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Von Sünden anderer Ufer

von

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Ein kleiner Gefallen

Nicolas Montoya ließ den Straßenlärm von San Diego hinter sich verstummen, als er durch die Eingangstüren des gläsernen Hochhauses trat. Seine Ohren vernahmen stattdessen flüchtiges Klackern von Absatzschuhen und schrilles Telefonläuten. Im Anzug gekleidete, angespannte Gemüter schnellten an ihm vorbei, um danach ungeduldig auf den Ruftasten des Fahrstuhls herumzudrücken. Der Business-Hochdruck hatte wie jeden Morgen sein volles Ausmaß erlangt.

                Der junge Mann befand sich im Hauptgebäude der nicht allzu unbekannten Firma Nexus, seinem derzeitigen Arbeitsplatz. Doch er war weder Aktionär noch Unternehmer. Er war niemand, der sich aktiv am geschäftlichen Werdegang der Nexus GmbH beteiligte.

Nein, in dem Konzern für Unterhaltungstechnologie und Lichttechnik war Nicolas Montoya nur ein gewöhnlicher Hausmeister.

 
 

                Nach einem tiefen Atemzug steuerte er das Facility-Office an, wo die morgendliche Routine der Aufgabenkontrolle beginnen würde. Dort erwartete ihn auch schon Mr. Donald Combs, der ihn während seiner damaligen Probephase eingearbeitet hatte. Inzwischen aber erledigte Nicolas dieselben Aufgaben wie dieser, weshalb er und Combs beruflich auf gleicher Augenhöhe standen.
 

                »Morgen, Nick«, grüßte der Ältere, der sich ihm mit krummen Rücken auf dem Drehstuhl zuwandte.   

    

                »Combs«, entgegnete auch Nicolas und warf einen Blick auf den Arbeitsplan, den sein Kollege gerade am Computer geöffnet hatte. »Steht was Besonderes an heute?«
 

                »Mhm«, kam es grummelnd von Combs, »der Kühlschrank von Etage 12.« Er grinste ihn mit schiefem Mundwinkel an.
 

                »Der Kühlschrank«, wiederholte Nicolas gleichermaßen schmunzelnd, »natürlich. Ich erledige das dann nach der Zählerablesung.« Noch ein letztes Mal ging er die Tabelle prüfend durch, eher er sich im Nebenraum die Arbeitsuniform anzog.  

 
 

                Als Hausmeister war man ein Alleskönner, und wurde dementsprechend auch fast überall gebraucht: von kleinen Reparaturen und Kontrolle der Handwerkerarbeit bis hin zum Winterdienst, Entrümpelungen und der Grünanlagenpflege.  Nicolas wurde oft auf seine Karrierewahl angesprochen. Für viele schien sie nämlich unüblich und antiquiert, zumindest für einen jungen Mann wie er. Doch ihm gefiel seine Arbeit und er fand nichts am Beruf der Geschäftsleute, was er jemals neiden konnte. Er fühlte sich frei und flexibel; nicht an Stuhl und Schreibtisch gebunden.
 

                Im zwölften Stockwerk angekommen, öffneten sich die Fahrstuhltüren und Nicolas betrat zum wiederholten Male in diesem Monat die Online Sales Abteilung. Ein Berg von Licht schien ihm sogleich durch die riesigen Fenster entgegen und der wohlige Duft von Kaffee stieg ihm in die Nase. Im selben Moment wurde er auch schon von der Sekretärin bemerkt, die ihm zur Begrüßung ein Augenzwinkern schenkte.  Er war eben nicht nur irgendein Hausmeister. Er war der Hausmeister. Für die weibliche Partie der Angestellten von Nexus war Nicolas der Hingucker schlechthin: gut gebaut, dunkelblondes Haar, und karamellfarbener Teint. Und auch wenn es ihm insgeheim leidtat, konnte er sich bei dem Gedanken ein Schmunzeln nicht verkneifen. Diese ganze Schwärmerei für nichts und wieder nichts. Denn Nicolas war nämlich schwul. Und der grundlegende Beweis dafür erschien just in diesem Moment vor seinen Augen: Edward Perkins - Online Sales Manager und Zweitleiter von Etage 12.

