Ein Herz aus Glas von Sharry ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Kapitel 5   Er rannte als würde jede Sekunde zählen, fast als ginge es um Leben oder Tod. Er hatte dieses furchtbare Gefühl, als würde die Welt kurz vor dem Abgrund stehen. Du verstehst es einfach nicht. Nein, er war der Idiot gewesen, der nichts verstanden hatte. Nishinoya war der Idiot gewesen, der die warmen Worte seines Asses nicht hatte verstehen wollen. Er war der Idiot gewesen, der lieber laut um sich geschlagen hatte als eine Sekunde innezuhalten und dem anderen zuzuhören. Ich will nicht, dass du für mich abwehrst! Er war verletzt gewesen, deshalb hatte er es gesagt, nur weil sein Stolz gekränkt gewesen war. Für einen Moment - für einen kurzen Moment - hatte Nishinoya missachtet wie sensibel Asahi sein konnte, hatte einfach nur seinen Frust komme was wolle an dem anderen auslassen wollen und hatte völlig ignoriert was das für Folgen haben konnte. Ich will nicht, dass du meinen Rücken deckst! Das stimmte nicht, es war nicht die Wahrheit, sondern nur verletzter Stolz, der da aus ihm gesprochen hatte. Natürlich wollte er, dass Asahi hinter ihm stand. Niemandem wollte er lieber hinter sich wissen und keinen Rücken würde er lieber vor sich haben. Wie hatte Asahi auch nur eine Sekunde seine Worte glauben können? Ich brauche deine Hilfe nicht! Was war er nur für ein Vollidiot gewesen?! Sugawara hatte absolut Recht. Für jemanden wie Asahi mussten sich solche Worte anhören wie ein Schlag ins Gesicht. Eine Sekunde lang fragte Nishinoya sich was er wohl fühlen würde, wenn Asahi derjenige gewesen wäre, der diese Worte ihm ins Gesicht gebrüllt hätte. Aber darüber wollte er, nein, konnte er nicht nachdenken. Langsam verstand er warum Asahi nicht mehr zur Schule kam. Wegen ihm. Er ging ihm aus dem Weg. Ich brauche dich nicht! Nishinoya blieb stehen. Was konnte er schon sagen? Er hatte Angst. Wie sollte er Asahi gegenübertreten nachdem er ihm so etwas an den Kopf geworfen hatte? Und selbst wenn er den Mut und die richtigen Worte fand, würde er dann Asahis Antwort aushalten können? Sugawara hatte ihm gesagt, dass er einfach nur mit Asahi reden musste. Aber was war, wenn das nicht reichen würde? Was wenn weder Worte noch Taten das Geschehene wiedergutmachen konnten? Was wenn er etwas zerstört hatte was man nicht mehr reparieren konnte? Was ist, wenn Asahi mich jetzt hasst? „Yui? Was machst du denn hier?“ Er wirbelte herum. Asahis kleine Schwester Akemi, eingepackt in Schal, Kopftuch und einen dicken Wintermantel, eine Einkaufstüte in jeder Hand, kam auf ihn zu. Ihm fehlten die Worte ihr zu antworten, während seine letzte Frage ihm durchs Gehirn waberte wie ein todbringendes Omen. Als sie genau vor ihm stand bemerkte er erst, dass sie mit ihren vierzehn Jahren schon größer war als er. Wann war sie denn nur so groß geworden? Verdammte Azumane-Gene! Sie lächelte ihn herzlich an und trotz ihrer blassen Züge strahlte sie eine Schönheit und Stärke aus, die Nishinota erröten ließ, doch dann wurde ihr Blick direkt wieder ernst. „Bist du auf dem Weg meinen Bruder zu besuchen?“ Er schluckte schwer und nickte schließlich. Den Kopf leicht neigend zog sie eine Augenbraue hoch. „Na dann komm mit.“ Wortlos ging er neben ihr her, wusste nicht was er sagen sollte bis ihm etwas auffiel. „Sag mal, Akemi, warum bist du überhaupt hier? Ich dachte samstags müsstest du immer...