Eine Geschichte mit, aber nicht über Pferde von aceri ((weil die Autorin keine Ahnung von diesen Tieren hat)) ================================================================================ Kapitel 7: #07 -------------- Die nächsten Tage verliefen ohne besondere Vorkommnisse; Hunter meldete sich nicht noch einmal, und ich begann mich wieder an das unaufregende Leben auf dem Hof zu gewöhnen. Danny gab mir fast täglich eine Reitstunde, und zu meiner Erleichterung war es damit wie mit dem Fahrradfahren: man verlernte es nicht so schnell. Wir machten sogar ein paar richtige Ausritte, nicht zum See, sondern in die Umgebung. Und ich bekam ein anspruchsvolleres Pferd zugewiesen; Columbia. Die Stute war zwar ebenfalls anfängergeeignet, aber nicht ganz so treudoof wie Teddy, und sie nahm mir den ein oder anderen Faux pas durchaus übel. Trotzdem hielt ich mich wacker, und Danny war sehr zufrieden mit mir.   „Caleb will seiner neuen Freundin jetzt auch Reitstunden geben. Wollen wir ihnen zu sehen? Mit Teddy.“ Diese Information traf mich vollkommen unvorbereitet. Ich hatte Columbia gerade auf die Koppel entlassen, für sie war für heute Feierabend, und Danny lehnte am Koppelzaun, einen Grashalm zwischen den Lippen. Ich sah ihn verblüfft an. „Also hat er doch eine Freundin.“ Danny zuckte die Schultern und blies den Grashalm aus. „Nee, nicht so richtig. Er will schon was von ihr, denke ich. Aber das dauert wohl noch. Wollen wir jetzt zugucken gehen?“ Natürlich konnte ich mir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.   Caleb und seine Beinahe-Freundin befanden sich hinter dem Haupthaus auf dem zweiten Reitplatz, sie drehte bereits auf Teddy eine Runde, und Danny und ich stellten uns nah an den Rand um bei der Unterrichtsstunde nicht zu stören. Keiner von beiden schien uns zu bemerken. „Sie ist hübsch, oder? Fast ein bisschen wie du.“ Stellte Danny fest, und ich schnaubte verächtlich. „Ich seh nicht aus wie ein Mädchen, aber ja, sie ist hübsch.“ Das war sie wirklich. Sie hatte langes blondes Haar mit ein paar dunkleren Strähnen darin welches sie zu einem unordentlichen Knoten im Nacken zusammen gebunden hatte. Ein gerader, wenn auch vom Wind zerzauster Pony fiel ihr in die Stirn und die hellen Augen, sie trug ein fliederfarbenes Shirt mit Kapuze und halblange schwarze, eng anliegende Shorts. Ja, sie war hübsch. War ich eifersüchtig? Vielleicht ein bisschen. Wir blieben noch bis zum Ende der Reitstunde, Caleb hatte uns inzwischen bemerkt, und so kamen die zwei nach Beendigung des Unterrichtes zu uns herüber, Teddy trottete am Zügel artig hinterher. Als das Pony mich entdeckte wieherte es schrill und machte plötzlich mehrere schnelle Schritte in Richtung Zaun, dann blies es mir übermütig ins Gesicht. „Hey lass das!“ ich wich schnell zurück und wischte mir mit dem Arm den Pferdesabber ab. „Sei nicht so empfindlich Nick. Freu dich doch. Teddy wird der einzige sein der dir deine Untreue nicht übel nimmt.“ Stichelte Caleb grinsend, und ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu. Da wollte wohl jemand vor seiner neuen Flamme witzig sein. „Bist du Teddy früher geritten? Tut mir Leid wenn ich ihn dir jetzt wegnehme.“ Schaltete sich plötzlich die neue unbekannte ein. Ich sah sie überrascht an. Jetzt erst bemerkte ich ihre strahlend grünen Augen und die Sommersprossen auf ihrer Nase. Und den Aufdruck auf ihrem Shirt. Ein breites Grinsen erschien auf meinem Gesicht. „Schon okay. Er scheint es ja gut zu verkraften. Magst du die Band?“ ich deutete auf ihr Shirt, und sie nickte begeistert. „Ja, ich liebe sie! Sie sind die allerbesten! Kennst du sie etwa auch?“ Wir schlenderten zurück zum Hof; Marielle, wie sich die neue Reitschülerin vorstellte, eifrig mit mir schwatzend vorne weg, Danny und Caleb mit Teddy hinterher. Ich musste meine erste Einschätzung revidieren, ich mochte Calebs Angebete nun doch. Wir hatten den gleichen Musikgeschmack, wir waren beide lausige Reiter, und wir kamen beide aus der Stadt. Das waren eine ganze Menge Gemeinsamkeiten. Während die beiden Brüder Teddy erst absattelten und dann auf die Koppel entließen lud ich Marielle auf eine Cola bei den Liegestühlen ein, und sie nahm die Einladung nur zu gerne an. Offensichtlich hatte ich jetzt eine neue Freundin, und nicht Caleb. Der hatte unser angeregtes Gespräch mit verkniffener Miene verfolgt, jetzt kam er mit Danny im Schlepptau wieder zu uns herüber, nahm mir die Cola aus der Hand und setzte sich neben Marielle auf den Liegestuhl. „Hey, was soll das? Hol dir eine eigene!“ schimpfte ich und versuchte ihm die Flasche wieder abzunehmen, aber Caleb hielt sie spöttisch grinsend außerhalb meiner Reichweite. „Ich will nur einen Schluck, reg dich ab.“ Marielles Gegenwart ließ ihn anscheinend wieder zu einem Arschloch mutieren. Er trank die Hälfte meiner Cola aus, dann gab er mir die fast leere Flasche wieder zurück. „Idiot.“ Marielle hatte das Schauspiel schweigend beobachtet, jetzt wandte sie sich wieder an mich. Auf ihrem Gesicht lag ein irgendwie verlegener Ausdruck. „Sag mal Nicky, darf ich dir mal die Haare machen? Die sind echt wundervoll, und ich will Friseuse werden, weißt du? Da träum ich von Haaren wie deinen.“  Das kam unerwartet. Meine Hand wanderte automatisch zu meinen wirren blonden Strähnen, sie reichten mir inzwischen bis weit über die Schulterblätter, aber wirklich Gedanken hatte ich mir darüber noch nie gemacht. Wenn sie mir zu lang wurden schnitt ich sie mir immer einfach selber ab, mit einer normalen Bastelschere. „Lass sie doch machen Nick. Wer weiß, vielleicht siehst du dann nicht mehr aus wie ein Mädchen.“ meinte Caleb gehässig, aber Marielle fiel ihm sofort ins Wort. Ihre Stimme klang empört. „Nicky sieht gar nicht aus wie ein Mädchen! Er sieht toll aus! Und die langen Haare stehen ihm. Ich würde sie ihm garantiert nicht abschneiden, nur ein bisschen…Frisur reinbringen.“ Wäre es nicht so kindisch gewesen hätte ich Caleb jetzt die Zunge rausgestreckt. Er erdolchte mich praktisch mit Blicken. „Ähm, Marielle, du weißt schon das Nicky schwul ist, oder?“ warf Danny plötzlich zaghaft ein, und ich stieß ihn unsanft mit dem Ellenbogen in die Seite. Musste er denn alles ausplaudern? „Klar weiß ich das, genau wie der Sänger unserer Lieblingsband!“ Marielle strahlte mich an, dann beugte sie sich nach vorn und ergriff meine Hände. Auf ihrem Gesicht lag ein feierlicher Ausdruck. „Nicky, möchtest du ab heute mein schwuler bester Freund sein? Ich wollte schon immer einen schwulen besten Freund haben! Dann können wir zusammen shoppen gehen, und über Jungs ablästern…“ sie geriet richtig ins Schwärmen. Dann zwinkerte sie mir verschwörerisch zu. „Und wir könnten uns gemeinsam gegen Caleb verbünden. Wie fändest du das?“ Caleb wollte gerade etwas einwerfen, da schnitt Marielle ihm zum zweiten Mal an diesem Nachmittag einfach das Wort ab. Sie wurde mir immer sympathischer. „Warum bist du eigentlich immer so gemein zu Nicky? Erst auf der Reitbahn auch schon. Seit ihr zerstritten?“ sie sah ihn prüfend an, und ich lachte mir insgeheim ins Fäustchen. Wie würde Caleb sich da nur wieder herauswinden? Aber Danny nahm ihm die Antwort ab indem er einfach das Thema wechselte. Glück für den unfreundlichen Idioten. „Aber Nicky ist mein bester Freund, er kann nicht deiner sein.