. Du bist ja vorhin einfach so rausgestü-“ Doch der 6jährige unterbrach die Pflegerin. Er wollte nicht, dass der Mann neben ihm erfuhr, dass er von diesem Ort geflohen war und so fragte er: „Kann ich wieder rein?“ Die Schwester lächelte warm. „Natürlich!“ Sie ging zur Seite und ließ die beiden in den Bereich der Notaufnahme. Kai sah zu dem Rotschopf auf. „Hier ist dann die Notaufnahme. Hoffentlich findest du deinen Freund.“ Damit lösten sich ihre Hände, „Dankeschön, Kleiner.“ und Yuriy bot dem Jungen ein High Five an, welches freudig angenommen wurde. Danach wandte sich der Rothaarige an die Schwester. „Bitte entschuldigen Sie, aber ich suche meinen Freund. Er wurde heute Nacht eingeliefert. Könnten Sie mir sagen wo ich ihn finde?“ Anders als bei den Rezeptionistinnen, versuchte es der Russe hier mit Höflichkeit und anscheinend funktionierte es. „Gern. Wie heißt ihr Freund denn?“ „Kazuki Sokolov!“ Dieser Name traf Kai wie ein Blitzschlag. Kazuki Sokolov war der Freund zu dem der Mann wollte? Aber was wollte dieser Mann von seinem Bruder? Hatte der etwas mit dem Unfall zu tun? Immer mehr Fragen schossen durch den kleinen Kopf und doch konnte er auf keine Antwort hoffen. Denn die junge Krankenschwester bat den Rothaarigen ihr zu folgen. Die Tür zum Schockraum ging auf und kurz flammte Hoffnung in Kazukis Augen auf. „Und?“ Doch ein Kopfschütteln seitens Boris, ließ ihn müde die Augen wieder schließen. Wo war sein kleiner Bruder nur hingerannt? „Es tut mir leid. Ich hab alle umliegenden Gänge abgeklappert.“ Boris ließ sich auf den Stuhl neben der bettenähnlichen Trage nieder. „Keine Ahnung wo dein kleiner Bruder hingelaufen ist.“ „Schon gut, Boris. Er wird sich schon nicht in Luft aufgelöst haben.“ Sergej, welcher bis eben an der Bettkante bei Kazuki gesessen hatte, erhob sich. Schwach öffneten sich die königsblauen Augen wieder. „I..ich muss mit ihm sprechen…“ Gedämpft durch die Sauerstoffmaske waren Kazukis Worte kaum hörbar. Jedoch konnte der blonde Hüne sich denken, was sein bester Kumpel gesagt hatte. „Ich werde zur Rezeption gehen und ihn aufrufen lassen. Sieh zu, dass du dir eine Kräfte einteilst und bei uns bleibst bis wir Kai gefunden haben.“ Sergej wandte sich ab. Kazuki wurde zunehmend schwächer und verlor immer wieder für wenige Sekunden das Bewusstsein. Wenn sie Kai nicht bald finden würden, konnte es zu spät sein. Er musste sich beeilen. Gerade als er die Türe ergreifen wollte, öffnete sie sich von außen. Seine Augen weiteten sich einen kurzen Moment und er war froh über den Anblick seines Bandkollegen. „Du bist hier!“ Es war keine Frage, lediglich eine überraschte Feststellung. Sergejs Gegenüber antwortete mit einem knappen Nicken. „Die wollten mich nicht her lassen. Aber egal, jetzt bin ich hier. Sag…wie geht es Kazuki?“ Besorgnis schwang in Yuriys Stimme und der Größere trat zur Seite, sodass der Rothaarige freien Blick auf seinen Freund hatte. Der Rotschopf erschrak und sah geschockt von seinem Partner zurück zu Sergej. „Seine Verletzungen sind zu schwer…“ „..nein..“ Es war nur ein Hauch seitens Yuriy…und doch hatten es alle Anwesenden in dem Raum vernommen. „Wi…wie lange denn noch?“ Das Sprechen fiel im schwer. Der Rotschopf hatte das Gefühl, dass seine Kehle sich zuschnürte. „Ein paar Stunden vielleicht noch…“ Sergej legte seine Hand auf Yuriys Schulter. „Kazuki brauch dich jetzt.“ Doch der Russe bewegte sich keinen Millimeter. Seine Augen ruhten auf Kazuki und dieser erwiderte den Blick. Der Blauhaarige wusste, dass sich Yuriy für sein Verhalten der letzten Tage schämte, jedoch war er selbst schon längst nicht mehr sauer. Daher hob er leicht seinen Arm und streckte seine Hand nach dem Rothaarigen aus. Mit dieser Geste bat er ihn stumm zu sich und Yuriy verstand. Langsam trat er an die Trage und ergriff Kazukis Hand. Diese Berührung ließ ihn innerlich erschaudern, denn die Hand des Halbrussen war eiskalt. „Kazu…verdammt, was machst du nur für Scheiße…“ Das Eis zwischen ihnen war gebrochen. Vergessen war der Streit, die Wut und der Frust. „…verzeih…mir..“ Doch der Rotschopf schüttelte nur den Kopf. „Du brauchst dich für nichts zu entschuldigen.“ Er umfasste die kalte Hand stärker. „Ich war so ein Idiot und das alles nur, weil ich eifersüchtig war.“ Träge blickten die königsblauen Augen auf. „W..wieso?“ Wisperte er leise. „Mir gefiel der Gedanke nicht, dass du mit ihm mehr Zeit als mit mir verbringen könntest. Das war idiotisch, ich weiß.“ Seufzend senkte Yuriy den Kopf. „Boris! Lass uns weiter suchen.“ Sergej wollte seinen beiden Freunden etwas Zeit für einander verschaffen. Außerdem hatten sie Kai nach wie vor nicht gefunden. Der Angesprochene nickte und erhob sich. „Wir finden ihn und bringen ihn zurück, Kazuki!“ Lächelte Boris aufmunternd, ehe er die Türe hinter sich schloss. Jedoch würden sie den 6jährigen so wohl nicht finden. Unbemerkt von allen, war Kai Yuriy gefolgt und hatte das Zimmer wieder betreten. Allerdings hatte er sich hinter dem Vorhang versteckt, welcher die Medikamentenkisten verdeckte und war so den Blicken der Anderen verborgen geblieben. „Nach wem suchen sie?“ Fragend sah Yuriy zu Kazuki und dieser griff mit der freien Hand an die Sauerstoffmaske um sie etwas runter zu ziehen. „…mein klei…ner Bruder…war auch…Unfall…ist weg…laufen…“ Der Halbrusse fing an zu zittern. Seine Zeit lief unaufhörlich ab und er schaffte es nicht mal mehr gescheit auf die Frage seines Partners zu antworten. Es brach Yuriy das Herz, seine Liebe so zu sehen und innerlich hätte er sich ohrfeigen können. „Ssshhh…“ Er beugte sich zu Kazuki und hob ihn vorsichtig etwas an, um ihn etwas weiter nach rechts zu legen. Dabei spürte er wie ausgekühlt der schwache Körper bereits war. „Die beiden werden deinen Bruder schon finden.“ Der Rothaarige legte sich neben seinen Freund und zog ihn an sich. Zaghaft lehnte sich Kazuki an Yuriy und spürte die Wärme, welche von ihm ausging. Es fühlte sich gut an und er genoss die Nähe seines Partners. I burn to make you understand One wrong word and it all may come crashing down For the fates are devious by heart They envy you your dreams, so they'll let you drown Leise drang Yuriys melodische Stimme an sein Ohr. Der Jüngere gab ihm Halt und wirkte zeitgleich wie Balsam für seinen geschundenen Körper. Sein Duft, seine Stimme, sein Herzschlag, seine Wärme – einfach alles, versuchte Kazuki mit seinen Sinnen zu erfassen. Sein Körper entspannte sich und das Zittern ließ langsam nach. Nur bei dem Rothaarigen konnte er sich fallen lassen – konnte die Schwäche zulassen und akzeptieren. Er schloss die königsblauen Augen und lauschte dem Gesang seines Liebsten. Wenn er doch nur die Zeit anhalten könnte. And there is no why, there is no how, it's like the sky, just one free flow But you're here right now, and this is your show, so take a bow, cos the show is on right... Die Zeit anhalten… was würde Yuriy für genau diese Fähigkeit geben. Er wollte Kazuki nicht verlieren. Nicht jetzt, nicht so. Ein Leben ohne den Halbrussen konnte er sich einfach nicht vorstellen. Doch genau dieses Leben schwand von Sekunde zu Sekunde. Er spürte wie die Wärme aus Kazukis Körper wich. Die kalten Hände auf seiner Brust wurden immer blasser und er konnte nichts dagegen tun. In seiner Verzweiflung hatte er einfach begonnen einen ihrer Songs zu singen. Der Rothaarige hielt den Halbrussen fest und bettete seinen Kopf in den blauschwarzen Haaren. Er konnte seine Liebe nicht retten. Doch er wollte für ihn da sein, ihn festhalten. Here and now with all dreams realized Would you choose still more time to do Don't fall down when it's time to arise No-one else can heal your wounds Zaghaft schob der 6jährige den Vorhang ein Stück zur Seite. Seine Finger umklammerten den dünnen Stoff und sein Blick lag auf dem Rotschopf. Er lauschte dem Gesang. Doch anders als Kazuki ließ ihn dieser Gesang nicht zur Ruhe kommen. Nein, er beschleunigte seinen Herzschlag und Kai konnte nicht mal genau sagen warum. Vor Stunden war er noch begeistert von Kazukis Gesang gewesen. Doch der Klang von Yuriys Stimme fesselte den Silberhaarigen regelrecht, sodass er für einen kurzen Moment alles ausblendete. Da war keine Angst, keine Verzweiflung – nur dieses Lied. //Das muss dieser Yuriy sein…// Dachte der Kleine sich und sah von dem rothaarigen Mann zu seinem Bruder. Once again taboo becomes your law What you want seems taken by another tide turning Away from our flower field where we used to lay beneath the sky, riding dreams to some other side Der Blick auf seinen Bruder holte Kai wieder in die Realität. War er bis eben noch eingehüllt von dieser Stimme, so traf ihn die Wahrheit hart. Sein großer Bruder hatte jede gesunde Hautfarbe verloren und der Brustkorb senkte sich im unregelmäßig, flachen Rhythmus. Die Angst und die Verzweiflung holten den 6jährigen wieder ein. Sie lösten erneut den Fluchtinstinkt aus. Jedoch wollte er nicht fliehen. Er wollte am liebsten zu dem Älteren rennen, zu ihm klettern und sich in dessen Arme schmiegen. Do they burn, the wishes whispered, like secrets, they yearn, just to be heard I'm done with questions, I have no answers, the choice is yours, cos the show is on right... In diesem Moment öffneten sich die königsblauen Augen. Müde sahen sie in Kais Richtung. Kazuki hatte die Anwesenheit seines kleinen Bruders gespürt. Kurz trafen sich ihre Blicke, ehe der Jüngere seinen Kopf senkte. Erneut sammelten sich Tränen in seinen Augen. Er musste sich für seine Worte entschuldigen. Er hasste seinen großen Bruder doch gar nicht. Er war nur so wütend gewesen und die Emotionen waren einfach aus ihm herausgebrochen. //Kai…// Kazuki war nicht mehr in der Lage zu sprechen, geschweige denn die Sauerstoffmaske von seinem Gesicht zu lösen. Wie sollte er nur seinem Bruder sagen, dass es ihm leid tat?! Er wollte ihm noch so vieles sagen, aber vor allem wie sehr er ihn liebte. Zaghaft hob Kai seinen Kopf. Ungehindert liefen ihm Tränen über die Wangen. //…es tut mir so leid…// Doch der Silberhaarige schüttelte nur den Kopf. Er hatte Kazukis Gedanken an dessen Blick ablesen können. Sie waren nun mal Brüder und verstanden sich auch ohne Worte. //Nein, mir tut es leid, nii-chan. Ich habe so viele böse Worte gesagt…// Schwach bildete sich ein Lächeln auf den Lippen des älteren Halbrussen. Kais ganze Körperhaltung zeigte ihm wie sehr es ihm leid tat. Die Finger waren in den Saum seines Oberteils gekrallt, die Schultern leicht nach oben gezogen und um ein Schluchzen zu vermeiden, biss der Kleine sich auf die Unterlippe. Kazuki jedoch, hatte nie angenommen, dass Kai ihn hassen würde. Immerhin wusste er, dass sein kleiner Bruder manchmal hitzköpfig reagieren konnte. Nichtsdestotrotz nahm er die Entschuldigung an und war froh, zumindest diesen Konflikt aus der Welt geschafft zu haben. Unverwandt sahen sie sich an. //Ich liebe dich, ototo-chan.// Here and now with all dreams realized Would you choose still more time to do Don't fall down when it's time to arise No-one else can heal your wounds „Sergej…hier haben wir schon gesucht!” Keuchend beugte sich Boris etwas nach vorne und stützte seine Hände auf seine Oberschenkel. Seit einer geschlagenen halben Stunde rannten sie durch das Krankenhaus und suchten nach dem Knirps. „Kai kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben.“ Verzweifelt stemmte der Hüne die Hände in die Seiten. Doch der Lilahaarige sah die Sache etwas pessimistischer. „Na ja, da bin ich mir irgendwie nicht so sicher.“ Er richtete sich wieder auf. „Ich wüsste nicht wo wir noch suchen sollten. Du meintest doch, dass wir ihn an der Rezeption aufrufen lassen könnten.” Boris schloss zu Sergej auf. „Ja, dass schon. Aber eigentlich war das mein Notfallplan.“ “Ernsthaft?! Was könnte näher an einen Notfall kommen, als die derzeitige Situation!?” Der Blonde seufzte. Boris hatte ja Recht. „Na schön. Lass uns dorthin gehen.” The bigger the lies The more they want to believe them And like a vice Hold on to what they believe in Yuriy hatte die Augen seit Beginn seines Gesangs geschlossen und Kazuki tat es ihm gleich. Er genoss die Geborgenheit, die ihm sein Freund schenkte. Jedoch konnte der Halbrusse die Wärme des anderen nicht mehr spüren. Ihm war so verdammt kalt. Sein Kreislauf brach immer weiter zusammen. Sein Blut versackte in seinem Körper und Kazukis Herz hatte nicht mehr genug Volumen, das es durch seinen Körper pumpen konnte. Es schlug unregelmäßiger und setzte immer häufiger einen kurzen Moment aus. Here and now with all dreams realized Would you choose still more time to do Don't fall down when it's time to arise No-one else can heal your wounds Yuriy registrierte die länger werdenden Pausen zwischen den Piepen der Maschinen. Doch er wollte die Augen nicht öffnen. Er zog Kazuki enger an sich und hielt ihn fest. //Bis zum letzten Augenblick!