“ „Ach, ich war vorgestern schon, weil Papa heute auf eine Fortbildung musste und Mama ihn so begleiten kann“, unterbrach sie ihn mit einer Leichtigkeit in ihrer Stimme, die auch seine Geister wieder weckte, „und du weißt ja, samstags kocht Asahi nach dem Training normalerweise aber weil es ihm so schlecht geht, hab ich mir gedacht, dass ich das heute mal machen könnte.“ „Du bist eindeutig die große Schwester in der Familie, nicht wahr?“ Er schaffte es sich ein Lächeln abzuringen. „Da kannst du aber Gift drauf nehmen. Möchtest du vielleicht gleich mitessen? Ich hab genug gekauft um das ganze Volleyballteam durchzufüttern.“ Oh, da traf sie gerade einen wunden Punkt. Ob ihr das wohl aufgefallen war? Ob sie es vielleicht ganz bewusst so gesagt hatte? „Darf ich dir etwas abnehmen?“, fragte er, anstatt zu antworten. Lächelnd reichte sie ihm eine der Tüten und dann setzten sie gemeinsam ihren Weg fort. Sie unterhielten sich über dies und das. Wie es Nishinoyas Großvater ging, was ihre Eltern so machten, wie es in der Schule lief. Aber gezielt vermied Nishinoya Themen, die unangenehm werden könnten. „Sag mal“, murmelte Akemi dann als sie das Haus erreicht hatten, „warum sind gestern eigentlich diese zwei schrägen Vögel bei uns aufgetaucht? Ich glaube Asahi hätte sich viel mehr gefreut, wenn du gekommen wärest.“ Er entgegnete nichts und sie hakte auch nicht weiter nach, sondern trat sich ihre Schuhe aus und eilte herein während Nishinoya sich noch die Gästehausschuhe anzog. „Bruderherz, komm mal aus deinem Loch gekrochen, Yui ist zu Besuch.“ Der Libero kam ins offene Esszimmer herein. Es war nicht sein erstes Mal hier. Nachdem er als Erstklässler die ersten Klausuren total verhauen hatte, war Asahi so freundlich gewesen ihm beim Lernen zu helfen, beziehungsweise hatte Nishinoya sich ihm regelrecht aufgedrängt und Asahi war zu gutmütig gewesen, um ihn abblitzen zu lassen. Zu der Zeit war Nishinoyas Großvater auch nicht so gut dran gewesen und hatte manche Nacht im Krankenhaus verbracht. Dank Asahi war Nishinoya diese düsteren Stunden über nicht allein gewesen. „Er wird nicht kommen, erst recht nicht, wenn er weiß, dass ich da bin“, murmelte er schuldbewusst und half Akemi die Einkäufe wegzuräumen. Sie sah ihn mit diesem Blick von oben herab an, den ihre Mutter bereits in Perfektion beherrschte. „Also du warst es.“ Es war keine Frage, eine kalte Feststellung. Er biss sich auf die Unterlippe und nickte, ohne ihren Augen standhalten zu können. Plötzlich rutschte ihre schmale Hand in sein Blickfeld, sie hielt ihm einen Zimmerschlüssel hin. „Dann bring es wieder in Ordnung.“ Überrascht sah er auf und fand sich ihrem vernichtenden Urteil ausgesetzt. „Wenn du es verbockt hast, dann stell es wieder richtig. Wegen dir geht es meinem Bruderherz schlecht und wenn du das nicht wieder hinbiegst, werde ich dir das nie verzeihen.“ Nishinoya konnte ihrem Blick kaum standhalten. „Ich lasse nicht zu, dass mein Bruder wegen dir an etwas zerbricht das er so sehr liebt. Also bring es wieder in Ordnung, verstanden?“ Zögernd nahm er den Zimmerschlüssel entgegen und nickte. Er hatte keine Ahnung, wie er es wieder in Ordnung bringen sollte. Aber das würde er Asahis kleiner Schwester nicht sagen. Anders als ihr zartbesaitetes Ass konnte Akemi sehr leicht sehr laut werden und obwohl Nishinoya es liebte sich mit ihrem Willen zu messen, gerade wollte er sich auf keinen Fall mit ihr anlegen. Also nickte er akzeptierend und wandte sich dann seiner selbst eingebrockten Herausforderung zu. Warum auch immer kam ihm der Flur länger vor als