Ein Herz aus Glas von Sharry ================================================================================ Kapitel 7: ----------- Kapitel 7 In tiefer Stille saßen sie am Tisch. Nicht, dass Nishinoya nicht schon mal versucht hatte ein Gespräch aufzubauen, aber mit einem ernsten Blick hatte Asahi ihn schnell zum Schweigen gebracht. Es war wirklich einschüchternd, wenn der sanfte, stets höfliche und freundlich gestimmte Asahi einen so ansah. Das musste er sich von Daichi und Sugawara abgeguckt haben. Leise seufzend senkte der Libero wieder den Blick. Das lief alles nicht so wie geplant. Also nein, eigentlich lief es alles so wie es geplant war, aber das bedeutete noch lange nicht, dass es gut war. Erneut sah er auf und beobachtete den anderen. Asahi hatte sich tief über den Tisch gebeugt, die Stirn in konzentrierte Falten gelegt, sein offenes Haar fiel ihm über die Schulter und immer wieder strich er es hinters Ohr, wobei sein Stift sich manchmal in den einzelnen Strähnen verhedderte. Er sah deutlich besser aus als noch am Vortag, seine Haut hatte wieder an Farbe gewonnen und seine Gesichtszüge waren nicht mehr so eingefallen. Bis auf die Augenringe sah er eigentlich wieder aus wie immer. Doch diese hatten auch ihren Grund. Sie hatten früh schlafen gehen wollen – nun ja, eigentlich war es der Drittklässler gewesen, der ab halb acht fast am laufenden Band gegähnt hatte, da er so müde gewesen war – aber als sie dann auf den Matten in Asahis Zimmer gelegen hatte, da hatten sie nicht aufhören können zu reden. Nishinoya konnte sich gut an das Profil des anderen erinnern, einen Arm unterm Hinterkopf, den Blick zur dunklen Decke gerichtet, nur vom Licht des Mondes erhellt. Stunden hatten sie miteinander geredet, über lustige Dinge, über aufregende Dinge, über Dinge aus der Vergangenheit und Dinge aus der Zukunft. Sie hatten gelacht und sie waren sehr ruhig geworden, manchmal nur für Sekunden, manchmal für einige Minuten und doch war keiner von Ihnen eingeschlafen – und das obwohl Asahi doch so müde gewesen war – und irgendwann hatte einer von ihnen wieder gesprochen, über Dinge geredet, die sonst schon mal leicht in Vergessenheit gerieten, schon mal zwischen den Zeilen verloren gingen, schon mal unter dem Trubel des Tages untergingen. In diesen Stunden hatte Nishinoya den anderen beobachtet, hatte ihn so gut wie nie aus den Augen gelassen, sich sein Profil im Mondlicht ganz genau eingeprägt. Schließlich wusste er nicht, wann sie noch einmal die Zeit finden würden, so miteinander zu reden. Schließlich wusste er nicht, ob sie je wieder solche Gespräche führen würden, wenn… wenn Asahi die Schule verlassen würde. Bisher hatte Nishinoya immer vermieden über das danach nachzudenken; hatte vermieden darüber nachzudenken, dass Asahi irgendwann auf eine Uni gehen würde und auch wenn Nishinoya ihm nur ein Jahr später folgen würde, wer wusste schon was in so einem Jahr alles passieren konnte? „Was ist denn?“ Der Drittklässler sah auf, einen fragenden Ausdruck in den Augen, ehe er entschuldigend lächelte. „Also nur weil ich dir gesagt habe, dass ich mich konzentrieren muss, heißt das nicht, dass du mir keine Fragen stellen darfst, wenn du etwas nicht verstehst.“ Immer noch mit diesem warmen Lächeln kratzte Asahi sich mit dem Ende des Stiftes am Nacken. „Tut mir leid, wenn ich eben etwas barsch rüber kam. Aber du lässt dich halt immer so schnell ablenken, Nishinoya.