Find you! von Rizumu ([Wichtel OS-Sammlung 2019/2020]) ================================================================================ SW'19 ◊ »Würdest du mich bitte ansehen?« [Digimon Adventure Tri] ---------------------------------------------------------------- »Würdest du mich bitte ansehen?«   Serie: Digimon Adventures Tri ◊ Pairing: Tai x Matt           Matt saß auf der alten, durchgesessenen Bank im Proberaum seiner Band und stimmte seinen Bass. Er spielte die oberste Saite an und drehte an dem dazugehörigen Wirbel. Konzentriert lauschte er den kaum wahrnehmbaren Vibrationen, die die Saite des E-Basses erzeugte und stimmte sie vorsichtig höher. Nicht viel und dann stimmte der Ton. Während er das mit der nächsten Saite wiederholte, saß Gabumon vollkommen still und gebannt von seinem Partner auf einem Hocker auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes. Wenn man das Digimon so beobachtete, könnte man meines, das Stimmen eines Instrumentes wäre eine der spannendsten Tätigkeiten, die es gab. Für Gabumon war Matts Leben zumindest eben dieses: Spannend und aufregend. Selbst dann, wenn es nur im Proberaum saß und nichts machen konnte, außer still zu sein, zuzuhören und zu warten. »Hmmm«, Matt schien vollkommen in Gedanken zu sein und das Hier und Jetzt verlassen zu haben. Künstlern soll so etwas durchaus passieren, so von Zeit zu Zeit. Matt war da keine Ausnahme. Bis auf das leise Vibrieren der Saite war nichts zu hören und dann zerschnitt ein Laut die Stille. Es klang ähnlich wie ein Blitz, nur ohne das grelle Licht, aber genauso plötzlich erklang es und war wieder verschwunden. Das einzige was blieb, war Matts Fluchen. »Verdammt«, rief der Bassist und sprang von der Bank regelrecht hoch. Er stampfte mit den Beinen auf den Boden und begutachtete die gerissene Saite. »Verdammt, verdammt!« Im selben Augenblick war auch schon Gabumon an seiner Seite und sah ihn vollkommen unbeholfen an. Es wollte seinem Partner helfen, wusste aber nicht wie. »Oh Matt! Die Probe ist doch gleich!« Das Digimon sah fast schon panisch das Instrument an. Es schien in seinem Kopf zu rattern, während Matt voll mit seiner Wut beschäftigt war. Wie konnte es ihm nur passieren, dass ihm die Saite kurz vor der Probe riss? Wieso hatte er sich nicht darauf konzentriert, dass er zu hoch gestimmt hatte? Hoffentlich war mit dem Bass alles in Ordnung. »Warte«, sagte Gabumon und eilte zu Matts Instrumententasche. Es kramte darin rum und fand einen Saitenschneider, eine Saitenkurbel, diverse Plektren und Notenpapier. Bleistifte und Kugelschreiber, und wenige Sekunden später hielt es einen Satz Saiten in seinen Pfoten. Mit der Packung eilte es zurück zu seinem Partner. »Hier.« »Danke, Gabumon«, erwiderte Matt. »Aber leider fehlt bei dem Satz ausgerechnet diese eine Saite.« »Oh«, enttäuscht ließ Gabumon den Satz sinken, als wäre es seine Schuld gewesen, dass die Saite fehlte. »Naja«, sagte der Bassist und ging an seinem Partner vorbei zu seiner Instrumententasche. »Was hast du vor, Matt?«, fragte Gabumon und beobachtete ihn, wie er den Bass einpackte. »Du hast doch gleich Probe!« »Ja, aber mit nur drei Saiten funktioniert das nicht. Also muss ich neue kaufen.« Gabumon betrachtete den Satz Saiten in seinen Pfoten. Das, was Matt da sagte, war vollkommen logisch. Ohne Saiten keine Probe. »Okay!