Eine Geschichte mit, aber nicht über Pferde von aceri ((weil die Autorin keine Ahnung von diesen Tieren hat)) ================================================================================ Kapitel 1: #01 -------------- Der Umzug war bereits beschlossene Sache noch bevor ich überhaupt die Chance dazu bekam ein Veto einzulegen. Aber eins musste ich meinem Vater lassen, er hatte den Zeitpunkt mir das alles zu beichten wirklich perfekt ausgewählt. Meine letzte und deutlichst längste Beziehung war seit genau vier Tagen beendet, ich hatte zwar keinen richtigen Liebeskummer, aber es war trotzdem keine schöne Aussicht meinem nun Exfreund so ziemlich jedes Wochenende über den Weg laufen zu müssen. Wir mochten die gleichen Clubs, und seine Freunde waren auch meine Freunde. Die ein oder andere unangenehme Situation würde sich mit Sicherheit nicht vermeiden lassen.  Zumindest nicht wenn ich weiter in der Stadt blieb. An dem Abend an dem mein Vater mir die bahnbrechende Neuigkeit verkündete hatte ich wieder einmal viel zu viel getrunken; ich war mit Alex, meinem besten Kumpel, im Park gewesen, und wahrscheinlich stank ich dank seiner Kettenraucherei auch noch wie eine ungelüftete Kneipe. Mein Vater hatte mir nie viele Vorschriften gemacht, aber für ihn bedeutete der Umzug von der verseuchten Stadt aufs unschuldige Land höchstwahrscheinlich auch so etwas wie die letzte Hoffnung auf Rettung was meine gescheiterte Erziehung anbelangte. Er war kein schlechter Kerl, und ich auch nicht, aber wir waren beide leicht zu beeinflussen, und das hatte uns nicht gerade zum Erfolg geführt. Bis jetzt. Vaters neuer Einfluss hieß Lilly; eine hübsche ungeschminkte dreißigjährige mit langen haselnussfarbenen Locken und einer beneidenswert fleckenlosen Sonnenbräune. Ich mochte sie auf Anhieb, aber das konnte ich natürlich nicht so unverblümt zugeben. Ich war jetzt schließlich Stiefsohn. Meine leibliche Mutter hatte sich kurz nach meinem vierten Geburtstag vom Acker gemacht, Mann und Kind waren ihr zu anstrengend geworden, also hatte sie die Reißleine gezogen und war untergetaucht. Und seitdem hatte sie sich auch nie wieder gemeldet. Ich konnte mich kaum an sie erinnern, aber ich kannte Fotos, und während mein Vater mir wirklich nichts von seinen Genen (groß, breitschultrig, dunkelhaarig) mitgegeben hatte war ich meiner untreuen Mutter praktisch wie aus dem Gesicht geschnitten. Wir waren beide eher klein und schlank, mit heller Haut, blondem Haar, und ungewöhnlich großen, rauchgrauen Augen. Das alles sorgte dafür dass ich auch mit inzwischen 16 Jahren eher wie zwölf wirkte; mein Bartwuchs ließ auf sich warten, mein Gesicht war eher weich als kantig, und außerdem hatte ich trotz intensiven Training (okay, vielleicht nicht ganz so intensiv wie eigentlich nötig gewesen wäre) nicht den Hauch von Muskeln vorzuweisen. Meine etwas rührselige alte Kunstlehrerin hatte mich während ihres Unterrichtes ein Mal als „Engel Boticellis“ bezeichnet; das klang zwar ganz nett, aber nicht wie etwas mit dem ein Junge mitten in der Pubertät und umgeben von Testosteron gesteuerten Halbstarken tituliert werden wollte. Außerdem waren dessen Engel fast alle lockig und kurzhaarig, das hatte ich im Internet nachgeschaut. Mein Haar dagegen war lang und garantiert nicht lockig, höchstens etwas störrisch. Aber ich mochte es so, und dank J. Und seiner zugegebenermaßen berühmt berüchtigten Clique im Rücken traute sich keiner mich deswegen zu nerven. Ich mochte zwar aussehen wie ein Engel, aber ich befand mich auf direktem Wege in die Hölle. Ich trank, ich fluchte, und ich trieb Unzucht. Und keiner wagte es mich dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Am allerwenigsten J., der hatte mein sündiges Leben sogar noch tatkräftig unterstützt. Aber damit war nun Schluss. J. war Geschichte, und ich fuhr ohne Umwege und wenn ich dem Navi im Volvo meines Vaters Glauben schenken durfte genau 670 km in Richtung eines neuen, lasterfreien Lebens. Zusammen mit Lilly, meiner neuen Stiefmutter. Die war sichtlich nervös während wir zu dritt bei gefühlt 500 Grad zusammengepfercht im Auto saßen und uns auf dem Weg in ihre weit entfernte und ach so hoch gelobte Heimat befanden. Sie hatte wahrscheinlich mit mehr Widerstand von meiner Seite aus gerechnet, immerhin riss sie mich, einen Jungen in der Blüte seines Lebens und voller trotziger Pubertätsgefühle mitten aus seinem gewohnten sozialen Umfeld und verfrachtete mich an den verdammten Arsch der Welt. Aber ich war bereit für neues. Seit ich denken konnte hatte ich zusammen mit meinem hart und viel arbeitenden Vater in einer kleinen Zwei-einhalb-Zimmerwohnung in einem muffigen Hochhausblock am Ende einer Sackgasse gewohnt. Da gab es nichts, außer verkrachter Existenzen und einer Menge Hundepisse. Es war so verdammt trostlos, und wenn ich nicht gerade mit J. Gesoffen und gefeiert oder mit Alex im Park abgehangen hatte war ich manchmal kurz vorm Durchdrehen gewesen. Nur dass das Fenster in meinem Zimmer glücklicherweise zu klein zum Rausspringen gewesen war. Natürlich würde ich das alles auch irgendwo vermissen, und Alex wahrscheinlich sogar mehr als nur ein bisschen, aber nun bekam ich die Chance auf einen kompletten Neuanfang. Spendiert von einer Frau die es geschafft hatte meinen Vater nach Jahren der Einsamkeit endlich wieder glücklich zu machen. Wer war ich also dass ich nur um dem Klischee eines Stiefsohnes zu entsprechen schlechte Laune verbreiten sollte? Als Lilly sich zum gefühlt hundertsten Mal während dieser wirklich endlos erscheinenden Autofahrt zu mir umdrehte und mir einen unsicheren Blick zuwarf schenkte ich ihr also mein breitestes und aufrichtigstes Lächeln, und sie erwiderte es vorsichtig. So ganz traute sie dem Braten eindeutig noch nicht. Aber mehr als nett sein konnte ich nun auch nicht; ich gab mir ja Mühe, aber in diesem Brutofen von Auto und nach fast vier Stunden Fahrt war mir nicht mehr nach ein bisschen belanglosem Smalltalk. Mein Mund war staubtrocken und das obwohl ich bereits zwei große Flaschen Wasser geleert hatte. Wir befanden uns nun schon seit mehreren hundert Kilometern auf der Autobahn, und auch wenn der Volvo meines Vaters ordentlich PS unter der Haube hatte, solange der Rest der Pendler und Urlaubsausflügler vor uns her schlich nutzte auch das schnellste Auto nichts. Ich rutschte ungeduldig in meinem Sitz herum und blickte sehnsüchtig aus dem Fenster. Mir tat der Hintern weh, und die Haare klebten mir verschwitzt im Nacken. Für eine kalte Dusche hätte ich getötet.   „Wir sind bald da, es ist nicht mehr weit. Hältst du es noch ein bisschen aus?“ Lilly hatte sich wieder zu mir herumgedreht und lächelte mich aufmunternd an. Ich wischte mir über die schweißnassen Schläfen und grinste gequält. „Klar, wenn in deinem Kühlschrank eine kalte Cola auf mich wartet?“ Sofort hellte Lillys Gesicht sich auf und sie strahlte als hätte sie im Lotto gewonnen. „Natürlich! Und Eis! Dein Vater hat gesagt du liebst Pistazieneis, also habe ich gleich eine große Familienpackung gekauft.“ Sie zwinkerte mir zu. „Die du natürlich ganz allein aufessen darfst.“ Zugegeben, bis jetzt hatte ich noch nie eine Mutter vermisst, aber an Lillys Fürsorglich konnte man sich durchaus gewöhnen. Den Rest der Fahrt verbrachten wir in  einträchtigem Schweigen, ich nickte sogar ein paar Mal weg, und erst als wir von der Autobahn herunter und auf die erste Landstraße einbogen wurde ich wieder etwas munterer. Hier würde ich also von nun an wohnen. Um uns herum lagen weite, von der heißen Sommersonne verdorrte Felder und dichte grüne Laub- und Nadelwälder, ab und an unterbrochen von winzigen Dörfern und glitzernden Seen. Ich konnte Kuhweiden und Pferdekoppeln sehen, und Schafe und Ziegen. Aber kaum andere Autos. Bis auf die Tiere war die Gegend praktisch ausgestorben. „Wo liegt denn die nächste größere Stadt?“ „Das wäre …, aber da kommen wir heute leider nicht durch. Sie liegt hinter…, das sind nochmal knapp 35 km denke ich. Da gibt es ein Kino, ein Einkaufszentrum, eine Bowlingbahn…“ zählte Lilly auf, aber mein Interesse war praktisch direkt wieder erloschen. 35 km waren eine Menge, vor allem wenn man minderjährig und nicht mobil war. „Und wo gehe ich zur Schule?“ „In…, das liegt zwischen … und …, so circa 15 km die Hauptstraße entlang.“ Lilly musterte mich skeptisch, dann warf sie meinem Vater einen tadelnden Blick zu. „Sag mal hast du deinem Sohn überhaupt etwas über sein neues zu Hause erzählt? Er weiß nicht einmal wo er zur Schule gehen wird!“ „Er hat doch nicht gefragt…“ murrte der Angesprochene beleidigt, und ich musste innerlich grinsen. Ja, so war mein Vater, kein Mann der vielen Worte. Die restlichen Kilometer bis zu unserem Ziel fütterte Lilly mich eifrig mit allerlei Informationen über die Gegend und die Ortschaften durch die wir hindurch kamen. Außerdem erfuhr ich dass wir etwas außerhalb eines größeren Dorfes wohnen würden, im Nebengebäude eines ehemaligen Reiterhofes. Das Haupthaus war ebenfalls noch bewohnt, von einem allein stehenden Mann und seinen zwei Söhnen. „Das sind wirklich tolle Nachbarn, glaub mir. Herr Kenklis ist zwar etwas grummelig, aber seine Söhne sind sehr nett und höflich. Mit Danny, dem jüngeren, wirst du dich sicher gut verstehen! Er dürfte jetzt 14 sein, oder 15, das kann ich mir nie genau merken!“ Lilly plapperte weiter bis wir den Hof erreichten, dann erst verstummte sie und atmete einmal tief durch. Ich nutzte die Verschnaufpause um mein neues zu Hause erst einmal auf mich wirken zu lassen. Der Hof beschrieb ein weites Oval aus hellgrauem Schotter und verdorrten Grasflächen, linker Hand befand sich das Haus in dem wir wohnen würden nebst einer Garage, auf der rechten Seite gab es ein längliches Stallgebäude vor dem ein dunkelgrüner schon reichlich mitgenommener Ford Escort parkte. Das Haupthaus lag ganz am anderen Ende des Ovals, ein großes dreistöckiges Gebäude mit schwarzgestrichenen Holzbalken an den Mauern und einem grauen, von Moos überwachsenem Dach. Es wirkte alles etwas vernachlässigt, aber gemütlich.   Kaum hatten wir die Autotüren geöffnet schoss plötzlich ein schwarz-weiß gescheckter zotteliger Hund aus dem Stall und kam kläffend auf uns zu gerannt. Da ich als erster ausgestiegen war fokussierte sein Interesse sich sofort auf mich, und noch bevor ich darüber nachdenken konnte wie weit das nächste Krankenhaus für die Versorgung von tödlichen Bisswunden von hier entfernt war sprang das wuschelige Monster bereits hechelnd an mir hoch und versuchte mir Hände und Gesicht abzulecken. Das war eindeutig kein geborener Wachhund.   Keine zwei Sekunden später kam ein Junge über den Hof gestolpert, er musste mit dem unerzogenen Hund im Stall gewesen sein, deswegen hatte er uns nicht rechtzeitig kommen hören. Er trug ein fleckiges weißes T-Shirt und dunkelrote, fransige Shorts. Seine Füßen waren nackt. „Leoooooo, komm her! Bei Fuß! Du sollst niemanden anspringen! Komm her!!“ Leo zuckte nicht einmal mit den Ohrenspitzen. Ich hatte den übermütigen Hund inzwischen bei den Vorderpfoten gepackt und ein Stück von mir weggeschoben, sein Sabber klebte an meinem Shirt, seine Pfoten hatten staubige Abdrücke auf meinen Hosen hinterlassen. Aber das war mir egal, ich mochte ihn sofort. Ich hatte mir schon immer einen Hund gewünscht, nur in unserer kleinen Wohnung war das seit jeher ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Vielleicht würde sich das nun endlich ändern. Inzwischen war der Junge bei uns angekommen, er musste erst einmal nach Luft schnappen, dann packte er Leo am Nackenfell und zog ihn von mir herunter. „Tut mir Leid. Leo tut nichts, er ist ein ganz Lieber. Aber er freut sich immer so wenn Besuch kommt, da kann ich ihn nie halten.“ Er lächelte mir entschuldigend zu, und ich winkte grinsend ab. „Alles gut, nichts passiert. So überschwänglich wurde ich noch nie begrüßt. Ich  mag Hunde.“ Dem Jungen fiel sichtlich ein Stein vom Herzen, er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, dann musterte er den Volvo und die Koffer die mein Vater und Lilly angfingen auszuladen. Sein Gesicht hellte sich auf. „Ihr seid die neuen Nachbarn! Du auch? Caleb hat mir nicht gesagt dass auch ein Junge mit einziehen wird! Ich bin Danny, ich wohne da drüben!“ er zeigte mit lang ausgestrecktem Arm auf das Haupthaus, dann packte er meine Hand und schüttelte sie kräftig. Er war genauso überschwänglich wie sein Hund. Danny hatte schwarzes, unordentlich geschnittenes Haar und große, dunkle braune Augen. Auf seiner Nase schälte sich ein Sonnenbrand, seine Hände und Füße waren staubig und verkratzt. Ein richtiger Naturbursche. Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, da schallte eine zweite Stimme über den Hof. Diesmal vom Haupthaus her. Das musste also Dannys großer Bruder sein. Auf die Entfernung konnte ich ihn nicht genau erkennen, aber von der Größe und Statur her musste er mindestens 18 sein, wenn nicht sogar älter. Er hatte das gleiche dunkle Haar und war ebenfalls barfuß, dazu trug er ein olivfarbenes Shirt und dunkelgraue Hosen. Nur dass er im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder überhaupt nicht freundlich wirkte. Sein Gesicht war verkniffen, und als er Danny zusammenstauchte bedachte er mich mit einem fast schon feindseligen Blick. Was hatte der denn für ein Problem? „Du sollst Leo anbinden wenn Leute kommen, wie oft soll ich dir das eigentlich noch sagen? Dein Hund hat überhaupt kein Benehmen, genauso wenig wie du!“ „Aber wir haben doch nur die neuen Nachbarn begrüßt, nichts weiter! Und Leo hat gar nichts gemacht! Stimmts?“ Danny sah mich mit flehenden Augen an, und ich nickte. Natürlich würde ich ihm nicht in den Rücken fallen, schon gar nicht bei diesem tobenden Idioten. „Leo hat wirklich nichts gemacht, er hat mir nur Hallo gesagt. Du kannst dich also wieder abregen.“ Ich bückte mich demonstrativ und kraulte dem hechelnden Hund das dichte Nackenfell, dann zwinkerte ich Danny zu. Der grinste bereits wieder über das ganze Gesicht, sichtlich froh über meine Rückendeckung. Nur seinem Bruder, dem schien meine Antwort überhaupt nicht zu gefallen. Der war eindeutig wütend. „Ich rege mich auf über was ich will, und wenn mein Bruder seinen Hund nicht unter Kontrolle hat dann ist das Grund genug. Also hör auf ihn auch noch in Schutz zu nehmen, das macht es nur schlimmer!“ er streckte den Arm aus und wollte Danny an der Schulter packen, aber ich kam ihm zuvor. Als ob ich mir von diesem Kerl den Mund würde verbieten lassen! „Er hat sich doch schon entschuldigt, was soll er denn noch tun? Vor mir auf die Knie fallen und mir die Füße küssen? Der einzige der sich hier daneben benimmt bist du, also halt mal die Luft an!“ ich funkelte den anderen herausfordernd an, und der gab nach kurzer Überlegung tatsächlich klein bei. Mit einem letzten zornigen Schnauben und einem wütenden Blick in Dannys Richtung zog er von dannen, dicht gefolgt von Leo den er mit nur einer einzigen Handbewegung zum Mitkommen bewegt hatte. Ich war aufgebracht, aber beeindruckt. Danny zupfte mich am Arm und als ich mich ihm zuwandte strahlte er mich mit leuchtenden Augen an. „Das war wirklich stark! Normalerweise traut sich nie jemand Caleb die Meinung zu sagen! Du bist wirklich mutig!“ Ich lächelte gequält und bedankte mich für die lobenden Worte; offensichtlich hatte ich mir gerade nicht nur einen Bewunderer, sondern auch einen ernst zu nehmenden Feind gemacht.   Danny half mir voller Tatendrang meine Koffer und Kisten in mein neues Zimmer zu schleppen, und dabei redete er praktisch fast ununterbrochen. Er kannte Lilly schon sein ganzes Leben lang, und natürlich auch ihre Mutter die bis zu ihrem Tod vor zwei Jahren ebenfalls hier gewohnt hatte. Den Reiterhof als solchen gab es dagegen schon seit fast fünf Jahren nicht mehr, der Betrieb wurde eingestellt nachdem Calebs und Dannys Mutter nach langer Krankheit an Krebs verstorben war. „Pferde haben wir allerdings immer noch. Magst du Pferde? Wir haben fünf! Zwei Stuten, zwei Wallache, und einen Hengst. Meine Stute heißt Kalypso, sie ist die beste überhaupt! Kannst du reiten?“ Während ich meine leidlich zusammen gelegten Klamotten von einem Karton in den Kleiderschrank beförderte thronte Danny mit untergeschlagenen Beinen auf meinem noch nicht bezogenen Bett und nuckelte an einer Cola. Mein Zimmer befand sich direkt unter dem Dach; die Aussicht war zwar beeindruckend, aber dafür war es auch drückend heiß. Da halfen auch die weit offen stehenden Fenster nichts dagegen. Ich wischte mir mit einem Arm über die schweißnasse Stirn, dann lies ich mich neben Danny aufs Bett fallen und mir eine Cola reichen. Ich brauchte erst einmal eine Pause. Seit zwei Stunden räumten wir nun schon das Zimmer ein, aber von den Umzugskartons hatten wir noch nicht einmal die Hälfte geschafft. Besaß ich wirklich so viel Zeug? Danny wartete auf eine Antwort, und ich drehte unschlüssig meine Colaflasche zwischen den Händen. Jetzt war ein Geständnis fällig. „Ich habe noch nie auf einem Pferd gesessen, wenn ich ehrlich bin. Sowas gabs bei uns in der Stadt nicht. Und ich hatte auch irgendwie immer etwas anderes zu tun.“ Ja, saufen und feiern, aber das konnte ich Danny wohl schlecht auf die Nase binden. Der starrte mich an als wäre mir plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen, er war sichtlich schockiert. „Noch NIE?! Das glaub ich dir nicht! Es gibt nichts tolleres als zu reiten! Weißt du was? Ich werde dir Unterricht geben! Das lernst du ganz schnell. Am besten auf Teddy, der ist ganz brav. Den haben wir früher immer für die Kinder genommen, der ist super!“ Danny war Feuer und Flamme für seine Idee, er sprang vom Bett und schien direkt loslegen zu wollen. Ich musste ihn ganz dringend bremsen. Heute würde ich gar nichts mehr tun außer Essen, Duschen, und danach Schlafen gehen. „Danny, danke, ich nehme wirklich gern Unterricht bei dir. Aber nicht mehr heute, okay? Ich bin fix und fertig, ich bin froh wenn ich es noch bis unter die Dusche schaffe.“ Ich lächelte ihm entschuldigend zu, und Danny nickte eifrig. Seine gute Laune war wirklich unerschütterlich. „Dann morgen! Das wird super! Ich bin ein toller Lehrer, ganz bestimmt!“ er grinste mich breit an, und ich lachte. Soviel Optimismus hätte ich auch gern. Natürlich konnte ich nicht wissen wie ich mich auf dem Rücken eines Pferdes anstellen würde, übers Reiten hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht, aber Danny schien so glücklich über die Aussicht darüber mir Unterricht geben zu dürfen dass ich es nicht übers Herz brachte sein Angebot abzulehnen. Vielleicht würde es ganz lustig werden. Wir tranken unsere Cola aus, dann half Danny mir noch die restlichen beiden Kartons mit Klamotten zu Ende auszuräumen. Als wir beim letzten angekommen waren stutzte er plötzlich, dann zog er ein weinrotes Kapuzenshirt mit kurzen Ärmeln heraus und betrachtete es mit fast schon ehrfürchtiger Miene. „Ooooooh, ist das krass. Das sieht echt genial aus!“ Als er meinen fragenden Blick bemerkte drehte er es mit der Front zu mir, und ich musste grinsen. Das Shirt war mal eines von Alex´ gewesen, er hatte es mir geliehen nachdem ich mein eigenes…ja was eigentlich? Ich versuchte mich zu erinnern, aber es wollte mir partout nicht einfallen. Egal. „Gefällts dir?“ ich betrachtete das aufgedruckte Motiv halb belustigt, halb abgestoßen. Es zeigte ein menschliches Skelett mit grinsendem Totenkopfgesicht und einem absolut unpassenden stacheligen Irokesen auf dem ansonsten völlig kahlen Schädel.  Warum Danny das so super fand war mir sofort klar. Das Gerippe ritt nämlich zu allem Überfluss auch noch auf einem ebenso hässlichen Knochenpferd, und das war es was es dem pferdebegeisterten Jungen so angetan hatte. „Sehr! Das ist abgefahren! Gehört das dir?“ Eigentlich eine überflüssige Frage wenn man bedachte woher Danny es gerade geholt hatte, aber ich tat ihm den Gefallen und antwortete trotzdem. „Ja, irgendwie schon. Eigentlich gehört es einem Freund, aber er hat es mir vor Ewigkeiten mal ausgeliehen und dann vergessen. Willst du es haben?“ Danny fielen fast die Augen aus dem Kopf als er meine Worte hörte, er betrachtete das Shirt mit so viel Hingabe dass ich beinahe laut losgeprustet hätte. Es war einfach zu niedlich! „Ernsthaft? Aber…das geht doch nicht! Was wenn er es zurück haben will? Das kannst du doch nicht machen!“ er sah mich beinahe entrüstet an, und nun musste ich doch lachen. Ich konnte einfach nicht anders. „Klar geht das! Nimm es einfach! Mein Kumpel wird es nicht vermissen, glaub mir. Er weiß nicht einmal mehr dass ich es überhaupt noch habe. Es ist jetzt deins.“ Danny zögerte noch einen Moment, dann riss er sich plötzlich sein eigenes T-Shirt vom Leib und schlüpfte in das neue. Sein Gesicht zeigte pure Glückseligkeit. „Schau mal, es passt! Danke! Viiiiiiielen vielen Dank!!“ Und noch bevor ich es verhindern konnte hatte Danny mich gepackt und fiel mir jubelnd um den Hals.   Wir verabredeten uns für den folgenden Vormittag zu unserer ersten gemeinsamen Unterrichtsstunde; Danny wies mich an lange Hosen und auf jeden Fall festes Schuhwerk zu tragen. „Das ist wichtig, sonst hast du nicht genug Halt. Und außerdem könnte Teddy dir auf die Füße treten. Das tut irre weh!“ Na danke, das waren ja tolle Aussichten.   Also machte ich mich am nächsten Tag direkt nach dem Frühstück (welches erst so gegen zehn Uhr stattgefunden hatte, mein Vater war überzeugter Langschläfer) auf den Weg hinüber zum Pferdestall, an den Füßen meine festesten Turnschuhe, und trotz der jetzt schon fast unerträglichen Hitze eingezwängt in eine ungemütliche tiefschwarze Jeans. Ich hatte unruhig geschlafen, die erste Nacht in diesem fremden Bett war wirklich seltsam gewesen, und auch an die mir völlig unbekannten Geräusche würde ich mich erst einmal gewöhnen müssen. In der Stadt war es selbst nachts niemals wirklich still gewesen, der Verkehr rollte ununterbrochen, Menschen grölten, und natürlich hatte es auch die ein oder andere lautstarke Auseinandersetzung gegeben. Hier dagegen war es fast unheimlich ruhig. Vielleicht sollte ich mir angewöhnen zum Einschlafen Radio zu hören, das würde unter Umständen helfen. Leo begrüße mich als erster hechelnd und mit wedelndem Schwanz, er war mit einem langen Strick an eine Hundehütte gebunden, und ich kraulte ihm ausgiebig das flauschig weiche Kragenfell. Dabei sabberte er mir die Unterarme voll. „Nicky! Hier bin ich! Kommst du? Ich hab Teddy schon geholt!“ Danny erschien winkend im offenen Stalltor, und ich verabschiedete mich mit einem letzten Wuscheln durch Leos geflecktes Fell von dem aufdringlichen Hund. Wie nicht anders zu erwarten trug Danny das Shirt welches ich ihm gestern überlassen hatte, und ich musste zugeben es stand ihm wirklich ausgezeichnet. Kaum zu glauben dass Alex und er die gleiche Kleidergröße hatten. Ich betrat neben Danny den Stall und meine Augen mussten sich erst einmal an das plötzliche Dämmerlicht gewöhnen. Der Geruch nach Mist und frischem Heu war beinahe überwältigend, genauso wie der warme Duft nach Pferd und noch irgendetwas anderem, würzigerem. Es war wie eine andere Welt. „Bist du bereit für deine erste Unterrichtsstunde? Ich habe Teddy schon gesattelt und aufgezäumt damit wir gleich starten können! Schau, er ist wirklich ein ganz braver!“ Hinter Danny, an eine lange hölzerne Querstange gebunden, stand ein stämmiges etwa mittelgroßes Pony. Es hatte ein weiß-braun geschecktes Fell und große, beinahe schwarze Knopfaugen die mich neugierig und sehr aufmerksam musterten. Eine dichte ebenso gescheckte Mähne stand ihm vorwitzig vom Kopf ab. Danny hatte Recht, Teddy sah wirklich sehr freundlich aus. Fragte sich nur ob er das auch noch war wenn ich erst einmal im Sattel saß. „Hey Teddy, grüß dich.“ ich kraulte das Pony vorsichtig zwischen den Ohren, und es rieb seine Nüstern sofort vertrauensvoll an meinem Oberarm. Dabei schnodderte es sogar noch mehr als Leo. Und seine Zähne waren auch deutlich größer als die des Hundes. „Er mag dich! Sehr gut!“ rief Danny begeistert, dann löste er den dicken Strick mit dem Teddy an die Stange gebunden war und gab ihn mir in die Hand. „Hier, du kannst Teddy nach draußen führen. Er wird dir ganz sicher folgen. Und draußen kannst du dann auch aufsitzen. Wir gehen für den Unterricht hinter den Stall auf die Reitbahn, da ist genug Platz.“ erklärte Danny eifrig und man konnte die Vorfreude auf die anstehende Reitstunde aus jedem seiner Worten heraushören. Damit war er eindeutig optimistischer als ich. Aber ich würde es zumindest einmal versuchen. Und wenn es nur ihm zu Liebe war. Teddy folgte mir tatsächlich ohne zu Mucken aus dem Stall hinaus auf den Hof, dort übernahm Danny den Führstrick wieder und nahm dann zusammen mit mir neben dem geduldig wartenden Pony Aufstellung. „Ich erkläre dir jetzt wie man aufsitzt. Das ist ganz einfach, vor allem wenn das Pferd so klein ist wie Teddy. Als erstes...“ Danny war wirklich ein ausgezeichneter Lehrer. Und Teddy ein ausgezeichnetes Übungspony. Auf der Reitbahn drehte ich zuerst in Dannys Begleitung ein paar Runden während er mir Tipps und Anweisungen zur korrekten Sitzhaltung und der Haltung von Händen und Beinen gab. Es war erstaunlich anstrengend auf alles gleichzeitig achten zu müssen, aber es machte auch irgendwie Spaß. Die letzte Runde traute ich mich dann sogar schon allein, und Teddy reagierte mit stoischer Ruhe auf jeden meiner Befehle. Als ich endlich wieder bei Danny ankam rutschte mir allerdings das Herz in die Hose, und das lag nicht daran dass Teddy plötzlich doch keinen Bock mehr auf die ewige Rundenlauferei hatte. Neben meinem geduldigen Lehrer stand Caleb, lässig auf die Umzäunung der Reitbahn gelehnt, und beobachtete mich mit zusammen gekniffenen Augen. Mein Pony schien meine Unruhe zu bemerken, es schnaubte unsicher und tänzelte einen Schritt zur Seite. „Zeig ihm wer der Boss ist, sonst hört er nicht auf dich.“ rief Caleb zu mir herüber. Er bückte sich unter der Absperrung hindurch und kam auf mich zu, dann packte er Teddy am Halfter und brachte ihn zum Stehen. Ich atmete tief durch, meine Finger hatten sich um die Zügel geklammert, und erst jetzt wagte ich es sie wieder ein bisschen zu lockern. Für einen Moment hatte ich wirklich gedacht Teddy würde mit mir durchgehen. Aber jetzt stand der brav wie ein Lamm neben Caleb und versuchte an dessen Hosentasche zu knabbern. „Du musst dringend an deiner Haltung arbeiten, du sitzt viel zu verkrampft. Kein Wunder dass Teddy dir nicht gehorchen will.“ Der Spott in Calebs Stimme war nicht zu überhören. Ich kochte innerlich vor Wut, am liebsten wäre ich einfach abgestiegen und abgehauen, aber ich hatte Angst mich allein bei dem Versuch schon wieder zu blamieren. Also biss ich die Zähne zusammen und blieb sitzen. Inzwischen war auch Danny zu uns gestoßen, er sah ziemlich unglücklich aus. „Ist alles okay Nicky? Tut mir Leid, Teddy ist sonst nie so. Aber er hätte sich sicher gleich wieder beruhigt! Stimmt´s Caleb?“ Der Junge sah seinen großen Bruder nach Unterstützung heischend an, und auch wenn Caleb mir sichtlich gern noch einen reingedrückt hätte wollte er seinen kleinen Bruder nicht enttäuschen. Also nickte er, den Widerwillen deutlich ins Gesicht geschrieben. „Ja, natürlich hätte er das. Er ist nur keine Anfänger mehr gewöhnt. Das ist alles.“ er schenkte Danny ein aufmunterndes Lächeln, dann blickte er wieder zu mir herauf, und sofort gefror ihm dieses Lächeln auf den Lippen. Was für ein Idiot! „Bist du denn überhaupt schon mal geritten? Das sah echt sehr...ungeübt aus.“ Ich war versucht ihm mit meinem festen Schuhwerk ganz diskret mitten in seine falsche Visage zu treten, aber ich ließ es bleiben. Danny zu Liebe. Und weil ich immer noch Angst hatte dass Teddy es sich doch anders überlegen könnte und mit mir durchging. Also erwiderte ich Calebs spöttisches Grinsen und riss mich zusammen. Zumindest fast. „Klar bin ich schonmal geritten, aber bis jetzt noch nie auf einem Pferd. Und da hat sich über meine Reitkünste noch keiner beschwert.“ Auf Dannys Gesicht erschien ein fragender Ausdruck, er verstand die Zweideutigkeit meines Satzes offensichtlich noch nicht, ganz im Gegensatz zu seinem Bruder. Der wurde erst blass, dann feuerrot. Wäre Danny nicht dabei gewesen hätte er mir wohl spätestens jetzt eine reingehauen, ich konnte praktisch sehen wie seine Fäuste zuckten. Aber momentan befand ich mich ganz eindeutig in der sichereren Position. „Du bist echt abartig. Genauso wie das Shirt dass du meinem Bruder geschenkt hast. Sei froh dass ich ihn so gern hab, sonst hätte ich den elenden Fetzen längst verbrannt.“ Caleb kochte vor Wut, er ließ Teddys Halfter los und kroch wieder unter der Absperrung hindurch, dann drehte er sich noch einmal um und warf Danny einen strengen Blick zu. „Mach Teddy fertig und bring ihn wieder auf die Weide. Und dann verabschiede dich von unserem neuen Nachbarn. Ich will nicht dass du dich weiter mit ihm triffst. Er ist schlechter Umgang.“ Dann stapfte Caleb mit zornigen Schritten davon. Danny und ich blickten Caleb eine Weile schweigend hinterher, dann kletterte ich von Teddys Rücken und legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter. Er tat mir wirklich Leid. „Sorry dass ich deinen Bruder schon wieder verärgert habe. Das wollte ich nicht. Und jetzt hast du den Ärger wegen mir.“ Ich klang ehrlich zerknirscht, und auch Dannys gute Laune schien einen ordentlichen Dämpfer bekommen zu haben. Er seufzte zittrig, dann drehte er sich zu mir um und sah mich aus großen Augen an. „Willst du jetzt nicht mehr mit mir befreundet sein?“ Mit dieser Frage hatte ich nicht gerechnet. In Dannys Blick lag pure Verzweiflung, und ich drückte ihn kurz aber herzlich an mich. Darüber machte er sich Gedanken? Oh man. „Natürlich will ich mit dir befreundet sein! Was denkst du denn? Ich hab dir doch das T-Shirt geschenkt! Du bist ab jetzt mein bester Freund, egal was dein Trottel von Bruder sagt! Und außerdem musst du mir doch noch das Reiten beibringen, nicht dass Teddy mich wirklich noch abwirft!“ Eigentlich hatte ich ja die Nase voll vom „Glück dieser Erde“ (welches angeblich ja auf dem Rücken der Pferde lag), aber das Strahlen welches auf meine Worte hin auf Dannys Gesicht aufging war jeder gebrochene Knochen den ich mir bei meinen stümperhaften Versuchen höchstwahrscheinlich noch holen würde wert. „Wirklich? Ich darf weiter dein Lehrer sein? Juhu!“ er umarmte mich lachend, und ich erwischte mich dabei wie ich dabei ziemlich dümmlich vor mich hin grinste. Ich hatte noch nie mit jüngeren Kerlen abgehangen, selbst Alex war fast ein Jahr älter gewesen als ich, aber Danny war so herrlich unkompliziert und herzlich, ich konnte einfach nicht anders als ihn zu mögen. Ganz egal was für Steine uns Caleb noch in den Weg legen würde. Ich würde ihm einfach beweisen dass ich nicht der schlechte Umgang war für den er mich hielt. Ich konnte nämlich auch ganz anders. Da war ich mir sicher. Nachdem Danny sich wieder einbekommen hatte brachten wir Teddy gemeinsam auf die Koppel; das Pony trabte übermütig davon und ich blickte ihm fast schon ein bisschen wehmütig hinterher. Der musste sich um nichts und niemanden Sorgen machen oder sich mit irgendwelchen Idioten abgeben. Okay, außer mit mir auf seinem Rücken vielleicht. Aber da bestand ja Hoffnung, zumindest wenn man Danny Glauben schenken durfte. Der hatte mir, nachdem ich mich höflich aber nachdrücklich geweigert hatte nochmal in den Sattel zu klettern, einfach theoretische Nachhilfe in Sachen Pferdekunde gegeben, und ich fand ich machte mich zumindest was das anging richtig gut. Ich hatte sogar ein paar kluge Fragen gestellt. Jetzt stand mein motivierter Lehrer neben mir an den Koppelzaun gelehnt und kaute auf seinem Daumennagel. Er schien über irgendetwas sehr wichtiges nachzudenken, dann drehte er mir plötzlich das Gesicht zu und sah mich mit fragend gerunzelter Stirn an. „Was meintest du erst eigentlich damit was du zu Caleb gesagt hast? Das mit dem Reiten? Ich dachte du bist noch nie geritten?“ Ich lief schlagartig knallrot an und wandte schnell den Blick ab. War ja klar dass er sich das gemerkt hatte. Wie sollte ich ihm das erklären? Danny war so...unschuldig. Und ich wollte ihn nicht verderben. Damit würde ich Caleb zusätzlich noch direkt in die Hände spielen, und das was das letzte was ich wollte. Nur, konnte ich meinen neuen besten Freund einfach so dreist anlügen? Danny vertraute mir, und früher oder später würde er eh herausfinden wenn ich ihm gegenüber geflunkert hätte. Ich entschied mich für die Wahrheit, auch wenn es mir schwerfiel. Aber Danny hatte sie verdient. Wenn nicht er, wer dann? „Mit „Reiten“ habe ich Sex gemeint. Diesen Vergleich fand dein Bruder wohl nicht so witzig.“ ich zuckte ein bisschen hilflos die Schultern, und Danny hielt sich die Hand vor den Mund um nicht laut loszuprusten. Er kicherte. „Du bist echt krass. Kein Wunder dass Caleb so sauer ist. Aber ICH finde es witzig!“ er wischte sich über die vom Lachen feuchten Augen, dann sah er mich wieder so halb ernst, halb fragend an. „Hattest du viele Freundinnen in deinem alten zu Hause? Du musst du doch jetzt echt vermissen. Oder kommen sie dich mal besuchen?