Now You See Me von Morwen (Thor & Loki) ================================================================================ „Was ist das?“ Loki sah misstrauisch auf das in braunem Papier eingewickelte Päckchen herab, das Banner ihm hinhielt. „Ein Geschenk“, erklärte der andere Mann und drückte es ihm in die Hände. „Von Tony und mir.“ „Ein Geschenk“, wiederholte Loki und hob eine Augenbraue. „Für mich?“ Banner kratzte sich im Nacken. „Ein Friedensangebot, könnte man sagen. Als Entschuldigung für die Dinge, die wir in letzter Zeit zu dir gesagt haben.“ „Ist das so.“ Lokis Misstrauen blieb bestehen, aber Banners Worte besänftigten ihn etwas. Dass selbst Stark seinen Stolz hinuntergeschluckt hatte, um einen Schritt auf ihn zuzumachen, war seltsam befriedigend. Er ließ sich mit untergeschlagenen Beinen auf einem Sessel nieder und riss das Papier auf. Darunter kam silbergrauer Stoff zum Vorschein. „Ein neues Gewand?“, fragte er trocken. „Meine Freude ist grenzenlos.“ Er hielt es in die Höhe. Dabei fiel ein Paar Handschuhe aus demselben Material in seinen Schoß. „Es ist ein Overall“, erklärte Banner und rückte seine Brille zurecht. „Wir haben ihn speziell für dich angefertigt. Er erhält deine Körpertemperatur aufrecht und sorgt dafür, dass keine Umgebungswärme zu dir durchdringt. Gleichzeitig sorgen die Nanokristalle im Anzug dafür, dass der Stoff selbst bei sehr kalten Temperaturen flexibel bleibt und nicht bricht.“ Loki runzelte die Stirn, während er den Schilderungen folgte. „Also ist es eine Art... Schutzhülle“, stellte er fest. „Sozusagen“, erwiderte Banner. „Und das Beste daran ist: du kannst darüber auch wieder normale Kleidung tragen, ohne dass sie dich zusätzlich aufheizt.“ „Ich verstehe.“ Loki ließ den Stoff wieder sinken. „Das ist... unerwartet aufmerksam von euch.“ Sein Blick durchbohrte Banner. „Wo ist der Haken?“ Der andere Mann kämmte sich seufzend mit den Fingern durch die Haare. „Es gibt keinen Haken, Loki“, entgegnete er. „Hör zu, seit deiner Rückkehr ist einiges schief gelaufen, das ist uns nun klar geworden. Wir hatten einen holprigen Start und hoffen, dass du uns noch eine zweite Chance gibst. Das ist alles.“ Und plötzlich überraschte es Loki nicht mehr, dass Banner allein gekommen war und nicht in Begleitung von Stark. Stark wäre nie in der Lage gewesen, sich zu diesen Worten herabzulassen. Eine entsprechende Erwiderung lag ihm auf der Zunge, doch als er Banners hoffnungsvollen Blick sah, schluckte er sie wieder hinunter. Vielleicht lag es an Thors unermüdlichen Predigten oder daran, dass er zu viel Zeit eingepfercht mit diesen Leuten verbracht hatte, aber ihm fehlte plötzlich die Energie, sich wegen dieser Sache mit Banner anzulegen. „In Ordnung“, entgegnete er und nickte dem anderen Mann knapp zu. „Ihr bekommt eure Chance.  – Nutzt sie gut.“ Banner machte ein erleichtertes Gesicht. „Das ist schon mehr, als wir gehofft hatten“, sagte er. „Danke!“ Er wandte sich ab. „Wenn du fertig bist, erwartet dich Steve in der Eingangshalle“, teilte er Loki beiläufig mit. „Er wird dir alles Weitere erklären.“ Loki starrte ihn an. „... was?“ Doch Banner war schon gegangen und Loki verfluchte alle ihm bekannten Götter dafür, dass er an diesem Tag einen Fuß vor die Tür seines Zimmers gesetzt hatte.   Loki hatte es mehr vermisst, wieder normale Kleidung tragen zu können, als er gedacht hätte. Der Overall und die Handschuhe, die Stark und Banner entwickelt hatten, passten wie angegossen, und mit jedem Kleidungsstück, das er darüber anzog, fühlte Loki sein Selbstwertgefühl zurückkehren, als würde er eine Rüstung anlegen, die ihn vor der Außenwelt schützte. Er entschied sich für einen dreiteiligen, schwarzen Anzug mit hohem Kragen, der zwar nicht von der Farbe seiner Haut ablenken würde, aber ihn zumindest nicht mehr wie ein barbarisches Monster aussehen ließ. Seltsam, wie ihm etwas so simples wie Kleidung in den letzten Wochen gefehlt hatte. Als er schließlich fertig war, begab er sich in die Eingangshalle, wenn auch weniger aus Pflichtgefühl – ihm konnte