“ Der Libero reagierte nicht als der andere sich zu ihm herüber beugte und das Heft etwas zu sich herüberzog. „Wo bist du denn dran? Ach, past perfect progressive, ja damit hatte ich auch immer meine Probleme. Aber eigentlich ist es ganz einfach, du musst einfach nur…“ Nishinoya wollte ihm zuhören, wollte ihm wirklich zuhören. Schließlich nahm Asahi sich gerade extra die Zeit ihm etwas zu erklären und das, obwohl er zwei Tage Schule aufholen musste und sich am gestrigen Tage entschieden hatte zur Uni zu gehen. Aber er konnte nicht aufhören den anderen anzusehen, den Asahi gerade mit dem Asahi von gestern Nacht und den Asahi von gestern Mittag zu vergleichen und Nishinoya fragte sich langsam was er hier eigentlich tat. Immer und immer wieder drängte er sich dem anderen einfach auf. Woher wusste er, dass Asahi ihn wirklich hier haben wollte? Vielleicht war der andere einfach nur zu freundlich gewesen ihm zum Pfeffer zu schicken? Nein, was dachte er denn da? Asahi war zwar ziemlich gutmütig und verpasste es des Öfteren seiner Meinung Gehör zu verschaffen, aber das bedeutete nicht, dass er nicht in der Lage war auf sich selbst aufzupassen. Nein, nein, nein, Nishinoya sollte nicht so unhöflich sein und Asahi unterschätzen. Er war lieb und höflich, war nicht annähernd so spontan oder direkt wie Nishinoya oder Tanaka, aber trotzdem war sich Nishinoya sicher, dass Asahi nichts dagegen hatte, dass er gerade hier war. „Was ist denn mit dir los?“ Überrascht schaute er auf. Asahi sah ihn mit hochgezogener Augenbraue an. „Wo bist du denn wieder mit deinen Gedanken?“ „Ach“, winkte Nishinoya ab, „ich hab nur darüber nachgedacht, welche Uni am besten wäre.“ „Nishinoya“, seufzte Asahi und rollte mit den Augen, während er sich durchs Haar fuhr. „Wir haben darüber doch gesprochen. Erst rede ich mit meinen Eltern, dann den Lehrern und dann, aber auch nur dann, können wir uns darüber Gedanken machen, okay?“ Der Libero nickte, versuchte erst gar nicht eine Diskussion über eine Ausrede anzuzetteln. „Gut, dann ab mit der Nase ins Heft und wie gesagt, wenn du Fragen hast – bezüglich des Lernstoffs – kannst du mich ruhig fragen.“ Mit einem gemurmelten Danke befolgte Nishinoya die Anordnung, ohne die Worte vor seinen Augen wirklich zu lesen. Nun schwiegen sie wieder und die einvernehmliche Stille wurde nur durch das Blättern von Seiten und dem Kratzen von Asahis Stift gestört. Bald würden seine Eltern eintreffen und dann würde es mit der Ruhe vorbei sein. Nicht, dass Nishinoya das schlimm finden würde. Er mochte Asahis Eltern. Sein Vater war wie sein erwachsener Zwilling und ein hervorragender Koch, ein Talent, welches sein Sohn von ihm geerbt hatte. Seine Mutter auf der anderen Seite schaffte es sogar Tiefkühlpizza anbrennen zu lassen und konnte sich dabei auch herrlich darüber aufregen. Aber sie war eine kluge Frau, die immer einen Rat parat hatte und außerdem war sie ganz hervorragend im Pokern, worin auf der anderen Seite sowohl ihr Mann als auch Asahi absolute Versager waren. Gemeinsam mit der energiegeladenen Akemi, die das Kochtalent ihres Vaters und das Selbstbewusstsein ihrer Mutter geerbt hatte, war diese kleine Familie seit über einem Jahr Nishinoyas Zufluchtsort geworden. Asahis Eltern hatten nie hinterfragt, wenn er plötzlich in der Tür gestanden hatte oder wenn er hatte über Nacht bleiben wollen. Solange Asahi damit einverstanden gewesen war, hatten sie ihm gegenüber nie auch nur die leisesten Anzeichen gemacht, dass er nicht willkommen wäre. Würde sich das ändern, wenn Asahi und er nicht mehr zusammen zur Schule gehen würden? Wenn sie nicht mehr Volleyball zusammenspielen würden? Er hatte nicht übertrieben als er gesagt hatte, dass er Angst davor hatte Asahi aus seinem Leben zu verlieren. Das war eine seiner größten Ängste und auch wenn er es diesmal hatte verhindern können, so hatte er doch jetzt große Angst vor der Zukunft. Schließlich konnte selbst Asahi nicht versprechen, dass die Dinge sich nicht