“ Das waren Fragen die ich eigentlich nicht beantworten wollte. Ich ging nicht davon aus dass Danny mich absichtlich in Verlegenheit brachte, auf seinem Gesicht entdeckte ich nur pure Neugierde, aber konnte er die Wahrheit vertragen? In wie weit war er bereits aufgeklärt? Und hatte er Vorurteile? Bei einem Bruder wie Caleb wäre letzteres sicher nicht verwunderlich. Der hasste mich inzwischen wie die Pest, gut möglich dass er auch noch homophob war. Waren dass auf dem Land nicht alle? Okay, vielleicht war auch ich hier derjenige mit den Vorurteilen. Ich würde es wohl darauf ankommen lassen müssen. Danny erschien mir nicht wie ein schlechter Mensch, ich mochte ihn, und er hielt zu mir obwohl sein Bruder ihm das mehr als ausdrücklich untersagt hatte. Also heraus mit der Wahrheit. „Ich hatte keine Freundinnen, aber einen Freund. Von dem hab ich mich getrennt bevor wir hier her gezogen sind. Aber nicht deswegen. Vermissen werde ich ihn jedenfalls nicht. Und besuchen kommt er mich hoffentlich auch nicht. Okay?“ ich versuchte möglichst gleichgültig zu klingen, mein Blick ging in die Ferne, beobachtete Teddy und vier weitere Pferde die am anderen Ende der Koppel standen und friedlich grasten. Eines davon musste wohl Kaylypso sein, Dannys Stute. Er hatte mir gar nicht gesagt wie sie aussah. Vorsichtig warf ich Danny einen Seitenblick zu, er kaute schon wieder auf seinem Daumennagel, in seinem Kopf schien es mächtig zu arbeiten. Hatte es ihm jetzt doch die Sprache verschlagen? Unglaublich. Ich bekam fast ein schlechtes Gewissen, hoffentlich hatte ich den Jungen nicht zu sehr verstört, aber nach ein paar Minuten brach Danny das ungewohnte Schweigen wieder, und er sah mich fast schon ein bisschen bewundernd an. „Dann bist du schwul? Das hätte ich gar nicht gedacht. Obwohl du schon ein bisschen so aussiehst wie ein Mädchen, mit deinen Haaren. Und du bist sogar noch kleiner als ich. Dabei bist du doch schon sechzehn, oder? Trinkst du schon Bier? Und ist das T-Shirt von deinem Freund? Also ich meine von deinem jetzt nicht mehr Freund?“ Mir fiel ein Stein vom Herzen, auch wenn das schon wieder eine ganze Menge Fragen waren. In Danny hatte ich mich jedenfalls nicht getäuscht. Er war einfach wundervoll! „Meine Haare sind nicht so lang nur weil ich schwul bin, ich mag sie so. Und ja, ich bin kleiner als du. Aber schon seit fast drei Monaten sechzehn. Ich trinke Bier, aber ich rauche nicht. Und das Shirt ist nicht von meinem Ex, sondern von meinem besten Kumpel Alex. Den kann ich aber mal hier her einladen wenn du willst, dann könnt ihr euch kennen lernen. Er ist ein Punk, genauso wie das Skelett da.“ Ich tippte Danny mit dem Finger auf die Brust, und er grinste breit. „Das wäre toll! Ich hab kaum Freunde weißt du, weil wir so weit draußen wohnen. Und mein Vater mag auch keine fremden Leute. Und Caleb leider auch nicht, der hat überhaupt keine Freunde. Aber vielleicht versteht ihr euch doch irgendwann, das wäre super!“ Das hoffnungsvolle Glitzern in Dannys Augen versetzte mir einen scharfen Stich ins Herz und ich wandte den Blick schnell ab. Natürlich würde ich mich auch gern mit Caleb gut verstehen, aber aus irgendeinem Grund gerieten wir sofort aneinander wenn wir uns begegneten. Einerseits konnte ich ihn ja sogar verstehen, spätestens nach meiner vulgären Bemerkung auf der Reitbahn war klar dass ich ein bisschen anders tickte als der Rest der Leute mit denen er sich so umgab (oder auch nicht, wenn man Danny Glauben schenken durfte), aber er war ja bereits aggressiv gewesen kurz nachdem ich aus dem Auto gestiegen war. Und da hatte ich nur seinem kleinen Bruder beigestanden. Und was das T-Shirt anging... „Wenn Caleb deinem neuen Shirt was antun sollte besorge ich dir ein neues, okay? Alex hat sicher noch mehr von denen, da bringt er dir bestimmt noch eins mit wenn ich ihn frage.“ Zum zweiten Mal an diesem Tag fiel Danny mir jubelnd um den Hals. Kapitel 2: #02 -------------- Trotz Calebs gut gemeintem „Rat“ was den Umgang mit mir anging verabredeten Danny und ich uns für den Nachmittag zum „Abhängen“; Lilly hatte in den Untiefen der zugerümpelten Garage zwei noch einsatzfähige Liegestühle gefunden, und die zogen wir uns in den Vorgarten meines neuen zu Hauses um bei Cola und Pistazieneis die Sonne zu genießen. Leo leistete uns hechelnd Gesellschaft, genauso wie eine schlanke, sehr zutrauliche schwarze Katze. „Das ist Miss Momo, sie gehörte Lillys Mutter. Aber eigentlich gehört sie allen. Sie fängt die Mäuse im Stall und manchmal auch ein paar Blindschleichen oder Maulwürfe. Leo mag sie auch, siehst du?“ Die vorwitzige schwarze Katze rieb schnurrend ihr Köpfchen an dem großen Hund, dann kroch sie unter Dannys Liegestuhl und rollte sich dort zu einer flauschigen runden Kugel zusammen. Wir quatschten über dies und das, das hieß, vor allen Dingen redete wieder Danny, aber ich genoss es mich einfach so berieseln zu lassen und nur ab und zu etwas einwerfen zu müssen. Calebs grüner Ford Escort stand nicht auf dem Hof; als ich Danny danach fragte zuckte er nur mit den Schultern und fuhr mit seinem Monolog fort. Er machte sich anscheinend überhaupt keine Sorgen darüber was passieren würde wenn man uns erwischte. Aber er kannte Caleb schließlich deutlich besser als ich, wahrscheinlich war ich es der sich völlig umsonst Gedanken machte. Kurz vor vier Uhr kam das klapprige alte Auto schließlich die Einfahrt hinauf gefahren, und tatsächlich, sein Fahrer würdigte uns keines Blickes als er die Karre abschloss und dann im Haupthaus verschwand. Ich war wirklich ein Schisser. Aber es war nicht nur die Angst davor mich erneut mit Caleb in die Haare zu bekommen, da war noch etwas anderes, und das machte mir deutlich mehr Sorgen. Die nächsten Tage bekam ich Danny so gut wie gar nicht zu Gesicht. Caleb versuchte es nun passiv aggressiv und deckte seinen kleinen Bruder mit so vielen Aufgaben rund um den Hof und die Pferde ein dass er gar nicht dazu kam sich mit mir zu treffen. Und ich selbst war auch ziemlich eingespannt. Das kleine Haus in dem wir nun wohnten war nur für zwei Personen ausgelegt gewesen, und es mussten einige Veränderungen vorgenommen werden damit es für jetzt einen mehr passte. Der Dachboden in dem mein Zimmer lag war zwar bewohnbar, aber deutlich renovierungsbedürftig. Der Fußboden bestand aus blanken Holzbohlen, die Wände waren nicht gedämmt, und das kleine Bad dass an mein Zimmer anschloss musste dringend rundum erneuert werden. Dusche und Toilette funktionierten zwar, aber die Fliesen und die wenigen Möbel darin stammten dem Aussehen und ihrem Zustand nach noch aus dem vorigen Jahrhundert. Lilly war das sichtlich unangenehm. Am liebsten wäre sie sofort losgezogen und hätte sämtliche Möbelgeschäfte leergekauft und davor am besten noch alles selbst neu verfliest und tapeziert, aber ich hielt sie zurück. Ich fühlte mich hier wohl, in meinem eigenen kleinen Reich, und wenn erst einmal ordentlich geputzt worden wäre wäre es sicher nur noch halb so...abgewohnt. „Zeig mir einfach wo ich Schrubber und Eimer finde, und ich mach mich gleich an die Arbeit. Es ist super hier, echt. Soviel Platz hatte ich noch nie!“ ich drehte mich einmal im Kreis und Lilly lachte erleichtert auf. Sie tat alles um mir die Eingewöhnung hier so angenehm wie möglich zu machen, und ich war ihr mehr als dankbar dafür. Genau wie Danny war sie eine Seele von Mensch, und wären da nicht Caleb und Alex gewesen (den ich inzwischen doch furchtbar vermisste), ich wäre rund um glücklich gewesen. „Du bist ja ein richtiger Putzteufel Nicky, das hätte ich gar nicht gedacht. Dein Vater...“ Lilly stockte plötzlich mitten im Satz und biss sich auf die Lippe, und ich sah sie fragend an. Hatte sie sich gerade verplappert? „Was ist denn mit meinem Vater?“ hakte ich neugierig nach, und sie seufzte ergeben. Ertappt. „Nimm es ihm nicht übel, aber er hat dich mir gegenüber eher als Problemkind beschrieben. Dass du Saufen würdest, und nichts für die Schule machst und dich stattdessen herumtreibst. Und dann dieser J...“ sie sah mich um Verzeihung bittend an, das schlechte Gewissen stand ihr praktisch ins Gesicht geschrieben. Aber ich war ihr nicht böse. Und meinem Vater auch nicht. Er hatte ja Recht mit dem was er ihr über mich erzählt hatte. Ich war wirklich ein Problemkind gewesen. Aber das sollte sich nun ändern! Ich lächelte Lilly breit an und griff mir mit einer übertrieben heroischen Geste ans Herz, mit der anderen Hand salutierte ich. „Ich gelobe hiermit Besserung! Ab jetzt trinke ich nur noch Cola, bin pünktlich zu Hause, und was meinen Umgang angeht...ich nehme jetzt Reitstunden bei Danny, das macht doch Hoffnung, oder?“ ich zwinkerte ihr zu, und Lilly erwiderte die Geste. „Und ich gelobe hiermit dich nicht als Putzfrau zu missbrauchen und werde dir tatkräftig bei deinen Aufgaben unter die Arme greifen.“ Sie grinste. „Übrigens, dein Vater ist gerade unterwegs und holt unser neues Sofa ab. Wir brauchen ja nun ein wenig mehr Platz vor dem Fernseher. Das heißt, unsere erste gemeinsame Aufgabe wird es sein das alte Sofa raus auf den Hof zu schleppen. Klingt das nicht fantastisch?“ Ich stöhnte ergeben, aber dann machten wir uns mit Feuereifer daran den alten und durchgesessen Zweisitzer nach draußen zu schaffen und dort auf die Anlieferung des neuen Möbelstückes zu warten. Trotz unseres vollgepackten Terminkalender schafften Danny und ich es doch noch irgendwie uns einigermaßen regelmäßig zu sehen; auch wenn die Zeit nie für eine weitere Reitstunde ausreichte. Darüber war ich nicht gerade böse, aber an meinem Freund nagte es schon. Die Pferde waren sein Leben, und wenn er von seiner Stute Kalypso sprach war es als spräche er über seine große Jugendliebe. Inzwischen hatte ich das Pferd natürlich auch kennen gelernt, ein drahtiges schwarzbraunes Tier mit kurzer stoppeliger Mähne und ungewöhnlich klugen Augen. Sie war um einiges frecher als Teddy, aber im Grunde auch ein unglaublich freundliches Wesen. Außer ihr und Teddy gab es noch drei weitere Pferde auf dem Hof. Eine weitere Stute namens Columbia die ich nur Anhand ihrer großen weißen Blesse auf der Stirn von Kalypso unterscheiden konnte, einen beigen Wallach mit weißer Mähne namens Haku(ein Halfinger, die sahen sich wohl alle ähnlich), und Abyss, Calebs Hengst. Letzterer musste separiert von den anderen vier Pferden stehen da er sich sonst mit den Wallachen anlegen und die Stuten...naja, ihr wisst schon. Abyss war tiefschwarz, sein Fell glänzte in der Sonne wie pure Seide, er hatte lange elegante Gliedmaßen und trug die Nase immer eine Spur höher als seine Artgenossen. Genau wie sein Herr. „Abyss hat Araberblut in sich. Für ihn haben sich ganz viele Leute interessiert als wir die anderen Pferde verkaufen mussten, aber Caleb hätte ihn um nichts in der Welt hergegeben. Und unser Vater auch nicht. Zum Glück, sonst wäre Caleb garantiert durchgedreht.“ Danny und ich standen am Rande der Reitbahn, wir hatten gemeinsam Unkraut gezupft und machten gerade eine Pause. Obwohl ich nur ein ärmelloses Shirt und kurze Hosen trug und inzwischen genau wie Danny barfuß war lief mir der Schweiß in Strömen vom Gesicht. Schatten gab es hier nicht, und die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel. Wenige Meter von uns entfernt trainierte Caleb auf Abyss, er ließ ihn verschiedene Figuren laufen und über ein paar niedrige Hindernisse springen. Auch wenn ich den Kerl nicht ausstehen konnte und er mir gegenüber ein richtiges Arschloch war, reiten konnte er, das musste ich neiderfüllt zugeben. Er und sein Pferd schienen eine perfekte Einheit zu bilden, sie waren wie eins, und es war schwer diesem Schauspiel nicht fasziniert zuzusehen. Ich kam mir vor wie ein Idiot. „Caleb ist super, oder? Er kann jedes Pferd reiten, sie hören alle auf ihn. Und nur er traut sich Abyss zu reiten, jeden anderen wirft der nämlich ab. Nur Caleb nicht. Und meine Mutter, die hat Abyss auch nie abgeworfen. Sie war auch eine tolle Reiterin.“ Danny winkte seinem Bruder zu, und der erwiderte den Gruß. Ich blickte verbissen zu Boden. Obwohl Caleb ihn so oft zurecht wies und ihm jetzt auch noch diese sinnlosen Aufgaben aufgebürdet hatte sprach Danny nur in den höchsten Tönen von ihm. Das wollte mir nicht in den Kopf, aber vielleicht lag das auch daran dass ich ein Einzelkind war. Ich hatte nie einen Bruder gehabt zu dem ich hätte aufblicken können. Caleb schien seine Trainingseinheit beendet zu haben, jetzt wischte er sich den Schweiß von der Stirn und lenkte Abyss in unsere Richtung. Ich hätte mich am liebsten klammheimlich verkrümelt, aber das hätte zu sehr nach feiger Flucht ausgesehen, und ich wollte nicht wie ein Weichei dastehen. Also hielt ich tapfer die Stellung, auch als Caleb seinen unberechenbaren Hengst bis auf wenige Zentimeter an die Absperrung heran treten lies und sich dann aus dem Sattel schwang. „Das sah spitze aus Caleb! Mama wäre so stolz auf dich! Wie Abyss auf dich hört! Wahnsinn!“ Danny betrachtete seinen großen Bruder mit absoluter Verehrung im Blick, aber der hatte nur Augen für mich. Und die sahen nicht gerade freundlich aus. „Eigentlich sollte Danny sich alleine um das Unkraut kümmern. Das war seine Aufgabe.“ Calebs Stimme klang schon wieder wütend, und diesmal hatte ich ihn nicht einmal gereizt. Ich war einfach nur da. Und hatte geholfen. Undankbarer Idiot. Das war schließlich nicht meine Reitbahn. „Ich habe ihm aber gern geholfen. Ich bin nämlich ein netter Mensch.“ Im Gegensatz zu dir, aber diesen Zusatz verschluckte ich lieber. Caleb schien ihn trotzdem zu hören. Seine Finger schlossen sich um die oberste Sprosse der Absperrung, es fehlte wirklich nicht mehr viel und er würde mir höchstwahrscheinlich eine langen. Aber das übernahm schließlich sein Pferd für ihn. Noch bevor einer von uns auch nur im Ansatz reagieren konnte streckte Abyss blitzschnell seinen Kopf über den Zaun der Reitbahn und schlug seine kräftigen Zähne in meine Schulter. Ich schrie vor Überraschung und Schmerz auf, dann taumelte ich rückwärts und landete unsanft auf dem Hintern. Blut floss mir den Arm hinunter, und ich tastete vorsichtig nach meiner verletzten Schulter. „Nicht anfassen! Du hast ganz dreckige Hände!“ Der Ausruf kam von Caleb, er hatte seinem bösartigem Pferd mit der flachen Hand einen Schlag gegen die Brust gegeben und kletterte jetzt hastig unter der Absperrung hindurch. Danny stand wie vom Donner gerührt neben uns, sein schreckgeweiteter Blick fixierte meine Schulter. Ich hatte mitten in der Bewegung inne gehalten, die Bisswunde schmerzte höllisch, aber ich wagte es nicht einmal sie mir genauer anzusehen. So wie es sich anfühlte musste mir ein ganzes Stück aus meiner Schulter fehlen. Und dabei hatte ich gedacht Pferde wären Vegetarier. Caleb ging neben mir in die Hocke, er betrachtete die Bescherung erstaunlich gefasst, dann richtete er sich wieder auf und streckte mir die Hand hin. „Komm, es sieht nicht allzu schlimm aus. Aber es muss ausgewaschen und verbunden werden. Ich habe einen Erste-Hilfe-Koffer im Auto, den können wir nehmen. Danny?“ Der Junge fuhr erschrocken zusammen als sein Bruder ihn so plötzlich ansprach, dann löste er seinen Blick von meiner malträtierten Schulter und kam einen halben Schritt auf uns zu. „Geht´s Nicky gut? Abyss hat doch noch nie...“ seine Stimme zitterte, es klang als würde er jeden Moment anfangen loszuheulen. Aber Caleb schnitt ihm einfach das Wort ab. Er hatte die Situation eindeutig unter Kontrolle. „Dem geht’s gut, Abyss hat ihn nur verwarnt. Ich werde mit ihm ins Haus gehen und die Wunde versorgen, du sattelst Abyss ab und bringst ihn auf die Koppel. Dann hast du für heute Feierabend.“ Danny sah aus als wollte er noch etwas sagen, aber dann schluckte er nur schwer und kroch unter der Absperrung hindurch um das verdammte Höllenpferd wieder einzusammeln. Das hatte sich inzwischen klammheimlich vom Tatort entfernt und zupfte am Rand der Reitbahn an ein paar Stengeln Unkraut die wir übersehen hatten. Ich ließ mir von Caleb auf die Füße helfen, dann umrundeten wir schweigend den Pferdestall und gingen hinüber zum Haupthaus. „Setz dich da hin, ich hole nur schnell den Verbandskasten.“ Caleb deutete auf eine schmale kleine Holzbank neben der Haustür, und ich ließ mich vorsichtig auf ihr nieder. Meine Schulter pochte unangenehm, aber zumindest schien sie nicht mehr zu bluten. Feine Streifen angetrockneten Blutes klebten auf meinem Arm und ich wandte schnell den Blick ab als ich merkte wie mir bei diesem Anblick die Übelkeit in die Kehle stieg. Verdammt, normalerweise war ich doch gar nicht so empfindlich! Caleb hatte den Kofferraum seines Autos geöffnet und wühlte eine gefühlte Ewigkeit darin herum, dann zog er endlich einen nicht mehr ganz taufrisch aussehenden schwarzen Erste-Hilfe-Koffer heraus und brachte ihn mit herüber zu Bank. Er musterte mich mit gerunzelter Stirn. „Alles okay? Du bist so blass.“ Ich schnaubte verächtlich und rieb mir über den blutigen Arm. Sollte das ein Scherz sein? Wenn ja dann war es ein ziemlich schlechter. „Natürlich ist nichts okay! Dein blöder Gaul hat versucht mich umzubringen, und jetzt werde ich wahrscheinlich an Tetanus oder sowas sterben weil du mich mit diesem prähistorischem Verbandszeug verarzten willst!“ ich deutete mit einem abfälligen Kopfnicken auf den Erste-Hilfe-Kasten in Calebs Hand, und er musste tatsächlich grinsen! Wäre die Situation nicht so heikel gewesen wäre ich fast ein bisschen stolz auf mich gewesen. Aber im Moment war mir nicht nach lachen zu Mute, eher im Gegenteil. Am liebsten hätte ich sofort einen Krankenwagen gerufen, aber selbst in meinem vor Schmerz vernebeltem Gehirn war mir klar dass das maßlos übertrieben wäre. Also hielt ich die Klappe, und ließ Caleb machen. Er brachte mich ohne ein weiteres Wort ins Haus und führt mich durch eine unscheinbare aber sehr aufgeräumte Diele in ein nettes kleines Badezimmer. Das musste das Gästebad sein, es waren zumindest keine persönlichen Gegenstände zu entdecken. Schade. Caleb bedeutete mir auf dem geschlossenen Toilettendeckel Platz zu nehmen, dann öffnete er den Verbandskasten und zog ein Stück eingeschweißten Verbandsmull heraus. „Na hast du ein Glück, das Zeug ist tatsächlich noch haltbar. Kaum zu glauben wenn man bedenkt dass das dazugehörige Auto schon über zwanzig Jahre alt ist.“ Ich schnappte entsetzt nach Luft. „Was?!“ Ohne auf meinen erschrockenen Ausruf zu reagieren begann Caleb in den dürftigen Badschränken zu wühlen und beförderte schließlich einen kleinen Stapel schweinchenrosaner Handtücher zu Tage. Er warf sie achtlos ins Waschbecken, dann ließ er Wasser dazu laufen. „Ich wechsle den Kasten regelmäßig aus, du musst dir also nicht ins Hemd machen. Und apropos Hemd, das müsstest du jetzt mal ausziehen, und danach kannst du es direkt in die Tonne werfen befürchte ich. Die Flecken bekommst du nie mehr raus.“ Ich starrte Caleb immer noch sprachlos an, dann riss ich mich mit größter Mühe zusammen und begann mich mit umständlichen Bewegungen aus meinem vollgebluteten T-Shirt zu winden. Das war gar nicht so einfach wenn man seine Schulter am besten nicht berühren wollte. Und es tat weh! Meine Laune sank mit jeder weiteren Minute die verging rapide bergab. Wo blieb Danny nur so lange? Er hätte die Situation sicher ein bisschen auflockern können. Oder er wäre beim Anblick meines Blutes einfach in Ohnmacht gefallen. Nachdem ich es endlich geschafft hatte mich von meinem Shirt zu befreien näherte Caleb sich mir mit dem ersten feuchten Handtuch, welches ich ihm sofort und vielleicht ein bisschen zu grob aus der Hand nahm. Er runzelte die Stirn, sagte aber nichts. Mit übertrieben vorsichtigen Bewegungen und zusammen gebissenen Zähnen machte ich mich daran meinen Arm und meine Brust von eingetrocknetem Blut und Pferdesabber zu reinigen. Caleb reichte mir weitere Handtücher, aber kurz bevor ich die eigentliche Bisswunde erreicht hatte stoppte er mich plötzlich. „Das reicht, den Rest mache ich. An deinen Rücken kommst du eh nicht alleine ran, und die Wunde muss desinfiziert werden. Außerdem siehst du aus als würdest du jeden Augenblick umkippen. Kannst du kein Blut sehen?“ er nahm mir das gerade benutzte Handtuch aus der Hand und wrang ein neues aus, dann begann er damit meinen Rücken vom Rest des Blutes zu befreien. Das war viel zu nah! Auch wenn es mir nicht passte, aber ich reagierte ganz eindeutig auf Caleb. Da konnte er noch so ein Arsch sein, sein Körper war der Hammer. Und sein Gesicht auch. Ganz anders als J., und deswegen vielleicht um Längen besser. Ich wischte mir mit meiner freien Hand über die Augen und versuchte diese Gedanken und Gefühle zu verdrängen. Caleb war gerade nur nett zu mir weil sein heißgeliebter Gaul mich gebissen hatte. Nichts weiter. Wahrscheinlich hatte er nicht mal Mitleid mit mir sondern befürchtete nur dass ich ihn vielleicht bei der Polizei oder bei wem auch immer dafür anzeigen könnte. War das schon Körperverletzung? Würde man Abyss einschläfern wenn ich irgendjemandem erzählen würde dass er bissig ist? Ich hoffte nicht. Das hätte das dumme Vieh dann doch nicht verdient. „Fertig. Fast so gut wie neu. Ich desinfiziere das jetzt noch und dann verbinde ich es. Und dann müsste es eigentlich gehen. Abyss hat dich wirklich nur oberflächlich erwischt, du hast Glück gehabt. Normalerweise sehen Pferdebisse viel schlimmer aus.“ Caleb warf das letzte Handtuch beiseite, dann wandte er sich dem wenig vertrauenserweckenden Verbandskasten zu und kramte darin herum. Desinfizieren klang nicht gut. Das klang nach Schmerzen. „Muss das denn desinfiziert werden? Kannst du nicht einfach ein Pflaster drauf kleben und gut? Ich dachte es ist nicht so schlimm.“ versuchte ich mein Glück, aber Caleb sah mich an als wolle ich versuchen ihn auf den Arm zu nehmen. Er schüttelte den Kopf und zog ein kleines Fläschchen mit einer durchsichtigen Flüssigkeit aus dem Kasten, dann nahm er noch zwei der etwas größeren, steril verpackten Tupfer dazu. „Das muss desinfiziert werden, das ist ein Tierbiss. Hast du in der Schule nicht aufgepasst? Sonst könnte es sich entzünden, und dann bekommst du...Tetanus.“ Jetzt nahm er mich auf den Arm. Aber da er derjenige mit der Folterflüssigkeit war verbiss ich mir einen entsprechenden unfreundlichen Kommentar und hielt tapfer die Klappe. Tatsächlich brannte die gesamte Prozedur dann doch nur halb so schlimm wie ich befürchtet hatte, und nachdem Caleb auch noch den Verband angelegt hatte war von der ganzen schlimmen Wunde fast nichts mehr zu spüren. Anscheinend hatte Abyss mich wirklich nur oberflächlich erwischt. Ich bewegte probehalber meine Schulter, und es zog nur ein bisschen. „Warte, ich hole dir ein Shirt, deins kannst du ja nun nicht mehr anziehen.“ Caleb ließ mich sitzen, und als er zurückkam und ich sah was er in Händen hielt wurde ich sofort wieder wütend. Dieser verdammte Idiot! „Das kannst du vergessen, das ist Dannys. Das nehme ich nicht zurück!“ Ich erhob mich von dem Toilettendeckel und versuchte mich an Caleb vorbei durch die Tür zu schieben, aber er hielt mich fest. In der anderen Hand das rote Shirt von Alex. „Zieh es an und nimm es mit! Das Ding ist geschmacklos!“ zischte Caleb mir zornig zu, aber ich schüttelte ihn ab. Dabei stieß ich mit meiner verletzten Schulter gegen den Türrahmen und sog hörbar die Luft ein. Das hatte nun doch weh getan. „Es ist nicht geschmacklos, es war ein Geschenk von meinem besten Kumpel! Und ich habe es jetzt Danny geschenkt, egal ob dir das gefällt oder nicht! Und jetzt lass mich durch!“ Ich stolperte hinaus in die Diele und versetzte Caleb dann einen Stoß der ihn zurück in das kleine Badezimmer taumeln ließ. Damit hatte er nicht gerechnet. Überrascht bekam er gerade noch so das Waschbecken zu fassen, sonst wäre er höchstwahrscheinlich auf dem Hintern gelandet. Schade dass das Bad so winzig war. „Du bist echt ein Wichser, weißt du das? Vielleicht sollte ich dich und deinen blöden Gaul doch anzeigen, der ist nämlich gemeingefährlich! Und gib Danny das T-Shirt zurück, sonst besorge ich ihm ein noch viel schlimmeres!“ Ich funkelte Caleb wütend an, dann stürmte ich durch die Diele nach draußen und über den Hof direkt nach Hause. Lilly stand in der Küche, sie hörte mich wutentbrannt herein stolpern und steckte den Kopf in den Flur. „Nicky! Verdammt, was ist denn mit dir passiert?“ sie sah mich erschrocken an, aber ich winkte nur ab und war bereits halb die Treppe hinauf als ich antwortete. „Bin nur von nem Baum gefallen, ist nichts weiter passiert! Ich geh schnell Duschen! Mach dir keine Sorgen!“ Tatsächlich ließ ich das Duschen ausfallen und wusch mir nur umständlich die Haare im Waschbecken, die hatten nämlich auch einiges abbekommen. Danach flocht ich mir einen Zopf und drapierte mir ein Handtuch um die Schultern um den Verband nicht unnötig nass zu machen. Es war bereits nach fünf Uhr, ich würde einfach bis zum Abendessen auf meinem Zimmer bleiben und mich ruhig verhalten. Und mir eine wasserdichte Geschichte überlegen. Auch wenn ich Caleb nur zu gerne eins ausgewischt hätte, aber nachher reagierten Lilly und mein Vater vielleicht doch über, und dann würde es für Abyss ein hässliches Ende nehmen. Wenn Hunde bissen schläferte man sie doch auch ein, oder? Ich tastete mit einer Hand nach meiner verbundenen Schulter und seufzte leise. Ich brachte mich wirklich immer wieder in Schwierigkeiten, und das obwohl ich so hoch und heilig Besserung gelobt hatte. Beim Abendessen löcherte Lilly mich natürlich trotz meiner Notlüge weiter mit Fragen, aber schließlich glaubte sie mir die Geschichte von der Baumkletterei und meinem Sturz. Es gefiel mir nicht sie so anlügen zu müssen, aber ich hielt es erst einmal für das beste. Ich musste nur daran denken Danny in meine kleine Flunkerei einzuweihen, nicht dass der sich noch verplapperte. Die nächsten Tage verliefen eher unspektakulär, ich half Danny weiter bei seinen Aufgaben auch wenn ich nun deutlich gehandicapt war, und er war froh darüber dass ich ihnen wegen des Vorfalles nicht weiter böse war. Er beteuerte mir mehrmals dass Abyss noch nie jemanden gebissen hätte, und er sich auch nicht erklären könne warum das ausgerechnet bei mir passiert war. Ich persönlich hätte da ja einen Verdacht auf Lager gehabt, aber ich wollte Danny nicht weiter verrückt machen. Dass sein Bruder und ich uns nicht besonders grüne waren war ihm natürlich trotzdem aufgefallen, aber er schob es weiterhin auf den flappsigen Spruch den ich nach meiner ersten Reitstunde hatte abgelassen und auf das Shirt welches Caleb absolut ätzend fand. Ich wollte ihm diese Illusion nicht nehmen. Von unserem letzten Streit schien Danny jedenfalls nichts zu wissen. Caleb ging mir aus dem Weg, und ich ihm. Er war entweder mit dem Auto oder mit Abyss unterwegs, auf dem Hof traf ich ihn jedenfalls so gut wie nie. Und wenn doch dann war Danny bei mir, und vor dem traute sich Caleb anscheinend nicht noch einmal ausfällig zu werden. Er ignorierte die Tatsache dass wir auch weiterhin gemeinsam abhingen mit stoischer Ruhe, aber ich wettete in ihm brodelte es vor unterdrückter Wut. Das konnte ich in den seltenen Momenten in denen wir uns doch begegneten an seinem Gesicht ablesen. Mir war das egal, zumindest solange er uns damit in Ruhe ließ. Es war ein weiterer sonniger und unglaublich heißer Sommertag, Danny hatte ich seit dem Morgen nicht mehr gesehen, also hatte ich es mir auf einem der beiden Liegestühle im Hof gemütlich gemacht und wartete auf seine Rückkehr. Ich gab es nicht gerne zu, aber wenn mein neuer bester Freund nicht verfügbar war langweilte ich mich furchtbar. Meine Schulter war inzwischen fast komplett verheilt, es gab also keinen Grund mehr faul herumzuliegen und mich zu schonen. Ich wollte gerade aufstehen und es doch nochmal im Stall oder auf der Koppel versuchen, da hörte ich ein Auto näher kommen. Caleb? Mühsam stemmte ich mich von der Liege hoch und kniff die Augen gegen die unbarmherzige Sonne zusammen. Nein, das war nicht das klapprige Röcheln seines alten Ford Escorts, das war ein gesünderer Motor. Ein Taxi. Wer kam denn mit einem Taxi hierher? Ich wurde nervös. Außer mir war niemand zu Hause, und ich erwartete keinen Besuch. Das Taxi hielt an unserer Einfahrt, dann stieg jemand auf der gegenüberliegenden Seite aus, bezahlte offensichtlich den Fahrer, und hob danach etwas aus dem Kofferraum. War das ein Bierkasten? Das konnte doch nicht... „Hey Nicky! Na, überrascht?“ Ja, das war ich allerdings. Nur nicht unbedingt auf positive Art und Weise. Ich versuchte meine Gesichtszüge unter Kontrolle zu bringen während mein ungebetener Gast über die Einfahrt auf mich zugestapft kam, den Bierkasten triumpfhierend vor sich hertragend. Dieses Grinsen, diese leicht gönnerhafte Stimme, das auf gewollte Weise unordentliche honigblonde Haar, der schlaksige aber dennoch gut gebaute Körper, verpackt in eine etwas zu weite schwarz-graue Armyhose und einem dazu passenden olivgrünen Muscleshirt. Das konnte nur einer sein. Kapitel 3: #03 -------------- J. stellte den Bierkasten zwischen die Liegestühle, dann ließ er sich auf einem von ihnen nieder und öffnete ohne Umschweife die ersten beiden Flaschen. „Hier, für dich, auf die alten Zeiten.“ er zwinkerte mir mit einem eindeutig anzüglichen Grinsen zu, dann reichte er mir die Flasche. Ich starrte ihn absolut ungläubig an, dann setzte ich das Bier an und trank. Ich wusste sowieso nichts zu erwidern. Mit vielem hätte ich gerechnet, aber nicht damit dass ausgerechnet er mich hier besuchen kam. Wir waren nicht gerade im Guten auseinander gegangen, deswegen war es umso verrückter. Aber J. Schien bester Laune zu sein. Ganz im Gegensatz zu mir. Seit ich auf dem Hof wohnte hatte ich keinen Alkohol mehr getrunken, ich wusste dass mein Vater es nicht so gerne sah wenn ich trank, aber er hatte es mir auch nie direkt verboten. Meine heftigen Abstürze hatte ich auch immer bei J. ausgenüchtert, ihm war also nie aufgefallen wie oft ich es damit übertrieben hatte. „Was ist los, freust du dich gar nicht mich zu sehen? Muss doch schrecklich langweilig hier sein, hier gibt’s doch gar nichts.“ J. lag lang inzwischen ausgestreckt auf dem Liegestuhl, mit der Bierflasche in der Hand machte er eine weit ausholende Geste über den Hof. Tatsächlich herrschte gerade tote Hose; mein Vater und Lilly waren seit dem frühen Morgen auf der Arbeit, Danny war wohl mit Leo unterwegs, und Calebs Auto stand wie so häufig auch nicht da. Wo der Vater der beiden steckte wusste ich nicht, höchstwahrscheinlich irgendwo im Haus. „Es gibt Katzen, guck, da drüben.“ ich nickte in Richtung von Miss Momo die gerade um die Ecke des Haupthauses geschlichen kam. Ihre Ohren zuckten in unsere Richtung, dann stellte sie den Schwanz auf und trippelte mit eiligen Schritten zu uns herüber. Sie war sehr anhänglich, und obwohl ich eigentlich kein großer Katzenfreund war fühlte ich mich ein bisschen geschmeichelt als sie um meine Beine strich und ihr tiefschwarzes Köpfchen schnurrend an meinem Knie rieb. J. sah mich an als wäre ich völlig bekloppt. „Bist du jetzt unter die Muschistreichler gegangen oder was? Die frische Landluft tut dir anscheinend gar nicht gut. Das Vieh hat doch sicher sonst was für Krankheiten.“ er verzog angewidert das Gesicht als ich mich zu Miss Momo hinunter beugte und sie schließlich neben mich auf den Liegestuhl hob. Die Katze war selig. „Miss Momo ist nicht krank, also hör auf sie zu beleidigen. Du bist echt ein Arsch.“ ich nahm einen großen Schluck von meinem Bier und kraulte die Katze provozierend ausgiebig hinter den Ohren. J. schnaubte abfällig, seine Flasche war schon fast zur Hälfte geleert. Keine Ahnung was ich mal an ihm gefunden hatte. Wir schwiegen uns eine Weile feindselig an, nur Miss Momos zufriedenes Schnurren durchbrach die drückende Stille. Ich wusste einfach nicht was ich von J.´s plötzlichem Auftauchen halten sollte. Unsere Beziehung war beendet, wir hatten es nicht einmal ein komplettes Jahr mit einander ausgehalten, und das lag nicht nur daran dass J. ein ungehobeltes und selbstverliebtes Arschloch war. Unsere gemeinsame Zeit war geprägt gewesen von Alkohol, Partys, Sex, Streit und Drogen. So etwas konnte nicht gut gehen, und schon gar nicht zu einem Happy end führen. Das musste doch selbst J. Klar sein. Also, worauf machte er sich hier Hoffnungen? Doch sicher nicht auf eine zweite Chance, oder? J. öffnete sich nach dem ersten noch ein zweites Bier, dann reichte er mir ebenfalls noch eines. Ich zog fragend die Augenbrauen hoch. „Willst du mich betrunken machen?“ „Mit zwei Bier? Wohl kaum. Oder hast du noch was anderes da?“ Ich überlegte einen Moment, dann stellte ich die angebrochene Bierflasche neben meine Füße ins Gras und verschwand mit schnellen Schritten im Haus. Ich war wirklich eine schwache Seele. Es war verrückt und dumm, aber wann würde ich so schnell noch einmal die Gelegenheit dazu bekommen mich ein bisschen zu betrinken? Danny war zu jung dafür, und Caleb...der war noch ein größeres Arschloch als J., und zusätzlich auch noch extrem verklemmt. Die Flasche Whiskey befand sich gut versteckt und eingewickelt in meinen Winterschal in der hintersten Ecke meines Kleiderschrankes; sie war ein Abschiedsgeschenk von Alex gewesen, und bis jetzt hatte ich noch keinen Grund dazu gehabt sie anzubrechen. In der Küche schnappte ich mir noch zwei große Gläser und eine eiskalte Cola aus dem Kühlschrank, dann trug ich alles nach draußen zu den Liegestühlen. Miss Momo hatte sich inzwischen zu einer flauschigen schwarzen Kugel zusammengerollt und schlief zufrieden in der Sonne, und jetzt war es J. der sie verstohlen zwischen den Ohren kraulte. Ich musste unwillkürlich grinsen, dann schlich ich mich von hinten an ihn heran und hielt ihm kommentarlos die Whiskeyflasche vor das Gesicht. Gegen frühen Nachmittag hatten wir die komplette Cola, zwei Drittel des Whiskeys, und jeder noch zwei weitere Flasche Bier geleert. Mein Kopf war angenehm schwer, ich lag lang ausgestreckt auf dem Liegestuhl und hatte die Augen gegen die Sonne geschlossen. Miss Momo war irgendwann zu J. hinübergewechselt und schlief leise schnurrend auf seinem Bauch während er sie gedankenverloren mit der freien Hand streichelte. Alkohol half offensichtlich auch gegen Katzenhass. Und gegen jegliche gute Vorsätze. Ich gähnte, dann setzte ich mich langsam auf und beugte mich zu J. Hinüber. Der öffnete verschlafen die Augen als er meinen Schatten auf seinem Gesicht bemerkte und grinste breit. „Na, besoffen genug?