Music Is Life von Phoenix-of-Darkness (Musik heißt: Leben - YuKa / SeBo) ================================================================================ Kapitel 4: Before I Come Undone ------------------------------- Rückblende: Ein langer hoher Ton drang an sein Ohr und Boris ängstlicher, fester Griff an seinem Oberarm holte ihn in die Realität. „Holt den Reawagen!!!“ schrie einer der Ärzte und die beiden Russen konnten nur noch sehen wie ein Pfleger mit beiden Händen begann auf dem Brustkorb von Kazuki herum zu drücken, ehe sich die Türe erneut vor ihren Augen schloss. *~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~*~ „Noch einen!“ Es war so einfach in dieser kleinen Kneipe. Probleme vergessen, Frust ertränken und das Beste - keine Alterskontrolle! Der alte, bärtige und leicht untersetzte Besitzer kannte ihn mittlerweile ziemlich gut. So gut, dass dem Russen die mitleidigen Blicke keineswegs entgingen. Doch er wäre nicht er selbst, wenn es ihm nicht scheißegal wäre, was die Leute in dieser Kaschemme von ihm dachten. Daher war es ihm auch egal, dass er fast täglich hier war um seinen Frust und seine Sehnsucht zu ertränken. Die verdammte Sehnsucht nach seinem Freund. Dieser idiotische Freund, welcher lieber heile Familie mit dessen kleinen Bruder spielte, anstatt die Zeit mit ihm zu verbringen. Ein Seufzen entwich seiner Kehle, ehe er den Wodka Shot diese herunter rinnen ließ. Yuriy vermisste Kazuki. Seinen Geruch, seine Stimme, die blauschwarzen Haare, die königsblauen Augen, das Kuscheln auf dem Sofa oder dem Bett, die heißen Küsse und natürlich auch den Sex, sogar dessen Eigenart immer viel zu besonnen zu reagieren. „Verdammt!“ Yuriys Faust schlug auf den Tresen. Sie waren wirklich extrem unterschiedlich. Während er hier vor Wut am liebsten alles kurz und klein schlagen würde, würde Kazuki wahrscheinlich alles einfach nur tot argumentieren, sodass sein Gegenüber aufgab. Aber auch dies liebte er an dem Halbrussen. Denn bei diesem kam er zur Ruhe. Doch, dass er nun nicht einfach zu diesem konnte, ließ ihn zum unruhigen Wolf werden. Ein weiteres Seufzen entwich ihm. Sollte er sich nicht doch einen Ruck geben und auf den Älteren zugehen? Seine Hand glitt in seine Jackentasche und zog sein Handy hervor. Unschlüssig starrte er auf das schwarze Display seines Smartphone. Sollte er es wirklich wieder anschalten? Wahrscheinlich würden sofort gefühlt 1000 verpasste Anrufe aufploppen. Immerhin hatte Boris ihn solange mit Anrufen bombardiert bis es dem Russen zu viel geworden war und er sein Handy eiskalt abgeschalten hatte. „Ach was soll’s…“ murmelte Yuriy und startete sein Handy. Angespannt sah er zu wie es hochfuhr. Wie der nervige Schriftzug der Marke Buchstabe für Buchstabe aufleuchtete und schließlich sein Sperrbildschirm erschien. Kurz huschte ein Schmunzeln über sein Gesicht. Ob sein Freund auch so gelassen bleiben würde, wenn dieser wüsste was für ein Foto Yuriy da von ihm gespeichert hatte? Vermutlich nicht. Seine Finger glitten über den Touchscreen und gaben den Pin ein und sofort begann sein Handy zu vibrieren. Ein verpasster Anruf nach dem anderen wurde registriert. Skeptisch hob Yuriy die Augenbraue. Konnte Boris wirklich so hartnäckig sein? Denn auf seinem Display leuchteten tatsächlich: 97 verpasste Anrufe und 13 neue Nachrichten von ein und derselben Nummer. „Ja Mum. Mir geht es gut. Ja…sorry. Kazuki liegt im Krankenhaus. Ich…ich melde mich.