sonst. Mit pochendem Herzen blieb er vor Asahis Zimmertüre stehen. Doch es war egal was er gerade dachte oder fühlte, er konnte nicht davonrennen. Tief atmete er ein und dann klopfte er. Doch nichts passierte. Natürlich nicht. Asahi wollte ihn nicht sehen; nicht nachdem was er gesagt hatte, nicht nachdem er nicht nur dessen Glücksmoment einfach zerstört hatte, sondern ihm auch noch so wehgetan hatte. Erneut klopfte er. „Asahi“, murmelte er so leise, dass der andere ihn wahrscheinlich gar nicht hören konnte während er seine Stirn gegen die Tür drückte. „Mach doch einfach auf. Deine Schwester hat mir den Zimmerschlüssel gegeben. Ich komm also so oder so rein, also mach mir bitte auf.“ Die anhaltende Stille nervte ihn, regte ihn auf. Ja er war derjenige, der es versaut hatte; ja er war derjenige, der sich entschuldigen wollte, aber verdammt nochmal, der andere konnte ihm doch wenigstens ein Zeichen geben, dass er ihn hörte. „Okay, du hast es ja nicht anders gewollt“, murrte er und steckte den Schlüssel ins Schloss. Aber die Türe war nicht verschlossen, also nickte er entschieden und öffnete sie.   Einmal tief einatmend trat Nishinoya ein. Ein dunkles Zimmer begrüßte ihn, es sah genauso aus wie er es kannte. Bis aufs unordentliche Bett war alles fein säuberlich aufgeräumt, aber kein Asahi war da. „Nishi...noya?“ Er schnellte herum. Aus der Badezimmertüre schräg gegenüber von Asahis Raum kam eben genanntes Ass heraus. Aber Nishinoya hätte ihn kaum erkannt. Er hatte ihn schon in schlechten Momenten erlebt, hatte ihn schon in richtig beschissenen Momenten erlebt, aber gerade fehlten ihm die Worte, um zu beschreiben was er sah. Weder Kageyamas noch Hinatas Warnungen hätten ihn auch nur ansatzweise auf das vorbereiten können und plötzlich musste er sich eingestehen, dass der Begriff zerbrochen wohl am treffendsten war. „Hey“, murmelte er atemlos und schollt sich innerlich direkt für eine so schwache Begrüßung. Wer war er denn, dass er zu kneifen drohte? Nein, er war bereits einiges von Asahi zu lernen, aber auf keinen Fall wie man weglief. Fast unbemerkt glitt Asahi zurück und war schon drauf und dran wieder hinter der Tür zu verschwinden. „Halt!“, brüllte Nishinoya und griff mit beiden Händen nach dem Türblatt und brauchte auch recht viel Kraft, um den Größeren davon abhalten zu können sie zuzuziehen. „Warte Asahi!“ Der Drittklässler ließ die Türklinke los – Nishinoya flog fast ans andere Ende des Flurs als die Tür ihm mit vollem Schwung entgegen kam – und huschte zurück ins fensterlose Bad. Doch das war sein Fehler gewesen, denn nun hatte er keine Fluchtmöglichkeit mehr. „Lauf doch nicht einfach so vor mir weg!“, herrschte Nishinoya den anderen an, der gerade wirklich so aussah als überlegte er sich in der Badewanne vor dem Libero zu verstecken. „Wenn du vor mir wegrennst kann ich mich doch gar nicht bei dir entschuldigen!“ Nishinoyas Herz schlug immer noch schnell aber seine Angst von vorher war wie weggeblasen. Er wusste, dass er sich bei seinem Ass entschuldigen musste. Wenn seine Worte ausreichten, um Asahi in das hier zu verwandeln, dann hatte er ja wohl auch die Macht, um ihn wieder aufzubauen. Er musste es schaffen. Nein viel mehr noch, er durfte einfach nicht scheitern. Außerdem wusste Nishinoya ganz genau, dass er nicht ändern konnte wie Asahi reagieren würde, aber er hatte die Wahl – das verdammte Recht - zumindest zu sagen was er dachte und fühlte und Asahi würde es hören müssen, ob er wollte oder nicht! „Was fällt dir ein einfach nicht zum Training zu kommen?