Zum Inhalt der Seite

A Cats' Fishing Ground

von
Koautor:  Caracola

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Prolog

Ihre Bäuche schwebten nur Zentimeter über den porzellanscharfen Kanten des Riffs.

Anemonen streiften ihre glatte Haut. Fische zogen sich vor ihren sehnigen Körpern in Steinritzen zurück. Ein tiefes, unnatürliches Dröhnen erfüllte das Wasser. Schmierige Metallpartikel schwängerten die Umgebung und machten das Atmen zu einer Qual. Entschlossene, kalte Blicke flitzten über die weite Senke, die von einem Wald an bunten Korallen umgeben wurde.

Heute wirkte die Umgebung dumpf und grau. Als hätte irgendetwas den Korallen und Fischen ihre Farben genommen; sie mit einem Schleier überzogen, der sie ölig und matt erscheinen ließ. Abweisend und ... tot.

Schmale Streifen hellen Lichts flossen über Zins Hände, seine Arme und den Rest seines Körpers, der sich flach hinter einen Felsvorsprung gedrückt hatte.

Das, was er vor sich sehen musste, was er hören musste, während ihm die Veränderung seiner Heimat bereits schwer im Magen lag, machte ihn unendlich traurig. Und wütend!

Ein hohes Pfeifen drang an seine Ohren und er blickte sich nach beiden Seiten um. Die versammelte Mannschaft - fünfzig Meermänner und -frauen - vermittelten mit aggressiven Klicksignalen, dass sie verstanden hatten.

Über ihren Köpfen rollte ein Donnerschlag.

Zin gehörte - wie die meisten seines Alters - zur zweiten Angriffsreihe. Nur die älteren, erfahrenen Männer schwammen direkt auf die vier metallenen Pflöcke zu, die sich bereits tief in den sandigen Boden gebohrt hatten.

Einer von ihnen direkt in eine flache Bank des Riffs. Hunderte von Jahren alt. Gewachsen aus winzigen Einzelorganismen. Herberge ... Heimat für Millionen. Einfach zerstört. Ohne Bedenken. Innerhalb von Sekunden.

Zin zuckte zusammen, als eine Hand seinen Knöchel umfasste.

Instinktiv drehte er sich um, den Mund geöffnet, um seine Zähne zur Schau zu stellen.

Aya reagierte nicht darauf. Stattdessen zeigte sie nach vorn. Auf eine Lücke in der ersten Reihe.

Zin klickte leise.

Düstere Schatten, die vom Wetter an der Oberfläche ausgingen, zogen über die Gruppe hinweg. Tarnten die Jäger, die es auf die Verankerung der Bohrmaschine abgesehen hatten.

Unter dem Knacken des Untergrunds, dem Tosen der Oberfläche und dem Dröhnen des mechanischen Ungetüms, zogen sie einen Kreis. Immer enger schwammen sie um den Eindringling herum, wagten sich bis auf eine Armlänge heran.

Zin wurde übel von den Dünsten, die der Koloss von sich gab. Blei und Rost legte sich auf seine Kiemen, verklebte die feinen Kapillaren und verursachten ihm hämmernde Kopfschmerzen.

Es war Zeit.

Sie sollten verschwinden!

Der Kreis zog sich enger. Hände mit Schwimmhäuten berührten das verhasste Metall ... Zin spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, noch bevor er es wissen konnte. Bevor ein paar Fische in taumelndem Wanken auf ihn zugeschwommen kamen, ihn rammten, sich auf den Bauch drehten.

Er sah zur Seite, beobachtete einen Papageienfisch, der vor seinen Augen die Kiemen nach oben stellte, um Sauerstoff rang ...

Dann traf ihn die Druckwelle in die Seite.

Der Knall machte ihn taub, sprengte seine Wahrnehmung. Zin wurde nach hinten gerissen, seine Wirbelsäule knackte, während er sich überschlug; zuerst auf den Sand und dann in das bereits zerrissene Riff geschleudert wurde. Schmerz flammte von allen Seiten gleichzeitig auf.

Er konnte nicht atmen, er konnte weder sehen noch hören.

Immer wieder nur neuer Schmerz, das Gefühl, seine Schwimmblase würde zerquetscht und dann so weit gedehnt, dass sie mit einem Schnalzen riss.

Etwas traf ihn hart am Kopf, ließ Zin seine Augen aufreißen.

Er hatte nicht einmal die Körperherrschaft sich zu übergeben, als er die Gestalt eines Freundes entdeckte, dessen Schulter ihn getroffen hatte.

Der Rest des Armes fehlte.

Zins Hirn schaltete ab.

1. Kapitel

In der Luft konnte man noch den Sturm riechen, der in der vergangenen Nacht so wild gewütet hatte, als wäre das Ende der Welt gekommen. Sogar das Meer war noch trüb und aufgewühlt, obwohl es sich bereits wieder zu beruhigen begann. Genauso wie sich langsam die zerrupften Palmwedel aufrichteten, um die Tortur von letzter Nacht abzuschütteln.

Gegen die Blitze und den Donner war im Grunde genommen nichts einzuwenden, solange beides weit genug entfernt war. Aber dieser peitschende Regen ...

Viola erschauderte für einen Moment bei der Erinnerung daran, ehe sie einmal tief die herrliche Meeresbrise einatmete und entschlossen ihr Kinn den stärker werdenden Sonnenstrahlen entgegen reckte, als würde sie damit auf ihre Weise dem Unwetter von letzter Nacht den erhobenen Mittelfinger zeigen.

Es war so ein herrlicher Morgen und bis auf das Unwetter, war die gestrige Nacht auch nicht zu verachten gewesen.

Cid war tatsächlich so kräftig, wie er aussah, aber mit jemandem wie ihr, hatte er am Ende doch nicht gerechnet.

Vermutlich lag er immer noch wie erschlagen auf den zerwühlten Laken und schlief den Schlaf der erfolgreichen Eroberer.

Viola lachte und sprang über ein Stück angeschwemmtes Treibholz hinweg, das ihr den Weg versperrte. Geschmeidig landete sie mit nackten Füßen wieder in dem feinen, herrlich weißen Sand und hüpfte dabei mehr, als das sie weiter ging.

Es war ziemlich guter Sex gewesen, aber eine Eroberung war sie ganz bestimmt nicht. Dennoch konnte das ihre Laune zuverlässiger heben, als ein Schälchen frische Sahne. Und es gab ihr mehr Energie, als oftmals gut für sie war.

Warum sonst sollte sie den Weg nach Hause am Strand entlang gehen und somit mehr als eine Stunde länger vertrödeln, als sie querfeldein hätte gehen müssen?

Vielleicht weil Neugier auch ihrer zweiten Natur entsprach und es nach einem Sturm so viele tolle Sachen gab, die an den Strand gespült wurden.

Es fiel ihr schon jetzt schwer, die schönen Muscheln und das geschliffene Glas liegen zu lassen. Aber sie hatte schon hunderte davon bei sich zuhause herumliegen. Noch ein paar mehr, würde eindeutig nach Besessenheit aussehen.

Auch wenn sie schöne Dinge liebte, aber das wollte sie sich nicht nachsagen lassen. Trotzdem blieb Viola auf ihrem Weg am Sandstrand entlang immer wieder einmal stehen, stupste mit ihrem Fuß Seetang, Mülltüten und abgebrochene Korallenstücke zur Seite, um nachzuschauen, ob vielleicht etwas Besseres darunter lag. Meistens jedoch nur die eine oder andere Fischleiche.

Weshalb mit zunehmender Hitze auch immer mehr Möwen aufkreuzten, die das sanfte Rauschen der Wellen mit ihrem Gekreische zerstörten. Doch davon ließ sich Viola nicht irritieren.

Die großen Treibholzteile taten es ihr nämlich besonders an, auch wenn sie diese meistens nur kurz erkundete und wieder weiter ging. Dennoch fragte sie sich immer, wo das ganze Zeug herkam, das seine Endstation hier am Strand fand.

Irgendwann wurde es ihr dann aber doch zu heiß unter der prallen Sonne und sie schalt sich selbst für ihre verspielte Neugierde, die ihr den Schweiß über die Schläfe laufen ließ und ihren Mund ganz trocken machte.

Dennoch konnte sie es sich nicht verkneifen, mit den Wellen zu spielen, während sie ihre Schritte beschleunigte.

Es war ohnehin nicht mehr allzu weit bis nach Hause.

Viola hasste Wasser. Zumindest darin zu sein und es in großen Mengen auf sich zu spüren. Aber sie sah es gerne an. Vor allem das Meer und manchmal ließ sie sich von den Wellen auch gerne necken, die an den Strand kamen und sich nach ihren Zehen ausstreckten. So wie jetzt.

Doch bevor das Meer sie nass machen konnte, sprang Viola zur Seite, lief dem kühlen Nass parallel zum Strand hinter her und ließ sich dann erneut jagen.

Einmal klatschte es dann aber doch mit all seiner Nässe gegen ihre Knöchel, als sie nicht aufpasste.

Sie bemerkte es nicht einmal.

Viola war stehen geblieben, die Ohren gespitzt und ihre Nase dem Wind entgegen gehoben.

Sie witterte etwas. Meersalz, trocknender Seetang, Fisch und ... Blut.

Kurz huschte ihr Blick hoch zum Waldrand, wo sie nicht mehr weit entfernt, ihr kleines Haus sehen konnte, dann blickte sie wieder den Strand entlang.

Auch hier lagen unzählige Dinge herum, die das Meer angespült hatte, doch nichts davon roch so intensiv wie das, was sie in der Nase hatte.

Kurzerhand ließ sie einfach ihre Flipflops, die sie die ganze Zeit schon in der Hand gehalten hatte, fallen und lief los.

Viola musste unbedingt wissen, was das für ein Geruch war.

Ihre Neugierde hatte sie gepackt.

Dieses Mal ignorierte sie das viele Treibholz und wich geschickt den scharfkantigen Korallen und dem menschlichen Dreck aus, der sich bisweilen unerhört oft vor ihrer Haustür sammelte, während sie geschmeidig über den Sandstrand jagte.

Viola musste nicht lange suchen, da wurde der Geruch auch schon stärker und zunehmend erstickender. Zudem markierte ein ganzer Schwarm an Möwen den Punkt, den sie wohl suchte, denn die weißgrauen Vögel balgten sich wie wild auf einem einzigen Sammelpunkt.

Bei dem Andrang konnte man nur hoffen, dass es sich bereits um einen Kadaver handelte, denn wenn nicht ...

Noch einmal beschleunigte Viola ihre Schritte schnappte sich im Vorbeilaufen einen Holzprügel und lief lauthals im derbsten Seemännisch fluchend auf die Vögel zu, während sie das Holzstöckchen schwang.

Sofort stoben die Tiere auseinander, als sie ihnen zu nahe kam und den paar Nachzüglern, die nicht schnell genug waren, verpasste sie einen leichten Tritt. Die Viecher waren schlimmer als Aasgeier, und wenn man ihnen keine Manieren beibrachte, dann waren sie die reinste Plage.

Noch einmal beschimpfte Viola sie, während die Vögel lautstark zurückfluchten, aber zumindest blieben sie außer Reichweite und so hatte sie die Gelegenheit sich den Stein des Anstoßes näher anzusehen.