“ Boris legte auf und atmete durch. Wenigstens seine Mutter konnte er beruhigen. Handyverbot hin oder her. Er konnte hier nicht weg und so ein kleiner Anruf würde schon nicht alle Geräte abstürzen lassen – hoffte er zumindest. Denn so wie es derzeit lief, war er sich da nicht sonderlich sicher. Sie könnten etwas Positives gebrauchen. Der Lilahaarige lehnte sich zurück und legte den Kopf in Nacken. Sie waren seit Stunden hier und nachdem sich die automatische Tür in der Notaufnahme geschlossen hatte, hatte sich tatsächlich ein Assistenzarzt erbarmt und sich um sie gekümmert. Er hatte Kai untersucht und behandelt. Der Junge hatte, betrachtete man das Ausmaß bei Kazuki, wirklich Glück gehabt. Der Cut an der Stirn würde von selbst verheilen, sodass nur zwei kleine Steri Strips angebracht wurden. Laut dem Arzt sollten diese einfach nur die Wundränder zusammen halten und somit die Heilung begünstigen. Anscheinend würde nicht mal eine Narbe zurück bleiben und zum Glück hatte ansonsten der Helm wirklich sehr gute Arbeit geleistet. Natürlich würde der Kleine wohl um einige Blutergüsse nicht herum kommen, doch dies war nicht weiter der Rede wert. Die einzig wirklich ernste Verletzung war daher an seinem linken Arm. Der Assistenzarzt vermutete, dass Kai wohl mit diesem auf dem Asphalt aufgekommen sein musste und sich dabei die ersten Hautschichten durch die Reibung versenkt hatten. Es würde einige Nachsorgebehandlungen benötigen, in der Hoffnung, dass das sich bildende Narbengewebe nicht zu hart werden würde. Vorerst war der gesamte Arm wieder bandagiert worden um ihn vor Infektionen zu schützen. Anschließend sollte eine Schwester den Jungen auf die Kinderstation bringen, damit er sich von dem Unfall und dem Schock erholen konnte. Der Arzt meinte zudem, dass etwas Schlaf dem Jungen nicht schaden könnte. Doch Kai hatte Boris und Sergej angefleht bei ihnen bleiben zu dürfen. An Schlaf war in dieser Situation auch wirklich nicht zu denken und so saßen sie in dem Warteraum vor der Notaufnahme. Es war nach 2 Uhr und niemand konnte ihnen Auskunft über Kazukis Zustand geben und ohne die Anwesenheit Kais hätten die beiden Russen auch nichts erfahren dürfen. Boris Blick fiel auf den blonden Russen. Dieser starrte ernst auf die gegenüber liegende Uhr und anscheinend war der gleichmäßig tickende Sekundenzeiger dieser sehr interessant. Doch Boris vermutete, dass der Ältere lediglich die Sekunden zählte um sich irgendwie abzulenken. Die herrschende Stille war zermürbend. Von dem Blonden sah der Lilahaarige zu Kai. Dieser hatte sich auf dem Stuhl neben dem blonden Russen zusammengerollt und seinen Kopf auf dessen Schoß gebettet. Durch das monotone Kraulen, von Sergejs Hand, durch dessen Haare, fielen ihm immer wieder die Augen zu. Zu gern würde Boris etwas sagen um die Situation zu verbessern, doch ihm fiel schlichtweg nichts ein. Unruhig ließ er sein Handy von einer Hand in die Nächste wandern und wieder zurück. Ob er nochmal Yuriy anrufen sollte? Immerhin hatte er ihn nicht erreicht und der Rothaarige musste einfach wissen was hier vor sich ging. Gerade wollte sich Boris erheben, als sich die Türe zum Wartezimmer öffnete. „Herr Hiwatari?“ der Angesprochene richtete sich auf und auch Sergej und Boris standen auf. „J…ja? Wie…wie geht es meinem Bruder?“ stammelte der 6jährige nervös. Der Arzt sah noch einmal auf sein Klemmbrett ehe er fortfuhr. „Sie können jetzt zu ihm…aber regen sie ihn nicht auf…“ sprach der Mann in dem weißen Kittel ruhig. Allerdings war Sergej der kurze Blick, mit welchem der Arzt auf sein Klemmbrett gesehen hatte, nicht entgangen und ein mulmiges Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit. Denn dieser Blick hatte etwas Beunruhigendes. Daher wandte er sich an den Jungen und hockte sich vor diesen um ihn in die Augen zu sehen. „Kai…“ er legte seine Hand auf dessen Schulter und übte einen leichten Druck auf diese aus. Wollte er dem Jungen doch wenigstens etwas Halt geben. „…wir begleiten dich, wenn du das möchtest.