// Seine Wange ruhte in den blauschwarzen Haaren und er atmete den Duft seines Freundes ein, während er sang. Dabei spürte der Rothaarige das letzte Einatmen seines Partners und das letzte Ausatmen. Die Muskelspannung ließ nach und Kazukis Körper sackte leblos zusammen – sein Herz war stehen geblieben. Kai sah das Zusammensacken seines Bruders. Instinktiv realisierte er was geschehen war und er schlug die Hände vor den Mund um nicht zu schreien. Er sackte auf die Knie und seine Tränen nahmen zu. Sein Bruder war gegangen. Here and now with all dreams realized Would you choose still more time to do Don't fall down cos I need you to rise No-one else can heal my wounds Die Stimme des Russen zitterte als er die letzten Worte sang. „Ka..zu..ki…“ Er bebte und sein Griff um den Körper des Halbrussen wurde stärker. Tränen liefen über sein Gesicht. Die medizinischen Geräte schlugen Alarm. Doch er realisierte sie gar nicht. Sie waren ihm egal, denn er hatte soeben die wichtigste Person in seinem Leben verloren. Anders als Yuriy, rissen die Alarme Kai aus seiner Starre. Er vernahm die hektischen Schritte auf dem Flur und stand auf. So schnell er konnte, verschwand er wieder hinter dem Vorhang. Der Silberhaarige presste sich an die Wand und die Türe zu dem Zimmer flog auf. Eine Scharr von Ärzten und Schwestern, stürmte in den Schockraum. Doch sie alle konnten nichts tun. Der 6jährige rutschte an der Wand herunter und zog die Beine an. Halt suchend schlang er seine Arme um seine Knie. „Zeitpunkt des Todes…“ Kapitel 6: Ten Black Roses I ---------------------------- Rückblende: Die Stimme des Russen zitterte als er die letzten Worte sang. „Ka..zu..ki…“ Er bebte und sein Griff um den Körper des Halbrussen wurde stärker. Tränen liefen über sein Gesicht. Die medizinischen Geräte schlugen Alarm. Doch er realisierte sie gar nicht. Sie waren ihm egal, denn er hatte soeben die wichtigste Person in seinem Leben verloren. Anders als Yuriy, rissen die Alarme Kai aus seiner Starre. Er vernahm die hektischen Schritte auf dem Flur und stand auf. So schnell er konnte, verschwand er wieder hinter dem Vorhang. Der Silberhaarige presste sich an die Wand und die Türe zu dem Zimmer flog auf. Eine Scharr von Ärzten und Schwestern, stürmte in den Schockraum. Doch sie alle konnten nichts tun. Der 6jährige rutschte an der Wand herunter und zog die Beine an. Halt suchend schlang er seine Arme um seine Knie. „Zeitpunkt des Todes…“ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ „Was für Puten, ey!“ Boris schob die Hände in die Hosentaschen. „Da halten die uns ernsthaft eine Moralpredigt von wegen Aufsichtspflicht und so! Dabei ist der Kleine ja nicht mal mit uns verwandt…“ Zusammen mit Sergej kam er gerade von der Rezeption zurück und den ganzen Weg zur Notaufnahme wetterte der Jüngere über die zwei Rezeptionistinnen. Ein bisschen konnte der Ältere die Empörung seines Bandkollegen nachvollziehen, aber ihm war nicht danach sich über belanglose Dinge aufzuregen. Dafür fehlte ihm einfach die Energie. Woher der Jüngere diese nahm, war ihm schleierhaft. Sie blieben einige Meter vor dem Schockraum stehen und der Blonde rieb sich die Nasenwurzel. Die ganze Situation stresste ihn, das Neonlicht schmerzte in seinen übermüdeten Augen und das Gezeter seines Begleiters riss an seinen Nerven. „Boris, bitte… Jetzt ist auch mal gut.“ Seufzte er leicht genervt. Sie hatten Kazukis Bruder noch immer nicht gefunden und so langsam gingen ihm die Ideen aus wo sie diesen noch suchen sollten. Der Junge konnte doch nicht vom Erdboden verschwunden sein. Sergej atmete durch und wollte gerade zu einer weiteren Möglichkeit der Suche ansetzen, als sich die Schiebetüre des Schockraums öffnete. Eine Flut an weißen Kitteln verließ diesen. Hinter vorgehaltenen Dokumentenkurven flüsterten zwei Krankenschwestern sich etwas zu, während der Rest dieser Menschentraube beklommen zu Boden sah. Sie hatten in diesem Moment keinen Blick für die zwei Russen übrig und eben jenen schwante nichts Gutes, als schließlich auch der Rotschopf aus dem Raum trat und die Schiebetüre hinter sich schloss. Auch Yuriy hatte seine Bandkollegen noch nicht wahrgenommen. Er hielt noch immer den Metallgriff der Tür in seiner Hand und starrte durch das kleine Fenster zurück in den Raum. Ratlos sahen sich Boris und Sergej an, ehe sich Ersterer in Bewegung setzte und an seinen besten Freund heran trat. „Yuriy?“ besorgte legte er eine Hand auf dessen Schulter und riss diesen aus seiner Trance. Der Rothaarige hob kaum merklich den Kopf und ließ seinen Blick zu Boris gleiten. Er seufzte und löste sich von der Tür. Mechanisch wand sein Körper sich um, während sein Geist noch versuchte alles zu verarbeiten. Er sah die fragenden, unwissenden und ängstlichen Blicke seiner Kameraden. Sein Mund war staubtrocken und nur langsam und schwerfällig fanden die Worte ihren Weg über seine Lippen. „Kazuki weilt nicht mehr unter uns.“ Yuriy konnte beobachten wie die Gesichtszüge des Grünäugigen entglitten – Schock, Unglaube, Trauer. Der Blonde hingegen verzog das Gesicht. „Verdammt!“ Seine linke Faust fand ihren Weg gegen die Wand – Frust, Wut, Verzweiflung. Jeder ging mit Trauer anders um und er selbst? Wie sollte seine Trauer aussehen? Er wusste es nicht. Der Rothaarige fühlte sich seltsam leer. „Ich kann euch keine Vorschriften machen, aber ihr solltet vielleicht nicht in den Raum gehen. Am besten behaltet ihr Kazuki lebendig in Erinnerung und nicht…“ Yuriy biss sich auf die Unterlippe, seine Stimme zitterte. „Schon okay…“ wisperte Boris bedrückt und zog den Anderen in seine Arme. Er hielt seinen Leader fest und gab ihm den nötigen Halt. Eine gespenstige Ruhe herrschte in dem Schockraum. Keine hektischen Stimmen mehr, keine Geräusche der medizinischen Geräte – Stille. Sie waren alle gegangen. In dieser Totenstille spähte der Silberhaarige vorsichtig hinter dem Vorhang hervor. Niemand war mehr anwesend und so hallten seine Schritte, als er sich zu der Liege begab, auf der sein Bruder lag. Dessen Haut war gräulich und schien ins weiß überzugehen. Die einst blaugrauen Haare wirkten mehr grau als blau. Doch ansonsten – ansonsten wirkte es, als würde der Ältere schlafen. Kais Blick glitt über die sichtbaren Verletzungen Kazukis und zögerlich umschloss die kleine Hand des Silberhaarigen die seines Bruders. Sie war kalt und dennoch drückte er sie sanft. Wieso konnte er aus diesem Albtraum nicht erwachen?! Wieso konnte die Hand nicht warm sein und sich liebevoll um seine schließen?! Wieso…. Die roten Augen füllten sich mit Tränen. Wieso musste er jetzt wieder alleine da stehen, wo er doch endlich glücklich war!? Lag es an ihm? Brachte er Unglück? Kai schluchzte. Er löste sich von Kazukis Hand, stemmte sich auf die Liege, legte sich zu seinem Bruder und bettete seinen Kopf auf dessen Brust. Doch da war nicht der angenehm ruhige Herzschlag – nur Stille. Tränen quollen aus den roten Augen und Kai schloss sie, zog Kazukis Arm um sich in der Hoffnung ein Stück Geborgenheit zu finden und sich von der Außenwelt abzuschirmen. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ Das Ticken der großen Wanduhr hallte durch den Raum. Sekunde um Sekunde verstrich und doch zog sich die wöchentliche Sitzung beim Psychotherapeuten wie zäher Kaugummi. Er wusste nicht, der wievielte Therapeut da vor ihm saß. Irgendwann hatte er aufgehört zu zählen. Dennoch war er jedes Mal angespannt, wenn ihm eine neue Person zugeteilt wurde und so ruhten seine roten Augen wachsam auf der Frau vor sich. Sie war schlank und er schätzte sie auf Mitte 30. Ihre filigranen Finger blätterten durch seine Akte, ehe sie diese schloss und ihren Blick dem 16 jährigen zu wandte. „Nun, Kai Hiwatari…“ Die Psychotherapeutin lehnte sich nach vorn und ein paar ihrer schwarzen Haarsträhnen fielen ihr über die Schulter. Sie stützte ihre Arme auf den massiven Schreibtisch und verschränkte ihre Finger ineinander. „…wie kann es sein, dass deine Akte nach 8 Jahren Therapie noch immer nichts weiter als deine Patientendaten enthält?“ Ruhig lag ihr Blick auf dem 16 jährigen, welcher ihr jedoch eine Antwort schuldig blieb. „Laut der Verordnung des Jugendamtes ist dies heute deine vorletzte Sitzung. Danach will deine Sachbearbeiterin einen Bericht von mir auf ihren Tisch. Was meinst du soll ich berichten, wenn du nicht kooperierst!?“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern und Dr. K. sank wieder zurück in ihren Ledersessel. „Ich kann dir schon mal so viel sagen, dass du so definitiv nicht weiter kommst. Das Jugendamt wird dir wieder und wieder solche Sitzungen aufhalsen. Willst du das?“ Kai atmete durch. „Natürlich nicht.“ Er hasste diese wöchentlichen Termine. „Gut.“ Sie nickte. „Also, warum erzählst du mir dann nicht etwas über dich?“ Doch der Silberhaarige sah sie nur an. Wenn es so simpel wäre ihn zum Reden zu bewegen, dann wäre er wohl schon vor Jahren mit den Sitzungen fertig gewesen. Doch so einfach war es nun mal nicht. Er wandte den Blick ab und ließ diesen in die Ferne schweifen. Etwas erzählen - über sich. Wo sollte er da anfangen? Was würde die Schrulle vom Jugendamt denn lesen wollen und wollte er, dass sie etwas über ihn erfuhr? „Kai!“ nachdrücklich ließ Dr. K. ihre Fingerkuppen auf den Schreibtisch schlagen und begann etwas mit diesen zu trommeln. „Was wollen sie denn hören? Das ich `’nen schwierigen Start ins Leben hatte? Dass ich kein Musterschüler bin?“ Wut flammte in den roten Augen auf und dies entging der Therapeutin keineswegs. „Ich möchte einfach nur die Wahrheit hören. Wie du dich fühlst. Was dich beschäftigt.“ „Hören Sie…ich bin nicht sonderlich gut darin über mich zu sprechen und-“ „Aha!!“ Enthusiastisch sprang sie auf. Dies war ein Ansatz mit dem die Schwarzhaarige umgehen konnte. Doch der 16 jährige hatte mit dieser Reaktion nun wirklich nicht gerechnet. Erschrocken zuckte er sichtbar zusammen. „Also liegt das Problem auf dieser Ebene. Es ist nicht so, dass du nicht reden willst! Du kannst es nicht, weil du schlicht und ergreifend einfach nicht weißt wie.“ Bingo! Sie hatte es erkannt und hey, damit war Dr. K. einen großen Schritt weiter als ihre stümperhaften Kollegen. Doch Kai fragte sich, was diese Erkenntnis ihr nun bringen sollte. Seine Augen verfolgten sie während die Therapeutin sich an ihren, durchaus beeindruckenden, Aktenschrank begab. Zielsicher zog sie ein Buch hervor, blätterte es kurz durch und warf es schließlich dem Silberhaarigen zu. Beinahe hätte sie ihn damit ausgeknockt. Nur dank seiner guten Reflexe schaffte er es das Buch aufzufangen. Sein Blick befasste sich aufmerksam mit dem Druckwerk. Der Einband war aus bordeauxfarbenen Leder und in goldenen Lettern war das Wort Notizen eingestanzt. Kai schlug es auf und sah irritiert zu Dr. K. „Ja es ist blanko.“ Lächelte sie und ließ sich wieder hinter ihrem Schreibtisch nieder. „In deiner Akte steht, dass du gerne schreibst und vorhin im Wartezimmer hast du auch in ein Buch gekritzelt.“ Er sah sie sprachlos an und sie war erfreut über diesen kleinen Triumph. Ihr schlanker Zeigefinger richtete sich auf ihn. „Ich möchte, dass du dieses Buch füllst.“ Durch Kais Haltung ging ein Ruck. Dr. K. analysierte automatisch seine Körpersprache und ihr war durchaus bewusst, dass der 16 jährige mit sich haderte. Ihr geschulter Blick sah, dass seine Gedanken rasten, egal wie sehr er sich bemühte es vor ihr zu verbergen. Es herrschte einen Moment Stillschweigen zwischen ihnen. Schließlich schloss der Silberhaarige das Buch und ließ es auf seinem Schoß ruhen. Seine roten Augen fixierten die Therapeutin. „Worüber soll ich schreiben?“ Sanft und ermutigend schenkte sie ihm ein Lächeln. „Was dir in den Sinn kommt. Ich möchte, dass du über die Zeit schreibst nachdem dein Bruder gestorben ist. Dabei entscheidest du selbst was du schreibst und wie detailliert. Du kannst nur Gedanken aufs Papier bringen, Gedichte oder Verse – wie du möchtest.“ Dr. K. betrachtete seinen ernsten Blick. „Nichts davon wird an das Jugendamt weiter geleitet, falls du das gerade befürchtest. Es dient lediglich dafür, dass du dir Gedanken machst und die Geschehnisse auf- und verarbeitest. Sieh es als Selbsttherapie für dich.“ Der Silberhaarige atmete durch und ließ sich durchaus Zeit mit einer Antwort. Sorgsam schätzte er Pro und Contra ab. „Na schön. Ich werde es versuchen.“ „Sehr gut.“ Die Schwarzhaarige zog ihren Planer hervor. „Nächste Woche selbe Zeit?