In taktvollen, zielstrebigen Schritten kam dieser nämlich am anderen Ende des Raums um die Ecke gebogen. Sein Anzug prahlte mit hochwertigem Schnitt in dunkelgrauem Design, und sein Jackett trug er geöffnet, weshalb sein mit Sorgfalt glattgebügeltes Hemd zum Vorschein kam. Die beiden Männer kreuzten sich, und Mr. Perkins erhob den Blick aus seiner Arbeitsmappe, in welcher er bis eben noch herumgeblättert hatte.
 

                »Mr. Montoya, schön, Sie zu sehen!«, ertönte dessen Stimme, und Nicolas Herz rutschte ihm augenblicklich in die Hose. Kurz hielt er inne, nickte ihm lächelnd zu und gab dabei einen halbverstummten Laut von sich, ehe er ohne weiteres in der Büroküche verschwand. Er war ein wahrhaftiger Feind des Smalltalks; vermied ihn, wann immer ihm sich die Möglichkeit dazu bot. Er war bei dem Versuch, eine oberflächliche Unterhaltung mit Perkins zu führen, sowieso schon mehrmals ins Stottern geraten.

 
 

                Nach halbstündigem Werkeln am Kühlschrank des Pausenraums stellte der junge Hausmeister das Gerät zurück an Ort und Stelle, bevor er wieder seine sieben Sachen vom Werkzeugkasten beisammen räumte.  Sein Blick schnellte zur Tür, als Perkins zusammen mit dessen Vorgesetzte Mr. Hudson hindurchtrat. Verwundert blieb Hudson stehen und machte einen fragenden Ausdruck.
 

                »Der Kühlschrank, Sir«, erinnerte ihn Nicolas zuvorkommend, »ich habe den Thermostat ausgetauscht.«
 

                William Hudson grunzte zufrieden: »Aah, ich erinnere mich. Sie sind Combs neuer Lehrling.« Er setzte sich auf einen der Stühle, während sich Perkins einen Kaffee aus der Maschine zubereitete. »Gute Arbeit, mein Junge.«, sagte er ihm lobend und verschränkte dabei die Arme auf seinem dicken Bauch.
 

                »Kein Lehrling, Sir. Mr. Combs hat mich nur eingebarbeitet; vor zwei Jahren etwa«, berichtigte er, »und ich habe den Thermostat schon drei Mal ausgetauscht. Der Kühlschrank hätte schon längst ersetzt werden sollen.« Nicolas zögerte kurz. »Das konnte ich aber nicht umsetzen, da uns ihr Einverständnis dazu fehlt.«
 

                Bei dem letzten Satz lachte Edward Perkins auf und wandte sich an seinen Chef: »Das hörst du nicht zum ersten Mal, Hudson. Hör auf den Jungen und gönn uns einen gescheiten Kühlschrank. Das Teil da hat bestimmt schon zwanzig Jahre auf dem Kasten.«
 

                Sich am Kopf kratzend gab der Chef nur ein Grummeln zur Antwort. Perkins ließ sich mit seinem Kaffee auf einen der Stühle nieder und sah Nicolas mit einem Lächeln entgegen, der daraufhin ein intuitives Verlangen verspürte, sich auf den Lippen herumzukauen.  Innerlich verfluchte er seinen Traumprinzen für sein unverschämt gutes Aussehen. Manchmal glaubte er, Edward war sich seinen Reizen nicht einmal bewusst.

                Als besagter an der Kaffeetasse nippte, fixierte Nicolas den goldenen Ring an dessen Hand, der ihm bei der Bewegung entgegenfunkelte. Jener Ring, welcher nichts, aber doch so viel für Nicolas aussagte. Er symbolisierte die Unendlich- und Beständigkeit zweier Liebenden – die Liebe zwischen Edward und dessen Frau.
 

Und doch war es bloß ein austauschbarer, herkömmlicher Metallring.