“ Meinte er trotzig, und ich legte ihm schnell einen Arm um die Schulter. „Natürlich bin ich das, und du wirst auch immer meine Nummer eins bleiben.“ Beruhigte ich Danny und drückte ihn kurz an mich. Das war die perfekte Gelegenheit für Caleb mir doch noch eins reinzuwürgen. Darauf hatte er gewartet. „Da wäre ich mir aber nicht so sicher. Nick ist nämlich ziemlich schnell darin seine Freunde zu ersetzen wenn sie ihm zu langweilig werden, nicht wahr?“ er zwinkerte mir gehässig zu und ich feuerte natürlich sofort wütend zurück. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. „Wirfst du mir  das jetzt bis in alle Ewigkeit vor oder was? Erzähl Marielle doch gleich alles über mich, na los! Zeig ihr was für ein toller Hecht du bist!“ Ich war aufgesprungen und funkelte Caleb wütend an, dann drehte ich mich um und stapfte in Richtung Hoftor davon. „Nicky warte!“ Danny eilte mir hinterher, aber ich wurde erst langsamer als ich die Einfahrt hinter mir gelassen und Caleb und Marielle außer Sichtweite verschwunden waren. Ich war so wütend! Eigentlich hatte ich gedacht dass Caleb und ich uns einigermaßen versöhnt hätten, aber dem war wohl nicht so. Stattdessen hatte er die erstbeste Gelegenheit genutzt um mich vor Marielle lächerlich zu machen, und so wie es aussah war es ihm auch gelungen. Immerhin war ich derjenige der feige davongestürmt war, und nicht er. Danny hatte mich inzwischen eingeholt und lief schweigend neben mir her, das war ungewöhnlich, und so machte ich meinen unrühmlichen Gedanken ohne Unterbrechung Luft. „Dein Bruder ist so ein verdammtes Arschloch! Ich hab mich doch schon entschuldigt! Mehrmals! Aber nein, er muss es mir ja wieder aufs Butterbrot schmieren! Ich sollte ihm die Reifen zerstechen, oder irgendwas in den Tank kippen.“ Ich wütete noch eine ganze Weile weiter, und erst als wir am Ende der Zufahrtsstraße angekommen waren unterbrach Danny mich schüchtern. „Sei meinem Bruder doch nicht so böse. Er meint das gar nicht so. Ich glaube er ist nur traurig weil Marielle sich nicht für ihn interessiert. Er kann es bloß nicht sagen.“ Danny sah mich flehend an, und ich fühlte mich sofort wie ein unsensibler Trampel. Natürlich war Caleb deswegen so unfair zu mir gewesen. Das wusste ich doch selber. Ich hatte ihm praktisch die Freundin ausgespannt, und zwar noch bevor sie überhaupt zusammen gekommen waren. Trotzdem ärgerte es mich wie er sich mir gegenüber benommen hatte. Das war ebenfalls nicht nett gewesen. Und es hatte mich in ein schlechtes Licht gerückt. „Aber muss er deswegen so auf mir rumhacken? Ich kann doch nichts dafür das Marielle mich lieber mag als ihn. Und wäre er ein bisschen netter zu mir gewesen wäre sie sicher auch netter zu ihm.“ verteidigte ich mich, aber ich merkte schon wie meine Wut mit jedem Schritt den wir gingen weniger wurde. Wer war nun das größere Arschloch? „Komm, lass uns zurückgehen. Vielleicht ist Marielle noch da.“   Wir trafen weder Marielle noch Caleb an, die Liegestühle waren verlassen, und so verabschiedeten wir uns ebenfalls voneinander. Ich versprach Danny noch einmal mit seinem Bruder zu reden, ob ich mich dabei auch bei ihm entschuldigen würde, das konnte ich nicht versprechen. Meine Stimmung war gedrückt als ich an diesem Abend ins Bett ging, kurz davor hatte ich mich noch einmal eindringlich im Badezimmerspiegel betrachtet, und ich musste Marielle leider Recht geben. Meine Haare hatten eine Behandlung dringend nötig. Durch die starke Sommersonne und die vielen Stunden die ich unter freiem Himmel verbrachte waren sie deutlich heller geworden als normal; sie fielen mir in dicken Wellen über Schultern und Rücken und begannen sich an den Spitzen bereits zu locken. Ich sah wirklich aus wie ein Mädchen.   Am nächsten Morgen drückte Danny mir noch vor unserer gemeinsamen Reitstunde einen kleinen gefalteten Zettel in die Hand. „Was ist das? Du musst mir keine Liebesbriefe schreiben.“ Ich versuchte witzig zu sein, aber Danny verzog nur unwillig das Gesicht. Es sah aus als hätte er unvermittelt auf etwas saures gebissen. „Der ist von Marielle, das ist ihre Telefonnummer. Du sollst sie anrufen wenn du über ihr Angebot nachgedacht hast.“ Ich steckte den Zettel ungelesen in meine Hosentasche. „Hat Caleb dir den gegeben?“ Danny nickte. „Ohje.   Tatsächlich war mein Verlangen danach mich mit Caleb zu unterhalten eher gering; wenn ich Dannys Einschätzung glauben durfte war er immer noch furchtbar wütend auf mich, aber ich hatte es ja versprochen. Und daran erinnerte Danny mich praktisch laufend. Nicht einmal meine berechtigt geäußerte Befürchtung dass sein Bruder höchstwahrscheinlich Hackfleisch aus mir machen würde wenn ich ihm in nächster Zeit unter die Augen kam schmetterte er mit ungewöhnlicher Vehemenz ab. „Ihr MÜSST reden! Ich habe es satt dass ihr euch dauernd streitet. Und ich steh immer dazwischen und muss mir euer Gemecker anhören. Ihr seid beide schrecklich!“ er stapfte wütend davon, den verwirrt winselnden Leo dicht auf den Fersen. Also gab ich mich geschlagen. Lieber Hackfleisch als ein wütender Danny. Ich fand Caleb hinter dem Pferdestall, er trug dicke Lederhandschuhe und entfernte gerade eine dornige Hecke die direkt an der Stallwand wuchs. Er sah dabei nicht besonders glücklich aus. Perfekte Voraussetzungen. „Danny hat gesagt ich soll mich bei dir entschuldigen.“ „Und was sagst du?“ „Das du ein Idiot bist und es gar nicht verdient hast dass man sich bei dir entschuldigt.“ Caleb unterbrach seine Arbeit und drehte sich zu mir um, mit einem von Dornen zerstochenen Unterarm wischte er sich den Schweiß von der Stirn. „Und warum bist du dann hier wenn du dich eigentlich gar nicht entschuldigen willst?“ er klang nicht wütend, eher genervt. Am liebsten hätte ich ihm eine weitere patzige Antwort gegeben, aber ich hielt mich zurück. Ich hatte es Danny schließlich versprochen. Also riss ich mich zusammen. Auch wenn es mir unglaublich schwer fiel. „Weil ich ein schlechtes Gewissen habe, darum. Ich hätte dir nicht die Freundin ausspannen dürfen, das war unfair. Aber du hättest mich auch nicht so beleidigen müssen!“ Caleb verzog das Gesicht und schnaubte abfällig. „Du kannst mir niemanden ausspannen Nick, du bist schwul.“ Jetzt war ich es der wütend wurde. Das hatte sich fast angehört wie eine Beleidigung, und darauf reagierte ich äußerst allergisch. „Weißt du was? Vergiss es einfach, ich geb´s auf. Ich wollte Danny einen Gefallen tun und mich mit dir versöhnen, aber du bist echt unmöglich! Mit dir kann man sich gar nicht vertragen!“ Ich drehte mich auf dem Absatz um und stürmte davon. Nun waren beide sauer auf mich, Caleb und Danny. Ich hatte es mal wieder vollkommen verbockt.   Ob nun aus Trotz oder weil ich es wirklich wollte, ich rief Marielle an, und zwei Tage später holte sie mich zusammen mit ihrer älteren Schwester auf dem Hof ab und wir fuhren zu ihnen nach Hause. Marielle´s Eltern wohnten in einem hübschen freistehenden Häuschen umgeben von Feldern und leeren Weiden, in ihrem Garten gab es eine Grillecke und einen schönen ebenerdigen Pool, und eine Voliere mit vielen laut zwitschernden Kanarienvögeln. „Das ist ja krass.“ Ich bewunderte die auffälligen Farben ihres Gefieders, und Marielle lachte. „Die gehören meiner Mutter, sie züchtet sie. Ich finde sie nur laut und nervig, aber besser als gar keine Haustiere.