“ Kai nickte knapp. Kurz hatte er überlegt sie zu fragen, ob er tatsächlich bis dahin über die gesamten 10 Jahre geschrieben haben musste. Doch der 16 jährige beschloss erst einmal zu schauen ob er mit der gestellten Aufgabe etwas anfangen konnte. Er verstaute das Notizbuch in seiner abgewetzten Umhängetasche. Manch einer hätte sich sicherlich schon längst eine Neue zu gelegt, doch er liebte diese Tasche und hielt den dünner werdenden Stoffmittels Patches und Buttons zusammen. Der Silberhaarige erhob sich und nickte seiner Therapeutin zu. Anschließend verließ er ihr Büro. Tropfen trommelten auf das Vordach unter dem er nun stand. Natürlich musste es regnen. Es regnete immer in solchen Momenten. //Wie klischeehaft…// Kai setzte sich seine On-Ear Kopfhörer auf und zog seine Kapuze drüber. Aus seiner Jackentasche zog er eine Packung Marlboro und klopfte sich eine Zigarette raus. Er zog sie mit den Lippen raus, wechselte die Schachtel gegen sein Feuerzeug und zündete sich die Kippe an. Der Silberhaarige zog an dieser und blies den Rauch in die Luft. Er trat in den Schauer, während er gedanklich in seine Playlist abtauchte. Life is like a boat in a bottle Try to sail you can't with no air Day by day it only gets harder Try to scream but nobody cares Sein Schlüsselbund flog in die Schale auf der Anrichte. Er schälte seine Füße aus den Chucks und seine Jacke landete auf der kleinen Sitzbank der Garderobe. Der Silberhaarige begab sich in sein Zimmer und setzte sich im Schneidersitz an den gläsernen Couchtisch. Feuerzeug, Zigaretten und das Notizbuch landeten auf diesen. „Schreiben wonach mir der Sinn steht….“ Überlegte er murmelnd und angelte einen Stift aus seiner Tasche. Kai schlug das Buch auf. When you're sad, and no one knows it I'll send you, black roses When your heart, is dark and frozen I'll send you, black roses Ten black rose //Ich soll also dieses Buch voll schreiben. Mit allem was mir einfällt bezüglich der letzten 10 Jahre… Doch wo soll ich nur anfangen? Soll ich wirklich nochmal alles vor kramen?// So wirklich gefiel Kai der Gedanke nicht. Dennoch klickte er die Mine seines Kulis raus und ließ den Stift über dem Papier schweben. Der Silberhaarige zögerte. //Zumal…alles was ich schreibe wird diese Dr. K. lesen!!!// Er verzog missmutig das Gesicht. Ihm war durchaus klar, dass seine Therapeutin der Schweigepflicht unterstand, doch über die Jahre hatte er großes Misstrauen gegenüber anderen entwickelt. Doch auf der anderen Seite stand - endlich die nervigen Therapiestunden los zu werden. //Dann eben Arschbacken zusammen kneifen und auf in den Kampf.// God Nol’ Ich weiß noch, dass ich neben dem leblosen Körper meines Bruders lag, als sich die Schiebetür öffnete und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes rein kam. Sie hatte mich angesprochen und ich hatte gesehen wie sich ihr Mund weiter bewegte, doch ihre Worte waren nie bei mir angekommen. Ich glaube, dass ich damals innerlich wusste, was da auf mich zukommen würde. Aber trotzdem war ich nicht wirklich drauf gefasst. Ich sollte sie begleiten, aber ich wollte nicht. Am Ende hat mich der Sicherheitsdienst von meinem Bruder weg gezehrt. Was mir damals dabei durch den Kopf ging? Ich glaube nicht sonderlich viel. Ich wusste nur, dass ich nicht weg wollte und dementsprechend hatte ich mich gewehrt. Die blutige Nase des menschlichen Schrankes war damals echt eine Genugtuung. Doch gebracht hatte es mir nichts, außer einen schmerzenden Ellenbogen. Die Jugendamt-Trulla und ich wurden danach definitiv keine Freunde mehr. Sie verfrachtete mich erst einmal ins Heim. Von Trauerbewältigung war da keine Spur. Mein Zimmer dort war ziemlich spartanisch. Ein Metallbett, ein alter Schrank – Schließmechanismus im Arsch und graue, kalte Wände. Ich habe geschrien und schließlich versucht zu flüchten. Rückblickend betrachtet, war das keine clevere Idee. Denn ich bekam Zimmerarrest und wurde eingeschlossen. Wie im Gefängnis bekam ich ab dem Moment meine Mahlzeiten durch eine Klappe in der Tür. Eben jene Tür war verdammt stabil. Ich weiß noch, dass ich das Essen samt Tablett und Geschirr in einem Wutanfall dagegen gepfeffert habe. Selbst mit den Scherben hab ich an dem Metall gekratzt. Gebracht hat das freilich nichts…außer blutigen Schnitten in meinen Händen. Mir ist nicht klar wie viele Tage ich in diesem Zimmer fest saß. Ich empfand es jedoch als Ewigkeit. Kai überflog nochmal seinen Text und seufzte. Die Erinnerung an das Heim war furchtbar und er rieb sich kurz die linke Schläfe. Er hoffte, dass das leichte Stechen sich nicht in Kopfschmerzen wandeln würde. Mein absoluter Tiefpunkt war, dass ich nicht zur Beerdigung durfte. Ich durfte mich nicht nochmal verabschieden. Als sie mir das offenbart hatten, brach für mich eine Welt zusammen. Erneut versuchte ich zu fliehen und schrie die Leute an. Ich hab um mich geschlagen und heute ist mir bewusst, dass die Betreuer dort völlig überfordert waren. Sogar so überfordert, dass ein Arzt anrückte und mir eine Spritze verpasste. Die schmerzte ordentlich und augenblicklich drehte sich alles. Selbst die Stimmen klangen kurz darauf hallend. Es hat sich in mein Gedächtnis gebrannt und noch heute träume ich manchmal davon. Ich träume davon, wie ich mich bewegen wollte, doch mein Körper gehorchte mir damals nicht. Ich muss zugeben, dass ich richtig Panik hatte. Jedoch haben die nichts davon mitbekommen. Wie auch!? Ich war fucking abgeschossen. Ab da verschwimmen die Tage in meiner Erinnerung und ich, glaub ich zumindest, wurde 2 Monate nach dem Tod meines Bruders 7 Jahre. Es war kein schöner Geburtstag. Wie hätte er das auch sein können? Ich hatte keinen Bezug zu den Betreuern und die hassten mich, weil ich kompliziert war. Ich saß fast nur in meinem Zimmer und rührte auch so gut wie nie das Essen an. Zum Glück gab es in dem Zimmer kein Spiegel. Ich will echt nicht wissen, wie ich damals aussah. Das Nächste woran ich mich erinnere war, dass es eines Tages an meiner Zimmertür klopfte und mir schossen ungelogen 1000 Gedanken durch den Kopf, als Sergej da in der Türe stand. Ich sprang vom Bett auf, stolperte durch die plötzliche Aktivität und fiel ihm regelrecht in die Arme, da er sich vorsorglich hingehockt hatte. Meine Stimme war sicherlich kläglich und ich glaube, dass ich auch gezittert hatte. Dennoch flehte ich ihn an mir zu helfen. So gesehen war er ja auch der Einzige, den ich noch kannte…und seine Arme, die mich festhielten… Der Silberhaarige hielt inne, wendete den Blick von dem Notizbuch ab und starrte auf die gegenüberliegende Wand. Er biss sich auf die Unterlippe und seine Finger verkrampften sich um den Kugelschreiber. In seinem Inneren brodelte es und er war nicht wirklich auf diese Reaktion vorbereitet gewesen. Er hätte nicht gedacht, dass ihn bereits der Anfang so aufwühlen würde. Die roten Augen schlossen sich einen Moment und er atmete ein paar Mal tief durch. Kai spürte in seinem Inneren genau dieselben Emotionen wie sein kindliches Ich damals. Doch anders als zu dieser Zeit, verbot er es sich zu weinen und als er seine Augen wieder öffnete, waren sie wieder klar und fokussiert. Wir saßen auf meinem Bett und Sergej erzählte mir von der Beerdigung. Er ging auf all meine Fragen ein. Wer anwesend war – natürlich die Band und ihr Manager. Fans hatten Kerzen aufgestellt, Blumen und Kränze niedergelegt und Yuriy musste gesungen haben. Bei dieser Aussage hatte ich sofort seine Stimme wieder im Kopf. Diese Stimme…. Ich weiß bis heute nicht warum ich ihn dann fragte, was nun mit der Band sei. Dafür weiß ich aber noch sehr genau, dass Sergej die Hände faltete und zu Boden sah. Der Rothaarige muss sich wohl immer weiter von den anderen beiden abgekapselt haben und kam nicht mehr wirklich zu Bandproben. Der Manager schien nicht gerade begeistert, hatte aber auch irgendwo Verständnis. Zumal für Boris damals wohl der Schulabschluss bevor stand und seine Mutter tunlichst darauf geachtet hatte, dass er sich hinter den Lernstoff klemmte. Wie lange ich mit Sergej sprach? Keine Ahnung. Ich war froh über seine Anwesenheit und schließlich nahm ich allen Mut zusammen. Ich bat ihn mich mitzunehmen und hoffte inständig mit ihm zusammen aus diesem Irrenhaus marschieren zu können. Leider schwieg er eine Weile und mir wurde bewusst, dass ich meine Hoffnung begraben konnte. Ich heulte wie ein jämmerlicher Schlosshund und Sergej strich mir über den Rücken. Dabei flüsterte er immer wieder, dass er für mich da sein würde. Ob ich ihm geglaubt habe? Klares nein. Ab dem Moment sah ich mich als verloren. Mir waren seine „Ausreden“ egal. Als Künstler hätte er wohl kein sicheres und strukturiertes Leben und damit war er für das Jugendamt ungeeignet. Solche Bürokratie interessiert doch aber kein Kind. God Odin Nachdem Sergej bei mir war und mir nicht helfen konnte, verstummte ich - wortwörtlich. Was brachte es denn zu reden, wenn niemand einem zu hörte oder sich für die Meinung eines Kindes interessierte? Gut, ich muss zugeben, dass es einen Moment gab. In einem einzigen Augenblick interessierten sich die Erwachsenen für meine Meinung. Als die uniformierten Beamten in meinem Zimmer auftauchten hätte icheventuell nicht den Entschluss des Schweigens durchziehen sollen. Ich hätte ihnen antworten können. Sie befragten mich zu dem Unfall und ich erfuhr, dass sie den Kerl geschnappt hatten. Der Kerl, der mir meinen Bruder genommen hat. Kai legte den Stift nieder. Seine Finger glitten über den Tisch zu der Schachtel. Er zog eine Zigarette raus, zündete sie an und blies den Rauch in die Luft, indem er den Kopf in den Nacken legte. //Ob der Mistkerl noch lebt?// Im Sommer war Sergej nochmal bei mir. Er sah damals müde aus. Laut dem was er mir erzählte, hatte er eine Ausbildung angefangen. Wozu hatte er mir aber nicht verraten oder ich habe es schlichtweg vergessen, da es mich zu dem Zeitpunkt auch nicht interessierte. Daher blieb ich meinem Muster treu und es zeigte Wirkung. Schließlich rückte er nach einigen Minuten, in denen ich ihn mit meinem Schweigen strafte, mit der Sprache raus. Der Grund für seinen Besuch war, dass er mir sagen wollte, dass der Mörder meines Bruders für lange Zeit hinter Gittern sitzen würde. Doch auch das interessierte mich nicht. Der Typ lebte und Kazuki brachte es mir nicht zurück. Meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte er eher bei den Geschichten, die er mir über die Band erzählte. Yuriy ließ sich weiterhin unregelmäßig bei den Proben blicken. Außerdem schien sich Sergej Sorgen um Boris zu machen. Er erzählte mir, dass er immer wieder sah, dass dieser sich Tabletten einwarf. Ich kann mich sogar nach all den Jahren noch an den Namen erinnern - Ritalin! Warum mein Kinderhirn sich das gemerkt hat? Tja keine Ahnung. Allerdings weiß ich mittlerweile wofür die wohl waren. Boris musste der Spagat zwischen Band und Schule zusetzen. Denn Ritalin war das sogenannte „Ersatz – Speed“. Ergo machte sich Sergej zurecht Gedanken. Doch das war nicht alles. Wenn sie beide zusammen musizierten, dann kam es vor, dass Boris neben dem Takt war. Immer öfters musste er sich die Schulter massieren. Ein weiterer Punkt, der damals auf Sergejs langer Sorgenliste stand, war auch, dass ihr Manager sie wohl zusammen gerufen hatte um über ihre „Zukunft“ zu reden. Ich fragte mich tatsächlich unwillkürlich, ob sie denn ohne Kazuki weiter machen würden. Er aschte in ein kleines Einwegglas, welches am Boden mit etwas Wasser gefüllt war und grübelte. Was war noch zu der Zeit passiert? Heimalltag, Schulunterricht in einen dieser Kontainergebilden. Gab es da noch etwas, worüber er schreiben könnte? Ja das gab es. Kai genehmigte sich noch einen Zug an der Kippe. Kurz darauf steckten sie mich in eine Pflegefamilie. Ob ich mich über diese Nachricht freute? Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht mehr. Was ich jedoch noch weiß ist, dass mir bis heute absolut schleierhaft ist, wo sie diese Familie ausgegraben hatten. Ihre eigenen Kinder waren deutlich älter als ich und sagen wir mal so…sie waren not amused, dass ich da war. Ein Wunder, dass ich das 3 Monate durchgehalten habe. Ich hasste Oleg und Nastja sie. Sie waren zusammen nicht intelligenter als eine 10 Watte Birne, hatten aber durchaus beträchtliches Interesse daran einen stummen Jungen zu piesacken. Sie hatten ein großartiges Talent darin mir keine Ruhe zu gönnen. Es gab keine Rückzugsmöglichkeit oder Privatsphäre. Sie beobachteten mich und ich wurde fast paranoid… Schließlich wagte ich einen „Gegenangriff“. Ich möchte nicht Preis geben, WAS ich getan habe, doch ich hatte Erfolg. Zumindest war es ein kurzer Triumph und ja damals war ich stolz darauf. Aber dieser sogenannte Triumph hatte zur Folge, dass ich wieder im Heim landete. Erschöpft trat er durch die Wohnungstür. Endlich war er daheim. Jetzt nur noch raus aus den Stiefeln und dann unter die Dusche. Sein Blick fiel auf die Garderobe. Er seufzte und griff nach der Jacke, welche dort achtlos hingeworfen worden war. Wieso konnte der 16 jährige sie nicht ein einziges Mal ordentlich aufhängen!? In diesem Punkt hatte er bei der Erziehung definitiv versagt und – und war das der Geruch von Zigarettendunst!? Das konnte jawohl nicht wahr sein!!! „KAI!!!“ Angebrüllter schreckte von seiner Niederschrift auf. //Fuck!// Kurz musste er husten und wedelte mit der Hand den ausgestoßenen Rauch weg. Kai drückte die Kippe aus und schnipste sie aus dem offenen Fenster. Er schraubte das Glas mit der Asche zu und schob es unter sein Sofa. Genau in diesem Moment flog seine Zimmertüre auf. „Verdammt, Kai! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du hier nicht rauchen sollst!? Mal abgesehen von der Tatsache, dass du überhaupt nicht qualmen sollst.“ Der Silberhaarige sah den Eindringling an und seufzte. „Wie wäre es mal mit anklopfen?“ „Vorsicht, Freundchen!“ ‚Freundchen‘ rollte mit den Augen und hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut. Kommt nie wieder vor, Sergej.“ Dieser schnaubte und verschränkte die Arme. „Wenn ich jedes Mal 'nen Rubel dafür bekommen würde, wenn du das sagst, dann –“ „…dann würdest du jetzt in der Karibik in einer Hängematte liegen.“ Kapitel 7: Ten Black Roses II ----------------------------- Rückblende: Erschöpft trat er durch die Wohnungstür. Endlich war er daheim. Jetzt nur noch raus aus den Stiefeln und dann unter die Dusche. Sein Blick fiel auf die Garderobe. Er seufzte und griff nach der Jacke, welche dort achtlos hingeworfen worden war. Wieso konnte der 16 jährige sie nicht ein einziges Mal ordentlich aufhängen!? In diesem Punkt hatte er bei der Erziehung definitiv versagt und – und war das der Geruch von Zigarettendunst!? Das konnte jawohl nicht wahr sein!!! „KAI!!!“ Angebrüllter schreckte von seiner Niederschrift auf. //Fuck!// Kurz musste er husten und wedelte mit der Hand den ausgestoßenen Rauch weg. Kai drückte die Kippe aus und schnipste sie aus dem offenen Fenster. Er schraubte das Glas mit der Asche zu und schob es unter sein Sofa. Genau in diesem Moment flog seine Zimmertüre auf. „Verdammt, Kai! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du hier nicht rauchen sollst!? Mal abgesehen von der Tatsache, dass du überhaupt nicht qualmen sollst.“ Der Silberhaarige sah den Eindringling an und seufzte. „Wie wäre es mal mit anklopfen?“ „Vorsicht, Freundchen!“ ‚Freundchen‘ rollte mit den Augen und hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut, schon gut. Kommt nie wieder vor, Sergej.“ Dieser schnaubte und verschränkte die Arme. „Wenn ich jedes Mal 'nen Rubel dafür bekommen würde, wenn du das sagst, dann –“ „…dann würdest du jetzt in der Karibik in einer Hängematte liegen.“ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Sergej ermahnte sich ruhig zu bleiben. „Warst du zur Therapie?“ „Ja, ich war brav dort und habe eine super tolle Aufgabe bekommen.“ Kais Stimme triefte vor Sarkasmus und er wedelte mit dem Notizbuch. Verblüfft nahm der Blonde es entgegen. „Haben sie dir jetzt Schulaufgaben gegeben oder sollst du einen schönen Aufsatz schreiben?“ „Na ja, so ähnlich. Ich soll über die letzten Jahre schreiben.“ Seufzend erhob sich Kai und zog das Buch aus Sergejs Fingern ehe dieser noch weiter darin blättern konnte. „Hey! Jetzt lass es mich doch erst mal lesen.“ Der Silberhaarige sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Sicher….du glaubst doch wohl nicht, dass ich dich das lesen lasse.“ „Herrje, jetzt stell dich nicht so an. Immerhin war ich fast die ganze Zeit in dieser Zeitspanne bei dir.“ „Ähm…ja…das ist dann aber auch nur deine Sicht der Dinge.“ Kai warf das Notizbuch zurück auf den Couchtisch. „Wie wäre es, wenn du dich stattdessen in die Küche schwingst und Abendessen für uns machst?“ „Dir geht’s auch zu gut, was!? Ich bin doch nicht dein Haushälter.“ empört stemmte der Hüne die Hände in die Seiten. Doch Kai grinste nur, drehte Sergej um und schob ihn aus seinem Zimmer. „Ich schätze lediglich deine fantastischen Kochkünste.“ „Von wem hast du nur diese große Klappe!?“ „Keine Ahnung….irgendwo müssen die Fruchtzwerge ja angeschlagen haben.“ Sergej wandte sich nochmal an Kai. „Ok, was möchtest du essen? Bock auf Lachs?“ „Klingt gut. Als Auflauf mit Nudeln?“ Sergej stöhnte. „Natürlich…Deluxe Essen. Du bist echt zu verwöhnt.“ Schimpfte er, jedoch zierte sein Gesicht ein Lächeln und er begab sich in die Küche. God vtoroy Mein zweites Jahr nach Kazukis Tod, möchte ich tatsächlich mit etwas Positiven beginnen. Es war mein achter Geburtstag – ich rechnete mit keinen Geschenken oder einer Party. Jedoch weiß ich noch, als wäre es gestern gewesen, dass Punkt 11:43Uhr meine Zimmertüre aufflog und Sergej mich wieder besuchte. Er umarmte mich herzlich und gratulierte mir. Ich wusste es zu schätzen, denn ich machte es ihm wirklich nicht leicht. Seit meinem Entschluss alle anzuschweigen, hatte ich mich tunlichst daran gehalten und somit auch kein Wort mehr mit Sergej gesprochen. Allerdings muss ich gestehen, dass sein Besuch sich an dem Tag anders anfühlte. Nicht nur, dass es eben mein Geburtstag war – nein. Sergej war irgendwie anders. Er wirkte wie unter Drogen aufgeregt. Ich sah ihn damals sicher auch sehr fragend an und – das muss ich Sergej lassen und hoch anrechnen – er war sehr gut darin, meine Blicke richtig zu deuten. Lächelnd und etwas nervös übergab er mir ein kleines blaues Geschenk. Ich öffnete es und ja…ich war irritiert. Was sollte ich mit einem Schlüssel!? Noch dazu war da ein Anhänger mit meinem Namen drauf. Ich glaube zu dem Zeitpunkt habe ich mir diese fragend, hochgezogene Augenbraue angewöhnt. Sergej grinste mich weiterhin an Es war echt unheimlich, dieses weiße Zahnpasta Lächeln. und die Worte, die er danach sagte – ich werde sie nie vergessen. – Komm mit mir – „ESSEN IST FERTIG!!!“ Sergejs Stimme ließ Kai inne halten und Aufsehen. „IST GUT!“ rief er zurück als Zeichen, dass er den Anderen gehört hatte. Der Silberhaarige stand auf und verstaute das Notizbuch wieder in seiner Tasche. Wenn er es offen herum liegen lassen würde – so war er sich sicher – würde es den Blonden nur dazu veranlassen zu schnüffeln. Kai verließ sein Zimmer, durchschritt den Flur und folgte dem köstlichen Duft des Lachs-Nudel-Auflaufes. „Riecht köstlich.“ Damit schnappte Kai sich das Geschirr von der Arbeitsfläche und deckte den Tisch. „Danke. Aber probier lieber erst.“ Die Auflaufform landete auf dem Untersetzter. „Ach was. Da du nicht frisch verknallt bist, wirst du nicht zu viel Salz genommen haben.“ „Herr Gott, wie lange willst du mir das noch vorhalten? Einmal… Das war ein einziges Mal!“ Sergej nahm Kai gegenüber an dem kleinen Küchentisch Platz und eben jener grinste. „Mag sein…aber da war ich 12 und es hat so unglaublich scheußlich geschmeckt. Das hat sich nun mal eingebrannt.“ Murrend verteilte Sergej das Abendessen und sie aßen eine Weile schweigend. „Sowas schreibst du aber nicht in dein Buch, oder?“ Kai hielt mit der Portion auf seiner Gabel kurz vor seinem Mund inne und sah auf. Aufrichtige Besorgnis lag in Sergejs Stimme. „Machst du dir noch immer Sorgen, dass du dich nicht gescheit um mich kümmerst?“ Der Blonde seufzte und Kai legte die Gabel nieder. Ernst sah er sein Gegenüber an. „Sergej…ich weiß selbst, dass du es weiß Gott nicht einfach mit mir hast. Aber ich sag es jetzt nochmal und wenn du willst sage ich es wieder und wieder. Du bist großartig. Ich meine du kümmerst dich seit über 8 Jahren um mich und mir fehlt es an nichts - Abgesehen von Weitblick in manchen Situationen doch lieber die Klappe zu halten wohingegen ich in anderen Situationen lieber was sagen sollte, statt zu schweigen. Aber das hat ja nix mit dir zu tun. Worauf ich hinaus will: Du hast meinem Bruder ein Versprechen gegeben, dich um mich zu kümmern und dieses Versprechen hast du erfüllt. Mehr noch…ich kann bei dir ich selbst sein. Du bist für mich da und wann immer ich Schwierigkeiten habe, kann ich zu dir kommen. Also egal was ich da in dieses Buch schreibe – es gibt nichts wofür du dich schämen oder rechtfertigen müsstest.“ Damit nahm der Silberhaarige seine Gabel wieder auf und fuhr mit dem Essen fort. Sergej hingegen stand die Rührung ins Gesicht geschrieben und er war dankbar, dass der Teenager ihn diesbezüglich nicht aufzog. Doch er hatte sich zu früh gefreut. „Wobei…“ Kai schluckte noch ein Stück Lachs runter „….ich kann bis heute nicht fassen, dass Boris dir zwei Jahre nach Kazukis Tod, an dessen Grab, seine Liebe gestanden hat und du ihn eiskalt abblitzen lassen hast. Dafür könntest du dich wirklich schämen.“ Dem Älteren klappte die Kinnlade herunter. Ja, der Silberhaarige sollte in manchen Situationen wirklich besser die Klappe halten. Empört räusperte Sergej sich. „Ich hab ihn nicht eiskalt abblitzen lassen. Es war halt…nur…also...“ „Ja? Ich bin ganz Ohr!“ Abwartend ruhten die roten Augen auf Sergej, während Kai seelenruhig weiter aß. Oh man, wie sollte Sergej ihm das jetzt erklären? Ging es den Jüngeren überhaupt etwas an? Nicht das er am Ende genau das noch in sein Büchlein schrieb. Zutrauen würde es Sergej ihm auf jeden Fall. „Schwör‘, dass das nicht in deinem Buch landet.“ Nicht in der Lage mit vollem Mund zu sprechen, hob Kai seine freie Hand. Der Blonde seufzte. „Ich hatte damals schon eine Weile das Gefühl, dass Boris auf mich stand und eigentlich hatte ich gehofft, dass es nur eine kleine Schwärmerei ist. Aber-“ „War’s aber nicht, oder?“ „Nein! Jedenfalls hat er es mir gestanden, nachdem wir uns damals an Kazu’s Grab zu dritt getroffen hatten, Yuriy seinen Ausstieg bekannt gab und dann verduftet ist.“ „Und du hast ihn nicht eiskalt abblitzen lassen?“ fragend sah der Jüngere sein gegenüber an und nahm sich noch eine Portion. „Eiskalt nicht, aber ich hab ihm gesagt, dass ich seine Gefühle nicht erwidern kann.“ „Gnadenlos!“ Sergej funkelte Kai kurz böse an und aß selbst eine Gabel voll vom Auflauf, ehe er fortfuhr. „Ich mochte Boris durchaus und ja – ich hab es an deinem Blick gesehen – Boris war schon attraktiv. Aber wie du ja weißt, ist mein Liebesleben jetzt nicht sehr stabil und-“ Kai prustete und verschluckte sich fast an seinem Essen. Als er sich nach einem kurzen Hustenanfall wieder im Griff hatte, sah er seinen ‘Ziehvater‘ skeptisch an. „Stabil!? Ich bitte dich. Du wechselst deine Partner, wie manch anderer seine Unterwäsche.“ Der Blonde zeigte mit der Gabel auf Kai. „Vorsicht, du Dreikäsehoch!“ Doch dieser Dreikäsehoch nahm die Drohung nicht ernst und fixierte mit seinem Blick, Sergejs Teller. Dieser folgte dem Blick und legte schützend seinen Arm vor seinen Teller. „Vergiss es! Das ist meine Portion. Manchmal frage ich mich wo du das alles hinfrisst!“ Der Silberhaarige zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück. „Zurück zu Boris.“ Der Ältere seufzte, aß seine Portion sicherheitshalber auf, legte im Anschluss sein Besteck nieder und faltete die Hände. „Vielleicht mochte ich ihn auch etwas mehr. Doch genau deswegen konnte ich keine Beziehung mit ihm eingehen. Ich glaube nicht, dass ich treu gewesen wäre und sowas ist nun mal Gift für eine Beziehung.“ „Verstehe…“ Kai erhob sich und begann den Tisch abzuräumen. Erstaunt lagen die blauen Augen Sergejs auf dem 16jährigen. „Ach echt?“ „Jupp, du warst einfach schlichtweg feige und hattest keinen Bock auf Drama.“ Sprachlos sah Sergej den Jungen an. Manchmal zweifelte er daran, dass dieser nicht in der Lage sein sollte über sich und seine Gefühle zu sprechen, wohingegen der Silberhaarige andere mit seinen Worten durchaus niederstrecken konnte. „Ich geh dann auf mein Zimmer und schreib mal weiter. Danke fürs Abendessen.“ Damit war der 16jährige auch schon aus der Küche verschwunden. Der Blonde sah vom Türrahmen, aus welchem Kai soeben spaziert war zurück zur Arbeitsfläche und er stockte. „HEY UND DER ABWASCH!?“ brüllte er dem Teenager hinterher. Doch dieser grinste nur und schlug die Tür, gewollt lauter, zu. Sergej sank auf dem Stuhl ein paar Zentimeter tiefer und tadelte sich selbst. „Du bist viel zu weich, was die Erziehung angeht.“ Ich hatte keine 10 Minuten gebraucht um all meine Sachen zusammen zu suchen und abreisebereit bei Sergej am Auto zu stehen. Insgeheim frage ich mich, wer glücklicher war. Ich, der nun endlich aus diesem Heim kam oder die Betreuer die mich endlich los waren!? Na ja, egal. Jedenfalls fuhren wir aber nicht sofort zu Sergej nach Hause. Nach einer knappen Viertelstunde parkte er sein Auto vor dem Friedhof und ich sah ihn aus einer Mischung aus Schock und Dankbarkeit an. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt noch nie an Kazukis Grab und ich bin Sergej bis heute unglaublich dankbar, dass er mich als Erstes dorthin gefahren hatte. Ich stand vor dem Grab – ein wirklich schönes Grab, schlichter schwarzer Mamorstein mit silberner Innenschrift, weißen Steinen auf dem ‚Beet‘ und eine kleine Fläche die mit Pinienrindenmulch versehen war und einigen kleinen Pflanzen – und spürte die Leere, die Kazukis Tod hinterlassen hatte. Ich konnte in diesem Moment nicht weinen. Es ging nicht. Da war keine Trauer in mir. Nur diese gottverdammte Leere, sodass ich mich im Schneidersitz vor das Grab setzte um wenigsten den Boden zu spüren. Mein Blick war auf den Mamorstein und dessen Innenschrift gerichtet. In Filigraner russischen Schrift war der Name meines Bruders eingraviert, sowie sein Geburts- und Sterbedatum. Nichts weiter und ich musste zugeben, dass jedes weitere Wort zu viel gewesen wäre. Wie lange ich dort saß, weiß ich nicht. Irgendwann legte Sergej die Hand auf meine Schulter und meinte, dass es Zeit wird zu gehen und er versprach mir, dass ich immer hierher kommen könnte und das tat ich auch – sehr oft. Kai legte den Stift zur Seite und massierte sich seine Schläfen. Bei dem Gedanken an Kazukis Grab, verschwamm sein Sichtfeld. Selbst jetzt noch, nach so langer Zeit vermisste er seinen Bruder und er fragte sich, ob dieses Gefühl jemals nachlassen würde. Sein Blick glitt durch sein Zimmer und er erhob sich. Er steuerte auf seine Musikanlage zu und schaltete sie ein. Musik machte einfach alles besser und so schloss er für einen Moment die Augen, ließ die Melodie auf sich wirken. Through the glass you see the same faces Hear their voices fade like a drum When your life's a boat in a bottle You're surrounded drifting alone Don't leave me now Stay another day With me Die Drums setzten ein und Kai öffnete die Augen. Doch seine Gedanken blieben bei den Drums und schwenkten zurück zu dem Gespräch in der Küche. Kai hatte versprochen nichts über das Liebesgeständnis seitens Boris zu schreiben, doch er hatte das Bedürfnis die nächsten Zeilen in seinem Buch eben jener Person zu widmen. So konnte er auch wieder etwas Abstand zu seiner eigenen Geschichte gewinnen – zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Daher ließ er die Musik weiter im Hintergrund laufen und schrieb fleißig weiter Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Satz für Satz, Zeile für Zeile… Meine Welt stabilisierte sich etwas und auch wenn ich noch einige Schwierigkeiten hatte mich in der Schule einzuleben, so kam ich halbwegs klar. Natürlich gab es auch da wieder Mitschüler die sich über mich lustig machten, dass ich nicht sprach… Doch genug von Hänseleien und Lehrern, deren Latein am Ende war. Dank denen hat mich Sergej schließlich in Therapie gesteckt, Idiot. ………………………………………………… Ja ok, er hat es ja nur gut gemeint und ich bin auch nicht sauer auf ihn, deswegen. Sergej wollte mir nur helfen und ich glaube er war auch der Einzige dem ich nicht egal war oder der mich nicht nur als Klotz am Bein sah. Außerdem nahm das Jugendamt es ja dankbar auf, dass er sich diesbezüglich ebenfalls um mich kümmerte. Kümmern ist da auch das richtige Stichwort. Ich finde ja, dass Sergej so etwas wie Mutter Theresa ist. Nicht nur im Bezug auf mich….nein auch bezüglich der Band. Ich hab ja schon erwähnt, dass er sich Sorgen um Boris machte: Ritalin…Schulterschmerzen…. Ja Boris ging es nicht gut. So viel ich weiß, hatte sich dessen Schulter ordentlich entzündet und Sergej schleppte ihn persönlich zum Arzt. Was dabei herauskam? Tja…es war Schonung angesagt und das schmeckte Boris wohl überhaupt nicht. Denn nicht nur, dass Yuriy nicht wirklich auftauchte, nun konnten sie (Sergej & Boris) gar nicht miteinander musizieren. Es dauerte wohl auch nicht lange und die Band kam an Kazukis Todestag am Grab zusammen – ein letztes Mal. Yuriy war nun wohl volljährig, Boris siebzehn und Sergej… joa, der hatte ja sogesehen mich an der Backe einundzwanzig. Soviel wie ich von Sergej weiß, sprachen sie wohl grob über ihre Zukunftspläne. Boris hatte sich dazu durchgerungen seine Schulter demnächst operieren zu lassen und war (glücklicherweise) ziemlich unproblematisch von Ritalin los gekommen. Sergej wollte sich weiter seiner Lehre widmen und Yuriy… Kai hielt inne. //Yuriy…// Er konnte es sich einfach nicht erklären. Wann immer seine Gedanken in die Richtung des Rothaarigen drifteten war er angespannt und sein Puls beschleunigte sich. War es, weil er mittlerweile wusste, dass dieser mit seinem Bruder eine Beziehung gehabt hatte? Nein, das konnte es nicht sein. Zwar war Homosexualität in Russland nicht direkt verboten, aber es wurde regelrecht tabutisiert. Jedoch hatte der Silberhaarige nichts gegen gleichgeschlechtliche Liebe. Immerhin hatte die Liebe seines Bruders zu einem Mann, nichts an dessen tollen Charakter geändert und auch Sergej, dem ja regelrecht egal war was er – so in Kais Augen – nagelte, war ansonsten eigentlich ziemlich normal. Zudem hatte er selbst sich diesbezüglich schon mal ausprobiert. Was war es also!? Kai wusste es einfach nicht. …der wollte das Land verlassen, nach Frankreich ziehen. God tri Was mich betrifft…ich glaube, dass ich nach langer Zeit endlich wieder so etwas wie einen Alltag hatte. Sergej lernte zwar viel, arbeite und wollte seinen KfZ – Meister machen. Dennoch nahm er sich auch viel Zeit für mich. Er half mir bei den Hausaufgaben, begleitete mich jeden Morgen zur Schule und wenn ich mittags Heim kam, dann wartete immer mein Essen in der Mikrowelle. Einmal die Woche musste ich zur Therapie. Aber wir, ja ich meine Sie, Dr. K wissen ja was diese zu dem Zeitpunkt gebracht haben – nichts und wann immer ich wollte, besuchte er mit mir zusammen Kazukis Grab. Wenn wir dort waren, saßen wir oft nebeneinander vor dem Grab. Irgendwann hatte Sergej dann begonnen, und ich bin mir nicht sicher wem die Worte galten, über die anderen zu sprechen. Von Yuriy hatte er meistens nichts zu berichten. Er wusste nur, dass dieser bei jemandem namens Olivier untergekommen war. Tja und Boris!? Der hatte seine Schulteroperation augenscheinlich gut überstanden und war dann zur Reha gegangen. Doch die Vergangenheit schien ihn dort einzuholen. War es früher das Ritalin, von dem er abhängig gewesen war, so waren es nun Schmerzmittel und anscheinend, konnte er diese Sucht nicht so schnell überwinden. Alle Details habe ich mir freilich nicht gemerkt, aber Sergej erzählte oft von Boris Problemen und ich vermute, dass die Worte sicher Kazu galten. Schließlich warf seine Mutter ihn damals raus, nachdem er ihr Geld gestohlen hatte, um auf dem Schwarzmarkt an schmerzmittelähnliche Substanzen zu kommen. Bis heute könnte Sergej sich in den Ar*** beißen, dass er damals keine Zeit hatte, als Boris ihn hilfesuchend anrief. Na ja…er war wenigstens damals ans Telefon gegangen. Der Dritte im Bunde, war ja abgetaucht. Jedenfalls war Boris letzter Ausweg wohl ihr damaliger Manager und der besorgte Boris Arbeit und das jetzt nicht beim Bäcker um die Ecke oder so. Nope, in J.A.P.A.N!!!! Damit war die Band auf 3 verschiedene Länder zerstreut. Aber der Hammer kommt ja noch. Boris wurde nicht nur der neue Drummer von so einem kleinen verzogenen Mädchen mit grünlich….bläulich…türkisen!? Haaren…deren Band in Japan ziemlich angesagt war – er wurde ihr Freund und kurz darauf gab es die Schlagzeile schlechthin. Boris Kuznetsov war der Verlobte des japanischen Popsternchens MingMing. Kapitel 8: Ten Black Roses III ------------------------------ Rückblende: Jedenfalls war Boris letzter Ausweg wohl ihr damaliger Manager und der besorgte Boris Arbeit und das jetzt nicht beim Bäcker um die Ecke oder so. Nope, in J.A.P.A.N!!!! Damit war die Band auf 3 verschiedene Länder zerstreut. Aber der Hammer kommt ja noch. Boris wurde nicht nur der neue Drummer von so einem kleinen verzogenen Mädchen mit grünlich….bläulich…türkisen!? Haaren…deren Band in Japan ziemlich angesagt war – er wurde ihr Freund und kurz darauf gab es die Schlagzeile schlechthin. Boris Kuznetsov war der Verlobte des japanischen Popsternchens MingMing. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Endlich ertönte die Pausenglocke und der Silberhaarige verließ binnen weniger Minuten das Schulgebäude. Die nächste Stunde würde ausfallen und da kein Ersatz seitens der Lehrer zur Verfügung stand, kam Kai in den Genuss einer Freistunde. Er hatte dafür auch schon genau das richtige Plätzchen im Auge. Seine Schritte führten ihn zu der alten Eiche, welche mittig auf dem Schulhof empor ragte und Schatten spendete. Schatten war definitiv nötig. Es versprach sehr warm zu werden, denn in dem Schulgebäude war es bereits sehr stickig und die Sonne gab ihr Bestes die Gehwegplatten zu erhitzen. Bei der alten Eiche angekommen, warf Kai seine Schultasche auf den untersten Ast, ehe er sich dann selbst auf diesen schwang. Er lehnte sich mit den Rücken an den breiten Stamm des Baumes, legte das Notizbuch gegen seine angewinkelten Beine und fuhr mit seinen Einträgen fort. God Chetvertyy Zwischen dem dritten und vierten Jahr nach Kazukis Tod, habe ich mit dem Schreiben begonnen. Eigentlich war es Sergejs Idee. Es begann damit, dass ich ihm aufschreiben sollte, wenn ich etwas Bestimmtes haben wollte und er es vom Einkauf mitbringen sollte. Irgendwann fing ich an ihm kleine Zettel zu hinterlassen, wie: „Bin an Kazukis Grab“ oder „Mittagessen war köstlich – mache jetzt Hausaufgaben“. Es hat sich verselbstständigt und mit der Zeit kritzelte ich Wörter, die mir einfach in den Sinn kamen, an den Rand meiner Schulhefte oder Blöcke. Ich weiß noch, wie Sergej einmal mit mir schimpfte weil ich in mein Mathebuch „Untergang“ schrieb. Ab dem Moment hatte ich eigentlich immer ein Notizheft bei mir. Aus einzelnen Wörtern, wurden Verse und über die Jahre…bis heute…wurden es sogar ganze Songtexte. Doch zurück zu dem 4. Jahr und da geht es erst einmal mit Sergej weiter. Er hatte tatsächlich seinen Meister geschafft – nicht das ich daran gezweifelt hätte, doch er selbst wohl schon. Jedenfalls feierten wir das mit Sushi!!! Keine Ahnung wo er das aufgetrieben hatte, doch es war sehr lecker…und ich bekam Bauchschmerzen, da ich viel zu viel davon gegessen hatte…aber es war toll! So ausgelassen war er selten. Rückblickend betrachtet könnte dies aber auch am Vodka gelegen haben. Natürlich gab es für mich keinen Alkohol, liebe Dr. K. Na ja und da er sich viel Geld zur Seite gelegt und gespart hatte, konnte er seine eigene kleine Werkstatt aufmachen und ja es lief gut. Die kleine Werkstatt hat bis heute einen kleinen festen Kundenkreis und Sergej geht in seiner Arbeit richtig auf. Ich habe ihn damals oft nach der Schule besucht und an richtig heißen Tagen, gab er mir etwas Kleingeld und ich zog los und holte uns Eis. Vermutlich erhoffte sich Sergej damals, dass ich dadurch gezwungen war zu reden, aber…na ja...meine Sturheit und hey es gab immerhin Bilder auf die man zeigen konnte, welche Sorte man wollte und egal welche ausgefallenen Sorten Sergej sich wünschte, ich konnte ja die Schrift unter den Bildern lesen – ja ok, ich gebe zu, dass es mir Spaß machte ‚schlauer‘ zu sein. Ein Lächeln huschte über Kais Gesicht bei dem Gedanken an die Eisdielentage und wie er Sergej ausgetrickst hatte. Es tat gut sich auch an diese schönen Dinge zu erinnern. Eines Tages ist mir in einer der Ecken der Werkstatt, dann etwas Abgedecktes aufgefallen. Ich fragte Sergej danach und er wurde etwas blass um die Nase. Er wollte mir nicht verraten, was genau sich darunter verbarg und verbot mir sogar regelrecht nachzusehen. Wahrscheinlich denken Sie, Dr. K jetzt, dass ich dennoch drunter gesehen habe – habe ich aber nicht! Denn auch als mittlerweile 10jähriger kann man ja mal Dinge akzeptieren. Heute weiß ich aber natürlich was es war. Es war Kazukis Honda. Sergej hatte sie damals von der Polizei entgegen genommen, als der Fall abgeschlossen war und so gesehen, war diese Honda ja mein Erbe. Ich bin Sergej wirklich dankbar, dass er sie nicht entsorgen lassen hat. Weniger toll in diesem Jahr, war dann der Herbst. Es war ein ziemlich stürmischer Tag und ich saß in der Klasse – wir hatten gerade Geschichte und ich fand (damals schon) die ganze Geschichte um Zar Nikolaus Alexandrowitsch Romanow sehr spannend – tragisch und schockierend – aber definitiv spannend… Doch an diesem Tag, hatte ich nicht den Willen dem Unterricht zu folgen. Mir war heiß und kalt zu gleich. Ich hatte das Gefühl, dass meine Gelenke verbrennen würden und so sank mein Kopf irgendwann auf die Tischplatte, welche sich herrlich kühl anfühlte. Unser Lehrer ermahnte mich nach einer Weile und als ich nicht wirklich etwas an meiner Haltung veränderte, sprudelte ein Schwall an Empörung, verletzter Autorität und was weiß ich nicht noch alles auf mich ein. Er kam näher und knallte das 1m Lineal mit voller Wucht auf meinen Tisch. Ich glaube er dachte, dass ich pennen würde. Dementsprechend war der Knall höllisch laut. Aber mein Körper bewegte sich nicht. In dem Moment wurde wohl auch meinem Lehrer klar, dass ich keineswegs einen Anflug von aufmüpfigen Verhalten an den Tag legte. Er schnappte mich und trug mich ins Sekretariat. Dort legte er mich in den alten grauen Sessel und ich musste tatsächlich eingeschlafen sein. Denn als ich wieder zu mir kam, legte mich Sergej gerade auf den Rücksitz seines Wagens. Ich habe echt nicht mitbekommen, wie er mich abgeholt hat. Daheim angekommen half er mir mich auszuziehen, denn ich bekam es nicht gebacken und er steckte mich samt Wärmflasche ins Bett. Mir war so elend. Lediglich der ekelhafte Tee schaffte etwas Linderung und ich schlief, begraben unter meiner, Sergejs und der Sofadecke, ein. Ich musste auch den