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One Reason Why

Kaiba/Anzu
von

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Kapitel 2

Die Tage vergingen. Der Schulabschluss kam näher und ich wusste, dass der Tag des Abschieds bevorstand. Unser Ritual würde dann der Vergangenheit angehören und der Gedanke, dass ich nun auch sie verlieren würde, ließ mich nachts nicht mehr schlafen. Ich hatte bereits Atem verloren. Wer, wenn nicht dieses naive Mädchen, würde sich mir in Wortgefechten messen? Wer würde mir die Stirn bieten und ungefragt in die Tiefen meiner Seele vordringen? Selbstverständlich hatte ich Yuugi als meinen Rivalen anerkannt. Doch unsere Rivalität bezog sich hauptsächlich auf Duel Monsters und andere Spiele. Yuugi hatte nie die Absicht, mich zu belehren. Er akzeptierte mich so wie ich war und das schätzte ich genauso an ihm wie ich es verabscheute. Manchmal wünschte ich, er wäre mehr wie Atem. Egoistischer, selbstbewusster und bewaffnet mit einer scharfen Zunge.
 

Anzu war in der Lage meinen Sarkasmus zu widerstehen und schaffte es jedes Mal aufs Neue mich mit einer klugen Antwort in Verlegenheit zu bringen und auch wenn ich es ungern zugab, so waren es ihre spitzzüngigen Bemerkungen und Belehrungen, die mich tatsächlich zum Nachdenken anstachelten und mir Seiten meiner Selbst aufwiesen, die ich selbst nicht erkannt hatte oder zu verleugnen versuchte. So sehr ich daran glauben wollte, dass menschliche Bindungen einen Zeichen von Schwäche waren, so erinnerte sie mich daran, dass es eben diese Bindungen waren, die mich zu dem gemacht hatten, wer ich heute war. Sie hatte recht. Atem hatte mein Leben verändert und nur dank ihm konnte ich meine Vergangenheit hinter mir lassen. Und was wäre ich nur ohne meinen kleinen Bruder, der mir ohne Scheu seine Meinung sagte und mir stets den richtigen Weg wies?
 

Blitz und Donner tobten außerhalb meiner Villa ihr Unwesen. Das Licht hatte ich bereits gelöscht. Müde und erschöpft lag ich in meinem Bett, versuchte endlich einzuschlafen, doch es gelang mir nicht. Waren es die Geräusche des Sturmes oder die Furcht davor, erneut einen wichtigen Rivalen zu verlieren, die mir den wertvollen Schlaf raubten? Die Antwort kannte ich nicht. Nein. Ich wollte sie nicht wahr haben. Kleine Regentropfen, scharf wie eine Messerschneide, prallten laut gegen das eiskalte Glas. Wieder und wieder erleuchtete der Blitz mein Zimmer. Hätte ich es gewollt, hätte ich die Vorhänge zuziehen können, aber etwas in mir hielt mich davon ab. So blieb ich liegen, in meinem kalten, einsamen Bett.
 

Der Sommer in Domino war unangenehm heiß. Schwüle Luft breitete sich tagsüber aus, während es nachts häufiger zu Gewittern kam. Ich mochte den Sommer nicht sonderlich, aber ich verabscheute ihn auch nicht. Die Sommeruniformen an der Domino High waren relativ luftig. Weitaus bequemer als die Designeranzüge, die ich zur Arbeit trug und mich einengten. Nun schon bald würde ich meine Schuluniform an den Nagel hängen und würde nur noch Anzüge tragen, wie es sich für einen ordentlichen Geschäftsmann gehörte. Immerhin waren es nur noch zwei Wochen bis ich die Schule endlich hinter mir lassen konnte. 14 Tage. Die Zeit war viel zu schnell vergangen.
 

Der nächste Morgen begann wie üblich. Wieder hatte ich mir schlaflos eine Nacht um die Ohren geschlagen, hatte nicht die Möglichkeit ein Auge zuzutun. Meine Angestellten hatten bereits den Tisch gedeckt und das Frühstück serviert. Der herbe Duft von Kaffee riss mich brutal in die Realität, welcher ich mich nun stellen musste. Ich war mir nicht sicher, ob ich wach war oder einfach nur schlafwandelte.
 