Viola ließ den Prügel sinken und ging vor dieser Ansammlung an Algen, Seetang, Treibholz und irgendetwas, das nach Ölschliere aussah in die Hocke.

Erst da fiel ihr die annähernd menschliche Hand auf, an der getrocknetes Blut und anderer Dreck klebten.

Annähernd menschlich deshalb, weil etwas mit der Hand nicht zu stimmen schien und obwohl da offenbar noch sehr viel mehr unter dem ganzen Mist verborgen lag, als nur der dazu gehörige Arm, konzentrierte sich Viola erst einmal auf diese Hand.

Der Gestank war wirklich unbeschreiblich, als sie sich noch näher hinunterbeugte. Wie ein auf Grund gelaufener Fischkutter, auf dem seit Wochen Fischgedärme in der prallen Sonne schmorten.

Trotzdem konnte sie das nicht abschrecken. Stattdessen atmete Viola einfach flacher und streckte schließlich ihre Hand zögerlich aus, um mit den feinsäuberlich manikürten Fingern das tote Fleisch zu berühren.

Nur dass es nicht tot war.

Es war zwar nur ein flüchtiger Moment, doch unter ihrer Berührung zuckte die Hand einmal zusammen und jagte Viola damit einen wahnsinnigen Schrecken ein.

Mit einem spitzen Fauchen sprang sie gut einen Meter aus der Hocke zurück, und noch ehe sie sich davon abhalten konnte, waren ihre rosafarbenen Fingernägel zu gefährlichen Klauen mutiert. Bereit zum Angreifen.

Wie erstarrt blickte sie die regungslose Hand minutenlang an, in denen sich nur nach und nach ihr Herzschlag wieder beruhigen wollte. Dann richtete sie sich einfach auf und starrte auf ihre Fingernägel.

Die Farbe war weg, nachdem sich ihre Krallen wieder zurückgezogen hatten.

Gott, zum Glück trug sie keine künstlichen Fingernägel. Was das jedes Mal kosten würde!

Ein unsinniger Gedanke in der gegenwärtigen Situation. Das wusste sie. Aber Viola neigte nun einmal dazu, nur an Blödsinn zu denken, wenn sie nervös war und diese Leiche oder dieses halbtote Etwas da, machte sie nervös.

Aber auch neugierig, weshalb sie wieder näher kam, solange die Möwen noch auf verlorenem Posten herumjammerten und Viola sich nun ganz neben dem Berg aus Treibholz, Seetang und anderem unaussprechlichem Müll niederkniete.

Da sie nicht befürchtete, Opfer eines Angriffs zu werden, da sie kaum glaubte, dieses Etwas könnte ihr im gegenwärtigen Zustand auch nur ein Haar krümmen, machte sie sich bedenkenlos daran, es von dem ganzen klitschigen Mist zu befreien.

Nach und nach wurde dadurch offensichtlich, dass eigentlich ein Großteil von diesem ... was auch immer, bereits freigelegen hatte. Nur das Blut war auf dessen Haut schon so getrocknet und rissig, dass es schwarz wirkte und zugleich roch es immer intensiver.

Vielleicht ein Schiffbrüchiger?

Der Verdacht wurde zunehmend begründeter, denn sie legte nicht nur eine zweite Hand und den dazugehörigen Arm frei, sondern konnte auch bald einen Kopf aus dem ganzen Seegrün heraus schälen.

Vorsichtig befühlte Viola die Stirn und die Schläfen auf Verletzungen, doch bis auf einige Kratzer konnte sie auf die Schnelle nichts finden. Aber der Mann war eindeutig bewusstlos.

Sie glaubte deshalb, dass es ein Mann sei, weil es andernfalls eine ziemlich arme Frau wäre, so ganz ohne erkennbare Brüste und mit diesen markanten Gesichtszügen.

Im Grunde war es momentan auch egal, weshalb Viola sich so weit über den Mann beugte, dass ihr Ohr dicht vor dessen Nase lag.

Ja, der Kerl atmete noch.

Sie sollte also schleunigst einen Krankenwagen rufen, der sich um den Verletzten kümmerte. Aber es war nicht nur allein ihre Abneigung gegen menschliche Institutionen, die sie noch zögern ließen. Irgendetwas anderes schien ihr bei dem Gedanken auch keine Ruhe zu lassen.

Während sie darüber nachdachte, was es sein könnte, befreite sie auch noch den Rest des Körpers von dem gröbsten Dreck und da fiel es ihr auch stechend scharf ins Auge.

Seine Zehen ...

Viola beugte sich näher und berührte den kalten Fuß. Vorsichtig zog sie den großen Zeh weiter von den anderen weg, da sie zunächst an eine Sinnestäuschung geglaubt hatte. Allerdings wurde ihr erster Eindruck schnell bestätigt. - Schwimmhäute.

Sofort drehte sie sich um und griff nach seiner Hand, um sie sich näher anzusehen und fühlte sich abermals bestätigt.

Noch mehr Schwimmhäute.

Fragend sah sie den Bewusstlosen an.

„Tja, mein Freund. Ich habe keine Ahnung, was du bist. Also kannst du mir vielleicht weiterhelfen. Soll ich dich ins Krankenhaus bringen oder doch besser zu einem Tierarzt?“

Kurz wartete sie ab, erhielt allerdings natürlich keine Antwort. Stattdessen ermahnte sie sich, sie sollte hier nicht herumalbern, sondern lieber helfen, bevor sie hier tatsächlich gegrillten Meerfischmann oder was auch immer das war, hatten.

Zuerst musste der Kerl aus der brennenden Sonne raus. Danach musste sie sehen, wie schwer er wirklich verletzt war, was bei dem ganzen Dreck nicht leicht sein würde, also musste sie ihn erst etwas sauber machen.

Viola stöhnte entnervt. Das bedeutete wieder Unmengen von Wasser.

Trotzdem biss sie entschlossen die Zähne zusammen, packte den Kerl unter den Achseln und stellte überraschend fest, dass er leichter war, als er aussah.

Allerdings nicht so leicht, dass sie keine Mühe gehabt hätte, ihn hochzuhieven. Aber dank ihrer zweiten Natur war es ihr überhaupt möglich, den Kerl von der Stelle zu bekommen.

Trotzdem verfluchte sie ihn leise murmelnd mit allem, was ihr über Dummheit so einfiel, weil er sie überhaupt in diese Situation brachte, während sie ihn in gebeugter Haltung halb über ihren Rücken zog und dann in der gleichen Haltung auf das Haus zumarschierte.

Ihr Rücken würde sie morgen verfluchen. Das wusste sie schon jetzt.

Viola schwitzte aus allen Poren. Der Schweiß lief ihr in Bächen übers Gesicht, den Rücken, zwischen ihre Brüste und vermischte sich dabei mit Blut und Dreck, der von ihrem ‚Gepäck‘ auf sie überging, während sie ihn mehr oder weniger die Verandatreppe hochschleifte.

Ihre Arme zitterten vor Anstrengung und ihr Atem ging keuchend.

Vielleicht hätte sie doch zuhause bleiben sollen. Aber vermutlich wäre ihr trotzdem die neueste Errungenschaft an ihrem Strand nicht entgangen.

So ein Scheiß aber auch.

Mit Mühe und viel Fingerspitzengefühl fummelte sie an der Fliegentür herum, ohne den Mann loszulassen und schaffte es endlich, sie aufzubekommen.

Herrliche Kühle traf ihre Haut, als sie es endlich ins Haus schaffte.

Normalerweise war es hier ebenfalls ziemlich warm. Aber nach der prallen Sonne kam es ihr einfach paradiesisch vor.

Kurz überlegte sie, ob sie eine Pause machen und den Kerl einen Moment auf der Couch ablegen sollte, aber der penetrante Gestank erleichterte ihr dann doch die Entscheidung.

Den Geruch würde sie nie wieder aus den Stoffbezügen bekommen.

Also mühte sie sich weiter durch den Wohn-Essbereich in Richtung Flur und dann in Richtung Badezimmer.

Im Flur kam ihr Flocke die Dreibeinige-einäugige-Schlitzohrdiva in die Quere und schmiegte sich mit ihrem weichen Fell an Violas Beine.

„Süße, ich hab gerade alle Hände voll zu tun. Du bekommst später was zu fressen, ja?“ Flocke sah sie aus ihrem großen blauen Auge an, überlegte kurz und maunzte dann nur, ehe sie wieder ihrer Wege ging.

Gott, wie sehr sie das Tier liebte. Ganz im Gegensatz zu dem Ballast, den sie unbedingt loswerden musste, wenn sie keine Bauchlandung auf ihren Holzdielen hinlegen wollte.

„Ich schwör dir. Wenn du wieder zu dir kommst, kannst du was erleben“, fluchte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen, fegte den Badezimmerteppich zur Seite und kroch fast schon mehr zur Badewanne, als das sie ging.

Sie konnte kaum noch.

Dennoch kratzte sie noch ihre letzten Reserven zusammen und hievte den Verletzten mit letzter Kraft mehr oder weniger unsanft in die Badewanne und landete dabei selbst auf ihm.

Eine kurze Atempause gönnte sie sich, nachdem sie wieder von ihm herunter gekrabbelt und aus der Badewanne gestiegen war. Dann griff sie nach der verhassten Brause und schaltete das Wasser an.

Da sie den Ofen für das Heißwasser nicht angeheizt hatte, blieb es eben bei kaltem Wasser. Wobei es in ihrer warmen Region ohnehin nie eiskalt war. Zudem glaubte sie, würde das dem Kerl ganz gut tun. Inzwischen war er nämlich unter der prallen Sonneneinstrahlung ganz schön warm geworden.

Vorsichtig und mit sehr viel mehr Sanftheit, als ihre Worte von vorhin vermuten ließen, wusch sie ihm zuerst das Gesicht ab und legte nach und nach doch sehr ansehnliche Gesichtszüge frei.

So wirkte er tatsächlich wie ein Mensch und noch sehr viel männlicher, als vorhin noch. Auch bei seinen breiten, sportlichen Schultern und dem Brustkorb wurde sie nicht enttäuscht, was die männlichen Attribute anging.

Ihr erster Eindruck hatte sie also doch nicht -

„Was zum Teufel ist denn das?“, fragte sie niemand bestimmten, während die Brause über den Hüften des Mannes stehen blieb.

Wenn das überhaupt ein Mann war. Der Kerl sah aus wie Ken!

Kein Schwanz. Keine Eier. Nichts.

Vorhin noch hatte sie geglaubt, er hätte eine Badehose oder etwas in der Art an, aber das hier ...

Sprachlos starrte sie ihn an, bis langsam frisches Blut den Abfluss hinunter zu laufen begann, nachdem sich die eingetrockneten Krusten auflösten.

Okay. Sie würde erstmal keine Fragen stellen, seine Verletzungen waren vorerst wichtiger.

Allerdings konnte sie ihn nicht schon jetzt wieder aus der Badewanne hieven. Weshalb sie das Wasser schließlich abstellte und selber noch ganz schmutzig durch ihr Haus tapste, um das Gästezimmerbett freizuräumen.
 

Au!

Der Pfeifton, der über dem Bereich des menschlich Hörbarem lag, wurde von einer glatten Oberfläche zurückgeworfen.