« Das Digimon eilte zu seinem Partner und hielt ihm die Packung entgegen. Gerade als Matt diese entgegengenommen hatte, wurde die Tür zum Proberaum geöffnet und ein blauhaariger, großgewachsener junger Mann kam herein. Reflexartig und fast schon panisch versteckte sich Gabumon hinter Matt, selbst wenn die Versteckmöglichkeiten in dem quadratischen Raum mangelhaft waren. »Ah, du bist es«, sagte Matt erleichtert. Seine Bandkollegen wussten von Gabumon und hatten mit der Zeit verstanden, dass nicht jedes Digimon bösartig war. Doch da die Mehrheit Angst vor ihnen hatte, waren Matt und die anderen Digiritter vorsichtig. »Sorry, aber ich muss los zum Music Store, neue Saiten kaufen.« »Ist dir schon wieder eine gerissen?« »Ja, gerade eben.« »Das passiert echt oft. Du solltest deinen Bass mal kontrollieren lassen. Vielleicht stimmt etwas mit der Sattelkerbung oder deinen Bünden nicht. Das war bei einer meiner ersten Gitarren so, schlechte Verarbeitung.« »Ich habe einfach nicht aufgepasst«, gestand Matt und schulterte seine Basstasche. »Auf jeden Fall kann ich ohne nicht spielen. Ich bin für heute weg.« »Jo … Übermorgen dann?« »Klar! Wir haben doch bald unser Konzert.« »Auf jeden Fall!« Matt und Gabumon verabschiedeten sich von ihm und verließen den Raum. Das Digimon hatte sich zur Tarnung eine Jacke übergezogen, so dass es wie ein Kind aussah und keiner es als Digimon erkannte. Manchmal erschien Matt diese Art von Tarnung für Gabumon lachhaft, aber was sollte er anderes tun? Schließlich war Gabumon nicht so klein wie Patamon und er war auch kein Mädchen, dass ein Plüschtier mit sich tragen konnte. Also blieb ihnen nichts anderes übrig. Die beiden verließen das Gebäude, in dem Matts Band ihren Proberaum gemietet hatte. Ein Gebäude, das sein Tagesgeschäft damit betrieb, Räume für alles Mögliche zu vermieten. Oft waren das eben Bands, oder Solisten, die einen Raum zum Üben brauchten, weil sie es in ihren regulären Wohnungen nicht konnten. Außerhalb war wunderschönstes Wetter. In dem Proberaum konnte er nicht hinaussehen, da sie einen der Räume ohne Fenster bekommen hatten, deswegen wurde Matt jedes Mal geblendet, sobald er das Gebäude verließ. Als erstes hielt Matt an und streckte sich, als würde die Sonne ihm neue Energie geben. Zumindest ordnete das Licht für ein paar Augenblicke seine Gedanken. Während Matt sich darauf konzentriert hatte, sein Instrument vorzubereiten, um sich noch ein paar Minuten einspielen zu können, hatte er sich so sehr auf seinen Bass fixiert, dass er es nicht mitbekommen hatte, wie seine Gedanken abgedriftet waren und sich statt mit dem Bass mit etwas vollkommen anderem beschäftigt hatten: Tai. Sein bester Freund, der all die Jahre nicht wusste, was er mit seinem Leben anstellen sollte und keine Ziele zu haben schien, hatte plötzlich einen Plan. Tai – der Chaot – wollte die Beziehung zwischen den Menschen und den Digimon verbessern. Tai der Chaot Yagami. Unwissentlich schüttelte Matt seinen Kopf und wurde von dem verwunderten Gabumon aus seinen Gedanken gerissen. »Gibt es etwas, das dich beschäftigt, Matt?« Es war ihm schon wieder passiert. Ohne es zu bemerken waren Matts Gedanken abgedriftet und er hatte alles um sich herum ausgeblendet. »Nein, nein«, wehrte er die Sorgen seines Partners ab. »Es ist alles in Ordnung.« »Ich kriege es mit, dass dich etwas beschäftigt.« »Danke Kumpel.« Matt schob seine Hände in die Jacke seiner Uniform und setzte sich in Bewegung. Er hatte keine Ahnung, warum ihn Tai plötzlich beschäftigte, und ob er bereit dafür war, davon zu erzählen und sich dies damit einzugestehen. Und erst recht nicht vor anderen. Das. War. Viel. Zu. Peinlich. »Es ist wirklich alles in Ordnung, und wenn es mal nicht so sein sollte, bist du der erste der es erfährt.