Ein Herz aus Glas von Sharry ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Kapitel 6 „Oh, Akemi das schmeckt ja so gut! Ich wusste gar nicht das du kochen kannst.“ „Danke Yui, braucht es nicht noch was mehr Ingwer? Irgendwie schmecke ich zurzeit gar… warte mal, was machst du hier?!“ Gerade sprang Nishinoya von Topf zu Topf und probierte die verschiedenen Speisen. „Hmm, das hier ist auch gut, könnte was mehr Curry vertragen und was Salz. Was ist das...“ „Yui!“ Im letzten Moment konnte er dem Kochlöffel ausweichen. „Probier doch nicht einfach an allem rum! Ich bin noch nicht fertig und warum bist du nicht bei meinem Bruder?!“ Verwirrt sah er auf, einen Topfdeckel noch in der Hand. „Ich hab Asahi unter die Dusche geschickt, der hat total nach altem Schweiß und Krankenbett gerochen. Außerdem waren seine Haare mega verfilzt und hast du dir mal sein Gesicht angesehen, mit diesem Abklatsch von einem Bart sieht der ja aus wie ein Obdachloser.“ Sie nahm ihm den Deckel ab und stülpte ihn wieder über den Topf. „Das heißt es geht ihm wieder gut?“, fragte sie und konzentrierte sich etwas zu sehr auf die köchelnden Speisen. Breit grinsend streckte ihr Nishinoya zwei Daumenhoch entgegen. Man konnte ganz deutlich sehen, dass er geweint hatte, seine Augen waren leicht gerötet und geschwollen. Trotzdem wirkte er so fröhlich wie sie ihn kannte. Was für ein Glück, dass ihr Bruder einen solchen Freund hatte. „Aber klar doch!“ Mit einem leisen Lächeln wandte sie sich ab, konnte nicht verhindern, dass sie das fast schon unmenschliche breite Grinsen des Liberos zum Erröten brachte. „Das ist gut“, murmelte sie und salzte das Fleisch nach, „und du scheinst auch wieder der Alte zu sein.“ Nishinoya lachte als Antwort nur und begann den Tisch zu decken. Zurück in der Küche lehnte Akemi sich gegen den Kühlschrank und verkniff sich eine Träne. Endlich ging es ihrem großen Bruder wieder besser, sie hatte sich schon große Sorgen gemacht. Am vergangenen Abend hatte sie noch gehört, dass ihre Eltern leise miteinander gestritten hatten wegen Asahi, da sie sich auch nicht mehr zu helfen wussten. Sie hatte gehört wie ihre starke Mutter geweint und ihr sanfter Vater leise vor sich hingeflucht hatte. Was hasste sie es so hilflos zu sein, aber sie konnte nichts tun, wenn es ihrem Bruder so ging. Niemand konnte ihm dann wirklich helfen, wenn er sich so zurückzog und mit niemandem mehr reden wollte. Als die beiden schrägen Vögel am vergangenen Tag aufgetaucht waren hatte sie Hoffnung geschöpft, der Große mit dem düsteren Blick hatte ihrem Bruder ein paar interessante Dinge an den Kopf geworfen. Da ihr Zimmer direkt neben Asahis lag, hatte sie das ganze Gespräch verfolgen können. Aber als sie sich dann abends bei Asahi hineingeschlichen hatte, war alles beim Alten gewesen. Ihr Bruder hatte auf dem Bett gehockt und noch nicht mal reagiert als sie mit ihm geredet hatte. Geantwortet hatte er erst recht nicht, sie wusste nicht mal ober er ihr überhaupt zugehört hatte. Aber nun war Nishinoya da; der quirlige Libero war der Einzige den Asahi an sich dran ließ, wenn es ihm so schlecht ging, oder eher rannte Nishinoya ihm so lange hinterher bis er ihn eingeholt hatte. Leise lächelnd begab sie sich wieder an den Herd. Wenn sie ganz ehrlich war hatte sie daran gezweifelt, dass Nishinoya es dieses Mal schaffen würde. Sie konnte sich nicht daran erinnern ihren Bruder jemals so am Ende gesehen zu haben. Obwohl Asahi die Unsicherheit in Person war, war er immer ihr großer Bruder gewesen, hatte ihr immer beigestanden und sie konnte es kaum ertragen ihn so leiden zu sehen. Anscheinend hatte sie sich verschätzt, hatte verschätzt wie viel Nishinoya ihrem Bruder bedeutete. Der Wirbelwind war zu Asahi durchgedrungen als sie bereits die Hoffnung verloren hatte. „Wo habt ihr denn die Schüsseln?