Das Umfeld war mir bekannt und doch fühlte es sich so unheimlich fremd an. Ich fühlte mich wie gerädert. Hektisch griff ich nach einer Tasse, schüttete mir die heiße, schwarze Flüssigkeit hinein, wobei einiges auf dem Tisch landete. In den kleinen Pfützen spiegelte sich mein Gesicht. Es wirkte anders. So verändert. Ich war nicht mehr als mein eigener Schatten. Wieso nur fiel es mir so schwer, mich zu konzentrieren und Haltung zu bewahren? Es war nicht so, als würde ich Yuugi und Anzu niemals wiedersehen. Sie verschwanden ja nicht einfach, doch ich wusste, dass ich es aufgrund meines falschen Stolzes nicht schaffen würde, sie ohne guten Grund anzusprechen.
 

Und was für einen Grund hätte ich, den ich hätte vorschieben können, um sie erneut wiederzusehen?
 

Mazaki Anzu, ich fordere dich dazu auf, mit mir zu streiten! Das war ja wohl kaum eine angemessene Art eine junge Dame anzusprechen. Yuugi konnte ich jederzeit zu einem Duell herausfordern, doch mir fiel einfach kein akzeptabler Grund ein, auf sie zuzugehen. Sie war keine Duellantin. Sie spielte auch keine Spiele. Sie unterstützte Yuugi zwar und begleitete ihn und dessen Freunde zu offiziellen Turnieren, doch sie hatte nie selbst teilgenommen und es war offensichtlich, dass sie sich zwar Duel Monsters durchaus interessierte, aber dieses Kartenspiel nicht mit derselben Leidenschaft spielte, wie Yuugi oder der blonde Idiot, der dem König der Spiele wie eine lästige Fliege folgte. Ich konnte keinen Grund vorschieben, um sie außerhalb der Schulzeit oder nach dem Abschluss erneut wiederzusehen und somit musste ich mir eingestehen, dass unsere besondere Bindung nach diesen 14 Tagen vorbei sein würde.
 

Sollte ich sie fragen, ob sie sich auch nach unserem Abschluss mit mir treffen wollen würde?
 

Es gab ein japanisches Sprichwort, an das ich denken musste:
 

„Fragst Du, brauchst Du dich nur einen Augenblick zu schämen,
 

fragst du nicht, schämst du dich bis an dein Lebensende.“
 

Schon einmal hatte ich bereut, weil ich im entscheidendem Augenblick nicht die richtigen Worte fand. Ich hatte Atem aufgrund meiner eigenen Feigheit gehen lassen und ich hatte eine Dimension durchbrochen, nur um diesen Fehler gutzumachen. Ich hatte die Grenzen von Logik und des Menschenmöglichen durchbrochen, nur um ihn wiederzusehen. Doch warum konnte ich mich nicht dazu durchringen, ihr zu sagen, dass ich sie gerne in meiner Nähe hatte und auch zukünftig diese Gespräche mit ihr führen wollte? Was wäre, wenn ich diese Chance nicht ergriff und mir erneut Vorwürfe machen würde, weil ich aufgrund meiner Feigheit, Anzu aus meinen Leben gehen ließ, obwohl ich wusste, dass ich sie bei mir haben wollte?
 

Ungeduldig saß ich auf meinem Platz und wartete darauf, dass meine brünette Kontrahentin erschien. Pünktlich wie ein Uhrwerk kam sie durch die Tür hinein. Heute hatte sie einen großen Sportbeutel dabei und trug anstelle ihrer Uniform einen Sportanzug. Verwundert betrachtete ich sie. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte oder warum sie in diesem Aufzug erschien.
 

„Kaiba-kun, heute fährt der Tanzklub nach Shinjuku. Das ist meine letzte Chance ein Stipendium zu bekommen. Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich die nächsten zwei Tage nicht hier sein werde.“
 

„Moment, du meinst doch nicht etwa die Tokyou Opera?“
 

„Genau die! Wir werden vor einem großen Publikum tanzen. Wir sind zwar nur stellvertretend für eine andere Tanzgruppe dort, da diese kurzfristig absagen musste, aber im Publikum werden einige Juroren sitzen.“
 

„Du möchtest also Tänzerin werden. Das wusste ich gar nicht.“
 

„Ich möchte nach Amerika und an der State University in Brockport ein Tanzstudium absolvieren. Es ist ein ziemlich teures College, aber es ist mein Traum.“
 

„Muss es denn ausgerechnet Amerika sein? Ich verstehe nicht, warum du nicht hier in deiner Heimat studieren kannst. Träume in allen Ehren, aber die Realität nimmt keine Rücksicht auf eine Träumerin.“
 