“, wütete er und machte einen Schritt auf Asahi zu. „Was fällt dir ein die Schule zu schwänzen nur weil du so… nur wegen dem was ich… nur wegen mir?!“ Das hier war gar nicht so einfach wie Nishinoya zunächst gedacht hatte. Es war nicht sein erster Streit mit dem Drittklässler, schon öfters hatte er seinen Kopf gegen den des anderen geknallt. Aber das hier war anders. Er war nicht nur wütend auf Asahi, er war auch wütend auf sich selbst und er musste sich irgendwie entschuldigen, aber wieso reichten nur ein paar seiner von Wut getragenen Worte aus damit der andere direkt einbrach? Wieso nur konnte Asahi nicht… „Sag doch mal was!“, verlangte er als seine eigenen Gedanken ihn übermannten. Doch Asahi schwieg. Nishinoya konnte sehen, dass der ganze Körper des anderen bebte, auch wenn sein Gesicht im Schatten seiner Haare verborgen war. Trotz seiner Größe wirkte Asahi gerade unglaublich jung und schwach. Vermutlich hatte er sogar Angst, Angst vor Nishinoyas nächsten Worten. Ach, Nishinoya war wirklich nicht gut in so etwas. Er biss sich auf die Unterlippe und machte einen Schritt zurück. „Nein, was ich sagen will… was ich wirklich meine ist… Es tut mir leid, Asahi.“ Erneut spürte er wie seine eigenen Augen brannten, als er sich so sehr nach vorne beugte, dass er drohte aus den Hausschuhen zu rutschen. „Was ich am Mittwoch zu dir gesagt habe war falsch. Ich war wütend, ich war so unglaublich enttäuscht von mir und das habe ich an dir ausgelassen. Ich habe Worte gesagt, von denen ich wusste, dass sie dich verletzen würden, weil es mir in diesem Moment egal war.“ Langsam wurde er fahriger. „Bitte glaub mir, dass ich diese Worte nicht so meinte! Es gibt für mich kein besseres Gefühl als mit dir aufs Spielfeld zu gehen. Ich kann nur so mutig sein, weil ich weiß, dass mein Team da ist, dass du da bist. Ohne dich will und kann ich nicht mehr spielen. Denn ich brauche, dass du an mich glaubst, Asahi. Ich brauche, dass du mir Kraft gibst, wenn ich zweifle und ich brauche, dass du mich auf den Boden der Tatsachen holst, wenn ich wieder abhebe. Ich brauche dich, Asahi!“ Er konnte die Tränen nicht aufhalten. „Ich hab Dinge gesagt, die ich nie so meinte, Asahi, und ich weiß nicht ob du mir je verzeihen kannst. Aber ich bitte dich, bitte komm wieder zur Schule, bitte komm wieder zum Training; ich will nicht, dass du wegen mir aufhörst das zu tun was du liebst. Ich will nicht, dass du hier allein in deinem Zimmer unglücklich bist. Wenn es an mir liegt...“ Er atmete tief ein und sah seinen verschwommenen Tränen dabei zu wie sie auf die kalten Fliesen tropften. „Wenn du das wegen mir nicht kannst, dann… dann verschwinde ich, dann tauche ich nie wieder in den Fluren der Drittklässler auf. Ich verlasse den Club, wenn es sein muss. Lieber schwöre ich dem Volleyball hier und jetzt auf ewig ab als dass du aufhörst zu spielen.“ Seine Stimme brach. „Bitte Asahi, es tut mir leid, also bitte hör nicht auf die Dinge zu tun die du liebst, bitte hör nicht auf Volleyball zu spielen, nicht wegen meiner unbedachten Worte, nicht wegen mir. Ich mache alles was du willst, aber bitte sei wieder glücklich, bitte komm wieder zum Training, das Team braucht dich.