“ Überrascht schaute sie auf und bemerkte, dass der Libero sich auf allen Vieren durch ihre Schränke arbeitete. „Ah, hab sie.“ „Yū.“ Sie stellte sich hinter ihn und stemmte entschieden die Hände in die Hüften. Verwirrt mit drei Schüssel in der Hand sah er zu ihr auf. „Wehe du brichst meinem Bruder noch mal das Herz, kapiert?“ Für eine Sekunde sah Nishinoya mit großen Augen zu ihr auf, doch dann grinste er dieses breite Grinsen, welches sie so mochte. „Keine Sorge, das passiert mir nicht noch einmal.“ Sie nickte nur während er aufsprang und mit den Schüsseln davonjagte. „Und Yui!“ Auf der Stelle am Weiterlaufen sah er zu ihr. „Ich danke dir.“ Grinsend streckte er ihr einen Daumenhoch entgegen und rannte weiter. Als sie mit den Vorbereitungen in den letzten Zügen waren tauchte auch Asahi auf. Er trug den Pullover den Akemi ihm zu seinem Geburtstag geschenkt hatte, vorne abgebildet war ein Grizzlybär und darunter stand hug me, please; ein Handtuch um die Schultern verhinderte, dass seine nassen Haare alles voll tropften. Er sah immer noch ziemlich ausgelaugt und müde aus, aber immerhin lächelte er schwach und rieb sich verlegen den Hinterkopf als er hereinkam. Es schien ihm wirklich besser zu gehen. „Komm Bruderherz, steh nicht rum wie angewachsen, sondern hilf mir das Essen auf den Tisch zu stellen“, befahl sie als er einen Moment nach Worten suchte und verloren am Küchentisch stand. Nishinoya jagte währenddessen zwischen Küche und Tisch hin und her als wollte er einen Rekord im Tischdecken aufstellen. Wenig später saßen sie dann alle am gedeckten Tisch. Der Libero schlug wie gewohnt zu und auch Asahi aß für seine Verhältnisse großzügige Portionen, aber er hatte ja auch ein paar Tage aufzuholen. Vor allem trank er viel, was wohl auch daran liegen konnte, dass Akemi extra seinen Lieblingssportdrink gekauft hatte. Sie selbst sah den beiden Volleyballspielern lieber beim vollschaufeln zu und aß nur wenig. Vor allem beobachtete sie wie der Libero zum Alleinunterhalter mutierte und sowohl sie als auch ihren zaghaften Bruder immer wieder zum Lachen brachte. Nur dank des munter gelaunten Wildfangs war die Laune beim Essen ganz ausgelassen, während sie über dies und jenes sprachen und immer wieder miteinander und übereinander lachten. Irgendwann verabschiedete sich die kleine große Schwester, um sich etwas hinzulegen und um den Jungs etwas Raum zu geben. Die beiden Freunde aßen noch bis sie kugelrund und vollkommen gesättigt waren ehe sie schließlich aufstanden und mit dem Abräumen begannen. Immer noch unterhielten sie sich dabei ausgelassen, allerdings war das Gespräch hauptsächlich ein Monolog Nishinoyas, Asahi war seitdem sie unter sich waren noch ruhiger geworden als eh schon. Er war so oder so nicht der große Redner, das wusste der Libero, und natürlich brauchte er immer länger, um sich zu akklimatisieren, um sich wieder zu fangen. Nishinoya hatte schon oft mitbekommen, dass Asahi Wochen später noch über Dinge nachdachte, die er noch nicht einmal im Kurzzeitgedächtnis gespeichert hatte. Da waren sie halt einfach unterschiedlich. Trotzdem beunruhigtes es ihn zutiefst. Er versuchte mit lustigen Sprüchen die Stimmung zu lockern, er erzählte Asahi was er die letzten zwei Tage an wichtigen Dingen in der Schule verpasst hatte – also zum Beispiel, dass Tanaka am vergangenen Tag gegen einen anderen Zweitklässler aus dem Basketballclub im Armdrücken verloren hatte und Ryu ihm nun zwei Wochen sein Mittagessen abgeben musste, sollte Daichi nicht die Ehre des Volleyballteams wiederherstellen und am Montag den Kapitän des Basketballteams im Armdrücken schlagen, woran niemand von ihnen auch nur den leisesten Zweifle hatte – und wie das Training so gelaufen war. Doch Asahi schwieg die meiste Zeit und sah Nishinoya auch nicht öfters an als unbedingt nötig während er abspülte und der Libero abtrocknete. Laut aufstöhnend rieb der Jüngere sich eine Hand durchs Gesicht. „Mann, du bist ja so anstrengend.