verändern würden und egal was Nishinoya sagen oder tun würde, er würde dem Älteren immer ein Jahr hinterherhinken, nur ein verdammtes Jahr, aber gerade hatte er das Gefühl als wäre dieses eine Jahr eine Schlucht die sich zwischen ihnen auftun würde und sie für immer trennen würde. Natürlich würde er ein Jahr später Asahi folgen und dann wären sie wieder zusammen, würden wieder zusammen Volleyball spielen und würden wieder zusammen lernen können. Dann wären sie nicht wieder Oberschüler und Student, sondern wieder zwei Studenten, so wie sie gerade zwei Oberschüler waren. Aber selbst dann würde irgendwann der Tag kommen, an dem Asahi die Uni verlassen und ins Arbeitsleben eintreten würde und dann würde Nishinoya ihm wieder ein Jahr hinterherhinken. Er hatte sich nie viele Gedanken über die Zukunft gemacht – wenn er ganz ehrlich war machte er sich generell nie viele Gedanken über irgendetwas – aber seit gestern war das anders. Obwohl, wenn er ganz ehrlich war, hatte dieses unstete Gefühl schon vor langer Zeit angefangen. Nicht erst bei dem Streit damals als Asahi das Team verlassen hatte. Schon damals, bei dem Spiel gegen Datekou, schon damals, in den Sekundenbruchteilen als er gesehen hatte, wie Asahi zerbrochen war, das waren die Momente gewesen, die Momente, in denen er gewusst hatte, dass es schon lange nicht mehr nur ums Volleyballspielen ging. „Yū.“ Er sah auf, schon wieder hatte er sich ablenken lassen und nun würde Asahi ihn dafür belehren. Doch Asahi sah ihn gar nicht an, hatte seinen Blick auf das Textbuch vor sich gerichtet, tippte mit der Spitze seines Stiftes immer wieder auf das leere Blatt vor ihm, mit der anderen Hand fuhr er sich über den Nacken und stützte seinen Ellenbogen auf dem Tisch ab. Er schien tief in Gedanken und dann schaute er schließlich auf und seine warmen Augen schienen sich geradezu in Nishinoyas Seele zu bohren. „Kann ich dich was fragen?“, murmelte er, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Irgendetwas lag in der Luft und der Libero konnte nichts anderes tun als stumm zu nicken, woraufhin der andere tief Luft holte. „Kann es sein…“ Asahi unterbrach sich und senkte den Blick wieder auf das Textbuch vor sich. „Ich mache mir Sorgen, weißt du? Ich frage mich, ob das hier… Ich frage mich, ob das hier alles so richtig ist. Manchmal, da habe ich das Gefühl – die Angst -, dass du zu sehr abhängig bist von mir und ich…“ Nun schüttelte Asahi den Kopf während er die Augen zusammenkniff. „Und ich möchte auf keinen Fall, dass du wegen mir irgendwelche Entscheidungen triffst, die du irgendwann einmal bereuen könntest. Vielleicht nicht nächste Woche, vielleicht nicht nächsten Monat, aber was ist in einem Jahr? Was ist in zehn Jahren?“ „Wovon redest du Asahi?“ Verwirrt aber auch leicht besorgt sah Nishinoya den anderen an, konnte kaum verstehen wovon Asahi redete, was er damit meinte. Was wollte Asahi ihm damit sagen? „Naja.“ Verlegen lächelte Asahi und strich sich erneut durchs Haar, ehe er ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue ansah. „Als du eben gesagt hast, dass du dir über die Uni Gedanken gemacht hast, da hab ich mich gefragt, ob du dir darüber Gedanken machst auf welche Uni ich gehen werde oder du und kam mir der Gedanke, dass das für dich vielleicht gar kein Unterschied machen würde. Ich frage mich, ob du auf eine Uni gehen würdest, nur um mir zu folgen.“ „Würdest du das etwa nicht wollen?“ Nishinoya wusste nicht, was hier vor sich ging, aber konnte es sein, dass Asahi gar nicht wollte, dass er ihm nachjagte? „Darum geht es doch gar nicht,“ widersprach Asahi und schüttelte den Kopf. „Das hat gar nichts mit mir zu tun, Nishinoya. Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn du die ganzen Entscheidungen, die deine Zukunft beeinflussen können, nach mir richtest, dann wirst du das eines Tages bereuen.“ „Wer sagt denn, dass ich das tue?“, meine nun Nishinoya und leichte Verzweiflung stieg in ihm hoch. Er dachte sie hätten am vergangenen Tag alles geklärt, warum also, warum fühlte sich das hier alles gerade so falsch an? „Du hast es. Du hast es gestern noch gesagt.“ Asahi sprach immer noch ruhig, aber trotzdem war da eine Dringlichkeit in seiner Stimme. „Oder was war das nach Datekou, als du einfach den Club verlassen hast, nur weil ich das getan habe?“ „Aber Asahi, das war…“ „Sei mal ehrlich, Nishinoya, wenn ich nicht zurückgekommen wäre, würdest du dann jetzt im Club sein? Würdest du jetzt Volleyball spielen?“ Nishinoya wurde kalt als Asahi ihn so direkt ansah. Er kannte die Antwort zu dieser Frage, er kannte sie ganz genau. Doch sie machte ihm keine Angst, sie überraschte ihn noch nicht einmal, aber es machte ihm Angst, dass sie für den anderen ein Problem darzustellen schien. „Dachte ich mir“, fuhr Asahi fort, „und genau davon rede ich, Nishinoya. Du bist so talentiert, du gehörst zu den wenigen, die es bis nach ganz oben schaffen würden und das setzt du alles aufs Spiel, nur wegen mir? Das ist doch lächerlich.“ Nun war es Nishinoya der wegsah. „Na und“, murmelte er verletzt, „dann ist es eben lächerlich. Aber was ist daran so falsch?“ Er schaute wieder auf. „Was ist falsch daran, wenn ich an meinen Prinzipien festhalte? Was ist falsch daran, dass Volleyball mir nun mal mehr Spaß macht, wenn du auch auf dem Spielfeld stehst? Was ist falsch daran, wenn ich in deiner Nähe sein will?“ Asahi sah ihn für eine gefühlte Ewigkeit einfach nur an, ohne etwas zu sagen und der Libero wusste nicht, was das alles überhaupt zu bedeuten hatte. Dann seufzte Asahi und schüttelte erneut den Kopf. „Daran ist nichts falsch, Nishinoya. Ich möchte nur nicht, dass du in der Zukunft etwas bereust. Wenn ich nicht zum Club zurückgekehrt wäre, würdest du heute nicht Volleyball spielen. Aber ich bin nicht so stark wie du Nishinoya, ich kann kaum für mein eigenes Leben die richtigen Entscheidungen treffen, ich möchte nicht auch noch deine Zukunft dadurch gefährden, dass ich Fehlentscheidungen treffen werde.“ Nun faltete Asahi seine Hände und betrachtete Nishinoya beinahe flehend. „Ich würde meines Lebens nicht mehr froh werden, wenn ich wüsste, dass eine meiner Entscheidungen, wie damals als ich den Club verließ, dir deine Zukunft verbauen würden und die Last dieser Verantwortung ist eine Bürde, vor der ich sehr große Angst habe.“ Langsam verstand Nishinoya und die Panik, die ihn bis gerade durchströmt hatte, legte sich als er endlich begriff, worauf der andere hinaus wollte. Nickend lehnte er sich vor. „Du magst mit allem was du sagst recht haben, aber du vergisst aber etwas, Asahi“, meinte er dann mit einem halben Lächeln, „es ist meine Entscheidung.“ Die Augen seines Asses wurden groß. „Sie mögen nicht die klügsten sein, rein rational betrachtet, vielleicht nicht das, was ein Wunderknabe wie Kageyama oder ein kluger Kopf wie Suga tun würden, aber es ist meine Entscheidung, nicht deine und bisher konnte ich mit meinen Entscheidungen immer ganz gut leben und hab sie noch nie bereut. Wenn du nicht spielen willst, ist das deine Entscheidung, aber wenn ich entscheide, dass ich ohne dich aufs Spielfeld will, dann hab ich genauso das Recht dazu, mich so zu entscheiden und es ist ziemlich unfair von dir, dass du mir dieses Recht nicht zugestehen willst.