“ Ich brauche dich! Er weinte. Seine Tränen rannen ganz ungehindert und erst jetzt begriff Nishinoya wie sehr er den anderen vermisst hatte. Seitdem Asahi am Anfang des Schuljahres zurück zum Club gekommen war, hatte er ihn fast jeden Tag gesehen. Selbst sonntags hatten sie gemeinsam trainiert oder waren zusammen unterwegs gewesen – Nishinoya hatte Wochen gebraucht, um Asahi zu überreden den neuen Hollywood Action Blockbuster anschauen zu gehen, aber es hatte sich so gelohnt. Erst jetzt wurde ihm bewusst wie viele Sorgen er sich die letzten zwei Tage gemacht hatte. Bemerkte erst jetzt, dass seine Gedanken immer wieder zu Asahi gewandert waren und er willentlich verdrängt hatte darüber nachzudenken, warum der andere nicht zur Schule kam. Nishinoya hatte von Anfang an gewusst, dass er der Grund gewesen war, hatte sich von Anfang an schuldig gefühlt, ansonsten – das wusste er – wäre er wohl noch am Donnerstag, vielleicht sogar noch während des Unterrichts, hierhin gerannt und hätte Asahi eine Standpauke darüber gehalten, dass er das Training sausen ließ. Aber das hatte er nicht getan, weil er ganz genau gewusst hatte, warum Asahi nicht gekommen war. Es war einfacher gewesen nicht darüber nachzudenken, nicht darüber nachzudenken warum er solche Worte gesagt hatte, warum er vor Asahi nicht hatte schwach wirken wollen, warum er sich so geziert hatte vor Asahi zu versagen. Aber jetzt tat es verdammt weh. Denn jetzt verstand er, dass er genau das gewollt und gebraucht hatte was Asahi an dem Abend ihm hatte geben wollen. Ein offenes Ohr, aufbauende Worte, ehrlicher Zuspruch und rückenstärkende Ermutigung, ein fester Schultergriff, vielleicht sogar eine kurze Umarmung und danach das herzliche Lachen Asahis, welches er leider nur zu selten zeigte. Aber Nishinoya war zu stolz dafür gewesen sich das einzugestehen, zu stolz dafür gewesen um Hilfe anzunehmen. Er hatte Asahi abgeblockt, immer und immer wieder, bis Asahi sich nicht mehr getraut hatte anzugreifen, bis er einfach vom Spielfeld gegangen und nicht mehr wiedergekommen war. „Bitte sag doch etwas“, flüsterte Nishinoya, der nicht wusste ob die erdrückende Stille nun schon Minuten oder erst Sekunden anhielt. „Irgendetwas.“ Immer noch starrte er stur auf den Boden vor sich und wusste daher nicht, ob der andere überhaupt noch atmete. Zum Glück blockierte er die Türe sonst hätte es sein können, dass er sein Herz gerade dem Waschbecken ausgeschüttet hätte. Doch dann hörte er den zittrigen Atem des Älteren, der offensichtlich versuchte genug Kraft aufzubauen, um überhaupt einen Laut rauszubringen und möglicherweise bis gerade den Atem angehalten hatte. Mehrmals holte Asahi Luft und mehrmals verspannte Nishinoya sich.  Er hatte sich das Recht herausgenommen zu sagen was er zu sagen hatte, aber genauso gut hatte Asahi jetzt das Recht zu sagen was er wollte, oder aber auch gar nichts zu sagen und sich einfach an ihm vorbei zu drücken. Jetzt hatte Nishinoya so viel Angst wie schon sehr, sehr lange nicht mehr, vielleicht noch nie in seinem Leben. Er wusste gar nicht was ihm mehr Angst machte, dass Asahi nicht antworten würde oder dass er reden würde. Was war, wenn Asahi ihm sagen würde, dass… „Ich...“ Der Drittklässler räusperte sich als seine Stimme brach. Es war offensichtlich, dass er die letzten Tage kaum gesprochen hatte. „Ich will nicht...“ Wieder zögerte Asahi und neue Tränen schossen in Nishinoyas Augen als der andere endlich mit ihm sprach, aber er traute sich nicht aufzusehen. „Ich will nicht, dass du aufhörst… Volleyball zu spielen.