1000 Miles von KiraNear ================================================================================ Kapitel 2: And I would walk 500 more ------------------------------------ ~ Erziraphael ~   Recht schnell fanden sich die beiden im geliebten Bentley des Dämonen wieder und verließen nach wenigen Straßen das vertraute Stadtviertel. Allen voran, da Crowley wie üblich das Gaspedal stärker durchdrückte, als es bei dieser Sorte Wagen überhaupt möglich wäre. Bei seinem Beifahrer stieß er damit auf wenig Gegenliebe. Sobald dieser eine vorsichtige Beschwerde bezüglich der hohen Geschwindigkeit von sich gab, schüttelte Crowley diese mit einem lauten Auflachen ab. "Ach, Engel, was soll uns schon passieren, du siehst doch, ich habe den Wagen vollkommen unter Kontrolle! Außerdem sind um diese Uhrzeit auch viel weniger Menschen unterwegs, die mir vor den Wagen laufen könnten. Es gibt also nichts, um das du dir Gedanken machen musst!" Erziraphael schürzte die Lippen. Er warf einen kurzen Blick auf den Dämon, bevor er wieder angestrengt aus der Vorderscheibe herausstarrte. "Im Augenblick mache mir auch mehr Sorgen um uns beide. Ich möchte nicht meine eigene Exekution überlebt haben, nur um dann in einem sinnlosen Autounfall entkörpert zu werden. Vor allem, wie sollen wir denn die Körper wieder zurückbekommen? Der Himmel wird uns dabei sicherlich nicht helfen und die Hölle bestimmt auch nicht. Mal von dem ganzen Papierkram abgesehen, der uns da wieder erwarten würde." Erziraphael schnappte angespannt nach Luft, seine Finger bohrten sich in den Stoff seiner Weste hinein. Schweigend wartete er ab, ob Crowley ihm etwas entgegen würde, doch der Dämon blickte schweigend auf die Straße vor ihnen. "Außerdem," fügte Erziraphael hastig hinzu, "hast du bereits einmal einen Menschen angefahren, wenn ich dich daran erinnern darf. Diese junge Frau, die das einzigartige Vorhersagen-Buch der berühmten Agnes Spinner im Besitz hatte. Wir haben sie und ihr Fahrrad nach Hause gefahren, weil du sie beide beschädigt hattest." Crowley zuckte mit den Schultern. "Ja, weil du es ihr angeboten hattest, Engel. Außerdem habe ich sie nicht angefahren, sie ist MIR vors Auto gerutscht. Das ist doch wohl ein klarer deutlicher Unterschied! Mein armes Auto hat auch davon Schaden erlitten, den ich reparieren musste, daran müsstest du dich eigentlich noch erinnern können", entgegnete Crowley entnervt.     ~ Crowley ~   Schweigen breitete sich im Wageninneren aus, legte sich wie eine schwere und viel zu stickige Decke über die Beiden. Bis auf ein kurzes Räuspern des Engels blieb es still, keiner von beiden wagte etwas zu sagen. Erst, als sie London weit hinter sich gelassen hatten, blickte Crowley aus den Augenwinkeln heraus zum Engel hinüber. Betrachtete ihn von Kopf bis Fuß, studierte dessen Gesichtszüge und blieb kurzzeitig an dessen Lippen hängen. Schnell riss er seinen Blick wieder weg, zwang sich auf die Straße zu sehen und gab einen kurzen Hisslaut von sich. "Wir sollten es lassen, Engel ... ich habe dich zum Eis essen eingeladen, nicht dafür, dass zwischen uns eine Eisstimmung herrscht", sagte er und erhoffte sich eine kleine Reaktion auf sein Wortspiel, welche jedoch zu seiner Enttäuschung ausblieb. "Nur, damit du es weißt, hier sind 90 Meilen erlaubt", begann Crowley sich zu rechtfertigen. Wenige Sekunden später, kaum hatte er die Worte ausgesprochen, begann er sie zu bereuen. "Aber sobald ich in etwas... belebtere Gebiete fahre, dann... werde ich wohl ein wenig auf das Tempo achten. Wäre dir das recht, Engel?", fragte er und blickte zu Erziraphael hinüber. Seine Sonnenbrille verdeckten seine Augen gut und doch schien der Engel seine bedrückte Miene