“ Für unsere Haarschneide-Session begaben wir uns auf eine mit einem Sonnensegel überspannte Terrasse; Marielle hatte bereits alles vorbereitet, und ich war überrascht wie professionell sie bereits ausgestattet war. Auf einem kleinen runden Tisch lagen die verschiedensten Scheren und Kämme, es gab einen Rasierapparat und einen Föhn, und einen langen schwarzen Plastikumhang den sie mir sofort um den Hals legte. „Sooo, ich werde nicht allzu viel verändern, ich hab dir ja schon gesagt dass dir lange Haare gut stehen. Aber so ein bisschen…“ Ich ließ sie machen, ich traute ihr einfach zu dass sie mich nicht entstellen würde, und außerdem hatte mir ihre große Schwester auf der Autofahrt mehrmals versichert wie talentiert Marielle in diesen Dingen war. Es dauerte knapp eine halbe Stunde in der wir größtenteils belanglosen Smalltalk führten, dann nahm Marielle mir den Umhang wieder ab, schüttelte ihn kräftig in Richtung Wiese aus, und zog mich von dem kleinen Hocker hoch auf dem ich die ganze Zeit praktisch regungslos verharrt hatte. „Komm, wir gehen ins Haus, im Flur hängt ein großer Spiegel, da kannst du dein neues Ich in vollem Umfang bewundern!“ sie strahlte übers ganze Gesicht und führte mich an der Hand durch die Terrassentür nach drinnen. Das Haus war still und kühl, und sehr sehr modern. Fast wie aus einem Hochglanzprospekt für Schöner Wohnen. Auf halber Strecke kam uns Marielles Schwester entgegen, sie grinste uns an und hob beide Daumen. „Sieht super aus!“ „Nichts sagen, er hat sich doch selbst noch gar nicht gesehen!“ wies Marielle sie hektisch zurecht, dann zog sie mich weiter und platzierte mich schließlich mittig vor einem mannshohen, goldgerahmten Spiegel. „Na, was sagst du? Super oder?“ sie strahlte mich mit glänzenden Augen an, und ich nickte benommen. Es hatte sich nicht nach einer großen Veränderung angefühlt, aber das Ergebnis war verblüffend. Marielle war wirklich begabt. „Ich sehe ganz anders aus…“ murmelte ich leise und berührte vorsichtig mein Haar. „Nicht anders, besser!“ Mein Haare waren immer noch lang, aber Marielle hatte ihnen tatsächlich so etwas wie Form verleihen können. Oben waren sie jetzt dicker als unten und leicht gestuft, und ich hatte einen schrägen Pony der mir über Stirn und am Rand ein bisschen über die Augen fiel. Ich sah fantastisch aus! „Ich hab dir ja gesagt dass meine Schwester Talent hat. Eigentlich hätte man vorher-nachher-Bilder machen müssen! Aber ist jetzt auch egal, ich hab euch beiden Caipis auf die Terrasse gestellt. Bleibst du noch zum Abendessen Nicky? Wir wollen grillen.“ Natürlich nahm ich die Einladung an; selbst wenn ich es Marielle nicht schuldig gewesen wäre, ihre Familie war einfach unglaublich herzlich, und ihr kleiner Bruder den ich beim Abendessen auch noch kennen lernen durfte wollte mich gar nicht mehr gehen lassen. Der kleine Knopf weinte bittere Tränen als ich mich verabschiedete, und ich musste ihm versprechen bald wieder zu kommen um mit ihm zu spielen. Marielles Schwester für mich heim, wir schwiegen die ganze Fahrt, aber es war ein angenehmes Schweigen. Nachdem sie mich zu Hause abgesetzt hatte verschwand ich sofort auf mein Zimmer, Lilly und mein Vater sahen im Wohnzimmer fern, keine Ahnung ob sie bemerkten dass ich wieder da war. Ich zog mich aus und sprang schnell unter die Dusche, dann holte ich mir frische Unterwäsche aus dem Kleiderschrank und legte mich auf mein Bett. Durch die neue Frisur sah ich wirklich verändert aus. Nicht mehr so...wild. Und der Schnitt betonte meine Augen. Marielles Mutter hatte mich einen „Elf wie aus einer Sage“ genannt; ich war mir nicht sicher ob das nun besser oder schlechter als Boticelli-Engel war, aber ich nahm es einfach als Kompliment. Immerhin war die Bezeichnung „Elf“ männlich, oder nicht? Ich wir gespannt was mein Vater und Lilly morgen sagen würden. Schade dass ich mit Caleb und Danny schon wieder verkracht war, deren Reaktion hätte ich auch nur zu gern gesehen. Lilly und mein Vater waren erst sprachlos, dann begeistert. Meine Stiefmutter bat mich sogar um Marielles Telefonnummer, sie meinte so einem talentierten Mädchen wie ihr würde sie auch gern mal Modell sitzen. Nach dem Frühstück fuhren wir alle drei gemeinsam in die Stadt, mein Vater wollte im Baumarkt Pflanzenerde besorgen, und Lilly überredete mich mit ihr solange durch das Einkaufszentrum zu schlendern. „Du hast kaum Anziehsachen mitgebracht als ihr hergezogen seid, was hältst du davon wenn wir ein bisschen shoppen gehen?“ Ich musste lachen. „Das will Marielle auch noch mit mir machen, sie sagt ich bin jetzt ihr schwuler bester Freund, und die tun sowas.“ Lilly stimmte in mein Lachen ein, dann hakte sie sich bei mir unter und gemeinsam stürmten wir die Läden. Mein Vater wartete bereits ungeduldig am Auto auf uns als wir endlich eintrafen, es war bereits nach 12 Uhr, und auf dem Autodach standen vier fetttriefende Tüten einer bekannten Fastfood-Marke. „Euer Essen ist kalt.“ teilte er uns schlecht gelaunt mit, aber Lilly strahlte ihn nur glänzenden Augen an. Ihre gute Laune war fast so unerschöpflich wie Dannys. Der Gedanke an meinen eigentlich besten Freund dämpfte meine eigene gute Laune ein bisschen, aber kurz darauf saß ich bereits kauen und umringt von prall gefüllten Einkaufstüten auf der Rückbank des Volvos und musste über Lilly grinsen die sehr zum Missfallen meines Vaters die aktuellen Charts mitgrölte. Ich brachte meine neuen Klamotten direkt auf mein Zimmer, zog eines der neuen Shirts über (dunkelgrau, mit Kapuze und hellgrauer Bauchtasche) und hüpfte danach die Treppen wieder hinunter. Der Tag war noch jung, aber ich ziemlich planlos. „Geh doch schwimmen wenn dir so langweilig ist. Aber sei zum Abendessen zurück. Wir wollen grillen.“ Alleine zum See zu laufen stellte ich mir ziemlich öde vor, aber mir fielen auch keine ansprechenderen Alternativen ein. Also lief ich noch einmal zurück in mein Zimmer, tauschte Shorts gegen Badehosen, holte mir ein Handtuch aus dem Bad, stopfte es zusammen mit einer Flasche Wasser (Cola wurde zu schnell warm) in meinen schon ziemlich abgeranzten Rucksack, und machte mich auf den Weg zum See. Zu Fuß kam mir die Strecke deutlich länger vor als zu Pferd, und ich war vollkommen durchgeschwitzt als ich den See endlich erreicht hatte. Alleine schwimmen machte nur halb so viel Spaß wie in Gesellschaft; nachdem ich drei Runden um den See geschwommen war watete ich patschnass und frierend wieder ans Ufer und suchte mir mit meinem Handtuch einen der wenigen Sonnenflecken den das dichte Laubwerk bis zum Waldboden durchließ. Dort breitete ich mich aus und wartete bis ich anfing von selber zu trocknen. Marielle hatte mich gefragt ob es mich stören würde wenn sie weiter bei Caleb Reitunterricht nehmen würde; mir war das egal, er war ja mit mir zerstritten und nicht mit ihr. Und das war inzwischen fast ein Dauerzustand. Nur dass ich Danny enttäuscht hatte, das nagte ziemlich an mir. Er war nicht richtig sauer auf mich, nur irgendwie…niedergeschlagen. Klar war es für ihn einfacher wenn Caleb und ich uns gut verstanden, er saß ständig zwischen den Stühlen, aber verdammt nochmal, es war so schwierig! Caleb machte es mir wirklich nicht leicht ihn zu mögen. Rein vom Äußerlichen her fand ich ihn immer noch anziehend, aber sein Verhalten mir gegenüber war schwer zu ertragen. Wir bekamen uns ständig in die Wolle; er war herablassend, ich war respektlos. Keine gute Mischung. Ich drehte mich auf den Rücken und blickte