“ Nishinoya konnte die Tränen nicht aufhalten als er sich langsam wagte aufzusehen. Asahi sah ihn immer noch nicht an, hatte sich halb abgewandt als würde er mit dem Duschkopf reden. „Dann komm zurück“, flüsterte Nishinoya viel leiser als er beabsichtigt hatte, „dann bitte komm zurück. Ich kann in diesem Team nicht spielen, wenn du es aufgibst, wenn du den Volleyball aufgibst, wegen mir.“ Ganz allmählich, als würde die Zeit langsamer laufen als bisher, hob der andere seinen Kopf und ein sanftes Lächeln umspielte seine aufgeplatzten Lippen, doch es war so traurig. „Nein“, murmelte er ruhig und sah Nishinoya zum ersten Mal an. „Ich glaube nicht, dass ich das kann.“ „Was?“ Immer noch sah Asahi ihn fast schon warm an und dann schüttelte er den Kopf. „Ich danke dir für deine Worte, Nishinoya. Es...es zeugt wirklich von Mut und Reife was du gerade getan hast, aber es tut mir leid, ich denke nicht, dass ich...“ „Wovon redest du?!“, brüllte Nishinoya und machte einen Satz nach vorne. „Was zur Hölle redest du da?!“ Überrascht oder auch verängstigt trat Asahi zurück. „Du bedankst dich für meine Worte? Verdammte Scheiße noch eins, wenn ich von Anfang an ehrlich zu mir und vor allem zu dir gewesen wäre, dann hätte ich dir das gleich gesagt! Dann würden wir uns jetzt nicht in dem verdammten Badezimmer bei dir Zuhause streiten!“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Du redest von Mut und Reife? Ich hab das Dümmste und Gemeinste in meinem ganzen Leben getan und als Strafe könnte ich dich jetzt für immer verlieren und was machst du? Du entschuldigst dich? Bei mir?! Hast du sie noch alle?!“ Fast schon beruhigend hob der andere seine Hände. „Nishi...“ „Nein!“ Er packte Asahi am Ärmel seines Shirts. „Bitte sein wütend auf mich, bitte brülle mich an, aber entschuldige dich nicht bei mir. Nicht du, nicht nach alledem was du für mich getan hast. Ich bitte dich, bitte spiel weiter, verlange von mir das Team zu verlassen, ich werde es sofort tun, aber bitte...“ „Yū.“ Die Stimme des Liberos brach als der andere so warm seinen Namen nannte. Nishinoya hatte seinen Vornamen nie gemocht, aber wenn Asahi ihn so nannte... „Ich würde so etwas nie von dir verlangen. Ich will nicht, dass du aufhörst Volleyball zu spielen; du bist der beste Libero, den ich kenne.“ „Dann komm zurück, bitte, ohne dich kann ich nicht spielen.“ Verwirrt sahen ihn diese tiefen, braunen Augen zwischen Haarsträhnen hindurch an, dann schüttelte der Ältere den Kopf. „Es tut mir leid, aber ich kann nicht.“ Beinahe bedächtig betrachtete Asahi seine rechte Hand. „Ich bin nicht stark genug, ich halte das nicht mehr aus. Ich kann so was nicht nochmal durchmachen, ich weiß nicht wie ich...“ „Asahi!“ Nishinoya packte die Hand die Asahi begutachtete und sah wie die Augen des Drittklässlers eine Spur größer wurden, konnte ganz deutlich sehen, wie sich das Rot eines geplatzten Äderchens vom Weiß in Asahis linken Auge abhob. „Es tut mir leid! Du hattest am Mittwoch einen so guten Tag und ich habe alles zerstört. Ich weiß, dass es dir jetzt nur wegen mir so geht, Asahi und wenn ich könnte würde ich die Zeit zurückdrehen. Wenn ich nur wüsste was ich tun kann...“ Er schwang Asahis Hand kraftlos durch die Luft und versuchte die Worte zu finden, die er brauchte. „Ich habe dich verletzt, ich war gemein und du hast jedes Recht dich zu entscheiden wie du willst, aber ich bitte dich. Ich brauche dich, also bitte lass mich nicht allein!“ „Wie bitte?“ Verwundert sah er, dass Asahi ihn nur noch verwirrter ansah und seine Hand aus Nishinoyas Fingern befreite. Erst jetzt wurde dem Libero bewusst, was er gerade gesagt und getan hatte. „Was?“, murmelte Asahi tonlos. „Wie meinst du das?