“ Natürlich wollten sie beide ebenfalls wissen was mit ihrem Leadsänger war. Doch als nächster Angehöriger stand dies nur Kai zu. Aber dieser war ein Kind und Sergej wollte diesen nicht alleine lassen. Der Kleine hatte für heute schon viel zu viel durchgemacht und was wäre er für ein mieser bester Freund, wenn er den kleinen Bruder von Kazuki hier alleine lassen würde. Dankbarkeit zeichnete sich in den roten Augen ab und mit einem knappen Nicken seitens des Silberhaarigen war es beschlossen. Sergej erhob sich und wandte sich an den Arzt. „Wir begleiten ihn.“ „In Ordnung. Bitte folgen sie –“ Je wurde der Weißkittel unterbrochen, als Boris Handy sich lautstark mit der Melodie von ACDC’s Highway To Hell meldete und dieser es vor Schreck fallen ließ. „Sorry!“ murmelte er und hob sein Smartphone auf. Ein Blick aufs Display und er wusste wer ihn um diese Uhrzeit anrief. Er sah zu Sergej und auch diesem war klar, wer der Anrufer war. Sie nickten sich zu und während Sergej zusammen mit Kai dem Arzt folgte, lief Boris nach draußen. Kurz atmete der Lilahaarige durch, ehe er den Anruf entgegen nahm. „Alter, Boris hast du Langeweile!? Du hast mich fast 100 Mal angerufen und nun lässt du mich warten!?“ schallte es Boris entgegen. „Yuriy! Herr Gott, wieso hast du mich ignoriert!?“ „….Termine…“ murmelte dieser. „Ach verarsch mich nicht! Du hast sicher wieder irgendwo gesessen und einen Shot nach dem anderen in dich rein geschüttet.“ „Wie redest du denn mit mir? Ist das DER Grund für deine Anrufe? Du hast sie doch nicht mehr alle!“ „Wa- Nein!!! Hast du meine Nachrichten nicht gelesen? Yuriy hör‘ zu. Es-“ „Wenn es darum geht, dass ich nicht bei der Probe war dann, sorry… Aber weißte ich hab einfach keinen Bock Kazu zu sehen. Die Situation ist beschissen für mich und ich will ihm nicht unter die Augen treten. Na ja und deine und Sergejs Anwesenheit macht es bei der ganzen Sache auch nicht….“ „KAZUKI HATTE EINEN SCHWEREN UNFALL!!!“ - Stille – Yuriy stand vor der Kneipe und nur langsam sickerten die Worte in sein Bewusstsein. Sein Freund hatte einen Unfall, einen schweren Unfall. War der Rothaarige eben noch gut betankt, so war er gefühlt schlagartig nüchtern. Der Griff um sein Handy verstärkte sich. „Das….ist ein schlechter Witz!“ „Verdammt, Yuriy ich mach keine Witze! Glaubst du allen Ernstes, dass ich über so etwas Witze mache?!“ Deutlich konnte Boris seinen Gesprächspartner schlucken hören. „Wie geht es ihm?“ „Das weiß ich nicht. Aber die Unfallstelle glich einem Trümmerfeld und es sah vorhin nicht gut aus. Bitte spring über deinen Schatten und komm her.“ Noch einmal herrschte Stille. Yuriy rang mit sich. Sollte er zu Kazuki fahren? „….ok…in welcher Klinik seid ihr?“ „Aa Maximov Hospital. 105203 Moskau.“ „Bis gleich!“ Yuriy legte auf und ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden ging er zu seinem Motorrad. In seinem Zustand wäre ein Taxi zu rufen wahrlich die sicherere Variante gewesen und auch aufgrund des Alkoholkonsums der letzten Stunden, sollte er selbst nicht am Straßenverkehr teilnehmen. Doch rationales Denken war für den Rothaarigen gerade überflüssig. Er musste zu seinem Freund. Schließlich traute er Boris nicht zu, dass dieser ihn so perfide anlügen würde. Außerdem war der Jüngere kein guter Lügner und schon gar kein Schauspieler. Daher klang dessen Stimme und die darin enthaltene Besorgnis glaubwürdig. Yuriy aktivierte noch einmal sein Handy und suchte sich die schnellste Route zur Klinik. Anhand der Funktion – aktuelle Verkehrslage – konnte