nicht egaler sein, was der Captain vorhatte – als aus Neugier. Und wie Banner versprochen hatte, wartete Rogers dort auf ihn. Er war gerade in ein Gespräch mit einer rothaarigen Frau vertieft, die Loki schon öfters gesehen hatte, deren Name ihm jedoch nicht bekannt war, hauptsächlich, weil er sich nicht wirklich dafür interessierte. Als sie Loki erblickte, legte sich ein resignierter Ausdruck auf ihr Gesicht, als wäre er nur eines von vielen Problemen auf einer unendlich langen Liste von Problemen, die ihr Kopfschmerzen bereiteten. Sie verabschiedete sich von Rogers, bevor sie sich abwandte und in die entgegengesetzte Richtung verschwand. „Ah, Loki“, sagte Rogers, als er ihn erblickte. „Du bist gekommen.“ „Ich hatte nicht viel Besseres zu tun“, erwiderte Loki kühl und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was willst du von mir?“ Rogers nickte nur, als hätte er mit dieser Frage gerechnet. „Komm mit“, sagte er. „Ich möchte dir etwas zeigen.“ Loki stieß ein leises Schnauben aus. Doch seine Neugier war stärker und so folgte er Rogers in Richtung Ausgang. Der Mann hatte etwas an sich, das es unmöglich machte, ihm zu misstrauen. Er war so gutherzig und unvoreingenommen, dass jeder, der Rat oder Hilfe suchte, sich instinktiv an ihn wandte. Es war eine Qualität, um die Loki ihn zweifellos beneidet hätte, hätte er noch immer Ambitionen, zu herrschen. Doch seit der Zerstörung Asgards war von diesem Bedürfnis nicht mehr viel geblieben. Regieren war eine anstrengende, undankbare und langweilige Angelegenheit, soviel hatte er in der Zeit gelernt, in der er Odins Platz eingenommen hatte. Sollten sich doch andere an seiner statt damit rumplagen. Sie traten in den kalten Wintermorgen hinaus und gingen zum Landeplatz, wo sie an Bord des privaten Jets der Avengers stiegen. Während sie Kurs auf New York nahmen, breitete sich ein Gefühl des Unbehagens in Loki aus. Es war das erste Mal seit Monaten, dass er wieder ohne Thor unterwegs war, und obwohl er es niemals offen zugegeben hätte, fehlte ihm plötzlich die Sicherheit seines Bruders an seiner Seite. Doch er hatte Thor den ganzen Morgen über noch kein einziges Mal gesehen, und als er sich schließlich auf die Suche nach ihm begeben hatte, war er Banner über den Weg gelaufen. Als würde er seine innere Anspannung spüren, warf Rogers ihm ein beruhigendes Lächeln zu. „Keine Sorge, wir sind bald da“, sagte er, und Loki hasste ihn ein wenig dafür. Einige Zeit später landeten sie auf einer der Inseln im Hafen von New York City. Über ihnen erhob sich die gigantische Statue einer Frau, die eine Fackel in ihrer ausgestreckten Hand hielt, und die Loki bisher nur aus der Ferne gesehen hatte. Es war früh genug, dass die Insel noch für Besucher geschlossen war, ein Umstand, den er sehr begrüßte, musste er dadurch keine neugierigen Blicke ertragen. Dennoch versetzte es ihm einen Stich, als er merkte, dass ihm selbst das Wachpersonal der Insel irritiert und misstrauisch nachsah. Rogers warf ihm einen Blick von der Seite zu. „Mir ist klar, dass du an deiner momentanen Gestalt nichts ändern kannst“, sagte er leise. „Aber ich sehe, wie sehr dich ihre Blicke verletzten. Wäre es keine Möglichkeit, übergangsweise eine neue Illusion zu erschaffen?“ Loki hätte fast aufgelacht. Als wäre das nicht das erste gewesen, was er getan hätte, wenn er es gekonnt hätte...! Sein Gesichtsausdruck schien jedoch mehr zu verraten, als ihm lieb war, denn die Schritte des anderen Mannes verlangsamten sich plötzlich und er blieb stehen. „... du kannst es nicht“, stellte Rogers fest. Sein Tonfall war unerträglich behutsam und verständnisvoll. „Strange hat mehr getan, als dich in deine wahre Gestalt zu zwingen – er hat dir auch deine Kräfte genommen. Ist es nicht so?“ Loki musste mit aller Macht den Impuls unterdrücken, auf ihn zuzutreten und die Hand um seine Kehle zu schließen. „Ich schwöre dir, wenn du irgendwem davon erzählst...!