hinauf in die Baumkronen. Inzwischen war ich schon fast wieder trocken. Zeit heimzugehen. Ich packte meine wenigen Sachen zusammen, zog mir das neue T-Shirt über den Kopf, und machte mich dann direkt auf den Heimweg. Als ich aus dem Wald heraustrat bemerkte ich dass sich der Himmel über mir bedrohlich verfärbt hatte. Grauschwarze und violette Wolken türmten sich am Horizont, die Luft war plötzlich drückend und schwül. So wie es aussah würden unsere heutigen Pläne fürs Abendessen sprichwörtlich ins Wasser fallen. Ich beschleunigte meine Schritte und schaffte es gerade noch rechtzeitig auf den Hof bevor das Unwetter losbrach. Die ersten dicken Tropfen fielen als ich mir gerade im Flur die Schuhe von den Füßen streifte. In der Küche hatten Lilly und mein Vater bereits sämtliche Pfannen auf dem Herd verteilt und organisierten erstaunlich gut gelaunt ein alternatives Indoor-Grillfest. Nach dem Essen siedelten wir alle drei satt und zufrieden ins Wohnzimmer über; ich überließ Lilly und meinem Vater die neue Couch und nahm mit dem alten durchgesessen Flickensessel vorlieb den meine Schwiegermutter aus Nostalgiegründen nicht hatte entsorgen können. Er roch ein bisschen seltsam und staubig, war aber trotz der ausgeleierten Polsterung erstaunlich bequem „Was wollen wir schauen? Aber bitte keinen Horrorstreifen, dann kann ich wieder nächtelang nicht schlafen.“ Mein Vater zog ein enttäuschtes Gesicht, aber schließlich konnten wir uns auf einen etwas seichteren Psychothriller einigen. Den würde sogar Lilly verkraften. Das Intro war kaum vorüber, da klingelte es an der Haustür. Wir sahen uns überrascht an, dann erhob mein Vater sich von der Couch um nachsehen zu gehen wer zu dieser ungewöhnlichen Zeit und bei diesem miesen Wetter störte. Es war Danny. Er stand ein bisschen hilflos im Türrahmen nachdem mein Vater ihn hereinbegleitet hatte, und Lilly lächelte ihm einladend zu. „Möchtest du uns bei unserem Filmeabend Gesellschaft leisten? Der Film läuft erst seit ein paar Minuten, du hast also noch nichts verpasst.“ Danny warf mir einen fragenden Blick zu; noch hatten wir uns noch nicht offiziell wieder vertragen, aber ich nickte lächelnd und streckte die Hand nach ihm aus. „Komm, wir setzen uns einfach vor dem Sessel auf dem Boden, dann haben wir genug Platz.“ Ich rutschte vom Polster und lehnte mich mit dem Rücken gegen das Möbelstück, und Danny kam zögernd zu mir herüber. Als er sich neben mich setzte lehnte ich mich kurz zu ihm herüber und flüsterte ihm leise fragend ins Ohr. „Wolltest du mich allein sprechen?“ Er schien zu überlegen, dann schüttelte er kaum merklich den Kopf. „Nein, eigentlich wollte ich dich nur sehen. Schöne Frisur übrigens.“ Ein wohlig warmes Gefühl durchrieselte mich, und ich legte spontan einen Arm um Dannys Schultern. Er seufzte leise und lehnte  seinen Kopf an mich. Zwischen uns war offensichtlich alles wieder in Ordnung, und das machte mich unglaublich glücklich. Schade dass es mit Caleb nicht auch so einfach war.   Natürlich blieb Danny über Nacht. Der Regen trommelte so laut auf das Dach dass wir uns kaum verständigen konnten; noch ein Nachteil eines Dachgeschosszimmers. Aber wir wollten eh nicht mehr besonders viel reden. Gemeinsam krochen wir unter die Bettdecke und ich löschte das Licht. „Küsst du mich nochmal?“ Danny sah mich mit großen Augen an, und nach kurzer Überlegung tat ich ihm den Gefallen. Warum auch nicht? Ich empfand nichts für ihn, nur brüderliche Freundschaft, und auch Danny hatte mir bereits mehrmals versichert dass er viel eher auf Mädchen stand. An mir war nicht besonders viel unschuldig, aber diese Küssen waren es schon.   Der nächste Tag begann spät; das trübe Wetter und das fehlende Sonnenlicht hatten wohl auch Dannys innere Uhr außer Gefecht gesetzt, wir schliefen beide bis nach 9 Uhr, dann weckte uns Leos Gebell und lautes Gefluche. „Was ist denn da los?“ ich gähnte ausgiebig und fuhr mir mit beiden Händen schlaftrunken über das Gesicht. Danny war natürlich bereits auf den Beinen und lehnte sich zu einem der hofseitigen Fenster hinaus. „Der Hof steht unter Wasser, und Calebs Auto steckt fest. Er flucht ganz schön.“ Wir zogen uns an, schnappten uns in der Küche im Vorbeigehen jeder ein trockenes Brötchen vom Vortag und liefen danach barfuß nach draußen. Bei diesem Wetter wäre jedes Schuhwerk eh innerhalb von Sekunden durchgeweicht. „Bekommst du ihn raus?“ Danny war zuerst am Auto, ich hielt lieber einige Meter Abstand und kaute an meinem kargen Frühstück. Ein schlecht gelaunter Caleb war eigentlich der letzte dem ich jetzt unter die Augen kommen wollte. Tatsächlich warf er mir nur einen überaus missmutigen Blick zu, stutzte kurz als er mein neues Erscheinungsbild bemerkte, und überging dieses dann kommentarlos. „Keine Chance, der steht fast bis zum Unterboden im Matsch. Verdammt!“ wütend trat Caleb gegen einen der eingesunkenen Reifen, und Danny und ich zuckten erschrocken zusammen. Wenn er sogar gegenüber seinem geliebten Auto handgreiflich wurde, dann lag wirklich etwas im Argen. Nun wagte ich es doch mich vorsichtig einzuschalten. „Wenn du irgendwo dringend hinmusst kann ich auch meinen Vater oder Lilly fragen ob sie dir ein Auto leihen. Die stehen noch auf dem Trockenen.“ Ich konnte genau erkennen wie ungern Caleb mein Angebot annahm, aber offensichtlich brauchte er dringend einen fahrbaren Untersatz. Wenig später fuhr er mit dem Volvo meines Vaters vom Hof, und Danny und ich hockten uns auf die Schwelle vor der Haustür und wischten uns den klebrigen Matsch von den Füßen. „Ich glaube er wollte zu Marielle, die beiden haben gestern Abend noch telefoniert. Sie ist ihm anscheinend sogar wichtig als sein Auto.“ Meinte Danny plötzlich, und ich sah ihn verwundert an. Der Klang seiner Stimme ließ mich aufhorchen. Hörte ich da etwa so etwas wie Traurigkeit heraus? „Stört dich das?“ Er zuckte die Schulter, sah mich dabei aber nicht an. „Ich weiß nicht, vielleicht. Jeder hat hier irgendwen, erst hattest du J. und dann Hunter und Caleb hat jetzt Marielle. Und ich? Ich hab gar keinen.“ Jetzt klang er eher trotzig als traurig, und ich stieß kurz mit meiner Schulter gegen seine. Kaum zu glauben, Danny der Trauerkloß. „Du hast doch mich! Wir sehen uns beinahe täglich, du gibst mir Reitstunden, darfst in meinem Bett schlafen, darfst mich küssen…“ zählte ich betont gut gelaunt auf, aber Danny schnaubte nur verächtlich. Ohje, dem schien wirklich etwas über die Leber gelaufen zu sein, nur was? Ich hatte keinen blassen Schimmer. „Ja, solange bis du jemanden findest mit dem du dann zusammen bist. Dann brauchst du mich nicht mehr. So wie Caleb. Der denkt auch nur noch an Marielle.“ „Naja, vielleicht lebe ich dann polygam…“ versuchte ich die Stimmung ein bisschen aufzulockern. Danny warf mir einen wütenden Blick zu. „Hör auf Witze zu machen, ich meine das ernst. Du machst dich immer nur über mich lustig! Nur weil ich nicht so viel Erfahrung habe wie du heißt das nicht das ich dumm bin! Du behandelst mich wie ein Kind! Ich bin fast genauso alt wie du!