« Gabumons Blick war eine Mischung aus vorwurfsvoll und erwartungsvoll. Er war merkwürdig. Natürlich merkte Gabumon, dass etwas nicht in Ordnung war, schließlich kannten sie sich dafür schon viel zu lange und hatten viel zu viel gemeinsam durchgestanden. Seinem Partnerdigimon konnte er so gut wie nichts vor machen. »Versprochen Gabumon. Als wenn ich dir etwas vormachen würde.« Es tat Matt weh, diese Worte auszusprechen, aber ihm blieb nichts anderes übrig, bis er wusste, was mit ihm los war. Matt ging vor und das Digimon tapste mit besorgter Miene hinter ihm her. Er achtete nur nicht darauf, da jede weitere Unterhaltung nichts Neues bringen würde. Er kannte den Weg zum Music Store, der ganz in der Nähe ihres Proberaums lag. Das war keine Absicht gewesen, sondern vollkommen zufällig und wurde von der jungen Band oft ausgenutzt. So wie Matt es jetzt ausnutzte, waren sie schon oft eben schnell losgelaufen um Ersatzteile zu besorgen. Saiten, Schlagzeugsticks, Schlagzeugfelle … Selbst einen Reparaturservice konnte man in Anspruch nehmen, jedoch hatte Matt den noch nie gebraucht. Auf der Außenseite des Geschäfts prangte ein Leuchtschild mit dem Namen „Music Store“ und die Schaufenster waren dekoriert mit Instrumenten und Zubehör. Man hatte Musiknoten und die verschiedenen Notenschlüssel ausgeschnitten und ins Fenster gehangen. „Musikanfänger“ war mit Fingerfarben von innen an die Scheibe gemalt worden und drum herum sah man so die typischen Instrumente, mit denen Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene das Musizieren lernten. Matt entschied sich, die Schaufensterdekoration zu ignorieren und das Geschäft zu betreten. Ein helles Glöckchen erklang zweimal. Einmal, als er eintrat und das zweite Mal, als er die Tür wieder zufallen ließ. Das Geschäft war nicht so modern, wie man es gewohnt war. Das erste, woran man es bemerkte, war die Geschäftstür, die nicht elektronisch war. Das Glöckchen erklang erneut, weil Gabumon hinter ihm eintrat. »Matt«, sagte das Digimon aufgeregt. »Was ist? Ist irgendetwas passiert?« Dabei war nicht so viel Zeit vergangen, bis Gabumon ihm in das Geschäft gefolgt war. »Tai und Agumon sind da!« »Tai?« »Ja, sie sind ganz zufällig vorbeigekommen. Tai kommt gerade von der „Paukerschule“ und sie haben uns gesehen. Wir haben die beiden schon so lang nicht mehr gesehen. War-« Matt blendete Gabumon aus, nicht gewollt und auch nicht bösartig, aber er konnte seinem Partner einfach nicht mehr folgen. Warum musste Tai ausgerechnet jetzt aufkreuzen? Das war ein Zufall, der ihm einfach zu zufällig war. »Warum jetzt … Warum ausgerechnet jetzt? Als wenn das alles miteinander zu tun hätte.« »Matt«, erklang Gabumons Stimme und riss ihn aus seinen Gedanken heraus. »Was?«, fragte Matt ungewollt gereizt. Das Digimon stutzte kurz, ließ sich dann aber nicht weiter beirren: »Wir könnten mit ihnen ein Stück mitlaufen, oder aber wir gehen irgendetwas zusammen machen. Oder?« »Hmm.« »Wir haben Tai und Agumon so lang nicht mehr gesehen.« »Seit Anfang des Jahres, als er zu Meiko gefahren war, um sie zu besuchen.« »Wir könnten mit ihnen Essen gehen. Nudeln, oder etwas anderes. Ich habe Hunger und wir haben schon lange nichts mehr gegessen«, plante Gabumon. »Tai könnte erzählen wie es Meiko und Meicoomon geht. Schließlich haben wir von ihnen auch lang nichts mehr gehört.« Innerlich zuckte Matt zusammen. Er konnte es sich nicht erklären, aber Gabumons Worte lösten irgendetwas in ihm aus, das ihn zwang sich so zu verhalten, wie er es tat: »Du kannst gerne mit Tai und Agumon mitgehen«, sagte er abweisend. »Wir treffen uns dann einfach wieder im Proberaum.