“ Ich verdrehte genervt die Augen, dann lehnte ich mich noch weiter nach unten und küsste J. auf die vom Bier und Schweiß feuchten Lippen. Keine Ahnung ob wie noch weiter gegangen wären, aber in diesem Moment rumpelte Calebs alter dunkelgrüner Ford Escort auf den Hof. Er fuhr an uns vorbei und kam schräg vor dem Haupthaus zum Stehen. Wieviel hatte er gesehen? Oh verdammt nochmal. „Wem gehört denn die hässliche Karre?“ J. richtete sich halb auf die Ellenbogen auf und schirmte die Augen gegen die Sonne ab, Miss Momo schnurrte lauter, ließ sich ansonsten aber nicht weiter stören. „Die gehört Caleb, er wohnt da drüben, mit seinem Vater und seinem kleinen Bruder.“ gab ich etwas widerwillig Auskunft. Mir war schwindlig, und ich bedauerte dass wir die Cola bereit ausgetrunken hatten. Ich hatte einen widerlichen Geschmack im Mund. Und auf den Lippen. J. schob Miss Momo nun doch von sich herunter und die Katze sprang neben der Bierkiste ins Gras. Sie streckte sich ausgiebig, dann trottete sie davon. „Ist er geil?“ J. musterte den verbeulten Ford mit zusammen gekniffenen Augen, und ich stöhnte genervt. Nicht das schon wieder. Natürlich war J. immer noch eifersüchtig, selbst jetzt, nachdem wir nicht mehr zusammen waren. Was übrigens auch einer der Gründe war warum es mit uns beiden nicht länger geklappt hatte. „Keine Ahnung, vielleicht. Er ist auf jeden Fall ein noch größeres Arschloch als du, reicht das?“ knurrte ich und nahm mir eine weitere Flasche Bier aus dem Kasten. Ich wollte sie nicht trinken, nur festhalten. Caleb war inzwischen ausgestiegen und sah zu uns herüber, und natürlich konnte J. es nicht einfach bei ein paar misstrauischen Blicken belassen. Er hob grüßend die Hand und strahlte so freundlich wie falsch übers ganze Gesicht als er einmal quer über den Hof brüllte. „Halloooooo, grüß dich! Bock auf ein Bier?“ Ich trat J. wütend gegen das Schienbein, aber der ignorierte mich völlig und winkte nur noch eifriger. Hoffentlich würde Caleb diese dreiste Einladung einfach ignorieren und ins Haus gehen, aber natürlich tat er mir diesen Gefallen nicht. Mit langsamen Schritten kam er über den von der Sonne glühend heißen Schotter und das vertrocknete Gras zu uns herüber, einen seltsamen undeutbaren Ausdruck im Gesicht. Nicht freundlich, aber auch nicht wütend. Ich hielt innerlich die Luft an als er endlich vor unseren Liegestühlen zum Stehen kam und umklammerte meine immer noch verschlossene Bierflasche. J. hatte inzwischen eine weitere geköpft und streckte sie Caleb hin. „Hier, Prost! Ist leider nicht mehr kalt, aber wir sitzen auch schon eine Weile.“ er zwinkerte meinem neuen Nachbarn zu, und zu meiner Überraschung nahm dieser die Flasche tatsächlich entgegen. „Schon okay, danke. Und du bist…?“ Caleb musterte J. genau, und der schlug sich gespielt bestürzt gegen die Stirn. „Oh natürlich, entschuldige! Ich bin J., freut mich!“ Das war gelogen, aber ich verbiss mir einen entsprechenden Kommentar. Caleb stellte sich nun ebenfalls vor, dann wanderte sein Blick über die verstreut herumliegenden Bierflaschen und den fast zur Gänze geleerten Whiskey. Mir war das peinlich, aber J. zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Darf Nick so ein Zeug überhaupt schon trinken?“ Caleb deutete mit seinem unberührten Bier in Richtung der Whiskeyflasche, und ich lief knallrot an. Was sollte das denn jetzt? Seit wann interessierte dieser Kerl sich für meine Gesundheit? J. brach in schallendes Gelächter aus. „Du bist witzig, echt. Glaub mir, Nicky hat schon viel schlimmere Sachen getrunken, also keine Sorge. Und außerdem hat er den Whiskey mit raus gebracht, nicht ich. Von mir ist nur das Bier.“ Er wischte sich die Lachtränen aus den Augen, und ich wurde auf meinem Liegestuhl immer kleiner. Caleb war eindeutig gegen die Sauferei, er betrachtete J. und mich als wären wir ekelhafte Insekten, aber er hielt den Mund. Seine Abneigung lag trotzdem fast greifbar in der Luft. Ich überlegte gerade ob ich mich vielleicht verteidigen sollte, da bog zum zweiten Mal an diesem Nachmittag ein Auto in die Einfahrt ein. Diesmal war es Lillys kleiner Nissan, und bei diesem Anblick wurde mir gleich noch etwas elender zu Mute. Sie und mein Vater stiegen aus, aber noch bevor sie  überhaupt auf die Idee kommen konnten zu uns herüber zu kommen setzte J. sich bereits in Bewegung. Er grinste breit und zwinkerte mir zu. „Ich geh mal eben deinen Paps und seine neue Schnecke begrüßen, die freuen sich bestimmt mich zu sehen .“ Und noch bevor ich etwas erwidern konnte stapfte er bereits davon.   Ich warf die volle Bierflasche mit einem wütenden Knurren ins Gras, da hörte ich es plötzlich neben mir plätschern. Den Blick starr auf den davon schlendernden J. gerichtet hielt Caleb seine eigene Flasche in der Hand, und leerte sie ungerührt neben sich auf den Boden. Das Statement war eindeutig. „Die hättest du auch mir geben können. Ganz schöne Verschwendung.“ wies ich ihn schlecht gelaunt zurecht. Caleb verzog keine Miene, aber seine Stimme war eisig. „Ich glaube du hast für heute genug getrunken.“ Er ließ die Flasche zu Boden fallen und kickte sie in Richtung des inzwischen fast leeren Kastens. „Und räumt den Scheiß hier weg, ich will nicht dass Danny das sieht.“   Und damit ließ mich auch der zweite Kerl einfach so sitzen.   J. blieb noch bis zum Abendessen, dann brachte mein Vater ihn zum Zug. Die Stimmung war angespannt gewesen, was wohl einerseits an J.s fehlendem Respekt gegenüber den anwesenden Erwachsenen als auch an meiner sichtlichen Beschwippstheit gelegen hatte. Natürlich war meinem Vater unser Saufgelage nicht entgangen, aber er verlor kein Wort darüber. Nur seine zur Schau getragene Miene, die sprach Bände. Während er J. zum Bahnhof fuhr schnappte ich mir eine große stabile Mülltüte und begann die herumliegenden Flaschen im Hof einzusammeln. Die Sonne schien immer noch vom Himmel, aber meine Glieder waren bereits schwer vor Müdigkeit. In meinem Kopf schien ein großer Klumpen Watte zu stecken, und mein Magen fühlte sich unangenehm flau an. Ich hatte schon ewig nicht mehr so viel getrunken. Miss Momo musste im Laufe des Nachmittags wieder zurück gekommen sein, jetzt lag sie zusammengerollt am Fußende von einem der Liegestühle und beobachtete meine Aufräumaktion aus halb geöffneten Augen. Ich setzte mich neben sie und streichelte ihr durch das knisternde schwarze Fell. „Weißt du Momolein, wenn Caleb und mein Vater und Lilly nicht aufgetaucht wären, dann wäre ich vielleicht wieder schwach geworden. Was absolut das bescheuertste gewesen wäre was ich hätte tun können.“ „Das stimmt allerdings, zumal er dich praktisch abgefüllt hat.“ Ich fuhr wie von der Tarantel gestochen herum und stieß vor Schreck den Sack mit dem bereits eingesammelten Leergut um. Bierflaschen kullerten vor meine Füße, und ich knurrte frustriert. „Musste das sein? Jetzt kann ich wieder von vorne anfangen!“ ich gab dem nun fast wieder leeren Sack einen wütenden Tritt, und Miss Momo sprang erschrocken von der Gartenliege. Das tat mir Leid, und ich bückte mich um ihr entschuldigend über den Rücken zu streicheln. „J. hat mich nicht abgefüllt, ich habe freiwillig mit ihm getrunken.“ murrte ich trotzig; Caleb stand schweigend neben der Liege, dann bückte er sich ebenfalls und hob eine bestimmte Flasche auf. Den Whiskey. „Dieses widerliche Zeug? Wie alt ist der Typ überhaupt? Zwanzig? Du solltest echt nicht…“ „Was? Mich mit ihm abgeben?“ ich funkelte Caleb herausfordernd an, durch das Herumgekrieche auf dem Boden war mir nun zu allem Überfluss auch noch übel, und da war es nicht gerade zuträglich für meine Laune wenn er mir auch noch Vorhaltungen machen wollte. Was bildete der sich überhaupt ein? Ich war schließlich nicht Danny! „J. ist zweiundzwanzig, und er ist mein Ex! Glaubst du vielleicht ich hätte mit ihm Schluss gemacht weil er mir so gut getan hat? Ich bin zwar blond, aber nicht blöd. Und jetzt hau ab und lass mich in Ruhe, ich will endlich fertig werden.“ Ich drehte Caleb demonstrativ den Rücken zu, und nach einem kurzen Zögern  zog er tatsächlich kommentarlos Leine. Meinen Whiskey nahm er mit, aber ich hatte keine Lust mich jetzt auch noch deswegen zu streiten. Nachdem ich alle Flaschen weggeräumt hatte stellte ich den vollen Sack neben das Garagentor, dann wusch ich mir die Hände kurz in der Regentonne und ging ins Haus. Ich war totmüde, der ganze Tag ungeschützt in der heißen Sommersonne und die ungewohnte Menge an Alkohol hatten mich schachmatt gesetzt. Und dann war da auch noch der Kuss gewesen... Nachdem Caleb und meine Familie aufgetaucht waren hatten J. Und ich keine Möglichkeit mehr gehabt unter vier Augen zu reden, und ehrlich gesagt war ich da auch ganz froh drüber. Der Kuss war eine Kurzschlussreaktion gewesen, ausgelöst durch meine dank des Bieres herabgesetzte Hemmschwelle und...tja, irgendwas musste ich an J. Ja mal gefunden haben, immerhin waren wir zehn Monate zusammen gewesen. Mit Höhen und Tiefen, aber zusammen. Und da war deutlich mehr gelaufen als nur ein Kuss. Ich wünschte Lilly und meinem Vater eine Gute Nacht, ignorierte ihre teils besorgten (Lilly), teils verärgerten (mein Vater) Blicke, und kroch nach einer dringend nötigen Dusche in mein wunderbares, anheimelnd weiches Bett. Allein. Mit von der Sonne glühendem Kopf und einer drückenden Übelkeit im Magen. Ich würde am nächsten Morgen einen Kater haben, der war mir sicher. Kapitel 4: #04 -------------- Tatsächlich ließen Lilly und mein Vater mich bis zum Mittag in Ruhe, ich schwitzte mich in meiner stickigen Dachkammer fast zu Tode, dann nahm ich zwei Aspirin mit einem Glas Wasser und setzte mich blass wie der Tod an den Esstisch. Ich bekam keinen Bissen runter. Lilly versuchte mich aufzumuntern, sie bot sich sogar an mir extra eine leicht verträgliche Suppe zu kochen, aber ich lehnte dankend ab. Mein Vater durchbohrte mich mit tadelnden Blicken, und ich kam mir ziemlich klein und jämmerlich vor. Ich hatte mich besoffen und wieder mit meinem Ex herumgemacht, es war ein Wunder dass ich nicht auch noch Drogen genommen und mich von ihm im Pferdestall hatte...okay, genug davon, mir wurde schon wieder schlecht. Der Sack mit den leeren Bierflaschen war verschwunden, aber die beiden Gartenliegen standen noch an Ort und Stelle. Ich ließ mich auf einer davon nieder und vergrub das Gesicht in den Händen. Heute trug ich nur eine kurze zerknitterte schwarze Shorts und ein ärmelloses dunkelblaues Shirt, wenn man genau hinsah konnte man sogar noch die Blutergüsse erahnen die Abyss mir gleichzeitig mit den Bissspuren verpasst hatte. Ich war wirklich eine Jammergestalt. Aber immerhin begannen die Aspirin endlich zu wirken. Keine Ahnung wie lange ich so trübselig vor mich hinstarrte, plötzlich schlug Leo vor seiner Hundehütte an, und als ich den Kopf hob sah ich Danny über den Hof auf mich zu eilen. Er strahlte, und war bis auf eine knallig grüne Badehose komplett nackt. „Nicky! Hey! Wir wollen zum See reiten, ein bisschen schwimmen gehen! Kommst du mit? Bitte bitte! Das wird super toll! Caleb holt schon die Pferde, du MUSST einfach mitkommen!“ So viel gute Laune, und das bei 33 Grad im Schatten. Ich stöhnte leise, dann fuhr ich mir durch mein verschwitztes ungekämmtes Haar und zwang ein einigermaßen fröhliches Lächeln auf meine Lippen. Nichts würde ich jetzt lieber tun als mich auf ein Pferd zu schwingen und mit meinem neuesten Erzfeind in einem brackigen alten Tümpel schwimmen gehen. Das waren doch tolle Aussichten. Nicht. „Danny, sorry, aber mir geht’s heut nicht so gut...vielleicht ein Andermal?“ versuchte ich mein Glück, und spürte sofort einen Stich schlechten Gewissens als ich Dannys enttäuschte Miene sah. Der kleine tat mir Leid, aber mir war wirklich nicht nach Schwimmen zu Mute. Vielleicht wäre ich mit meiner Ausrede sogar durchgekommen, aber da trat Caleb auf den Plan. Natürlich hatte er meine Worte gehört, das sagte mir schon das gehässige kleine Lächeln auf seinem Gesicht. Was, wollte er sich nun auch noch an meinem Leiden ergötzen? „Lass ihn, Danny. Nick hat gestern wohl ein bisschen zu heftig gefeiert. Wir nehmen ihn einfach ein andermal mit, dann wenn er nicht so...hinüber ist.“ Calebs Stimme troff vor Hohn, und ich funkelte ihn wütend an. War ja klar dass er mir nach der Sache gestern noch eins reinwürgen würde. Aber nun war mein Kampfgeist geweckt. Als ob ich vor diesem selbstherrlichen Kerl den verkaterten Suffi geben würde. Da hatte er sich aber geschnitten. „Alles gut Danny, ich denke ich komme doch mit. Ich hole nur schnell meine Badehose, dann kann es losgehen.“ ich warf Caleb einen triumphierenden Blick zu, dann erhob ich mich von der Gartenliege und wäre fast der Länge lang im Gras gelandet. Okay, vielleicht war ich doch noch nicht so fit wie ich dachte. Mein Kopf schwirrte, und Caleb bekam mich gerade noch so am Arm zu fassen. „Lass mich los, mir geht es gut!“ knurrte ich ihn unangebracht unhöflich an, dann riss ich mich los und stapfte in Richtung Haus davon. Ich schlüpfte schnell in meine Badehose, zog mir ein ausgewaschenes graues T-Shirt über den Kopf, und schnappte mir im Bad mein größtes Handtuch sowie eine weiteres Aspirin. Das Handtuch stopfte ich zusammen mit einer Flasche Wasser in einen von Lillys Stoffbeutel, und schon war ich bereit zum Aufbruch. Mir war zwar immer noch ein bisschen übel, aber das würde sich schon geben. Spätestens wenn ich in den Sattel klettern musste, hoffte ich. Als ich zurück auf den Hof trat hatten Caleb und Danny die Pferde bereits vor dem Stall angebunden, Teddy nickte vorfreudig mit dem Kopf und ließ sich kaum aufzäumen. Er sprühte praktisch vor Tatendrang. „Kann ich was helfen?“ fragte ich höflich, aber wenig motiviert. Danny, der den unruhigen Teddy endlich am Schopf gepackt bekam grinste mich breit an. „Nee, ich hab´s gleich. Guck, der freut sich weil du mitkommst.“ Wie zur Bekräftigung trampelte das wuschelige Pony mit den Hufen und wäre Danny fast auf die nackten Zehen getreten. „Wo sind denn die Sättel?“ ich sah mich suchend um, und Caleb warf mir einen schadenfrohen Blick zu. Der Idiot. „Wir reiten ohne, es ist sonst zu heiß. Oder traust du dir das etwa nicht zu?“ Natürlich tat ich das nicht, aber das würde ich ums Verrecken nicht zugeben. Ich vertraute einfach darauf dass Teddy mich genauso sympathisch fand wie ich ihn, und er mich deswegen hoffentlich nicht sofort abwarf. Und das die dritte Aspirin endlich wirkte. „Ich kann dir einen Sattel holen wenn du möchtest.“ bot Danny sofort an als er mein Zögern bemerkte, aber ich winkte betont lässig ab. Diese Blöße würde ich mir vor Caleb garantiert nicht geben. Stattdessen tätschelte ich Teddy kurz den Rücken (der sich übrigens auf meiner Augenhöhe befand, keine Ahnung wie ich ohne Steigbügel da rauf kommen sollte) und schüttelte noch einmal bekräftigend den Kopf. „Nee, lass mal, ich kann auch ohne. Teddy ist ja ein netter. Der wird mich schon nicht abwerfen.“ Danny musterte mich noch einmal zweifelnd, dann kehrte das breites Grinsen auf sein Gesicht zurück und er zog dem gefleckten Pony die Zügel über den Hals. „Teddy hat noch nie jemanden abgeworfen, er ist unser bravster, nicht wahr?“ er rubbelte dem Pferd einmal kräftig durchs Fell, dann überließ Danny mir das Feld und ging hinüber zu seinem eigenen. Das war bereits aufgezäumt, genau wie Calebs Hengst. Ohne zu zögern packte Danny mit beiden Händen fest in die Mähne seiner schwarzbraunen Stute und schwang sich problemlos und äußerst elegant auf ihren Rücken. Ich war verloren. Caleb sah mich herausfordernd an, am liebsten hätte ich ihm dieses selbstgefällige Grinsen vom Gesicht gewischt. Aber schließlich erbarmte er sich und kam zu mir herüber. „Komm ich helf dir, oder willst du lieber eine Leiter haben?“ sein Grinsen wurde noch eine Spur gehässiger, und ich beließ es bei einem unbestimmten Schnauben da eine verbale Antwort sicher um einigen unfreundlicher ausgefallen wäre. Mit Calebs Hilfe und seinen zu einem improvisierten Steigbügel verschränkten Händen schaffte ich es schließlich auch ohne Sattel auf Teddys Rücken, und dann konnten wir endlich los. Ich saß erst zum zweiten Mal in meinem Leben auf einem Pferd, aber Teddy machte seinem Namen zum Glück alle Ehre. Er zockelte brav und ohne zu Mucken hinter Calebs und Dannys Pferden her; ich musste praktisch nur die Zügel festhalten und mich darauf konzentrieren nicht herunter zu fallen. Und nicht zu kotzen.   Wir folgten der Zufahrtstraße unserer Häuser hinunter bis zur Hauptstraße, und von dort ging es nach wenigen Metern hinein in den direkt angrenzenden Wald. Ich war dankbar für den Schatten der dichten Laubbäume, die Sonne brannte mit gefühlt 300 Grad auf mich herab, und ich konnte den Sonnenbrand auf Schultern und Nacken bereits spüren. In meinem alten Leben hätte ich jetzt unter einem Sonnenschirm im Freibad gelegen und ein kühles Bier getrunken (oder mich in Ruhe ausgenüchtert), aber nein, stattdessen hockte ich auf dem Rücken eines zugegebenermaßen erfreulich braven Ponys und folgte einem Kerl der mich kein bisschen leiden konnte in die Tiefen eines mückenverseuchten Waldes zu einem höchstwahrscheinlich pisswarmen und vor Algen und anderen unangenehmen Dingen wimmelnden Tümpel. Aber ich tat es Danny zu Liebe; und weil ich kein Weichei sein wollte. Nun wirkte endlich auch das letzte Aspirin, ich spürte nur noch einen fast schon angenehmen Schwindel im Kopf, die Übelkeit war fast komplett verschwunden. Danny drehte sich immer wieder mit strahlenden Augen zu mir um und unterhielt mich mit lustigen Anekdoten über Teddy und seiner eigenen Stute Kalypso. Er schien wirklich froh zu sein dass ich mit von der Partie war; was vielleicht auch kein Wunder war, immerhin wäre die Alternative ein Ausflug ganz allein mit seinem griesgrämigen Bruder gewesen. Der starrte den gesamten Weg stur geradeaus und schenkte uns keinerlei Beachtung.   Der Tümpel entpuppte sich schließlich als erstaunlich klarer und weitläufiger See inmitten einer mit Moos und anderen kurzen Sträuchern bewachsenen Lichtung. Das grelle Sonnenlicht wurde durch die dicht belaubten Bäume zu einem angenehmen Zwielicht gedämpft, nur in der Mitte des Teiches glitzerte es und warf hübsche Spiegelungen auf die flachen vom sanften Wind ausgelösten Wellen. Es war wirklich traumhaft. Caleb und Danny brachten ihre Pferde am Rande der Lichtung zum Stehen und schwangen sich von ihren Rücken, nur Teddy´s Geduld schien beim Anblick des erfrischenden Nasses endgültig aufgebraucht zu sein. Ohne auf mein Protestgeschrei zu achten galoppierte mein bis eben noch so artiges Pony in die lockenden Fluten und ich hatte alle Hände voll zu tun um nicht von seinem Rücken zu fallen. Schließlich blieb es doch noch stehen, und ich schnappte zitternd nach Luft. „Nick! Alles in Ordnung?“ Danny stand erschrocken am Ufer, sein Gesicht zeigte ehrliche Bestürzung, aber ich hatte mich inzwischen wieder einigermaßen gefangen. Das Wasser reichte Teddy nur bis knapp über die Knie; er scharrte fröhlich im matschigen Schlick und steckte prustend die Nüstern in die Wellen. Immerhin, ich saß noch oben. Punkt für mich. Oder? „Alles okay! Kannst du mein Shirt und meinen Beutel fangen? Dann komm ich gar nicht erst raus.“ Ich wollte jetzt um alles in der Welt Haltung bewahren, auch wenn mir der Schreck immer noch in den Knochen saß. Schnell zog ich mir mein T-Shirt und den Beutel über den Kopf und warf beides Richtung Ufer. Danny war mir ein Stück entgegen gekommen, er fing die Sachen geschickt aus der Luft  und brachte sie ins Trockene. Ich rutschte langsam von Teddys Rücken und ließ mich neben ihm ins Wasser gleiten, es war kalt, aber wunderbar erfrischend. Gänsehaut bildete sich auf meinem Körper und ich rieb mir kurz über die Arme. Teddy schien meine Anwesenheit als Aufforderung für ein gemeinsames Spiel zu sehen, er stupste mir mit seinen feuchtkalten Nüstern gegen die Schulter, und ich tat ihm den Gefallen. Ich war dem übermütigen Pony längst nicht mehr böse. Während wir uns gegenseitig mit Wasser bespritzten und laut prustend um einander herumsprangen führte Danny die beiden anderen Pferde ins flache Uferwasser, und als ich einen kurzen Blick in Calebs Richtung warf musste ich zu meiner Verblüffung feststellen dass er eine erstaunlich professionell aussehende Kamera in Händen hielt. Ich hatte nicht bemerkt dass er Fotos von uns machte. Nach zehn Minuten hatte Teddy endlich genug von der Toberei und gesellte sich zu seinen beiden Artgenossen die friedlich bis zu den Fesseln im See standen und mit den Nüstern im Wasser wühlten. Ich war inzwischen ordentlich durchgefroren und außer Atem, aber ich schwamm noch ein paar Runden mit Danny bevor ich mich schließlich zu meinem Handtuch schleppte. Es lag bereits sorgfältig ausgebreitet neben denen von Caleb und seinem kleinen Bruder, mein Shirt und mein Beutel waren ebenfalls da. Ich zog die Wasserflasche heraus und nahm einen kräftigen Schluck, dann wischte ich mir das tropfnasse Haar aus der Stirn. Das kalte Wasser hatte auch noch den Rest meines Katers vertrieben, ich fühlte mich fast wie neu. Ich wandte mich zu Caleb um, der lag bäuchlings und völlig trocken auf seinem Handtuch und betrachtete die geschossenen Fotos. „Hast du Bilder von mir gemacht?“ ich drehte die Flasche wieder zu und warf sie achtlos neben mich ins Gras, und Caleb nickte ohne mich dabei anzusehen. „Ja, von dir und Teddy. Willst du sie sehen?“ Oh, plötzlich so freundlich? Ich rutschte zu ihm hinüber und legte mich ebenfalls bäuchlings auf Dannys Handtuch, unsere Schultern berührten sich, aber Caleb machte keine Anstalten von mir abzurücken. Das war seltsam, aber ich befahl mir nicht weiter darüber nachzudenken. Ich nahm Caleb schnell die Kamera aus der Hand und klickte mich durch die Aufnahmen. Sie waren verblüffend gut. Die meisten zeigten Teddy und mich im Wasser, sie strotzten geradezu vor Kraft und Lebensfreude. Glitzernde Wassertropfen hüllten uns ein wie feiner Nebel, die Sonne malte geheimnisvolle Schatten auf unsere Körper. Es gab kein einziges was mir nicht gefiel. „Die sind richtig gut.“ Ich gab Caleb die Kamera zurück und sah ihn ehrlich bewundernd an, aber der zuckte nur gleichgültig mit den Schultern und legte sie einfach beiseite. „Danke, liegt am Motiv.“ Ich wollte gerade nachfragen was genau er damit meinte als Danny plötzlich hinter uns auftauchte und sein tropfnasses Haar über uns ausschüttelte. Laut schimpfend fuhren Caleb und ich in die Höhe und jagten den vor Lachen kreischenden Danny wieder zurück in den See, und dann lieferten wir uns zu dritt eine wilde und erbarmungslose Wasserschlacht.   Es war als hätte Caleb für diesen einen Nachmittag vergessen dass er mich eigentlich nicht ausstehend konnte; seine grummelige Laune löste sich praktisch in Luft auf während wir gemeinsam durchs Wasser tobten, er verbündete sich sogar mit mir gegen Danny dem wir seine hinterhältige Attacke ordentlich heimzahlten. Und als dieser mich mit einer Hand voller Schlamm einseifen wollte packte Caleb mich kurzerhand um die Hüfte und hielt mich fest; sein vom kalten Wasser eisiger Körper so nah an meinem war etwas das ich trotz der ausgelassenen Stimmung nur schwer ertragen konnte. Zum Glück ließ er mich direkt wieder los nachdem Danny seine fiese Tat vollendet hatte, und ich tauchte so schnell ich konnte von beiden weg in Sicherheit.   Wir blieben bis zum späten Nachmittag, erst als die Mücken immer aufdringlicher wurden und die Sonne langsam über dem See verschwand packten wir unsere Sachen zusammen und machten uns an den Heimweg. Diesmal half Caleb mir ohne einen hämischen Kommentar auf Teddys Rücken, wahrscheinlich war er einfach zu ko um wieder auf mir herum zu hacken. Den Rückweg verbrachte ich deutlich angespannter als den Hinweg, immerhin hatte mein Knuddelteddy mir ziemlich eindrucksvoll gezeigt dass ich ihm Falle eines Falles nichts entgegen zu setzen hatte. Aber er blieb brav, und als wir schließlich den Hof erreichten war er mindestens genauso kaputt wie wir anderen. Unter Dannys Anweisungen nahm ich Teddy die Zügel ab und legte sie ordentlich zusammen, dann spritzten wir die nach See und Algen riechenden Pferde grob mit einem Gartenschlauch ab und brachten sie für den Rest des Tages auf die Koppel. Ich hatte Sonnenbrand auf Schultern und Rücken, meine Oberschenkel schmerzten, und mein Magen hing mir praktisch in den Kniekehlen. Bis auf Wasser und ein paar Kekse hatte ich seit dem Morgen nichts mehr gegessen, und ich hoffte dass Lilly und mein Vater bereits fürs Abendessen eingekauft hatten. Ansonsten würde ich höchstwahrscheinlich elendig verhungern. Caleb war irgendwann grußlos Richtung Haupthaus verschwunden, und Danny versuchte mich noch für eine Abendrunde mit Leo zu überreden. Aber ich war viel zu fertig. Ich wollte nur noch unter die Dusche und dann aufs Sofa, und erst wieder aufstehen wenn es Abendessen gab. Der Muskelkater war praktisch vorprogrammiert. Danny überwand seine Enttäuschung darüber dass er allein würde gehen müssen schnell, er winkte mir bereits wieder fröhlich zu als er mit dem um ihn herum springenden Leo den Hof verließ. Ich duschte, zog mir frische Sachen an, und setzte mich dann im Wohnzimmer vor den Fernseher bis Lilly und mein Vater endlich eingetrudelt kamen. Nach unserem Ausflug zum See schien offensichtlich so etwas wie ein Waffenstillstand zu herrschen; Caleb ignorierte mich zwar zum größten Teil immer noch, aber er grüßte ab und an, und er verkniff sich jeden verbalen Seitenhieb oder herablassenden Kommentar. Er gab mir einmal sogar eine Reitstunde nachdem Danny spontan von einem Schulfreund zu einer Radtour abgeholt worden war. Und auch ich riss mich am Riemen. Ich trank weder in aller Öffentlichkeit Alkohol (ich hätte eh nichts mehr gehabt nachdem Caleb meinen Whiskey konfisziert hatte) noch schenkte ich Danny irgendwelche geschmacklosen Anziehsachen. Oder machte mit einem abgeranzten Punk auf der Gartenliege herum. Mein Vater konnte wirklich stolz auf mich sein. Deswegen freute ich mich auch wirklich als Danny mich auf einen Ausflug in die nächstgrößere Stadt einlud. Er wollte ins Kino, zu irgend so einem neuen Actionstreifen, und Caleb würde uns fahren. Ich war eigentlich nicht scharf auf Kino, und schon gar nicht auf Actionfilme, aber ein bisschen Abwechslung würde mir sicher gut tun. Die Sommerferien waren noch lang, und bis jetzt hatte ich nichts weiter außer kilometerweise Autobahnen und den Hof mit dem angrenzenden Wald und dem See kennen gelernt. Mir war langweilig. Und ich war neugierig wie wohl das Stadtleben hier aussah. Danny holte mich gegen sechs Uhr ab, er trug wie immer Alex´ehemaliges Punkshirt und weite schwarze Cargoshorts, und ausnahmsweise sogar einmal Schuhe. Ich verabschiedete mich von Lilly und meinem Vater, versprach anständig zu bleiben, und stieg danach zu Caleb ins Auto. Dafür dass der Ford Escort schon so einige Kilometer auf dem Buckel hatte war er erstaunlich gut gepflegt, ich konnte kaum einen Fleck oder andere Gebrauchsspuren erkennen. Natürlich stand die Ausstattung in keinem Verhältnis zu der im Volvo meines Vaters, aber sie war okay. Es gab sogar eine Klimaanlage. Ich lehnte mich auf dem Beifahrersitz zurück und blickte aus dem Fenster. Wir verbrachten die gesamte Fahrt schweigend, zumindest Caleb und ich. Danny plapperte ununterbrochen vom Rücksitz aus, aber durch den lauten Motor des Escorts verstand ich eh nur die Hälfte. Als wir schließlich vor dem Kino parkten war ich fast eingenickt. Die Sonne und die ungewohnte körperliche Arbeit auf dem Hof machte mich erstaunlich müde. Die Stadt durfte sich übrigens kaum als so eine schimpfen; es gab das von Lilly bereits erwähnte Einkaufszentrum, ein paar größere Firmengebäude, eine Hochhaussiedlung (die deutlich netter und ungefährlicher aussah als die in der ich gewohnt hatte), und noch ein paar kleinere, bereits geschlossene Geschäfte. Es war nett, aber ziemlich unspektakulär. Ich gähnte, dann rieb ich mir mit beiden Fäusten über die müden Augen und stieg schließlich aus. Danny hüpfte bereits in Richtung Kinopforte, und ich wartete auf Caleb der seinen Rucksack aus dem Kofferraum holte und danach das Auto abschloss. „Na, auch so aufgeregt?“ er nickte in Richtung des davoneilenden Dannys, und ich schüttelte grinsend den Kopf. „Nee, ich bin nicht so der Actionfilm-Fan.“ Caleb schulterte seinen Rucksack und wühlte in seiner Hosentasche nach Kleingeld. „Was guckst du denn stattdessen?“ „Pornos.“ Autsch. Falsche Antwort. Caleb wandte mir ruckartig den Kopf zu, aber zu meiner Überraschung kam kein weiterer abfälliger Kommentar. Stattdessen grinste er. „Du kannst es nicht lassen, oder? Was läuft nur falsch bei dir?“ er seufzte gespielt ergeben auf, und ich schob trotzig die Unterlippe vor. „Gar nichts, was gibst du mir auch immer solche Vorlagen? Du bist selber Schuld.“ knurrte ich, und Caleb schüttelte den Kopf. „Das war keine Vorlage, du bist einfach nur unglaublich verdorben. Hoffentlich ist das nicht ansteckend.“ Er warf mir einen spöttischen Blick zu, aber zum ersten Mal schwang in seinen Worten kein versteckter Vorwurf mit. Das war so ungewohnt dass ich einen Moment nichts zu erwidern wusste. Aber zum Glück nahm Danny mir die Entscheidung über eine Antwort ab. „Kommt ihr jetzt? Der Film fängt gleich an, und ich will noch Popcorn haben! Und Cola!“ Er sah uns vorwurfsvoll an, und Caleb und ich beeilten uns ins Kino zu kommen. Der Film war gar nicht so übel wie ich befürchtet hatte, und da Danny mit seinem Jumbo-Eimer Popcorn genau zwischen Caleb und mir saß konnte ich mich außerdem mit Essen munter halten. Fast zwei Stunden dauerte die Vorstellung, und als wir schließlich aus der Dunkelheit des Kinosaales nach draußen stolperten war die Sonne bereits untergegangen. Und außer den Kinobesuchern kaum noch einer auf der Straße. „Hier klappt man ja zeitig die Bürgersteige hoch.“ stellte ich naserümpfend fest als wir zu Calebs Auto schlenderten. Danny hüpfte wieder voraus, er war im Gegensatz zu mir noch immer voller Tatendrang. „Wir sind hier mitten auf dem Land, was erwartest du?“ Ich wollte gerade etwas erwidern, da hörte ich die verdächtigen Geräusche aus einer unbeleuchteten Nebengasse. Mir war sofort klar was da vor sich ging. Dafür war ich einfach viel zu sehr Ghettokind. Ohne auf Caleb oder Danny zu warten bog ich in die Seitengasse ein, und meine Intuition wurde natürlich direkt belohnt. Bereits aus diversen Gesichtsverletzungen blutend, an die Wand gedrängt und halb zusammengekrümmt, hockte da ein Typ Marke Sunnyboy im Dreck, umgeben von zwei deutlich größeren und eindeutig unfreundlicher aussehenden Hohlbirnen. „Hey!“ Die beiden fuhren sofort zu mir herum, und auf ihren Gesichtern lag pure Gewaltbereitschaft. Sie ließen sofort von ihrem eigentlichen Opfer ab und kamen mit geballten Fäusten auf mich zu. In einer hielten sie Handy und Geldbörse des Schönlings. „Na wen haben wir denn da? Eine kleine Schwuchtel die den Helden spielen will. Dafür kommst du leider zu spät, aber für dich haben wir sicher auch noch Zeit.“ sie bleckten mordlüstern die Zähne, und mir wurde für einen Moment flau im Magen. Ich hatte mich schon mehr als einmal geprügelt, daran kam man gar nicht vorbei wenn man in einer Gegend wie der meinen gelebt hatte, aber bis jetzt hatte ich immer Rückendeckung gehabt. Und hier war nur Mr. Sunnyboy, und der sah nicht gerade so aus als würde er mir gleich zur Hilfe kommen. „Gibt´s ein Problem?“ Caleb. Er war so plötzlich hinter mir aufgetaucht dass ich erschrocken zusammen fuhr, aber ich hatte mich fast sofort wieder im Griff. Ganz so allein war ich anscheinend doch nicht. Ich warf Caleb einen fragenden Seitenblick zu, und er nickte unmerklich. Auf in den Kampf. Die beiden bulligen Typen zögerten, nun waren sie nicht mehr in der Überzahl, und zu ihrem Pech begann sich nun auch Opfer Nummer eins wieder zu regen. Vielleicht wäre es trotzdem zu einer Prügelei gekommen, die Typen saßen schließlich in der Falle, aber da wurden Stimmen laut, und plötzlich standen noch mehr Leute am Eingang der Seitengasse. Unterstützung für Sunnyboy. „Colin, Scheiße, alles okay?“ Offensichtlich nicht, aber das war nun auch egal. Die zwei Prügeltypen ergriffen im plötzlich entstehenden Trubel die Flucht, aber nicht bevor Caleb ihnen noch Handy und Geldbeutel ihres Opfers abgenommen hatte. Dieses wurde jetzt von seinen besorgten Kumpels umringt, und ich kam mir ziemlich überflüssig vor. Und wo war eigentlich Danny? „Ey, du, dich kenn ich doch! Du gehst auf meine Schule, hab ich Recht?“ einer der Sunnyboys kam auf uns zu und nahm Caleb die Wertsachen aus der Hand. Er musterte ihn fragend, und Caleb nickte widerstrebend. Anscheinend gefiel es ihm überhaupt nicht so im Mittelpunkt zu stehen. „Du bist Caleb! Du wohnst auf dem Ponyhof! Und wer ist das da?“ Der neugierige Typ schielte an Caleb vorbei, und nun stand ich im Kreise der Aufmerksamkeit. Inzwischen hatte sich auch Colin wieder berappelt, und er und die anderen drei Gestalten kamen jetzt zu uns herüber. „Der kleine da hat die Idioten von mir abgelenkt. Die hätten ihn fast auch noch verprügelt!