 

 

                Mit zügigen Schritten, so als stünde noch etwas Dringendes an, verlies Edward Perkins das imposante Hochhaus seiner Firma. Die Sonnenstunden verkürzten sich von Tag zu Tag, und obwohl die Pazifikküste Kaliforniens für ihr durchgehend sanftes Klima bekannt war, wehte dem brünetten Mann eine herbstliche Brise durch seinen Sakko. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er ausnahmsweise recht früh in den Feierabend ging. Oder viel eher gegangen worden war. Hudson konnte es nämlich gar nicht haben, wenn sich seine Stunden zu sehr überschlugen. Laut ihm wäre er dann schließlich nicht der erste, der wegen Überarbeitung zum Burnout-Fall wurde. Mit dem Gedanken daran, dass sein Chef mal wieder maßlos übertrieben hatte, stieg er in seinen schwarzen Mercedes Coupé und schlug den Weg zum Little Italy ein, ein wohlhabender Stadtbezirk in unmittelbarer Nähe der Downtown San Diegos.
 

                Nachdem er den Schlüssel zwei Mal im Schloss umgedreht hatte, um seine Penthouse-Wohnung zu betreten, flog ihm sofort ein warmer Duft nach pikanter Würze entgegen. Er streifte seine Schuhe ab und stellte sie ordnungsgemäß zu den anderen Paaren, entledigte sich seines Jacketts und lauschte einem melodiösen Summen am anderen Ende des Zimmers. Zwei Schritte weiter befand er sich im Eingangsbereich der Küche, die den Raum mit einem großen Wohnzimmer teilte, und wo Vanessa mit dem Rücken zu ihm gekehrt das Abendessen zubereitete.    
 

                »N‘Abend, die Dame«, Edward schlang seine Arme um ihre Hüfte und der zierliche Körper unter ihm zuckte augenmerklich zusammen.
 

                »Ed! Du schon hier?«, trällerte sie und drückte ihm im Halbumdrehen einen Kuss auf den Mund, »ich dachte, du musst heute wieder länger machen.« Freudig deutete sie auf den Tisch, und bot ihrem Mann damit an, sich zu setzen. Der Tisch war bereits gedeckt; so wie jeden Abend, wenn er nach Hause kam.
 

                »Ich bin heute früher raus. Hudson spielt mal wieder den großen Aufpasser, damit ich mich nicht übernehme.« Nachdem er Platz genommen hatte, legte er seinen Kopf schief, um seinen Nacken zu dehnen, »ich weiß nicht, wie er sich das vorstellt. Wir haben einen Haufen zu tun, das ganze Team.« Er fing sich einen argwöhnischen Blick von seiner Genossin ein.
 

                »Er wird schon wissen, was er macht«, kommentierte sie und gesellte sich zu ihm, nachdem sie ihm Rotwein eingeschenkt hatte. »Schön, dass du da bist. Dann habe ich dich ja heute ganz für mich, mh?« Sie stupste ihm in die Seite und sah ihn erwartungsvoll an. Edward gab keine Antwort, sondern steckte sich stattdessen die Gabel in den Mund. Eine Weile lang kaute er bloß auf dem Gemüse herum, weshalb Vanessa ihre feingezupften Augenbrauen in die Höhe zog. »Ed«, kam es von ihr in ermahnendem Ton, »sag mir bitte nicht, dass du jetzt gleich wieder im Arbeitszimmer versschwindest.«
 

                »Ich muss.«
 

                »Garnichts musst du!« Ihr Arm schnellte zu seiner Hand und hielt diese bestimmend fest, »ruh dich aus.« Fürsorglich strich sie ihm über den Handrücken, »wir schauen uns einen Film zusammen an.«
 

                »Vanessa, du weißt wie wichtig diese – «
 

                »Ich weiß.«, unterbrach sie ihn. Sie machte eine kurze Pause, ehe sie fortfuhr: »Ich weiß es. Aber du tust niemandem einen Gefallen damit, wenn du uns im nächsten Moment aus den Latschen kippst.«
 

                Augenrollend entzog er seine Hand ihren schmalen Fingern und stieß einen angestrengten Laut aus: »Wenn ich aus den Latschen kippe?«, wiederholte er ihre Worte halblaut, »ich bin dreiunddreißig, keine sechzig. Und im Übrigen kerngesund.«
 

                »Noch.«, raunte Vanessa in ihr Rotweinglas und beließ es letzten Endes bei diesem Argument.