“, zischte er. „Dein Geheimnis ist bei mir sicher, du hast mein Wort“, versprach Rogers mit fester Stimme, und seltsamerweise glaubte Loki ihm sofort. Sie setzten sich wieder in Bewegung. „Ich nehme an, Thor ist der einzige außer mir, der davon weiß“, sagte Rogers, als sie das Museum am Fuße der Statue erreichten und eintraten. „Das darf auch gerne so bleiben“, erwiderte Loki kühl und der andere Mann nickte. „Einverstanden“, sagte er. „Es ändert die Ausgangsbedingungen etwas, aber ich denke, wir werden einen Weg finden, damit umzugehen.“ Bevor Loki ihn jedoch fragen konnte, was er mit dieser Bemerkung meinte, blieb Rogers vor einer großen Bronzetafel stehen, die an einer Wand des Museums ausgestellt war. „Was weißt du über die Geschichte dieses Landes...?“, fragte er, während Loki näher trat, um die Tafel genauer zu inspizieren. „Nicht viel“, entgegnete er abwesend. „Eure Welt interessiert mich nicht.“ „Ja“, sagte Rogers leise. „Und genau da liegt das Problem. Denn das sollte sie.“ Loki warf ihm einen scharfen Blick zu, doch der andere Mann ließ sich davon nicht einschüchtern, sondern begann die Worte auf der Bronzetafel vorzulesen. „‚Gebt mir eure Müden, eure Armen‘“, las er. „,Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, den elenden Unrat eurer gedrängten Küsten; schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen‘ ...“ Loki verdrehte die Augen. „Willst du mich mit Lyrik zu Tode langweilen?“ Doch Rogers ignorierte seine spitze Bemerkung. „Dies war einst ein Ort der Ankunft“, sagte er. „Das Gedicht spricht von all jenen, die kamen, weil sie verfolgt wurden oder nichts anderes mehr hatten. Doch es ist heute noch so aktuell wie damals, und es spricht nicht nur von all den Menschen, die es im Laufe der Jahrhunderte hierher verschlagen hat, sondern auch von deinem Bruder – und von dir, Loki.“ Er hob den Blick und sah Loki ruhig an. „Ob freiwillig oder nicht, du bist nun hier, und die Frage ist jetzt: was wirst du tun? Was ist es, was du mit deinem neuen Leben, deiner neuen Freiheit anfangen willst?“ „Ich...“ Zu viel. Es war zu viel auf einmal. Zu viele Fragen, die Loki bisher hartnäckig ignoriert hatte, zu viele Tatsachen, die er bisher verdrängt hatte. Er wandte sich wortlos ab und trat auf eines der Fenster des Museums zu, um auf die Bucht hinauszuschauen. In der Ferne erhoben sich die Türme von New York City, einer Stadt, die seinen Angriff damals überlebt hatte, wie sie auch andere Dinge schon überlebt hatte, und deren Millionen von Bewohnern ihrem täglichen Leben nachgingen, ohne auch nur einen einzigen Gedanken an ihn zu verschwenden. Und zum ersten Mal, seitdem er diese Welt betreten hatte, wurde Loki bewusst, wie unwichtig, wie unbedeutend seine Existenz darin war. Und das machte ihm mehr zu schaffen, als er gedacht hätte. „Wenn du es nicht in dir hast, dich für diese Welt und ihre Probleme zu interessieren, dann wird dich niemand von uns daran hindern, zu gehen“, sagte Rogers leise. „Tony wird dich mit den finanziellen Mitteln ausstatten, um dauerhaft unterzutauchen; wenn es also dein Wunsch ist, dich aus allem rauszuhalten und dein Leben nach deinen Vorstellungen fernab von den Konflikten der Avengers zu leben, dann respektieren wir das.“ Loki gab keine Antwort. „Aber wenn du deine Zeit bei uns sinnvoll nutzen willst“, fuhr Rogers fort, „auf eine Art, an die sich die Menschheit noch lange erinnern wird... dann schließ dich uns an.“ Der Vorschlag kam so unerwartet und war so absurd, dass Loki fast gelacht hätte. Er drehte sich zu Rogers herum. „Das kann nicht euer Ernst sein“, sagte er. „Ihr wisst, was ich getan habe – und wozu ich in der Lage bin.“ Zu seiner Überraschung begann der andere Mann jedoch zu lächeln. „Oh ja, das wissen wir“, erwiderte er. „Und es ist genau das, worauf wir zählen.“ Loki starrte ihn an. „Ihr seid wahnsinnig.“ „Möglich.“ Rogers zuckte mit den Schultern. Dann hielt er Loki seine Hand hin. „Also“, sagte er, „wie lautet deine Antwort?“ Was hatte er schon zu verlieren? Abgesehen von seinem Stolz, seiner Würde und seiner Selbstbestimmung natürlich. Loki lächelte. „Niemals.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)