erkennen deutlich erkennen zu können. Sie war nicht sonderlich stark ausgeprägt und doch ausreichend genug, dass der Engel begann ihn gutmütig anzulächeln. Ein Gefühl der Wärme breitete sich in Crowleys Brust aus, unwissend, dass es Erziraphael genauso erging. "Danke, Crowley, das ist wirklich sehr rücksichtsvoll von dir", sagte der Engel wie gewohnt freundlich. Schnell richtete Crowley seinen Blick auf die Straße zurück und versuchte sich mehr denn je auf die Straße vor ihnen zu konzentrieren. Es war bereits immer dunkler geworden, bis die Sonne sich schließlich komplett auf die andere Erdhalbkugel verzogen hatte. Das Ablendlicht des Bentleys war hell, heller als das anderer Autos dieses Modells. Auf den Straßen waren nur sehr wenige Menschen unterwegs und doch konzentrierte Crowley sich, als müsste er sich durch den dichtesten Verkehr aller Zeiten kämpfen. Er musste sich mehr als beherrschen, seinen Blick nicht wieder zur Seite wandern zu lassen. Er zwang sich dazu, nicht in die hellen Pupillen des Engels zu sehen. Würde Crowley es tun, lief er Gefahr, sich darin wie in einem angenehmen See aus kühlem Wasser zu verlieren. Seine Augen zuckten und je mehr Crowley versuchte, sich zu konzentrieren, desto schlechter gelang es ihm.   "Willst du auch ein wenig Musik hören?", fragte Crowley in der Hoffnung, dass ihn das auf andere Gedanken bringen würde. "Ich habe auch eine neue Kassette. Bei ihr bin ihr mir sicher, sie könnte dir gefallen". Mit einem nervöserem Griff als ihm lieb war griff Crowley in seine Jackentasche und holte eine kleine, weiße Kassette hervor. Kaum hatte er sie in das Fach geschoben, ertönte Here Comes The Sun aus den kleinen Lautsprechern des Wagens. Crowley ließ die Musik für ein paar Sekunden laufen, wartete eine Reaktion des Engels ab. Dieser jedoch sagte nichts, weshalb der Dämon resigniert seufzte. „Wir können uns auch was anderes anhören oder gar nichts, wenn dir das lieber ist“, sagte Crowley und wollte die Kassette per Knopfdruck wieder auswerfen lassen, als sich eine weiche Hand auf seine legte. Crowley riskierte einen Blick zur Seite und sah ein Lächeln auf Erziraphaels Gesicht. „Nein, du kannst es ruhig anlassen, es klingt .... nett“, sagte Erziraphael, während seine Hand noch immer auf der des Dämonen lag. „Nett?“, fragte der Dämon verwirrt, die Berührung fühlte sich warm und gemütlich an. Dennoch sagte ihm sein unruhiges Bauchgefühl, dass er sich einen schweren Schnitzer nach dem anderen leistete. Gleichzeitig konnte Crowley sich nicht festlegen, was genau von seinen Handlungen und Worten falsch war und was nicht. "Nun ja, wie soll ich sagen ... es klingt nicht perfekt, aber auch nicht schlecht. Nett halt. Im Sinne von gut, so wie du eben", gab Erziraphael als Antwort. Crowley hisste entnervt, musste aber dann doch lächeln. Noch immer berührten sich ihre Hände und so langsam wusste Crowley nicht, was er mit dieser Berührung anfangen sollte. Vorsichtig drehte er seine Hand um und verschränkte seine Finger um die des Engels. Die Anspannung, die sich dabei in seinem Magen bildete, war um ein Mehrfaches stärker als an dem Tag der Nicht-Apokalypse. Der Tag, an welchem Satan höchstpersönlich aus der Hölle erschienen war. Auch hatte Crowley keine Ahnung, wie der Engel auf diese Geste reagieren würde. In seinen Gedanken stellte er stellte sich darauf ein, dass Erziraphael die Hand von sich schieben würde. Dass sein Engel ihn gar wieder als zu schnell bezeichnen würde, doch nichts davon geschah. Erziraphael erwiderte den Druck und ließ seine Hand auch nicht los, als diese sich eine auf Dauer bequemere Position suchte. Ein weiterer Blick zur Seite verriet Crowley, wie Erziraphael mit einem verträumten Blick und einem warmen Lächeln zur Frontscheibe hinaussah. Jegliche Gedanken, die immer romantischere Züge annahmen, schob Crowley augenblicklich zur Seite. Dann erlaubte er sich ebenfalls ein kleines Lächeln, während er weiterhin in die Nacht fuhr.   