Zins Augenlider flatterten, gaben ein Stück milchige Umgebung frei.

Nichts, das er zuordnen konnte. Außer ...

Sein halb vor sich hindämmerndes Hirn erkannte das Wasser. Es war angenehm kühl und tat gut auf der heißen, sich brüchig anfühlenden Haut. Außerdem befreite es ihn von dem Jucken und Brennen, dem klebrigen Schmutz auf seinem Körper. Und es ... hörte sich so beruhigend an.

Sein Körpergefühl kippte weg, wackelte schwindelerregend und ließ die brennenden Wellen an Schmerz zu seinem Hirnzentrum durch, wo sie aber in ihrer Übermächtigkeit gar nicht verarbeitet werden konnten.

Zin verbiss sich weitere Pfeiflaute, auch wenn ... er wirklich Hilfe hätte brauchen können.

Es tat ... weh.
 

Ihre Omi hatte ihr schon so oft gepredigt, sie sei ein Schmutzfink und solle gefälligst mehr Ordnung in ihrem Leben halten, was bis jetzt auf taube Ohren gestoßen war.

Ja, ihre Omi war schon immer eine sehr weise Frau gewesen, dachte Viola, während sie das Surfbrett an die Wand lehnte und die Überdecke des Gästebetts richtete.

Sie legte noch schnell das, was sie an medizinischem Vorrat im Haus hatte auf das Nachtkästchen, ehe sie wieder zurück ins Bad düste, um Ken zu holen.

Sehr viel vorsichtiger, da seine Verletzungen nun offensichtlich waren, zog sie ihn wieder aus der Badewanne, nachdem sie einen Teppich aus dem Flur bereitgelegt hatte. Darauf ließ sie ihn nieder, um ihn so zum Gästezimmer zu schleifen. Was ihnen vermutlich beiden wohler tat.

Noch eine letzte Anstrengung, um ihn ins Bett zu bringen, dann konnte sie sich das Desaster auf seinem Rücken gründlicher ansehen.

Dazu hatte sie ihn halb auf den Bauch gedreht und dort ein Kissen hinein gestopft, damit er auch in dieser Position blieb.

Es sah schlimm aus. Große Kratzer und Schürfwunden im Fleisch und sie hatte keine Ahnung, was genau diese Schlitze waren, aber sie vermutete stark, es sollten Kiemen sein. Nur waren sie ziemlich zerrissen.

Dass die Sache mit den Kiemen sie nicht so sehr wunderte, wie die fehlende Ausstattung des Kerls, war wirklich schlimm. Aber dafür versorgte sie ja auch zuerst seine Wunden und dann ihre Neugier.

Viola war kein Arzt, aber Jod hatte ihr auch schon oft geholfen. Zumindest reinigte es anständig und danach würden sie weiter sehen.
 

Sein Bauch wurde gegen etwas Weiches gedrückt. Weich und ... kühl.

Mühsam versuchte er ein Auge zu öffnen, über Mund und Kieferkiemen nach Luft zu -

Weiße Perlen explodierten in der absoluten Schwärze vor seinen Augen und ein gequältes Stöhnen wollte sich seinen Lippen entringen. Doch selbst dazu kam es nicht, bevor er wieder in tiefe Düsternis fiel.

Eine Gänsehaut lief von dort über seinen Rücken, wo etwas Warmes, Sanftes ihn berührte. Man ... streichelte ihn?

Nicht. Hör' auf ... bitte.

Er klickte leise seine Worte vor sich hin. Immer wieder und wieder in sich gleichenden Zeichen. Aber ... man hörte ihm nicht zu.

Das Gefühl der Finger auf seiner Haut änderte sich. Je näher sie der Quelle des größten Schmerzes auf seinem Rücken kamen, desto kühler fühlten sie sich an. Fast wohltuend auf der heißen Haut, die sich bereits entzündet hatte und sich so dumpf und zugleich aufgebläht anfühlte, als würden seine Kiemen unter einem Schraubstock pochen.

Er konnte sie nicht bewegen, die Kämme nicht aufrichten. Und selbst wenn es ihm für Millimeter gelang, zuckte er unter stechenden Schmerzen zusammen und schmeckte Blut. Er roch es und hatte es in den Atmungsorganen.

Kein ... gutes Zeichen.

Obwohl er sein Klicken verstärkte, den Rhythmus aggressiver, abweisender gestaltete, bewegten sich die Finger weiter auf seine Verletzung zu. Nägel oder ... Krallen streiften seine Wunden, ließen ihn nun doch aufstöhnen und brachten seinen Körper sogar dazu, sich seiner Kraft entsprechend ein wenig aufzubäumen ... sich wegzudrehen.

Es konnten Zähne sein. Ein neugieriger Hai, der mit seiner Beute spielte, sie Verletzung weiter öffnete, bis frisches, heißes Blut über Zins Rücken lief.

Trotzdem hörte es nicht auf. Die Zähne ... Finger ... quälten ihn weiter, bohrten in seiner -

„RAAAAH!!!“

Höllenfeuer fraß sich in seine Kiemen, biss bis auf die Blutgefäße und quoll bis zu seinem Kinn hinauf durch sein System, wo es fauchend aus seinen Kieferschlitzen troff.

Zin schlug um sich, riss mit den Fingern an seinen Kiemen, wischte daran und vermischte das Teufelszeug bloß noch mehr mit seinem Blut, bis er keine Luft mehr bekam. Er würde ... ersticken.

Weg von der Quelle der Pein rollte er sich nach vorn, griff ins Leere, fiel und knallte mit Kopf und Schulter zuerst auf den Boden, wo er japsend liegen blieb und wieder seine Sinne verlor.
 

Zuerst hatte sie dieses komische Klicken oder was auch immer das genau sein mochte, ignoriert und auf ihre angespannten Nerven geschoben. Aber langsam, je mehr sie sich mit den Wunden an Kens Rücken befasste, umso aufdringlicher wurde dieses Klicken. Sogar regelrecht aggressiv.

Bevor Viola jedoch begriff, dass der Kerl es war, der sie da ... anklickte - wie sich das bloß anhörte - goss sie ihm einen Schwall Jod in die Wunden, nachdem sie diese ein wenig auseinandergezogen hatte. Schließlich war der Geruch von Entzündung bis durch den Dreck auf ihrer Haut zu ihrer Nase durchgedrungen.

Sie tat ihm damit also nichts Schlechtes, obwohl der Kerl es ihr damit dankte, dass er plötzlich sehr lebhaft wurde, ihr die Jodflasche aus der Hand schlug und sie auch beinahe im Gesicht getroffen hätte, wenn sie nicht rechtzeitig nach hinten ausgewichen wäre.

Sie verlor dabei das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Keinen Moment später hörte man es auch auf der anderen Seite des Bettes rumpeln. Dann war es bis auf die flachen Atemzüge ihres Patienten wieder still.

Einen Moment blieb Viola sitzen und fragte sich, ob sie nicht doch einen Krankenwagen rufen sollte, oder vielleicht, könnte sie auch Ben um Rat fragen.

Den ersten Gedanken verwarf sie und beim Zweiten erschauderte sie.

Nein, ihr Dad kannte zwar alle möglichen Gestalten, aber bevor sie ihn anrief und um Hilfe bat, nahm sie es lieber allein mit dem Kerl auf ihrem Fußboden auf.

Ja, genau. Sie schaffte das auch alleine!

Entschlossen raffte Viola sich wieder auf, rieb sich kurz über ihr schmerzendes Hinterteil und ging dann um das Bett herum.

„Du saust mir hier echt alles ein“, schimpfte sie leise, als frisches Blut über ihre Dielen lief. Jedoch nicht bedenklich viel. Trotzdem machte sie sich Sorgen.

Wieder einmal packte sie kurzerhand den Mann unter den Achseln und hievte ihn erneut aufs Bett. Dieses Mal drehte sie ihn ganz auf den Bauch, sorgte aber dafür, dass sein Kopf auf der Seite lag und er genug Luft bekam. Dann kramte sie nach der zweiten Jodflasche und begann noch einmal seine Wunden zu versorgen, da es ihm nicht mehr sehr viel ausmachen würde, jetzt, da er wieder bewusstlos war.

2. Kapitel

Sie hasste Wasser. Das konnte sie gar nicht oft genug betonen. Und obwohl sie von oben bis unten voller Dreck gewesen war, hatte sie tatsächlich überlegt, ob es mit einer einfachen Katzenwäsche nicht auch ging.

Aber das hätte zu lange gedauert, also war sie am Ende doch finster vor sich hin starrend, unter die Dusche gestiegen, nachdem sie den Fischmann verarztet hatte, so gut sie konnte.

Grob hatte sie sich abgerubbelt, sich die Haare gewaschen und den Kerl noch viele weitere Male verflucht, der sie zu solchen Maßnahmen zwang, doch dann war sie doch erleichtert aus der Dusche gestiegen. Froh darüber, endlich den Gestank los zu sein.

Kurz kämmte sie sich ihre langen schwarzen Haare aus, wickelte sich ein Handtuch um und begann dann das Bad aufzuräumen.

Sie war zwar nicht gerade der sauberste Mensch, was Staub und verstreute Wäsche anging, aber Gestank konnte sie ebenfalls nicht leiden, weshalb sie sogar ihren Wischmob zur Hand nahm, der schon ewig in der Besenkammer verstaubte, und die Fliesen aufwischte. Dann flitzte sie damit über die Dielen in ihrem Flur. In ihrem Wohn-Essbereich machte sie anschließend eine Kehrtwende, um dann leise noch in der Rumpelkammer von einem Gästezimmer den Boden aufzuwischen.

Als sie damit fertig war, betrachtete sie ihren Patienten und ignorierte ihre zitternden Finger, die den Holzstiel des Mobs festhielten.

Nein, sein Schicksal kümmerte sie überhaupt nicht!

Höchstens der Umstand, dass er in ihrem Haus verrecken könnte, ärgerte sie.

Ja, genau! Das war es, was sie so zittrig machte - der Gedanke an Leichenbeseitigung.

Trotzdem schlich sie auf leisen Sohlen aus dem Zimmer, um ihn nicht zu wecken und suchte sich etwas zum Anziehen, ehe sie Flocke fütterte, die bisher geduldig neben ihrer Futterschüssel auf der Küchenanrichte ausgeharrt hatte.

Viola selbst hatte keinen Hunger, und da sie heute auch frei hatte, vertrieb sie sich schließlich die Langeweile damit, dass sie ein paar Sachen ganz leise aus dem Gästezimmer in die halbleere Besenkammer umsiedelte.

Es kam ihr dabei zugute, dass sie dadurch immer ein Auge auf den Fremden hatte und vor allem, war dann auch endlich Platz, um sich einen Stuhl neben das Bett zu stellen und sich mit einem Buch darauf niederzulassen.

Lässig legte Viola ihre Beine auf das Bett und schlug ihr Buch auf. Allerdings ohne darin zu lesen. Stattdessen beobachtete sie die inzwischen ruhigeren Atemzüge von Ken, den sie nicht nur ordentlich mit Verbandsmull eingewickelt, sondern auch mit einer dünnen Decke zugedeckt hatte.