“ Nun sahen sie sich zum ersten Mal wirklich an und endlich wusste Nishinoya was er sagen wollte. „Dieses Mal“, antwortete er glasklar und stellte sich genau vor sein Ass, „dieses Mal meine ich es genauso, wie ich es gesagt habe. Ich bin nicht wie du, wenige Dinge machen mir heute noch Angst und Worte anderer beeindrucken mich nicht wirklich. Aber als ich eben hier ankam, hatte ich ganz große Angst. Ich hatte Angst davor was du mir sagen würdest und ich habe Angst davor nicht mehr Teil deines Lebens sein zu dürfen.“ Nishinoya musste schlucken. „Ich will dich nicht verlieren, Asahi. Nicht auf dem Spielfeld und nicht abseits davon. Ich hab nicht vor vielen Dingen Angst, aber ich weiß nicht was ich tun würde, wenn du...“ Ihm versagte die Stimme. Lange sah Asahi ihn an, es war unmöglich zu sagen was er wohl dachte. „Also das am Mittwoch“, murmelte der Ältere schließlich, „das war nicht die Wahrheit? Du hast einfach nur...“ „Natürlich war es nicht die Wahrheit!“ Er verstand nicht wie Asahi tickte, musste er es ihm buchstabieren? Wie oft sollte er es noch sagen?  „Ich war wütend auf mich selbst und unzufrieden mit mir und dann kamst du um die Ecke und meintest es nur gut, aber ich war so aufgewühlt, dass ich nur das gesagt habe was ich sagen konnte um dich zu verletzten, weil ich wusste wie ich dich verletzen kann. Ich hab nicht gesagt was ich wirklich gefühlt habe, weil ich vor dir nicht schwach wirken wollte. Ich hab mich geschämt vor deinen Augen zu versagen, also schlug ich lieber um mich. Es tut mir leid.“ Immer noch sah Asahi ihn an, den Kopf leicht schräg gelegt. „In Ordnung“, sagte er. „Was?“ Nishinoya wusste nicht, was das bedeuten sollte. Wer war hier in Ordnung? Nichts war hier in Ordnung. Nishinoya war nicht in Ordnung! „In Ordnung“, wiederholte Asahi und sah ihn immer noch so ernst an. Dann atmete der Drittklässler tief durch.  Als er sprach, klang es eher so als würde er mit sich selbst reden und nicht mit Nishinoya. „Das mit Mittwoch war nicht so gemeint, wirklich nicht so gemeint. Du hattest einen schlechten Tag und hast es an mir ausgelassen.“ Nishinoya nickte. „Okay.“ Asahi nickte ebenfalls und klang absolut ruhig: „Okay, wenn das so ist, bitte mach es nicht nochmal, ich weiß nicht, ob ich das nochmal überstehen kann. Denn ich weiß nicht wann du Worte ernst meinst und wann du sie nur sagst, um dir Luft zu machen. Ich glaube dir was du sagst und zwar insbesondere dann, wenn es negativ ist, okay?“ Erneut nickte der Libero. Selten redete Asahi so offen über das was er dachte und fühlte und es hörte sich für Nishinoya wirklich kompliziert an, aber er wollte sein Möglichstes versuchen um den anderen zu verstehen. Tief atmete der Drittklässler ein und fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht, strich seine Haare zurück und sah zur Badezimmerdecke hinauf. Aber für Nishinoya war noch nichts okay. „Es tut mir leid, Asahi“, wiederholte er ehrlich und tieftraurig. „Bitte glaube mir, ich will und brauche dich und ich werde dir das so oft sagen wie du willst, bis du es mir glauben kannst.“ Nun sah Asahi wieder zu ihm hinab und sein Blick wirkte anders als zuvor. „Ich weiß und ich verstehe wie du dich fühlst“, meinte er schlicht, „schließlich fühle ich genauso. Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde.“ Etwas brach in Nishinoya, etwas lang versiegeltes, zugesperrtes, verstecktes, riss auf; die Tränen nahmen erneut ihren Lauf und erneut konnte er sie nicht aufhalten. Wie ein kleines Kind stand er da, die Hände zu Fäusten geballt und der ganze Körper am Beben, während die Tränen ihren Lauf nahmen. Er wusste nicht was gerade passierte, was gerade mit ihm los war oder warum er überhaupt weinte, aber dann spürte er den Arm an seinem Rücken, die Hand an seinem Hinterkopf, die Brust an seiner Schläfe. „Schon okay, Nishinoya. Ich bin ja da. Ich bin doch hier.“ Asahi weinte auch, das konnte er ihm anhören während er sich in dessen Shirt krallte. „Bitte lauf nicht mehr weg“, flüsterte der Libero, „bitte lass mich nicht mehr allein.“ „Okay“, antwortete der andere sanft, „ich werde nicht mehr weglaufen, nicht solange du mich bei dir haben willst.“ Nun lachte Nishinoya leise. „Ich bin so erbärmlich. Ich sollte mich bei dir entschuldigen und dir gut zureden, nicht andersherum.“ Trotzdem rannen die Tränen weiter seine Wange hinunter. „Das hier ist noch für Mittwoch“, entgegnete Asahi leise und grub sein Kinn in Nishinoyas Haare. „Nächstes Mal können wir das Anschreien ja überspringen, okay?“ „Mhm!“, nickte Nishinoya und rieb sich die Augen mit dem Handrücken. Dann löste er sich von dem anderen und sah zu ihm auf. „Also ist jetzt alles okay?“, fragte er unsicher. „Zwischen uns? Und was ist mit dem Club?“ Asahi lächelte schwach. „Zwischen uns ist alles in Ordnung. Aber ich kann nicht versprechen, dass ich nicht rückfällig werde, ich bin nicht immer Herr meiner Gedanken und was den Club angeht...“ Er zögerte. „Ich liebe Volleyball immer noch und ich will immer noch mit dir und den anderen auf dem Spielfeld stehen, aber…“ „Dann komm doch einfach zurück.“ Jetzt lachte Asahi leise auf und fuhr sich erneut durchs Haar. „Ja, dann komm ich wohl einfach zurück.“ Für einen Moment sahen sie sich einfach nur an während Asahi leicht verlegen lächelte und Nishinoya ein breites Grinsen nicht verhindern konnte, doch dann erschreckte sie ein lautes Poltern und der Drittklässler krümmte sich als ob ihm jemand in den Magen getreten hätte. „Asahi? Asahi was ist denn los?“ Der Ältere wollte antworten, doch erneut rumorte es so laut, dass es ein Erdbeben hätte sein können. „Ist das… dein Magen?“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht nickte der andere. „Sag bloß du hast seit Mittwoch nichts mehr gegessen? Und das nach einem Trainingsspiel? Das fällt dir jetzt erst auf? Bist du denn wahnsinnig? Willst du etwa draufgehen, oder was?“ Asahi wollte etwas antworteten, aber Nishinoya packte seine beiden Schultern. „Du muss mir jetzt was versprechen, Asahi.“ „Hmm?“ Verwirrt guckte der sich immer noch krümmende Außenangreifer zu ihm auf. „Egal was ich sage oder tue, du darfst wütend sein, du darfst verletzt sein aber nie - ich betone nie - darfst du dich wegen mir oder irgendwem sonst vernachlässigen, verstanden? Versprich mir, dass du auf dich Acht gibst, und wenn du es nur tust, weil du es mir versprochen hast, okay?“ Anstatt zu antworteten zitterte der Mund des anderen gefährlich und seine Augen wurden glasig. Plötzlich gaben Asahis Beine nach, Nishinoya versuchte noch den Älteren aufzuhalten, konnte jedoch diesen Giganten kaum stemmen, also hockten sie nun auf dem Boden im Badezimmer und dieses Mal war es Asahi, der in sein Oberteil weinte. Der Libero breitete die Arme um sein Ass aus und hielt ihn fest, bettete sein Kinn auf die weichen Haare und kämpfte mit den eigenen Tränen. „Schon okay, Asahi, ich bin ja da. Ich lasse dich nicht zurück, nie mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)