Die Beatles spielten einen Hit nach dem anderen, die beiden schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Sie hatten längst den Ärmelkanal hinter sich gelassen und durchfuhren Frankreich, den einen oder anderen Umweg in Kauf nehmend. Doch erst, als sie die Schweiz erreichten, erschienen erste Sonnenstrahlen und erhellten den pastellfarbenen Horizont Stück für Stück weiter. "Ich denke, der Name dieses Ortes wird dir sehr bekannt vorkommen“, sagte Crowley und deutete dabei auf einen kleinen, unscheinbaren Bahnhof. Ein Ort, welcher erst auf dem zweiten Blick seine Besonderheit offenbarte. Eine Lok, welche weniger horizontal, sondern vielmehr stufig aufgebaut war, stach zusätzlich dank ihrer scharlachroten Farbe deutlich heraus. Die größte Aufmerksamkeit des Engels konnte jedoch der kleine Schriftzug über dem Eingang des kleinen Bahnhofes für sich beanspruchen. Die Buchstaben der markanten Schrift waren in dem gleichen Rotton gehalten wie die kleine Lok selbst. "Zum Reichenbachfall" las Erziraphael laut staunend vom Schild ab, bevor sich sein Mund weit öffnete. Eine Mischung aus Unglauben und Begeisterung lag in seiner Stimme. Crowley beobachtete seinen besten Freund, erneut blieb er an den Lippen seines Beifahrers hängen, ein weiteres Mal zwang er sich dazu, seinen Blick in eine andere Richtung zu reißen. "Vielen Dank, Crowley. Da habe ich Das letzte Problem als Erstausgabe in meinem Besitz und es mir unzählige Male wieder und wieder durchgelesen, kein Wunder, es ist ja auch ein Meisterwerk ...", begann Erziraphael zu schwärmen. Der Dämon zog eine Augenbraue nach oben und lehnte sich am offenen Fenster seiner Fahrertüre ab, bevor er zu dem Engel hinübersah. "Ich erinnere mich ebenfalls daran, du hast mir die Geschichte auch des Öfteren vorgelesen. Am mehreren Abenden in deinem Haus, wenn wir es uns mit einem Glas Wein gemütlich gemacht haben. Das werde ich nie vergessen", sagte er in einem Tonfall, der offen für jegliche Art von Interpretation war. Erziraphael war in diesem Augenblick jedoch nicht dafür empfänglich, er überhörte den Tonfall und sah Crowley mit feuchten Augen an. "Und obwohl du Bücher nicht leiden kannst, kannst du dich noch an den Reichenbachfall erinnern. Dass ich in all den Jahren nicht auf die Idee kam, den echten existierenden Wasserfall zu besuchen ... danke dir Crowley! Du hast wahrlich einen netten Kern in deinem Inneren", sagte Erziraphael höchst erfreut und wischte sich mit der freien Hand die Tränen aus den Augenwinkeln. Gleichzeitig drückte seine rechte Hand wieder etwas fester zu. Erst jetzt realisierte Crowley, dass sie sich wieder gegenseitig an den Händen hielten. Als hätte sie ein unsichtbarer Magnet angezogen und nach dem Aussteigen wieder miteinander verbunden. Um wieder Herr seiner wirren Gefühle zu werden, warf er einen genaueren Blick auf den Bahnhof. In dieser noch recht frühen Morgenstunde hatte sich noch kein Mensch hin verirrt, auch war keiner der Mitarbeiter zu sehen. Erst jetzt fiel ihm das kleine Schild auf, welches an einem Kettchen befestigt war. Dieses Kettchen hing an der kleinen Eingangstür und versperrte den Gästen den Eintritt in den Bahnhof. "Aufgrund von größeren Instandhaltungsmaßnahmen ist die Bahn zum Reichenbachfall gesperrt", stand dort in drei verschiedenen Sprachen. Zusätzlich mit einer Datumsanzeige, wann mit der erneuten Inbetriebnahme des Zuges zu rechnen sei. Verärgert begann Crowley