 
 

                Der Rest des Abends verlief beinahe schon schweigsam. Wie immer räumten sie zusammen auf; unterteilten dabei ihre Aufgaben wie gehabt: Edward kümmerte sich um die Spülmaschine, während Vanessa lediglich die Küchenzeilen und den Essentisch abwischte – immerhin übernahm sie durch das Kochen schon den Großteil.  
 

                Gemeinsam am selben Tisch zu essen gehörte nicht zu den Selbstverständlichkeiten im Alltag des jungen Ehepaars. Oft machte Edward Überstunden und kehrte erst zu später Stunde heim; dann, wenn Vanessa schon tief und fest schlief. Trotzdem machte sie sich jedes Mal die Mühe, ihm zumindest ein warmes Gericht zu hinterlassen, denn sie wusste, dass er in der Geschäftskantine nichts als Junkfood und Fertigmahlzeiten zu Mittag bekam. Sie selbst als Modejournalistin hatte einen erheblich entspannteren Arbeitsrhythmus. Mit ihrem acht Stunden-Tag fühlte sie sich zwar ausgelastet, konnte sich nachmittags aber dank ihrer festgeregelten Arbeitszeiten unbekümmert anderer Dinge widmen. Das völlige Gegenteil von Edwards Job also: Seine Verpflichtung als Manager kostete ihn Verantwortung, Zeit, und eine Menge Nerven. Doch er liebte seine Arbeit. Es machte ihm nichts aus, für das Image seiner Firma gerade zu stehen und zu jeder erdenklichen Uhrzeit erreichbar zu sein.

 
 

Die Sonne war kaum erst aufgegangen, da saß Edward schon in seinem Büro und bereitete sein heutiges Meeting vor. So wie immer gehörte er zu den wenigen Ersten, die bei früher Morgenstunde schon durch das Department geisterten. Dazu zählten auch die Reinigungskräfte, die tagtäglich um 5 Uhr ihren Dienst antraten und dafür sorgten, die gesamte Einrichtung in Schach zu halten.

Auf der Suche nach einem Ordner in einer der Schubladen, spürte Edward auf einmal das Vibrieren seines Smartphones in der Hosentasche und zog es daraufhin heraus. Ein kurzer Blick auf das Display verriet, dass es sich um eine Nachricht von Vanessa handelte.
 

                Die Spülmaschine ist ausgelaufen... kümmerst du dich drum? Muss jetzt los… und denk an dein Versprechen!
 

                Ein langer Luftausstoß verlies seine Lungenflügel und er fing an, seinen Nasenrücken zu massieren. Als gäbe es nicht schon genug zu tun, sprach er innerlich zu sich selbst. Schnell tippte er eine Antwort und grübelte währenddessen über eine Lösung für die Küchenpanne nach, von welcher er soeben erfahren durfte. Doch dann, als er sein Handy wieder in der Tasche vergrub, schoss ihm eine Idee in den Sinn.

                Mittlerweile zu zumutbareren Zeiten, etwa um 10 Uhr, befand sich Edward vor dem Facility-Office im Erdgeschoss. Er steckte seinen Kopf durch die offenstehende Tür und erkannte, wie Nicolas in seiner blauen Einheitskleidung am Computer saß und mit der Maus herumklickte.
 

                »Klopf, klopf«, kündigte er seine Anwesenheit an. Der Andere blinzelte in seine Richtung. »Entschuldigen Sie die Störung.«
 

                »Mr. Perkins«, sagte der Jüngere überrascht und machte eine Handbewegung, um Edward damit Einlass zu erweisen. »Worum geht es?« Er erhob sich aus dem Stuhl und sah ihn aufmerksam an. Edward musste ein Stück zu dem Blondschopf heruntersehen, da dieser um wenige Zentimeter kleiner war als er.
 

                »Ich muss Sie um einen Gefallen bitten.«

 
 

Genau wie an den vergangenen Tagen zogen rosarote Wolken über die abendliche Skyline von San Diego: Lichterloh spiegelten sie die Farben in den Wolkenkratzern wider und verliehen der Stadt einen Hauch von Idylle.  Mit dem Anbruch der Dunkelheit löste sich nun auch der Feierabendverkehr, und der unterschwellige Lärm der Häfen erlisch im Einklang mit dem nun beginnenden Nachtleben.