« »Aber wolltest du die Probe nicht ausfallen lassen?« »Ich habe meine Meinung geändert.« Verwirrt sah Gabumon seinen Partner an. »Was ist los mit dir Matt? Irgendetwas scheint dich doch zu beschäftigen.« »Das ist doch egal. Nun los, geh schon.« Demonstrativ wandte sich Matt von seinem Digimon ab und widmete sich dem Ständer mit den Saitensätzen. Er nahm sich einen Satz und suchte dann den Kassierer auf. »Ich brauche noch aus dem Satz eine einzelne Saite ...« Gabumon konnte nichts anderes tun, als seinen Partner zu beobachten und sich zu fragen, was mit Matt los war. Da es das Gefühl hatte ihm in seinen Problemen gerade nicht helfen zu können, entschied sich das Digimon dazu, Matt tatsächlich alleine zu lassen und später wieder zurück zu kommen. Also ging es wieder aus dem Laden heraus. Das Glöckchen, das wegen Gabumon wieder ertönte, riss Matt aus dem Gespräch mit dem Verkäufer. Er drehte sich um und sah seinem Partner nach. »Gabumon?« Auch wenn er es ihm selber vorgeschlagen hatte, hatte er nicht daran geglaubt, dass Gabumon dem nachkommen würde. Matt hatte dennoch gehofft, dass es sich dafür entscheiden würde, bei ihm zu bleiben. Sein Partnerdigimon hatte beschlossen, ihm ein wenig Raum zu geben und die Chance, sich mit dem zu beschäftigen, was ihn da so einnahm. Es hatte so selten Matt so in Gedanken versunken gesehen, dass er alles um sich herum vergaß. Dass sein Partner nur nach Ausflüchten suchte, um sich nicht mit seinem Problem beschäftigen zu müssen war klar und Gabumon nahm es ihm auch nicht übel. Es vertraute darauf, dass Matt ihm alles erzählte, sobald er bereit dafür war. Solange würde es warten und erst einmal ein paar Stunden mit seinen Freunden Tai und Agumon verbringen. Die beiden warteten neben einem Brunnen. Tai saß auf der kleinen Mauer und Agumon beobachtete einen Wasserstrahl, der vor sich hinplätscherte. Es war der junge Mann, der Gabumon als erstes bemerkte und es begrüßte. Man konnte Tai anhören, dass er etwas verwirrt war: »Hey, Gabumon!« er winkte seinem Freund zu und stellte sogleich die wichtige Frage: »Wo ist Matt?« »Der ist beschäftigt«, erklärte Gabumon. »Hat gleich noch Bandprobe.« »Und da willst du ihm nicht zuhören?«, fragte Agumon, das auf seinen Freund zugelaufen kam. »Sonst willst du es auf keinen Fall verpassen, wenn er Musik macht.« Gabumon zuckte mit den Armen. Es stimmte, sonst war es nie von Matts Seite zu kriegen. Dass es seine Musik liebte, war kein Geheimnis. »Ja, aber ich habe euch schon so lange nicht mehr gesehen.« Diesmal war es Tai, der mit den Schultern zuckte. »Ja … Seit dem Streit … Weil … Als...« »Wie war es bei Meiko? Ihr habt sie doch besucht«, wollte Gabumon wissen. Es lächelte. Gabumon war damals bei dem Streit der beiden Sturköpfe dabei gewesen. »Ja … Ähm … Nett«, sagte Tai zunächst zögernd. Er kratzte sich etwas verlegen an der Wange. »Es geht ihr gut, sie vermisst uns alle.« »Das freut mich.« »Sie plant schon ihren Urlaub hier!«, berichtete Agumon stolz. »Wann kommt sie denn?«, wollte Gabumon wissen. »Weiß ich nicht. Wir sollten Mimi und Palmon fragen, die wissen sicher mehr.« Gabumon verschränkte die Arme vor seiner Brust. »Hat jemand von den beiden in den letzten Tagen was gehört?« »Ich glaube, sie wollte selber Meiko besuchen«, sagte Tai und wirkte abwesend. »Sag Gabumon … Wie geht es Matt?« Gabumon entging es nicht, dass sein Freund versuchte, beiläufig zu klingen. Als wäre es nur eine Nebensache. Jedoch sprach seine Körperhaltung Bände: Sie war angespannt und verriet jedem, der offen empfänglich für die Sprache des Körpers war, dass es Tai wichtig war, zu erfahren, wie es Matt ging. »Es geht ihm gut … Denke ich.