Er lag immer noch auf dem Bauch, mit dem Gesicht zu ihr gewandt.

Eigentlich ganz süß, so wie er schlief, wenn sie sich nicht fragen würde, wie zur Hölle er eigentlich genau auf ihr Bett und zu diesen schweren Verletzungen gekommen war.
 

Jeder Atemzug schmerzte. Allerdings nicht so sehr, als hätte er weiterhin versucht, seine Kiemen auf dem Trockenen zu benutzen.

An den sonst so empfindlichen Kämmen, die sich nun dumpf und wenig elastisch anfühlten, konnte er Gewebe fühlen. Stoff, der sich auch über seinen Rücken, seinen Po und die Beine hinunter ausbreitete.

Zin versuchte, die Augen zu öffnen. Zuerst kam ihm Gefangenschaft in den Sinn. Ein Netz? Hatten die Menschen ihn aus dem Wasser gezogen, nachdem sie -

Er erkannte nicht viel. Gebrochene Bilder milchiger Substanz. Reine Schemen, die ihm überhaupt nicht weiterhalfen.

Ein scharrendes Murren rasselte in seiner Brust und Zins Finger krallten sich in den weichen Untergrund, der ihm genauso fremd vorkam, wie die Wärme und die trockene Luft in dem Raum, in dem er sich befand.

Was wollte man von ihm?

Mit Mühe und Not schaffte er es, seinen Kopf zu drehen, die Augen ein paar Male wieder zu schließen und zu öffnen. Bis es ihm endlich gelang, sein drittes Lid zur Seite zu ziehen. Nun stach das Licht auf seiner Netzhaut, aber zumindest konnte er sich in seiner näheren Umgebung orientieren.

Er lag auf Stoff. Keine Gefahr schien davon auszugehen. Eigentlich ... fühlte es sich sogar ganz angenehm an. Es wärmte ihn und roch auch gut.

Müde und erschlagen schloss Zin wieder die Augen. Ein schemenhaftes Bild blieb als Eindruck in seinem Kopf zurück.

„Wo bin ich?“

Seine Stimme klang kratzig und leise. Trotzdem enthielt sie ein gewisses Maß an Trotz. Nur, weil jede Bewegung ihm Qualen verursachte, würde man ihn nicht so leicht brechen können. Schon gar kein Mensch!
 

Viola war irgendwann eingenickt, nachdem das Adrenalin in ihrem Körper verraucht und auch die Unsicherheit in ihr etwas abgeklungen war.

Kein Wunder, sie war die ganze Nacht wach gewesen und hatte davor gearbeitet. Sie durfte also müde sein. Erst recht nach der Überraschung, die auf ihrem Gästezimmerbett schlief.

Ihr Atem hielt einen Moment inne, als sie etwas zu hören glaubte, doch es war nicht beunruhigend genug, um sie zu wecken.

Als jedoch eine Bewegung ihre Zehen kitzelte, wurde sie schlagartig wach und nahm die Beine vom Bett.

Der Fremde hatte sich bewegt, da sein Gesicht nun von ihr abgewandt war und auch seine Atemzüge waren lange nicht mehr so einschläfernd gleichmäßig wie vorhin noch.

Seine Finger waren in die weiche Matratze verkrallt.

„Wo bin ich?“, drang es leise zu ihr durch und erregte sofort ihr Mitgefühl.

Es klang ziemlich schwach, aber auch ein bisschen ... kämpferisch. Er hatte also noch genug Lebensgeister, dass er es schaffen könnte.

Viola hoffte es.

Sie ging um das Bett herum und ließ sich schließlich auf der anderen Seite auf dem Boden nieder, so dass sie ihre Arme auf der Matratze verschränken und ihr Kinn darauf ablegen konnte, um den Fremden besser ansehen und mit ihm sprechen zu können.

„Hallo, Sonnenschein“, begrüßte sie ihn ruhig, obwohl ihr Innerstes wie wild flatterte und ihr Herz hart gegen ihren Brustkorb hämmerte.

Eine beinahe Leiche auf dem Bett liegen zu haben, regte sie weit nicht so sehr auf, wie eine beinahe Leiche auf dem Bett liegen zu haben, die auch noch mit ihr sprach. Da wurde es dann langsam persönlich.

Trotzdem lächelte sie.

„Du bist in meinem bescheidenen Palast und ...“

Sie verstummte, als der Fremde die Augen öffnete.

Wahnsinn!

Solche seelenvollen Augen hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen.

Einen Moment lang starrte sie den Fremden einfach nur an, ehe sie wieder in die Gänge kam und ihr Lächeln vertiefte.

„Willst du vielleicht Wasser? Ich hätte auch Schmerztabletten anzubieten, wenn du sowas verträgst. Aber vorsichtig, die sind ziemlich stark. Wenn man nicht aufpasst, wird man von denen ganz schön high.“
 

Zin betrachtete das Gesicht mit skeptischem Blick. Sofort liefen die üblichen Gedanken durch seinen Kopf, die einem raschen Scan seines Gegenübers gleichkamen. Freund oder Feind? Oder etwas, das man ignorieren konnte? Das Wichtigste eben, wenn man gleichwohl zum Bereich der Beute, wie auch zum großen Anteil der Jäger zählen konnte. Wobei man selbst von der zweiten Kategorie sehr schnell in die Erste rutschen konnte, wenn man ein anderes Lebewesen unterschätzte oder jemandem mit sehr viel größeren Zähnen begegnete.

Die Frau - es war eindeutlich ein weibliches Wesen - konnte er nicht direkt als Feind einordnen. Weder trug sie Waffen, noch drohte sie ihm auf irgendeine Weise. Dem Lächeln nach würde er sie sogar als freundlich werten. Und ... besorgt?

Zin steckte sie fürs Erste in die Kategorie 'undefiniert, aber nicht lebensbedrohlich' und schloss seine müden Augen wieder.

Schließlich brauchte er seine ganze Kraft, um seine Kiefer auseinander zu bekommen und seine Stimmbänder und Zunge dazu zu bewegen, noch weiter für Kommunikation zu sorgen.

„Wasser ... bitte.“

Er konnte nicht einmal genau definieren, ob er es zu sich nehmen oder sich hineinlegen wollte. Eigentlich ... wäre beides sehr angenehm.
 

„Moment, ich hol dir welches.“

Geschmeidig kam Viola wieder auf ihre Beine und verließ das Zimmer, um dem Fremden Wasser zu holen.

Vorhin, bevor sie eingenickt war, hatte sie sich bereits Gedanken darüber gemacht, wie sie ihm am Besten Flüssigkeit zuführen konnte, damit er nicht austrocknete.

Bei Flocke war das damals kein Problem gewesen. Da hatte sie ihrer Süßen einfach ein Babyfläschchen mit Flüssignahrung für Katzen gegeben, aber der Kerl würde niemals aus so etwas trinken.

Allerdings war Viola auch nicht ganz auf den Kopf gefallen, weshalb sie schließlich ganz hinten im Küchenschrank nach einer Sportlerflasche suchte, die sie sich irgendwann einmal zugelegt hatte. Das würde das Trinken für Ken sicher ziemlich vereinfachen.

Zunächst spülte sie den Aluminiumbehälter gründlich aus, machte auch den Plastikverschluss noch ordentlich sauber und füllte dann frisches Wasser ein.
 

Es fühlte sich so an, als hätte er bohrende Zahnschmerzen im gesamten Körper. Warum es gerade damit zu vergleichen war, kam vermutlich daher, dass Zin das Gefühl hatte, nichts dagegen tun zu können. Sich entspannen nützte nichts, sich leicht drehen oder ein paar Muskeln anzuspannen ... machte alles nur noch schlimmer. Er wand sich auf dem Laken, nicht sicher, wann die Frau aus dem Zimmer verschwunden war. Konnte es ... schon Stunden her sein?

Jetzt, da er an Wasser denken musste, war sein Mund auf einmal wie ausgedörrt, seine Haut fühlte sich rissig und erhitzt an. Am liebsten hätte Zin sie abgeschüttelt. Aber er hatte noch nicht einmal die Kraft, sich von der Decke zu befreien.

Wie ein Fisch auf dem Trockenen, rang er nach Atem, schob seine Hand an seiner Seite entlang nach unten und erwischte sogar den verhasst wärmenden Stoff, aber wirklich weit kam er nicht, bis ihm ein Blitz aus Schmerz das Rückgrat hinauf, bis direkt ins Hirn jagte.
 

Mit dem Getränk und einem Geschirrtuch kam Viola schließlich ins Gästezimmer zurück und setzte sich zu dem Fremden aufs Bett.

Da sie nicht sagen konnte, ob er inzwischen wieder eingeschlafen war oder nicht, berührte sie ihn sanft am Kinn.

„Hier. Wasser.“
 

Er musste ... weggetreten gewesen sein.

Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern, dass sie den Raum wieder betreten hatte.

Gegen das Licht anblinzelnd sah er zu ihr auf, sein rechtes Auge noch halb von seinem dritten Lid bedeckt und etwas träge.

Sie hatte ... Wasser für ihn.

Zins Blick strahlte vor unausgesprochener Dankbarkeit, als sie ihm ein Röhrchen in den Mund hielt, an dem er vorsichtig zu saugen begann.

Das Wasser schmeckte ekelhaft. Nach ... Aluminium? Und etwas Rost war auch dabei. Aber Zin war so ausgetrocknet, so gierig, nach jedem Schluck, den er bekommen konnte, dass er sogar so etwas wie den Ansatz eines Lächelns zusammenbrachte, bevor er seinen Kopf wieder gänzlich auf die Matratze legte. Diesmal schlief er sehr tief ein, anstatt komplett sein Bewusstsein zu verlieren.
 

Armer Kerl, dachte Viola bei sich, sprach es aber nicht laut aus, sondern schwieg, solange der Fremde sich mit dem Wasser abmühte und dann wieder einschlief, kaum dass sie die Flasche von seinem Mund genommen hatte.

Sie tupfte ihm mit dem Geschirrtuch noch einen Tropfen aus dem Mundwinkel, ehe sie ihm den Hauch von einer Decke wieder weiter über die Hüften zog und dann aufstand. Es war inzwischen ganz schön heiß geworden, weshalb sie den Deckenventilator etwas einschaltete, um zumindest das Gefühl eines kühlenden Lufthauchs zu ermöglichen.

Das Wasser ließ sie auf dem Nachtisch stehen, nahm jedoch die Schmerztabletten wieder mit. Falls er erneut aufwachte und welche brauchte, würde sie ihm welche geben, aber bis dahin, würde sie die Bombenteile lieber sicher verwahren. Sie hatten es nämlich wirklich ganz schön in sich. Das wusste sie aus Erfahrung.

Da Viola selbst ganz schön müde war, legte sie sich auf die Couch, um etwas zu dösen. Dort würde sie den Fremden wohl hören, wenn er aufwachte. Außerdem schlief er vermutlich ohnehin tief und fest. Deshalb war ihre einzige Sorge die, dass sie auch in ein paar Stunden nichts von ihm hören würde und er vielleicht gar nicht mehr aufwachte.

Daran wollte sie allerdings gar nicht erst denken und wenn, dann konnte sie auch nichts daran ändern. Für Nicht-Menschen, wie sie beide es offensichtlich waren, gab es nun einmal kein Krankenhaus. Für gewöhnlich kamen sie damit aber auch ganz gut zurecht. Sie waren schließlich keine schwachen Menschen.