                Nicolas bekam von all dem nichts mit, als er unschlüssig vor Mr. Perkins Wohnungstür stand. Der Weg mit dem Fahrstuhl in das oberste Geschoss war ihm unendlich lang vorgekommen, und schon jetzt konnte er sich in etwa ausmalen, was der Manager für eine erstklassige Aussicht von dieser Höhe aus haben musste. Ein letztes Mal vergewisserte er sich, ob er auch der richtigen Adresse gefolgt war, ehe er seinen Arm zur Klingel ausstreckte. Als man schließlich ihr Gebimmel vernahm, befeuchtete er sich reflexartig seine trockenen Lippen und nahm eine kerzengerade Haltung an. Es näherten sich hörbare Schritte von der anderen Seite, und als die Tür geöffnet wurde, funkelten ihn zwei lindgrüne Augen energisch entgegen.
 

                »Guten Abend, Miss. Nicolas Montoya.«, stellte er sich vor und bat der jungen Frau einen Händedruck an, welcher zögernd von ihr erwidert wurde, »Ich arbeite bei Nexus. Ihr Mann bat mich heute Morgen, einen Blick auf ihre Spülmaschine zu werfen.«
 

                Ihre Miene erhellte sich etwas und sie stellte sich ebenfalls vor, doch machte sich kurz darauf eine Spur von Skepsis auf ihrem Gesicht breit. »Und wo steckt Edward?«, fragte sie mit suchendem Blick durch den Hausgang.
 

                »Er richtet Ihnen aus, dass er noch etwas zu erledigen hat, aber so schnell wie möglich nachkommt.«
 

                Vanessa presste ein gespieltes Jauchzen hervor: »Sicher doch. Dass ich nicht lache.« Sie trat einen Schritt zurück; darauf hindeutend, dass Nicolas eintreten möge, und führte ihn sogleich in den Küchenbereich. Nicolas musste kein Menschenkenner sein, um zu begreifen, dass seine Gastgeberin überaus schlecht gelaunt war.
 

                »Die Spülmaschine lief heute Morgen wie vom Blitz getroffen aus. Da muss irgendwas undicht sein«, erklärte sie, und beobachtete Nicolas dabei, wie er sich prüfend zu dem Gerät herunterbeugte. Sorgfältig begann der junge Hausmeister, sich den Problemfall genauer unter die Lupe zu nehmen, ohne dabei ein weiteres Wort mit Vanessa auszutauschen. Mit verschränkten Armen stand sie an einem Tresen angelehnt; schien ebenso unschlüssig darüber, über was sie mit dem unerwarteten Besucher reden sollte. Die ganze Zeit über spürte Nicolas ihren bohrenden Blick in seinem Rücken. Er konnte es überhaupt nicht leiden, wenn man ihm während der Arbeit auf die Finger guckte, was zu seinem Glück nicht allzu oft der Fall war. Aber hier, in der Penthouse von Mr. Perkins höchstpersönlich, und unter den wachsamen Augen seiner Ehefrau fühlte er sich wie in einer Einbahnstraße ohne Wendemöglichkeit. Ebenso hatte er sich nie erträumen lassen, jemals einen Fuß in die Privatwohnung jenes Mannes zu setzen, und doch kniete er genau in diesem Moment vor dessen Küchenzeile und machte sich die Hände für ihn schmutzig.

                Noch bevor er in den Gedanken über seinen heimlichen Schwarm abdriften konnte, öffnete sich die Haustür, und wo man vom Teufel sprach, erschien Edward Perkins im Eingangsbereich. Sowohl Vanessa als auch Nicolas richteten ihre Aufmerksamkeit auf ihn, als er seine Laptoptasche auf die Ablage der Theke legte und sie begrüßte.
 