« »Denkst du?«, fragte Tai. Seine Stimme war voll von Besorgnis. »Wieso denkst du? Du musst es doch wissen, Gabumon. Wer, wenn nicht du?« Das Digimon wich den Blicken, die auf ihm lagen, aus. Es war ihm unangenehm und das Gefühl, seinen Partner im Stich gelassen zu haben, beschlich es. »Ich weiß es nicht… Er war heute so … Abwesend … So kenne ich ihn gar nicht.« »Das ist … Gar nicht mal so unüblich. Matt ist schon immer der eher ruhige Typ gewesen. Impulsiv, aber er hat immer nachgedacht und alles … Also das Gegenteil von mir.« »Diesmal ist es etwas anderes. Ich befürchte, er zerbricht sich über irgendetwas ganz schrecklich den Kopf. Matt war noch nie so abwesend, dass ihm beim Stimmen seines Basses eine Saite gerissen ist.« Tai und Agumon sahen sich verwirrt an. Das war durchaus etwas ganz Ungewöhnliches für Matt, bei dem seine Musik an erster Stelle stand. »Wirklich?«, hakte Tai nach. »Ja.« Stille trat ein und nur das Plätschern des Baches war zu hören. Gabumon erinnerte sich an den Streit von Tai und Matt, kurz vor der Reise zu Meiko. Matt war dagegen gewesen und aus irgendwelchen Gründen, die Gabumon noch heute nicht verstehen konnte, hatte Matt den Anderen vor eine Wahl gestellt: Sie, oder er. Bis heute hatte sich Gabumon nicht getraut, seinen Partner nach den Gründen für den Streit zu fragen, weil es nicht einmal sicher war, ob Matt wusste, dass Gabumon alles mitangehört hatte. »Vielleicht bringt es ja etwas, wenn du mit ihm sprichst, Tai. Vielleicht bringt das ja etwas.« Tai lachte merkwürdig verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. »Ich denke nicht, dass es eine gute Idee wäre.« »Na komm schon, Tai«, munterte Agumon seinen Partner auf. »Als guter Freund solltest du dich auch um deinen Freund kümmern!« Tai beugte sich zu seinem Partnerdigimon hinunter wie zu einem kleinen Kind und sah es an, als hätte Agumon gerade vorgeschlagen, die Welt zu bereisen und zwar in einer Seifenkiste. »Bist du verrückt?« Agumon zuckte zurück und konnte die ganze Situation nur schwerlich verstehen: »Was? Ich will doch nur helfen!« »Ich bin sicherlich der Letzte, den Matt überhaupt sehen will, egal was gerade mit ihm los ist.« »Warum?«, fragte Gabumon und klang so ungewohnt ernst. Tai und Agumon blickten synchron zu ihrem Freund herüber. Genauso ernst wie sein Tonfall klang, war auch sein Blick. »Wie?«, wollte Tai wissen. »Warum denkst du, dass Matt dich auf keinen Fall sehen will.« Es war eine Frage und gleichzeitig auch nicht. Es war dem Digimon ernst und mit Sicherheit würde es auch nicht lockerlassen, ehe Tai nicht erklärt hatte, was er damit meinte. »Du … Ich ...«, erneut kratzte er sich an der Wange. »Wie soll ich das erklären?« Stille trat ein. Gabumon wartete, genauso wie Agumon, und Tai hoffte, dass er die Situation totschweigen konnte. Oder aber, vielleicht gelang es ihm ja auch, das Thema zu wechseln, ohne dass ihm jemand böse sein würde? Nur wie? Tai dachte an Agumon und hatte auch gleich eine Idee: »Wie wäre es? Ich lade euch zum Eis Essen ein. Es ist viel zu heiß und außerdem können wir hier nicht die ganze Zeit herumstehen.« »Oh ja!«, rief Agumon begeistert. Das Digimon war mit Essbarem immer abzulenken. »Nein!« Tai zuckte bei der ungewohnt strengen Stimme Gabumons zusammen. Es schien sich nicht mit etwas anderem befassen zu wollen, ehe es nicht seine Antwort bekommen hatte. »Weißt du«, Tai überlegte, aber es fiel ihm nichts ein, wie er sich aus dieser Situation befreien könnte, ohne das Digimon vor den Kopf zu stoßen. »Ich weiß nicht, ob du nicht lieber Ma-« Als Tai in die Augen des Digimon blickte, brach er seinen Satz ab, seufzte und setzte sich auf den Rand des Brunnens. Ein Windstoß kam auf und trug Wassertropfen der Fontäne zu ihm. »Ich weiß nicht, ob Matt dir von unserem Streit erzählt hat?