Trotzdem blieb ihre Sorge und Viola nahm sie mit in den Schlaf.

Sie schlief nicht lange. Nur ein paar Stunden und als sie aufwachte, lag Flocke zusammengerollt an ihrem Bauch und schnurrte leise vor sich hin.

Einen Moment lang gab sich Viola ganz dem Gefühl hin, ihre Süße einfach zu streicheln und die Weichheit ihres weißen Fells zu genießen. Dann aber fiel ihr sofort wieder ihr Gast ein und dahin war die Ruhe.

Viola stand langsam von der Couch auf und streckte sich einmal ausgiebig, ehe sie zum Gästezimmer ging und einen Blick hineinwarf.

Ken schlief immer noch tief und fest und nach dem Gewicht der Wasserflasche zu urteilen, war er inzwischen auch noch nicht aufgewacht.

Vorsichtig berührte sie seine Stirn. Er war zwar sehr viel kühler, als sie selbst, aber nicht so kalt, wie eine Leiche und vor allem atmete er noch.

Das war gut.

Schnell ging Viola frisches Wasser holen und setzte sich dann erneut zu dem Fremden aufs Bett.

Sie streichelte wie ein Kind sanft seine Schläfe, die Wange und war weit über ihn gebeugt, damit sie ihm leise ins Ohr flüstern konnte, dass er aufwachen sollte.

„Hey, du musst etwas trinken“, hauchte sie in ihrem zärtlichsten Tonfall, den nur geliebte Menschen oder todkranke Fremde von ihr zu hören bekamen.
 

Ein kleines Röcheln entstand, als Zin zuerst wieder - ganz seiner Schlafgewohnheit entsprechend - versuchte seine Kiemen zu benutzen.

Die Schlitze, die von seinem Kiefer bis kurz unter sein Ohr verliefen und von einer Hautfalte vor den gröbsten Verletzungen und vor Schmutz geschützt waren, öffneten sich leicht. Als sie allerdings nur Luft, statt Wasser ansaugten, furchte sich Zins Stirn.

Nur minimal, aber mit großen Anstrengungen verbunden, die man seinen flitzenden Augen unter den geschlossenen Lidern ansehen konnte, zog er ein Bein und einen Arm näher an seinen Körper.

Für jemanden, der ihn betrachtete, war es kaum zu erkennen, aber für Zin selbst fühlte es sich so an, als hätte er sich gemütlich zusammengerollt. Diese Position war jetzt auch leichter zu erringen, da die Unterlage zu seiner Linken etwas abfiel. Nicht viel, aber ausreichend.

„Hey ...“

Den Rest der Worte verstand er nicht. Aber die Stimme ... kam ihm bekannt vor.

Zwei tiefblaue Augen leuchteten in der tiefen Schwärze seines Bewusstseins auf und Zins linker Mundwinkel zuckte zu einem schmalen Lächeln ein Stück nach oben.

„Hallo ...“, murmelte er leise.

Inzwischen hatte er die Frau unter einem neuen Eindruck abgelegt. 'Menschlich und seltsamerweise trotzdem nicht tödlich'.
 

„Dir auch, hallo.“

Viola lächelte, als sie den leicht erhobenen Mundwinkel des Fremden sah, und richtete sich wieder etwas auf.

„Hör mal, ich weiß, dass du müde bist. Aber du musst etwas trinken. Nicht, dass du mir noch austrocknest. Danach lasse ich dich wieder schlafen. Versprochen.“

Sie hielt ihm die Flasche an die Lippen, das Geschirrtuch vorsorglich untergelegt, falls etwas daneben gehen sollte.

„Wenn du Schmerzen hast, kann ich dir auch etwas geben. Dann schläfst du bestimmt besser.“ Und Schlaf war etwas, das er wohl ebenso dringend zur Heilung benötigte, wie ausreichend Flüssigkeit. Damit kannte sie sich aus.
 

Da er seiner Krankenschwester gerade nur sehr schwer widersprechen konnte, ließ er sich das Röhrchen wieder zwischen die Lippen schieben und trank in großen, aber kontrollierten Schlucken. Dabei versuchte er, wegen des grässlichen Geschmacks keine allzu schlimme Miene zu verziehen. Sie kümmerte sich um ihn. Da wollte er nicht undankbar sein.

Als sie allerdings mit ihrem Vorschlag ankam, was die Schmerzen betraf, wurde er wachsam.

Das ihr zugewandte Auge öffnete sich und funkelte sie durchdringend und forschend an.

Zin schluckte hart.

„Was willst du ... mir geben?“

Er fühlte sich beim Sprechen unheimlich atemlos. Aber die Skepsis brachte er trotzdem sehr deutlich in seinen Worten unter. Zumal seine Stimme von einem Flüstern sehr langsam aber sicher wieder in seinen tiefen Bass überging.
 

Als er sich die Mühe machte, sie anzusehen, tat Viola ihm den Gefallen und rutschte vom Bett, um es sich wieder auf dem Boden gemütlich zu machen, damit der Fremde sich dabei nicht so anstrengen musste und sie sich gerade in die Augen sehen konnten.

Da er langsam wieder eine ordentliche Stimme bekam - und was für eine! - nahm sie an, dass er nun wacher und ansprechbarer wurde, als bisher. Also lächelte sie, hoffentlich weniger besorgt, als noch vorhin und erwiderte ungerührt seinen intensiven Blick.

„Eine Tablette. Ich könnte sie dir aber auch in Wasser auflösen, wenn du sie so leichter hinunter bekommst. Keine Sorge, ich werde dich damit nicht vergiften. Für den Anfang wäre vielleicht sogar die Hälfte davon ausreichend, wenn du dir nicht sicher bist, ob du so etwas verträgst. Auf jeden Fall hilft es sofort gegen die Schmerzen und ist gut verträglich. Ich habe die Dinger auch schon oft genommen und kann sie nur empfehlen.“

Viola strich sich eine lose Strähne ihres Haars hinters Ohr und ihr Lächeln vertiefte sich.

„Ich bin übrigens Viola“, stellte sie sich schließlich vor und wartete, ob auch von dem Fremden ein Name kam, ansonsten würde sie ihn gedanklich einfach auch weiterhin Ken nennen.
 

Er überlegte.

Zumindest versuchte er es, denn jeder Gedanke schien trotz seiner zähen Konsistenz absolut ungreifbar zu sein. Allerdings etwas gegen die Schmerzen ... wäre nicht zu verachten. Andererseits kannte er die Frau nicht, und wenn man bedachte, dass sie ein Mensch war, musste man ihr die Finte zutrauen. Was es ihr aber bringen sollte, ihn zuerst ein wenig aufzupäppeln, bloß um ihn dann zu vergiften, wusste er nicht.

Zin betrachtete sie eine Minute sehr ausführlich. Die blauen Augen unter den langen, schwarzen Wimpern, die dunklen Haare und die gebräunte Haut ... Sie sah einfach nicht so aus, als würde sie ihm gleich eine Waffe in den Leib rammen. Und dass sie sich bis jetzt um ihn gekümmert hatte, zählte schon Einiges.

„Ich bin ... Zin.“
 

Sein Schweigen machte Viola nichts aus. Ebenso wenig, dass er sie dabei eingehend betrachtete. Ganz im Gegenteil, sie nutzte selbst die Gelegenheit, die er ihr bot, und musterte ihn gründlich. Oder zumindest den Teil seines Gesichtes, der nicht verdeckt war.

Markante Züge, entschlossene Augen, sinnlich geschwungene Lippen vermischt mit etwas Unbekanntem.

Der Kerl hatte was. Dafür, dass er schwer verletzt auf ihrem Bett lag und so offensichtlich nicht menschlich war. Aber gerade das stachelte ihre Neugierde an.

Als er ihr endlich seinen Namen sagte, zog sie leicht verwundert eine ihrer geschwungenen Augenbrauen hoch.

Sin? So wie Sünde?

Na das wurde ja immer besser!

Viola behielt ihre Gedanken allerdings für sich, während sie geduldig darauf wartete, ob noch etwas kam.
 

Er schluckte hart, als ihm wieder ein brennender Speer zwischen die Kiemen an seinem Rücken fuhr und irgendein Mistkerl das Ding auch noch herumdrehte und anfing, in Zins Eingeweiden zu stochern.

Er atmete flach und hielt sich so still wie möglich, während er versuchte, sein Hirn nicht schon wieder den Stecker ziehen zu lassen.

„Okay. Ich ... nehm die ... Medizin.“

Dass ihm das andere Wort für das Zeug gerade partout nicht einfallen wollte, obwohl Viola es ihm vor wenigen Augenblicken gesagt hatte, machte es nicht besser. Aber verflucht, so oft brauchte er diese Vokabeln auch nicht.
 

Offenbar waren am Ende seine Schmerzen stark genug, um ihn zur Einsicht zu bringen.

Nein, sie würde ihn wirklich nicht vergiften, auch wenn sie seine Skepsis förmlich spüren konnte.

„Du wirst sehen, danach wirst du gleich viel leichter schlafen können.“

Viola kramte die Schmerztablettenpackung aus der Hosentasche ihrer engen Hotpants und drückte eine Tablette durch die Folie in ihre Hand.

„Und morgen, wenn es dir besser geht, können wir uns einmal darüber unterhalten, warum du gerade an meinen Strand gespült wurdest.“

Mit einer ihrer Krallen zerteilte sie die Schmerztablette, ohne dass Zin es sehen konnte, ehe sie ihm eine Hälfte an den Mund und dann sofort Wasser zum Trinken bereithielt.

„Aber bis es so weit ist, schlaf dich aus, und falls du etwas brauchst, ich bin gleich in der Nähe.“
 

Selbst in dieser Situation, in der er einer fremden, menschlichen Frau total ausgeliefert war, fühlte es sich für Zin seltsam an, etwas mit den Lippen von ihren Fingern zu nehmen. Er ließ sich nicht sonderlich gerne füttern. Die Zeiten waren lange vorbei.

Wenn man sich allerdings klar darüber sein sollte, dass man genauso gut nie wieder aus dem versprochenen Schlaf aufwachen könnte, sollte man wohl nicht so zimperlich sein. Daher ignorierte er auch den Geschmack ihrer Haut und konzentrierte sich lieber darauf, das leicht scharfkantige Ding auf seiner Zunge mit einem Schluck Wasser hinunter zu würgen.

Es funktionierte nicht auf Anhieb, weil er in dieser liegenden Position nicht ordentlich schlucken konnte. Aber nach drei Versuchen blieb die Tablette nicht mehr an seinem Gaumen kleben, sondern verabschiedete sich in seine Speiseröhre, um wohl früher oder später in seinem Magen zu landen und seine Wirkung zu tun.

So ein kleines Ding konnte diese Schmerzen lindern?

Zins Augenbrauen zogen sich zu einer zweifelnden Miene zusammen, während er sich das Gefühl seiner zerrissenen Kiemen an seinem Rücken noch einmal bewusst machte.

Seine Chancen standen nicht besonders gut. Eigentlich war es sogar realistischer, dass er in Violas Haus hopsging und sie sich auch noch mit seiner Leiche Umstände machen musste.