                »Du bist spät«, kam es von der Frau, die ihre Arme nicht aus der gekreuzten Haltung löste. Nicolas derweil machte Anstalten, aufzustehen, und Vanessas Stimme wurde um einen Ton ernster: »Ich dachte, wir hatten eine Abmachung.« Edward öffnete den Mund, um ihr zu antworten, doch war sie schneller:
 

                »Du hast gesagt, du bist vor 7 zuhause.«, entrüstet und kam sie einen Schritt auf ihn zu, »ich habe uns Kinokarten vorreserviert, Ed! Und anstatt einfach mal wie jeder andere normale Mensch pünktlich Feierabend zu machen, schickst du mir irgendeinen Klempner ins Haus und denkst, das würde irgendwas rechtfertigen, wenn du hier erst um 9 antanzt?!«
 

                Bei dem Wort Klempner entschied sich Nicolas dazu, sich schnurstracks wieder seiner Arbeit zu widmen, und so zu tun, als hätte er dies gekonnt überhört. Auch Edward war die Situation scheinbar mehr als peinlich und entschuldigte sich für einen kurzen Moment, bevor er mit der schlanken Frau im nächsten Raum verschwand. Noch eine ganze Weile hörte man das Paar aus dem Nebenzimmer diskutieren, wobei die schlichtenden Worte des Mannes lauthals von der Stimme seiner Frau übertönt wurden. Wenige Minuten später tauchte Edward wieder in der Küche auf und schloss mit einer erleichterten Geste die Tür, hinter welcher er bis soeben noch die Wut seiner Geliebten zu bändigen hatte. Auf dem Boden sitzend, und mit der Ablaufpumpe der Spülmaschine in der Hand, sah Nicolas wortlos zu Edward auf. Dadurch, dass sie nicht einmal ein persönliches Verhältnis zueinander hatten, geschweige denn wirkliche Arbeitskollegen waren, stellte sich die Lage unangenehmer heraus als erwartet. Trotz allem war es Edward, der zuerst das Wort ergriff:
 

                »Ein Glück, dass in Schlafzimmern keine Teller rumstehen, die einem zufliegen können.«, lachte er verlegen.
 

                Nicolas schaute auf das Plastikteil in seiner Hand hinab und sagte schmunzelnd: »Meine Schwester hat mich damals immer mit dem halben Kleiderschrank beschmissen, wenn sie nichts Besseres zum Werfen fand.« Die beiden Männer lachten und sie schauten sich für einige Sekunden lang nur an. Vanessa schien sich im anderen Raum wieder beruhigt zu haben, denn man hörte keinen Mucks von ihr. Erst jetzt fiel Nicolas auf, wie abgeschlagen sein Gegenüber vor ihm stand: Mit seinen tiefhängenden Schultern und dunklen Augenringen ähnelte er viel mehr einem durstigen Vampir als dem sonst so ambitiösen Spitzenunternehmer. Es war eine paradoxe Vorstellung für ihn, dass ein solch makelloser Mensch dieselben alltäglichen Hürden zu überwältigen hatte, wie jeder andere auch. Bei diesem Gedanken legte er die Ablaufpumpe neben das Spülbecken und richtete sich auf.
 

                »Die Türdichtungen sind in Ordnung, genau wie der Druckschalter. Ich habe einen Glassplitter in der Ablaufpumpe gefunden und ihn entfernt. Ich vermute, dass das Wasser nicht richtig abgepumpt werden konnte und deshalb ausgelaufen ist.«
 

                »Oh«, erwiderte Edward leise, »und wegen eines Glassplitters musste ich Sie nach Feierabend noch herjagen.« Schnell zog er einen Geldbeutel aus seiner inneren Jackentasche, die er sich noch nicht ausgezogen hatte. »Hier«, sagte er, »für die Umstände.« Überzeugt hielt er dem Jungen eine überschaubare Menge an Dollarscheinen entgegen, jedoch erhob dieser beschwichtigend die Hände:
 

                »Nein, nein! Ist nicht der Rede wert.«, lehnte Nicolas ab, und spürte den Ansatz von Verlegenheit aus seiner Bauchmitte aufkommen, »ich bin froh, wenn ich helfen konnte, Mr. Perkins.«
 

                Für einen weiteren Augenblick hielt Edward mit dem Geld inne, ehe er es wieder in der Brieftasche verstaute und dem Hausmeister nun im Gegenzug die Hand reichte:
 

                »Edward«, lächelte er nun, »oder einfach nur Ed.«



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