restlichen Tag geschlafen haben und abends gab es Hühnersuppe. Warum ich das noch so genau weiß!? Tja, hätte ich gewusst, dass die mich dann die ganze Nacht immer und immer wieder heimsuchen würde…ich hätte sie nicht zu mir genommen. Die Nacht über sollte ich dann bei Sergej schlafen und das klappte auch ziemlich gut - bis diese Hühnersuppe zurück kam. Ich würgte und ehe ich realisiert hatte, dass ich mich übergeben muss, hatte Sergej mich bereits aus dem Bett gehoben und ins Badezimmer geschleppt. Das war damals eine Punktlandung. Denn wie der Klodeckel aufging, übergab ich mich im Schwall….immer und immer wieder… Wenn sich sterben so anfühlt…dann gute Nacht… Ich konnte wirklich nicht mehr. Ich zitterte, übergab mich fast aller 5 Minuten…und Sergej gingen die Ideen aus bzw. er hatte wirklich Angst um mich. Ich behielt ja auch nichts drin und wurde immer schwächer. Daher wollte er mich schon ins Krankenhaus bringen, doch ich schüttelte immer wieder den Kopf. Allein der Gedanke an eine Klinik ließ mich bei Bewusstsein bleiben. Schließlich zog Sergej sich und mich bis auf die Boxer aus und stieg mit mir in die Wanne. Er ließ warmes Wasser ein und meinte, wenn ich mich übergeben müsste, sollte ich es einfach tun. An dieser Stelle spare ich mir die Details und glücklicherweise ging es mir dann am nächsten Morgen etwas besser. Sergej duschte mich ab und zog mir einen frischen Schlafanzug an. Danach saß ich eingekuschelt in eine Decke auf dem Sofa und schlürfte Tee. In der Glotze lief Aladdin und irgendwann kam auch Sergej frisch geduscht und setzte sich zu mir. Seine Augenringe waren tief und er tat mir unglaublich leid. Daher rutschte ich an ihn heran und kuschelte mich an ihn. Sergej legte damals seinen Arm um mich und ich muss gestehen…ich fühlte mich geborgen. Vermutlich war das auch der Grund für das Folgende. Denn ich brach mein Schweigen und flüsterte ein „Danke“. Ich war mir erst nicht sicher, ob er es gehört hatte, denn meine Stimme war unglaublich leise und heiser bei diesem Wort, aber er hatte es zum Glück vernommen. Er drückte mich mehr an sich und antwortete mit einem „Gern geschehen.“ Mit einem Schoko-Mikadostäbchen im Mund, frisch geduscht und nur in Boxer und Shirt begleitet, saß Kai im Schneidersitz im Wohnzimmer. Er brütete gerade über seinen Hausaufgaben, als Sergej Heim kam. „Bin wieder daheim~“ rief dieser und hielt auf Höhe der Garderobe inne. „Ach man, Kai! Deine Jacke!!!“ „Liegt auf der Sitzfläche!“ „Ja eben!!!! Die kann man aufhängen!“ Der blonde Russe kam ins Wohnzimmer und sein Gesprächspartner sah auf, das Mikadostäbchen in den Mund saugend und hinterschluckend. „Tatsächlich? Ist das so?“ Der blonde Russe ließ seinen Blick über Kais entblößte Arme gleiten und seufzte innerlich. Von den Narben auf dem linken Arm sah man nicht mehr viel. Dies war auch nicht verwunderlich, denn der Silberhaarige hatte sich vor ca. 2 Monaten ein beachtliches Tattoo stechen lassen. Anscheinend, war es nun vollkommen abgeheilt. „Na warte!!!“ Diabolisch grinsend ging Sergej auf den Jüngeren zu „Wage es ja nicht!“ und legte seine, mit Schmiere verdreckten Hände an dessen Wangen. „ALTER!!!!!“ brüllte der Silberhaarige und wand sich aus den großen Händen. Jedoch war das Übel schon angerichtet und Kai war sichtlich angepisst über dieses Makeover. „Mensch, ich war grade erst duschen.“ „Ach du Armer...“ heuchelte Sergej grinsend und erntete einen giftigen Blick. „Bin dann mal duschen. Machst du Abendessen?“ „Ich!?“ irritiert sah Kai zu dem Blonden während er mit einem Taschentuch versuchte die Schmiere zu entfernen. „Ähm ja!? Oder siehst du hier noch jemanden?“ „Witzig…wahnsinnig witzig… Aber ja…kann ich machen.“ „Danke, dir.“ Und damit war Sergej verschwunden. Der 16jährige hingegen begab sich in die Küche und öffnete den Kühlschrank. Er zog das Hackfleisch aus dem Kühlschrank, die Crème fraîche, den Schmelzkäse und 3 Stangen Lauch. Mit geübten Handgriffen köchelte kurz darauf die Suppe auf kleiner Flamme vor sich hin und der Tisch war gedeckt. Ein Blick auf die große Uhr verriet dem Silberhaarigen, dass er wohl noch 10 Minuten hatte, ehe Sergej aus dem Bad kam. Genug Zeit um noch ein bisschen an seiner therapeutischen Aufgabe zu schreiben. Nach dieser Magen-Darm-Geschichte bemühte ich mich auch wieder um verbale Kommunikation. Meine Zunge fühlte sich in diesem Zeitraum sehr schwerfällig an und es dauerte auch bis meine Stimme halbwegs stabil war. Doch ich glaube, am meisten freute sich Sergej über diesen Fortschritt. Übrigens ließ kurz darauf auch Yuriy etwas von sich hören und nein er rief nicht urplötzlich bei Sergej an. Aber er brachte in Frankreich ein Soloalbum heraus und ich wusste, dass ich es unbedingt hören wollte. „Das riecht richtig lecker.“ Kai sah auf und klappte das Notizbuch zu. „Dann lass uns essen.“ Sie setzten sich beide und der 16jährige verteilte die Hack-Käse-Lauchsuppe. Sergejs Blick fiel wieder auf das Notizbuch. „Du scheinst die Aufgabe ziemlich ernst zu nehmen, oder?“ Kai nickte. „Ja es macht unerwarteter Weise sogar Spaß.“ Er sah Sergej an. „Ich habe über diese ekelhafte Magen-Darm-Grippe geschrieben.“ Die Augen des Blonden weiteten sich. „Ernsthaft?! Boah allein bei dem Gedanken…das war schon ekelhaft…deine Kotze überall…“ Kai verzog angeekelt das Gesicht. „So ins Detail bin ich nicht gegangen. Es ging eher darum, dass ich dir…na ja…“ Kai rang mit den Worten und Sergej sah ihn gelassen an. Er wusste, dass es dem Jüngeren schwer viel. Der Silberhaarige atmete durch und sah fest in die blauen Augen. „Dieses Danke damals, war so viel mehr als ich es je in Worte hätte fassen können.“ Ein Lächeln breitete sich über Sergejs Gesicht. „Das weiß ich, Kai. Ich muss gestehen, dass damals ein Ruck durch mich ging, als ich dein leises ‚Danke‘ gehört habe. Zuerst dachte ich, dass ich es mir eingebildet habe. Aber als mir klar wurde, dass du mir – verbal – gedankt hast…ich war gerührt und hatte auch Tränen in den Augen.“ Jetzt war es an Kai zu schmunzeln. Mit diesem Geständnis hatte er nicht gerechnet. „Du bist halt ein großer Teddybär.“ Damit setzten sie ihr Abendessen fort. Doch Sergej kam nicht um den Gedanken herum, dass Kai seinem Bruder – in manchen Situationen – immer ähnlicher wurde. When you're sad, and no one knows it I'll send you, black roses When your heart, is dark and frozen I'll send you, black roses Pyatyy God Was will man als frischer Teenie nicht hören?! Genau – wie die eigenen Eltern miteinander schlafen. Nun in diesen Genuss komme ich freilich nicht, aber dann ist da Sergej und ja der poppt viel und oft gibt es da auch Betthäschen die nicht gerade leise sind. Mir ging das so dermaßen auf den Nerv. Ich meine…da verändert sich der eigene Körper. Man weiß nicht genau, was jetzt mit einem los ist UND DANN FICKT schläft der da mit anderen nebenan… Immerhin hatte er so viel Taktgefühl, dass ich die zu 99% nicht zu Gesicht bekam. Lediglich ein Mal kreuzten sich die Wege und an der Stelle wirkte eher Sergej wie der ertappte Teenager. Denn sein ‚Date‘ war gerade dabei sich –anziehenderweise – aus der Wohnung zu schleichen und ich gehe stark davon aus, dass mein ‚Ziehvater‘ nicht gerade jedem auf die Nase band, dass er sich um einen 11jährigen kümmerte. Dementsprechend geschockt wurde ich angesehen. Das folgende Drama hingegen fand ich witzig. Sergejs Betthäschen machte ihm eine Szene und kam definitiv nicht mit meiner Anwesenheit klar. Denn er ging davon aus, dass es wohl noch eine Partnerin geben musste, mit welcher Sergej mich ja bekommen haben müsste. Dies zeigte aber auch wieder, dass der Betthüpfer nicht viel Hirn besaß. Sergej war immerhin 24 und ich 11… Ich weiß Ausnahmen bestätigen die Regel…aber gut… Gut, mein Kommentar zu der Meerschweinchenstimme beim Sex war vielleicht auch nicht so hilfreich und Sergej hätte mir in diesem Moment wohl am liebsten lebenslang Hausarrest gegeben, aber das Betthäschen machte auf dem Absatz kehrt und man sah ihn nie wieder – Problem gelöst. Im Sommer stand erneut ein Schulwechsel an und nein…es lag nicht an meinem Verhalten. Ich wollte aufs Gymnasium für Musik und zu diesem Anlass schenkte mir Sergej etwas unglaublich wertvolles. Andere bekamen nochmal eine Minizuckertüte, aber ich – ich bekam Kazukis E-Gitarre. Ich hielt sie so vorsichtig, als würde sie jeden Moment zerbrechen und ich.habe.geflennt!!!! Sergej dachte erst, dass er mit diesem Geschenk voll ins Klo gegriffen hatte, aber ich schüttelte den Kopf und drückte die Gitarre an mich. Das war definitiv ein wertvolles Geschenk und ich hätte zu gern meine Freude darüber in die Welt hinaus geschrien. Aber das konnte ich nicht und so stellte ich die Gitarre, samt Ständer erst einmal in mein Zimmer und machte mich auf den Weg in die neue Schule. An und für sich war dieses Gymnasium wie jedes andere. Mathe, Geschichte, Chemie…die gleichen ätzenden Fächer. Doch dann gab es noch Fächer wie Instrumentenlehre, Musikgeschichte und, und, und… Selbst eine Werkstatt, in welcher man lernte wie man Instrumente herstellte, war vorhanden und genau die brachte mich auf eine Idee. Diese Eingebung verfolgte mich den ganzen Tag und so saß ich abends vor Kazukis Gitarre und musterte sie überlegend. In mein Notizbuch schrieb ich alles, was mir durch den Kopf ging und so verstaute ich am nächsten Morgen die Gitarre in der Tasche, verfrachtete sie auf meinen Rücken und verließ 2 Stunden vor der der ersten Unterrichtsstunde das Haus. Man hätte Sergejs entsetztes Gesicht fotografieren sollen. Tja…was soll ich sagen…von Kazukis Gitarre ist nicht mehr so viel übrig. Ich hab sie keineswegs zerstört…um Gottes Willen….das käme mir nie in den Sinn. Aber ich habe sie ‚zurück gebaut‘. Das bedeutete: Saiten entfernen, den Handgriff abmontieren, den Lack entfernen – der schöne metallic blue Lack. Schließlich war nur noch der Korpus übrig und diesen begann ich zu überholen. Kanten schleifen, vorher kleine Dellen aufbügeln…frischer Lack drauf – dunkelrot…mit Flammen. Danach entschied mich dafür die Schraubhals-Konstruktion bei zu behalten, indem ich den Gitarrenhals wieder an den Korpus anschraubte. Dies sorgte für eine verbesserte perkussive Tonartikulation. Auch den Hals lackierte ich dunkelrot und nach 3 Wochen Arbeit, war das gute Stück so gut wie fertig. Fehlte nur noch eine kleine Sache – die Saiten. Zwar hatte ich noch die ursprünglichen Saiten, aber ich hatte den Hals verändert und ich würde somit nur noch 4 Saiten benötigen. Daher führte mein Weg mich nach der Schule in den hiesigen Musikladen. Schnell wurde ich dort auch fündig und gerade als ich den Laden verlassen wollte, fiel mir eine CD ins Auge. Ich hielt inne und zog sie aus dem Regal. Diese eisig klaren Augen und das feuerrote Haar. Es musste einen ja regelrecht anspringen. Ich drehte die CD um und las mir die Trackliste durch. Neben englischen Titeln, gab es auch zwei französische und bei einem eben jener hieß es: ‚feat. Olivier‘. War das der Typ bei dem Yuriy, laut Sergej, untergekommen war?! Shestoy God Jahr 5 und 6 nach Kazukis Tod gingen eigentlich ziemlich fließend ineinander über. Ich hatte ja die CD gekauft und zuhause angekommen legte ich diese in meine Musikanlage und wandte mich Kazukis ehemaliger Gitarre zu. Ich beschloss die Saiten sofort aufzuziehen um Sergej später meine Arbeit zu zeigen. Doch bei der dritten Saite hielt ich inne. Es lief bereits der 2. Track der CD und ich lauschte angestrengt der Stimme. Irgendwas war anders. Ich erhob mich und stand mit verschränkten Armen vor der Anlage. War die kaputt? Yuriy klang anders. Nicht so wie damals… Ich grübelte damals einige Tage, was mich genau störte… Tagelang lief die CD in meinem Zimmer rauf und runter und ich kam einfach nicht drauf. Es machte mich wütend, dass ich nicht wusste, was mir an dieser CD nicht gefiel. Gut ich wusste, dass ich den Song mit diesem Olivier nicht mochte. Aber französisch war eh ein schmaler grad zwischen romantischer Akustik und hoffnungslosen Geschwuchtel. Jedenfalls war die Stimme von Olivier eine Zumutung. Der Silberhaarige sah von seinem Eintrag auf und wandte sich an Sergej, der gerade wahllos durch das TV Programm schaltete. „Weißt du noch wie ich Kazukis E-Gitarre in einen E-Bass umgebaut habe?“ Der Ältere sah ihn an. „Natürlich! Ich war total baff und du wirktest irgendwie unzufrieden. Ich hab damals echt nicht verstanden weshalb.“ „Hm?“ verdutzt sah Kai ihn an. „Aber das war doch nicht wegen dem Bass.“ „Ach nein?“ „Nein! Das lag an Yuriys erstem Soloalbum.“ Der Blonde gab seine lümmelnde Haltung auf und wandte sich Kai etwas mehr zu. „Das Album, weswegen ich in die Schule zitiert wurde, weil du dich geprügelt hattest!? Schreibst du gerade darüber?“ Kai dachte nach. Nein er schrieb gerade nicht darüber. Doch er bekam das Gefühl, dass er es sollte. „Ich hab mich gar nicht geprügelt. Der Andere hat lediglich eine aufs Maul bekommen.