“ er sprang auf und wollte davon stürmen, aber ich bekam ihn am unteren Rand seine T-Shirts zu fassen und hielt ihn fest. Es war mir ein Rätsel wie die Situation so schnell hatte aus den Fugen geraten können, aber so wie es aussah hatte sich da einiges in Danny angestaut. Er war wohl doch nicht ganz der unkomplizierte Optimist für den ich ihn immer gehalten hatte. Jetzt wischte er sich verstohlen mit dem Unterarm über die Augen, dann ließ er sich langsam wieder neben mir auf die Türschwelle sinken. Ich legte einen Arm um ihn und lehnte meine Stirn gegen seine Schläfe. Dannys Wangen waren tränennass. „Ich mach mich nicht über dich lustig mein Schatz, und ich halte dich auch nicht für dumm. Ich mag dich wirklich sehr, und selbst wenn ich irgendwann mal wieder einen festen Freund haben sollte, wird der dich niemals ersetzen können! Und Caleb meint das alles sicher auch nicht so. Der ist frisch verliebt, der kann gar nicht mehr klar denken. Nimm es ihm nicht übel. Er kriegt sich schon wieder ein.  Und was deine fehlende Erfahrung angeht…“ ich legte eine Hand an Dannys Kinn und drehte sein Gesicht wieder in meine Richtung, dann küsste ich ihn kurz und sanft auf den Mund. „…sei froh dass du noch so unerfahren bist, mich hat man viel zu früh verdorben.“ Ich machte ein gespielt nachdenkliches Gesicht, dann zwinkerte ich Danny zu. „Wer weiß, vielleicht wäre ich nicht so ein unsensibles Arschloch wenn ich mich in meinen jungen Jahren ein bisschen mehr zurückgehalten hätte.“   Den Rest des Tages verbrachten wir im Haus und vor dem Fernseher; die umfangreiche DVD-Sammlung meines Vaters kam uns da wirklich zu Gute. Dannys Laune besserte sich von Stunde zu Stunde, und als Caleb am frühen Abend den Volvo wieder zurückbrachte lachte er bereits wieder.   Marielle rief mich kurz nach 21 Uhr an, sie würde, wenn das Wetter sich besserte, am nächsten Tag für eine Reitstunde bei Caleb vorbeikommen und fragte ob ich danach Lust hätte noch mit ihr in die Stadt zu fahren. „Es gibt da ein neues Café das ich unbedingt ausprobieren möchte, und danach wollte ich noch bei meiner Schwester in ihrem Salon vorbeischauen. Sie nimmt uns danach auch mit nach Hause, hinfahren tut uns meine Mutter.“ Es sprach nichts dagegen, also sagte ich zu.   Als ich Danny am darauffolgenden Morgen von meinen Plänen erzählte war er natürlich nicht gerade begeistert, aber ich versprach ihm nach einem neuen coolen Shirt für ihn Ausschau zu halten, und das stimmte ihn einigermaßen versöhnlich. Marielles Mutter begrüßte mich überschwänglich, sie wirkte in ihren hochhackigen Sandalen und dem kurzen, aber sehr schicken weißen Sommerkleid ein bisschen fehl am Platz, aber sie knuddelte Leo der sie sofort aufgeregt bellend umkreiste völlig ungeniert dass vom Regen und Matsch nicht gerade saubere Fell, und das machte sie mir gleich noch viel sympathischer. Auch Danny schien sie zu mögen, als sie ihn fragte ob er mein Freund wäre lief er knallrot an, und ich musste lachen. „Nein, Danny ist nicht mein Freund, aber mein bester Kumpel. Wir sind praktisch unzertrennlich.“ Sie stimmte in mein Lachen ein, dann zwinkerte sie Danny zu der immer noch ein bisschen verlegen aus der Wäsche guckte. „Schade, ihr zwei wärt ein wirklich niedliches Pärchen. Aber da kann man wohl nichts machen. Was wollen Marielle und du denn heute in der Stadt eigentlich unternehmen?“ Wir führten noch ein bisschen Smalltalk bis Marielle mit ihrer Reitstunde fertig war, dann verabschiedete ich mich von Danny und stieg zu den beiden ins Auto. Marielles Mutter fuhr einen nagelneuen himbeerfarbenen Audi, und im Stillen fragte ich mich was sie und ihr Mann wohl arbeiteten dass sie sich so ein Auto leisten konnten. Vielleicht würde ich Marielle später danach fragen, immerhin war ich ihr schwuler bester Freund, mir musste sie praktisch alles erzählen. Als ich Marielle erzählte dass ich Danny versprochen hatte ihm ein unanständiges T-Shirt zu besorgen war sie sofort hochmotiviert bei der Sache; sie führte mich zielstrebig in ein Gothic- und Punkgeschäft, und dort fanden wir genau das was ich mir vorgestellt hatte. Ein tiefschwarzes Shirt mit dem stilvollen Aufdruck der drei apokalyptischen Reiter. Danny würde es lieben. Und Caleb würde es hassen. Perfekt. „Weißt du Nicky, wenn man dich in diese schwarzen Samt- und Spitzenklamotten stecken würde und dich schminken würde würdest du einen richtig perfekten Vampir oder so ähnlich abgeben. Wäre das nicht cool? Das machen wir zu Halloween! Wir werden beide als Vampir gehen, meine Schwester hilft und sicher mit dem Make up! Das wird super!“ Marielle hakte sich bei mir unter, und ich hielt erst einmal die Klappe. Ich fühlte mich ja geehrt dass sie sich bereits eine gemeinsame Zukunft von uns beiden ausmalte, aber diese Sache mit dem Schminken, darüber würden wir noch einmal reden müssen. Das behagte mir ganz und gar nicht. Mit unserem gerade errungenen Schatz suchten wir schließlich das Café auf wegen dem wir eigentlich hier waren, und bestellten uns jeder einen Kaffee. Einen sehr exotischen. Mit Mango-Aroma. Ich war gespannt. „Danny hatte gestern einen Ausraster.“ Ich wusste nicht warum ich gerade jetzt davon anfing, aber ich musste einfach mit irgend jemandem darüber reden. Und Marielle erschien mir dafür als die beste Wahl, zumal sie ja zum Teil auch mit Schuld an Dannys Misere war. Sie hörte auf an ihrem Kaffee zu schlürfen (der überraschend genial schmeckte) und sah mich überrascht an. „Wirklich? Danny? Kaum zu glauben, warum das denn?“ Ich fasste ihr die Situation kurz zusammen, und sie lehnte sich mit einem lauten Seufzer zurück. „Oh man, der arme Junge. Aber wegen Caleb und mir muss er sich wirklich keine Gedanken machen, ich steh nicht auf ihn.“ „Aber er auf dich.“ ich nahm noch einen Schluck von meinem Kaffee. „Das denkt er. Tut er aber auch nicht wirklich.“ Jetzt war ich es der sie überrascht ansah. „Wie meinst du das? Er rennt dir doch ständig hinterher, und als sein Auto gestern im Matsch festgesteckt hat ist er fast durchgedreht. Er hat es sogar getreten! Caleb ist verrückt nach dir!“ Marielle schüttelte den Kopf, dann beugte sie sich plötzlich nach vorn und ein verschmitzter Ausdruck erschien auf ihrem Gesicht. „Er ist nicht verrückt nach mir, er ist verrückt nach DIR! Hast du das echt noch nicht bemerkt? Also wirklich, Nicky, du enttäuschst mich, ich dachte du hast Erfahrung mit sowas.“ Ich hatte gerade von meinem Kaffee getrunken, jetzt verschluckte ich mich heftig und bekam einen Hustenanfall. Marielle sprang auf und klopfte mir auf den Rücken, und als ich endlich wieder einigermaßen Luft bekam grinste sie mich mit vor Schalk blitzenden Augen an. „Stehst du etwa nicht auf ihn?“ Ich nahm mir eine Serviette und wischte mir die vom Husten tränennassen Augen ab, dann versuchte ich meine gerade flöten gegangene Fassung wieder zu gewinnen. Das war doch verrückt! Marielle bildete sich da gewaltig etwas ein. Caleb stand nicht auf mich! Niemals! „Marielle, Caleb hasst mich! Und zwar vom ersten Augenblick an als wir uns gesehen haben! Und er ist hetero! Wie kommst du nur auf so einen Mist? Das ist doch irre.“ Ich war völlig außer mir, aber Marielle grinste nur weiter ihr ach so allwissendes Grinsen. „Er hasst dich nicht, er ist verknallt in dich. Was glaubst du denn warum ihr euch immer so anzickt? Er versucht dich auf Abstand zu halten, und du springst voll darauf an. Also, stehst du nun auf ihn oder nicht?“ sie sah mich durchdringend an, und ich zuckte verlegen die Schultern. Ich kam mir vor wie bei einem Verhör. Und Marielle war der böse Cop. Einen guten gab es nicht. „Keine Ahnung. Am Anfang fand ich ihn schon geil, aber dann hab ich ihn näher kennen gelernt, und das war ziemlich...abtörnend. Verdammt, er hat mir letztens gedroht mir Motoröl in die Haare zu schmieren weil ich sein Auto beleidigt habe! Für mich hört sich das nicht nach Verknalltheit an.