« Gabumon schüttelte den Kopf. Es befürchtete jedoch, dass Tai ihm nichts erzählen würde, wenn er nicht gestand, dass es im Bilde war: »Aber ich habe es mitbekommen.« Tai war alleine zum Proberaum gekommen, in dem Matt und sein Partner sich aufgehalten hatten. Die Jungs hatten Gabumon zwar hinausgeschickt, aber gehört hatte es sie trotzdem. »Du hast es mitbekommen?« »Ihr wart nicht gerade leise.« Tai seufzte. »Gut … Da kann ich nichts gegen sagen.« »Warum habt ihr euch gestritten?«, wollte Agumon wissen. »Schon gut, ich erkläre es ja schon.« Tai seufzte. »Im Grunde liegt der Grund schon viel länger zurück.« »Wie lang?«, fragte Gabumon. Er klang nicht so aufdringlich wie Agumon es sein konnte, jedoch wollte es die Geschichte mit Sicherheit genauso dringend erfahren, wie Tais Partner. »Bevor das alles mit Meicoomon angefangen hat.« Tai biss sich auf die Unterlippe und dann kratzte er all seinen Mut zusammen, um sich den ganzen Streit von der Seele zu reden.   Es war ein Sommertag vor einem Jahr gewesen, als Tai seinen Freund in seinem Proberaum besucht hatte. Matt war zu der Zeit vollkommen mit den Proben für ein Konzert beschäftigt gewesen und man hatte ihn kaum außerhalb des Proberaums, oder ohne seinen Bass, angetroffen. Deswegen war Tai auch zu ihm gegangen, um mit seinem Freund zu sprechen. Über ein Thema, dem sie andauernd ausgewichen waren und das sie nur schweigend mit sich selbst ausdiskutiert hatten: Ihre Gefühle zueinander. Andauernd hatten sie um den heißen Brei herumgeredet und keiner hatte ehrliche Worte gefunden. Weder Tai noch Matt waren ehrlich zu dem jeweils anderen und mit der Zeit hatte sich bei beiden der Frust aufgestaut, sodass sie sich – mal wieder – miteinander stritten. Ein Wort traf das andere und am Ende war es der impulsive Matt, der zuschlug. »Verdammt, Matt, was soll das?«, konterte Tai, nachdem er seinem Freund ebenfalls eine verpasst hatte. »Was das soll? Was das soll?!«, wollte Matt wissen. »Frag dich das mal selber!« »Aber du? Du bist doch selber nicht einmal ehrlich zu dir, oder irgendjemandem!« »Wozu soll ich bitte ehrlich sein?« Tai schüttelte verständnislos den Kopf. Er wusste nicht, ob er wütend oder enttäuscht sein sollte. »Wir sollten einfach mal ehrlich zueinander sein. Vielleicht hilft uns das ja mal.« »Ich wüsste nicht, wie ich noch ehrlicher zu dir sein sollte, als ich es eh schon bin.« Matt wandte Tai seinen Rücken zu und beschäftigte sich mit seinem Bass. Es war offensichtlich, dass er damit das Thema abwürgen und seinen Freund ignorieren wollte. Es gelang ihm auch. Mit einem genervten Ton sah Tai ein, dass er nicht weiterkommen würde und verabschiedete sich von Matt. Danach hatten sie sich nur spärlich wiedergesehen, auch wenn sie die gleiche Schule besuchten, und erst als „Die Sache“ mit Meicoomon begonnen hatte, hatten sie wieder viel Kontakt miteinander gehabt.   »Und als ich dann angekündigt habe, dass ich Meiko besuchen würde, ist es wieder eskaliert. Ich habe keine Ahnung, was genau in ihm vorging, aber es schien so, als hätte Matt etwas dagegen gehabt, nur dass er es nicht hatte sagen können.« Gabumon erinnerte sich wieder daran, dass sein Partner ihren Freund vor eine Wahl gestellt hatte: Sie, oder ich. »Ich denke, dass weder er, noch ich ehrlich zu uns selbst sind. Jeder hofft, dass der andere den ersten Schritt macht und so lange deuten wir nur an, was in uns vor sich geht.