“ Leicht schürzte er seinen Mund zu einer Schmollschnute. „Was war denn damals los? So richtig bist du nie mit der Sprache raus gerückt. Das Einzige, woran ich mich noch erinnere ist, dass du mich gefragt hast ob Yuriy etwas mit dieser – wie sagtest du noch!?“ „..grünhaarige Tucke…“ murmelte der Silberhaarige wie auf Kommando. „Ah, genau! …ob Yuriy etwas mit dieser ‚grünhaarigen Tucke‘ haben könnte. War das der Grund, weshalb du deinem Mitschüler beinahe den Kiefer gebrochen hast?“ „Natürlich nicht!!“ Kai stand empört auf und sein Griff um das Notizheft wurde fester. Doch Sergej blieb ruhig. Er sah Kai in die roten Augen und diese glichen feuriger Lava. „Der Idiot hat sich die ganze Zeit darüber lustig gemacht, wie dieser Olivier in dem Song Yuriy anschwuchtelt und dann hat er behauptet, dass der Franzose sich von Yuriy vögeln lassen würde. Du hättest seinen Ekel darüber hören sollen.“ Der Ältere antwortete nicht. Er musterte Kais angespannte Körperhaltung und fragte sich, weshalb es Kai nach über 4 Jahren noch immer aufregte. Lag es daran, dass dieser die Bezeichnung „Schwuchtel“ auf die Beziehung zwischen Yuriy und Kazuki projizierte und somit sein älterer Bruder auch eine Schwuchtel wäre? Allein dieses Wort… Sergej verstand nicht, warum man dieses Wort so negativ prägte. Oder steckte hinter Kais ‚Ausbruch‘ noch etwas anderes? „Du warst damals wie alt?“ Der Silberhaarige stutzte. „Ähm, 12…warum?“ Sergej erhob sich und stand nun Kai gegenüber. In Momenten wie diesem wurde ihr Größenunterschied deutlich, denn Kai reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. „Hat es dich genervt, weil dein Bruder, so gesehen auch eine Schwuchtel gewesen wäre, da er mit Yuriy zusammen war!?“ Entsetzt sah der 16jährige Sergej an. „Oder…“ und diese Vermutung hatte der Hüne nicht zum ersten Mal. „…stehst du selbst auf Yuriy?“ Kapitel 9: Ten Black Roses IV ----------------------------- Rückblende: „Der Idiot hat sich die ganze Zeit darüber lustig gemacht, wie dieser Olivier in dem Song Yuriy anschwuchtelt und dann hat er behauptet, dass der Franzose sich von Yuriy vögeln lassen würde. Du hättest seinen Ekel darüber hören sollen.“ Der Ältere antwortete nicht. Er musterte Kais angespannte Körperhaltung und fragte sich, weshalb es Kai nach über 4 Jahren noch immer aufregte. Lag es daran, dass dieser die Bezeichnung „Schwuchtel“ auf die Beziehung zwischen Yuriy und Kazuki projizierte und somit sein älterer Bruder auch eine Schwuchtel wäre? Allein dieses Wort… Sergej verstand nicht, warum man dieses Wort so negativ prägte. Oder steckte hinter Kais ‚Ausbruch‘ noch etwas anderes? „Du warst damals wie alt?“ Der Silberhaarige stutzte. „Ähm, 12…warum?“ Sergej erhob sich und stand nun Kai gegenüber. In Momenten wie diesem wurde ihr Größenunterschied deutlich, denn Kai reichte ihm gerade einmal bis zur Brust. „Hat es dich genervt, weil dein Bruder, so gesehen auch eine Schwuchtel gewesen wäre, da er mit Yuriy zusammen war!?“ Entsetzt sah der 16jährige Sergej an. „Oder…“ und diese Vermutung hatte der Hüne nicht zum ersten Mal. „…stehst du selbst auf Yuriy?“ *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~* Mit einem lauten Knall, flog Kais Zimmertür ins Schloss. Damit war für ihn das Gespräch erledigt. Sergej hingegen rieb sich den Nacken. Er seufzte und starrte an die Zimmerdecke. „Kazuki…was soll ich nur mit dem Jungen machen?!“ Shestoy God Strafarbeit gehört definitiv nicht zu meinen Lieblingsaufgaben. Aber es war wohl notwendig nach der Sache mit dem fast gebrochenen Kiefer meines Mitschülers. Ansonsten verlief das Jahr aber relativ ruhig – zumindest bei mir und Sergej. Boris hingegen machte wieder negative Schlagzeilen. Wobei Schlagzeilen jetzt zu viel gesagt war. Ich weiß nur durch Sergej, dass Boris Verlobte wohl eines nachts panisch den Manager angerufen und dieser ihn darauf zurück nach Russland geholt hat – in eine Entzugsklinik. Dunkel erinnere ich mich auch, dass Sergej ihn dort öfters besuchte, mich jedoch nie mitgenommen hat. Es sah wohl einige Zeit nicht gut aus. Es klopfte an der Tür und Kai sah flüchtig auf. „Was ist?“ murrte er. Die Klinke bewegte sich nach unten und die Türe öffnete sich. Vorsichtig steckte Sergej seinen Kopf durch den Spalt – in Erwartung, dass der Silberhaarige ihm etwas an den Kopf werfen könnte. „Ich wollte nur sehen, ob du dich wieder beruhigt hast.“ Kai rollte mit den Augen und wand seinen Blick wieder auf sein Notizheft. „Von Fein- und Taktgefühl hast du wohl auch noch nichts gehört, oder?“ „Mein Gott, bist du heute wieder zickig.“ Sergej trat ein und ließ sich neben seinem Schützling nieder. Er legte seinen Arm um die schmalen Schultern und zog Kai an sich. Der Silberhaarige ließ diese Geste zu und Sergej atmete auf. Anscheinend war die Wut des Teenagers bereits wieder abgeklungen. „Ich wollte dich mit meiner Frage nicht in Verlegenheit bringen.“ Die roten Augen Kais sahen aus dem Fenster. „Schon gut.“ Innerlich seufzte der Ältere. Der Teenager in seinem Arm konnte manchmal wirklich, wirklich anstrengend sein. Doch mittlerweile hatte er gelernt, dass Kai schon mit der Sprache rausrücken würde. Man musste ihm nur etwas Zeit und Raum lassen und so schwieg der ältere Russe eine Weile. Geduldig wartete er, ließ seine Finger sanft über das Tattoo des Silberhaarigen gleiten. „Ich bin nicht in Yuriy verliebt.“ murmelte der 16jährige nach einer Weile. //Denk ich…// „Ok.“ Doch Sergej glaubte ihm nicht, verbarg seine Zweifel jedoch geschickt. „Es ist nur...“ Kai seufzte hilflos, rang nach den richtigen Worten. Wie sollte er seinen Eindruck nur beschreiben, sodass der Ältere ihm auch folgen konnte?! Es half nichts, er musste die Wahrheit sagen. „…ich habe ihn damals singen gehört – als Kazuki im Sterben lag.“ Ein kurzer Ruck ging durch den Körper, an dem der Silberhaarige lehnte. Jedoch schwieg sein Ziehvater weiterhin – unterbrach ihn nicht. „Dabei hat sich seine Stimme irgendwie in meinen Kopf gebrannt. Es hat mich regelrecht verfolgt und ich wollte ihn unbedingt nochmal hören. Aber ich durfte ja nicht auf die Beerdigung…“ Kurz flammte Zorn in den roten Augen auf. „… und somit hatte ich lange keine Gelegenheit seiner Stimme nochmal zu lauschen. Erst als ich dann zu dir kam, bekam ich die Chance dazu. Aber es war auch nicht dasselbe. Die Alben von euch – sie sind gut, keine Frage und ich bin so verdammt froh, dass ich Kazukis Stimme auf diesem Wege immer hören kann. Doch Yuriy…“ Verzweifelt rieb der Jüngere sich den Nacken, suchte nach den richtigen Worten und dieses Mal half ihn Sergej. „Du wolltest nur seine Stimme hören, stimmt`s?“ Kai nickte dankbar. Die Erkenntnis, dass Sergej ihm wirklich zuhörte und seinen Worten folgen konnte, lösten die Ketten um sein Herz. „Ja, das war auch der Grund, warum ich mir damals sein Soloalbum gekauft habe. Aber leider wurde ich enttäuscht. Er klang darauf so völlig anders.“ „Inwiefern?“ „Das habe ich mich zu der Zeit auch gefragt und es hat ewig gedauert bis ich dahinter gestiegen bin, was so anders war.“ Kai sah zu seinem Ziehvater auf. „Auf diesem Album trägt Yuriys Stimme keine Emotionen. Selbst das Gejaule von dieser grünhaarigen Tucke hatte mehr Emotionen.“ Sergej wollte etwas erwidern, doch der Silberhaarige sprach weiter. „Ich weiß…monoton hat er keineswegs gesungen. Schließlich gibt es hohe und tiefe Töne, die er auch verwendet und ja, er variiert mit der Lautstärke. ABER!!! Es liegt keinerlei Gefühl in seinem Gesang…“ Es herrschte Stille zwischen ihnen. Zwar wollte Sergej erwidern, dass man über ein Album nicht dieselben Gefühle transportieren konnte wie bei einem Live-Auftritt. Doch er wusste, dass Kai anders auf Musik reagierte, Emotionen anders heraushörte, womit seine eigene Argumentation wenig hilfreich wäre. „Ich würde gern weiterschreiben, ok?“ Kai sah den Älteren nicht an und Sergej wusste, dass nun der Moment gekommen war, an dem er sich zurück ziehen sollte. „Na schön…“ Er ächzte als er sich mit einer Hand auf dem Knie wieder nach oben stemmte. „Wenn was sein sollte, ich bin in der Küche.“ „Ist gut.“ Sed'moy God Es war ein wolkenverhangener Tag, als ich an Kazukis Grab saß – im Schneidersitz. Keine Ahnung warum ich das jetzt erwähnt habe Ein lauer Wind wehte, sodass es doch leicht kühl wirkte. Über meine Kopfhörer, die mit meinem Handy verbunden waren und der Radio-App, lauschte ich den Songs und erledigte meine Hausaufgaben. Ich war völlig auf diese dämliche Chemie-Aufgabe fixiert, als der Moderator plötzlich einen Namen fallen ließ – Yuriy Ivanov. Dieser Name riss mich aus meinen Gedanken und ich sah buchstäblich auf. Ein alter Song? Nein, der Radio-Typ faselte von einem neuen Track und kündigte an, dass dieser eine Auskopplung aus dem 2. Soloalbum sei. Ich fragte mich, ob mir ernsthaft entgangen war, dass es ein neues Album gab. Ich hatte mitbekommen, dass Yuriy Anfang des Jahres Frankreich verlassen hatte und nach Amerika gereist war – zu einem Michael und nein, nicht Jackson. Doch ansonsten war es ruhig um ihn geblieben. Die Neuigkeit über ein weiteres Album schockierte mich irgendwie. Schnell ließ ich meine Hausaufgaben von meinem Schoß gleiten, ersetzte sie durch mein Notizblock und drehte die Lautstärke mit der anderen Hand an meinem Handy höher. Ich hielt den Atem und mein Blick war stur auf die Inschrift des Grabes gerichtet. Meine Augen lasen den Namen meines Bruders, doch mein Hirn gab die Information nicht weiter, so fixiert war ich auf die ersten Klänge des Liedes. Meine Finger umklammerten den Stift und dann – dann vernahm ich seine Stimme. Mein Stift zerbrach in meiner Hand und Wut kochte in mir auf. Sein Song war abgespielt und der nächste Track begann. Doch für diesen hatte ich kein Gehör. Ich fragte mich ernsthaft, ob Yuriy seine Fans – mich… eigentlich verarschen wollte. Der Song war rockiger und brachte frischen Wind mit sich, aber: DIESER WICHSER!!!! es fehlten wieder sämtliche Emotionen. Warum veröffentlichte er neue Songs, wenn er wahrscheinlich nicht mal hinter den Texten stand? Ich starrte auf die leere Seite meines Notizheftes. Nicht mal kleine Anmerkungen hatte ich zu diesem Song gemacht. Wie mies fand ich den Track, also? Doch lange konnte ich nicht darüber nachdenken. Sergej rief mich an und bestellte mich nach Hause. Daher packte ich meine Sachen, verabschiedete mich von Kazuki und ließ ihn mir imaginär zum Geburtstag gratulieren. Als ich daheim ankam, roch ich nach Rauch und somit waren die ersten Worte, welche mir entgegen schwappten nicht: „Alles Gute zum Geburtstag“ – im Gegenteil. Eine Schimpftriade und etliche Belehrungen übers Rauchen wehten mir entgegen. Doch sie prallten an mir ab. Ich war nun 14 und wollte nicht länger wie ein Kind behandelt werden. (Mir ist durchaus bewusst, dass ich da immernoch „Kind“ war). Meine Jacke flog auf die Sitzbank der Garderobe und die Tür zu meinem Zimmer hinter mir zu. Der Tag war irgendwie gelaufen. Ich hasste meinen Geburtstag, denn gerade an diesem Tag, vermisste ich Kazuki unendlich. Doch wie sollte ich DAS Sergej sagen!? Er kümmerte sich aufopferungsvoll um mich. Ich wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass er sich nicht genug sorgte. Der 16jährige legte den Stift beiseite, zog das Zigarettenglas unter dem Sofa hervor und erhob sich. Rauchend lehnte er sich an den Rahmen des geöffneten Fensters. Der weiße Dunst der Zigarette verflüchtigte sich in der leichten Brise. Sein Blick ruhte gedankenverloren auf der untergehenden Sonne und dem Himmel, welcher sich rot färbte – rot, wie die Farbe seiner Haare. Vos'moy God Trotz der verbalen Auseinandersetzung an meinen Geburtstag, führte Sergej mich ein paar Tage später in seine Werkstatt. Dabei stammelte er immer wieder etwas von einem „zusätzlichen Geschenk“. Dabei hatte ich doch bereits etwas von ihm bekommen und der Kuchen war auch ziemlich lecker gewesen. Aber meine Neugier war geweckt und so war ich Sergej brav gefolgt. Niemals hätte ich mit diesem Geschenk gerechnet, als mein Ziehvater in die Ecke ging, in welcher das ominöse abgedeckte ‚Ding‘ stand. Das Ding, welches mir stets verboten war zu berühren, geschweige denn unter die Abdeckung zu schauen. Umso mehr traf mich die Erkenntnis, was all die Jahre darunter verborgen war – Kazukis Honda, gezeichnet vom Unfall. Mir klappte der Kiefer runter und ich muss Sergej entgeistert angesehen haben, denn er kratzte sich verlegen am Kopf. Seine Worte hallen mir noch immer deutlich im Ohr: „Keine Ahnung, ob Kazu gewollt hätte, dass du sie bekommst. Doch ich glaube, dass du erst ein Stück weiter abschließen kannst, wenn du selbst darüber entscheiden kannst, was mit dieser Honda passiert.“ „Ich will sie reparieren.