„Ach, was weißt du schon!“
 

„Amerika ist ein großes und gefährliches Land. Eine junge Dame wie du ist gefundenes Fressen. Eine naive Japanerin wie du lässt sich doch sicherlich schnell übers Ohr hauen. Und dann wird dir keiner helfen.“
 

„Du siehst auch immer nur das Schlechte in den Menschen. Ich lasse mir doch nicht von dir meinen Kindheitstraum ausreden. Ich habe jahrelang in Amerika gelebt und weiß genau, was ich will.“
 

„Du warst in Amerika? Ich hatte mich schon gewundert, warum die beinahe akzentfrei Englisch sprichst.“
 

„Mein Vater muss aufgrund seiner Arbeit oft ins Ausland. Kurz bevor ich in die Mittelschule kam, musste er wegen eine Großauftrag nach New York, also sind meine Mutter und ich mitbekommen. Ich weiß noch, als wir zum ersten Mal zum Broadway gingen und ich die hübschen Tänzerinnen auf der Bühne sah. Da wusste ich, dass ich das später beruflich machen möchte und seitdem trainiere ich jeden Tag dafür. Es ist nichts Großes oder gar Besonderes, aber es ist mein Traum, der nur mir allein gehört.“
 

„Das Tanzen ist also deine Leidenschaft. So wie Duel Monsters meine Leidenschaft ist. Verstehe.“
 

„Wir sehen uns, Kaiba-kun. Ich muss jetzt los, sonst fahren die anderen noch ohne mich.“
 

„Viel Erfolg, Anzu.“
 

Es waren nur zwei Tage, doch es war ein Vorgeschmack dessen, was mich zukünftig erwartete. Es war ungewohnt ruhig, wenn sie nicht da war. Beinahe sehnsüchtig hoffte ich darauf, dass sie durch die Tür hineinkam, mir einen Guten Morgen wünschte und mir unsinniges Zeug erzählte, von dem ich eigentlich gar nichts hören wollte. Ich vermisste sie. Ihre Präsenz. Den Duft von Aprikosen, der an ihr haftete und ihr ehrliches Lächeln. Ich wollte sie von mir stoßen und redete mir ein, wie grässlich und störend ihre Stimme war, obwohl sie in Wirklichkeit sanft und wohltuend war. Ich wollte ihre Stimme hören und mehr erfahren. Ich wollte wissen, wie das Vortanzen war und ob sie ihrem Traum näher kommen konnte.
 

Am Mittwoch war sie zurück. Es waren nur zwei Tage. Zwei Tage, die mir klarmachten, wie sehr ich es genoss, mit ihr zu reden. Ich hatte meinen Laptop vor mich gestellt, ihn jedoch nicht hochgefahren, sondern wartete ruhig darauf, dass die Brünette durch die Tür hineinkam. Und wie immer kam sie pünktlich. Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Es huschte ungefragt über meine Lippen. Genauso schnell wie es gekommen war, verschwand es wieder. Immerhin wollte ich Haltung bewahren und es war nicht meine Art Schwäche zu zeigen.
 

„Guten Morgen, Kaiba-kun!“
 

„Schon zurück? Es war so schön ruhig ohne dich! Eine Wohltat, dich nicht jeden Morgen ertragen zu müssen.“
 

„Ach, glaube mir, es hat mir auch gutgetan, zwei Tage nicht dein griesgrämiges Gehabe um mich haben zu müssen. Deine ständige Negativität und dein ewiger Pessimismus können echt anstrengend sein, weißt du? Ich frage mich ja wirklich, wie Mokuba es mit dir aushält.“
 

„Das ist kein Pessimismus, sondern Realismus. Nicht, dass ich erwarte, dass jemand wie du den Unterschied kennt.“
 

„Eine optimistische Lebenseinstellung ist trotzdem weitaus gesünder und viel stressfreier. Wenn du immer die Augenbrauen runter ziehst und so böse dreinschaust, kriegst du ganz schnell Falten. Oh! Warte! Ich glaube, ich sehe da sogar schon die ersten grauen Haare!“
 

Mit einem breiten Grinsen zeigte sie auf meinen Pony. Genervt verdrehte ich die Augen und zuckte dann mit den Schultern.
 