“ „Was? Wie bitte?“ Erschrocken sah Asahi nun zu ihm hinab und es war mehr als offensichtlich, dass der Drittklässler es direkt mit der Angst zu tun bekam. Kopfschüttelnd stemmte Nishinoya beide Hände gegen die Hüfte. „Ich würde ja wirklich zu gerne wissen was in deinem haarigen Kopf so vor sich geht. Ich dachte wir hätten alles geklärt, warum guckst du dann immer noch so belämmert vor dich hin als hätte ich dir die Haare abgeschnitten?“ Asahi sah ihn einen Moment mit riesigen Augen an, ehe er sich wieder dem Spülbecken zuwandte. „Das mach ich doch gar nicht“, murrte er verlegen. „Machst du wohl!“ widersprach Nishinoya deutlich lauter und schlug ihm leicht mit dem Ellenbogen gegen die Hüfte. „Wenn etwas ist, musst du mir das sagen“, murmelte er dann viel leiser. „Ich kann doch nicht deine Gedanken lesen und weiß dann nicht was ich tun soll.“ Nun sah Asahi ihn wieder an. „Du weißt nicht was du tun sollst?“, fragte er beinahe ungläubig. „Du weißt doch immer was zu sagen ist. Selbst wenn Daichi oder Sugawara nervös sind hast du einen coolen Spruch auf Lager. Du bemerkst manchmal, dass ich Schiss kriege bevor es mir überhaupt selbst auffällt.“ „Na und?!“ Nishinoya konnte nicht verhindern, dass er errötete. „Das ist etwas anderes. Ich weiß dann ganz genau was in dir oder den anderen abgeht. Ich merke, dass es dann nur Angst ist und damit weiß ich umzugehen, aber wenn du so komisch bist wie gerade, so ruhig und ernsthaft, dann weiß ich nicht was in dir vorgeht und dann weiß ich erst Recht nicht was ich sagen soll und das kotzt mich an weil ich nicht will, dass du dir über irgendetwas unnötige Gedanken machst, wenn wir das zusammen lösen könnten.“ Und auf einmal war es da, dieses kleine Lächeln das Asahi so selten zeigte, bevor er dann ebenfalls die Hände auf die Hüften legte und leicht den Kopf schüttelte. Nishinoyas Herz begann schneller zu schlagen. Er kannte diese Bewegung zu gut und musste sofort grinsen, obwohl er noch nicht einmal wusste was der andere nun sagen würde. Asahi so lächeln zu sehen, ein Lächeln das Nishinoya so liebgewonnen hatte, dann konnte er gar nicht anders als grundlos glücklich zu sein. „Aber du weißt doch genau was zu sagen ist“, meinte der Ältere dann und sah ihn warm an, „mir geht‘s direkt viel besser.“ „Sehr gut!“, lachte Nishinoya ehe ihm etwas Wichtiges auffiel. „Aber du hast mir immer noch nicht gesagt worüber du jetzt die ganze Zeit gegrübelt hast.“ „Ach, das war doch nur...“ Asahi kratzte sich verlegen an seinem bärtigen Kinn, nun wieder den Blick überall hinschweifen lassend solange er Nishinoya nur nicht ansehen musste, der das natürlich sofort bemerkte. „Jaha?!“, fragte er direkt nach und ließ den anderen nicht aus den Augen. „Ach, weißt du… eigentlich war es nur… also nicht, dass es wirklich...“ „Jetzt druck‘s hier nicht so rum, sondern sag was los ist! Hat es was mit dem Team zu tun? Also da kann ich dich beruhigen. Natürlich machen wir uns alle Sorgen, aber wegen drei Tagen Schwänzen wird Daichi dich doch nicht direkt köpfen, selbst nach einem Monat durftest du zurückkommen, da glaube ich nicht, dass das hier jetzt...