er schon jetzt sehen, dass er nicht auf direktem Wege zur Klinik fahren konnte. Er zoomte durch Maps und prägte sich seine persönliche Strecke ein. Der Rothaarige verstaute sein Smartphone und machte sich zügig auf den Weg. Unschlüssig stand Kai im sogenannten Schockraum der Notaufnahme. Dieser Raum wurde für Patienten genutzt, deren gesundheitlicher Zustand äußerst kritisch war, sodass diverse Geräte vorhanden waren, die in den normalen Zimmern nicht zu finden waren. Auch gab es hier einen Haufen Schränke, deren Beschriftung auf diverse Medikamente und medizinische Materialien schließen ließen. Schockraum – was für eine beschissene Bezeichnung für jeden Angehörigen. Ging es denn noch bescheuerter? Natürlich stand der 6jährige unter Schock. Auf dieser bettenähnlichen, fahrbaren Trage lag sein Bruder und sah gar nicht gut aus. Er trug eines dieser typischen Op-Hemden des Krankenhauses und das weiße Bettzeug ließ ihn noch blasser wirken, als er es ohnehin schon war. Beide Arme waren bandagiert und an der linken Hand steckte eine orange Nadel. Kais Blick folgte dem Infusionsschlauch von Kazukis Hand zur dazugehörigen Infusion. Wie in Zeitlupe konnte er die einzelnen Tropfen in den Schlauch tropfen sehen. Synchron dazu vernahm er das nervige Piepen des angeschlossenen Monitors. Doch so nervig wie der Ton war, so glücklich konnte er über diesen sein. Zeigte dieser doch, dass Kazukis Herz schlug. Ja es schlug, doch wenn man genau hinhörte konnte man erkennen, dass es immer wieder kleine Pausen gab. „…Kai…“ Angesprochener zuckte zusammen und sah das erste Mal seit Stunden in die Augen seines Bruders. Doch die königsblauen Augen wirkten stumpf und Kazukis Stimme war rau und heißer, geschunden durch den Beatmungsschlauch, welcher erst vor wenigen Minuten entfernt worden war. „…ich bin so froh, dass es dir gut geht…“ wisperte der Ältere schwach. Man spürte, dass ihm das Sprechen schwer fiel und es ihm sehr viel Kraft kostete. Kai löste sich von Sergej und lief zu seinem Bruder. Ohne einen Gedanken zu verschwenden, kletterte er zu Kazuki, legte sich zu ihm und drückte sich an den geschundenen Körper. Sergej wollte ihn erst aufhalten, doch ein kurzes Handzeichen seines besten Freundes ließ ihn inne halten. Kazuki genoss die Nähe seines kleinen Bruders und er erlaubte es sich seine Wange an die Stirn von Kai zu lehnen. Gleichzeitig fand seine Infusionsfreie Hand ihren Weg in die silbernen Haare, wo seine Finger sanft durch diese fuhren. So verging eine Weile und Sergej fühlte sich in dieser Situation völlig fehl am Platz. Es tat ihm weh seinen besten Freund und dessen kleinen Bruder so zu sehen. Denn im Gegensatz zu Kai sah er genau, dass Kazuki in dieser Situation Schmerzen hatte und dennoch den Kleinen gewähren ließ. Keiner von ihnen sagte etwas, niemand stellte Fragen und so waren nur die Maschinen zu hören bis sich die Tür öffnete und Boris zu ihnen kam. Erleichtert über diese „Störung“ wandte sich Sergej an den Lilahaarigen. „Und?“ „Er kommt her.“ „Na ein Glück. Ich dachte schon er bleibt stur.“ „Das dachte ich auch erst. Zu Beginn hielt er es auch für einen schlechten Scherz. Aber sag…wie geht es Kazuki?“ flüsterte Boris besorgt. Traurig sah Sergej noch einmal zu den beiden und Boris Blick legte sich ebenfalls auf sie. Innerlich erschrak das jüngste Bandmitglied, denn ihm fielen sofort die ganzen Hämatome auf, welche nicht von den Verbänden an den Armen und am Brustkorb verdeckt waren. //Er sieht mehr tot, als lebendig aus…// Kazuki spürte die Anspannung seiner Bandkollegen und Freunde. Natürlich sahen die beiden wie er aussah und logischer Weise wollten sie wissen was nun genau Sache war. Doch so ausführlich wollte der Halbrusse das nicht vor seinem kleinen Bruder erläutern. „H..hey.. Kai..