“ Asahi öffnete den Mund, doch kein Wort kam über seine Lippen, während er Nishinoya fassungslos anstarrte. „Weißt du, Asahi“, sprach er also weiter, um seinen Standpunkt noch weiter zu untermauern, „Du findest es vielleicht lächerlich, dass ich meine Entscheidungen von dir abhängig mache, aber für mich ist das gar nicht lustig. Weißt du, wie beschissen es für mich ist, dir immer ein Jahr hinterherzuhinken? Nächstes Schuljahr gehst du auf die Uni und ich werde dann nur ein kleiner Oberschüler sein und selbst wenn ich dann auf die Uni komme, dann bist du schon wieder kurz davor sie zu abzuschließen. Ich hänge dir immer ein Jahr hinterher und ich werde dieses Jahr nie einholen können und das macht mich echt wütend.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich will so viel Zeit mit dir verbringen wie möglich, aber es gehört sich nicht für einen Zweitklässler bei den Drittklässlern abzuhängen und es gehört sich nicht für einen Oberschüler an den Unis herumzulungern. Also ja, vielleicht ist es lächerlich, dass ich auf die gleiche Uni wie du gehen will. Aber auf der anderen Seite, habe ich mir vorher noch nie Gedanken darüber gemacht, was ich überhaupt nach der Schule machen will. Also ist es dann das schlechteste, wenn ich studieren gehe, selbst wenn ich das nur machen würde, um dann wieder mit dir in einem Team spielen zu können?“ Asahi entgegnete nichts. „Ich hab das, was ich gestern gesagt habe, alles ernst gemeint und ich will dich damit weder nerven oder belasten, aber es ist halt die Wahrheit. Also vielleicht bereue ich in zehn Jahren was ich heute entscheide, aber was in zehn Jahren ist, ist mir ziemlich egal. Weißt du was mir nicht egal ist? Mittwochabend, das habe ich bereut und zwar nicht erst zehn Jahre später. Also solange du mir nicht sagst, dass du nicht willst, dass ich dir auf die Uni folge, wirst du mich nicht von meiner Entscheidung abhalten können und ganz ehrlich, selbst wenn du das sagen würdest, weiß ich nicht, ob ich auf dich hören würde.“ Noch einen Moment sah Asahi Nishinoya kopfschüttelnd an, dann vergrub er das Gesicht in den Händen und stützte beide Ellenbogen auf dem Tisch ab. Immer noch kopfschüttelnd ließ er dann die Hände hinabsinken, so dass sie nur noch Nase, Mund und Kiefer bedeckten, und sah zu Nishinoya hinüber. So saßen sie nun für eine gefühlte Ewigkeit da, ohne dass einer die Stille zerbrach. „Hast du dazu nichts zu sagen?“, fragte Nishinoya schließlich als es ihm schwerer fiel, diesen klaren Augen Stand zu halten. „Hast du dazu überhaupt nichts zu sagen?“ „Ich bin sprachlos“, gestand Asahi leise ein und nickte dabei sachte, die Hälfte seines Gesichtes immer noch verborgen hinter seinen Händen, „ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll. Du haust mich immer direkt so um; wenn du dann mal loslegst, komm ich doch gar nicht dagegen an.“ Leise lachte der Drittklässler auf und schüttelte den Kopf, ehe er endlich seine Hände auf den Tisch fallen ließ. „Auch wenn ich nie vergesse, wie stark du bist, Nishinoya, so vergesse ich manchmal wie weise du auch sein kannst.“ Nun war es der Libero, dem die Worte fehlten. „Für dich ist dieses eine Jahr eine unüberwindbare Mauer die dich gefühlt auf ewig von mir trennt. Nun für mich ist das aber gar nicht so. Für mich ist dieses eine Jahr, diese paar wenige Wochen, alles was ich dir voraus habe und ich habe das Gefühl, dass der Abstand jeden Tag kleiner wird und dass du mich bald einfach überholen wirst und dann für immer uneinholbar sein wirst. Ich war mir immer ziemlich sicher, dass du mich eines Tages einfach hinter dir lassen wirst und dann will ich nicht, dass mein kleiner Teil in deiner Vergangenheit deine gesamte Zukunft bereits formt.