“ Das war meine Reaktion darauf. Ich hatte keine Sekunde darüber nachgedacht. Die Worte kamen einfach aus mir heraus und das ist schließlich selten genug. Die Honda verkaufen oder verschrotten – niemals!! Daher bat, nein…ich bettelte (!) Sergej an, dass er sie wieder instand setzten sollte. Doch er lächelte damals nur traurig. Er offenbarte mir, dass er dies finanziell nicht könnte. Die Werkstatt lief, aber die Einnahmen reichten eben nur zum normalen Leben und nicht um dieses teure Motorrad zu restaurieren. Bildlich gesprochen, hat mich diese Aussage umhüllt wie zwei Arme aus der Finsternis. Ich hatte das Gefühl, dass etwas Dunkles nach mir greifen wollte…doch ich ballte die Fäuste – gab nicht klein bei. Ich wollte, dass diese Maschine wieder fuhr, dass ich sie fuhr. „Wieviel?“ fragte ich damals und Sergej nannte mir eine stattliche Summe. Meine aufmüpfigen Teenie-Hormone erklärten auch gleich, dass das kein Problem sein würde. Ich hatte sie echt nicht mehr alle. Damit ließ ich Sergej stehen und verschanzte mich regelrecht in meinem Zimmer. Gähnend betrat der blonde Russe die Küche. „Du bist schon wach?“ Kai nickte und schob ihm eine dampfende Kaffeetasse zu. „Ja, ich will zu Ivan.“ Sergej stutzte. „Was willst du denn bei Vanja und dann noch am Samstag?“ „Nun, er hat mir ‘ne Nachricht geschrieben und gefragt ob ich noch ein paar Texte hätte.“ Innerlich seufzte Sergej. Er hatte Kai nicht wirklich vom Musikbusiness fernhalten können. Natürlich war ihm bewusst, dass Ivan der Beste in der Branche war. Schließlich war der Mann auch ihr Manager gewesen und nachdem sich die Band aufgelöst hatte, blieben sie in Kontakt. Von Anfang an hatte er sie durch Höhen und Tiefen begleitet. Er hatte ihre Siege gefeiert und sie aufgefangen, wenn sie am Boden waren – immer und immer wieder. Auch Ivan war zu Beginn noch sehr jung und unerfahren, war er doch gerade einmal fünf Jahre älter als der blonde Russe. Aber die Band war auch sein Baby und sein Einfluss in der Branche war während ihrer gemeinsamen Zeit rasant gewachsen. Dennoch vergaß Ivan nie, dass auch er klein begonnen hatte. Daher kam für Sergej auch nur Vanja infrage, als Kai beschloss mit seinen Texten – natürlich unter einem Pseudonym – Geld zu verdienen, um die Honda seines Bruders zu reparieren. Dies war nun etwas mehr als 2 Jahre her und der Hüne sah das Ganze nach wie vor mit gemischten Gefühlen. Zwar hatte der Silberhaarige durchaus Erfolg und mit dem kleinen Nebenverdienst ermöglichte Kai ihnen beiden hin und wieder kleine Annehmlichkeiten, dennoch fühlte der Ältere sich etwas unwohl. Das Öffnen und Schließen des Geschirrspülers riss Sergej aus seinen Gedanken. „Ich mach dann mal los. Keine Ahnung wie lange es dauert.“ „Fährst du?“ Der Blonde nahm einen Schluck aus seiner Tasse um sein Unbehagen zu verbergen. „Jepp, mit dem Motorrad bin ich schneller und nicht so gebunden an den Fahrplan der Metro.“ „Ok, aber-“ „Ja ich fahr vorsichtig und melde mich wenn ich bei Ivan ankomme und wieder los mache, Mami.“ Vollendete der Teenager und ließ Mami murren. Schmunzelnd legte Kai einen Arm um Sergej. „Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen.“ Noch bevor der Ältere sagen konnte, dass der 16jährige aber nicht den Eindruck dessen vermitteln würde, hauchte dieser ihm einen Kuss gegen die Schläfe und war aus der Küche geflohen. Als schließlich die Wohnungstür ins Schloss fiel, sank Sergej in sich zusammen. Er legte seinen Kopf auf die Tischplatte und legte seine Arme schützend um sich. Ausgelaugt – ja er fühlte sich ausgelaugt. Manchmal wuchs ihm alles über den Kopf. Kais Erziehung, die Werkstatt, die Sorgen… Er empfand den Silberhaarigen nach wie vor als zu jung für das Business. Natürlich gab es Teeniestars, aber mal ganz ehrlich…wie viele davon landeten nicht in der Entzugsanstalt oder Psychiatrie, weil sie nicht mit dem Druck klar kamen?! Sergej seufzte. Bei diesen Gedankengängen musste er unweigerlich an Boris denken. Wie es ihm wohl ging? Das letzte Mal hatte er von ihm gehört, als er mit Kai bei Vanja war, damit dieser den Silberhaarigen unter seine Fittiche nahm. Dabei hatte der Manager ihm offenbart, dass der Lilahaarige aus der Entzugsklinik raus sei und er ihm eine kleine Wohnung besorgt hatte. Zudem wollte Boris eigentlich wieder als Drummer arbeiten. Doch Ivan hatte ihm damals geraten, sich einen anderen Job zu suchen. Einmal um ihn von den ‚Drogen‘ weg zu bekommen und natürlich um dessen Schulter nicht mehr so stark zu belasten. Allerdings hatte diese Aussage den Blonden getroffen. Sie alle liebten es zu musizieren. Er selbst hatte sich schwer getan, davon Abstand zu nehmen. Doch die Leidenschaft an Fahrzeugen zu schrauben hatte ihm geholfen. Bei Boris jedoch gab es keine zweite Leidenschaft – so viel war er sich sicher. Devyatyy God Als Songwriter ‘arbeiten’ zu dürfen, eröffnete mir ganz neue Möglichkeiten. Zwar ist es mir bis heute schleierhaft, weshalb Sergej darauf bestand, dass Ivan meine Idendität geheim halten sollte, doch meine Texte kamen verdammt gut an und so machte ich mir darüber auch keine Gedanken. Was zählte, war die Kohle und die reichte tatsächlich um Originalteile für die Honda bestellen zu können. Sergej musste nicht auf billigere Materialien zurückgreifen. Zudem nahm er sich nach Feierabend und an Wochenenden die Zeit um mit mir zusammen die Schäden an der Karosserie zu beheben. Stundenlang schraubten und lackierten wir, bestellten uns Pizza und sprachen über Gott und die Welt. In Stunden wie diesen bekam ich aber auch Sergejs traurige Seite zu sehen. Er gestand mir, dass er weder zu Boris noch zu Yuriy irgendwie persönlich Kontakt hatte. Die Verbindung zu dem Rotschopf war wohl schon kurz nach dessen Reise nach Frankreich endgültig abgerissen und ich kam nicht umhin mich etwas schlecht zu fühlen, da ich mit meiner ‚Besessenheit‘ bezüglich Yuriys Stimme immer wieder verhinderte, dass er einen Schlussstrich ziehen konnte. Allerdings glaube ich, dass sich Sergej so oder so eher weniger Sorgen um seinen ehemaligen Leader machte. Immerhin hörte man von diesem in gewissen Abständen über die Medien noch etwas und dies auch meist im positiven Sinne. Boris machte Sergej da schon mehr Sorgen und ich glaube, dass mein Ziehvater auch Gefühle für ihn hatte…oder vielleicht noch hat!? Ich denke auch, dass Sergej sich Vorwürfe macht. Vorwürfe, dass er auf das Liebesgeständnis nicht anders reagiert hat. Vielleicht fickt schläft er auch deswegen mit so vielen unterschiedlichen Typen. Wahrscheinlich geht er wegen Boris keine feste Beziehung ein – eben weil er ihn liebt. Dabei könnte Sergej doch Ivan fragen, wo der Drummer jetzt arbeitet. Versteh einer die Erwachsenen…. Es war später Nachmittag als Sergej den Klang von Kazukis – nein, Kais Honda vernahm. Sofort stürzte er zum Fenster und vergewisserte sich, dass sein Gehör ihn nicht täuschte. Er erspähte Kai, der soeben von der Maschine stieg und sie ordentlich in der kleinen Garage neben Sergejs Auto parkte. Erleichterung machte sich in der Muskulatur des Russen breit und er sank zurück aufs Sofa. Als Kai in die Wohnung trat, tat er so als würde er gelangweilt durch die Programme zappen. „Bin wieder da!“ rief der Silberhaarige und schloss die Türe hinter sich. „Schö~hön!“ antwortete der Blonde langgezogen. „Wie lief es denn?“ Der Silberhaarige trat in den Wohnbereich und entledigte sich seiner Jacke. Mit hochgezogener Augenbraue beobachte der Ältere wie das Kleidungsstück auf der Sofalehne landete. „War gut. Ivan schickt 3 Texte an verschiedene Interpreten. Mal sehen was raus kommt.“ „Ok. Ich drück die Daumen.“ „Mach das. Ich könnte nämlich etwas Kohle gebrauchen.“ Der 16jährige begab sich in die Küche. „So? Wofür denn?“ rief Sergej ihm nach und entschied sich schließlich dafür eine Quizsendung laufen zu lassen. „Ach nur für neue Motorradschuhe. Die alten sind schon ziemlich runter.“ Der Teenager verließ die Küche beladen mit einem Energy Drink und einer Tüte Chips. „Ich werde mal am Therapiebuch weiter schreiben, ok?“ Doch eine Antwort erwartete er nicht wirklich und so war Kai schon beinahe in seinem Zimmer, als Sergejs scherzender Kommentar, dass zu viele Chips dick machen würden seine Ohren erreichten. Mit einem non-galanten ‚Du mich auch‘ kickte Kai seine Türe zu. Desyatyy God Im letzten Jahr ging es wieder ordentlich drunter und drüber. Alles begann damit, dass Sergej mich mit einem Typen erwischte. Gott, ist der ausgeflippt…dabei war es doch nur Sex. Ich durfte mir ganz schön was anhören und unter anderem kam er mir damit, dass ich ja hoffentlich verhüten würde – ja das mach ich, bin ja nicht blöd und das ich bloß aufpassen solle, dass das nicht an die Öffentlichkeit kommt – Politik, Regierung und so. Jahaaaa~ verdammt! Ich war doch kein kleines Kind mehr und genau das wurde wohl auch Sergej bewusst, als er mit entsetzten Blick auf den Typen starrte, der bis zu dem Zeitpunkt mir einen geblasen hatte. Jedenfalls flog der Typ hochkant aus der Wohnung, glücklicherweise auch dessen Klamotten und ich hatte einen Monat Hausarrest. Dennoch hielt der mich nicht davon ab hin und wieder ein kleines Stell-dich-ein abzusahnen. Ich hab halt vom Profi gelernt, danke Sergej. Kurz darauf – ca. 2 Wochen später, kam ich dann mit meiner Tattoo-Idee um die Ecke. Natürlich war mein Ziehvater erst einmal grundsätzlich dagegen. Doch ich konnte stur sein und bearbeitete ihn fast täglich. Die strikte Ablehnung wandelte sich irgendwann in ein leichtes Interesse in Bezug auf das Motiv und vor allem wo es hin sollte und wie groß. Ich erklärte ihm, dass ich mit dieser Tätowierung die Narben bedecken wollte und dass ich bereits einen Tattookünstler gefunden hatte, welcher sich auf das Überstechen von Narbengewebe spezialisiert hatte. Nach einem Vierteljahr hatte ich Sergej dann auch so weit und wir waren bei besagten Tatowierer. Tja, was soll ich sagen…es.war.oberpeinlich!!! Sergej taktierte den armen Mann mit Todesblicken und ließ ihn keine Sekunde aus dem Auge. Er ließ sich alles genau erklären und zeigen und als ich nach 3 langen Stunden schon nicht mehr damit gerechnet hatte, stimmte Sergej schließlich zu. Überrascht sah ich ihn damals an und ich glaube, dass er sich zu dem Zeitpunkt auch unschlüssig war, ob er mir das gestatten sollte. Doch er willigte ein und erlaubte mir damit die Narben verblassen zu lassen – ich war ihm (erneut) zutiefst dankbar. Die Sitzungen in dem Studio waren lang und schmerzvoll. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis die ganzen Outlines fertig waren. Doch danach folgten dann noch die Stunden der Colorierung. Wenn ich so daran zurück denke, schmerzt mir der Kiefer immernoch vom Zähne zusammen beißen. Außerdem fraß dieses Tattoo meine Ersparnisse auf. Doch das war es mir ein für alle Mal Wert und am Ende hatte es sich gelohnt. Ich liebe diesen Phönix, welcher sich über meinen linken Arm zieht und man sieht die Narben nicht mehr. Somit werde ich nicht unweigerlich mit dem Unfall konfrontiert, wenn man mich auf meinen Arm anspricht. Lediglich wenn man über die Haut streicht, kann man die Unebenheiten noch spüren. Kurz vor Mitternacht klopfte es an Kais Zimmertür. „Hey, Kai…ich werde ins Bett gehen, mach nicht mehr so lange.“ Doch Sergej erhielt keine Antwort. Vorsichtig öffnete er die angelehnte Tür einen Spalt und sah in das Zimmer des Teenies. Er musste schmunzeln. Sein kleiner Wirbelwind war tatsächlich über dem Therapiebuch eingeschlafen. //Da hat der Energy Drink wohl nicht viel geholfen, hm?!// dachte sich Sergej. Leise trat er näher und zog den Stift aus Kais Hand. Er legte diesen zurück in die Federmappe, zog vorsichtig das Notizbuch unter den Armen des Silberhaarigen hervor und schloss es. Anschließend hob er seinen Ziehsohn ohne große Probleme einfach hoch. Zaghaft legte er Kai auf dessen Bett und deckte ihn zu. Seine Hand strich durch das silberne Haar und er musste sich eingestehen, dass Kai immer erwachsener wurde. Irgendwann….würde dieser seinen eigenen Weg gehen. Dies wird wohl mein letzter Eintrag sein. Denn morgen sitze ich ja wieder bei ihnen im Büro und gebe meine ‚Ergüsse‘ bei ihnen ab. Letzte Woche saßen Sergej und ich abends noch zusammen vor dem Fernseher und zogen uns eine dieser Livesendungen rein. Gut…ich sah nur mit einen Auge hin und notierte nebenbei ein paar Textzeilen, die mir über den Tag hinweg eingefallen waren, aber Sergej liebte diese Sendung und ich saß gern abends ein bis zwei Stündchen noch bei ihm. Jedenfalls schreckten wir beide auf, als der Moderator den nächsten Gast ankündigte. Fuck Scheiße, da spazierte tatsächlich Yuriy in die Show. Ich schwöre, dass Sergej neben mir beinahe aufgesprungen wäre. Doch er musste sich kurz erinnert haben, dass ich auch noch anwesend war, daher blieb er wo er war und murmelte nur ein knappes „unglaublich“. Wie gebannt verfolgten wir die Sendung und erfuhren, dass Yuriy anscheinend wieder nach Russland zurückgekehrt war. Klar war er in Russland…sonst wäre er nicht in dieser Show, aber er war so richtig zurück…hier…mit festem Wohnsitz!!! Ich weiß nicht, wer von uns über die Neuigkeit geschockter war.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)