“ sprach er leise und löste seinen Arm von ihm. „Ja?“ fragend sahen die roten Augen auf. „Könntest du mit Boris zusammen etwas zu trinken für uns alle holen?“ Es fiel ihm wirklich schwer die Worte am Stück zu sprechen, doch das sanfte Lächeln und das beherzte Nicken seines kleinen Wirbelwindes waren wie Balsam. Kai löste sich vorsichtig von Kazuki und sprang auf. Er lief zu Boris, schnappte sich dessen Hand und ehe der lilahaarige Russe reagieren konnte, wurde er von dem Jungen schon mit nach draußen gezerrt. Etwas perplex sah Sergej ihnen hinterher. „S..Sergej…“ Angesprochener wandte sich zu Kazuki und musste mit ansehen wie dieser vergebens versuchte sich weiter aufzusetzen. Der Halbrusse scheiterte kläglich und ließ sich mit schmerzverzehrten Gesicht zurück ins Kissen sinken. Zu schwach war sein Körper und die Schmerzen lähmten seine Muskulatur zusätzlich. „Warte, ich helf dir.“ Sergej ging zu seinem Freund. Er nahm die Fernbedienung des Bettes in beide Hände und betätigte den Knopf für das Kopfteil. Kurz darauf setzte sich dieses auch in Bewegung und stellte sich auf. „Danke…“ Der blonde Russe nickte und setzte sich auf die Bettkante. Besorgt musterte er seinen Freund. „Kazu…“ Noch einmal glitt sein Blick über den geschundenen Körper. „..du siehst echt scheiße aus.“ Ein trauriges Lächeln konnte sich der Halbrusse nicht verkneifen. „Na vielen Dank.“ Auch Sergej schmunzelte betrübt. Denn sein bester Freund konnte ihm nichts vor machen. Zu lange kannten sie sich bereits und anders als Kai war Sergej alt genug und hatte auch genug Lebenserfahrung, sowie Verständnis um zu wissen, dass die Situation äußerst ernst war. „Was haben diese Weißkittel gesagt, Kazu?“ „Ich werde sterben.“ Kurz und schmerzlos war Kazukis Antwort, doch Sergej traf diese Information wie ein Schlag in die Magengegend. Sprachlos und entsetzt sah er seinen besten Freund an. „Es…ist kein Witz. Ich hab keine Zeit dafür um…um den heißen Brei zu reden. Sie läuft mir schlichtweg davon. Meine Aorta… hat einen Riss… Ich verblute innerlich und die können nichts tun.“ Sprach er weiter und mit jedem Buchstaben wurde er kurzatmiger. Der Brustkorb des Verletzten hob und senkte sich unregelmäßig und seine Finger umschlossen krampfhaft den Bettbezug der Decke. „Scheiße..“ fluchte er leise und zitternd ergriff er die Sauerstoffmaske, welche bis eben auf dem kleinen Schrank neben dem Bett lag. So schnell es ihm möglich war, presste Kazuki die Maske auf seine Nase und Mund. Sergej konnte nur fassungslos zusehen. Diese Szenerie verdeutlichte ihm, dass Kazukis Körper am Limit war und es keine Rettung gab. Er würde tatsächlich sterben und das langsam und quälend. So richtig realisiert hatte der blonde Russe es dennoch nicht, konnte er auch einfach nicht. Wie sollte er begreifen, dass sein bester Freund nicht mehr lebend aus dieser Klinik kommen sollte, wo er doch hier mit ihm sprach. Kazuki unterhielt sich mit ihm. Gut vielleicht etwas stockend und ja man sah die Anstrengung dabei, aber – Herr Gott vor 12 Stunden waren sie noch zusammen im Studio und hatten musiziert und jetzt!? Die Hand Kazukis schloss sich um seine Hand und Sergej zwang sich innerlich zur Ruhe. „Sergej…ich…bitte..“ Angesprochener musste erneut schlucken. Kazukis Stimme zitterte und war nicht mehr als ein Hauch. Jedoch spürte er auch wie Kazuki versuchte seine Hand fester zu drücken. „..bitte…kümmer dich um…Kai..“ „Um Kai!?