“ meinte Colin und wischte sich mit dem Handrücken über die blutige Lippe. Er sah echt nicht gut aus. Der Kerl der uns angesprochen hatte zog überrascht die Augenbrauen hoch, dann klopfte er mir kameradschaftlich auf die Schulter. Aua. „Echt? Hast du Todessehnsucht oder was? Die waren doch viel größer als du. Die hätten Hackfleisch aus dir gemacht! Du bist echt verrückt.“ er lachte, und ich schaute betreten zu Boden. Das war ja schon fast peinlich. Bevor die Szene noch unangenehmer werden konnte kam Danny uns glücklicherweise zur Hilfe. „Caleb? Nicky? Seit ihr hier? Ich hab am Auto gewartet, aber ihr kamt einfach nicht...“ er schaute vorsichtig in die dunkle Seitengasse und blieb überrascht stehen als er die Menschenansammlung entdeckte. „Äh, alles okay?“ Caleb hatte sich als erster wieder gefasst, er legte mir eine Hand auf den Arm und dirigierte mich in Dannys Richtung. „Alles okay, es gab nur einen kleinen...Zwischenfall. Wir kommen jetzt, geh schon mal zum Auto. Wir sagen nur noch schnell auf Wiedersehen.“ seine Stimmte hatte einen strengen Unterton, und auch wenn Danny offensichtlich noch tausend Fragen auf der Zunge brannten drehte er sich auf widerstrebend auf dem Absatz um und ging betont langsam wieder zurück zum Auto. „Also dann, auf Wiedersehen. Und gute Besserung.“ Caleb nickte den Jungs zu, dann verstärkte er seinen Griff an meinem Arm und zog mich praktisch hinter sich her aus der Gasse. „Hey, wartet mal!“ Der Typ der uns so gelöchert hatte kam uns schnellen Schrittes hinterher und versperrte Caleb kurzerhand den Weg. Der runzelte verärgert die Stirn, aber der andere ließ sich davon überhaupt nicht beeindrucken. Er grinste sogar. „Wie können wir uns bei euch bedanken? Ihr habt Colin praktisch den Arsch gerettet, das ist mindestens ein Bier wert. Also, wie sieht es aus?“ er sah uns auffordernd an, aber Caleb schüttelte den Kopf. War ja klar gewesen. Dieser Spielverderber. „Danke, aber wir können nicht. Wir müssen meinen kleinen Bruder heimbringen, und Nick ist außerdem Alkoholiker. Der darf nichts trinken.“ Ich starrte Caleb fassungslos an, und auch unser neuer Freund schien es einen Moment die Sprache verschlagen zu haben. Dann kehrte das Grinsen auf sein Gesicht zurück, und nun klopfte er Caleb auf die Schulter. Er hatte den Witz verstanden. Oder wollte es zumindest als einen verstehen. Wie auch immer. „Du bist witziger als ich dachte. Gefällt mir. Wir trinken ein Bier zusammen, wenn nicht heute, dann ein andermal. Also, man sieht sich. Bis dahin!“ Die Typen zogen fröhlich winkend ab, und Caleb und ich schlossen zu Danny auf der bereits an der Beifahrertür des Ford Escorts lehnte und ungeduldig auf uns wartete. „Wer waren die? Waren das nicht Hunter und seine Sportlerkumpels? Warum war der eine von denen so blutig im Gesicht? Hast du ihn verprügelt?“ Ohne seinen kleinen Bruder auch nur eines Blickes zu würdigen schloss Caleb sein Auto auf und setzte sich hinter das Steuer. Er startete den Motor. Danny sah mich verwirrt an, aber ich zuckte nur mit den Schultern und bedeutete ihm einzusteigen. Ich war immer noch verstimmt wegen des Kommentares den Caleb über mich abgelassen hatte; ich war kein Alkoholiker, verdammt! Mit wütend vor der Brust verschränkten Armen ließ ich mich auf den Beifahrersitz fallen und starrte stur zur Windschutzscheibe hinaus. „Schnall dich an. Ich will nicht schon wieder wegen dir Ärger bekommen.“ knurrte Caleb mich an, und ich stieß ein zorniges Schnauben aus. „Du hättest dich ja nicht einmischen brauchen. Aber danke dass du dich um meine Sicherheit sorgst.“ giftete ich zurück, schnallte mich aber trotzdem an. Und schon waren wir wieder auf Anfang. Herzlichen Glückwunsch. Caleb lenkte den Ford aus der Parklücke und beschleunigte auf ein ungesundes Tempo kaum dass wir das Ortsschild hinter uns gelassen hatten. Zum Glück hatte ich mich wirklich angeschnallt. „Natürlich musste ich mich einmischen, die hätten Kleinholz aus dir gemacht. Warum bist du dem Kerl überhaupt zur Hilfe gekommen? Das war unglaublich dumm von dir!“ fuhr Caleb unbeirrt fort, und ich wurde auf meinem Platz immer wütender. Jetzt musste ich mir also auch noch vorwerfen lassen dass ich jemandem den Hintern gerettete hatte; da war ich einmal kein Feigling, und es wurde mir trotzdem aufs Butterbrot geschmiert. Womit hatte ich das eigentlich verdient? „Die hätten mich schon nicht umgebracht, also krieg dich mal wieder ein. Und ich bin diesem Colin zur Hilfe gekommen weil er meine Hilfe brauchte, was soll eigentlich diese dumme Frage? Bist du so ein großes Arschloch dass du ihn einfach seinem Schicksal überlassen hättest?“ „Colin? Ist das nicht der Junge der dich in der Schule immer ärgert?“ kam es plötzlich von der Rückbank, und Caleb stieß zischend die Luft aus. Oha. Daher wehte also der Wind. Da hatte ich doch ganz offensichtlich Calebs Mobber davor bewahrt ausgeraubt und vielleicht noch weiter verprügelt zu werden. Ich war wirklich ein Held. Den Rest der Fahrt verbrachten wir schweigend, selbst Danny hielt die Klappe, und als wir auf dem Hof einbogen ließ Caleb uns nachdem er schräg vor dem Pferdestall geparkt hatte einfach im unabgeschlossenen Auto sitzen und stürmte mit wütenden Schritten hinüber zum Haupthaus. „Der ist ganz schön sauer.“ Ich hielt Danny die Tür auf und wartete bis er ausgestiegen war. Inzwischen war es stockdunkel, und das obwohl Caleb zum Schluss wirklich halsbrecherisch gerast war. Mir war immer noch ein bisschen flau im Magen von seinen Fahrkünsten. Danny wirkte zum ersten Mal seit ich in kannte ernsthaft bedrückt, er sah seinem Bruder hinterher, dann wandte er sich zu mir um. Das Auto ließen wir offen. „Ist ja nicht deine Schuld, du wusstet ja nicht dass Colin so ein Idiot ist. Du wolltest nur helfen. Und du warst so mutig! Hattest du gar keine Angst?“ nun lag schon wieder so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme, und ich zuckte verlegen die Schultern. „Es war gar nicht so mutig, eher ziemlich dumm. Caleb hat Recht, die hätten mich fertig gemacht und wären dann mit Colins Zeug abgehauen. Eigentlich war dein Bruder der Held, und nicht ich.“ gab ich bescheiden zu, aber Danny ließ sich nicht von seiner Meinung abbringen. Für ihn war ich der Retter der Stunde, auch wenn ich Caleb mit dieser Aktion ausversehen mordswütend gemacht hatte. Und uns den Abend verdorben hatte. Danny schien das allerdings überhaupt nicht zu stören; anstatt seinem Bruder zu folgen und nach Hause zu gehen folgte er mir hinüber zu Haupthaus, und er plapperte schon wieder als müsste er sein Schweigen auf der Rückfahrt dreifach wieder wett machen. „Du bist so anders als meine anderen Freunde, weißt du das? Du hast überhaupt gar keine Angst, und du trinkst Alkohol. Und einen Freund hattest du auch schon! Also ich meine J., nicht Alex. Den will ich übrigens unbedingt noch kennen lernen! Ist er ein Punk? Caleb hat gesagt du gibst dich nur mit Punks und anderem...ähm, „Gesocks“ ab, heißt das so? Tut mir Leid, ich will dich nicht beleidigen.“ Danny zog eine niedliche Schnute, und dich lachte. Dann legte ich ihm einen Arm um die Schultern und schlenderte mit ihm über den Hof in Richtung meines neuen zu Hauses. Im Wohnzimmer brannte noch Licht, ansonsten war alles dunkel. Wie spät war es überhaupt? Ich hatte gar kein Zeitgefühl mehr. „Du beleidigst mich nicht, keine Sorge. Und ja, Alex ist ein Punk. Aber ein netter. Er hat grüne Haare und viele abgefahrene Klamotten, und er raucht wie nichts gutes. Aber er ist mein bester Kumpel, neben dir, natürlich.“ ich grinste Danny an, und er grinste selig zurück. Seine gute Laune war auf jeden Fall wieder hergestellt. Wir verscheuchten meinen Vater und Lilly aus dem Wohnzimmer die uns erstaunlich bereitwillig den Fernseher überließen und schoben uns einen Horrorfilm in den DVD-Player. Mein Vater war sonst eher konservativ, aber diese abartigen Streifen liebte er. Genauso wie ich. Danny starrte gebannt auf den Bildschirm, ich hatte extra etwas mit passender Jugendfreigabe ausgewählt, trotzdem war der Film echt heftig. Als es zu der zwingend notwendig scheinenden romantischen Szene zwischen den Hauptprotagonisten kam sah Danny mich plötzlich forschend von der Seite an. „Ich hab noch nie jemanden geküsst, also so richtig. In den Filmen sieht das immer so einfach aus...ist es das?“ Der Film schien plötzlich nur noch Nebensache zu sein, Dannys Blick bohrte sich in meine Seite, und mir wurde immer unbehaglicher. Warum zur Hölle fragte er mich sowas? Konnte er solche Sachen nicht mit seinem großen Bruder besprechen? Waren die nicht für genau diese Themen da? Ach, was wusste ich denn schon. „Keine Ahnung, darüber hab ich mir ehrlich gesagt noch nie Gedanken gemacht. Ich hab immer einfach drauf los geküsst, schwer fand ich es jedenfalls nicht.“ ich versuchte betont gleichgültig zu klingen und richtete meinen Blick stur wieder auf den Fernsehbildschirm. Hatte meine Antwort Danny zufrieden gestellt? Natürlich nicht. Er war genauso wissbegierig wie er gesprächig war. Ganz zu meinem Leidwesen. „Echt? Muss man das nicht üben? Kann man das einfach so?“ Er kniete jetzt auf der Couch und sah mich neugierig an. Ich seufzte ergeben, dann stellte ich den Fernseher leiser und wandte meine Aufmerksamkeit meinem neuen, sehr indiskreten Nachbarn zu. War der wirklich nur ein Jahr jünger als ich? Kaum zu glauben. „Man übt in dem man es tut. Es gibt gute und schlechte Küsser, aber ich glaube irgendwann hat jeder den Dreh raus. Das wirst du schon noch merken, glaub mir. Und wenn man sich liebt ist das eh alles egal. Genug Nachhilfe für heute, okay?“ „Übst du mit mir?“ „Was?!“ ich starrte Danny fassungslos an, aber der schien seine Frage wirklich ernst zu meinen. Warum nur kam ich immer in so unangenehme Situationen? War das die Strafe für meine in der Vergangenheit begangenen Sünden? „Ob du mit mir übst. Ich kenne sonst niemanden den ich fragen könnte, und du bist doch sowieso schwul. Dann ist das doch gar nicht so schlimm.“ erklärte Danny mir mit bewundernswerter Gelassenheit, und ich suchte stammelnd nach Worten. Caleb würde mich umbringen! „Darum geht es doch gar nicht! Du bist nicht schwul, kannst du nicht einfach mit einem Mädchen aus deiner Klasse üben? Das macht doch viel mehr Sinn!“ versuchte ich mich wenig heldenhaft aus der Situation zu bringen, aber Danny ließ gar nicht mit sich diskutieren. Er war Feuer und Flamme von seiner Idee, und er konnte ziemlich hartnäckig sein. Und er wusste wo er mich packen musste. „Ach Nicky bitte! Die Mädchen aus meiner Klasse interessieren sich gar nicht für mich, die wollen nur die coolen Sportler und nicht mich! Ich bin denen zu langweilig. Bitte bitte üb mit mir!“ Er sah mich treuherzig an, und ich seufzte geschlagen. Was konnte schon passieren? Danny war nicht schwul, und Caleb würde es nie erfahren. Und auch sonst keiner. Also konnte ich Danny diesen kleinen Gefallen ruhig erweisen. Immerhin gab er mir auch kostenlos Reitstunden, da konnte ich mich sicher auch mal erkenntlich zeigen. „Okay, meinetwegen. Aber nur dieses eine Mal, verstanden? Und du verrätst es keinem, sonst bring dein Bruder mich nämlich mit allergrößter Sicherheit um. Und zwar langsam und qualvoll.“ Danny kicherte, und ich musste ebenfalls grinsen. Wir drehten den Fernseher wieder lauter, aber das große Finale verpassten wir. Danny küsste erstaunlich gut, und ich hätte lügen müssen wenn ich behaupten würde es hätte mir nicht auch ein bisschen gefallen. Das war auf jeden Fall angenehmer als die Reitstunden. „Hatte Caleb schonmal eine Freundin?“ Wir hockten immer noch auf dem Sofa, ich hatte Danny gerade zusammengefasst wie der Film endete (ich hatte ihn bereits mehr als einmal komplett gesehen), und es musste schon fast Mitternacht sein. Im Wohnzimmer gab es noch keine Uhr, und die Digitalanzeige am DVD-Player blinkte mit einer fröhlichen 00:00 „Ja, das ist aber schon ein Jahr her oder so. Caleb hat Reitunterricht gegeben als wir noch mehr Pferde hatten, und sie war eine Schülerinnen. Ich weiß gar nicht mehr wie sie hieß. Ist auch egal, hat nicht lang gehalten. Sie ist dann weggezogen, glaube ich.“ gab Danny bereitwillig Auskunft. Er schien überhaupt nicht müde zu sein, ganz im Gegensatz zu mir. Ich streckte mich gähnend und rieb mir die Augen. „Also eine verlassene Jungfer, der arme.“ Danny kicherte, dann gähnte er plötzlich ebenfalls. Müdigkeit war wohl doch ansteckend. Ich schaltete Fernseher und DVD-Spieler ab und erhob mich von der Couch. „Kann ich heute hier schlafen? Caleb hätte sicher nichts dagegen.“ Der kleine wurde immer dreister. Ich warf ihm einen strengen Blick zu und schüttelte den Kopf. „Vergiss es. Und Caleb hätte sicher sehr wohl was dagegen. Er hält mich für einen schlechten Einfluss, schon vergessen?“ gab ich zu bedenken, aber Danny ließ sich von meinen logischen Argumenten wie immer nicht beeindrucken. Er grinste breit und tippte auf seine Armbanduhr. „Es ist bereits ein Uhr, und wenn ich jetzt über den Hof schleiche würde Leo alle wach bellen. Das wäre sicher nicht so toll, und ich würde einen riesigen Ärger bekommen.“ Okay, logisch konnte er auch. Dieser hinterhältige Fuchs. „Fein, dann schlaf hier, aber keine Knutscherei mehr, und keine weiteren Fragen in diese Richtung. Versprochen?“ ich hob mahnend den Zeigefinger, und Danny nickte begeistert. „Versprochen! Ich werde dich nicht weiter nerven!“ Wir löschten im Erdgeschoss alle Lichter und gingen gemeinsam hinauf ins Dachgeschoss. Nachdem ich in meinem Schlafzimmer die Fenster für die kühle Nachtluft geöffnet hatte machten wir uns in dem winzigen Badezimmer bettfertig (zum Glück hatte mir Lilly mehrere Zahnbürsten zurecht gelegt, warum auch immer) und schlüpften schließlich nur mit Boxershorts bekleidet ins Bett. „Caleb wird mich umbringen wenn er das erfährt.“ knurrte ich ins Kissen, und Danny lachte. Sein Optimismus war wirklich unerschütterlich. „Wie soll er das denn rauskriegen? Wir sagen ihm einfach ich hätte auf dem Sofa geschlafen, wenn er überhaupt fragt. Ich wette es ist ihm egal. Du musst dir gar nicht solche Sorgen machen!“ Danny tätschelte mir die Schulter, dann gab er mir einen blitzschnellen Kuss auf die Wange und drehte mir den Rücken zu. „Gute Nacht. Und danke dass ich hier schlafen darf.“ „Gern geschehen.“ Ich haderte einen Moment mit mir, dann streckte ich die Hand aus und legte einen Arm um Dannys Hüfte. Sein triumphierendes Grinsen war praktisch spürbar. „Ein Ton von dir, und du schläfst auf dem Fußboden.“ flüsterte ich warnend, und er rückte schweigend einen halben Zentimeter näher. Würde Caleb jemals davon erfahren hätte mein letztes Stündlein geschlagen. Dessen war ich mir sicher. Kapitel 5: #05 -------------- Ich hatte befürchtet dass der nächste Morgen seltsam werden würde, aber meine Bedenken waren völlig umsonst. Danny weckte mich noch vor dem ersten Hahnenschrei, und zwar mit einem unsanften Tritt in die Rippen. „Aua, hast du sie noch alle? Ich schlafe noch!“ fuhr ich ihn wütend an, aber Danny war bereits aus dem Bett gehüpft und sammelte seine Klamotten vom Boden auf. Die Fenster standen noch immer offen, es war bereits drückend warm. „Wie spät ist es überhaupt...?“ ich gähnte ausgiebig, und Danny warf mir ein T-Shirt ins Gesicht. „Hey!“ „Es ist bereits kurz nach sechs, ich steh immer um diese Uhrzeit auf. Da hat man mehr vom Tag, finde ich.“ Kluges Kerlchen. Nur leider war ich ein eingefleischter Morgenmuffel, und Langschläfer, und vor neun Uhr grundlos aus dem Bett geworfen zu werden schlug mir ganz gehörig auf die Laune. Zum Glück konnte ich Danny immer noch mehr als gut leiden, sonst hätte ich ihm höchstwahrscheinlich den Kopf abgerissen. Stattdessen zog ich den größtmöglichen Nutzen aus der Situation und schickte ihn Kaffee kochen. Ich trank normalerweise keinen Kaffee, aber heute hatte ich ihn auf jeden Fall mehr als nötig. Und außerdem war der ätzend ausgeschlafene Junge so aus dem direkten Umfeld meiner miesen Laune verschwunden. Ich blieb noch weitere zehn Minuten liegen, dann quälte ich mich vor Müdigkeit stöhnend aus dem Bett, schloss die Fensterläden, und machte mich mit einem Stapel sauberer Klamotten auf den Weg unter die Dusche. Munterer wurde ich dadurch nicht, aber meine Laune kletterte um ein paar wenige Nuancen nach oben. Vielleicht würde Danny seine unsanfte Weckaktion doch überleben. Sauber, frisch gekleidet und mit nassen, unordentlich zusammen geflochtenen Haaren ging ich schließlich hinunter in die Küche, und fand neben einer fertig dampfenden Kaffeekanne einen bereits vollständig gedeckten Frühstückstisch vor. „Warst du das?“ ich deutete mit einem verblüfften Nicken auf den Esstisch, und Danny nickte stolz während er sich bereits ein Brötchen mit Schokoladencreme bestrich. „Ja, ich dachte du freust dich vielleicht wenn ich schonmal alles vorbereite. Guck, ich hab sogar für deine Eltern gedeckt!“ Das hatte er tatsächlich. Sogar mit Servietten und den guten Kaffeetassen. Also wäre Danny nicht mein unschuldiger kleiner Nachbar gewesen...nein, stop, gar nicht erst weiter denken! Ich biss mir auf die Lippe und nahm ihm gegenüber Platz, dann schenkte ich mir eine Tasse des gerade aufgebrühten Kaffees ein und trank ihn schwarz. Widerlich, aber wirkungsvoll. Danny vernichtete noch zwei weitere Brötchen, dann erhob er sich plötzlich und warf einen Blick zum Küchenfenster hinaus. Suchte er etwas? „Alles okay?“ ich sah ihn fragend an, aber er zuckte nur unbestimmt mit den Schultern. „Calebs Auto ist nicht da. Ob es geklaut wurde?“ Ich trat neben Danny ans Fenster und musterte den Hof. „Nee, die alte Kiste klaut doch keiner. Und dann hätte Leo doch sicher Alarm geschlagen, oder?“ versuchte ich ihn zu beruhigen, und Danny nickte langsam. „Ja, du hast Recht. Leo ist ein guter Wachhund.“ Das wagte ich zu bezweifeln, aber ich hielt meine Klappe. Ich wollte Danny nicht weiter verrückt machen. Wahrscheinlich hatte Caleb einfach keine Lust gehabt uns so früh am Morgen schon über den Weg zu laufen und war vorsorglich einfach abgehauen. Konnte ich verstehen. Ich hatte auch keine Lust über den Vorfall vom gestrigen Abend zu reden; damit meinte ich natürlich die Beinaheprügelei, nichts anderes! Die andere Sache würde ich mit ins Grab nehmen, das schwor ich mir hoch und heilig. Zumindest würde Caleb niemals davon erfahren wenn es nach mir ginge. Nachdem wir unsere Observation des frühmorgendlichen Hofes beendet hatten weckte ich meine „Eltern“, wäre ja sonst schade um den frisch gebrühten Kaffee gewesen. Ich konnte gerade noch rechtzeitig den Kopf zurückziehen da klatschte ein Kopfkissen begleitet von verschlafenen Beleidigungen gegen den Türrahmen. Den Kaffee hatten die zwei auf jeden Fall auch nötig. Danny ging zum Duschen nach Hause, danach trafen wir uns wieder im Hof und versorgten Leo und die Pferde. Caleb war offensichtlich abgehauen ohne seine sonst üblichen morgendlichen Aufgaben zu erledigen; das war laut Danny noch nie vorgekommen, und jetzt fing ich doch an mir Sorgen zu machen. Caleb lebte für den Hof, oder zumindest für die Pferde. Hatte meine unbedachte Aktion ihn wirklich so aus der Bahn geworfen? Kaum zu glauben.   Tatsächlich machte Caleb sich die nächsten Tage rar, die Stimmung war feindselig, und diesmal meiner Meinung nach völlig zu Unrecht. Ich hatte seinem Erzfeind ja nicht absichtlich geholfen, der Typ da in der Gasse hätte sonst wer sein können, das war einfach nur ein ungünstiger Zufall. Aber Caleb ließ nicht mit sich reden. Nicht einmal Danny kam an ihn heran, und der hatte mit der Sache sogar noch weniger zu tun als ich. Trotzdem wurden wir beide mit eisigem Schweigen gestraft, und das zerrte ziemlich an meinen Nerven. Ich war mir keiner Schuld bewusst, und das machte mit wütend. Diese Missachtung hatte ich nicht verdient!   Schließlich bekam ich Caleb doch noch zu fassen. Er werkelte gerade an Leos Hundehütte, das Dach war wohl kaputt, und ich schlich mich leise von hinten an ihn heran um ihm erst gar keine Möglichkeit für eine feige Fluch zu geben. „Weißt du wo Danny steckt?“ Er fuhr erschrocken hoch und hätte mir beinahe eins mit dem Hammer übergezogen. Ich sprang einen halben Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände vor die Brust. „Hey, ich hab nur gefragt. Du musst mir nicht gleich den Schädel einschlagen.“ „Dann schleich dich nicht so an, du hast sie wohl nicht alle.“ knurrte Caleb verärgert, dann beugte er sich wieder über die Hundehütte und fuhr mit seiner Arbeit fort. „Danny ist mit Leo unterwegs, keine Ahnung wo die stecken. Musst du dich heute wohl alleine beschäftigen.“ Die versteckte Spitze in seinen Worten war nicht zu überhören. Aber so leicht ließ ich mich nicht aus der Ruhe bringen. Nicht diesmal. Ich wollte die Sache klären, und das hier war die beste Gelegenheit. „Kann ich dir dann vielleicht was helfen?“ bot ich in einem versöhnlichen Tonfall an, aber Caleb winkte nur mit einem verächtlichen Schnauben ab. „Nein kannst du nicht. Und jetzt zieh endlich Leine, ich habe zu tun!“ Ich wollte gerade mit einer entsprechenden Nettigkeit antworten, da rief plötzlich jemand meinen Namen. Und Calebs. Wir drehten uns beide auf der Stelle herum und noch bevor wir überhaupt irgendwie reagieren konnten hatte die seltsame Prozession bereits den Hof betreten und halb überquert. „Was auch immer ihr da tut, hört auf damit! Wir haben Bier und gute Laune mitgebracht! Aber vor allen Dingen Bier!“ Hunter schwenkte eine angebrochene Flasche, und seiner Stimme nach zu urteilen war das nicht seine erste. Begleitete wurde er von drei weiteren ähnlich angeheiterten Jungs die einen mit Bierkästen gefüllten Bollerwagen zwischen sich her zogen. Caleb und ich starrten die Truppe sprachlos an, aber schließlich war ich der erste von uns beiden der die Fassung wieder gewann. Ich dirigierte die fröhlich feiernde Truppe zu unseren Liegestühlen, und stellte mit einer gewissen Erleichterung fest dass sich Colin nicht unter ihnen befand. Das machte das Konfliktpotential auf jeden Fall schon einmal kleiner. „Caleb du Held, komm, trink mit uns! Es ist genug für alle da!“ rief Hunter meinem missmutig guckenden Nachbarn zu, und als der keine Anstalten machte sich in Bewegung zu setzen legte Hunter ihm kurzerhand kameradschaftlich einen Arm um die Schulter und schleifte ihn zu uns anderen herüber. Auch wenn ich ebenfalls von der Aktion überrumpelt war, das geschah Caleb Recht. Mein Mitleid mit ihm hielt sich deutlich in Grenzen. Wäre er ein bisschen netter zu mir gewesen hätte ich vielleicht versucht ihn hier herauszuboxen, aber so… Hunter ließ sich neben mich auf eine der Liegen fallen, er drückte jedem von uns eine erstaunlich kühle Flasche Bier in die Hand, und dann mussten wir anstoßen. Ob wir wollten oder nicht. Aber ich wollte, scheiß egal was meine guten Vorsätze davon hielten. Hunter leerte seine Flasche auf Ex, dann warf er sie achtlos ins Gras und zwinkerte mir verschwörerisch zu. Verdammt, er sah gut aus! „So du Alkoholiker, jetzt wäre es mal an der Zeit dass du dich uns richtig vorstellst. Ich bin Hunter, das sind meine Jungs, und du bist…?“ „Das ist Nick, und er ist minderjährig. Er sollte überhaupt nichts trinken.“ fuhr Caleb mir sofort zornig über den Mund, und wurde direkt aus allen Kehlen ausgebuht. Ausnahmsweise nahm ihn mal keiner ernst, und das gefiel mir. Ich trank einen provozierend großen Schluck aus meiner Flasche und grinste ihn überlegen an. „Ach jetzt komm, sei kein Spielverderber. Wir passen schon auf dass Nicky es nicht übertreibt, nicht wahr?“ Zustimmendes Gegröle, und damit war Caleb aus dem Rennen. Er warf mir noch einen letzten wütenden Blick zu, aber ich ignorierte ihn einfach. So wie er mich die letzten Tage ignoriert hatte. Das war wirklich Balsam für meine ungerecht behandelte Seele. Hunter und seine Kumpels waren eine unkomplizierte, wenn auch recht raue Truppe. Alle vier spielten Basketball im Schulverein, besuchten die 12. Klasse, und waren unglaublich trinkfest. Das Bier in ihrem Bollerwagen schien einfach nicht weniger zu werden. Nach knapp zwei Stunden war ich schon ordentlich angetrunken, ganz im Gegensatz zum Rest der Anwesenden. Caleb hielt sich immer noch an seiner ersten Flasche Bier fest, und während wir immer lauter wurden wurde er immer wütender. Diese Spaßbremse. Plötzlich kam Leo bellend auf den Hof geschossen, er umrundete die feierwütigen Sportler und ließ sich ohne Scheu das wuschelige Fell kraulen. Er mochte meine neuen Freunde sofort. „Was ist denn hier los? Feiert ihr?“ Danny blieb in einiger Entfernung stehen und musterte uns verwirrt. Ich grinste ihm zu, und noch bevor Caleb eingreifen konnte hatte Hunter sich bereits erhoben und streckte ihm seine geöffnete Bierflasche entgegen. „Hier kleiner Bruder, trink mit uns. Du bist doch sicher nicht so ein Jammerlappen wie dein Bruder.“ Forderte er Danny auf, aber diesmal kam ich ihm zuvor. Ich erhob mich, leider deutlich schwankend, und wankte zu dem eindeutig überforderten Jungen hinüber. „Nicky, bist du besoffen?“ Danny sah mich fassungslos an, und ich schüttelte verneinend den Kopf. Ganz blöde Idee. Ich packte ihn an der Schulter und brachte meinen Mund ganz nah an sein Ohr. „Caleb rastet aus wenn du jetzt auch noch anfängst zu trinken.“ flüsterte ich ihm zu. „Lehn das Angebot ab und geh rein, ich bring dir dann eine Flasche. Wenn du willst.“ Ich zwinkerte Danny zu, aber der verzog nur angeekelt das Gesicht. Ich hatte ihn wohl doch falsch eingeschätzt. Schade. „Was tuschelt ihr denn da? Sprecht mal lauter, wir wollen das auch hören!“ Hunter lachte, aber ich kam bereits zurück zur Gartenliege und nahm mir ein neues Bier. „Vergiss es. Ich habe nur Danny dran erinnert dass er noch…Hausaufgaben machen muss. Der trinkt nicht mit uns.“ Der verletzte Ausdruck auf Dannys Gesicht versetzte mir einen Stich, aber ich bekam keine Zeit um weiter darüber nachzudenken. Hunter legte mir seinen muskulösen Arm um die Schultern und stieß mit mir an. „Dann trinkst du für ihn mit! Prost!“   Irgendwann trat mein Vater auf den Hof und bat den Feiertrupp nett, aber nachdrücklich die Party für heute doch zu beenden, und die Jungs trollten sich tatsächlich. Gemeinsam stapelten wir das Leergut mehr schlecht als recht in den nun fast leeren Bollerwagen, nur ich behielt mir eine volle Flasche zurück. Nur für den Fall. Sich überschwänglich verabschiedend zogen Hunter und seine Kumpels schließlich von dannen, und Caleb und ich blieben allein zurück. Schweigend. Angespannt. Und was mich anging: besoffen. „Ich geh ins Bett, man sieht sich.“ Die Welt um mich herum fuhr Karussell, ich bemerkte wie ich Schlagseite bekam, da schlossen sich plötzlich von hinten zwei Arme um mich und hielten mich fest. Sehr fest. Schmerzhaft fest. „Au, was soll das? Du tust mir weh!“ protestierte ich und versuchte mich sofort aus Calebs Griff zu befreien. Keine Chance. Seine Arme waren wie Schraubstöcke. Ich hörte auf zu zappeln, und er beugte sich langsam zu mir herunter, seine Lippen direkt an meinem Ohr. „Hör mir mal genau zu. Egal wie dreckig es dir morgen geht, du wirst dich bei Danny entschuldigen. Du bist ein arrogantes kleines Aas, und wenn er sich wegen dir die Augen ausheult bist du fällig. Hast du das verstanden?“ Er ließ mich genauso abrupt los wie er mich eben noch gepackt hatte, und während ich hilflos nach vorn stolperte und um mein Gleichgewicht kämpfte hatte Caleb sich bereits abgewandt und schritt mit weit ausgreifenden Schritten hinüber zum Haupthaus. Kapitel 6: #06 -------------- Ich war ein kleines Aas, und vor allen Dingen ein schlechter Freund. Den folgenden Tag verbrachte ich  trotz Calebs Drohung mit dem Kater meines Lebens im Bett; sobald ich auch nur den Versuch wagte aufzustehen wurde mir sofort speiübel, und hätte ich in den letzten Stunden nicht strikte Diät gehalten hätte ich mir höchstwahrscheinlich auch noch die Seele aus dem Leib gekotzt. Lilly steckte nur einmal kurz den Kopf in mein Zimmer um zu sehen wie es mir ging, aber ich schickte sie sofort wieder weg. Ich wollte allein sein. Und mich in meinem Elend wälzen. Erst am nächsten Vormittag schaffte ich es endlich wieder alleine in die Senkrechte; mir war immer noch flau im Magen, aber die Übelkeit war zum größten Teil verschwunden. Und ich hatte rasendes Kopfweh. Eine eiskalte Dusche später ging es mir schon deutlich besser, ich schlüpfte in Shorts und ein kurzärmliges Shirt, dann warf ich mir ein Aspirin ein, und schlich reumütig bei Lilly und meinem Vater zu Kreuze. Die Stimmung schwankte wieder zwischen besorgt und wütend, meine Stiefmutter hatte irgendwo Verständnis für meine Situation (einsam, das Alter, Gruppenzwang), mein Vater beließ es schließlich bei der Androhung eines Internataufenthaltes bis zum Ende meiner Schullaufbahn; und im Anschluss würde er mich ins Kloster stecken wenn ich es dann immer noch nicht kapiert hätte. Ich gelobte Besserung, ich meinte es wirklich ernst, denn ich befürchtete diesmal war ich wirklich etwas zu weit gegangen. Nicht mit meinem Bierkonsum; okay, das vielleicht auch, aber zuviel getrunken hatte ich ja nicht zum ersten Mal. Es ging mir eher um Danny. In meinem besoffenen Zustand hatte ich mich verhalten wie ein Arschloch, ich hatte ihn vor den anderen dastehen lassen wie ein unmündiges Kind, und das war eigentlich unverzeihlich. Hoffentlich vergab er mir trotzdem. Ich fand Danny  auf der Koppel; er striegelte Kalypso während Teddy ihnen von der anderen Seite des Zaunes aus interessiert dabei zusah. Mein schlechtes Gewissen wuchs mit jedem Schritt den ich weiter auf die drei zuging, mir war hundeelend, und das kam diesmal nicht von den Nachwirkungen meines Katers. Ich hatte Angst dass Danny mich hasste. Grund genug dafür hatte er auf jeden Fall. Er bemerkte mich erst als ich bereits direkt hinter ihm stand. Ich wusste nicht was ich sagen sollte, also ergriff Danny  das Wort. Seine Stimme klang trotzig und tief verletzt. Verdammt. „Was willst du hier? Willst du nicht lieber zu deinen neuen Freunden gehen? Mit denen hast du doch viel mehr Spaß als mit mir. Dann musst du dich nicht mit einem Kind abgeben.“ zischte er zornig, und ich hörte wie seine Stimme zitterte. Oh nein, hoffentlich fing er nicht an zu weinen. Ich machte einen weiteren hilflosen Schritt auf ihn zu, aber Danny schüttelte den Kopf. Er wollte mich nicht anhören. Ich hatte es ganz eindeutig verbockt. Ich war das allergrößte Arschloch das es gab. „Danny, bitte, es tut mir Leid. Ich bin doch dein Freund…“ „Nein bist du nicht! Du bist ein gemeiner Idiot! Caleb hatte Recht. Er hat gleich gesagt dass du nicht so toll bist wie du tust. Du hast nur gewartet bis coolere Leute aufgetaucht sind und dann hast du mich fallen lassen! Ich will nicht mehr dein Freund sein! Und jetzt geh weg, sonst rufe ich Caleb und sage ihm das du mich wieder beleidigt hast, und dann verprügelt er dich!“   Ich ergriff feige die Flucht. Was hätte ich auch sonst tun sollen?   Ich war ein Feigling, und ich war schwach, und so lehnte ich nicht ab als Hunter mich eines Nachmittags mit seinem offensichtlich illegal hochfrisiertem Camaro zu Hause abholte und mit mir in die Stadt fuhr. Seine Kumpels und er waren nicht so…abgewrackt wie meine alten Freunde, aber zu Alkohol und Drogen sagten sie genauso wenig nein, und es dauerte nicht lange da befand ich mich wieder mitten drin. Der Weg zur Hölle war breit und bequem, und ich hatte jetzt einen Freund mit einem schnellem Auto. Mein Absturz war praktisch vorprogrammiert. Weder meinem Vater noch Lilly gefiel diese Entwicklung, aber sie konnten nichts dagegen tun. Ihnen fehlten auch einfach die Argumente. Im Gegensatz zu J. war Hunter nämlich ein Vorzeige-Kumpel; er war Sportler, gut in der Schule, benahm sich Erwachsenen und anderen Respektspersonen gegenüber höflich, und er brachte mich immer mit Einbruch der Dämmerung wohl behalten nach Hause. Das ich wieder trank und das auch noch regelmäßig konnte ich meistens gut verstecken, die Routine kam zurück, und da ich wenn ich denn mal zu Hause war die meiste Zeit eh in meinem Zimmer oder mit Sonnenbrille und Kopfhörern auf dem Liegestuhl im Hof verbrachte musste ich mich noch nicht einmal großartig verstellen. Ich sprach einfach mit niemandem, und so blieb mein sündiger Lebenswandel größtenteils unentdeckt. Danny und Caleb sah ich kaum noch, und solange ich mit Hunter und seinen Leuten unterwegs war vermisste ich auch keinen von beiden. Nur wenn ich abends zufällig aus meinem Dachfenster sah und Danny mit Kalypso oder Teddy auf der Reitbahn entdeckte wurde mir ein bisschen wehmütig ums Herz. Natürlich nahm ich auch keine Reitstunden mehr, meine Freizeit verbrachte ich jetzt in dem ohrenbetäubend lauten Camaro oder an irgendwelchen überfüllten Badestränden umringt von einer angeheiterten Partymeute und unerschöpflichen Biervorräten. Sogar mit Colin kam ich aus, der war zwar wirklich nicht das sympathischste Persönchen unter dem Himmel, aber Hunter hatte das Sagen, und Hunter mochte mich. Er duldete keine Witze oder Sticheleien auf meine Kosten, und die gab es anfangs reichlich, denn ich war mit Abstand der jüngste in der Runde. Das war für mich nichts neues, aber die anderen mussten sich erst daran gewöhnen. Vor allem was nach Sonnenuntergang stattfand hatte ich mich bisher gedrückt; einerseits weil ich es mir mit meinem Vater nicht verscherzen wollte, andererseits weil alle Clubs in die Hunter mit seinen Freunden ging ab 18 waren, und ich da eh nicht mit reingedurft hätte. Aber natürlich war es nur eine Frage der Zeit bis ich auch diesen guten Vorsatz brach. Die Fahrt nach unten wurde immer rasanter, und anscheinend hatte der Camaro keine besonders guten Bremsen. „Ich bleibe nur bis Mitternacht. Versprochen! Und ich werde nichts trinken! Ich war bis jetzt immer pünktlich zu Hause, bitte lass mich nur heute einmal mitfeiern! Bitte bitte!