“ „Nishinoya“, Asahi hob beide Hände und versuchte ihn ruhig zu unterbrechen, was gar nicht so leicht war, wenn der Libero mal in Fahrt kam. „Ich weiß doch, dass ich zurückkommen darf.“ Das war so untypisch selbstsicher von seinem Ass, dass Nishinoya wirklich für einen Moment vergaß wo er dran war und den anderen nur mit offenem Mund anstarrte. „Darum ging es nicht.“ „Worum ging es dann?“, fragte Nishinoya missmutig, aber auch leicht beeindruckt nach. Da war er wieder, den Asahi den er schon immer hinter dem ängstlichen Ass gesehen hatte, schon wieder war er hervorgeblitzt. Selbst jetzt, nach fast drei Tagen, in denen sich der andere in sein Schneckenhaus zurückgezogen hatte und Nishinoya Angst gehabt hatte ihn für immer verloren zu haben, selbst jetzt war er noch da, unter den unsicher dreinblickenden Rehaugen verborgen. Aber dann errötete Asahi und fuhr sich durch sein halbtrockenes Haar. „Ach nein, das ist mir zu peinlich, darüber will ich nicht...“ „Jetzt spuck‘s schon aus!“ Tief seufzte Asahi auf und wandte sich wieder dem Spülbecken zu, Nishinoya wollte schon nachhaken als der Ältere nach dem nächsten Teller griff und zu sprechen begann: „Weißt du, dass Hinata und Kageyama gestern hier waren?“ „Klar“, entgegnete Nishinoya und nahm den Teller an, neugierig wohin dieses Gespräch jetzt führen würde. Für einen Moment schwieg Asahi und sie spülten in Stille ab. „Kageyama hat ein paar Sachen gesagt, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen.“ „Mhm.“ Nishinoya wusste, dass Kageyama geplaudert hatte. Deswegen war er schließlich hierhin gekommen, weil der Erstklässler ihnen gesagt hatte, dass Asahi nicht zurückkommen würde. Was genau der Zuspieler ihrem Ass zugesteckt hatte wusste er allerdings nicht, aber auch er hatte nicht vorgehabt der Anordnung ihres Trainers Folge zu leisten, daher war es ihm nur Recht, dass Kageyama sich auch dagegen entschieden hatte. Trotzdem war Nishinoya sich ganz bewusst – vielleicht sogar mehr als jedem anderem im Volleyballclub – wie dieses Wissen Asahi belasten konnte. Er wollte den Drittklässler ermutigen sein volles Potential auszuschöpfen, ohne ihn dabei unter Druck zu setzen, dass er das auch tun musste. „Weißt du, dass Daichi und Suga sich an einen Vorbereitungskurs für die Uni eingeschrieben haben?“ „Hä?“ Verwirrt schaute Nishinoya von seiner Schüssel auf. Woher kam denn der plötzliche Themenwechsel? Was hatte das damit zu tun was Kageyama ihm gestern gesagt hatte? „Suga meinte ich sollte das auch, aber ich hatte ja nie vor auf die Uni zu gehen und bin deswegen ja auch nicht in deren Klasse.“ Asahi konzentrierte sich auf den Schwamm in seiner Hand. „Meine Noten sind gar nicht so schlecht und ich bin mir sicher, dass ich, wenn ich genug lerne auch irgendwie diesen Eignungstest bestehen könnte, aber noch bevor ich auf die Oberschule kam war mir klar, dass ich nach der Schule etwas machen wollte, um Geld zu verdienen. Daher wusste ich von Anfang an, dass die drei Jahre auf Karasuno meine letzten drei Jahre sein würden, um Volleyball so zu spielen wie ich es will.“ Nishinoya schwieg. Er hatte immer vermieden darüber nachzudenken was nach der Nationalmeisterschaft sein würde; hatte vermieden darüber nachzudenken, dass die Drittklässler irgendwann ihre Clubaktivitäten beenden würden, aber natürlich dachten die Älteren darüber nach. Schon das ein oder andere Mal hatte er die Drittklässler darüber reden hören, auch dass Sugawara Asahi hatte überreden wollen sich doch für einen Vorbereitungskurs anzumelden, aber dieser hatte abgelehnt. „Es ist nicht so als ob ich wirklich lernmüde wäre“, murmelte Asahi nun mehr zu sich selbst als zu Nishinoya, „eigentlich würde ich sogar gerne noch mehr lernen, aber die Uni kostet nun mal Geld und das haben wir einfach nicht.