“ „Also für mich schon. Er triezt dich weil er dir anders nicht näher kommen kann. Das ist doch ganz logisch.“ Marielle nickte zur Bekräftigung ihrer eigenen Worte, man konnte ihr ansehen wie sehr ihr dieses Thema gefiel. Und meine offensichtliche Ahnungslosigkeit. Hatte ich wirklich so blind sein können? Unmöglich. „Und was schlägst du jetzt vor? Caleb ist aktuell schon wieder ziemlich sauer auf mich, und das ist praktisch ein Dauerzustand bei uns. Und wenn er mich reizt kann ich einfach nicht ruhig bleiben. Wir schaukeln uns immer gegenseitig hoch, und dann kracht es. Das wird doch ewig so weitergehen!“ Und dann war da ja auch noch Danny. Selbst wenn Marielle Recht hatte, was ich persönlich immer noch bezweifelte und für die Fantasien eines jungen und etwas zu gelangweilten Mädchens hielt, ich konnte unmöglich etwas mit seinem großen Bruder anfangen! In seinen Augen wäre das doch der Supergau; Bruder und bester Freund weg, und das auf einen Schlag. Nein, das ging einfach nicht! Ich schüttelte den Kopf. „Sag nichts, wir lassen das einfach. Selbst wenn es wahr ist was du sagst, ich könnte das Danny einfach nicht antun. Er dreht ja jetzt schon völlig am Rad weil er glaubt Caleb an dich zu verlieren, wie würde er erst reagieren wenn ihm dann auch noch sein bester Freund in den Rücken fällt? Das geht nicht, auf gar keinen Fall. Es würde ihn umbringen.“ ich fuhr mir ratlos mit beiden Händen übers Gesicht, und Marielle´s Begeisterung schien nun auch etwas gedämpft zu sein. Sie knabberte nachdenklich an ihrem Kaffeelöffel, dann seufzte sie ergeben. „Du hast Recht, für Danny wäre das eine Katastrophe. Daran habe ich gar nicht gedacht, sorry.“ Wir schwiegen beide, nippten an unseren inzwischen kalt gewordenen Kaffees, und gerade als die Stille zwischen uns unangenehm zu werden begann ergriff Marielle wieder das Wort. „Und wenn wir ihn einfach einweihen?“ sie sah mich nachdenklich an. „Wie meinst du das?“ „Na wir weihen ihn ein! Wir sagen ihm was wir vermuten, und dann sehen wir wie er reagiert. Vielleicht freut er sich sogar wenn Caleb und du zusammen kommen, dann würdet ihr nicht mehr dauernd streiten. Alles wäre Friede-Freude-Eierkuchen, und alle wären glücklich. Das klingt doch perfekt, oder nicht?“ Marielle sprühte praktisch vor Tatendrang, ihre Augen leuchteten, und sie strahlte übers ganze Gesicht. „Sag ja Nicky! Komm! Wenn wir Danny mit reinziehen wird er sich nicht mehr so außen vor fühlen. Er wäre dann ein Teil von allem, und das wäre auch sicher gut für sein Selbstvertrauen. Wir können nur gewinnen!“ Ich fühlte mich ein bisschen überrumpelt. Natürlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt Caleb für mich zu gewinnen, er entsprach genau meinem Beuteschema, aber er hatte mich vom ersten Augenblick an nicht gemocht, und außerdem war er mir nie besonders schwul vorgekommen. Ich hatte mir also nie Chancen ausgerechnet. Und dann kam Marielle und warf mit nur wenigen Worten meine komplette Einschätzung über den Haufen. Ich musste alles neu sortieren, und dafür brauchte ich Zeit. Vor allem wenn wir Danny mit ins Boot holen wollten. Das musste besonders genau überlegt werden; seiner Aussage nach war er zwar kein unschuldiges naives Kind mehr, aber ich sah das ein bisschen anders, auch wenn das gemein klang. Ich wollte ihn in nichts reinziehen was ihn möglicherweise unglücklich machen oder überfordern würde, das könnte ich mir nie verzeihen. „Lass mich drüber nachdenken, okay? Ich glaube nicht das Caleb was von mir will, oder ob ich darauf überhaupt noch Bock hätte. Ich will nicht noch mehr Ärger.“ Marielle gab mir Bedenkzeit, auch wenn ich sehen konnte wie es ihr in den Händen juckte. Sie wollte Ergebnisse, und zwar am liebsten sofort. Die geduldigste Person war sie wirklich nicht. Nachdem wir unsere Kaffees ausgetrunken und bezahlt hatten besuchten wir Marielles Schwester in ihrem Salon; sie war die Inhaberin, und das Geschäft war gut besucht. Bis zu ihrem Feierabend schlenderten Marielle und ich noch ein bisschen durch das Einkaufzentrum, wir unterhielten uns nur noch über belangslose Sachen, aber das vorherige Thema lag mir immer noch schwer im Magen. Ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken, aber es schlich sich immer wieder in meine Gedanken. Caleb mochte mich nicht. Er reagierte immer gereizt wenn wir uns begegneten, und wenn wir miteinander sprachen endete das immer im Streit. Wie konnte so jemand heimlich in mich verknallt sein? Das war verrückt. Eindeutig. Marielle sponn sich da etwas zusammen, sie sah Dinge die nicht da waren, und das würde ich ihr schon noch beweisen. Nur wie? Und sollte ich Danny da wirklich mit reinziehen? Der hatte so schon genug Sorgen, da musste ich ihm mit so einer haltlosen Vermutung nicht auch noch zusätzlich beunruhigen. Marielle stupste mich plötzlich von der Seite an und deutete auf einen Laden zu unserer rechten. „Weißt du was dir gut stehen würde Nicky? Ein Piercing.“ Jetzt ging das schon wieder los. Ich schüttelte den Kopf und versuchte sie so schnell wie möglich weiter zu ziehen. „Vergiss es, ich lasse mich sicher nicht durchlöchern. Und außerdem darf man das erst mit 18.“ nahm ich ihr den Wind aus den Segeln, aber Marielle blieb bockig stehen. „Nee, man darf das auch schon mit 16.“ sie zwinkerte mir zu. „Wenn ein Erwachsener dabei ist.“ So ein Pech das wir keinen dabei hatten. Ich wähnte mich schon in Sicherheit, aber Marielles schelmisches Grinsen ließ mich nichts Gutes ahnen. Was hatte sie vor? „Wir fragen meine Schwester. Die ist offiziell erwachsen. Und sie liebt Piercings! Sie darf wegen ihrem Job nur leider keins haben. Aber mir hat sie auch schon eins erlaubt, schau!“ Sie hob ihr Shirt ein kleines Stück und entblößte einen kleinen glitzernden Stecker in ihrem Bauchnabel. „Marielle, nein, echt jetzt. Ich will sowas nicht. Und außerdem würde mein Vater mich umbringen.“ Ich dachte damit wäre das Thema erledigt, aber kaum hatten wir Marielles Schwester vor dem Salon abgeholt fing meine neue Freundin wieder damit an. Und ihre Schwester war natürlich Feuer und Flamme für diese Idee. „Nicky, ja, das ist doch eine tolle Idee! Ich würde sogar bei deinem Vater vorsprechen wenn er sauer wird, versprochen! Und wenn du es doch nicht magst kannst du es ratz fatz wieder rausnehmen, das fällt dann gar nicht mehr auf! Komm, wir gehen wenigstens mal gucken.“ Ich ließ mich widerwillig breitschlagen, in erster Linie weil ich Marielle und ihre Schwester nicht enttäuschend wollte, und weil ihre Begeisterung irgendwo auch ansteckend war. Ich kannte, neben jetzt auch Marielle, nur eine weitere Person die Percings hatte, und das war mein Punkerfreund Alex. Der hatte sich seine allerdings alle selbst in die Haut gestochen, und ganz ehrlich, das war nichts was ich hätte nachmachen wollen. Mariellen und ihre Schwester schlenderten gut gelaunt zum Studio, sie lachten und scherzten, und ich trottete ihnen hinterer als würde es zu meiner Hinrichtung gehen. Der Besitzer des Ladens war Anfang dreißig, nicht nur über und über mit Ringen und Steckern besetzt sondern auch noch von Kopf bis Fuß tattowiert, und gleich vom ersten Augenblick an ein großer Fan von mir. War er schwul? Ich hätte meine nicht mehr vorhandene Jungfräulichkeit darauf verwettet. „Ich wüsste schon was genau zu dir passen würde. Ein … Das ist etwas eher ungewöhnliches, aber es hat was. Findet ihr nicht auch?