“ Mein Vater gab nach, und so durfte Hunter mich an einem späten Freitagabend Punkt 19 Uhr zu Hause abholen. Auch er beteuerte meinem Vater noch einmal hoch und heilig dass er mich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen und wohlbehalten um Punkt Mitternacht direkt wieder vor der Haustür abliefern würde. Und Alkohol war unter 18 eh tabu, da waren die im Club echt streng. Das erste Mixbier trank ich bereits im Auto. Der „Club“ entpuppte sich als High end Disco mit gut betuchtem aber eindeutig nicht sehr respektablem Publikum. Da war der Tequila an der Bar noch das ungefährlichste was man bekommen konnte. Hunter schleuste mich ohne Probleme an den Türstehern vorbei, er war Stammgast, und außer mir befanden sich noch einige andere eindeutig minderjährige Besucher in den gut gefüllten Hallen. Unser erster Weg führte uns direkt zur Bar, und es dauerte nicht lange da waren mir sowohl die schlechte basslastige Technomusik als auch die ungehobelten Mitfeiernden egal. Hunter gab mir einen Drink nach dem anderen aus, er behielt mich wie versprochen im Auge, aber nicht nur mich. „Nicky, schau mal was uns mein netter Freund von da drüben für ein Geschenk gemacht hat. Schau!“ er zog mich fast schon ein bisschen zu ruppig an ein einem Arm über die Tanzfläche und in eine stillere Ecke. Die Musik war ohrenbetäubend, die bunten Lichter die über die wogende Menschenmenge zuckten machten mich schwindelig, und ich wäre fast über meine eigenen Füße gestolpert als ich versuchte Hunter zu folgen. „Astrein, oder? So was kriegt man selten. Und weil das heute deine aller erste Party in so gehobener Gesellschaft wie meiner ist darfst du eine ganz für dich alleine haben. Na, bin ich nicht nett?“ Er lachte, und ich hatte das Gefühl Hunter war im Gegensatz zu mir kein bisschen betrunken. Hatte ich ihn überhaupt etwas trinken sehen? Ich konnte mich nicht daran erinnern. Mir war schlecht. Hunter schnippte vor meinem Gesicht in die Luft, ich höre das Geräusch nicht, aber ich sah die Geste. Dann drückte er mir etwas kleines rundes in die Hand und schloss seine Finger fest um meine Faust. Sein Blick war beschwörend. „Nimm das, und dann komm hoch in den VIP-Bereich. Ich warte da auf dich. Und dann geht die Post ab!“ er schüttelte noch einmal meine Faust in seiner, dann klopfte er mir auf die Schulter und verschwand in der undurchdringlichen Wand der schwitzenden und sich windenden Tänzer. Ich öffnete meine Hand und betrachtete die kleine Pille die sich darin befand. Sie war kaum größer als der Nagel meines kleinen Fingers und hatte eine vertrauenserweckende blassviolette Farbe. Jemand rempelte mich von der Seite an und ich schloss meine Finger schnell wieder um die kleine Tablette um sie nicht ausversehen fallen zu lassen. Sollte ich sie wirklich nehmen? Ich hatte keine Ahnung was das war, und ehrlich gesagt hatte ich mich bis jetzt immer eher auf den Alkohol und hier und da ein bisschen Hasch spezialisiert. Ich nahm keine harten Drogen, und schon gar keine von denen ich nicht wusste wie sie wirkten. Um mich herum tobte die Party weiter, Menschen grölten zur Musik, andere schrien oder taumelten nur noch halb benommen durch die Gegend. Das hier war ein Irrenhaus, und ich war mittendrin. Ich nahm die Pille. Die Wirkung kam schleichend, aber heftig. Ich hatte noch nicht einmal die Hälfte der Tanzfläche überquert da wurde mir plötzlich schwarz vor Augen. Die bunten Lichter der Discobeleuchtung trübten sich ein und wurden zu schwirrenden neblig grauen Schatten, die Musik ging aus, nur noch der Bass hämmerte in meinen Ohren. Und in meinem Kopf. Und in meinem kompletten Körper. Weder meine Beine noch meine Arme wollten mir mehr gehorchen, es war als würden unsichtbare Gewichte an ihnen hängen und sie in verschiedene Richtungen auseinander ziehen. Gleichzeitig spürte ich einen irren Druck auf meinem Brustkorb, die Droge nahm mir die Luft, und ich griff mir keuchend an die Kehle. Niemand beachtete mich. Ich geriet in Panik. Ich wusste dass es die Pille war die mich so fertig machte, aber dieser eine noch klare Gedanke reichte nicht aus um mich wieder auf Kurs zu bringen. Ich wollte hier raus, und zwar so schnell wie möglich! Menschen rempelten mich an, jemand hielt mich am Arm fest, irgendwer leerte seinen Cocktail über meinem Rücken aus, aber ich taumelte weiter. Ich musste den Ausgang finden, sonst war ich verloren. „Nick? Hey, Nick! Bleib stehen! Verdammt!“ ich hörte eine Stimme meinen Namen rufen, aber ich konnte sie niemandem zuordnen. Vielleicht halluzinierte ich auch einfach nur. Das lag durchaus im Rahmen der momentanen Möglichkeiten. Ich setzte meinen Weg fort, achtete auf nichts mehr außer meinem Willen dieses Höllenloch zu verlassen, doch da hörte ich wieder diese Stimme meinen Namen rufen. Ich blieb stehen und versuchte zu lauschen. Nichts. Wummernde Bässe, blinkende Lichter die sich mit schwarzen Nebelschwaden ablösten, und plötzlich zwei Arme die sich fest um meine Körpermitte schossen. „Nick, hör auf zu zappeln. Was ist denn los mit dir? Ich rufe dich schon die ganze Zeit, aber du reagierst gar nicht!“ die Stimme klang wütend, und ich versuchte mich zu ihr umzudrehen. Das dazugehörige Gesicht sagte mir nichts. „Wer...bist du?“ War das meine Stimme? Gruselig. Das unbekannte Gesicht antwortete mir nicht, stattdessen wurde ich noch fester um die Hüfte gepackt und mehr nach draußen geschleift als geleitet. Die kühle Nachtluft traf mich wie ein Schlag, das Licht der Straßenlaternen bohrte sich in meine ungewöhnlich empfindlichen Augen und ich stöhnte vor Überraschung und Schmerz. Ich wollte wieder zurück, ich wollte nach drinnen, weg von diesen Schmerzen! „Auaaaa, mein Kopf!“ wimmerte ich leise und presste mir die Hände gegen die Schläfen. Viel zu fest. Ich hatte überhaupt keine Kontrolle mehr über meine Gliedmaßen! Ich tat mir selber weh! „Geschieht dir Recht. Was hast du bloß genommen? Deine Augen sehen furchtbar aus!“ Die Stimme kam schon wieder aus dem Nichts, ich versuchte sie zu orten, aber sofort wurde mir wieder unglaublich übel. Der Alkohol. Natürlich. „Wenn du kotzen musst tu das jetzt. Nicht in meinem Auto. Sonst schmeiß ich dich auf offener Straße raus und lasse dich da liegen, so wie du es eigentlich verdient hättest!“ Wer war das? Und warum war er so sauer? Hatte ich etwas angestellt? Ich konnte mich nicht daran erinnern. „Jetzt hör auf zu jammern und steig endlich ein. Ich will nach Hause. Du hast mir den ganzen Abend verdorben du dummer Idiot!“ Jemand packte mich unsanft am Arm und zog mich wieder auf die Füße. Ich hatte gar nicht bemerkt dass ich mich hingesetzt hatte. Kurz darauf fielen Autotüren knallend ins Schloss, ein Motor startete, und dann war ich plötzlich unterwegs. Wohin? Das war mir eigentlich egal. Hauptsache weg von hier. „Nick. Nicht einschlafen. Verstehst du überhaupt was ich sage? Was hast du genommen? Wenn du mir nicht gleich eine einigermaßen vernünftige Antwort geben kannst bringe ich dich ins Krankenhaus. Oder zur Polizei, das wäre auch noch eine Möglichkeit.“ Ich presste mir die Fäuste auf meine schmerzenden Augen und versuchte meine Zunge unter Kontrolle zu bringen. Antworten. Ich musste antworten! „Pille...ich habe eine Pille genommen. Bitte nicht zur Polizei. Die knasten mich sofort ein.“ stammelte ich mehr schlecht als Recht, jedes Wort kam wie eine schwere heiße Metallkugel aus meinem Mund gerollt. „Ich hab Mist gebaut.“ Der Jemand neben mir lachte trocken über mein mühevoll hervorgebrachtes Eingeständnis. „Ohja, das hast du. Und zwar mehr als einmal. Eigentlich heißt es ja Einsicht wäre der erste Weg zur Besserung, aber bei dir bezweifle ich das wirklich stark. Du bist ein überheblicher kleiner Alki, aber Danny liebt dich, und ich liebe meinen kleinen Bruder. Und deswegen bringe ich deinen besoffenen und zugedröhnten Hintern jetzt nach Hause und ins Bett. Das ist mehr als du eigentlich verdient hättest, du undankbarer Idiot.“ Die Fahrt war kurz und dauerte doch ewig. Mir war jegliches Zeitgefühl abhanden gekommen, und mir fielen immer wieder die Augen zu. Caleb hielt mich wach, und als wir endlich auf dem Hof ankamen hatte sich seine anfängliche Wut in ehrliche Besorgnis gewandelt. Wahrscheinlich hatte er noch nie einen Typen auf Drogen erlebt. Der glückliche. Er lenkte den Ford so nah ans Haupthaus wie es ihm möglich war, dann stieg er aus und half mir ebenfalls nach draußen. Das Licht des automatischen Bewegungsmelders sprang an und schoss mir sofort glühende Schmerzpfeile durch die Augen bis direkt in den Schädel, und ich hielt mir schützend den Arm vors Gesicht. „Zu...hell!“ stöhne ich, und Caleb legte mir schnell einen Arm um die Schultern. „Dann mach die Augen zu. Ich führe dich. Pass nur auf dass du nicht stolperst.“ Das war leichter gesagt als getan. Ich kannte mich in diesem Haus nicht aus, und ich war betrunken. Und nicht so ganz bei mir. Irgendwie schafften wir es unfallfrei die Treppe hinauf und in ein Schlafzimmer, so wie Caleb sich benahm wohl sein eigenes. Er schaltete eine kleine Schreibtischlampe an und warf sofort ein Kleidungsstück über die Lichtquelle als mir ein erneutes schmerzgepeinigtes Stöhnen entfuhr. „Ganz sicher dass du nur eine Pille genommen hast und nicht doch in einen Vampir verwandelt wurdest? Du machst mich echt fertig.“ mit einem Seufzen ging er vor mir in die Hocke und sah mir prüfend ins Gesicht. „Was? Ich bin kein Vampir!“ Sein forschender Blick machte mich nervös und ich rieb mir wieder über die Augen. „Das war auch nur ein Witz! Aber hey, immerhin bekommst du wieder einen ganzen Satz zusammen. Ich bin begeistert. Und jetzt hör bitte auf dir ständig über die Augen zu fahren, ich will sie mir ansehen.“ Caleb griff nach meinen Handgelenken und zog sie sanft von meinem Gesicht herunter, dann nickte er zufrieden und richtete sich wieder auf. „Immer noch unnatürlich geweitet, aber nicht mehr ganz so schlimm wie im Club. Das war echt furchterregend. Ich dachte dir hätte jemand die Augen ausgestochen oder so.“ „Sag doch sowas nicht, mir ist schon schlecht genug.“ ich hielt mir demonstrativ den Magen, dann griff ich mir wieder an den Kopf. Sprechen tat immer noch weh. Irgendwo tief drinnen. Vielleicht in meinen Ohren. „Kotz mir bloß nicht ins Zimmer. Da müssen wir heute Nacht noch schlafen. Hast du Kopfweh?“ „Ja. Mir tut alles weh. Ganz komisch. Erst dachte ich es wird besser, aber jetzt wird es wieder schlimmer.“ ich rieb mir die Schläfen, und Caleb seufzte. „Und ich dachte du hast Erfahrung mit Drogen. Da wäre dein lotterhaftes Leben einmal von Vorteil gewesen…“ „Mein Leben ist nicht lotterhaft! Ich kann ja nichts dafür dass du so verklemmt bist…!“ Unsere Stimmen waren lauter geworden, und jetzt hörten wir Schritte auf dem Flur. Wir sahen uns alarmiert an, aber da war es schon zu spät. Calebs Zimmertür öffnete sich einen Spalt breit, und Dannys dunkler Wuschelkopf erschien im Türrahmen. „Was ist denn hier so laut? Nicky?“ Er sah mich überrascht an. Dann wanderte sein Blick zu Caleb. „Wo ist deine Freundin? Wolltet ihr nicht in die Stadt?“ Nun war ich es der überrascht guckte. „Du hast eine Freundin?“ „Nein hab ich nicht, und Danny jetzt halt die Klappe und mach die Tür zu, ihr weckt das ganze Haus.“ knurrte Caleb wütend. Das Thema war ihm sichtlich unangenehm, und wäre es mir nicht so dreckig gegangen hätte ich sicher noch etwas nachgebohrt. So aber beließ ich es bei einem weiteren fragenden Blick, und fuhr mir dann sofort wieder hektisch über meine hämmernden Schläfen. Laute Stimmen fühlten sich an wie Folter. „Was hat Nicky denn? Und warum ist er hier?“ Nun galt die allgemeine Aufmerksamkeit wieder mir. Danny hörte sich nicht gerade glücklich darüber an mich zu sehen, und ich konnte es verstehen. Wir waren schließlich nicht gerade im guten auseinander gegangen. Caleb schien mit sich zu ringen wie viel er seinem kleinen Bruder erzählen sollte, und ich seufzte genervt. Er behandelte ihn ja selbst wie ein kleines Kind! „Sag ihm doch einfach die Wahrheit, ich denke er wird es verkraften. Er weiß doch schon längst was für eine gescheiterte Existenz ich bin.“ Ich warf Caleb einen herausfordernden Blick zu, und er erwiderte ihn giftig. Da ließ sich aber jemand ungern Vorschriften machen. Na sowas. „Schön, wenn du das willst. Selbst Schuld. Danny, Nick hat Drogen genommen und sie nicht so gut vertragen. Ich hab ihn in einem Club aufgesammelt und aus purer Selbstlosigkeit mit nach Hause genommen. Und jetzt ist er hier und ist anstrengend. Und undankbar.“ zählte Caleb mit gespielt herzloser Stimme auf, und ich knurrte leise. „Ich bin nicht undankbar, mir ist nur schlecht. Entschuldige bitte dass ich gerade nicht im Vollbesitz meiner geistigen Möglichkeiten bin um dir anständig Danke zu sagen.“ „Das bist du doch nie, soweit ich das sehe bist du entweder besoffen oder high. Gescheiterte Existenz trifft es wirklich gut. Auch wenn das eigentlich noch viel zu nett ausgedrückt ist.“ gab Caleb gereizt zurück, und ich sackte resigniert in mir zusammen. Auch wenn mir das nicht gefiel, er hatte leider recht. In letzter Zeit war ich wirklich selten komplett nüchtern gewesen, und wenn ich es war hatte ich entweder geschlafen oder mich verkrochen. „Tut mir Leid, ich bin ein Idiot. Aber jetzt hör bitte auf zu schreien, mir tun die Ohren weh.“ „Ich schreie doch gar nicht.“ Plötzlich klang Caleb wieder besorgt, und er musterte mich eindringlich. „Was auch immer du genommen hast, es scheint dir auf alle Sinne zu schlagen. Wenn es nicht so gefährlich wäre wäre es fast schon ein bisschen interessant.“ Er lachte bitter. Danny hatte uns die ganze Zeit schweigend beobachtet, jetzt ließ er sich vor mir im Schneidersitz nieder und beobachtete mich interessiert, aber misstrauisch. „Halluzinierst du auch?“ „Nein tu ich nicht, und ich höre auch keine Stimmen. Mir ist nur schlecht und ich bin sehr müde, und betrunken bin ich auch.“ Ich fühlte mich schon wieder angegriffen, und das hörte man wohl auch an meiner Stimme. Ich sah Danny entschuldigend an. „Sorry, ich will dich nicht anmeckern. Ich bin nur so fertig.“ „Dann sollten wir jetzt langsam alle mal schlafen gehen. Nick, du schläfst bei mir, ich will dich im Auge behalten, zumindest so lange bis du wieder bei klarem Verstand bist. Wenn das überhaupt jemals wieder passieren sollte. Und Danny, du…“ „Ich will das Nicky bei mir schläft!“ unterbrach Danny seinen Bruder, und der sah in erstaunt an. Dann schüttelte er den Kopf. „Das geht nicht, Nick steht unter Drogen. Wenn er durchdreht oder so dann…“ „Ich werde schon mit ihm fertig. Er ist doch viel kleiner und schwächer als ich!“ Na vielen Dank auch. „Und außerdem, wir haben schon mal zusammen in einem Bett geschlafen. Das geht schon.“ Caleb starrte seinen kleinen Bruder fassungslos an. „Was?!“ Perfektes Timing. Ich war nicht nur ein unter Drogen stehender Alki, sondern auch noch ein Kinderschänder. Meine Tage waren wohl doch gezählt. Jetzt würde Caleb mich umbringen. „Caleb, bleib ruhig, es ist nichts passiert. Wir haben nur in einem Bett geschlafen. Nach dem Kinobesuch. Dreh jetzt nicht durch.“ versuchte ich ihn zu beruhigen, und anscheinend glaubte er mir. Oder wollte mir glauben, wie auch immer. Hauptsache er brachte mich nicht um. „Nicky hat Recht. Wir haben einen Horrorfilm geschaut und dann habe ich bei ihm übernachtet. Kann er jetzt in meinem Zimmer schlafen?“ Danny blieb hartnäckig, und schließlich gab Caleb klein bei. Auch wenn es ihm sichtlich gegen den Strich ging. „Gut, dann nimm ihn mit. Aber wenn er irgendeinen Blödsinn macht holst du mich, verstanden?“ schärfte er Danny ein, und der nickte triumphierend. Gemeinsam verließen wir beide leise das Zimmer, und ich stellte zu meiner großen Erleichterung fest dass ich inzwischen wieder in der Lage war ohne Hilfe zu gehen. Immerhin etwas. Aber mir brannte noch was auf der Seele. „Warum hast du ihm von der Übernachtung erzählt? Das war nicht sehr clever.“ flüsterte ich fragend, und Danny zuckte leicht die Schultern. „Ich glaube ich wollte dir einfach eins auswischen weil Caleb jetzt wieder nett zu dir ist obwohl du das gar nicht verdient hast.“ flüsterte er genauso leise zurück. Ich zuckte getroffen zusammen. „Sorry.“ Dannys Zimmer war nur zwei Türen weiter, und es brannte Licht. „Mach das bitte aus, ich ertrag momentan kein helles Licht.“ bat ich und hielt mir schnell die Hände vors Gesicht. Danny kam meinem Wunsch nach, dann berührte er mich kurz am Arm. „Soll ich dir ein Shirt zum Schlafen geben oder schläfst du wieder in Unterwäsche?“ „Was wäre dir lieber?“ Danny wollte es nicht, aber er musste kichern. Wir schlüpften zusammen ins Bett und er breitete ein dünnes Laken als Decke über uns aus, dann sah er mir prüfend ins Gesicht. „Hast du wirklich Drogen genommen?“ fragte er leise, und ich nickte. Jetzt war mir die ganze Sache peinlich, aber Danny wollte ganz eindeutig darüber reden. Das hatte er verdient. Verdammt, mehr als das. „Ja, irgendeine Pille die Hunter mir gegeben hat. Ich kannte das Zeug nicht, aber es scheint ziemlich heftig zu sein. Jetzt geht es mir wieder einigermaßen gut, aber im Club dachte ich ich muss sterben.“ gestand ich ihm. Da fiel mir noch etwas ein. „Du hast Caleb nach einer Freundin gefragt. Was meintest du damit?“ „Ach, er hatte eine Verabredung. Mit irgend so einem Mädchen. Er wollte mit ihr in die Stadt. Aber scheint wohl nicht geklappt zu haben.“ Danny schien die ganze Sache nicht weiter zu interessieren, aber mich dafür umso mehr. Nur traute ich mich nicht noch weiter zu fragen, ich wollte Danny nicht auf die Nerven gehen. Unsere momentane Situation war dafür einfach viel zu fragil. „Triffst du dich jetzt trotzdem noch weiter mit Hunter?“ „Du meinst weil er mir die Pille gegeben hat? Nein, ich denke das lasse ich ab jetzt besser bleiben. Er ist ein noch schlechterer Einfluss als ich, und das will schon was heißen.“ „Gut.“ Danny seufzte erleichtert. „Ich hab dich nämlich vermisst.“   Die Wirkung der Droge ließ genauso schnell nach wie sie eingeschlagen hatte, und sie nahm sogar den größten Teil meines Katers mit. Ich war geheilt! Und zwar nicht nur von den fiesen Nebenwirkungen meines ersten und fürs erste auch letzten Clubbesuches, sondern auch von Hunter und seinem schlechten Einfluss. Der tauchte am Tag nach meinem Absturz natürlich direkt auf dem Hof auf, aber ich wimmelte ihn ab. Ich erzählte etwas von Hausarrest und vorläufiger Kontaktsperre weil ich mich nicht an die väterlichen Abmachungen gehalten hatte, und das schluckte er kommentarlos. Als der Camaro röhrend die enge Zufahrtsstraße hinunter donnerte war es als löste sich ein schwerer Felsblock von meiner Brust, und ich atmete erleichtert auf. „Na, trägt er´s mit Fassung?“ Caleb trat neben mich und blickte der Staubwolke hinterher die der getunte Flitzer auf der ausgetrockneten Landstraße hinterlassen hatte. Ich blies mir eine Haarsträhne aus der Stirn und zuckte mit den Schultern. „Ich denke schon. Schien ihn gar nicht weiter zu stören. Ich war wohl doch nur einer von vielen.“ „Mhm.“ Caleb überlegte, dann grinste er plötzlich. „Weißt du, früher hatten Piratenkapitäne so kleine Affen zu ihrer Belustigung, die saßen bei ihnen auf der Schulter und führten Kunststückchen auf…“ „Nennst du mich gerade einen Affen?“ meine Stimme klang drohend, aber Caleb ignorierte mich einfach. Er grinste noch breiter, dann fuhr er sich durch das unordentliche braune Haar und wandte sich von der Straße ab. „Ich hab noch zu tun. Wenn du dich nützlich machen willst kannst du mir helfen. Der Escort verliert Öl. Aber zieh dir lieber was an was dreckig werden kann, das bekommst du danach nie mehr sauber.“   Ich ging ins Haus und zog mich um, ich hatte keine alten Sachen, aber zumindest welche die ich verschmerzen konnte. Als ich wieder nach draußen kam lag Caleb bereits unter seiner schrottreifen Karre, und ich ließ mich mit untergeschlagenen Beinen neben ihm auf das vertrocknete Gras fallen. „Ich habe übrigens überhaupt keine Ahnung von Autos, wenn ich dich mal drauf hinweisen darf. Was genau soll ich dir denn helfen?“ „Du kannst mir das Werkzeug reichen, und mir eine Cola holen wenn ich danach verlange.“ Etwas knirschte laut unter dem Auto, und ich trag Caleb gegen das Schienbein. „Aua!“ „Ich bin nicht dein Laufbursche! Dass das mal klar ist. Und ich helfe dir nur weil du mich gestern aus dem Club gerettet hast. Bei dieser Schrotkarre ist doch eh schon alles zu spät.“ murrte ich verärgert. Caleb unterbrach seine Reparaturversuche und kam unter seinem Auto hervorgekrochen, setzte sich auf, und packte mich plötzlich mit ölverschmierten Fingern am Kinn. Er sah mir forschend ins Gesicht. „Was soll das?“ Ich drehte meinen Kopf weg und schlug seinen Hand beiseite. „Fass mich nicht an!“ „Ich wollte nur nachsehen ob du immer noch high bist. Damit ich weiß ob es an den Drogen liegt oder ob du auch nüchtern so respektlos zu mir bist. Aber wie ich sehe scheinst du wieder bei klarem Verstand zu sein, das heißt ich kann dir ohne schlechtes Gewissen eine reinhaun.“ Ich versuchte so schnell ich konnte rückwärts zu kriechen und gleichzeitig auf die Füße zu kommen, aber Caleb war natürlich schneller. Seine Finger gruben sich in mein Hosenbein, dann packte er mich mit beiden Händen am Knöchel und zog mich wieder zu sich heran. „Lass mich los!“ ich versuchte mit meinem freien Fuß nach ihm zu treten, aber Caleb wich meinen Verteidigungsversuchen geschickt aus. Auf seinem Gesicht lag ein unheilvoller Ausdruck. „Vergiss es. Niemand beleidigt ungestraft mein Auto. Damit hast du dir soeben selbst dein  Grab geschaufelt!“ Er griff hinter sich und brachte eine schmierige rote Plastikflasche zum Vorschein, dann setzte er sich auf mein gefangenes Bein und drehte den Schraubverschluss ab. Ich hörte ein leises zähes Schwappen, und es roch urplötzlich nach Öl. „Was hast du vor?“ fragte ich misstrauisch, hörte aber im gleichen Atemzug auf mich zu wehren. Gegen Caleb hatte ich sowieso keine Chance. Und ich wollte ihn nicht noch wütender machen. Der kippte die unheilvolle Flasche jetzt ein Stück, und ein zäher brauner Tropfen floss daraus hervor und landete auf meinem Hosenbein. „Das ist Motoröl. Und wenn du nicht willst dass das Zeug in deinen hübschen blonden Haaren landet entschuldigst du dich bei mir. Hast du mich verstanden?“ Er kam mir mit der Flasche gefährlich nah, und ich begann wieder wie wild zu zappeln. „Das wagst du nicht! Dein blödes Auto ist eine Schrottkarre, und das weißt du auch. Und jetzt lass mich los, oder ich rufe nach Hilfe!“ Ich stemmte meinen freien Fuß in den ausgetrockneten Boden und versuchte unter Caleb weg zu rutschen; langsam bekam ich Panik, aber der blieb ganz gelassen. Mit der Ölflasche in der Hand beugte er sich noch weiter nach vorn, dann stützte er sich mit der anderen auf meinem Brustkorb ab und drückte mich nach hinten. „Dann ruf mal, aber ich wette bis jemand hier draußen ist um dir zu helfen hast du schon die Hälfte davon in den Haaren. Versprochen.“ Die Flasche bekam immer weiter Schräglage, und ich wurde immer hektischer. Das konnte doch nicht wahr sein! Würde Caleb mir tatsächlich dieses Zeug über die Haare gießen? Das bekam ich doch nie wieder raus! Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war er jedenfalls zu allem bereit. „Weißt du was? Ich entschuldige mich, okay? Dein Auto ist spitze, und es wird sicher nicht nur noch von Rost zusammengehalten. Es ist das tollste Auto auf der Welt, und jetzt nimm bitte diese verdammte Flasche weg. Ich sage auch keinen Ton mehr!“ Die Verzweiflung in meiner Stimme war unüberhörbar, und endlich schien Caleb Mitleid mit mir zu haben. Er schraubte den Deckel betont sorgfältig wieder auf die Flasche, dann stellte er sie beiseite und gab mein Bein frei. Blitzschnell brachte ich einen Meter Abstand zwischen uns und wischte mir das glücklicherweise unversehrte Haar aus dem Gesicht. „Das war gemein.“ „Das war nötig. Und jetzt hol mir eine Flasche Cola, dir eine Lektion zu erteilen hat mich durstig gemacht.“   Obwohl ich Caleb diese Aktion wirklich sehr übel nahm blieb ich auch den Rest des Nachmittags bei ihm; wir redeten nicht mehr viel, aber wir stritten auch nicht. Das Ölproblem des Escorts erwies sich als reparabel, und als Danny am späten Nachmittag von seinem Ausflug mit zwei seiner Schulkameraden zurückkam war das Auto wieder fahrtüchtig und Caleb und ich saßen frisch geduscht und sauber neben der dunkelgrünen Karre im Gras und teilten uns die letzte Cola. „Gebt ihr mir auch was ab? Es war so super heiß, und wir sind nur Landstraße gefahren. Ich glaube ich habe einen Sonnenstich.“ Danny ließ sich neben uns ins Gras fallen und ich reichte ihm die fast leere Flasche. Er trank den Rest auf Ex. „Unser Nick hat Hunter heute übrigens den Laufpass gegeben. Er wird also wirklich wieder vernünftig.“ brachte Caleb seinen kleinen Bruder danach auf den neusten Stand, und der platzte fast vor Begeisterung. „Wirklich? Du bist nicht mehr mit ihm befreundet? Das ist toll! Nimmst du jetzt wieder Reitstunden bei mir? Du hast sicher schon alles vergessen was ich dir beigebracht habe!“ Ich versprach Danny ihn wieder als meinen Lehrer zu engagieren, und er stieß jubelnd die Fäuste in die Luft. Es war schön zu sehen wie einfach seine Welt wieder in Ordnung zu bringen war. Kapitel 7: #07 -------------- Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse; Hunter meldete sich nicht noch einmal, und ich begann mich wieder an das unaufregende Leben auf dem Hof zu gewöhnen. Danny gab mir fast täglich eine Reitstunde, und zu meiner Erleichterung war es damit wie mit dem Fahrradfahren: man verlernte es nicht so schnell. Wir machten sogar ein paar richtige Ausritte, nicht zum See, sondern in die Umgebung. Und ich bekam ein anspruchsvolleres Pferd zugewiesen; Columbia. Die Stute war zwar ebenfalls anfängergeeignet, aber nicht ganz so treudoof wie Teddy, und sie nahm mir den ein oder anderen Faux pas durchaus übel. Trotzdem hielt ich mich wacker, und Danny war sehr zufrieden mit mir.   „Caleb will seiner neuen Freundin jetzt auch Reitstunden geben. Wollen wir ihnen zu sehen? Mit Teddy.“ Diese Information traf mich vollkommen unvorbereitet. Ich hatte Columbia gerade auf die Koppel entlassen, für sie war für heute Feierabend, und Danny lehnte am Koppelzaun, einen Grashalm zwischen den Lippen. Ich sah ihn verblüfft an. „Also hat er doch eine Freundin.“ Danny zuckte die Schultern und blies den Grashalm aus. „Nee, nicht so richtig. Er will schon was von ihr, denke ich. Aber das dauert wohl noch. Wollen wir jetzt zugucken gehen?“ Natürlich konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.   Caleb und seine Beinahe-Freundin befanden sich hinter dem Haupthaus auf dem zweiten Reitplatz, sie drehte bereits auf Teddy eine Runde, und Danny und ich stellten uns nah an den Rand um bei der Unterrichtsstunde nicht zu stören. Keiner von beiden schien uns zu bemerken. „Sie ist hübsch, oder? Fast ein bisschen wie du.“ Stellte Danny fest, und ich schnaubte verächtlich. „Ich seh nicht aus wie ein Mädchen, aber ja, sie ist hübsch.“ Das war sie wirklich. Sie hatte langes blondes Haar mit ein paar dunkleren Strähnen darin welches sie zu einem unordentlichen Knoten im Nacken zusammen gebunden hatte. Ein gerader, wenn auch vom Wind zerzauster Pony fiel ihr in die Stirn und die hellen Augen, sie trug ein fliederfarbenes Shirt mit Kapuze und halblange schwarze, eng anliegende Shorts. Ja, sie war hübsch. War ich eifersüchtig? Vielleicht ein bisschen. Wir blieben noch bis zum Ende der Reitstunde, Caleb hatte uns inzwischen bemerkt, und so kamen die zwei nach Beendigung des Unterrichtes zu uns herüber, Teddy trottete am Zügel artig hinterher. Als das Pony mich entdeckte wieherte es schrill und machte plötzlich mehrere schnelle Schritte in Richtung Zaun, dann blies es mir übermütig ins Gesicht. „Hey lass das!“ ich wich schnell zurück und wischte mir mit dem Arm den Pferdesabber ab. „Sei nicht so empfindlich Nick. Freu dich doch. Teddy wird der einzige sein der dir deine Untreue nicht übel nimmt.“ Stichelte Caleb grinsend, und ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Da wollte wohl jemand vor seiner neuen Flamme witzig sein. „Bist du Teddy früher geritten? Tut mir Leid wenn ich ihn dir jetzt wegnehme.“ Schaltete sich plötzlich die neue unbekannte ein. Ich sah sie überrascht an. Jetzt erst bemerkte ich ihre strahlend grünen Augen und die Sommersprossen auf ihrer Nase. Und den Aufdruck auf ihrem Shirt. Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Schon okay. Er scheint es ja gut zu verkraften. Magst du die Band?“ ich deutete auf ihr Shirt, und sie nickte begeistert. „Ja, ich liebe sie! Sie sind die allerbesten! Kennst du sie etwa auch?“ Wir schlenderten zurück zum Hof; Marielle, wie sich die neue Reitschülerin vorstellte, eifrig mit mir schwatzend vorne weg, Danny und Caleb mit Teddy hinterher. Ich musste meine erste Einschätzung revidieren, ich mochte Calebs Angebete nun doch. Wir hatten den gleichen Musikgeschmack, wir waren beide lausige Reiter, und wir kamen beide aus der Stadt. Das waren eine ganze Menge Gemeinsamkeiten. Während die beiden Brüder Teddy erst absattelten und dann auf die Koppel entließen lud ich Marielle auf eine Cola bei den Liegestühlen ein, und sie nahm die Einladung nur zu gerne an. Offensichtlich hatte ich jetzt eine neue Freundin, und nicht Caleb. Der hatte unser angeregtes Gespräch mit verkniffener Miene verfolgt, jetzt kam er mit Danny im Schlepptau wieder zu uns herüber, nahm mir die Cola aus der Hand und setzte sich neben Marielle auf den Liegestuhl. „Hey, was soll das? Hol dir eine eigene!“ schimpfte ich und versuchte ihm die Flasche wieder abzunehmen, aber Caleb hielt sie spöttisch grinsend außerhalb meiner Reichweite. „Ich will nur einen Schluck, reg dich ab.“ Marielles Gegenwart ließ ihn anscheinend wieder zu einem Arschloch mutieren. Er trank die Hälfte meiner Cola aus, dann gab er mir die fast leere Flasche wieder zurück. „Idiot.“ Marielle hatte das Schauspiel schweigend beobachtet, jetzt wandte sie sich wieder an mich. Auf ihrem Gesicht lag ein irgendwie verlegener Ausdruck. „Sag mal Nicky, darf ich dir mal die Haare machen? Die sind echt wundervoll, und ich will Friseuse werden, weißt du? Da träum ich von Haaren wie deinen.“  Das kam unerwartet. Meine Hand wanderte automatisch zu meinen wirren blonden Strähnen, sie reichten mir inzwischen bis weit über die Schulterblätter, aber wirklich Gedanken hatte ich mir darüber noch nie gemacht. Wenn sie mir zu lang wurden schnitt ich sie mir immer einfach selber ab, mit einer normalen Bastelschere. „Lass sie doch machen Nick. Wer weiß, vielleicht siehst du dann nicht mehr aus wie ein Mädchen.“ meinte Caleb gehässig, aber Marielle fiel ihm sofort ins Wort. Ihre Stimme klang empört. „Nicky sieht gar nicht aus wie ein Mädchen! Er sieht toll aus! Und die langen Haare stehen ihm. Ich würde sie ihm garantiert nicht abschneiden, nur ein bisschen…Frisur reinbringen.“ Wäre es nicht so kindisch gewesen hätte ich Caleb jetzt die Zunge rausgestreckt. Er erdolchte mich praktisch mit Blicken. „Ähm, Marielle, du weißt schon das Nicky schwul ist, oder?“ warf Danny plötzlich zaghaft ein, und ich stieß ihn unsanft mit dem Ellenbogen in die Seite. Musste er denn alles ausplaudern? „Klar weiß ich das, genau wie der Sänger unserer Lieblingsband!“ Marielle strahlte mich an, dann beugte sie sich nach vorn und ergriff meine Hände. Auf ihrem Gesicht lag ein feierlicher Ausdruck. „Nicky, möchtest du ab heute mein schwuler bester Freund sein? Ich wollte schon immer einen schwulen besten Freund haben! Dann können wir zusammen shoppen gehen, und über Jungs ablästern…“ sie geriet richtig ins Schwärmen. Dann zwinkerte sie mir verschwörerisch zu. „Und wir könnten uns gemeinsam gegen Caleb verbünden. Wie fändest du das?“ Caleb wollte gerade etwas einwerfen, da schnitt Marielle ihm zum zweiten Mal an diesem Nachmittag einfach das Wort ab. Sie wurde mir immer sympathischer. „Warum bist du eigentlich immer so gemein zu Nicky? Erst auf der Reitbahn auch schon. Seit ihr zerstritten?“ sie sah ihn prüfend an, und ich lachte mir insgeheim ins Fäustchen. Wie würde Caleb sich da nur wieder herauswinden? Aber Danny nahm ihm die Antwort ab indem er einfach das Thema wechselte. Glück für den unfreundlichen Idioten. „Aber Nicky ist mein bester Freund, er kann nicht deiner sein.“ Meinte er trotzig, und ich legte ihm schnell einen Arm um die Schulter. „Natürlich bin ich das, und du wirst auch immer meine Nummer eins bleiben.“ Beruhigte ich Danny und drückte ihn kurz an mich. Das war die perfekte Gelegenheit für Caleb mir doch noch eins reinzuwürgen. Darauf hatte er gewartet. „Da wäre ich mir aber nicht so sicher. Nick ist nämlich ziemlich schnell darin seine Freunde zu ersetzen wenn sie ihm zu langweilig werden, nicht wahr?“ er zwinkerte mir gehässig zu und ich feuerte natürlich sofort wütend zurück. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. „Wirfst du mir  das jetzt bis in alle Ewigkeit vor oder was? Erzähl Marielle doch gleich alles über mich, na los! Zeig ihr was für ein toller Hecht du bist!“ Ich war aufgesprungen und funkelte Caleb wütend an, dann drehte ich mich um und stapfte in Richtung Hoftor davon. „Nicky warte!