“ Der Libero schluckte leise, auch über so etwas hatte er sich nie wirklich Gedanken gemacht. Er selbst kam vielleicht nicht aus reichem Hause, aber er hatte sich nie darum sorgen müssen, dass seine Ziele durch so etwas Triviales wie Geld aufgehalten werden würden. Es war nichts Ungewöhnliches in der heutigen Zeit, dass beide Eltern arbeiten gingen und soweit er wusste, waren Herr und Frau Azumane beide auch Recht erfolgreich in ihrem Berufsleben, aber manchmal spielte das Leben halt nicht so mit wie man wollte. „Natürlich sage ich meinen Eltern das so nicht. Als mein Vater damals mit mir über meine Zukunft reden wollte habe ich selbst entschieden nicht studieren gehen zu wollen, er hat mich nicht dazu überredet oder so, doch ich konnte ihm ganz genau ansehen wie erleichtert er war, dass ich bald mein eigenes Geld verdienen würde. Aber...“ Wenn Nishinoya ganz ehrlich war hatte er nie darüber nachgedacht was er nach der Schule vorhatte, er wollte sein Leben lang Volleyball spielen und plötzlich merkte er, dass es ihm wirklich schwer fiel sich, ohne sein Ass auf dem Feld zu sehen. Gleichzeitig konnte er sich Asahi in unglaublich vielen Berufen vorstellen. Außer Dinge die mit kleinen Kindern zu tun hatten – obwohl Asahi gut mit Kindern konnte, hatten diese meist unglaubliche Angst vor ihm – oder viel Mut erforderten; naja, wenn er ehrlich war vielen ihm da plötzlich nicht mehr so viele coole Berufe ein, vor allem wenn der andere kein langweiliger Schreibtischhengst werden sollte. Nun bebte die Stimme des Älteren. „Aber wenn ich die Chance hätte noch ein bisschen länger Volleyball zu spielen, noch ein bisschen weiter zu kommen, dann...“ Asahi brach ab und drückte sich den Handrücken auf den Mund als wäre er wieder kurz davor in Tränen auszubrechen. „Hey“, lachte Nishinoya leicht überfordert. Den schnellen Gedankengängen des anderen konnte er nur schwer folgen. „Ich wollte nie drüber nachdenken“, murmelte Asahi nun und stützte sich mit einer Hand an der Küchentheke ab, „keine falschen Hoffnungen machen, realistisch bleiben. Nur die richtig Guten haben überhaupt die Chance auf ein Stipendium, nur die Besten der Besten können ihr Leben lang Volleyball auf hohem Niveau spielen, vielleicht sogar als Profi, und mir war immer ganz klar, dass ich nie dazu gehören würde, schließlich bin ich einer dieser Normalos und selbst für Naturtalente wie dich und Kageyama sind solche Träume schon unglaublich schwer zu erreichen. Aber jetzt frage ich mich, wenn Kageyama und Herr Ukai Recht haben...“ Die nächsten Worte flüsterte er als hätte er Angst Unheil heraufzubeschwören. „...könnte ich es vielleicht doch schaffen?“ Auf einmal sah er Nishinoya an als wüsste dieser die Antwort. „Du hast mir schon tausendmal gesagt, dass du mich für echt gut hältst aber um ehrlich zu sein habe ich nie so ganz kapiert, warum du das denkst.“ Nishinoya wollte schon laut werden, aber Asahi sprach weiter. „Ich dachte immer, wenn du so was zu mir sagst, dass du einfach nur nett sein willst, mir Mut zusprechen willst. Aber Kageyama würde so etwas nicht machen. Der weiß ja noch nicht einmal was aufmuntern bedeutet, er war sogar wütend darauf, dass ich mein Potential vergeuden würde.“ Ja, das passte wirklich eher zu ihrem speziellen Zuspieler als irgendwelche netten Worte. „Aber wenn selbst Kageyama und Herr Ukai so denken; denken, dass ich wirklich Potential habe, glaubst du – sei ehrlich – glaubst du, dass ich es weit genug bringen kann? Glaubst du, ich könnte gut genug werden, um ein Sportstipendium zu kriegen? Damit ich noch etwas länger spielen…?