“ Ernst sah der andere ihn an. „Aber du hast Recht, unabhängig von dem, was ich mir für dich wünsche, es ist und bleibt deine Entscheidung und zwar alles. Ich werde dir also nicht sagen, was du zu tun hast oder nicht – schließlich kann ich kaum meine eigenen Entscheidungen fällen -, aber ich werde dich unterstützen, wie auch immer du dich entscheiden magst. Wenn du dich entscheidest mir auf eine Uni zu folgen, dann würde ich mich darüber sehr freuen, weil ich auch gerne Zeit mit dir verbringe, aber ich will, dass du das tust, weil es das richtige für dich ist und nicht einfach nur, weil ich da bin, okay?“ Langsam nickte Nishinoya. „Okay.“ Plötzlich klang Asahi wieder etwas gelassener und griff nach seinem Stift. „Dann sollten wir jetzt wirklich lernen, denn um auf die Uni zu kommen brauchen wir gute Noten und da hast gerade du einigen Aufholbedarf, nicht wahr?“ Zustimmend grummelnd beugte der Libero sich wieder über sein Heft, nicht, dass er sich nun noch irgendwie konzentrieren konnte. Nach einer Weile fiel ihm dann auch noch etwas auf. „Machst du dir wirklich Sorgen darum, dass ich dich eines Tages hinter mir zurücklassen werde, Asahi?“, murmelte er, ohne aufzusehen. „Klar“, meinte Asahi dann sanft, „hast du mal mitbekommen, wie gut du bist, wie soll ich mit jemandem wie dir auf Dauer mithalten können, wenn wir ausgewachsen sind? Ob man fünfzehn oder sechzehn Jahre trainiert macht dann auch keinen Unterschied mehr. Irgendwann wird die Zeit den Weizen von der Spreu einfach trennen, egal wie viel man trainiert.“ Nachdenklich betrachtete Nishinoya die seltsamen Schriftzeichen vor sich. „Ja, aber wie soll ich dich hinter mir zurücklassen, wenn wir im selben Team spielen? Ich meine, wir müssen beide einfach nur hart genug trainieren, damit wir es bis in die Nationalmannschaft schaffen, oder? Danach kommt doch nichts mehr und keiner kann den anderen hinter sich zurücklassen.“ Nun lachte Asahi laut auf. „Du sagst das so, als wäre das was Leichtes, als könnte man mal eben Nationalspieler werden.“ „Aber wir können es doch nur schaffen, wenn wir es versuchen und ganz fest an uns glauben, oder?“ Für einen Moment sahen sie einander an. „Du glaubst also, wir können es bis nach ganz oben schaffen? Bis zu den Weltmeisterschaften?“ „Klar!“, lachte Nishinoya. „Wir sind doch das perfekte Team: Ich, der Libero, Schutzgott der Verteidigung, und du, das Ass, Zentrum des Angriffs. Zusammen sind wir unbesiegbar!“ Asahi lachte auch fuhr sich erneut durchs Haar. „Nun gut, Nishinoya, vom Frühlingsturnier zu den Weltmeisterschaften.“ „Kleiner Fingerschwur?“ „Das war ein Scherz, Nishi…“ Er hielt dem anderen seinen kleinen Finger an und Asahis Augen wurden wieder groß. „Lass es uns versprechen Asahi! Lass und zusammen in die Zukunft gehen, zusammen zur Meisterschaft des Frühlingsturniers, zusammen zur Nationalmannschaft und keiner lässt den anderen zurück.“ Nach einer kurzen Ewigkeit nickte Asahi und schlang seinen kleinen Finger um Nishinoyas. „Versprochen“, flüsterten sie einstimmig und eine erhabene Stimmung legte sich über sie, die Bücher waren vergessen, während sie einander anstarrten und Nishinoya wusste, dass da noch etwas war, noch etwas, was bisher nie deutlich wahrgenommen worden war. „Nishinoya“, setzte Asahi an, während sie sich immer noch am kleinen Finger hielten, „Yū, ich muss dir was sagen… was ich eigentlich sagen will ist, dass…“ „Hallo alle miteinander! Asahi! Akemi! Wir sind wieder da und wir haben Kuchen dabei!“ Herr und Frau Azumane polterten zur Tür hinein und was auch immer Asahi hatte sagen wollen, es ging unter in der freudigen Familienzusammenkunft. Aber das war in Ordnung, er würde ganz gewiss noch einmal die Zeit finden, das zu sagen, was er sagen wollte. Schließlich hatten sie ja noch die ganze Zukunft vor sich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)