“ Danny eilte mir hinterher, aber ich wurde erst langsamer als ich die Einfahrt hinter mir gelassen und Caleb und Marielle außer Sichtweite verschwunden waren. Ich war so wütend! Eigentlich hatte ich gedacht dass Caleb und ich uns einigermaßen versöhnt hätten, aber dem war wohl nicht so. Stattdessen hatte er die erstbeste Gelegenheit genutzt um mich vor Marielle lächerlich zu machen, und so wie es aussah war es ihm auch gelungen. Immerhin war ich derjenige der feige davongestürmt war, und nicht er. Danny hatte mich inzwischen eingeholt und lief schweigend neben mir her, das war ungewöhnlich, und so machte ich meinen unrühmlichen Gedanken ohne Unterbrechung Luft. „Dein Bruder ist so ein verdammtes Arschloch! Ich hab mich doch schon entschuldigt! Mehrmals! Aber nein, er muss es mir ja wieder aufs Butterbrot schmieren! Ich sollte ihm die Reifen zerstechen, oder irgendwas in den Tank kippen.“ Ich wütete noch eine ganze Weile weiter, und erst als wir am Ende der Zufahrtsstraße angekommen waren unterbrach Danny mich schüchtern. „Sei meinem Bruder doch nicht so böse. Er meint das gar nicht so. Ich glaube er ist nur traurig weil Marielle sich nicht für ihn interessiert. Er kann es bloß nicht sagen.“ Danny sah mich flehend an, und ich fühlte mich sofort wie ein unsensibler Trampel. Natürlich war Caleb deswegen so unfair zu mir gewesen. Das wusste ich doch selber. Ich hatte ihm praktisch die Freundin ausgespannt, und zwar noch bevor sie überhaupt zusammen gekommen waren. Trotzdem ärgerte es mich wie er sich mir gegenüber benommen hatte. Das war ebenfalls nicht nett gewesen. Und es hatte mich in ein schlechtes Licht gerückt. „Aber muss er deswegen so auf mir rumhacken? Ich kann doch nichts dafür das Marielle mich lieber mag als ihn. Und wäre er ein bisschen netter zu mir gewesen wäre sie sicher auch netter zu ihm.“ verteidigte ich mich, aber ich merkte schon wie meine Wut mit jedem Schritt den wir gingen weniger wurde. Wer war nun das größere Arschloch? „Komm, lass uns zurückgehen. Vielleicht ist Marielle noch da.“   Wir trafen weder Marielle noch Caleb an, die Liegestühle waren verlassen, und so verabschiedeten wir uns ebenfalls voneinander. Ich versprach Danny noch einmal mit seinem Bruder zu reden, ob ich mich dabei auch bei ihm entschuldigen würde, das konnte ich nicht versprechen. Meine Stimmung war gedrückt als ich an diesem Abend ins Bett ging, kurz davor hatte ich mich noch einmal eindringlich im Badezimmerspiegel betrachtet, und ich musste Marielle leider Recht geben. Meine Haare hatten eine Behandlung dringend nötig. Durch die starke Sommersonne und die vielen Stunden die ich unter freiem Himmel verbrachte waren sie deutlich heller geworden als normal; sie fielen mir in dicken Wellen über Schultern und Rücken und begannen sich an den Spitzen bereits zu locken. Ich sah wirklich aus wie ein Mädchen.   Am nächsten Morgen drückte Danny mir noch vor unserer gemeinsamen Reitstunde einen kleinen gefalteten Zettel in die Hand. „Was ist das? Du musst mir keine Liebesbriefe schreiben.“ Ich versuchte witzig zu sein, aber Danny verzog nur unwillig das Gesicht. Es sah aus als hätte er unvermittelt auf etwas saures gebissen. „Der ist von Marielle, das ist ihre Telefonnummer. Du sollst sie anrufen wenn du über ihr Angebot nachgedacht hast.“ Ich steckte den Zettel ungelesen in meine Hosentasche. „Hat Caleb dir den gegeben?“ Danny nickte. „Ohje.   Tatsächlich war mein Verlangen danach mich mit Caleb zu unterhalten eher gering; wenn ich Dannys Einschätzung glauben durfte war er immer noch furchtbar wütend auf mich, aber ich hatte es ja versprochen. Und daran erinnerte Danny mich praktisch laufend. Nicht einmal meine berechtigt geäußerte Befürchtung dass sein Bruder höchstwahrscheinlich Hackfleisch aus mir machen würde wenn ich ihm in nächster Zeit unter die Augen kam schmetterte er mit ungewöhnlicher Vehemenz ab. „Ihr MÜSST reden! Ich habe es satt dass ihr euch dauernd streitet. Und ich steh immer dazwischen und muss mir euer Gemecker anhören. Ihr seid beide schrecklich!“ er stapfte wütend davon, den verwirrt winselnden Leo dicht auf den Fersen. Also gab ich mich geschlagen. Lieber Hackfleisch als ein wütender Danny. Ich fand Caleb hinter dem Pferdestall, er trug dicke Lederhandschuhe und entfernte gerade eine dornige Hecke die direkt an der Stallwand wuchs. Er sah dabei nicht besonders glücklich aus. Perfekte Voraussetzungen. „Danny hat gesagt ich soll mich bei dir entschuldigen.“ „Und was sagst du?“ „Das du ein Idiot bist und es gar nicht verdient hast dass man sich bei dir entschuldigt.“ Caleb unterbrach seine Arbeit und drehte sich zu mir um, mit einem von Dornen zerstochenen Unterarm wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Und warum bist du dann hier wenn du dich eigentlich gar nicht entschuldigen willst?“ er klang nicht wütend, eher genervt. Am liebsten hätte ich ihm eine weitere patzige Antwort gegeben, aber ich hielt mich zurück. Ich hatte es Danny schließlich versprochen. Also riss ich mich zusammen. Auch wenn es mir unglaublich schwer fiel. „Weil ich ein schlechtes Gewissen habe, darum. Ich hätte dir nicht die Freundin ausspannen dürfen, das war unfair. Aber du hättest mich auch nicht so beleidigen müssen!“ Caleb verzog das Gesicht und schnaubte abfällig. „Du kannst mir niemanden ausspannen Nick, du bist schwul.“ Jetzt war ich es der wütend wurde. Das hatte sich fast angehört wie eine Beleidigung, und darauf reagierte ich äußerst allergisch. „Weißt du was? Vergiss es einfach, ich geb´s auf. Ich wollte Danny einen Gefallen tun und mich mit dir versöhnen, aber du bist echt unmöglich! Mit dir kann man sich gar nicht vertragen!“ Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte davon. Nun waren beide sauer auf mich, Caleb und Danny. Ich hatte es mal wieder vollkommen verbockt.   Ob nun aus Trotz oder weil ich es wirklich wollte, ich rief Marielle an, und zwei Tage später holte sie mich zusammen mit ihrer älteren Schwester auf dem Hof ab und wir fuhren zu ihnen nach Hause. Marielle´s Eltern wohnten in einem hübschen freistehenden Häuschen umgeben von Feldern und leeren Weiden, in ihrem Garten gab es eine Grillecke und einen schönen ebenerdigen Pool, und eine Voliere mit vielen laut zwitschernden Kanarienvögeln. „Das ist ja krass.“ Ich bewunderte die auffälligen Farben ihres Gefieders, und Marielle lachte. „Die gehören meiner Mutter, sie züchtet sie. Ich finde sie nur laut und nervig, aber besser als gar keine Haustiere.“ Für unsere Haarschneide-Session begaben wir uns auf eine mit einem Sonnensegel überspannte Terrasse; Marielle hatte bereits alles vorbereitet, und ich war überrascht wie professionell sie bereits ausgestattet war. Auf einem kleinen runden Tisch lagen die verschiedensten Scheren und Kämme, es gab einen Rasierapparat und einen Föhn, und einen langen schwarzen Plastikumhang den sie mir sofort um den Hals legte. „Sooo, ich werde nicht allzu viel verändern, ich hab dir ja schon gesagt dass dir lange Haare gut stehen. Aber so ein bisschen…“ Ich ließ sie machen, ich traute ihr einfach zu dass sie mich nicht entstellen würde, und außerdem hatte mir ihre große Schwester auf der Autofahrt mehrmals versichert wie talentiert Marielle in diesen Dingen war. Es dauerte knapp eine halbe Stunde in der wir größtenteils belanglosen Smalltalk führten, dann nahm Marielle mir den Umhang wieder ab, schüttelte ihn kräftig in Richtung Wiese aus, und zog mich von dem kleinen Hocker hoch auf dem ich die ganze Zeit praktisch regungslos verharrt hatte. „Komm, wir gehen ins Haus, im Flur hängt ein großer Spiegel, da kannst du dein neues Ich in vollem Umfang bewundern!“ sie strahlte übers ganze Gesicht und führte mich an der Hand durch die Terrassentür nach drinnen. Das Haus war still und kühl, und sehr sehr modern. Fast wie aus einem Hochglanzprospekt für Schöner Wohnen. Auf halber Strecke kam uns Marielles Schwester entgegen, sie grinste uns an und hob beide Daumen. „Sieht super aus!“ „Nichts sagen, er hat sich doch selbst noch gar nicht gesehen!“ wies Marielle sie hektisch zurecht, dann zog sie mich weiter und platzierte mich schließlich mittig vor einem mannshohen, goldgerahmten Spiegel. „Na, was sagst du? Super oder?“ sie strahlte mich mit glänzenden Augen an, und ich nickte benommen. Es hatte sich nicht nach einer großen Veränderung angefühlt, aber das Ergebnis war verblüffend. Marielle war wirklich begabt. „Ich sehe ganz anders aus…“ murmelte ich leise und berührte vorsichtig mein Haar. „Nicht anders, besser!“ Mein Haare waren immer noch lang, aber Marielle hatte ihnen tatsächlich so etwas wie Form verleihen können. Oben waren sie jetzt dicker als unten und leicht gestuft, und ich hatte einen schrägen Pony der mir über Stirn und am Rand ein bisschen über die Augen fiel. Ich sah fantastisch aus! „Ich hab dir ja gesagt dass meine Schwester Talent hat. Eigentlich hätte man vorher-nachher-Bilder machen müssen! Aber ist jetzt auch egal, ich hab euch beiden Caipis auf die Terrasse gestellt. Bleibst du noch zum Abendessen Nicky? Wir wollen grillen.“ Natürlich nahm ich die Einladung an; selbst wenn ich es Marielle nicht schuldig gewesen wäre, ihre Familie war einfach unglaublich herzlich, und ihr kleiner Bruder den ich beim Abendessen auch noch kennen lernen durfte wollte mich gar nicht mehr gehen lassen. Der kleine Knopf weinte bittere Tränen als ich mich verabschiedete, und ich musste ihm versprechen bald wieder zu kommen um mit ihm zu spielen. Marielles Schwester für mich heim, wir schwiegen die ganze Fahrt, aber es war ein angenehmes Schweigen. Nachdem sie mich zu Hause abgesetzt hatte verschwand ich sofort auf mein Zimmer, Lilly und mein Vater sahen im Wohnzimmer fern, keine Ahnung ob sie bemerkten dass ich wieder da war. Ich zog mich aus und sprang schnell unter die Dusche, dann holte ich mir frische Unterwäsche aus dem Kleiderschrank und legte mich auf mein Bett. Durch die neue Frisur sah ich wirklich verändert aus. Nicht mehr so...wild. Und der Schnitt betonte meine Augen. Marielles Mutter hatte mich einen „Elf wie aus einer Sage“ genannt; ich war mir nicht sicher ob das nun besser oder schlechter als Boticelli-Engel war, aber ich nahm es einfach als Kompliment. Immerhin war die Bezeichnung „Elf“ männlich, oder nicht? Ich wir gespannt was mein Vater und Lilly morgen sagen würden. Schade dass ich mit Caleb und Danny schon wieder verkracht war, deren Reaktion hätte ich auch nur zu gern gesehen. Lilly und mein Vater waren erst sprachlos, dann begeistert. Meine Stiefmutter bat mich sogar um Marielles Telefonnummer, sie meinte so einem talentierten Mädchen wie ihr würde sie auch gern mal Modell sitzen. Nach dem Frühstück fuhren wir alle drei gemeinsam in die Stadt, mein Vater wollte im Baumarkt Pflanzenerde besorgen, und Lilly überredete mich mit ihr solange durch das Einkaufszentrum zu schlendern. „Du hast kaum Anziehsachen mitgebracht als ihr hergezogen seid, was hältst du davon wenn wir ein bisschen shoppen gehen?“ Ich musste lachen. „Das will Marielle auch noch mit mir machen, sie sagt ich bin jetzt ihr schwuler bester Freund, und die tun sowas.“ Lilly stimmte in mein Lachen ein, dann hakte sie sich bei mir unter und gemeinsam stürmten wir die Läden. Mein Vater wartete bereits ungeduldig am Auto auf uns als wir endlich eintrafen, es war bereits nach 12 Uhr, und auf dem Autodach standen vier fetttriefende Tüten einer bekannten Fastfood-Marke. „Euer Essen ist kalt.“ teilte er uns schlecht gelaunt mit, aber Lilly strahlte ihn nur glänzenden Augen an. Ihre gute Laune war fast so unerschöpflich wie Dannys. Der Gedanke an meinen eigentlich besten Freund dämpfte meine eigene gute Laune ein bisschen, aber kurz darauf saß ich bereits kauen und umringt von prall gefüllten Einkaufstüten auf der Rückbank des Volvos und musste über Lilly grinsen die sehr zum Missfallen meines Vaters die aktuellen Charts mitgrölte. Ich brachte meine neuen Klamotten direkt auf mein Zimmer, zog eines der neuen Shirts über (dunkelgrau, mit Kapuze und hellgrauer Bauchtasche) und hüpfte danach die Treppen wieder hinunter. Der Tag war noch jung, aber ich ziemlich planlos. „Geh doch schwimmen wenn dir so langweilig ist. Aber sei zum Abendessen zurück. Wir wollen grillen.“ Alleine zum See zu laufen stellte ich mir ziemlich öde vor, aber mir fielen auch keine ansprechenderen Alternativen ein. Also lief ich noch einmal zurück in mein Zimmer, tauschte Shorts gegen Badehosen, holte mir ein Handtuch aus dem Bad, stopfte es zusammen mit einer Flasche Wasser (Cola wurde zu schnell warm) in meinen schon ziemlich abgeranzten Rucksack, und machte mich auf den Weg zum See. Zu Fuß kam mir die Strecke deutlich länger vor als zu Pferd, und ich war vollkommen durchgeschwitzt als ich den See endlich erreicht hatte. Alleine schwimmen machte nur halb so viel Spaß wie in Gesellschaft; nachdem ich drei Runden um den See geschwommen war watete ich patschnass und frierend wieder ans Ufer und suchte mir mit meinem Handtuch einen der wenigen Sonnenflecken den das dichte Laubwerk bis zum Waldboden durchließ. Dort breitete ich mich aus und wartete bis ich anfing von selber zu trocknen. Marielle hatte mich gefragt ob es mich stören würde wenn sie weiter bei Caleb Reitunterricht nehmen würde; mir war das egal, er war ja mit mir zerstritten und nicht mit ihr. Und das war inzwischen fast ein Dauerzustand. Nur dass ich Danny enttäuscht hatte, das nagte ziemlich an mir. Er war nicht richtig sauer auf mich, nur irgendwie…niedergeschlagen. Klar war es für ihn einfacher wenn Caleb und ich uns gut verstanden, er saß ständig zwischen den Stühlen, aber verdammt nochmal, es war so schwierig! Caleb machte es mir wirklich nicht leicht ihn zu mögen. Rein vom Äußerlichen her fand ich ihn immer noch anziehend, aber sein Verhalten mir gegenüber war schwer zu ertragen. Wir bekamen uns ständig in die Wolle; er war herablassend, ich war respektlos. Keine gute Mischung. Ich drehte mich auf den Rücken und blickte hinauf in die Baumkronen. Inzwischen war ich schon fast wieder trocken. Zeit heimzugehen. Ich packte meine wenigen Sachen zusammen, zog mir das neue T-Shirt über den Kopf, und machte mich dann direkt auf den Heimweg. Als ich aus dem Wald heraustrat bemerkte ich dass sich der Himmel über mir bedrohlich verfärbt hatte. Grauschwarze und violette Wolken türmten sich am Horizont, die Luft war plötzlich drückend und schwül. So wie es aussah würden unsere heutigen Pläne fürs Abendessen sprichwörtlich ins Wasser fallen. Ich beschleunigte meine Schritte und schaffte es gerade noch rechtzeitig auf den Hof bevor das Unwetter losbrach. Die ersten dicken Tropfen fielen als ich mir gerade im Flur die Schuhe von den Füßen streifte. In der Küche hatten Lilly und mein Vater bereits sämtliche Pfannen auf dem Herd verteilt und organisierten erstaunlich gut gelaunt ein alternatives Indoor-Grillfest. Nach dem Essen siedelten wir alle drei satt und zufrieden ins Wohnzimmer über; ich überließ Lilly und meinem Vater die neue Couch und nahm mit dem alten durchgesessen Flickensessel vorlieb den meine Schwiegermutter aus Nostalgiegründen nicht hatte entsorgen können. Er roch ein bisschen seltsam und staubig, war aber trotz der ausgeleierten Polsterung erstaunlich bequem „Was wollen wir schauen? Aber bitte keinen Horrorstreifen, dann kann ich wieder nächtelang nicht schlafen.“ Mein Vater zog ein enttäuschtes Gesicht, aber schließlich konnten wir uns auf einen etwas seichteren Psychothriller einigen. Den würde sogar Lilly verkraften. Das Intro war kaum vorüber, da klingelte es an der Haustür. Wir sahen uns überrascht an, dann erhob mein Vater sich von der Couch um nachsehen zu gehen wer zu dieser ungewöhnlichen Zeit und bei diesem miesen Wetter störte. Es war Danny. Er stand ein bisschen hilflos im Türrahmen nachdem mein Vater ihn hereinbegleitet hatte, und Lilly lächelte ihm einladend zu. „Möchtest du uns bei unserem Filmeabend Gesellschaft leisten? Der Film läuft erst seit ein paar Minuten, du hast also noch nichts verpasst.“ Danny warf mir einen fragenden Blick zu; noch hatten wir uns noch nicht offiziell wieder vertragen, aber ich nickte lächelnd und streckte die Hand nach ihm aus. „Komm, wir setzen uns einfach vor dem Sessel auf dem Boden, dann haben wir genug Platz.“ Ich rutschte vom Polster und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Möbelstück, und Danny kam zögernd zu mir herüber. Als er sich neben mich setzte lehnte ich mich kurz zu ihm herüber und flüsterte ihm leise fragend ins Ohr. „Wolltest du mich allein sprechen?“ Er schien zu überlegen, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. „Nein, eigentlich wollte ich dich nur sehen. Schöne Frisur übrigens.“ Ein wohlig warmes Gefühl durchrieselte mich, und ich legte spontan einen Arm um Dannys Schultern. Er seufzte leise und lehnte  seinen Kopf an mich. Zwischen uns war offensichtlich alles wieder in Ordnung, und das machte mich unglaublich glücklich. Schade dass es mit Caleb nicht auch so einfach war.   Natürlich blieb Danny über Nacht. Der Regen trommelte so laut auf das Dach dass wir uns kaum verständigen konnten; noch ein Nachteil eines Dachgeschosszimmers. Aber wir wollten eh nicht mehr besonders viel reden. Gemeinsam krochen wir unter die Bettdecke und ich löschte das Licht. „Küsst du mich nochmal?“ Danny sah mich mit großen Augen an, und nach kurzer Überlegung tat ich ihm den Gefallen. Warum auch nicht? Ich empfand nichts für ihn, nur brüderliche Freundschaft, und auch Danny hatte mir bereits mehrmals versichert dass er viel eher auf Mädchen stand. An mir war nicht besonders viel unschuldig, aber diese Küssen waren es schon.   Der nächste Tag begann spät; das trübe Wetter und das fehlende Sonnenlicht hatten wohl auch Dannys innere Uhr außer Gefecht gesetzt, wir schliefen beide bis nach 9 Uhr, dann weckte uns Leos Gebell und lautes Gefluche. „Was ist denn da los?“ ich gähnte ausgiebig und fuhr mir mit beiden Händen schlaftrunken über das Gesicht. Danny war natürlich bereits auf den Beinen und lehnte sich zu einem der hofseitigen Fenster hinaus. „Der Hof steht unter Wasser, und Calebs Auto steckt fest. Er flucht ganz schön.“ Wir zogen uns an, schnappten uns in der Küche im Vorbeigehen jeder ein trockenes Brötchen vom Vortag und liefen danach barfuß nach draußen. Bei diesem Wetter wäre jedes Schuhwerk eh innerhalb von Sekunden durchgeweicht. „Bekommst du ihn raus?“ Danny war zuerst am Auto, ich hielt lieber einige Meter Abstand und kaute an meinem kargen Frühstück. Ein schlecht gelaunter Caleb war eigentlich der letzte dem ich jetzt unter die Augen kommen wollte. Tatsächlich warf er mir nur einen überaus missmutigen Blick zu, stutzte kurz als er mein neues Erscheinungsbild bemerkte, und überging dieses dann kommentarlos. „Keine Chance, der steht fast bis zum Unterboden im Matsch. Verdammt!“ wütend trat Caleb gegen einen der eingesunkenen Reifen, und Danny und ich zuckten erschrocken zusammen. Wenn er sogar gegenüber seinem geliebten Auto handgreiflich wurde, dann lag wirklich etwas im Argen. Nun wagte ich es doch mich vorsichtig einzuschalten. „Wenn du irgendwo dringend hinmusst kann ich auch meinen Vater oder Lilly fragen ob sie dir ein Auto leihen. Die stehen noch auf dem Trockenen.“ Ich konnte genau erkennen wie ungern Caleb mein Angebot annahm, aber offensichtlich brauchte er dringend einen fahrbaren Untersatz. Wenig später fuhr er mit dem Volvo meines Vaters vom Hof, und Danny und ich hockten uns auf die Schwelle vor der Haustür und wischten uns den klebrigen Matsch von den Füßen. „Ich glaube er wollte zu Marielle, die beiden haben gestern Abend noch telefoniert. Sie ist ihm anscheinend sogar wichtig als sein Auto.“ Meinte Danny plötzlich, und ich sah ihn verwundert an. Der Klang seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Hörte ich da etwa so etwas wie Traurigkeit heraus? „Stört dich das?“ Er zuckte die Schulter, sah mich dabei aber nicht an. „Ich weiß nicht, vielleicht. Jeder hat hier irgendwen, erst hattest du J. und dann Hunter und Caleb hat jetzt Marielle. Und ich? Ich hab gar keinen.“ Jetzt klang er eher trotzig als traurig, und ich stieß kurz mit meiner Schulter gegen seine. Kaum zu glauben, Danny der Trauerkloß. „Du hast doch mich! Wir sehen uns beinahe täglich, du gibst mir Reitstunden, darfst in meinem Bett schlafen, darfst mich küssen…“ zählte ich betont gut gelaunt auf, aber Danny schnaubte nur verächtlich. Ohje, dem schien wirklich etwas über die Leber gelaufen zu sein, nur was? Ich hatte keinen blassen Schimmer. „Ja, solange bis du jemanden findest mit dem du dann zusammen bist. Dann brauchst du mich nicht mehr. So wie Caleb. Der denkt auch nur noch an Marielle.“ „Naja, vielleicht lebe ich dann polygam…“ versuchte ich die Stimmung ein bisschen aufzulockern. Danny warf mir einen wütenden Blick zu. „Hör auf Witze zu machen, ich meine das ernst. Du machst dich immer nur über mich lustig! Nur weil ich nicht so viel Erfahrung habe wie du heißt das nicht das ich dumm bin! Du behandelst mich wie ein Kind! Ich bin fast genauso alt wie du!“ er sprang auf und wollte davon stürmen, aber ich bekam ihn am unteren Rand seine T-Shirts zu fassen und hielt ihn fest. Es war mir ein Rätsel wie die Situation so schnell hatte aus den Fugen geraten können, aber so wie es aussah hatte sich da einiges in Danny angestaut. Er war wohl doch nicht ganz der unkomplizierte Optimist für den ich ihn immer gehalten hatte. Jetzt wischte er sich verstohlen mit dem Unterarm über die Augen, dann ließ er sich langsam wieder neben mir auf die Türschwelle sinken. Ich legte einen Arm um ihn und lehnte meine Stirn gegen seine Schläfe. Dannys Wangen waren tränennass. „Ich mach mich nicht über dich lustig mein Schatz, und ich halte dich auch nicht für dumm. Ich mag dich wirklich sehr, und selbst wenn ich irgendwann mal wieder einen festen Freund haben sollte, wird der dich niemals ersetzen können! Und Caleb meint das alles sicher auch nicht so. Der ist frisch verliebt, der kann gar nicht mehr klar denken. Nimm es ihm nicht übel. Er kriegt sich schon wieder ein.  Und was deine fehlende Erfahrung angeht…“ ich legte eine Hand an Dannys Kinn und drehte sein Gesicht wieder in meine Richtung, dann küsste ich ihn kurz und sanft auf den Mund. „…sei froh dass du noch so unerfahren bist, mich hat man viel zu früh verdorben.“ Ich machte ein gespielt nachdenkliches Gesicht, dann zwinkerte ich Danny zu. „Wer weiß, vielleicht wäre ich nicht so ein unsensibles Arschloch wenn ich mich in meinen jungen Jahren ein bisschen mehr zurückgehalten hätte.“   Den Rest des Tages verbrachten wir im Haus und vor dem Fernseher; die umfangreiche DVD-Sammlung meines Vaters kam uns da wirklich zu Gute. Dannys Laune besserte sich von Stunde zu Stunde, und als Caleb am frühen Abend den Volvo wieder zurückbrachte lachte er bereits wieder.   Marielle rief mich kurz nach 21 Uhr an, sie würde, wenn das Wetter sich besserte, am nächsten Tag für eine Reitstunde bei Caleb vorbeikommen und fragte ob ich danach Lust hätte noch mit ihr in die Stadt zu fahren. „Es gibt da ein neues Café das ich unbedingt ausprobieren möchte, und danach wollte ich noch bei meiner Schwester in ihrem Salon vorbeischauen. Sie nimmt uns danach auch mit nach Hause, hinfahren tut uns meine Mutter.“ Es sprach nichts dagegen, also sagte ich zu.   Als ich Danny am darauffolgenden Morgen von meinen Plänen erzählte war er natürlich nicht gerade begeistert, aber ich versprach ihm nach einem neuen coolen Shirt für ihn Ausschau zu halten, und das stimmte ihn einigermaßen versöhnlich. Marielles Mutter begrüßte mich überschwänglich, sie wirkte in ihren hochhackigen Sandalen und dem kurzen, aber sehr schicken weißen Sommerkleid ein bisschen fehl am Platz, aber sie knuddelte Leo der sie sofort aufgeregt bellend umkreiste völlig ungeniert dass vom Regen und Matsch nicht gerade saubere Fell, und das machte sie mir gleich noch viel sympathischer. Auch Danny schien sie zu mögen, als sie ihn fragte ob er mein Freund wäre lief er knallrot an, und ich musste lachen. „Nein, Danny ist nicht mein Freund, aber mein bester Kumpel. Wir sind praktisch unzertrennlich.“ Sie stimmte in mein Lachen ein, dann zwinkerte sie Danny zu der immer noch ein bisschen verlegen aus der Wäsche guckte. „Schade, ihr zwei wärt ein wirklich niedliches Pärchen. Aber da kann man wohl nichts machen. Was wollen Marielle und du denn heute in der Stadt eigentlich unternehmen?“ Wir führten noch ein bisschen Smalltalk bis Marielle mit ihrer Reitstunde fertig war, dann verabschiedete ich mich von Danny und stieg zu den beiden ins Auto. Marielles Mutter fuhr einen nagelneuen himbeerfarbenen Audi, und im Stillen fragte ich mich was sie und ihr Mann wohl arbeiteten dass sie sich so ein Auto leisten konnten. Vielleicht würde ich Marielle später danach fragen, immerhin war ich ihr schwuler bester Freund, mir musste sie praktisch alles erzählen. Als ich Marielle erzählte dass ich Danny versprochen hatte ihm ein unanständiges T-Shirt zu besorgen war sie sofort hochmotiviert bei der Sache; sie führte mich zielstrebig in ein Gothic- und Punkgeschäft, und dort fanden wir genau das was ich mir vorgestellt hatte. Ein tiefschwarzes Shirt mit dem stilvollen Aufdruck der drei apokalyptischen Reiter. Danny würde es lieben. Und Caleb würde es hassen. Perfekt. „Weißt du Nicky, wenn man dich in diese schwarzen Samt- und Spitzenklamotten stecken würde und dich schminken würde würdest du einen richtig perfekten Vampir oder so ähnlich abgeben. Wäre das nicht cool? Das machen wir zu Halloween! Wir werden beide als Vampir gehen, meine Schwester hilft und sicher mit dem Make up! Das wird super!“ Marielle hakte sich bei mir unter, und ich hielt erst einmal die Klappe. Ich fühlte mich ja geehrt dass sie sich bereits eine gemeinsame Zukunft von uns beiden ausmalte, aber diese Sache mit dem Schminken, darüber würden wir noch einmal reden müssen. Das behagte mir ganz und gar nicht. Mit unserem gerade errungenen Schatz suchten wir schließlich das Café auf wegen dem wir eigentlich hier waren, und bestellten uns jeder einen Kaffee. Einen sehr exotischen. Mit Mango-Aroma. Ich war gespannt. „Danny hatte gestern einen Ausraster.“ Ich wusste nicht warum ich gerade jetzt davon anfing, aber ich musste einfach mit irgend jemandem darüber reden. Und Marielle erschien mir dafür als die beste Wahl, zumal sie ja zum Teil auch mit Schuld an Dannys Misere war. Sie hörte auf an ihrem Kaffee zu schlürfen (der überraschend genial schmeckte) und sah mich überrascht an. „Wirklich? Danny? Kaum zu glauben, warum das denn?“ Ich fasste ihr die Situation kurz zusammen, und sie lehnte sich mit einem lauten Seufzer zurück. „Oh man, der arme Junge. Aber wegen Caleb und mir muss er sich wirklich keine Gedanken machen, ich steh nicht auf ihn.“ „Aber er auf dich.“ ich nahm noch einen Schluck von meinem Kaffee. „Das denkt er. Tut er aber auch nicht wirklich.“ Jetzt war ich es der sie überrascht ansah. „Wie meinst du das? Er rennt dir doch ständig hinterher, und als sein Auto gestern im Matsch festgesteckt hat ist er fast durchgedreht. Er hat es sogar getreten! Caleb ist verrückt nach dir!“ Marielle schüttelte den Kopf, dann beugte sie sich plötzlich nach vorn und ein verschmitzter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Er ist nicht verrückt nach mir, er ist verrückt nach DIR! Hast du das echt noch nicht bemerkt? Also wirklich, Nicky, du enttäuschst mich, ich dachte du hast Erfahrung mit sowas.“ Ich hatte gerade von meinem Kaffee getrunken, jetzt verschluckte ich mich heftig und bekam einen Hustenanfall. Marielle sprang auf und klopfte mir auf den Rücken, und als ich endlich wieder einigermaßen Luft bekam grinste sie mich mit vor Schalk blitzenden Augen an. „Stehst du etwa nicht auf ihn?“ Ich nahm mir eine Serviette und wischte mir die vom Husten tränennassen Augen ab, dann versuchte ich meine gerade flöten gegangene Fassung wieder zu gewinnen. Das war doch verrückt! Marielle bildete sich da gewaltig etwas ein. Caleb stand nicht auf mich! Niemals! „Marielle, Caleb hasst mich! Und zwar vom ersten Augenblick an als wir uns gesehen haben! Und er ist hetero! Wie kommst du nur auf so einen Mist? Das ist doch irre.“ Ich war völlig außer mir, aber Marielle grinste nur weiter ihr ach so allwissendes Grinsen. „Er hasst dich nicht, er ist verknallt in dich. Was glaubst du denn warum ihr euch immer so anzickt? Er versucht dich auf Abstand zu halten, und du springst voll darauf an. Also, stehst du nun auf ihn oder nicht?“ sie sah mich durchdringend an, und ich zuckte verlegen die Schultern. Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. Und Marielle war der böse Cop. Einen guten gab es nicht. „Keine Ahnung. Am Anfang fand ich ihn schon geil, aber dann hab ich ihn näher kennen gelernt, und das war ziemlich...abtörnend. Verdammt, er hat mir letztens gedroht mir Motoröl in die Haare zu schmieren weil ich sein Auto beleidigt habe! Für mich hört sich das nicht nach Verknalltheit an.“ „Also für mich schon. Er triezt dich weil er dir anders nicht näher kommen kann. Das ist doch ganz logisch.“ Marielle nickte zur Bekräftigung ihrer eigenen Worte, man konnte ihr ansehen wie sehr ihr dieses Thema gefiel. Und meine offensichtliche Ahnungslosigkeit. Hatte ich wirklich so blind sein können? Unmöglich. „Und was schlägst du jetzt vor? Caleb ist aktuell schon wieder ziemlich sauer auf mich, und das ist praktisch ein Dauerzustand bei uns. Und wenn er mich reizt kann ich einfach nicht ruhig bleiben. Wir schaukeln uns immer gegenseitig hoch, und dann kracht es. Das wird doch ewig so weitergehen!“ Und dann war da ja auch noch Danny. Selbst wenn Marielle Recht hatte, was ich persönlich immer noch bezweifelte und für die Fantasien eines jungen und etwas zu gelangweilten Mädchens hielt, ich konnte unmöglich etwas mit seinem großen Bruder anfangen! In seinen Augen wäre das doch der Supergau; Bruder und bester Freund weg, und das auf einen Schlag. Nein, das ging einfach nicht! Ich schüttelte den Kopf. „Sag nichts, wir lassen das einfach. Selbst wenn es wahr ist was du sagst, ich könnte das Danny einfach nicht antun. Er dreht ja jetzt schon völlig am Rad weil er glaubt Caleb an dich zu verlieren, wie würde er erst reagieren wenn ihm dann auch noch sein bester Freund in den Rücken fällt? Das geht nicht, auf gar keinen Fall. Es würde ihn umbringen.“ ich fuhr mir ratlos mit beiden Händen übers Gesicht, und Marielle´s Begeisterung schien nun auch etwas gedämpft zu sein. Sie knabberte nachdenklich an ihrem Kaffeelöffel, dann seufzte sie ergeben. „Du hast Recht, für Danny wäre das eine Katastrophe. Daran habe ich gar nicht gedacht, sorry.“ Wir schwiegen beide, nippten an unseren inzwischen kalt gewordenen Kaffees, und gerade als die Stille zwischen uns unangenehm zu werden begann ergriff Marielle wieder das Wort. „Und wenn wir ihn einfach einweihen?“ sie sah mich nachdenklich an. „Wie meinst du das?“ „Na wir weihen ihn ein! Wir sagen ihm was wir vermuten, und dann sehen wir wie er reagiert. Vielleicht freut er sich sogar wenn Caleb und du zusammen kommen, dann würdet ihr nicht mehr dauernd streiten. Alles wäre Friede-Freude-Eierkuchen, und alle wären glücklich. Das klingt doch perfekt, oder nicht?“ Marielle sprühte praktisch vor Tatendrang, ihre Augen leuchteten, und sie strahlte übers ganze Gesicht. „Sag ja Nicky! Komm! Wenn wir Danny mit reinziehen wird er sich nicht mehr so außen vor fühlen. Er wäre dann ein Teil von allem, und das wäre auch sicher gut für sein Selbstvertrauen. Wir können nur gewinnen!“ Ich fühlte mich ein bisschen überrumpelt. Natürlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt Caleb für mich zu gewinnen, er entsprach genau meinem Beuteschema, aber er hatte mich vom ersten Augenblick an nicht gemocht, und außerdem war er mir nie besonders schwul vorgekommen. Ich hatte mir also nie Chancen ausgerechnet. Und dann kam Marielle und warf mit nur wenigen Worten meine komplette Einschätzung über den Haufen. Ich musste alles neu sortieren, und dafür brauchte ich Zeit. Vor allem wenn wir Danny mit ins Boot holen wollten. Das musste besonders genau überlegt werden; seiner Aussage nach war er zwar kein unschuldiges naives Kind mehr, aber ich sah das ein bisschen anders, auch wenn das gemein klang. Ich wollte ihn in nichts reinziehen was ihn möglicherweise unglücklich machen oder überfordern würde, das könnte ich mir nie verzeihen. „Lass mich drüber nachdenken, okay? Ich glaube nicht das Caleb was von mir will, oder ob ich darauf überhaupt noch Bock hätte. Ich will nicht noch mehr Ärger.“ Marielle gab mir Bedenkzeit, auch wenn ich sehen konnte wie es ihr in den Händen juckte. Sie wollte Ergebnisse, und zwar am liebsten sofort. Die geduldigste Person war sie wirklich nicht. Nachdem wir unsere Kaffees ausgetrunken und bezahlt hatten besuchten wir Marielles Schwester in ihrem Salon; sie war die Inhaberin, und das Geschäft war gut besucht. Bis zu ihrem Feierabend schlenderten Marielle und ich noch ein bisschen durch das Einkaufzentrum, wir unterhielten uns nur noch über belangslose Sachen, aber das vorherige Thema lag mir immer noch schwer im Magen. Ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, aber es schlich sich immer wieder in meine Gedanken. Caleb mochte mich nicht. Er reagierte immer gereizt wenn wir uns begegneten, und wenn wir miteinander sprachen endete das immer im Streit. Wie konnte so jemand heimlich in mich verknallt sein? Das war verrückt. Eindeutig. Marielle sponn sich da etwas zusammen, sie sah Dinge die nicht da waren, und das würde ich ihr schon noch beweisen. Nur wie? Und sollte ich Danny da wirklich mit reinziehen? Der hatte so schon genug Sorgen, da musste ich ihm mit so einer haltlosen Vermutung nicht auch noch zusätzlich beunruhigen. Marielle stupste mich plötzlich von der Seite an und deutete auf einen Laden zu unserer rechten. „Weißt du was dir gut stehen würde Nicky? Ein Piercing.