“ „Natürlich!“ Er brauchte keine Sekunde zu überlegen, unterbrach den anderen während er mit voller Wucht das Küchentuch auf den Boden schmiss. „Als ich das erste Mal gesehen habe wie du einen Block durchbrochen hast, ab da wusste ich, dass du besser bist als die anderen, dass du zu den Besten gehören wirst. Du hast die Kraft, die Ausdauer und den Blick zu sehen wo der Ball herkommt und wo er hin muss.“ Er atmete tief ein. „Ich hab von Anfang an gewusst, dass du alles hast was es braucht. Nur eine Sache fehlt dir. Der Wille, den hab ich immer versucht in dir zu wecken, aber...“ Nun war er es der wegsah. „Aber es ist egal was ich von dir denke. Die wahre Frage ist doch, glaubst du daran, dass du dafür gut genug bist?“ Asahi antwortete nicht und als Nishinoya aufschaute konnte er beobachten, wie sein Ass den Schwamm in seiner rechten Hand betrachtete als wäre er sein ganzes Leben. „Ich weiß nicht“, antwortete der Ältere nach einem Moment, „ich weiß wirklich nicht, ob ich dafür gut genug bin.“ „Asa…!“ „Aber ich weiß“, flüsterte er dann und sah Nishinoya direkt an, „ich weiß genau, dass ich das will. Ich will weiter auf dem Feld stehen, weiter Volleyball spielen. Nicht nur bis zu den Nationalmeisterschaften, nicht nur bis dieses Schuljahr vorbeigeht. Ich will ein Stipendium erhalten, um auf die Uni zu gehen und dort weiterspielen zu können! Ich will...“ Dann stockte er und sah Nishinoya beinahe panisch an. „Ich will nach ganz oben, bis in die Nationalmannschaft.“ „Asahi!“ Heulend sprang Nishinoya seinem Ass in die Arme. Sich selbst etwas unterschätzend sprang er zu hoch, schlang seine Beine um die Schultern und vergrub Hände und Kopf in den Haaren des anderen. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Asahi das Talent in sich trug, aber lange Zeit war er der Einzige gewesen. In den ersten Monaten ihres gemeinsamen Trainings hatte Nishinoya bemerkt, dass manche im Team Asahis Fähigkeiten aufgrund seines ängstlichen Verhaltens nicht für voll genommen hatten, aber durch seine Statur war er trotzdem immer wieder aufgestellt worden. Irgendwann hatten dann auch die ehemaligen Drittklässler Asahis Können gesehen und Daichi und Sugawara hatten eh nie an ihrem Ass gezweifelt. Der einzige, der sein Potential wahrscheinlich noch nicht einmal bemerkt hatte, geschweige denn ernst genommen hätte, war wohl Asahi selbst gewesen. Manchmal fragte der Libero sich was wohl der alte Trainer Ukai von seinem Ass gedacht hatte. Als die neuen Erstklässler dazu gekommen waren, hatte Nishinoya mit großer Freude festgestellt, dass ihr Hunger auch Asahi angesteckt hatte und doch war Asahi immer wieder untergetaucht. Am Mittwoch war er dann endlich ausgebrochen aus seinem selbstgemachten Käfig und Nishinoya hoffte, dass er sich nie wieder verstecken würde. „Hey“, murmelte sein Ass und stolperte mehrere Schritte zurück, um sein Gleichgewicht zu sichern. „Könntest du bitte…. Nishinoya...“ „Ich bin so stolz auf dich“, nuschelte er in das Jesushaar des Älteren, „und du wirst das auf jeden Fall schaffen. Ich werde dich so gut unterstützen wie ich nur kann. Verlass dich auf mich.“ „Okay“, kam es von Asahi viel gestammelter als es dem Libero lieb war, „könntest du dann bitte von mir runter gehen, ehe ich ersticke.“ Energiegeladen sprang Nishinoya wieder zurück auf seine eigenen Beine und strahlte den anderen an. Mit rosigen Wangen lächelte der Ältere auch, kratzte sich verlegen den Nacken. „Tu mir einen Gefallen und behalte das erst Mal für dich, ja? Das ist alles ganz schön...“ „Natürlich nicht, Asahi!“, schüttelte Nishinoya den Kopf. „Glaubst du wirklich ich würde das länger als zwei Minuten für mich behalten können?