„Ich danke dir ...“

Er sah sie an und hoffte auch für Viola inständig, dass er die Nacht überleben würde. Dann bekäme er irgendwann vielleicht sogar die Gelegenheit, sich entsprechend bei ihr zu bedanken.
 

Viola konnte ihm nur dabei zusehen, wie er sich mit der halben Tablette abmühte, während sie beschloss, die nächste gleich in Wasser aufzulösen. Das würde es ihm stark erleichtern und sie musste sich keine Sorgen machen, dass er eine ganze vielleicht sogar in den falschen Hals bekam und ihr erstickte.

Als er sich bei ihr bedankte, lächelte sie wieder.

„Du kannst dich bei mir bedanken, wenn es dir wieder besser geht. Jetzt konzentrier dich lieber erst einmal darauf, wieder gesund zu werden.“

Sie wusste selber, dass das zu optimistisch klang, aber sollte sie vor einem Schwerverletzten denn voller Pessimismus strotzen? Das würde dann wohl eher den gegenteiligen Effekt bewirken, als sie sich beide für Zin wünschten.

Bevor er allerdings noch etwas darauf sagen konnte, stand Viola auf, um den Deckenventilator wieder abzustellen. Schon bald würde es etwas abkühlen, und da sie nicht wusste, wie es um die Infektion um Zins Verletzungen stand, war ein Hitze- und Kältebad bei ihm schon bald nicht auszuschließen. Weshalb sie ihm auch die Decke noch etwas weiter hochzog und zusätzlich noch eine weitere flauschige Baumwolldecke, zur Sicherheit bei seinen Füßen deponierte.

Danach wünschte sie ihm eine gute Nacht, schaltete das Licht aus und verließ das Zimmer.

Erst vor der Tür wartete sie darauf, dass er wieder einschlief.
 

Zin überlegte sich gar nicht erst, ob es klug gewesen wäre, Viola über die Unsinnigkeit ihres guten Willens aufzuklären. Es war nett, dass sie ihm noch eine Decke hinlegte. Daran, dass er mit seinen Händen die Nähe seiner Füße niemals erreichen könnte, brauchte sie nicht zu denken. Das war ... sein Problem.

Eine Weile sah er seiner Retterin nach, auf die Tür, hinter der sie verschwunden war.

Kaum zu glauben, dass sie ihm half. Wo sie doch ... ein Mensch war. Und er ein Meermann. Hätte man da nicht eher erwartet, sie würde die Behörden holen? Männer in weißen Schutzanzügen, die den seltsamen Fang in Folie wickelten, um eine Ansteckung oder was auch immer nicht in Kauf zu nehmen?

Er hätte eher gedacht, er würde auf einem kalten, spiegelnden Untersuchungstisch landen; auf Skalpelle sehen müssen, die dafür bereitgelegt wurden, um seinen Körperbau näher zu untersuchen. Vielleicht sogar, solange noch ein Funke Leben in ihm war, den man näher betrachten konnte ...

Mit einem rauen Stöhnen krallte Zin seine Hände in die Matratze, stemmte sich die paar Zentimeter hoch, die er brauchte, um seinen Kopf zu drehen und widerstand dann der Versuchung sich wieder auf den weichen Untergrund fallen zu lassen.

Vermutlich wäre er so blöd und schwach gewesen, sich selbst damit zu ersticken.

Er musste sich die Tortur antun, sich langsam wieder hinzulegen, seinen Kopf so zu betten, dass er selbst im Schlaf genug Luft bekam und seine Kiemen trotzdem nicht belastete.

Müde sah Zin in Richtung Fenster und fragte sich, ob er sterben würde. Nicht irgendwann ... sondern in dieser Nacht. Es konnte kaum schlimmer sein, als hier zu liegen und sich so zu fühlen, als würde jemand an seinem Rücken nagen.

Wie es wohl ... den Anderen ging?

Weil ihm ein Strahl der tief stehenden Sonne in die Augen blendete, musste er mehrmals blinzeln.

Bestimmt waren sie alle -

3. Kapitel

Das nächste Mal erwachte er im Stockdunkeln.

Das Laken unter seinem Körper war feucht und klamm. Er fror. Die Gänsehaut erreichte seinen Rücken, kroch unter den Verband und ebbte an der Hitze der Entzündung ab, die er wegen der Schmerzmittel nur dumpf spüren konnte.

Er ... wollte nicht sterben!

Die Zähne fest aufeinander gebissen und mit keuchendem Atem zog Zin sein rechtes Knie nach oben. Den Fuß in die Wolldecke gehakt, die am Ende des Bettes lag. Schweißperlen standen auf seiner Stirn und seine Kiefer schmerzten unter dem Druck, mit dem er einen Schmerzenslaut zu unterdrücken versuchte.

Er würde nicht ... sterben!

Zin spürte, wie die zerfetzten Häute seiner Kiemen übereinander rieben, als er die Decke mit den Fingern zu fassen bekam. Ihm wurde schwarz vor Augen und sein Magen gab einen deutlichen Warnschuss ab.

Zin ignorierte ihn.

Es gab nur seine Finger und die Decke, die er zu sich hinauf zerrte. Stück für Stück, Millimeter für Millimeter, bis sie zusammengeknüllt neben ihm lag.

Mit einem triumphierenden Lächeln schlang Zin seinen Arm um das Bündel und schloss die Augen.

Blut befeuchtete erneut die Verbände an seinem Rücken.

Ihm war so kalt ...
 

Viola wurde vom Blutgeruch geweckt.

Sie hatte ihr Nachtlager wieder auf der Couch aufgeschlagen, und als sie später noch mal nach Zin gesehen hatte, ließ sie die Tür bei ihm einen Spalt offen. Daher entging ihrer Nase der metallische Geruch nicht.

Sofort war sie hellwach und lauschte in das Dämmerlicht.

Tatsächlich konnte sie etwas aus dem Zimmer hören. Ein Geräusch, das sie nur so lange irritierte, bis sie bei ihm war und das Licht eingeschalten hatte.

Er klapperte mit den Zähnen und zitterte so heftig dabei, dass das ganze Bett vibrierte.

Sie hatte es ja gewusst.

Verdammt!

Vorsichtig, um Zin nicht aus seinem ungemütlichen Schlaf zu wecken, zog sie ihm die Decke aus dem Arm, um sie ganz über ihm auszubreiten.

Ihr entgingen dabei keinesfalls die hellroten Flecken auf seinem Rücken, welche die weißen Verbände durchtränkten.

Darum würde sie sich morgen kümmern. Solange die Blutungen nicht schlimmer wurden, würde sie sich jetzt keine Sorgen deswegen machen.

Da die Wolldecke Zin kaum warm genug halten konnte, lief sie hoch in ihr eigenes Zimmer, um die große Decke von ihrem eigenen Bett zu holen, die meistens zu heiß, zum Schlafen war. Es sei denn, man lag die ganze Zeit darauf. Dann war sie total gemütlich.

Sie würde hoffentlich vorerst für ihn reichen, bis sie ihm eine Wärmeflasche gemacht hatte.

Zurück bei Zin, breitete sie auch diese Decke gründlich über ihm aus und steckte sie unter seinem Körper fest, um die Wärme in einem schützenden Kokon aus Decken zu behalten.

Dann bereitete sie die Wärmeflasche vor, wickelte sie in ein dickes Badetuch und steckte sie Zin zu den Füßen.

Erst als sie sich nur noch im Schein der Nachttischlampe zu ihm ans Bett setzte, gestattete sie sich einen kurzen Moment der Panik.

Viola atmete heftig und zwang sich dazu ruhig zu atmen. Mehrmals tief ein und wieder aus, bis die Panikattacke abgeklungen und ihr leicht schwindelig war.

Erst dann musste sie sich die Tränen verkneifen. Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße!

Hoffentlich starb er nicht ...
 

***
 

Es war heller, als er aufwachte. Nicht wirklich taghell und sonnig, aber ... definitiv nicht mehr Nacht!

Scheiße nochmal!

Er lebte noch!

Umständlich befreite Zin seinen Arm aus einer weichen Umklammerung, an die er sich gar nicht erinnern konnte, und rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn.

Ihm war ... warm?

Mit einem offenen Auge sah Zin an sich hinunter, betrachtete den Stapel an Stoff, der auf ihm lag, und legte schließlich seinen Arm angewinkelt darauf ab.

Er lächelte.

Viola. Sie musste es gewesen sein, denn wer sonst sollte -

Sein Blick - diesmal aus beiden Augen - blieb an einem schmalen Fuß hängen, der halb bei ihm unter der Decke steckte. Er wanderte einen zierlichen Knöchel und schließlich ein glattes Bein hinauf, bis er einen wunderhübschen, kleinen, aber perfekt runden Po erreichte. Einen Augenblick lang erlaubte Zin sich, hinzusehen.

Dann räusperte er sich leise, was seinen trockenen Hals nur noch mehr reizte und ihn unglücklicher Weise zum Husten brachte.

Keine. Gute. Idee.

So schnell er konnte, zog er die Decke über seinen Mund, drückte den Stoff so fest auf sein Gesicht, dass es nur ein gedämpftes Geräusch ergab, um Viola nicht zu wecken. Ob es allerdings geklappt hatte, konnte er bei den Tränen, die ihm übers Gesicht liefen, nicht sagen.

Himmel, irgendwo stand doch noch das Wasser herum.
 

„Wie? Was?“

Viola fuhr aus ihrem Dämmerschlaf hoch und kippte dabei beinahe mit dem Stuhl um, der die ganze Zeit nur noch auf zwei Beinen gestanden hatte. Als sie jedoch wieder voll bei sich war, erlangte sie sofort ihr Gleichgewicht wieder und stellte den Stuhl gerade hin.

Kurz blinzelte sie sich den Schlaf aus den Augen, ehe sie auch schon Zin hellwach anstarrte, der zurückblickte, während er offenbar mit einem Hustenreiz kämpfte.

Viola brauchte keine Sekunde, bis sie schaltete, vom Stuhl aufsprang und Wasser holen ging.

Schon war sie wieder bei ihm, setzte sich zu Zin aufs Bett und stützte seinen Kopf etwas, während sie ihm frisches Wasser an die Lippen hielt.

Es beruhigte sie, dass seine Haut unter ihren Fingern kühl wirkte. Wäre nämlich kaum ein Unterschied festzustellen, hätte er vermutlich hohes Fieber, was ihm zusätzlich zuschaffen machen würde.

Es reichte schon, dass sie schon wieder frisches Blut wittern konnte.

„Ich werde dir nachher die Verbände wechseln müssen", meinte sie immer noch ein bisschen schläfrig, eher zu sich selbst, als wirklich zu ihm.

So schnell aus dem Schlaf gerissen zu werden, machte sie immer ein bisschen kirre.
 

Nachdem er ein paar Schlucke Wasser intus und sein Hals sicher wieder beruhigt hatte, drehte Zin seinen Kopf und sah Viola mit einem wirklichen Lächeln an. Nicht ein schwacher Abklatsch davon, sondern ein echtes, freundliches Lächeln, das seiner Laune absolut entsprach. Und seiner Freude, sie wieder zu sehen. Überhaupt etwas zu sehen, zu riechen und zu fühlen.