in die Richtung des Schildes zu zischen. "Crowley, was ist denn los, mein Freund?", fragte der Engel vorsichtig und blickte nun ebenfalls zum Corpus Delicti, las ebenfalls die eher unerfreuliche Mitteilung und verstand. "Ach, mach dir doch nichts daraus. Ich kann mir vorstellen, dass du gerne mit mir den Wasserfall besucht hättest. Das können wir jederzeit problemlos nachholen. Es sind doch nur noch zwei Monate, bis sie mit diesen Umbaumaßnahmen fertig sind. Und was sind schon zwei Monate für uns?" Nichts, musste Crowley in Gedanken seinem Engel recht geben, und doch fuchste es ihn, dass er seinem Engel nur eine halbe Freude machen konnte. "Abgesehen davon haben wir bereits ein Ziel, wir wollten doch in Italien ein Eis essen gehen. Wie gesagt, den Besuch des Wasserfalls holen wir zu einem anderen Zeitpunkt nach", fügte Erziraphael mit versöhnlichem Ton hinzu.   Zwar hatte der Engel seine Worte so freundlich wie möglich formuliert. Sie schafften es jedoch kaum, den Zorn des Dämons zu besänftigen. Nur zu gerne hätte Crowley den Menschen unter die Arme gegriffen und die Umbaumaßnahmen mit einem Wunder beschleunigt. Es juckte ihn in den Fingern und dennoch ließ er von der Idee ab. Sie beiden kannten sich besser als ihre eigenen Westentaschen, daher konnte sich Crowley die Antwort seines Engels bereits zu gut vorstellen, würde er auch nur einen Finger krumm machen. Er wusste, dass Erziraphael nicht gerade begeistert von der Idee wäre. Zumal sie so wenig Wunder wie möglich wirken wollten, um die Aufmerksamkeit ihrer ehemaligen Vorgesetzten nicht auf sich zu ziehen. So ließ Crowley es schließlich bleiben und sie schritten gemeinsam zu seinem Wagen zurück. Erst, als sich ihre Wege zu den verschiedenen Wagentüren trennten, ließen ihre Hände voneinander los. Crowley spürte einen kalten Luftzug an seiner Handinnenfläche, versuchte jedoch sich nichts anmerken zu lassen. Kaum saßen sie wieder im Wagen, ließen sie die Kassette erneut ihr Werk tun. Während Erziraphael mit seinen Augen die Umgebung erkundete, fuhr Crowley in einem gemütlichen Tempo zurück auf die nächste Schnellstraße. Bald passierten sie die Grenze, die die Schweiz und Italien voneinander trennten. Seine Hand wanderte wie zuvor in die Fahrzeugmitte und ein weiteres Mal legte sich die wärmende Hand des Engels darüber. Die Finger schienen sich zu suchen, es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihren vorherigen Platz gefunden hatten. Mit dem Unterschied, dass es Crowley nun deutlich leichter fiel, seinen Blick auf die Straße zu behalten. Nicht mal einen kleinen Seitenblick auf seinen Engel erlaubte er sich. Die nächsten Stunden verbrachten sie schweigend. Anfangs erzählte Erziraphael von der einen oder anderen Sherlock Holmes Geschichte, welche er seinerzeit im Strand Magazin gelesen hatte. Dieses Mal hatte Crowley jedoch Mühe, Interesse dafür zu entwickeln und dieses auch offen zu zeigen. Erziraphael bemerkte dies recht schnell und so gab er es auf, sodass sie beide wieder für eine kurze Weile schwiegen. Erst nach über einer Stunde versuchten sie die Stille zu unterbrechen. Dabei kommentierten sie gelegentlich die Tiere und Gebäude, welche sie auf ihrer Reise zu sehen bekamen. Die meiste Zeit jedoch verbrachten die beiden mit Schweigen, vertieft in ihren eigenen Gedanken. Bis sie schließlich den Zielort ihrer Reise erreichten: Florenz. Prächtige Altbauten, wie sie sie von ihrem letzten Italien-Aufenthalten kannten, wohin ihre Augen nur blickten. Und noch immer hingen ihre Händen aneinander, berührten sich und hielten sich fest, als hätten sie in den letzten 6000 Jahren nichts anderes getan. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)