« »Nanu, Tai«, gab Agumon von sich und machte so auf sich aufmerksam. »So erwachsen kenne ich dich ja gar nicht.« »So erwachsen kennst du mich nicht? Was soll das denn bitte heißen?!« Dass sich Tai und Agumon anfingen zu streiten, blendete Gabumon vollkommen aus. Es war vollkommen in seinen eigenen Gedanken gefangen, um die Situation zu verstehen. Und dann viel es ihm wie Schuppen von den Augen. Matt. »Geh zu ihm, Tai!« »Wie?« Verwundert wandten sich Tai und Agumon Gabumon zu. »Ich bin mir sicher, dass es etwas bringt, wenn du mit ihm redest, und du der Grund bist, warum er so abwesend ist.« »Jetzt bin ich etwa schuld?« »Nein nein«, wehrte sich Gabumon vor Tais impulsivem Gefühlsausbruch. »Aber du bist sicher der Grund, warum er so abwesend ist. Deswegen solltest du zu ihm gehen und ihn konfrontieren, mit allem!« Tai stutzte und wartete darauf, dass das Digimon weitersprach und sich genauer erklärte, doch Gabumon sah ihn lediglich eindringlich an. »Ich denke nicht, dass er mich sehen will«, erneut kratzte sich Tai an der Wange. »Er schien ziemlich wütend auf mich gewesen zu sein.« Gabumon schüttelte den Kopf, dann nahm es Tais Hand und zog ihn mit sich. »Jetzt komm, er ist sicherlich wieder im Proberaum mit sich selber beschäftigt. Ich bring dich hin.« Tai versuchte sich gegen Gabumon zu wehren, doch er schaffte es nicht und wurde von dem Digimon mitgezogen. Es führte ihn den Weg bis hin zu dem Gebäude, in dem Matts Proberaum lag und ließ ihn auch erst da wieder los. Aus dem Raum klang dumpf die Musik der Band. »Sie sind beschäftigt. Ich gehe lieber«, sagte Tai und wollte gehen, doch Gabumon öffnete einfach die Tür zum Raum. Gleich darauf hörte die Musik auf und Tai konnte Stimmen hören. »Matt, ich hab hier jemanden mitgebracht, kommst du eben raus?« »Jemand? Wen hast du denn da angeschleppt?« Kurz darauf trat Matt auf den Flur hinaus und sah von Gabumon zu Tai und sofort verfinsterte sich seine Miene. »Was willst du hier?«, fragte er abweisend. »Ich … Gabumon dachte, wir sollten uns mal wiedersehen und was zusammen unternehmen.« Matt sah zu seinem Partnerdigimon. »Ich habe keine Zeit«, brummte er und drehte sich um, um wieder in dem Proberaum zu verschwinden. »Matt!« Tatsächlich hielt Matt inne, als Tai ihn rief, er drehte sich jedoch nicht zu seinem Freund um. Er sagte auch nichts. »Bitte, nur kurz«, bat Tai ihn. Er wartete kurz, ob Matt irgendwie reagierte, doch sein Freund blieb still. Also holte Tai tief Luft und forderte in Gedanken, dass er all seinen Mut zusammennehmen sollte und dass er verdammt nochmal den Anfang machen sollte, um endlich einmal aus diesem Kreislauf des Streits ausbrechen zu können. Er holte einmal tief Luft und sah Matt – der ihm immer noch den Rücken zugewandt hatte – ernst an. Jetzt. Er durfte nicht zögern, nicht solange er noch den Mut besaß. Wenn er die Chance nicht nutzte, würde sie wahrscheinlich nie wiederkommen. »Ich will mit dir reden.« »Dann mach.« »Würdest du mich bitte ansehen?« Matt reagierte nicht sofort und Tai zweifelte auch daran, dass er seiner Bitte nachkommen würde und gerade als er es aufgeben wollte zu warten, drehte sich Matt zu ihm um. Tai nickte dankend und raffte dann all seinen noch verbliebenen Mut zusammen: »Das, was ich dir eigentlich schon ewig hätte sagen sollen«, fing er an, holte noch einmal tief Luft und brachte die Worte über seine Lippen: »Ich liebe dich, du Idiot.« Hosted by Animexx e.V. 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