“ „Nein, nicht wirk...“ „Siehst du! Außerdem ist es doch total…“ „Nishinoya.“ Er verstummte als Asahi ihn so ernst ansah. „Bitte, ich muss zuerst mit meinen Eltern darüber reden und dann mit Herrn Ukai und Herrn Takeda besprechen ob ich überhaupt für ein Stipendium in Frage käme und wie wahrscheinlich es ist, dass ich es erreichen kann. Verstehst du?“ Missmutig nickte Nishinoya halbwegs. „Also bitte, polter es zumindest nicht Montag durch die ganze Schule, okay? Ich möchte erst gucken ob es überhaupt funktionieren könnte, ehe ich mir und dir Hoffnungen mache, verstanden?“ Seufzend hob er ergebend die Hände. „Na meinetwegen. Ich warte ab bis du alles geklärt hast.“ Nun lächelte der andere wieder etwas fröhlicher. „Danke dir.“ „Aber!“ Nun wedelte Nishinoya mit erhobenem Zeigefinger. „Dafür übernachte ich heute hier.“ „Was? Wieso?!“ „Ist doch ganz klar. Meine Sachen sind noch in der Sporthalle aber das Training ist längst vorbei und Opa bringt mich um, wenn er erfährt, dass ich die schon wieder vergessen habe...“ „Schon wieder?“, wiederholte Asahi mit hoch gezogener Augenbraue. „Aber wenn ich bei dir übernachte, dann bekommt er es nicht mit und alle sind glücklich.“ Der Libero grinste breit, doch der Drittklässler sah ihn fragend an. „Du willst also nicht nur heute hier übernachten, sondern auch morgen?“ Breit grinsend nickte der Jüngere als wäre das das Logischste auf der ganzen Welt. „Deine Eltern sind doch eh nichts da und haben mit Sicherheit nichts dagegen. Ich hab doch schon so oft bei euch gepennt, zwei Mal sogar unter der Woche.“ Noch immer wirkte der Ältere alles andere als überzeugt. „Aber ich muss doch lernen, Nishinoya, ich muss zwei ganze Tage an Hausaufgaben und Lernstoff aufholen.“ „Ja, aber ich muss doch auch lernen“, bemerkte der Libero und nun blitzten seine Augen gefährlich auf, „und da meine Sachen ja in der Sporthalle sind könnte ich mir ja dann deine Unterlagen von letztem Jahr leihen.“ „Darum geht‘s also.“ „Ach, jetzt stell dich nicht so an. Die Hälfte deiner Notizen sind doch eh von Suga abgeschrieben.“ „Das stimmt überhaupt nicht und außer...“ „Ach bitte, Asahi! Wer weiß wann wir dazu noch mal die Chance haben. Wenn das Turnier näher kommt und die Klausuren anstehen haben wir vielleicht keine Zeit mehr um uns außerschulisch mal zu treffen und wenn du auf irgendeine Uni am anderen Ende Japans gehst, werde ich dich vielleicht für ein ganzes Jahr überhaupt nicht sehen und wer weiß schon was...“ „Okay, okay, okay.“ Sich ergebend hob das Ass des Teams beide Hände. „Meinetwegen, ruf Zuhause an und gib Bescheid. Ich hol die Unterlagen.“ Da auch Nishinoyas Handy noch in der Sporthalle gefangen war – und dort wahrscheinlich derzeit leise vor sich hinpiepste da sein Akku leer ging – benutzte er das Festnetztelefon. Noch während er telefonierte kam Asahi wieder und breitete mehrere Bücher, Ordner und Schnellhefter auf dem Küchentisch aus. „Sag mal“, murmelte er errötend, „mir ist gerade aufgefallen, dass du gar keine Wechselklamotten da hast, was machen wir denn da?“ „Ach keine Sorge, zum Schlafen nehme ich einfach eins deiner alten Shirts.“ Nun strich der andere sich verlegen über den Nacken. „Soll mir egal sein, aber ich meinte eigentlich...“ „Ja und was Unterhosen angeht. Ich war vorausschauend und hab während des letzten Tanabata Fests schon mal ein paar von meinen in deiner Sockenschublade deponiert, nur für den Fall der Fälle, natürlich.“ Mit offenem Mund starrte der andere ihn an. „Was denn? Wir wussten doch beide, dass es doch nur eine Frage der Zeit war, bis es soweit kommen würde, nicht wahr?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)