“ er hielt uns eine Seite aus einem Piercingsmagazin unter die Nase, und Marielle und ihre Schwester nickten hingebungsvoll. Nur ich war skeptisch. Das Piercing das er uns zeigte war ein Lippenpiercing, es saß direkt in der Mitte der Unterlippe auf den Lippenrot und trat unter dieser wieder heraus. Klar, sah schon schick aus, aber an mir? „Ich weiß nicht...“ ich sah hilfesuchend zu Marielle, aber die strahlte immernoch verzückt ins das Hochglanzmagazin. „Ich kann es dir ja mal anzeichnen, dann siehst du wie es wirken würde. Okay?“ der Typ lächelte mir aufmunternd zu, und ich kam mir vor wie ein jämmerlicher kleiner Feigling. Sollte ich das wirklich wagen? Einerseits hielt ich mich nicht für den Typen dem Piercings standen, andererseits hatte Marielles Schwester mir ja versichert dass ich es bei Nichtgefallen einfach spurenlos wieder entfernen könnte. Ach verdammt. „Na schön, aber erstmal nur anzeichnen.“ „Juhu!“ Marielle hängte sich jubelnd an meinen Arm, dann schob sie mich hinter dem Studiobesitzer her in den hinteren Teil des Ladens. Der Typ, der sich uns als Stanley vorstellte, nahm mein Kinn vorsichtig in seine Hände, dann drehte er es ein bisschen hin und her um den perfekten Platz für das Piercing zu finden. „Du hast ein erstaunlich symetrisches Gesicht...schon mal darüber nachgedacht zu modeln? Wenn das Piercing verheilt ist würde ich gern ein Foto von dir in meine Galerie aufnehmen, wenn du das erlauben würdest.“ Aha, jetzt war das Piercing also schon beschlossene Sache. Mit einem schwarzen Filzer zeichnete Stanley zwei Punkte an, einen mittig auf meiner Unterlippe, einen ein wenig darunter. Dann drehte er mich in Richtung eines Spiegel. „So würde es sitzen. Na was sagst du? Sollen wir es wagen?“ Er zwinkerte mir zu, und ich warf Marielle und ihrer Schwester durch den Spiegel einen zweifelnden Blick zu. Sie gaben mir beide Daumen nach oben. Oh verdammt. Keine fünf Minuten später war ich Besitzer eines neuen Piercings, und das war auch noch aufs Haus gegangen. Ich war doch wirklich ein Glückspilz. Meine Lippe schmerzte wie nach einem Insektenstich, die Kugel fühlte sich ungewohnt und fremd an. Aber Marielle war hellauf begeistert. Sie starrte mir praktisch ununterbrochen ins Gesicht und grinste so breit dass es fast schon lächerlich aussah. „Das sieht sooooo cool aus Nicky! Echt! Ich bin fast ein bisschen neidisch. Findest du nicht auch dass er jetzt noch viel heißer aussieht Jessy?“ Ihre Schwester nickte zustimmend, sie lief ein Stückchen vor uns her und drehte den Schlüssel ihres kleinen Mercedes um den Zeigefinger. „Habt ihr gemerkt dass dieser Stanley voll auf Nicky abgefahren ist? Als er ihn angefasst hat dachte ich dem geht gleich einer ab. Und dann bekommst du auch noch das Piercing gratis! Weißt du was das eigentlich kostet?“ Marielle war völlig aus dem Häuschen. Gut so, dann nervte sie mich wenigstens nicht mehr mit Caleb und ihren ihn betreffenden wüsten Theorien. Da mir die Lippe wehtat und langsam anzuschwellen begann (ganz normal laut Stanley, viel kühlen und wenig reden, das würde helfen) hielt ich mich mit Kommentaren zum Gesprächsinhalt zurück, aber Marielle schien das gar nicht zu stören. Sie war selig. Als wir den Hof erreichten bot Jessy mir noch an mich ins Haus zu begleiten, nur für den Fall dass mein Vater beim Anblick des neuen Körperschmuckes ausrasten würde, aber ich lehnte dankend ab. Wahrscheinlich war es für ihn eh nur eine Frage der Zeit gewesen wann ich mit sowas ankommen würde; er kannte schließlich Alex, und so ein Piercing war immer noch leichter zu verkraften als ein Tattoo. Tatsächlich nahm mein Vater meine neuste Persönlichkeitsveränderung ziemlich gelassen, er fragte nur, genau wie ich es vermutet hatte, ob ich mir demnächst auch noch ein Arschgeweih würde tattowieren lassen, und wäre meine Lippe inzwischen nicht so angeschwollen gewesen hätte ich ihm am liebsten die Zunge rausgestreckt. Stattdessen ging ich in die Küche und füllte mir ein paar Eiswürfel in eine Schüssel, dann verzog ich mich ohne Abendessen (wie hätte ich das auch essen sollen?) hinauf in mein Zimmer. Stanley hatte mir geraten die Schwellung nicht zu direkt zu kühlen; das könnte im schlechtesten Fall sogar die Heilung verzögern. Also füllte ich die Eiswürfel in einen sauberen Waschlappen und hielt mir den ins Gesicht. Zumindest die Schmerzen waren inzwischen fast vollständig verschwunden. Am nächsten Morgen hatte das Piercing ein kleines bisschen nachgeblutet, aber die Stelle war bereits getrocknet, und auch die Schwellung hielt sich erstaunlicherweise in Grenzen. Da hatte ich wohl nochmal Glück gehabt. Zum Frühstück begnügte ich mich mit einem Eiskaffee den ich umständlich durch einen Strohhalm zog; mein Vater beobachtete mich schadenfroh, hielt aber gnädigerweise die Klappe. „Ab wann kannst du denn damit wieder normal essen? Nur damit ich weiß was ich dir zum Mittagessen kochen soll. Eine Suppe vielleicht?“ Lilly dachte natürlich wieder praktisch. Die gute Seele. Ich wünschte mir für die nächsten Tage hauptsächlichst flüssige Nahrung, und sie versprach mir sich mal ein paar Suppenrezepte anzusehen. Ich mochte es wie sich mich fraglos in allem unterstützte. Zumindest in fast allem. Nachdem ich mich geduscht und umgezogen hatte schnappte ich mir die Tüte mit Dannys neuem T-Shirt und machte mich draußen auf die Suche nach ihm. Das Wetter war zwar immer noch kühler als die letzten Tage, aber nicht mehr ganz so regnerisch. Der Hof war fast wieder trockenen Fußen zu durchqueren. Aber wen ich fand war nicht Danny, sondern Caleb. Der letzte den ich jetzt sehen wollte. Sofort schossen mir wieder Marielles wilde Theorien durch den Kopf und ich musste mich stark beherrschen um nicht einfach auf dem Absatz kehrt zu machen und grußlos die Kurve zu kratzen. Aber das wäre dann doch eine Spur zu übertrieben gewesen. Marielle hatte sowieso Unrecht, Punkt. Sie erhoffte sich eine ergreifende Lovestory wo keine war, und ich würde ihr das beweisen. Vielleicht sogar jetzt gleich. Caleb stand am Rande der Reitbahn, er schien gerade eine Runde mit seinem Teufelspferd Abyss drehen zu wollen, und ich musste mich beeilen um ihn nicht zu verpassen. Aber er hatte mich eh schon längst gesehen. Betont lässig schlenderte ich auf ihn zu, die Tüte mit Dannys Geschenk fest in der linken Hand. „Ich suche Danny, hast du ihn irgendwo gesehen?“ Ich ging so nah an die Absperrung heran wie ich es mir in Gegenwart dieses bissigen Gaules zu traute, was nicht besonders nah war. Caleb warf mir einen genervten Blick zu, dann runzelte er die Stirn und deutete mit einem Kopfnicken auf meine Lippe. „Was zur Hölle ist das da in deinem Gesicht?“ Keine freche Antwort geben, immer schön freundlich bleiben... „Das ist ein Piercing, Marielle hat mich dazu überredet. Und es ging sogar aufs Haus, der Piercer mochte mich glücklicherweise direkt auf den ersten Blick.“ Würde er eifersüchtig werden? Das müsste er doch wenn er mich insgeheim mochte, oder etwa nicht? Caleb drehte sich zu seinem Pferd um und fummelte etwas am Sattel, dann wandte er sich wieder an mich und sah mich verächtlich an. „Mit dem Ding in der Lippe kannst du ihm doch gar keinen blasen, damit hat er sich doch selbst ein Eigentor geschossen.