“ Jetzt ging das schon wieder los. Ich schüttelte den Kopf und versuchte sie so schnell wie möglich weiter zu ziehen. „Vergiss es, ich lasse mich sicher nicht durchlöchern. Und außerdem darf man das erst mit 18.“ nahm ich ihr den Wind aus den Segeln, aber Marielle blieb bockig stehen. „Nee, man darf das auch schon mit 16.“ sie zwinkerte mir zu. „Wenn ein Erwachsener dabei ist.“ So ein Pech das wir keinen dabei hatten. Ich wähnte mich schon in Sicherheit, aber Marielles schelmisches Grinsen ließ mich nichts Gutes ahnen. Was hatte sie vor? „Wir fragen meine Schwester. Die ist offiziell erwachsen. Und sie liebt Piercings! Sie darf wegen ihrem Job nur leider keins haben. Aber mir hat sie auch schon eins erlaubt, schau!“ Sie hob ihr Shirt ein kleines Stück und entblößte einen kleinen glitzernden Stecker in ihrem Bauchnabel. „Marielle, nein, echt jetzt. Ich will sowas nicht. Und außerdem würde mein Vater mich umbringen.“ Ich dachte damit wäre das Thema erledigt, aber kaum hatten wir Marielles Schwester vor dem Salon abgeholt fing meine neue Freundin wieder damit an. Und ihre Schwester war natürlich Feuer und Flamme für diese Idee. „Nicky, ja, das ist doch eine tolle Idee! Ich würde sogar bei deinem Vater vorsprechen wenn er sauer wird, versprochen! Und wenn du es doch nicht magst kannst du es ratz fatz wieder rausnehmen, das fällt dann gar nicht mehr auf! Komm, wir gehen wenigstens mal gucken.“ Ich ließ mich widerwillig breitschlagen, in erster Linie weil ich Marielle und ihre Schwester nicht enttäuschend wollte, und weil ihre Begeisterung irgendwo auch ansteckend war. Ich kannte, neben jetzt auch Marielle, nur eine weitere Person die Percings hatte, und das war mein Punkerfreund Alex. Der hatte sich seine allerdings alle selbst in die Haut gestochen, und ganz ehrlich, das war nichts was ich hätte nachmachen wollen. Mariellen und ihre Schwester schlenderten gut gelaunt zum Studio, sie lachten und scherzten, und ich trottete ihnen hinterer als würde es zu meiner Hinrichtung gehen. Der Besitzer des Ladens war Anfang dreißig, nicht nur über und über mit Ringen und Steckern besetzt sondern auch noch von Kopf bis Fuß tattowiert, und gleich vom ersten Augenblick an ein großer Fan von mir. War er schwul? Ich hätte meine nicht mehr vorhandene Jungfräulichkeit darauf verwettet. „Ich wüsste schon was genau zu dir passen würde. Ein … Das ist etwas eher ungewöhnliches, aber es hat was. Findet ihr nicht auch?“ er hielt uns eine Seite aus einem Piercingsmagazin unter die Nase, und Marielle und ihre Schwester nickten hingebungsvoll. Nur ich war skeptisch. Das Piercing das er uns zeigte war ein Lippenpiercing, es saß direkt in der Mitte der Unterlippe auf den Lippenrot und trat unter dieser wieder heraus. Klar, sah schon schick aus, aber an mir? „Ich weiß nicht...“ ich sah hilfesuchend zu Marielle, aber die strahlte immernoch verzückt ins das Hochglanzmagazin. „Ich kann es dir ja mal anzeichnen, dann siehst du wie es wirken würde. Okay?“ der Typ lächelte mir aufmunternd zu, und ich kam mir vor wie ein jämmerlicher kleiner Feigling. Sollte ich das wirklich wagen? Einerseits hielt ich mich nicht für den Typen dem Piercings standen, andererseits hatte Marielles Schwester mir ja versichert dass ich es bei Nichtgefallen einfach spurenlos wieder entfernen könnte. Ach verdammt. „Na schön, aber erstmal nur anzeichnen.“ „Juhu!“ Marielle hängte sich jubelnd an meinen Arm, dann schob sie mich hinter dem Studiobesitzer her in den hinteren Teil des Ladens. Der Typ, der sich uns als Stanley vorstellte, nahm mein Kinn vorsichtig in seine Hände, dann drehte er es ein bisschen hin und her um den perfekten Platz für das Piercing zu finden. „Du hast ein erstaunlich symetrisches Gesicht...schon mal darüber nachgedacht zu modeln? Wenn das Piercing verheilt ist würde ich gern ein Foto von dir in meine Galerie aufnehmen, wenn du das erlauben würdest.“ Aha, jetzt war das Piercing also schon beschlossene Sache. Mit einem schwarzen Filzer zeichnete Stanley zwei Punkte an, einen mittig auf meiner Unterlippe, einen ein wenig darunter. Dann drehte er mich in Richtung eines Spiegel. „So würde es sitzen. Na was sagst du? Sollen wir es wagen?“ Er zwinkerte mir zu, und ich warf Marielle und ihrer Schwester durch den Spiegel einen zweifelnden Blick zu. Sie gaben mir beide Daumen nach oben. Oh verdammt. Keine fünf Minuten später war ich Besitzer eines neuen Piercings, und das war auch noch aufs Haus gegangen. Ich war doch wirklich ein Glückspilz. Meine Lippe schmerzte wie nach einem Insektenstich, die Kugel fühlte sich ungewohnt und fremd an. Aber Marielle war hellauf begeistert. Sie starrte mir praktisch ununterbrochen ins Gesicht und grinste so breit dass es fast schon lächerlich aussah. „Das sieht sooooo cool aus Nicky! Echt! Ich bin fast ein bisschen neidisch. Findest du nicht auch dass er jetzt noch viel heißer aussieht Jessy?“ Ihre Schwester nickte zustimmend, sie lief ein Stückchen vor uns her und drehte den Schlüssel ihres kleinen Mercedes um den Zeigefinger. „Habt ihr gemerkt dass dieser Stanley voll auf Nicky abgefahren ist? Als er ihn angefasst hat dachte ich dem geht gleich einer ab. Und dann bekommst du auch noch das Piercing gratis! Weißt du was das eigentlich kostet?“ Marielle war völlig aus dem Häuschen. Gut so, dann nervte sie mich wenigstens nicht mehr mit Caleb und ihren ihn betreffenden wüsten Theorien. Da mir die Lippe wehtat und langsam anzuschwellen begann (ganz normal laut Stanley, viel kühlen und wenig reden, das würde helfen) hielt ich mich mit Kommentaren zum Gesprächsinhalt zurück, aber Marielle schien das gar nicht zu stören. Sie war selig. Als wir den Hof erreichten bot Jessy mir noch an mich ins Haus zu begleiten, nur für den Fall dass mein Vater beim Anblick des neuen Körperschmuckes ausrasten würde, aber ich lehnte dankend ab. Wahrscheinlich war es für ihn eh nur eine Frage der Zeit gewesen wann ich mit sowas ankommen würde; er kannte schließlich Alex, und so ein Piercing war immer noch leichter zu verkraften als ein Tattoo. Tatsächlich nahm mein Vater meine neuste Persönlichkeitsveränderung ziemlich gelassen, er fragte nur, genau wie ich es vermutet hatte, ob ich mir demnächst auch noch ein Arschgeweih würde tattowieren lassen, und wäre meine Lippe inzwischen nicht so angeschwollen gewesen hätte ich ihm am liebsten die Zunge rausgestreckt. Stattdessen ging ich in die Küche und füllte mir ein paar Eiswürfel in eine Schüssel, dann verzog ich mich ohne Abendessen (wie hätte ich das auch essen sollen?) hinauf in mein Zimmer. Stanley hatte mir geraten die Schwellung nicht zu direkt zu kühlen; das könnte im schlechtesten Fall sogar die Heilung verzögern. Also füllte ich die Eiswürfel in einen sauberen Waschlappen und hielt mir den ins Gesicht. Zumindest die Schmerzen waren inzwischen fast vollständig verschwunden. Am nächsten Morgen hatte das Piercing ein kleines bisschen nachgeblutet, aber die Stelle war bereits getrocknet, und auch die Schwellung hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen. Da hatte ich wohl nochmal Glück gehabt. Zum Frühstück begnügte ich mich mit einem Eiskaffee den ich umständlich durch einen Strohhalm zog; mein Vater beobachtete mich schadenfroh, hielt aber gnädigerweise die Klappe. „Ab wann kannst du denn damit wieder normal essen? Nur damit ich weiß was ich dir zum Mittagessen kochen soll. Eine Suppe vielleicht?“ Lilly dachte natürlich wieder praktisch. Die gute Seele. Ich wünschte mir für die nächsten Tage hauptsächlichst flüssige Nahrung, und sie versprach mir sich mal ein paar Suppenrezepte anzusehen. Ich mochte es wie sich mich fraglos in allem unterstützte. Zumindest in fast allem. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen hatte schnappte ich mir die Tüte mit Dannys neuem T-Shirt und machte mich draußen auf die Suche nach ihm. Das Wetter war zwar immer noch kühler als die letzten Tage, aber nicht mehr ganz so regnerisch. Der Hof war fast wieder trockenen Fußen zu durchqueren. Aber wen ich fand war nicht Danny, sondern Caleb. Der letzte den ich jetzt sehen wollte. Sofort schossen mir wieder Marielles wilde Theorien durch den Kopf und ich musste mich stark beherrschen um nicht einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und grußlos die Kurve zu kratzen. Aber das wäre dann doch eine Spur zu übertrieben gewesen. Marielle hatte sowieso Unrecht, Punkt. Sie erhoffte sich eine ergreifende Lovestory wo keine war, und ich würde ihr das beweisen. Vielleicht sogar jetzt gleich. Caleb stand am Rande der Reitbahn, er schien gerade eine Runde mit seinem Teufelspferd Abyss drehen zu wollen, und ich musste mich beeilen um ihn nicht zu verpassen. Aber er hatte mich eh schon längst gesehen. Betont lässig schlenderte ich auf ihn zu, die Tüte mit Dannys Geschenk fest in der linken Hand. „Ich suche Danny, hast du ihn irgendwo gesehen?“ Ich ging so nah an die Absperrung heran wie ich es mir in Gegenwart dieses bissigen Gaules zu traute, was nicht besonders nah war. Caleb warf mir einen genervten Blick zu, dann runzelte er die Stirn und deutete mit einem Kopfnicken auf meine Lippe. „Was zur Hölle ist das da in deinem Gesicht?“ Keine freche Antwort geben, immer schön freundlich bleiben... „Das ist ein Piercing, Marielle hat mich dazu überredet. Und es ging sogar aufs Haus, der Piercer mochte mich glücklicherweise direkt auf den ersten Blick.“ Würde er eifersüchtig werden? Das müsste er doch wenn er mich insgeheim mochte, oder etwa nicht? Caleb drehte sich zu seinem Pferd um und fummelte etwas am Sattel, dann wandte er sich wieder an mich und sah mich verächtlich an. „Mit dem Ding in der Lippe kannst du ihm doch gar keinen blasen, damit hat er sich doch selbst ein Eigentor geschossen.“ Was das jetzt einfach nur fieß oder doch der Ausdruck einer ausgeprägten Eifersucht? Ich war mir nicht sicher, und da ich so sehr mit der Auswertung des Satzes beschäftigt war vergaß ich sogar eine entsprechende Antwort zu geben. Und mein Schweigen brachte Caleb eindeutig aus dem Konzept. Dass ich auf eine so offensichtliche Provokation hin die Klappe hielt war noch nie vorgekommen. Nichtmal als ich unter Drogen gestanden hatte. „Was hast du da in der Tüte?“ versuchte er das Thema zu wechseln, und ich sah verwirrt auf meine Hand hinunter. Ach ja, die Tüte. „Ein Geschenk für Danny, deswegen suche ich ihn ja. Also, hast du ihn irgendwo gesehen?“ Meine betonte Freundlichkeit machte Caleb nervös, das bemerkte ich genau. Und auch Abyss war das Gefühlschaos seines Herren nicht entgangen. Er machte einen halben Schritt zurück und warf den Kopf in die Luft, beinahe hätte er Caleb die Zügel aus der Hand gerissen. „Schsch du dämliches Vieh, bleib stehen.“ schimpfte der wütend und griff nach dem Halfter. Erst das Auto, jetzt sein Pferd. Das war ja interessant. Lag das an mir? Oder an Marielle? Wer von uns beiden hatte nun Recht? Inzwischen war mein Kampfgeist geweckt, ich wollte wissen was Sache war. Nur wie weit durfte ich dabei gehen? Caleb hatte Abyss wieder unter Kontrolle gebracht, jetzt sah er mich verärgert an und streckte die Hand über den Zaun. „Danny ist nicht da, mein Vater hat ihn heute morgen zum Zahnarzt gefahren. Gib die Tüte einfach mir, ich geb sie ihm dann.“ Ich schüttelte den Kopf und versteckte sie schnell hinter meinem Rücken. Mir kam eine Idee, wenn auch keine besonders...geschmackvolle. „Ich will ihm das lieber selber geben, danke für das Angebot. Aber das Geschenk ist...privat, wenn du verstehst was ich meine.“ ich lächelte verhalten, auch wenn die Bewegung meiner Lippe nicht besonders gut tat. Und natürlich sprang Caleb auf meine Andeutung an. Was anderes hätte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. „Sag mir was in der Tüte ist du kleiner Perverser! Egal was es ist, du wirst es Danny nicht geben! Du bist so ein verdorbener...“ Noch bevor er den Satz beenden konnte hatte ich bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte von der Reitbahn weg in Richtung Hof. Würde er mir folgen? Aber sicher. Caleb war deutlich schneller als ich und so bekam er mich schon nach wenigen Metern zu fassen. Er packte mich am Rücken meines T-Shirtes und brachte mich unsanft zum Stehen. „Aua, was soll das? Lass mich los!“ Ich versuchte mich umzudrehen und seine Hand abzuschütteln, aber Caleb packte mich einfach mit dem freien Arm um die Hüfte und entwand mir dann mit purer Gewalt die Tüte. „Gib das zurück!“ Kaum hatte er mich los gelassen wirbelte ich herum und streckte fordernd die Hand aus, aber Caleb beachtete mich gar nicht. Er öffnete die ominöse Tüte und griff hinein, und förderte das schwarze Apokalypse-Shirt zu Tage. Der verwirrte Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht war einfach zum Schreien. „Ich habe Danny noch ein T-Shirt gekauft, damit er auch mal eins zum Wechseln hat. Was dachtest du denn was da drin ist?“ Klang ich schadenfroh? Vielleicht ein bisschen. Caleb stopfte das T-Shirt zurück in die Tüte und warf sie mir heftiger als nötig wieder zurück. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Bei jemandem wie dir muss man doch mit dem Schlimmsten rechnen. Vor allem wenn du auch noch wegläufst.“ Ich starrte ihn entrüstet an. Egal was Marielle sagte, Caleb war ein Arschloch. Selbst wenn er mich irgendwo tief in sich drinnen doch irgendwie mochte, er war ein Arschloch. Und zwar das größte das ich bisher kennen lernen durfte. „Ich bin weggelaufen weil ich keinen Bock darauf hatte mich weiter von dir beleidigen zu lassen. Deine Sprüche sind echt unter der Gürtellinie, weißt du das? Wärst du auch so fies zu mir wenn ich nicht schwul wäre?“ Hatte ich ihn das wirklich gerade gefragt? Calebs hilflos wütender Miene nach zu urteilen ganz eindeutig. Er fuhr sich ratlos durchs Haar, dann fixierte er mich wieder mit diesem undurchdringlichen Blick. Würde er mir antworten? „Ich bin nicht fies zu dir, ich will bloß nicht dass du Danny in irgendetwas dummes mit reinziehst. Er ist so leicht zu beeinflussen, und du bist so...“ er stockte. „Was bin ich?“ ich starrte Caleb herausfordernd an, ich wollte ihn in die Enge treiben, und so wie es aussah gelang mir das sogar. Nun musste er sich um Kopf und Kragen reden wenn er noch als einigermaßen anständiger Kerl aus dieser Sache herauskommen wollte. Aber er hielt den Mund. Stattdessen kam er mit zwei schnellen Schritten auf mich zu, legte eine Hand an mein Kinn und zwang mich so zu ihm auf zu sehen. Sein Daumen berührte die obere Kugel meines neuen Piercings. „Du bist faszinierend, und das ist gefährlich. Danny würde alles für dich tun wenn du es nur von ihm verlangst. Er ist schon abhängig von dir. Und das gefällt mir nicht. Wenn er wegen dir in irgendwelche Schwierigkeiten gerät bist du tot, haben wir uns verstanden?“ Caleb war eindeutig nicht in mich verknallt. Er war fuchsteufelswild. Aus Sorge um seinen kleinen Bruder. Dem ich wirklich schon einigen Kummer bereitet hatte, wenn auch nicht mit Absicht. Ich wartete bis Caleb seine Hand sinken lies, dann trat ich einen Schritt zurück und packte dir Tüte fester. Zum Glück hatte er sie mir nicht komplett abgenommen, dann hätte ich Danny schon wieder enttäuschen müssen. Und das wollte ich auf gar keinen Fall! „Ich bringe Danny nicht in Schwierigkeiten, okay? Ich mag ihn sehr, und zwar nur als Freund. Mehr nicht. Also hör auf mir was anderes unterstellen zu wollen. Und selbst wenn es so wäre wie du in deiner blöden Verbohrtheit denkst, dann würde dich das überhaupt nichts angehen!“ Der letzte Satz brachte das Fass zum Überlaufen. Noch bevor ich überhaupt reagieren konnte hatte Caleb mich bereits am Kragen gepackt und warf mich gegen die Stallwand. Ich stieß mir heftig den Kopf, aber ich wagte es nicht auch nur einen Ton von mir zu geben. Seine Augen glühten vor Zorn, sein Gesicht war zu einer Fratze aus purem Hass verzerrt. „Du machst Danny nicht schwul, hörst du?! Das lasse ich nicht zu!“ seine um meinen Kragen geschlossenen Fäuste drückten schmerzhaft gegen meinen Hals, sein Gesicht war meinem so nah dass ich seinen heftig hervorgestoßenen Atem auf der Haut spüren konnte. Nun war es soweit, jetzt würde er mich schlagen. Ich schluckte schwer, seine Hände nahmen mir die Luft. „Was willst du dagegen tun, hm?“ stieß ich mühsam hervor. Ich spürte Blut auf meiner Lippe und leckte es vorsichtig mit der Zunge ab. Das Piercing, so ein Mist! Aber ich musste es beenden, hier und jetzt. Selbst wenn ich mir dafür ein blaues Auge (oder schlimmeres) einhandeln würde. „Hast du Angst Danny würde dann so werden wie du?“ Caleb verlor die Kontrolle. Seine Faust traf mich direkt auf den linken Wangeknochen, ich spürte wie meine Zähne aufeinanderschlugen, und dann war es nicht nur das Blut von meinem Piercing das ich im Mund schmeckte. Meine Wange brannte, mehr ein dumpfes Pochen als richtiger Schmerz, aber trotzdem trieb mir das Gefühl mir die Tränen in die Augen. Das war nicht das erste Mal das ich ins Gesicht geschlagen wurde, aber es war genau wie beim ersten Mal furchtbar. Kapitel 8: #08 -------------- Caleb ließ meinen Kragen los und trat erschrocken einen Schritt zurück, er starrte ungläubig auf seine Faust, dann auf mein Gesicht. Sie wie es aussah hatte er noch nie jemanden geschlagen. Ich leckte mir über die blutende Lippe, dann hob ich die Hand zu meiner Wange und bedeckte das pulsierende, glühend heiße Fleisch. „Na, fühlst du dich jetzt besser oder willst du nochmal zuschlagen? Eine Wange hätte ich noch.“ spottete ich verächtlich, dann hob ich die Tüte mit dem Shirt für Danny auf und warf sie Caleb zu. Er fing sie sicher mit beiden Händen auf, immer noch diesen verwirrt entsetzten Ausdruck im Gesicht. „Gib es Danny oder verbrenn es, ist mir egal. Und bei der Gelegenheit kannst du ihm gleich noch erzählen dass du seinen besten Freund verprügelst hast weil du ein verkappter schwulenhassender Schwuler bist. Du Wichser!“ Ohne mich noch einmal nach Caleb umzusehen stürmte ich davon, über den Hof und ins Haus direkt hinauf bis in mein Zimmer. Ich schloss die schweren Fensterläden gegen die schon wieder drückende Schwüle und hockte mich im so entstandenen Halbdunkel auf mein zerwühltes Bett. Meine Lippe und die linke Seite meines Gesichtes schmerzten fürchterlich, aber immerhin schien nichts mehr zu bluten. Eigentlich hätte ich mir die Misere gerne einmal im Spiegel angesehen, aber ich konnte mich einfach nicht dazu aufraffen rüber ins Badezimmer zu gehen. Was sollte ich jetzt nur tun? Hatte Caleb mit seinem Schlag indirekt zugegeben schwul zu sein? Oder war er einfach nur ausgerastet weil ich ihn dieser Möglichkeit bezichtigt hatte? Die meisten sahen Schwulsein als Beleidigung, und nachher war es Caleb nicht anders gegangen. Immerhin fand er die Vorstellung das Danny schwul werden könnte so schlimm dass er mich körperlich angegriffen hatte. Das war bis jetzt noch nie passiert. Ein paar Mal war er kurz davor gewesen, aber zu Ende gebracht hatte er es erst heute. Ich berührte vorsichtig meinen Wangenknochen; er war immer noch heiß und pochte unangenehm. Danny würde durchdrehen wenn er mich so sah. Und wenn er dann auch noch erfuhr dass es sein Bruder gewesen war der mich so geschlagen hatte...ob Caleb es ihm schon gesagt hatte? Und was war mit dem T-Shirt? Jetzt bereute ich es es aus der Hand gegeben zu haben. Nachher stellte der schwulenhassende Idiot wirklich irgendetwas damit an, und dann war ich der angeschmierte. Das würde ich Marielle petzen, dass hatte er verdient. Ich blieb bis zum Mittagessen in meinem Zimmer, dann konnte ich mich nicht länger verstecken. Lilly rief zum Essen, sie hatte draußen vor dem Haus den Campingtisch gedeckt, und ich versuchte ihr und meinem Vater möglichst unbeteiligt und erhobenen Hauptes entgegen zu treten. Vorher hatte ich allerdings doch noch einen Kontrollblick in meinen Badezimmerspiegel geworfen; es war nicht ganz so schlimm wie es sich anfühlte. Mein Piercing hatte aufgehört zu bluten und war auch nicht wieder angeschwollen, und Calebs Schlag hatte mir „nur“ einen länglichen, bläulich-roten Bluterguss auf Höhe meines Wangenknochens beschert. Es tat noch weh, aber ich würde es überleben. Als Lilly mich entdeckte sog sie scharf die Luft ein, mein Vater runzelte fragend die Stirn. „Wer war das?“ Ich senkte den Blick und setzte mich stumm an den Tisch; Lilly hatte Wort gehalten und mir eine sehr gesund aussehende Gemüsesuppe gekocht. Ich aß vorsichtig einen Löffel, dann murmelte ich leise: „Caleb.“ Ich schwieg verbissen zu diesem Thema, und schließlich sah mein Vater ein dass es keinen Sinn hatte mich weiter mit Fragen zu bombardieren. Das Essen endete in einer gedrückten Stimmung, selbst Lilly wusste nichts Aufmunternders zu sagen. Ich beschloss, nachdem ich beim Abräumen geholfen hatte, ein ausgedehntes Mittagsschläfchen zu machen; in meinem Zimmer herrschte immer noch erfrischende Dunkelheit, und sogar die Temperatur war erträglich. Trotzdem schlüpfte ich aus Shorts und T-Shirt und legte mich nur mit Boxershorts bekleidet mitten aufs Bett, die Decke hatte ich mit einem Schubs auf den Boden befördert. Die war momentan eh nur störende Deko. Ich schlief bis kurz nach drei Uhr, und als ich aufwachte klopften schwere Regentropfen gegen die geschlossenen Fensterläden. Die Luft war jetzt drückend und schwül. Nachdem ich die Läden geöffnet hatte und die frische regengeschwängerte Luft hineingelassen hatte schaltete ich das Deckenlicht ein und trat wieder an eines der offenen Fenster. Der Schauer war nicht so schlimm wie der letzte, der der den Hof unter Wasser und damit Calebs Auto lahmgelegt hatte, aber er war immer noch beeindruckend. Die dicken eher spärlichen Tropfen wurden jetzt von feineren abgelöst die sich wie ein dichter Nebel um alles legten. Vielleicht würde es heute noch gewittern. Ich wollte die Fenster gerade wieder schließen, da entdeckte ich eine Gestalt in der Nähe des Pferdestalles. Caleb oder Danny? Oder keiner von beiden? Ich kniff die Augen zusammen und versuchte genaueres zu erkennen, aber durch den dichten Regenvorhang war nur ein undeutlicher Schemen zu erkennen. Jetzt löste sich die Person aus dem Schatten des Pferdestalles und ging hinüber zu Calebs Wagen, kniete neben einem der Vorderreifen nieder und verharrte dort für einen kurzen Moment. Was tat sie da? Ich hatte genug gesehen. Wer auch immer da draußen auf dem Hof herumschlich, er tat es im Schutze des Wolkenbruches, und er verhielt sich damit unverkennbar verdächtig. Ohne zu zögern schlüpfte ich wieder in meine Klamotten und eilte die Treppe hinunter, wenn ich mich beeilte konnte ich den Verdächtigen noch auf frischer Tat ertappen. Dass das vielleicht keine so gute Idee und unter Umständen auch gefährlich werden könnte, daran verschwendete ich keinen Gedanken. Im Flur zog ich mir noch schnell meinen bis jetzt selten genutzten Regenmantel an und setzte die Kapuze auf. Bei aller Eile, ich wurde ungern nass. Die Person schlich gerade um das Heck des Autos als ich auf den Hof trat; es war immer noch schwül und der Regen legte sich wie eine unangenehme klebrige Maske auf mein Gesicht. Aber davon durfte ich mich jetzt nicht ablenken lassen. So schnell ich es mir zu traute und möglichst ohne jeden Laut zu erzeugen huschte ich über den Hof zu Calebs Ford Escort, duckte mich hinter den Kofferraum und pirschte mich so leise wie möglich an die unbekannte Person heran. Die hockte jetzt neben dem zweiten Hinterreifen und die Bewegung die sie dabei ausführte war unmissverständlich. Da stach jemand Caleb die Reifen platt. Und ich war es erstaunlicherweise nicht. „Darf ich fragen was du da machst?“ ich richtete mich zu voller Größe auf und versuchte dabei möglichst bedrohlich zu wirken. Der Reifenstecher schrie erschrocken auf und plumpst bei dem Versuch sich schnell zu mir umzudrehen mit dem Hintern in den Matsch. „Danny? Was zur Hölle tust du da?“ ich starrte erst ihn, dann das Messer in seiner Hand, und dann den malträtierten Reifen an der langsam aber stetig Luft verlor. Der Escort stand bereits gefährlich schief. „Hast du deinem Bruder gerade die Reifen zerstochen? Sag mal hast du sie noch alle? Der wird doch denken ich bin das gewesen! Und dann kireg ich garantiert mehr ab als nur einen Schlag in die Fresse!“ Ich schob mir die Kapuze vom Kopf und raufte mir die Haare. Das durfte doch nicht wahr sein! Wie kam der Idiot nur auf so eine Idee? ...oh. Siedend heiß fielen mir meine eigenen Drohungen ein, und wem gegenüber ich sie laut geäußert hatte. Ich war wirklich ein schlechter Einfluss. Ich hatte Danny zwar nicht schwul, dafür aber kriminell gemacht. „Los, hoch jetzt, du sitzt im Dreck. Wir müssen mit Caleb reden.“ ich streckte die Hand aus und half Danny auf die Füße. Der hatte bis jetzt noch gar nichts gesagt, nun wischte er sich mit einem Arm die regennassen Haare aus der Stirn, in der Hand immer noch das Messer. Ein sehr langes und sehr scharf aussehendes Messer. Wie kam er nur an solche Mordwerkzeuge? „Ich hab die Reifen zerstochen weil er dich geschlagen hat. Das hab ich für dich gemacht! Als Rache! Aber ich hab nicht dran gedacht dass er dich...“ stammelte Danny und fuhr sich wieder über das Gesicht, dann schien ihm das Messer einzufallen, und er senkte den Arm schnell wieder. Er tat mir Leid. Auch wenn er gerade ordentlich Mist gebaut hatte. „Du musst dich nicht für mich rächen! Ich hätte das schon irgendwie selbst wieder geklärt. Aber nicht so!“ „Aber du hast doch selbst gesagt...“ „Mensch Danny, ich sage viel wenn der Tag lang ist. Und das meiste davon ist dummes Geschwätz. Jetzt komm, ist Caleb zu Hause? Ich denke wir müssen ihm was beichten.“ Auch wenn es das letzte war was ich jetzt tun wollte, aber wir mussten ihm die Sache mit den Reifen sagen. Schon allein um weitere Missverständnisse vorzubeugen. Das war jetzt zwar blöd für Danny der ja immer noch die Tatwaffe in Händen hielt, aber die einzig richtige Entscheidung. Und das schien mein krimineller kleiner Freund zum Glück auch so zu sehen. Als wir in die Diele kamen schlüpften wir schnell aus Schuhen und Regenmänteln, und da sah er mich plötzlich verblüfft an. „Du hast ein Piercing!“ Und noch bevor ich diese Erkenntnis kommentieren konnte bemerkte er bereits die zweite Veränderung. „Und einen riesigen blauen Fleck im Gesicht! War das Caleb? Das sieht ja schlimm aus!“ Na immerhin war er ehrlich. Gemeinsam stiegen wir die Treppe in den ersten Stock hinauf, im Haus war es still und dunkel. Alle Türen waren geschlossen. „Er schließt sich schon den ganzen Tag ein. Er hat mir nur das Geschenk von dir gegeben und gesagt dass er dich verprügelt hat weil du mal wieder eine große Klappe gehabt hättest.“ flüsterte Danny mir zu, er klang gar nicht wütend, nur aufgeregt. Ich war beides. „Er hatte die größere Klappe, glaub mir.“ zischte ich zurück, dann hämmerte ich ohne noch einmal darüber nachzudenken an Calebs Zimmertür und riss sie ohne auf eine Antwort zu warten einfach auf. Wir hatten den Überraschungsmoment auf unserer Seite, und zumindest einer von uns war bewaffnet. Das sprach beides für uns. Caleb hockte mit untergeschlagenen Beinen auf seinem Bett, er trug Kopfhörer und ansonsten nichts weiter als eine schwarze Boxershorts. „Was zur Hölle...?“ er riss sich die Kopfhörer vom Kopf und wollte aufspringen, aber als er Danny und das Messer in dessen Hand erblickte verharrte er mitten in der Bewegung. Was dachte der denn warum wir gekommen waren? Um ihn abzustechen? Absurder Gedanke. Andererseits... „Überraschung! Wir sind hier um dir deine Männlichkeit zu nehmen! Mach dich bereit zu bluten! Auge um Auge, Zahn um Zahn, oder wie es so schön heißt...“ ich breitete die Arme aus und schenkte Caleb ein diabolisches Grinsen, und vielleicht hätte er wirklich Angst bekommen, aber da trat Danny plötzlich an mir vorbei und sagte mit kleinlauter Stimme: „Ich habe deine Reifen zerstochen. Tut mir Leid. Aber du hast Nicky geschlagen, und da wollte ich...“ „Du hast was?!“ Nun war Caleb doch auf den Beinen. Er starrte seinen kleinen Bruder an wie eine Erscheinung, völlig fassungslos, dann wanderte sein Blick zu mir. Ich hob abwehrend die Hände vor die Brust. „Ich hab ihn nicht dazu angestiftet, du bist selber Schuld. Warum sagst du ihm auch dass du mir ein verpasst hast?“ Caleb zischte verächtlich. „Was hätte ich denn sonst tun sollen? Er hätte es doch eh mitbekommen!“ Da musste ich ihm allerdings recht geben. Zu übersehen war der Bluterguss jedenfalls nicht. Danny´s Blick wanderte verwirrt zwischen uns beiden hin und her, er hatte das Messer immernoch in der Hand, und das schien nun auch Caleb wieder einzufallen. Er trat auf seinen kleinen Bruder zu und streckte fordernd die Hand aus. „Gib mir das Messer Danny, sonst verletzt sich noch einer. Wo hast du das überhaupt her? Das sieht ja furchtbar aus.“ Und wieder ein Blick zu mir. Oh man. Das Messer wechselte den Besitzer, Caleb drehte es noch einen Moment prüfend in den Händen, dann legte er es auf eine Kommode und wandte sich wieder an Danny. „Wieviele Reifen hast du zerstochen?“ er versuchte ruhig zu wirken, aber seine Stimme zitterte vor zurückgehaltener Wut. Armer Danny. Der quälte sich sichtlich, aber da musste er jetzt durch. So Leid es mir für ihn auch tat. „Drei, dann hat Nicky mich unterbrochen. Ein Vorderreifen ist noch ganz.“ Caleb stöhnte auf und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar; ich hielt es für einen Glücksfall dass er den größten Teil seiner Aggressionen bereits am Vormittag an mir ausgelebt hatte, sonst wäre jetzt mit allergrößter Wahrscheinlichkeit Danny fällig gewesen. Der wurde beim Anblick seines wütenden großen Bruders immer kleiner, ich sah nur seinen Rücken, aber ich wette er hatte bereits Tränen in den Augen. Vielleicht sollte ich doch eingreifen. Das war nicht sehr clever, aber besser noch ein Schlag für mich als wenn Danny etwas abbekam. Der war noch nicht so abgebrüht wie ich. „Sei doch froh dass er dir nicht den Lack zerkratzt oder etwas in den Tank gekippt hat. Das wäre sicher teurer geworden.“ Diplomatie war meine große Stärke. Caleb fuhr auf dem Absatz herum und funkelte mich wütend an, für einen Moment schien es ihm die Sprache verschlagen zu haben, dann fletschte er die Zähne und kam drohend auf mich zu. „Sag mal willst du dir noch eine fangen oder was? Du bist mal wieder besonders komisch, aber jetzt ist langsam genug! Geh aus dem Weg Danny!“ Danny rührte sich nicht, aber ich schob mich an ihm vorbei und starrte Caleb herausfordern an. Einen Schlag mehr würde ich schon noch verkraften. Wenn Danny dafür ungeschoren davonkam war es so gesehen sogar für einen guten Zweck. „Mach doch! Schlag mich! Diesmal hätte ich es sogar verdient!“ fauchte ich zurück, und vielleicht hätte Caleb das sogar getan, aber nun fand Danny seine Stimme wieder. Er trat neben mich und starrte Caleb mit großen, tränennassen Augen an. Seine Stimmte bebte vor Zorn. „Was soll das? ICH habe deine Reifen zerstochen! Ich! Und nicht Nicky! Warum willst du ihn dafür schlagen? Was ist denn los mit dir?!“ „Er denkt dass ich dich schwul mache.“ Ich hatte es ganz leise gesagt, aber die Wirkung war trotzdem durchschlagend. Danny drehte sich zu mir um und sah mich völlig verdutzt an, und Caleb seufzte genervt. Okay, das war nur die halbe Wahrheit, aber sie nahm uns Kampfhähnen wenigstens für den Moment den Wind aus den Segeln. Das war etwas was man ausdiskutieren konnte, und zwar ohne sich dabei die Köpfe einzuschlagen. Caleb ergriff als erster das Wort. „Das denke ich gar nicht, ich will nur nicht...“ fing er an, aber Danny unterbrach ihn sofort wieder. Ziemlich mutig. Seine Stimme war immer noch wütend, aber jetzt schlug der Ton eher in Trotz um. „Caleb, ich bin NICHT schwul! Und ich werde es auch nicht werden nur weil ich Nicky gern hab. Wie kannst du nur so einen Mist denken?“ Mir lagen tausend unpassende Kommentare auf der Zunge, aber ich verbiss mir jeden einzelnen davon. Anzusehen waren sie mir wahrscheinlich trotzdem. Zumindest wenn man Calebs Gesichtsausdruck glauben durfte. Für ihn war ich immernoch die Wurzel alle Übels, und der Schuldige im Bezug auf seine zerstochenen Reifen. Danny mochte das Messer geführt haben, aber ich war die kriminelle Energie dahinter. Wie zur Hölle konnte man nur so verbohrt sein? „Aber er beeinflusst dich! Du hast nur Ärger wegen ihm! Denk nur an Hunter und seine Leute! Das wird immer wieder passieren, egal was er dir so hoch und heilig verspricht! Warum begreifst du das denn nicht?“ Caleb kam wieder auf uns zu, und ich wich vorsichtshalber in Richtung Zimmertür zurück. Nur für den Fall. Auch wenn Caleb jetzt in erster Linie nicht mehr wütend, sondern eher verzweifelt klang. Hielt er mich wirklich für eine so große Gefahr? Das konnte ich fast nicht glauben. Ich gab mir mit Danny doch Mühe! Mehr als bei jedem anderen zuvor! Und trotzdem war es anscheinend nicht genug. „Wollt ihr vielleicht alleine weiter machen...? Dann würde ich jetzt nämlich gehen, ich will wirklich nicht stören...“ „Willst du dich gar nicht verteidigen?“ wandte Caleb sich vorwurfsvoll an mich, und ich erstarrte mitten in der Bewegung. Hätte ich nur die Klappe gehalten. Ich schüttelte den Kopf. „Das hat bei dir doch gar keinen Sinn. Du hast eine Meinung und bei der bleibst du, egal was ich sage. Die Mühe spar ich mir einfach, wenn´s recht ist. Rede mit Danny, vielleicht bringt der dich noch zur Vernunft. Ich geb´s auf.