„Guten Morgen", meinte er etwas kratzig und strich dann mit der Hand über die Decke, die ihn wohl die halbe Nacht vor der erbitterten Kälte und dem Fieber in seinem Körper gerettet hatte.

„Vielen Dank. Ich ...“

Den Übermut, der ihn flüchtig ergriffen hatte, musste Zin sofort mit einem qualvollen Keuchen bezahlen. Nein, keine gute Idee, sich einfach bewegen zu wollen. Da halfen selbst die Nachwirkungen der halben Tablette nicht mehr, die ihn nachts vollkommen k.o. geschlagen hatten.

Erstmal ... durchatmen.

Der Schmerz ebbte immerhin langsam in erträgliche Maße ab und Zin öffnete erneut die Augen, die er eben zugekniffen hatte.

Ruhig liegen bleiben.

Jetzt allerdings, in dieser veränderten Position, eröffnete sich schon das nächste Problem. Klein, aber schwierig zu ignorieren. Vor allem, da ihm Viola immer noch das Wasser vor die Nase hielt.

„Könntest du ...“

Ihre Augenbrauen tanzten in die Höhe und Zin musste sich zusammenreißen, um noch mehr Worte heraus zu bekommen, anstatt sich von diesen schimmernd blauen Augen ablenken zu lassen.

„Ich ... Ich muss mal.“
 

Viola hasste es, nur hilflos zusehen zu können, während Zin offensichtlich starke Schmerzen erlitt.

Sie hatte selbst mit angesehen, was für Verletzungen er hatte und ein paar davon, hatte sie sogar mit Nadel und Faden zusammennähen müssen. Zumindest dort, wo sie sicher war, dass es nicht normal für ihn war, so tiefe Schnittwunden im Rücken zu haben.

Diese anderen Schlitze ... hatte sie nur desinfiziert und dick mit Mullbinden eingepackt. Aber allein dieses Ausmaß ließ sie erahnen, wie schlimm es sich für Zin anfühlen musste und dass sie da nichts für ihn tun konnte, machte sie ganz unruhig. Als er ihr jedoch erklärte, dass er mal müsse ... begannen sich ihre Gedanken wegen eines ganz anderen Problems zu überschlagen.

Viola stellte das Wasser weg, stand auf und sah auf Zin herab.

So wie es für sie aussah, würde es unmöglich sein, ihn einfach so auf die Toilette zu tragen, ohne dass er ihr dabei vor Schmerz ohnmächtig wurde. Aber die Alternative dazu erschien ihr nicht wirklich wie eine Alternative. Immerhin hatte sie nicht vergessen, wie er ... Wie da etwas ... fehlte.

„Ähm ...“ Auf die Schnelle fiel ihr nichts Schlaueres ein und sie hatte auch keine Ahnung, wie sie das Thema schonend ansprechen sollte ...

Etwas hilflos warf sie die Arme in die Luft und seufzte frustriert.

„Tut mir leid. Ich habe nicht viel Erfahrung darin ... Personen ... zu pflegen. Ich meine, ich würde dir ja auf die Toilette helfen, falls du das aushältst. Und wenn du nur ... ähm ...“

Sie seufzte wieder, weil sie es hasste, so um den heißen Brei herumreden zu müssen. Das lag ihr überhaupt nicht.

Da sie nicht wusste, wie dringend das Problem war, ließ sie es ganz bleiben. Sie bekam das ohnehin nicht auf die Reihe.

Viola verschränkte die Arme vor ihrer Brust und meinte dann geradeheraus, was sie dachte: „Also, falls du nur pinkeln musst, könnte ich dir auch einfach eine Flasche oder so bringen. Dann müsstest du nicht aufstehen. Allerdings war - als ich dich gewaschen habe - nicht zu übersehen, dass du ... sagen wir einfach ... untenrum nicht wirklich einem Menschen ähnelst. Es geht mich wirklich nichts an, was du bist, nur denke ich, dass das ein Problem werden könnte. Ich meine. Ich weiß wirklich nichts, über deine ... Anatomie.“

Viola fand es immer wieder erstaunlich, dass sie bei solchen peinlichen Gesprächen keine Spur rot wurde, obwohl es ihr ganz und gar nicht behagte. Aber besser, als es durch die Blume zu sagen, war es alle mal.
 

Zuerst wurden seine Augen groß, dann schlich sich allerdings nach und nach eine Reihe anderer Ausdrücke auf Zins Gesicht. Verwirrung, Unglauben und auch ein kleines bisschen Belustigung war dabei. Aber hauptsächlich hörte er aufmerksam Violas kleinem Monolog zu, der sich um seine ihr unbekannte ... Anatomie drehte. Und sie fand wirklich, dass er einem Menschen nicht einmal ähnelte?

Na, dafür hätte er sich in einer anderen Situation ganz schön in seiner Männlichkeit gekränkt gefühlt. Jetzt allerdings war etwas Anderes wirklich sehr viel ... dringender.

„Eine ... Flasche wird’s tun.“ So sehr es ihm auch widerstrebte, sich in einen Behälter entleeren zu müssen. Das sah man ihm auch an. Aber immer noch besser, als sich quer durch den Raum - geschweige denn durch ein Haus oder einen Palast - bewegen zu müssen. Das ... würde er einfach nicht hinbekommen.
 

„Okay.“

Das war alles, was sie zu dieser Sache sagte, ehe sie ging.

Es war peinlich, aber eben auch einfach natürlich. Dagegen konnten sie ohnehin nichts machen.

Und wenn er meinte, dass es mit einer Flasche ging, dann würde sie sich vorerst keine Gedanken darüber machen. Oder zumindest würde sie versuchen, sich keine Gedanken darüber zu machen.

Wie auch immer.

Eine Flasche fand Viola schnell, und da sie ihnen beiden noch mehr Peinlichkeiten ersparen wollte, holte sie auch noch eine dieser Stofftragetaschen, die sie mal bei irgendeinem Angebot im Supermarkt dazubekommen hatte.

Mit beidem kam sie wieder in Zins Zimmer und gab es ihm.

„Wickle die Flasche einfach darin ein, wenn du fertig bist.“ Darum würde sie sich dann später kümmern.

„Ich hol währenddessen neues Verbandsmaterial.“ Und damit ließ sie ihn und sein Problem auch schon wieder alleine und schloss die Tür hinter sich, um ihm seine Privatsphäre zu gönnen.

Währenddessen füllte sie eine Schüssel mit heißem Wasser. Suchte sich Verbandszeug zusammen und wartete länger als nötig gewesen wäre, ehe sie schließlich an Zins Tür klopfte.

„Alles erledigt?“
 

Erst einmal galt es, sich aus dem Kokon zu befreien, den Viola da für ihn erschaffen hatte. Schon allein das schien ewig zu dauern, aber dann fingen leider die echten Probleme erst an.

Mit einem Ohr horchte Zin hinter sich in Richtung Tür, ob er befürchten musste, gerade im schlimmsten Moment Viola nebenan zu wissen. Andererseits musste er sich voll und ganz darauf konzentrieren, sich so hinzulegen, dass er die Flasche in Position bringen konnte.

„Verd -“

Er murrte mit zusammengebissenen Zähnen in sich hinein und drehte sich weiter auf die Seite.

Zumindest war seine Vorderseite nicht wirklich in Mitleidenschaft gezogen worden. Es war noch alles da, wo es hingehörte und wo er es auf gewohntem Wege fand.

Endlich einmal etwas, das ihm keine Schmerzen bereitete. Mal von den Dellen fürs Ego abgesehen, die er hoffentlich später wieder ausbeulen konnte.

Als er das, was Viola als 'fehlend' annahm, wieder dort verstaute, wo es in der jetzigen Lage sein sollte, klopfte es leise an der Tür.

„Noch eine Minute.“

Schnell schraubte er den Deckel auf die Flasche und verstaute diese in der Tasche, die er dann so unauffällig wie möglich neben das Bett auf den Boden gleiten ließ. „Okay.“
 

Sie wartete, bis Zin ihr sein Einverständnis gab, dann erst betrat Viola das Zimmer mit der großen Glasschüssel in den Händen.

Sie stellte die Schüssel auf dem Sessel neben dem Bett ab und nahm dann wortlos die Tragetasche mit, als sie wieder ging, um den Rest zu holen, den sie brauchte.

Im Bad stellte sie die Tasche neben der Toilette ab und schnappte sich ein paar frische Handtücher aus dem Regal. Dann noch die große Schachtel mit dem ganzen Verbandszeug und dabei schaffte sie es sogar, bis ins Gästezimmer zurückzukommen, ohne auch nur einen überflüssigen Gedanken an Zins nur allzu menschlichen Bedürfnissen verschwendet zu haben. Eigentlich konnte sie stolz darauf sein, aber letztendlich ließ sie das Thema einfach fallen.

Bis Zin wieder gehen konnte, würde es eben aktuell bleiben.

Fall abgeschlossen.

„Da du die Schmerztablette offenbar gut überstanden hast, wäre es gut, wenn du noch eine Hälfte nimmst, bevor ich deine Wunden reinige.“

Viola nahm die Trinkflasche, leerte einen Großteil des Inhalts in den Topf einer längst vertrockneten Pflanze auf der Fensterbank, ehe sie die zweite Hälfte des Schmerzmittels hineintat und einmal gut schüttelte, bis sie sich ganz in dem letzten Rest Wasser aufgelöst hatte.

„Hier.“

Sie drückte Zin die Flasche in die Hand und überließ es ihm, ob er sich Linderung verschaffen wollte, bevor sie anfing, oder noch einmal so skeptisch zögerte, wie gestern.

Viola ließ sich davon nicht beirren, sondern setzte sich stattdessen zu ihm aufs Bett und hob die mitgebrachte Schachtel auf ihren Schoß.

Eine Weile kramte sie all die Sachen heraus, die sie brauchen würde, und legte sie bereit, ehe sie den Karton auf den Boden stellte und Zin die Decken vom Rücken bis zum Ansatz seines Pos hinunterzog.

Es war inzwischen schon fast wieder etwas zu warm im Raum, dennoch wartete sie kurz ab, ob er fror, ehe sie eine Verbandsschere zur Hand nahm und sich neben ihn hinkniete, damit sie besser arbeiten konnte.
 

Es war etwas schwierig, über seine Schulter zu spähen und gleichzeitig die zwei Schlucke Wasser mit der aufgelösten Tablette zu trinken. Trotzdem war Zin einfach zu interessiert daran, was Viola aus der Kiste kramte, die sie mitgebracht hatte.

Wenn er ehrlich war, fand er es etwas seltsam, dass eine Frau so gut mit medizinischen Geräten ausgestattet war. Verletzte sie sich denn so oft?

Oder fand sie des Öfteren irgendetwas am Strand, das ihrer Pflege bedurfte?
 

Gott sei Dank war das Gästebett für zwei Erwachsene ausgerichtet. So hatte Viola genügend Platz, um anständig arbeiten zu können und das würde sie müssen, so wie die Verbände bereits nach diesen paar Stunden schon wieder aussahen.