“ Was das jetzt einfach nur fieß oder doch der Ausdruck einer ausgeprägten Eifersucht? Ich war mir nicht sicher, und da ich so sehr mit der Auswertung des Satzes beschäftigt war vergaß ich sogar eine entsprechende Antwort zu geben. Und mein Schweigen brachte Caleb eindeutig aus dem Konzept. Dass ich auf eine so offensichtliche Provokation hin die Klappe hielt war noch nie vorgekommen. Nichtmal als ich unter Drogen gestanden hatte. „Was hast du da in der Tüte?“ versuchte er das Thema zu wechseln, und ich sah verwirrt auf meine Hand hinunter. Ach ja, die Tüte. „Ein Geschenk für Danny, deswegen suche ich ihn ja. Also, hast du ihn irgendwo gesehen?“ Meine betonte Freundlichkeit machte Caleb nervös, das bemerkte ich genau. Und auch Abyss war das Gefühlschaos seines Herren nicht entgangen. Er machte einen halben Schritt zurück und warf den Kopf in die Luft, beinahe hätte er Caleb die Zügel aus der Hand gerissen. „Schsch du dämliches Vieh, bleib stehen.“ schimpfte der wütend und griff nach dem Halfter. Erst das Auto, jetzt sein Pferd. Das war ja interessant. Lag das an mir? Oder an Marielle? Wer von uns beiden hatte nun Recht? Inzwischen war mein Kampfgeist geweckt, ich wollte wissen was Sache war. Nur wie weit durfte ich dabei gehen? Caleb hatte Abyss wieder unter Kontrolle gebracht, jetzt sah er mich verärgert an und streckte die Hand über den Zaun. „Danny ist nicht da, mein Vater hat ihn heute morgen zum Zahnarzt gefahren. Gib die Tüte einfach mir, ich geb sie ihm dann.“ Ich schüttelte den Kopf und versteckte sie schnell hinter meinem Rücken. Mir kam eine Idee, wenn auch keine besonders...geschmackvolle. „Ich will ihm das lieber selber geben, danke für das Angebot. Aber das Geschenk ist...privat, wenn du verstehst was ich meine.“ ich lächelte verhalten, auch wenn die Bewegung meiner Lippe nicht besonders gut tat. Und natürlich sprang Caleb auf meine Andeutung an. Was anderes hätte ich ehrlich gesagt auch nicht erwartet. „Sag mir was in der Tüte ist du kleiner Perverser! Egal was es ist, du wirst es Danny nicht geben! Du bist so ein verdorbener...“ Noch bevor er den Satz beenden konnte hatte ich bereits auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte von der Reitbahn weg in Richtung Hof. Würde er mir folgen? Aber sicher. Caleb war deutlich schneller als ich und so bekam er mich schon nach wenigen Metern zu fassen. Er packte mich am Rücken meines T-Shirtes und brachte mich unsanft zum Stehen. „Aua, was soll das? Lass mich los!“ Ich versuchte mich umzudrehen und seine Hand abzuschütteln, aber Caleb packte mich einfach mit dem freien Arm um die Hüfte und entwand mir dann mit purer Gewalt die Tüte. „Gib das zurück!“ Kaum hatte er mich los gelassen wirbelte ich herum und streckte fordernd die Hand aus, aber Caleb beachtete mich gar nicht. Er öffnete die ominöse Tüte und griff hinein, und förderte das schwarze Apokalypse-Shirt zu Tage. Der verwirrte Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht war einfach zum Schreien. „Ich habe Danny noch ein T-Shirt gekauft, damit er auch mal eins zum Wechseln hat. Was dachtest du denn was da drin ist?“ Klang ich schadenfroh? Vielleicht ein bisschen. Caleb stopfte das T-Shirt zurück in die Tüte und warf sie mir heftiger als nötig wieder zurück. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. „Bei jemandem wie dir muss man doch mit dem Schlimmsten rechnen. Vor allem wenn du auch noch wegläufst.“ Ich starrte ihn entrüstet an. Egal was Marielle sagte, Caleb war ein Arschloch. Selbst wenn er mich irgendwo tief in sich drinnen doch irgendwie mochte, er war ein Arschloch. Und zwar das größte das ich bisher kennen lernen durfte. „Ich bin weggelaufen weil ich keinen Bock darauf hatte mich weiter von dir beleidigen zu lassen. Deine Sprüche sind echt unter der Gürtellinie, weißt du das? Wärst du auch so fies zu mir wenn ich nicht schwul wäre?“ Hatte ich ihn das wirklich gerade gefragt? Calebs hilflos wütender Miene nach zu urteilen ganz eindeutig. Er fuhr sich ratlos durchs Haar, dann fixierte er mich wieder mit diesem undurchdringlichen Blick. Würde er mir antworten? „Ich bin nicht fies zu dir, ich will bloß nicht dass du Danny in irgendetwas dummes mit reinziehst. Er ist so leicht zu beeinflussen, und du bist so...“ er stockte. „Was bin ich?“ ich starrte Caleb herausfordernd an, ich wollte ihn in die Enge treiben, und so wie es aussah gelang mir das sogar. Nun musste er sich um Kopf und Kragen reden wenn er noch als einigermaßen anständiger Kerl aus dieser Sache herauskommen wollte. Aber er hielt den Mund. Stattdessen kam er mit zwei schnellen Schritten auf mich zu, legte eine Hand an mein Kinn und zwang mich so zu ihm auf zu sehen. Sein Daumen berührte die obere Kugel meines neuen Piercings. „Du bist faszinierend, und das ist gefährlich. Danny würde alles für dich tun wenn du es nur von ihm verlangst. Er ist schon abhängig von dir. Und das gefällt mir nicht. Wenn er wegen dir in irgendwelche Schwierigkeiten gerät bist du tot, haben wir uns verstanden?“ Caleb war eindeutig nicht in mich verknallt. Er war fuchsteufelswild. Aus Sorge um seinen kleinen Bruder. Dem ich wirklich schon einigen Kummer bereitet hatte, wenn auch nicht mit Absicht. Ich wartete bis Caleb seine Hand sinken lies, dann trat ich einen Schritt zurück und packte dir Tüte fester. Zum Glück hatte er sie mir nicht komplett abgenommen, dann hätte ich Danny schon wieder enttäuschen müssen. Und das wollte ich auf gar keinen Fall! „Ich bringe Danny nicht in Schwierigkeiten, okay? Ich mag ihn sehr, und zwar nur als Freund. Mehr nicht. Also hör auf mir was anderes unterstellen zu wollen. Und selbst wenn es so wäre wie du in deiner blöden Verbohrtheit denkst, dann würde dich das überhaupt nichts angehen!“ Der letzte Satz brachte das Fass zum Überlaufen. Noch bevor ich überhaupt reagieren konnte hatte Caleb mich bereits am Kragen gepackt und warf mich gegen die Stallwand. Ich stieß mir heftig den Kopf, aber ich wagte es nicht auch nur einen Ton von mir zu geben. Seine Augen glühten vor Zorn, sein Gesicht war zu einer Fratze aus purem Hass verzerrt. „Du machst Danny nicht schwul, hörst du?! Das lasse ich nicht zu!“ seine um meinen Kragen geschlossenen Fäuste drückten schmerzhaft gegen meinen Hals, sein Gesicht war meinem so nah dass ich seinen heftig hervorgestoßenen Atem auf der Haut spüren konnte. Nun war es soweit, jetzt würde er mich schlagen. Ich schluckte schwer, seine Hände nahmen mir die Luft. „Was willst du dagegen tun, hm?“ stieß ich mühsam hervor. Ich spürte Blut auf meiner Lippe und leckte es vorsichtig mit der Zunge ab. Das Piercing, so ein Mist! Aber ich musste es beenden, hier und jetzt. Selbst wenn ich mir dafür ein blaues Auge (oder schlimmeres) einhandeln würde. „Hast du Angst Danny würde dann so werden wie du?“ Caleb verlor die Kontrolle. Seine Faust traf mich direkt auf den linken Wangeknochen, ich spürte wie meine Zähne aufeinanderschlugen, und dann war es nicht nur das Blut von meinem Piercing das ich im Mund schmeckte. Meine Wange brannte, mehr ein dumpfes Pochen als richtiger Schmerz, aber trotzdem trieb mir das Gefühl mir die Tränen in die Augen. Das war nicht das erste Mal das ich ins Gesicht geschlagen wurde, aber es war genau wie beim ersten Mal furchtbar. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)