“ Meine Ansprache hätte abfällig klingen können, aber sie tat es nicht. Ich wollte die Situation nicht wieder hoch puschen, das wäre dumm gewesen. Es war fieß was Caleb mir unterstellte, aber wie sollte er es auch besser wissen können? So gesehen kannte er mich nicht, zumindest nicht gut genug um mehr zu sehen als den sich Drogen einschmeißenden verdorbenen kleinen Alki der seinen gut behüteten Bruder vom Fade der Tugend direkt in die sündige Hölle führte. Wir standen jetzt wohl alle mit dem Rücken zur Wand. Drückendes Schweigen breitete sich im Raum aus, der Regen schlug jetzt wieder heftiger gegen die geschlossenen Fensterscheiben, das leise Grollen eines herannahenden Gewitters war zu hören. Am liebsten wäre ich einfach abgehauen. Aber das hätte nichts besser gemacht. Wir starrten uns abwartend an, keiner wagte es die Stille zu durchbrechen, und wahrscheinlich hätten wir noch ewig so dagestanden wenn Danny es noch länger ausgehalten hätte. Aber er war nun einmal nicht besonders gut darin über längere Zeit die Klappe zu halten, und so erlöste er uns schließlich. In dem er ganz einfach das Thema wechselte. „Ich habe mir die DVD zu dem Actionfilm gekauft den wir letztens zusammen im Kino gesehen haben. Wollen wir uns den nochmal ansehen?“ Mir fielen tausend Dinge ein die ich lieber getan hätte, aber genau wie Caleb nahm ich dieses vorläufige Friedensangebot an. Alles andere wäre mehr als dumm gewesen. Da Caleb der einzige der beiden Brüder war der einen Fernseher inklusive DVD-Player im Zimmer hatte lief Danny los um den Film zu holen, und wir waren für einen Moment allein. Die Situation war immer noch angespannt, aber nicht mehr bedrohlich. Ohne mich weiter zu beachten begann Caleb sein Bett zu machen, er sah mich nicht an als er die nächsten Worte aussprach. „Dass du für meine zerstochenen Reifen gerade stehen wirst ist klar denke ich?“ „Natürlich.“ knurrte ich widerwillig.  „Sei froh dass er nicht auch noch die anderen Sachen umgesetzt hat die ich ihm gegenüber angedroht habe.“ Bevor wir das Thema noch weiter vertiefen konnten tauchte Danny wieder auf, in einer Hand die DVD, in der anderen eine Tüte Chips. Er sah uns misstrauisch an. „Streitet ihr schon wieder?“ Wir verneinten beide synchron, und Danny grinste. Er warf Caleb die noch eingeschweißte DVD zu und krabbelte aufs Bett, dann riss er die Chipstüte auf. „Ey, krümel mir nicht ins Bett! Ich muss da heute noch schlafen!“ fuhr der seinen kleinen Bruder an, aber Danny ließ sich überhaupt nicht stören. „Komm Nicky, setz dich neben mich!“ er klopfte neben sich auf die Bettdecke, dann sah er mich fragend an. „Kannst du mit dem Piercing überhaupt Chips essen?“ Ich lehnte mich neben ihm ans Kopfende des Bett und griff in die Tüte. „Ich kann es ja mal versuchen.“   Der Film wurde auch beim zweiten Mal nicht besser, und auch Danny konnte er dieses Mal nicht besonders fesseln. Nachdem er die halbe Tüte Chips praktisch alleine geleert hatte sank sein Kopf langsam gegen meine Schulter. Bevor er ganz wegnickte stupste er mich noch einmal kurz in die Seite, und als ich  mich zu ihm umdrehte gab er mir trotz Calebs Anwesenheit einen Kuss auf den Mund. „Hau nicht einfach ab wenn ich einschlafe, okay?“ „Keine Sorge, bei dem Wetter gehe ich heute nirgendwo mehr hin.“ Danny seufzte zufrieden, dann kuschelte er sich wieder an mich und schloss die Augen. Ich warf einen vorsichtigen Blick zu Caleb, aber der starrte weiter auf den Bildschirm und tat so als hätte er nichts mitbekommen. Als der Abspann eingeblendet wurde bewegte ich mich langsam ohne Danny dabei aufzuwecken. „Ist es wirklich okay wenn ich heute hier schlafe?“ flüsterte ich leise, und Caleb nickte ohne mich dabei anzusehen. „Klar, ist ja nicht das erste Mal. Aber nur wenn ich auch einen Gute Nacht – Kuss bekomme.“ Ich sah ihn überrascht an, aber Caleb´s Aufmerksamkeit galt weiter dem Fernsehbildschirm. Hatte er das gerade ernst gemeint? Oder verarschte er mich nur wieder? Egal, ich würde es herausfinden. Vorsichtig, um Danny nicht doch noch aufzuwecken beugte ich mich über seinen Kopf hinweg zu Caleb hinüber um ihm einen schnellen Kuss auf die Wange zu geben, doch kurz bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte drehte Caleb sich plötzlich blitzschnell zu mir um, und meine Lippen trafen nicht wie geplant seine Wange, sondern seinen Mund. Ich spürte wie mein Herz vor Schreck einen Schlag aussetzte, mir wurde siedend heiß, und obwohl dieser überraschende Kuss nur wenige Sekunden dauerte kam er mir vor wie eine Ewigkeit. Und dabei  war es noch nicht einmal ein richtiger Kuss. Unsere Lippen berührten sich nur flüchtig, ganz ohne Druck, aber bevor ich noch weiter darüber nachdenken konnte begann Danny sich zu rühren und wurde langsam wach. „Ist der Film schon zu Ende?“ murmelte er schlaftrunken und rieb sich die Augen. Ich warf noch einen letzten verwirrten Blick in Calebs Richtung, aber der war bereits aufgestanden und schaltete den Fernseher ab. „Du hast das große Finale verschlafen, aber das kanntest du ja eh schon. Wollen wir uns zum Abendessen ein paar Pizzen in den Ofen werfen? Zum Kochen habe ich heute keine Lust mehr.“ Er steckte die DVD zurück in die Hülle und gab sie Danny, der nickte begeistert und rutschte mit DVD und Chipstüte in den Händen vom Bett. „Ich nehme Salami, alles andere ist mir egal!“ Er hüpfte vor Caleb und mir die Treppe hinunter und verschwand in der Küche. „Kannst du mit dem Ding in der Lippe überhaupt irgendetwas abbeißen oder muss man dir die Pizza pürieren?“ fragte Caleb hinter mir spöttisch, und ich bedachte ihn mit einem betont unschuldigen Blick. „Warum fragst du? Küssen ging doch auch.“ Er hob warnend den Zeigefinger. „Kein Wort mehr darüber, oder du darfst die Pizza mit den Champignons drauf essen.“ Meine Abneigung gegen Pilze aller Art war kein Geheimnis. Ich schaffte nur eine halbe Pizza und brauchte dafür fast doppelt so lange wie Caleb und Danny die jeder eine ganze und dann auch noch den Rest von meiner verspeisten. „So ein Piercing scheint gut für die Figur zu sein.“ Caleb zwinkerte mir zu als er in das letzte Stück von meiner Pizza biss. „Nennst du mich gerade fett? Sei besser vorsichtig, Hunger macht böse.“ Knurrte ich zurück, und Caleb schüttelte schnell den Kopf. „Das hab ich nicht gesagt, und verärgern will ich dich ganz sicher nicht. Nachher zerkratzt du mir wirklich noch den Lack. Und das nur weil du dich selbst so verstümmelt hast dass du nun nicht mehr gescheit essen kannst.“ Er grinste mich über die Pizza hinweg an, und ich gab einen frustrierten Laut von mir. Ich mochte mein Piercing immer noch, aber es brachte eine ganze Menge unangenehme Begleiterscheinungen mit sich. Hoffentlich würde es bald verheilen. „Also ich finde das Piercing steht Nicky richtig gut, hör auf ihn deswegen zu ärgern.“ Schaltete Danny sich jetzt ein, und ich warf Caleb einen triumphierenden Blick zu. „Siehst du? Wenigstens einer von euch beiden hat Geschmack.“ Caleb hob provokativ eine Augenbraue. „Aha?“ Es  dauerte einen Moment bevor ich begriff auf was er da anspielte, und zu  meiner eigenen Verblüffung lief ich sofort knallrot an. Ich senkte schnell den Blick, und Danny sah verwirrt zwischen uns hin und her. „Hab ich was verpasst?“ „Nee, alles gut.“ Auf Calebs Lippen lag ein ziemlich überhebliches Grinsen welches ich ihm am liebsten mit einem passenden Kommentar aus dem Gesicht gewischt hätte, aber mir fiel einfach nichts ein was ich hätte erwidern können. Also starrte ich schweigend auf meinen leeren Teller und hoffte darauf dass jemand das Thema wechseln würde. Was Caleb schließlich auch tat, nur nicht unbedingt so wie ich es gern gehabt hätte. „Während ihr hier aufräumt geh ich mir mal die Bescherung an meinem Auto ansehen. Vielleicht ist ja noch was zu retten.“ Danny und ich warfen uns einen zweifelnden Blick zu. Wir würden Caleb jedenfalls keine Hoffnungen machen. Wir räumten die schmutzigen Teller in die Spülmaschine und setzten uns wieder an den Tisch, bis gerade eben war die Stimmung noch einigermaßen gelöst gewesen, aber jetzt saßen wir wie auf Kohlen. Die Reifen des Ford Escorts waren hoffnungslos hinüber, da waren wir uns sicher. Es dauerte keine fünf Minuten bis Caleb wieder zurück war, nass vom Regen und mit verkniffenem Gesicht. Die Spannung im Raum war praktisch spürbar. „Sehr schlimm?“ fragte Danny zaghaft, und Caleb schnaubte verächtlich. „Du hast da draußen ein richtiges Massaker angerichtet du Idiot. Sei froh dass du mir nicht auch noch ausversehen die Felgen zerkratzt hast, sonst müsste ich dich jetzt höchstwahrscheinlich umbringen.“ Danny sank deprimiert in sich zusammen, er sah aus wie ein geprügelter Hund. „Wieviel kostet denn so ein Reifen?“ versuchte ich diplomatisch einzuwerfen, aber Caleb funkelte mich nur wütend an. Da hatte Danny wohl ganze Arbeit geleistet. „Das waren nagelneue Sommerreifen, die haben mich ein halbes Vermögen gekostet. So viel kannst du gar nicht anschaffen gehen um das bis Anfang Herbst wieder rauszuholen.“ „Hey!“ Caleb raufte sich seufzend die Haare und ließ sich neben mir auf den Küchenstuhl fallen. „Sorry.“ Er starrte auf die leere Tischplatte, dann seufzte er noch einmal und murmelte leise: „Ich weiß ja dass du dich nicht so billig verkaufst.“ So viel zum Thema Waffenstillstand. Ich schwieg verbissen auch wenn mich Calebs Worte mehr als nur ein bisschen getroffen hatten, ich wollte nicht dass sich die Situation schon wieder hoch schaukelte. „Tut mir Leid Caleb, ich war einfach so wütend. Ich bezahl dir deine Reifen, versprochen.“ Danny sah seinen Bruder mit großen flehenden Augen an, er war schon wieder kurz davor los zu heulen. Caleb trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte, er sah immer noch wütend aus, aber zumindest Danny gegenüber wollte er sich wohl zusammen reißen. Immerhin etwas. Zumal ich in seinen Augen ja eh der Hauptschuldige war. „Lass gut sein, ich habe noch die Reifen vom Vorjahr, die tun es die letzten paar Monate auch noch. Aber sobald das Wetter sich gebessert hat ist es eure Aufgabe sie vom Dachboden runter holen und zu putzen, das ist das mindeste was ich von euch erwarte.“ Danny und ich versprachen hoch und heilig unsere Mithilfe, aber ich wusste dass das noch nicht alles war. Das sagte mir Calebs Blick. Aber Danny war erstmal raus aus der Sache. Am Abend rief ich Marielle an und fasste ihr die neusten Ereignisse zusammen. Das einzige was ich ihr verschwieg war der Kuss zwischen Caleb und mir. Ich wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen, nicht so lange ich meine eigenen noch nicht aufgegeben hatte. Es war dumm, aber diese kleine fast nicht stattgefundene Berührung hatte mich ordentlich aus der Bahn geworfen. Ich hatte schon eine ganze Menge Kerle geküsst (und mehr), aber bei keinem war es so gewesen wie bei Caleb. Fühlte sich so Verliebtheit an? Dann hätte ich wirklich ein Problem. Kapitel 9: #09 -------------- Das Wetter blieb trüb und regnerisch, und der schief auf seinen Achsen stehende Ford Escort vor dem Pferdestall war wie ein stummes Mahnmal dass mir bei seinem Anblick jedes Mal Magenschmerzen bereitete. Lilly und meinen Vater hatte ich inzwischen auch eingeweiht, wenn auch nur in mit sehr grob gehaltenen Fakten (mit Caleb gestritten, er hatte mir eine verpasst, aus Rache zerstach Danny ihm die Reifen, jetzt wieder alles gut). Der letzte Teil war zwar sehr optimistisch, aber ich wollte nicht dass sie sich möglicherweise noch einmischten. Ich würde das allein regeln. Irgendwie. Mein Piercing verheilte vorbildlich, und als von dem Bluterguss in meinem Gesicht nur noch ein blasser Schatten zu erkennen war überschminkte Jessy mir den professionell, und zusammen mit Marielle ließ ich mich in Stanleys Studio für dessen Galerie ablichten. Meine neue Busenfreundin hatte sich kurz nach mir ebenfalls noch einmal spontan piercen lassen; sie trug jetzt einen kleinen Ring durch die Nasenscheidewand. Wir waren schon ein hübsches Pärchen. Natürlich hatte Marielle es sich nicht nehmen lassen Stanley ein bisschen auszuquetschen; wir wussten nun dass er 28 und single war, und schon als kleiner Junge davon geträumt hatte sein eigenes Piercingstudio zu besitzen. Er war nett, witzig, und sah gut aus. Und als er mich nach dem Fotoshooting um meine Nummer bat (natürlich nur um mich anzurufen wenn die Aufnahmen fertig waren, ja ja) sagte ich nicht nein. Als ich Marielle davon erzählte hängte sie sich quietschend an meinen Arm und küsste mich überschwänglich auf die Wange. „Ey, das Make-up!“ wies ich sie zurecht, und sie kicherte noch mehr. Gemeinsam statteten wir dem Punk- und Gothicgeschäft noch einmal einen Besuch ab, und Marielle überraschte mich mal wieder aufs neue. Sie suchte sich eine nachtblaue Samtbluse mit Knopfleiste und weitem rüschenbesetzten Ausschnitt aus, und auch ich musste für sie Anziehpuppe spielen. Durch meinen Erfolg bei Stanley beflügelt tat ich ihr den Gefallen sogar ohne großartig zu murren, und schließlich war ich um ein enges schwarzes Shirt mit halblangen Ärmeln und silbrigen Knöpfen an eben jenen reicher. „Du siehst einfach in allem gut aus! Mich würde mal interessieren ob man aus dir auch ein Mädchen machen könnte...“ flötete Marielle, und ich warf ihr einen entsetzten Blick zu. „Das kannst du aber mal ganz gepflegt vergessen. Ich mache ja vieles mit, ich lasse mich für dich sogar durchlöchern und in irgendwelche Gothicklamotten stecken, aber irgendwann reicht es. Ich bin KEIN Mädchen!“ Marielle nahm mich kein bisschen ernst. Wir warteten wieder bis Jessy Feierabend hatte, dann brachten die beiden mich nach Hause. Als ich gerade aus dem Auto steigen wollte rief Marielle mich noch einmal zurück und streckte mir einen kleinen gefalteten Zettel entgegen. „Hier! Hätte ich beinahe vergessen! Mein Cousin gibt in zwei Wochen eine Party, die letzte bevor wir wieder in die Schule müssen. Du bist eingeladen, und Caleb und Danny auch. Wenn die Klapperkiste bis dahin noch nicht wieder ganz ist holen wir euch auch gerne ab! Ihr kommt, ja?“ Ich sagte unverbindlich zu; einerseits wäre es sicher nicht verkehrt vor Schulbeginn schon einmal ein paar neue Gesichter kennen zu lernen, andererseits hatte ich wenig Lust mit Caleb dort aufzukreuzen. Und was bei meiner letzten Party passiert war musste ich ja nicht noch einmal erwähnen. Ich stapfte durch den allgegenwärtigen Matsch die Einfahrt hinunter und hinüber zu unserem Haus. Leo bellte, und ich pfiff ihm kurz und freundlich zu. Dieses Wetter konnte einen wirklich depressiv machen. „Ich will aber auf diese Party! Marielle hat uns alle eingeladen, du kannst es mir gar nicht verbieten!“ Danny stand mit vor Wut geballten Fäusten vor Caleb; es war gerade einmal fünf Minuten her seit ich den beiden von Marielles Einladung zur Party ihres Cousins erzählt hatte. Und das Szenario welches daraufhin folgte war mehr als vorhersehbar gewesen. „Es ist mir egal was du willst, und doch, ich kann es dir verbieten! Solange unser Vater nicht hier ist hab ich hier das Sagen, und ich sage du gehst da nicht hin. Das ist mein letztes Wort!“ Caleb starrte uns wütend an, natürlich war er gegen die Party, ich hatte nichts anderes erwartet. Am liebsten hätte er mir die Teilnahme auch direkt verboten, aber ich fiel glücklicherweise nicht in seinen Weisungsbereich. „Ich wette Nicks Vater lässt ihn auch nicht hingehen, nicht nachdem was das letzte Mal passiert ist.“ Autsch. Da war ja was. Aber so leicht ließ ich mich nicht unterkriegen. „Ach, ich schleich mich einfach raus. Aber ich denke ich kriege die Erlaubnis auch so, Marielle hat versprochen für mich ein gutes Wort einzulegen. Und ihre Schwester ist auch auf meiner Seite. Und die ist erwachsen.“ ich grinste Caleb siegessicher an, und der stand kurz vorm Explodieren. Vor kurzem hatte meine beste Freundin ihm auch noch gesteckt dass ich mich mit einem deutlich älteren Mann traf; keine Ahnung warum, aber das schien doch ziemlich an Calebs Ego gekratzt zu haben. Nach unserem keuchen Gute-Nacht-Kuss hatte er nicht noch einmal versucht sich mir zu nähern, und ich war nicht besonders gut darin auf jemanden zu warten. Also hatte ich Stanley den Vorzug gegeben. Wir waren bereits bei unserem zweiten Date im Bett gelandet; ich nahm nicht an dass das zwischen uns etwas längerfristiges werden würde, aber für den Moment war es okay. Es lenkte mich von den Reibereien mit Caleb ab, und ich ließ mich von ihm nicht mehr so leicht aus der Ruhe bringen. Was natürlich noch ein Grund mehr für Caleb war meine Beziehung zu Stanley zu hassen. „Du bist echt ein kleines beschissenes Aas, weißt du das?“ zischte Caleb in meine Richtung, aber ich zuckte nur mit den Schultern. Caleb konnte soviel Schimpfen wie er wollte, ich war ein freier Mann, und das passte ihm überhaupt nicht. Vor allem weil ich mit meinen Widerworten Danny dazu anstachelte ebenfalls welche zu geben, und das gab mir ein gewisses Gefühl von Genugtuung. Ethan´s Party war außerdem völlig ungefährlich. Wir würden im Haus und auf dem Grundstück seiner Eltern feiern, die waren zwar nicht direkt dabei, aber ich wusste von Marielle dass sie sehr wohl an ihrem Hab und Gut hingen, und Ethan postwendend und ohne zu Zögern in ein Boot Camp stecken würden wenn auch nur ein Bier- oder Kotzefleck auf einem der sündhaft teuren Teppiche landen würde. „Ach Caleb komm schon. Du kannst doch als Anstands-Wauwau mitkommen, du bist doch auch eingeladen. Und es sind doch sogar Erwachsene anwesend! Jessy, und Stanley...“ versuchte ich meinen verstockten Nachbarn umzustimmen, aber der stieß nur verächtlich die Luft aus. „Klar. Erwachsene. Die Frau die dich dazu überredet hat dich Verstümmeln zu lassen und der Typ der dass dann auch noch getan hat. Ich habe vollstes Vertrauen in ihre geistige Reife, danke.“ Es war doch zum Verrücktwerden! Danny stand wie ein Häufchen Elend neben mir, ihn traf Calebs Ablehnung noch viel härter als mich, immerhin würde er die Party sausen lassen müssen wenn wir seine Spaßbremse von Bruder nicht umstimmen konnten. Da kam mir eine Idee. Sie war nicht besonders fair, aber das war Caleb auch nicht. Ich berührte Danny am Arm und schüttelte den Kopf. „Lass uns gehen, der gönnt dir den Spaß einfach nicht. Mein Vater hat gestern eine neue DVD für seine Sammlung angeschleppt, die soll ziemlich gut sein. Wir zwei machen uns jetzt einen netten Abend, und Caleb kann sich hier alleine ärgern bis er schwarz wird. Das hat er verdient, dieser verbockte Idiot.“ Caleb rief uns noch irgend etwas wenig freundliches hinterher, aber ich schob Danny einfach aus der Küche und schloss die Tür hinter uns. Dann grinste ich breit. „Und jetzt...rufen wir euren Vater an und fragen ob du mit mir zur Party gehen kannst. Wir sagen es werden ganz viele Leute aus der Schule da sein, und es wäre so etwas wie dein soziales Aus wenn du nicht hingehen dürftest. Das wird ihn schon weich kochen, denkst du nicht auch?“ Ich war wirklich böse. Natürlich hatte Dannys Vater nichts dagegen als dieser ihn fragte ob er auf eine Party seiner Klassenkameraden gehen dürfte, und als auch noch die anwesenden Erwachsenen zur Sprache kamen war die Sache sowieso geritzt. Danny legte den Telefonhörer zur Seite und strahlte über das ganze Gesicht. „Er hat ja gesagt! Du bist ein Genie Nicky! Caleb wird es niemals wagen unserem Vater zu widersprechen, also darf ich hingehen! Juhu! Ich gehe auf eine Party!“ Bis zur letzten Minute versuchte Caleb Danny am Besuch der Party zu hindern, aber schließlich musste er einsehen dass er gegen das Wort seines Vaters keine Chance hatte. Und so saßen wir schließlich alle drei am letzten Freitagabend unserer Sommerferien in dem inzwischen wieder bereiften Ford Escort und fuhren gut gelaunt Richtung Stadtrand; na gut, einer der Anwesenden war nicht ganz so gut gelaunt, aber das war zu verschmerzen. Danny trug das T-Shirt das Marielle und ich für ihn ausgesucht hatten, das schwarze mit den apokalyptischen Reitern, und auch ich hatte mich in eines von Marielles Schätzchen geworfen; ein dunkelgrau marmoriertes halblanges Sweathshirt mit schwarzen Querstreifen an Bund und Ärmeln. Wir zwei sahen wirklich spitze aus. Nur Caleb fiel natürlich total aus der Reihe. „Jetzt zieh nicht so ein Gesicht wie zehn Tage Regenwetter. Wir sind fast da, du kannst dich jetzt mit deinem Schicksal abfinden und mitfeiern, oder du bleibst in deinem Traum von einem Auto sitzen und schmollst bis die Party vorbei ist. Na?“ Seine Antwort bestand aus einem wütenden Knurren. Ich hatte nichts anderes erwartet. Die Party war bereits in vollem Gange als wir endlich eintrafen, Dutzende Autos parkten am Straßenrand, die Musik war selbst hier draußen ohrenbetäubend. Danny und ich kletterten aus dem Auto, er wirkte ein bisschen verunsichert, aber ich legte ihm aufmunternd einen Arm um die Schulter und grinste ihm zu. „Keine Sorge, das wird lustig! Ich bleibe die ganze Zeit in deiner Nähe wenn du willst, okay? Und wenn du keine Lust mehr hast suchen wir Caleb und fahren sofort heim, das verspreche ich dir.“ Danny wirkte noch nicht so recht überzeugt, aber ich ließ ihm gar keine Zeit mehr um weiter darüber nachzudenken. Ohne auf Caleb zu warten zog ich ihn mit mir in Richtung des hell erleuchteten und bis zum Erbrechen mit Menschen gefüllten Gebäudes.   „Nicky! Na endlich! Ich dachte ihr kommt gar nicht mehr!“ Wir hatten kaum die Türschwelle übertreten da kam Marielle auf uns zugeflogen und gab uns jedem einen alkoholgeschwängerten Schmatzer auf die Wange. Sie trug die samtene blaue Bluse die wir gemeinsam gekauft hatten, und dazu einen kurzen eng anliegenden schwarzen Rock. Sie sah atemberaubend aus. „Wo habt ihr denn Caleb gelassen? Oder seit ihr hergetrampt?“ sie stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte suchend über unsere Köpfe, aber bevor ich antworten konnte hatte Stanley uns bereits entdeckt. Er saß zusammen mit Jessy und einem anderen Mädchen, einer kleinen zierlichen Elfe mit weinrot gefärbtem Haar und auffällig dunkel geschminkten Augen auf einem eleganten beigen Ledersofa und hielt einen Pappbecher mit Bier in der Hand. Den stellte er jetzt vor sich auf dem Couchtisch ab und drängte sich durch die Menschenmassen bis zu uns hindurch. Er überragte die meisten Anwesenden um mehr als einen ganzen Kopf. „Hey mein Schatz, doch noch her gefunden? Ich hab schon angefangen mir Sorgen zu machen.“ Er beugte sich zu mir herunter und gab mir einen Kuss, dann wandte er sich zu Danny um und zwinkerte ihm zu. „Du bist Danny nehme ich an. Nicky schwärmt mir ständig von dir vor. Da werde ich fast ein bisschen eifersüchtig.“ Danny murmelte irgendetwas unverständliches und lief knallrot an. Ich lachte. Natürlich hatte ich Stanley von Dannys kleinen Eifersuchtsanfällen erzählt, und er hatte mir versprochen ihn mit ganz besonderen Samthandschuhen anzufassen. Auch wenn ich mir sicher war dass das mit Stanley nur eine vorübergehende Sache war, er war trotz allem ein richtiger Schatz. „Und wo ist dein gemeiner großer Bruder der euch den ganzen Spaß verderben wollte?“ „Den gehe ich jetzt mal suchen, nachher verkrümelt der sich klammheimlich und verpasst diese wundervolle Party.“ Schaltete Marielle sich ein und verschwand zwischen den immer dichter werdenden Menschengrüppchen. Stanley geleitete uns mit hinüber zu der kleinen Sofaecke, ich begrüßte Jessy mit einem Wangenküsschen, danach wurde mir die hübsche rothaarige, Sophia, vorgestellt. „Sophia ist meine Praktikantin, sie interessiert sich sehr für Piercings und Tattoos. Sie ist auch 15, genau wie du Danny, oder?“ Aha, daher wehte also der Wind. Jessy zwinkerte mit grinsend zu, und ich dirigierte Danny neben Sophia aufs Sofa. „Hi Danny. Stanley hat mir erzählt dass du auf einem Pferdehof wohnst und dass du ein eigenes Pferd hast. Ich LIEBE Pferde!“ Das war genau Dannys Thema. Während er von seiner Stute Kalypso erzählte konnte man richtig beobachten wie er langsam auftaute, und Stanley und ich rückten immer weiter aus seinem Aufmerksamkeitsbereich. Der Plan ging auf, und es war schön ihn so begeistert zu sehen. Stanley legte einen Arm um meine Schulter und flüsterte mit leise ins Ohr. „Ich wusste das die zwei sich gut verstehen werden. Sophia ist eine richtige Pferdenärrin, auch wenn sie gar nicht so aussieht. Und Danny scheint auch ein netter Kerl zu sein, da hattest du recht. Niedlich oder?“ Keine fünf Minuten später waren wir alle mit Bier oder Bowle versorgt und an Caleb verschwendete ich keinen Gedanken mehr. Und auch an sonst niemanden. Stanley und ich waren ausführlich mit einander beschäftigt, und auch Jessy hatte sich in kürzester Zeit einen Typen geangelt. „Kommt ihr mit raus eine rauchen?“ Sophia hatte ein Bein über Dannys Schoß gelegt und stupste mich mit ihrem nackten Fuß in die Seite. Ich löste mich widerwillig von Stanley und verzog das Gesicht. „Nee, also ich nicht. Ich rauche nicht.“ „Ich hab was viel besseres als eine öde Zigarette, schaut mal.“ Der Kerl neben Jessy, ein blond gelockter Jüngling mit schräg stehenden braunen Mandelaugen zupfte an seiner Hosentasche und förderte einen schon ordentlich zerknickten aber sicher noch brauchbaren Joint zu Tage. „Sascha, hier sind Kinder anwesend!“ schallt Jessy ihn, aber ihre Stimme klang eher belustigt als tadelnd. Sascha sah uns fragend an, und ich zuckte die Schultern. „Ich hab kein Problem damit, wäre nicht mein erster.“ „Meiner auch nicht.“ Stimmte Sophia mir zu. Danny blieb stumm, aber da er ebenfalls keine Widerworte gab wertete Sascha sein Schweigen wohl als Zustimmung. Mit einem kleinen neongrünen Feuerzeug zündete er den Joint an und zog zweimal kurz und kräftig, dann legte er Jessy eine Hand an die Wange und drehte ihren Kopf zu sich herum. Sie küssten sich, und er blieb ihr den Rauch direkt in den Mund. Und so ging es reihum. Als Danny an Sophia weitergab kicherte sie mädchenhaft, aber sie zierte sich nicht. Schließlich mussten wir doch alle nach draußen um frische Luft zu schnappen, ich hakte mich bei Danny ein und zog ihn kurz an mich. „Alles okay bei dir?“ Er nickte und gab mir einen Kuss auf die Wange. „Ja. Danke dass du mich mitgenommen hast.“   Die kühle Nachtluft klärte unsere leicht benebelten Köpfe. Sophia und Stanley steckten sich ihre normalen Zigaretten an und ich ließ den Blick langsam über die anderen Nachtschwärmer hier draußen wandern. Wo Caleb wo stecken mochte? Sein Ford stand jedenfalls immer noch am Straßenrand, und das beruhigte mich schon ein bisschen. „Wollen wir wieder reingehen oder soll ich uns eine Flasche Sekt für hier draußen organisieren? Drinnen wird´s jetzt immer voller.“ Jessy sah fragend in die Runde, und wir entschieden uns die Party unter freiem Himmel fortzusetzen. Im Garten fanden wir noch ein nettes freies Fleckchen im Gras und ließen die Flasche Sekt kreisen. Ich hasste Sekt, aber inzwischen war mir auch das egal. „Nicky ist schon betrunken!“ kicherte Sophia und reichte Danny die Flasche. Der warf mir einen prüfenden Blick zu und gab sie ohne selbst zu trinken weiter. „Caleb wird ganz schön sauer auf dich sein.“ Meinte er warnend, aber ich zuckte nur gleichgültig die Schultern. Ich lehnte mit dem Rücken an Stanley, sein Arm lag um meine Mitte. Mir war herrlich beschwippst zu Mute. „Caleb ist immer sauer auf mich, was macht das jetzt für einen Unterschied? Solange ich ihm nicht ins Auto kotze ist doch alles okay.“ Sophie kicherte wieder, und Jessy beugte sich neugierig nach vorn und sah mich fragend an. „Was hat der eigentlich gegen dich Nicky? Marielle erzählt mir ständig dass ihr euch streitet, und geprügelt habt ihr euch ja auch schon. Du bist doch eigentlich ein netter Kerl, oder nicht?“ Nun lag die allgemeine Aufmerksamkeit auf mir, und ich versuchte in meinem benebelten Gehirn eine passende Antwort zusammen zu flicken. Zum Glück kam Danny mir zur Hilfe. „Caleb denkt Nicky würde mich schwul machen. Deswegen streiten sie immer. Mein Bruder ist da ein bisschen komisch.“ meinte er nüchtern, und Sophie lehnte sich schnell zu ihm herüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Das wäre aber schade wenn du schwul werden würdest. Dann müsste ich mir ja einen neuen niedlichen Freund mit Pferd suchen.“ Und schon war ich wieder aus dem Schneider. Nachdem wir die Sektflasche gemeinsam geleert hatten machte ich mich schwankend auf die Suche nach der Toilette, ich wollte gerade durch die Terrassentür nach drinnen gehen als ich ziemlich unsanft an der Schulter gepackt und festgehalten wurde. Das konnte nur einer sein. Niemand sonst war ohne Grund so grob zu mir. „Caleb, lass mich los, ich muss mal…ins Bad.“ Ich versuchte seine Hand abzuschütteln, aber hielt mich eisern fest. Was war denn nun schon wieder? „Du kannst unterwegs ins Gebüsch pissen, wir gehen. Wo ist Danny?“ Endlich schaffte ich es mich zu ihm umzudrehen, und mir blieb jegliches Widerwort im Halse stecken. Ich hatte Caleb ja schon oft wütend erlebt, aber diesmal war es anders. Er wirkte regelrecht gehetzt. Seine Finger bohrten sich schmerzhaft in meine Schulter, und ich verzog unwillig das Gesicht. „Aua, du tust mir weh! Danny ist draußen im Garten, bei Jessy und Stanley. Aber ich glaube nicht dass er schon gehen…“ „Das ist mir egal. Geh zum Auto, ich hole ihn und komme nach.“ Natürlich ging ich nicht zum Auto. Ich folgte Caleb hinaus in den Garten und versuchte herauszufinden was ihm so auf die Laune geschlagen war, aber er ignorierte mich einfach und steuerte zielsicher die kleine Gruppe an bei der Danny zusammen mit Sophia saß. Das würde Drama geben, da war ich mir sicher. Ohne die anderen Anwesenden auch nur eines Blickes zu würdigen wandte Caleb sich direkt an seinen kleinen Bruder. „Danny, komm, wir fahren. Steh auf.“ „Aber warum? Ich will noch nicht heim.“ Danny sah seinen Bruder überrascht an, und auch die anderen warfen Caleb verwirrte fragende Blicke zu. „Was du willst ist mir egal, ich habe gesagt wir fahren jetzt. Entweder du kommst mit oder du kannst nach Hause laufen, ist das klar?“ Calebs Stimme bebte vor Zorn, seine Hände waren zu Fäusten geballt, und ich bekam es langsam mit der Angst zu tun. Hatte er sich vielleicht Ärger eingehandelt und wollte jetzt schnell die Kurve kratzen? Zuzutrauen wäre es ihm. „Jetzt bleiben wir alle mal ganz ruhig.“ Stanley war aufgestanden  und kam auf Caleb zu, aber der fuhr sofort mit einem wütenden Knurren herum. „Ich wird dir gleich „ganz ruhig“, Schwuchtel. Ich rede mit meinem Bruder, und nicht mit dir!“ Oha, jetzt wurde er langsam ausfallend. Stanley blieb verblüfft mitten in der Bewegung stehen, die anderen starrten Caleb fassungslos an. „Was geht denn mit dem ab? Mein Vater kann Danny dann nach Hause bringen, kein Problem.“ Meldete sich Sophia zu Wort, aber ich schüttelte schnell den Kopf. Jetzt musste es schnell gehen, sonst würde die ganze Sache mit Sicherheit eskalieren. „Danke Sophia, aber ich denke wir gehen jetzt wirklich. Komm Danny, es ist schon spät. Zeit nach Hause zu fahren.“ Ich warf ihm einen eindringlichen Blick zu, und auch wenn er es sehr widerwillig tat erhob Danny sich schließlich und verabschiedete sich von Sophia. „Du rufst mich an ja?“ fragte sie hoffnungsvoll, und er nickte. Caleb hatte sich bereits wieder abgewandt und stürmte mit langen Schritten voran, ich drehte mich noch einmal zu Stanley um und küsste ihn schnell auf den Mund. „Sorry, ich ruf dich morgen an. Bis dann!“ Und dann eilte ich zusammen mit Danny seinem flüchtenden Bruder hinterher.   Die Autofahrt verlief in eisigem Schweigen, Calebs Hände waren ums Lenkrad gekrallt, er starrte stur geradeaus und fuhr eindeutig zu schnell. Aber ich hielt die Klappe, und irgendwo auf halber Strecke verstummte auch Dannys Genörgel von der Rückbank. Er schlief. Wir kamen weit nach Mitternacht auf dem Hof an; Caleb fuhr direkt bis zum Pferdestall durch und ich stieg aus kaum dass der Wagen stand. Mir schwirrte der Kopf, und Calebs rasanter Fahrstil hatte nicht gerade dazu beigetragen dass ich mich besser fühlte. „Danke fürs Fahren, gute Nacht.“ Ich schlug die Autotür hinter mir zu und machte mich auf den Weg hinüber zu meinem zu Hause, da hörte ich wie Caleb ebenfalls ausstieg.    Hatte er mir noch etwas zu sagen? Ich blieb mitten auf dem Weg stehen und sah mich fragend zu ihm um, in der Dunkelheit konnte ich seinen Gesichtsausdruck nicht einmal erahnen. „Ist noch irgendwas?“ ich versuchte möglichst nicht genervt zu klingen, aber es gelang wir wohl nicht ganz. Caleb war mit wenigen Schritten bei mir, er starrte mich einen Moment unschlüssig an, dann packte er mich plötzlich an der Hüfte und zog mich zu sich heran. Und diesmal war unser Kuss eindeutig keine flüchtige Angelegenheit. Ich spürte wie meine Knie weich wurden, mein Herz raste, und mir wurde so heiß als ständen wir mitten unter der unbarmherzigen Sommersonne. Das war ganz anders als Stanley zu küssen. Bei ihm hatte diese Geste etwas routiniertes, wie ein Händeschütteln, aber das hier… Calebs Kuss war atemberaubend, aber er hatte auch etwas verzweifeltes. Der Griff mit dem er mich festhielt war beinahe schmerzhaft, und er ließ mir kaum genug Zeit zum Luftholen. Erst als Leo uns bemerkte und anfing zu bellen löste Caleb sich von mir, sein Blick war unergründlich. Ich wollte etwas sagen, aber er schüttelte schnell den Kopf. „Kein Ton, okay?“ Ich knurrte frustriert. „Also willst du es wieder totschweigen.“ „Fürs erste, ja. Lass mich nachdenken, dann reden wir.“ Und damit drehte er sich einfach um und ließ er mich stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)