“ irritiert sah der Hüne auf und einen Moment lang herrschte Stille. Sergej brauchte einige Zeit um zu verstehen, was sein bester Freund damit ausdrücken wollte. Er musste seine Gedanken ordnen und die Situation endlich verarbeiten. „Wie stellst du dir das denn bitte vor? Ich kann mich doch nicht einfach um deinen kleinen Bruder kümmern. Wir sind immerhin nicht verwandt und außerdem kennt mich Kai doch gar nicht wirklich. Gut ein wenig von früher, aber das ist doch keine Grundlage. Zumal ich auch keine Erfahrung mit Kindern habe. Kazuki das geht nicht. Ich hab da auch gerade keinen Kopf für. Gefühlt platzt mir gleich der Schädel. Ich kann es einfach nicht glauben, dass du hier ins Gras beißen sollst. Das ist so verdammt unwirklich.“ „Das…weiß ich alles…“ Noch einmal musste er etwas Sauerstoff inhalieren. „Aber die einzige Angehörige ist unsere Mutter….die in Japan…in der Klapse hockt…und ihn misshandelt hat.“ „Verdammt Kazuki…“ Sergej musste aufstehen, denn er rang mit sich. Unruhig lief er in dem Zimmer auf und ab. Er verstand die Beweggründe die Kazuki hier handeln ließen. Es war verständlich, dass der Halbrusse seinen Bruder gut aufgehoben wissen wollte und er sah auch wie der Halbrusse all seine Kraft aufbrachte um ihn um diesen „Gefallen“ zu bitten. Jedoch konnte sich Sergej beim besten Willen nicht vorstellen, dass er dafür geeignet war. Er war ja nicht mal bereit dazu das alles hier zu akzeptieren, geschweige denn richtig zu realisieren. Dies musste auch seine Mimik deutlich gemacht haben, denn Kazukis sprach weiter. „Du schaffst das…. Du bist verantwortungsbewusst und der Einzige den ich darum bitten kann.“ Sergej hielt in seinem Auf und Ab inne. „Kazuki ist dir klar, dass ich nicht einfach zum Jugendamt marschieren und denen sagen kann, dass Kai ab jetzt bei mir lebt!?“ „Doch…genau…so…“ Der Russe sah den Blauhaarigen an wie ein Auto. Was zum Kuckuck inhalierte der Halbrusse da? Das konnte nicht nur Sauerstoff sein und wenn doch, dann mussten die Medikamente dessen Hirn vernebeln. Ok so abwegig war das mit den Medikamenten nicht. Immerhin wurde der sterbende Körper Kazukis regelrecht vollgepumpt. Doch dieser musste doch wissen wie verrückt er sich anhörte. „Hör zu..“ Kazuki legte die Sauerstoffmaske wieder beiseite. „Ich weiß, dass ich mir das als einfach machbar einrede…aber was bleibt mir denn übrig, hm?“ Tränen sammelten sich in den königsblauen Augen. „Ich will nicht sterben…ich hatte noch so viel vor…verdammt ich bin nicht mal 20 Jahre alt und soll jetzt den Löffel abgeben!?“ seine Finger gruben sich in die Decke und er biss sich auf die Unterlippe um ein Schluchzen zu unterdrücken. Denn die Tränen, welche über seine Wangen liefen, hatte er nicht aufhalten können. „Kazu…“ wisperte Sergej und setzte sich neben seinen besten Freund. Er legte eine Hand auf die verkrampften Finger. Sie waren kühl. „I..ich weiß nicht wie ich es schaffen soll…“ Er atmete durch. „…aber ich verspreche dir, dass ich nichts unversucht lassen werde und ich werde immer ein Auge auf Kai haben. Er wird es gut haben….mach dir darüber keine Gedanken mehr.“ Sie sahen sich an und Sergej konnte die aufrichtige Dankbarkeit in Kazukis Augen sehen. Erschöpft ließ dieser sich etwas zurück ins Kissen sinken. Dieses Gespräch hatte Kraft gekostet, beinahe all seine verbliebene Kraft. Doch zum Glück konnte er seinem besten Freund dieses Versprechen abnehmen. Es war egoistisch von ihm, dies wusste Kazuki. Doch darauf konnte und wollte er keine Rücksicht nehmen. Seinen kleinen Bruder konnte er nur dem Russen anvertrauen. Müde schloss er für einen Moment die Augen und genoss das sanfte Streicheln von Sergejs Fingern auf seinem Handrücken. „Weißt du…“ wisperte er. „…ist es herzlos, dass ich jetzt gern euch drei gegen Yuriy eintauschen würde? Nur für einen Moment…“ Der Russe schmunzelte sanft. „Nein. Du liebst diesen rothaarigen Sturkopf nun mal und ich kann mir denken, dass du lieber ihn hier sitzen hättest, als mich. Ich mit meinen großen rauen Patschern.