„Optimisten wie du sind Träumer, die sich in kindischen Visionen verlieren und ernsthaft denken, dass sie mit dem Glauben allein Berge versetzen könnten. Da kannst du noch so sehr meine grauen Haare zählen, das täuscht auch nicht darüber hinweg, dass deine Lebenseinstellung naiv und weltfremd ist.“
 

„Und trotzdem bin ich weitaus gelassener als du, weil ich nicht immer erst eine Kosten/Nutzen-Rechnung abwägen muss, um eine Entscheidung zu treffen. Mal ganz davon abgesehen, dass zwischenmenschliche Beziehungen und Freundschaften nicht mit Logik oder gar Gleichungen zu lösen sind. Ich bin lieber eine Träumerin als ein ewiger Brummbär.“
 

„Ich hoffe doch sehr, dass besagte Träumerin beim Vortanzen punkten konnte und ihr Stipendium bekommen hat.“
 

„Besagte Träumerin hat dieses Ziel erreicht und das sogar ganz ohne komplizierte Berechnungen. Nur mit ihrer Vision und ihrem Willen.“
 

„Glückwunsch, Anzu.“
 

Ich lächelte. Ich freute mich für sie. Sie kicherte amüsiert und erwiderte dann mein Lächeln. Sie erzählte mir von dem Vortanzen. Es war das erste Mal, dass ich einer anderen Person so lange zugehört hatte, ohne sie zu unterbrechen. Stolz erzählte sie von ihrer Performance und wie sie alles gegeben hatte. Sie hatte alles gegeben und wurde für diese Mühe belohnt. Auch das musste ich ihr lassen. Disziplin und Passion waren ebenfalls Eigenschaften, die ich lobte. Ich wollte sie hassen. Doch ich konnte es einfach nicht mehr. So sehr genoss ich ihre Anwesenheit und ihre zarte Stimme. Der Duft von Aprikosen stieg mir in die Nase. Ich mochte den Sommer nie sonderlich, doch diesen Moment würde ich für immer in meinem Herzen wahren.
 

Unsere Zeit war vorbei. Die ersten Schüler betraten die Klasse und somit musste ich mich bis zum nächsten Morgen gedulden, um sie wieder nur für mich zu haben.
 

Yuugi trat nun verschlafen in die Klasse. Sie kam auf ihn zu und ermahnte ihn, dass er doch nicht immer bis spät in die Nacht Videospiele spielen sollte und die Schule ernster nehmen sollte. Yuugi erwiderte nichts. Er ließ sich von ihr unterbuttern und zeigte keinerlei Anzeichen sich ihr entgegenzustellen und auch nur ein Gegenargument zu bringen. Folgsam nickte er und entschuldigte sich. Dabei war Yuugi mittlerweile Jahrgangsbester. Ich hatte immer gewusst, dass er nicht dumm war, sondern einfach nur desinteressiert. Nachdem ich ihn dazu aufgefordert hatte, sich mit mir schulisch zu messen, hatte er sich ordentlich ins Zeug gelegt. Yuugi hing mit dem Kopf in den Wolken, träumte auch im Unterricht gerne vor sich hin oder malte kleine Kreaturen auf seinen Schreibblock, während er geheime Nachrichten mit Jounouchi tauschte. Mehr als einmal hatte ich die beiden beobachtet und jedes Mal enttäuscht den Kopf geschüttelt.
 

Dass Jounouchi die Intelligenz fehlte, sich mehr als fünf Minuten zu konzentrieren, war mir bewusst, aber es grämte mich, dass er Yuugi mit seinem Verhalten ebenfalls herunterzog. Zumindest hatte ich das geglaubt. Auch wenn Yuugi sich im Unterricht nicht so viel beteiligte, so waren seine Noten sehr gut und er wurde bereits von den Lehrern dazu aufgefordert, die Schulabschlussrede zu halten. Yuugi musste ja nicht wissen, dass er nur gefragt wurde, weil ich zuvor abgelehnt hatte. Am Tag unseres Abschlusses hatte ich ein wichtiges Meeting, das mit meinem neuen Virtual Online Game zu tun hatte. Dies konnte ich auf keinen Fall verschieben, da ich Deadlines einhalten musste.
 

Fragend hob ich eine Augenbraue. Ich belauschte Yuugi und dessen Freunde schon länger, doch es hatte keiner nach ihrem Vortanzen gefragt. Interessierte sie das schlicht und ergreifend nicht oder wussten sie gar nichts davon? Oder hatten sie dies vielleicht am Vortrag besprochen? Die Antwort kannte ich nicht und ich würde sie auch niemals erfahren, weil ich niemals den Mumm aufbringen würde, sie zu fragen.



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