“ Kazukis Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln und er sah an die Zimmerdecke. Es war surreal, dass sie nun scherzten. Aber wie sollten sie sonst mit der Situation umgehen? Alles war besser, als Verzweiflung. „Ich würde diesen Idiot wirklich gern noch einmal sehen, bevor ich sterbe.“ Das Geräusch von zerspringendem Glas, riss die beiden aus ihrer Unterhaltung und sie wandten ihren Blick zur Tür. „Du…du stirbst?“ „K..kai...“ die Stimme des älteren Halbrussen brach und er versuchte sofort sich aufzurichten. Doch sein Körper verwehrte es ihm. Zeitgleich erhob sich Sergej und ging auf den Jungen zu. „Hör mal Kai, dein Bruder…“ begann er um den Jungen zu beruhigen, welcher einen Schritt zurück wich – bereit zur Flucht. „NEIN!“ Kai fuhr den Russen an und ließ diesen innehalten. Der Kleine wandte sich wieder an seinen Bruder. „Ist das wahr!?“ Die Stimme des kleinen Jungen zitterte. Kazuki schluckte. So sollte es sein Bruder nicht erfahren. Nicht auf diesem Wege. Ihm war klar, dass diese Nachricht nicht schön überbracht werden konnte, jedoch hätte er es Kai gern in Ruhe erklärt, ihn dabei im Arm haltend und nicht so wie jetzt. Jetzt, zwischen Tür und Angel und wie mit der Faust ins Gesicht. Er musste es ihm erklären, denn je länger er schwieg, desto schlimmer machte Kazuki es für seinen Bruder. Denn keine Antwort, war auch eine Antwort und dem 6 jährigen dämmerte es. Es war die Wahrheit. Die roten Augen wurden feucht und der kleine Körper Kais begann zu zittern. Hilflosigkeit machte sich in dem kleinen Zimmer breit. Sergej konnte nichts tun. Er musste dieser Szene untätig beiwohnen, während Kazuki nicht zu Kai laufen konnte, um ihn in den Arm zu nehmen. Sein Körper war an dieses Bett gefesselt. „Kai…ich..bitte..lass es mich erklären…“ flehte der Blauhaarige. „Was ist denn hier los?“ völlig unwissend trat Boris gerade mit 2 weiteren Flaschen und Gläsern in den Raum und war überrascht über die Pfütze samt Glasscherben. „Kazuki….stirbt…“ Kai sah nicht auf. Er hatte den Kopf gesenkt und einige seiner Haarsträhnen hingen ihm ins Gesicht, sodass sein Blick für die anderen verborgen blieb. „Was!?“ Irritiert sah Boris zu seinen Freunden. Doch Kazuki antwortete nicht. Sein verzweifelter Blick war auf Kai gerichtet. Er könnte fluchen. Verdammt er musste zu seinem Bruder, ihn umarmen, festhalten und ihm sagen wie sehr er ihn liebte. Das alles gut werden würde und er immer über Kai wachen würde. Doch er konnte sich kein Stück bewegen. „Ja es ist wahr…“ antwortete daher Sergej und wie schon Minuten davor, zersprang erneut Glas auf dem Boden und Wasser breitete sich aus. Alles wirkte wie aus einer schlechten Komödie. Doch diese “Komödie“ war echt und die realen Scherben auf dem Boden waren lediglich eine Manifestation des emotionalen Scherbenhaufens dieser Situation. „Du lässt mich alleine…“ wisperte Kai. „Nein so darfst du das nicht sehen.“ „Aber es ist so….DU VERLÄSST MICH!!! DU WOLLTEST IMMER FÜR MICH DA SEIN. DAS HAST DU MIR VERSPROCHEN!!!“ Kai konnte nicht anders. Die Emotionen brachen aus dem kleinen Jungen heraus und entluden sich indem er seinen Bruder anschrie. Den Bruder, der eigentlich alles für ihn war. „DU BIST SO EIN LÜGNER, KAZUKI!! ICH HASSE DICH!!“ „KAAAAI!!!“ Kazuki streckte seine Hand aus. Doch es war vergebens. Er musste zusehen wie sein kleiner Bruder die Flucht ergriff und aus dem Zimmer rannte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)