„Versuch’ still zu halten", ermahnte sie Zin, drehte ihn sanft wieder ganz auf den Bauch und schob ihm das Kissen unter dem Kopf so zurecht, dass es für ihn bequem war. Danach zog sie ihm den Arm von der Seite weg, damit sie dort beginnen konnte, den Verband aufzuschneiden.
 

Grübelnd betrachtete Zin das Behältnis in seiner Hand und ließ sich ohne Gegenwehr auf den Bauch drehen. Auch dass sie ihm das Kissen umdrapierte, war nett von Viola. Allerdings hätte er das inzwischen sogar selbst gekonnt. Sein linker Arm war einigermaßen beweglich, und da die Verletzungen sich zum Großteil auf der anderen Seite befinden mussten, konnte er ihn sogar der Bequemlichkeit halber unter das Kissen schieben und seinen Kopf darauf ablegen.

Erst anschließend steckte er die Trinkflasche mit der anderen Hand zwischen Matratze und Nachtkästchen und schloss kurz die Augen.

Diese Medizin war ihm trotz der Umstände ein bisschen zu aggressiv. Da er vorher noch nie so etwas geschluckt hatte, merkte er schon beim kleinsten Anzeichen, wie sich sein Körpergefühl dadurch veränderte. In negativer Weise, wie er fand. Denn sich so vorzukommen, als wäre man in einen wattigen Pelz gepackt, der weder Empfindungen von außen, noch von innen durchließ ... war einfach gegen seine Natur. Trotzdem war er gerade jetzt dankbar dafür, dass Viola so etwas im Haus hatte.

Oder im Palast?

Er hätte sie ganz gern gefragt, wer sie war und warum sie allein in einem großen Anwesen wohnte. Wurde sie da nicht einsam? Vielleicht gab es aber auch andere hier und Zin hatte es nicht mitbekommen. Er wusste ja nicht, wie weitläufig das Gelände war.

Viola hatte es bescheiden genannt ...
 

Schon nach einigen Zentimetern fühlte Viola sich in einer Vermutung bestätigt.

Das frische Blut auf Zins Rücken war inzwischen großteils wieder getrocknet, so dass die Verbände nun an seiner Haut klebten und sie diese nicht einfach herunterreißen konnte.

Aber darum hatte sie auch die Schüssel mit dem warmen Wasser mitgenommen.

„Wenn du hungrig bist, könnte ich dir nachher etwas zu essen machen. Etwas Leichtes. Vielleicht Rührei? Isst du so etwas überhaupt?“, wollte sie wissen, damit sie Zin etwas von dem ablenkte, was sie tat und er dabei ruhig blieb.

Außerdem wollte sie mit ihm reden, damit sie seine kräftiger werdende Stimme hören konnte, die sie beruhigte.

Für sie bedeutet seine Stimme, dass er es vermutlich schaffen würde, wenn sie in den nächsten paar Tagen alles richtig machte.

Es kam ganz darauf an, wie die Wunden nach den paar Stunden aussahen, wie sie als Nächstes vorgehen würde.

Erst einmal musste sie die Verbände einweichen.

Dazu stopfte Viola zwei zusammengerollte Handtücher unter Zins Seiten, damit sie das Wasser aufsaugten und hoffentlich so wenig Flecken, wie möglich auf der Bettwäsche hinterließen. Sie zu wechseln würde nur noch mehr Umstände bereiten, auf die Zin mit seinem verletzten Rücken gerade sicher nicht scharf sein würde.

Viola prüfte noch einmal, ob die Handtücher richtig drapiert waren, ehe sie den Stuhl mit dem Wasser näher zu sich heranzog und den Waschlappen darin herausnahm, um ihn etwas auszuwringen. Jedoch nicht zu viel, damit das verbleibende Wasser die Verbände gut durchtränken konnte.
 

„Wenn du hungrig bist, könnte ich dir nachher etwas zu essen machen. Etwas Leichtes. Vielleicht Rührei? Isst du so etwas überhaupt?“

Davon, dass sie ihm weichen Stoff gegen beide Seiten des Körpers drückte, war er kurz abgelenkt und antwortete daher erst, als sie dabei war, sich an der Wasserschüssel zu schaffen zu machen.

„Ich hab noch nie Rührei gegessen", meinte er wahrheitsgemäß. Aber Eier mochte er. Zumindest die, die es bei ihm normalerweise gab. Viola sprach vermutlich von einem Hühnerei und so etwas hatte er in noch überhaupt keiner Form probiert. Weder gerührt, noch gebraten.

„Das ist etwas Warmes, richtig?“

Da fragte er sich, warum sie es leicht nannte. Was er bis jetzt über menschliches Essen gehört und gelesen hatte ... - Da konnte man nicht von leicht sprechen. Aber gut, wenn seine Pflegerin es für richtig hielt, dann würde Zin sich nicht querstellen.

„Mmh -“

Da er sich gerade über Eier, in welcher Form auch immer, Gedanken gemacht hatte, traf ihn das Gefühl des warmen Wassers auf seinem Rücken unerwartet. So sehr, dass er aus reinem Reflex den Rücken durchbog, was ein unangenehm lautes Knacken zur Folge hatte.

Zin verbarg sein Gesicht im Stoff des weichen Kissens und atmete ein paar Mal tief durch. Die Muskeln auf seinem Rücken strafften und entspannten sich dann wieder. „Au ...“

Als er wieder aus dem Kissen auftauchte, versuchte er Viola aus diesem für ihn blöden Winkel anzusehen.

„Ein paar Wirbel sind verschoben", stellte er ziemlich nüchtern fest und schob dann vorsichtig prüfend eines seiner langen Beine nach unten, während er auf der Gegenseite seine Hüfte nach oben zog.

Wieder knackte es, diesmal sogar drei Mal, aber danach ... fühlte es sich besser an.
 

Viola verzog bei dem Geräusch das Gesicht, da es sich anhörte, als würde irgendein Knochen brechen, nur nicht ganz so laut. Trotzdem konnte das nicht angenehm sein, leider war sie wohl daran nicht ganz unschuldig.

„Tut mir leid. Ich wollte dich nicht erschrecken", meinte sie endlich mit einem leisen Seufzen und spülte den Waschlappen aus, um ihn an einer anderen Stelle daraufzulegen, doch dieses Mal warnte sie Zin vor.

„Ich muss allerdings die Verbände einweichen, um dir weitere Verletzungen zu ersparen. Sorry, wenn ich das so schonungslos sage, aber dein Rücken sieht wie ein ausrangierter Kratzbaum aus. Es wundert mich, dass zumindest noch alle deine Rippen und Wirbel heil sind.“

Wieder spülte sie den Waschlappen aus und legte ihn neu auf.

Während sie bei einer Ecke des Verbandes anfing, ihn langsam loszulösen, versuchte sie Zin weiter bei Laune zu halten, damit er sich nicht zu sehr auf das konzentrierte, was sie tat.

Schmerzmittel hin oder her, die Menge war zu gering, als das er gar nichts spüren würde.

„Du hast echt noch nie Rührei gegessen?“, fragte sie daher fröhlich. Und was sollte die Frage, ob das etwas Warmes war?

Violas Blick fiel auf Zins ausgestreckte Hand, mit den langen schlanken Fingern, zwischen denen sie die Schwimmhäute nur allzu deutlich sehen konnte.

„Okay, ich kann mir vorstellen, dass man sowas im Meer nur schwer finden wird. Aber eigentlich hast du bei Rühreiern nichts versäumt. Das ist ziemlich banales Essen. Geht aber so leicht zu machen, dass es wohl das erste Gericht ist, das ich kochen konnte. Und wenn’s für den schnellen Hunger sein soll, ist es gerade das Richtige.“

Der Verband blieb bei einer Naht hängen, so dass Viola noch einmal den Waschlappen auswrang und ihn damit vorsichtig zu lösen begann. Dabei kaute sie konzentriert an ihrer Unterlippe herum, während sie immer wieder Zins Reaktion beobachtete, ob sie ihm nicht zu schlimm wehtat. Leider konnte sie nicht viel daran ändern.

Die Verletzungen mussten verdammt schmerzhaft für ihn sein.

Vorsichtig half sie mit ihren Fingern nach, wobei sie sich am Ende so weit über Zin beugte, dass ihr Haar von ihrer Schulter rutschte und über seinen Arm streifte.

Leicht genervt, weil es sie selbst kitzelte und ihre Konzentration störte, ließ sie noch einmal vom Verband ab, griff in die Hosentasche ihrer Hotpants und holte einen Haargummi hervor.

Damit bändigte sie kurzerhand ihre schwarze Mähne, ehe sie sich wieder auf die eigentliche Aufgabe konzentrierte.
 

Er hatte gerade wenig Lust dazu, sich über Rührei oder anderes Essen zu unterhalten. So sehr, wie ihm die Schmerzen auch in die Magengrube fuhren, konnte Zin sich kaum vorstellen, dass er je wieder etwas Anderes als flüssige Nahrung zu sich nehmen würde. Und auch das nur unter Vorbehalt.

Trotzdem verstand er natürlich, dass es in dieser Situation nicht um Nährwerte oder die Vorteile dieser einfachen Speise ging. Viola wollte einfach nicht ... dass er sich noch genauer vorstellte, wie sein Rücken als „Kratzbaum“ aussah.

Das war der alleinige Grund, aus dem er ihr mit einem flachen „Wenn es langweilig ist ... werd ich es mal versuchen", antwortete.

Nicht unbedingt das Einweichen der Verbände, sondern der Rest wurde zu einer Tortur und schien sich ewig in die Länge zu ziehen. Zin atmete dabei so konzentriert ruhig wie möglich und versuchte sich zu entspannen. Dennoch bekam er jeden Zentimeter, den Viola von den Bandagen befreien musste, sehr genau mit.

Ihm entkam kein Ton dabei, aber an seinem angespannten Nacken und den fest aufeinandergepressten Lippen konnte sie es wohl genauso erkennen, wie an seiner immer wieder stockenden Atmung.

Zin dankte Viola still dafür, dass sie keine Anstalten machte, ihn deshalb zu bemitleiden. Er fühlte sich auch schon so schwach genug.
 

„Wie ist das eigentlich passiert?“, wollte sie schließlich wissen und schälte Zin weiter aus den blutigen Verbänden.

Das, was sie nach und nach freilegte, stimmte sie nicht gerade optimistisch. Eigentlich musste sie sogar ihre Reaktion vor Zin verbergen. Er sollte nicht wissen, was sie von dem Anblick seines Rückens hielt.

Es sah noch schlimmer aus, als sie es in Erinnerung hatte.

Vielleicht lag es nur an dem verschmierten Blut, den dunklen Nähten und seiner zerschundenen Haut, die über und über voller Blutergüsse war. Trotzdem ...

Wie einen Deckel klappte sie kurzerhand den durchnässten Verband auf die Seite, wo sie noch ein Handtuch untergebreitet hatte, ehe sie in geduldiger Kleinstarbeit langsam Zins Rücken wusch, die Wundränder dabei aber ausließ. An denen würde sie zukünftig nur noch mit Jod rangehen. Sie sahen ziemlich entzündet aus.

Scheiße ...

Sie würde ihm Antibiotika besorgen müssen. Dringend!
 

„Wie sieht es aus?“, wollte er in die depressive Stille hinein wissen, die sich ausbreitete, nachdem Viola den Verband entfernt und damit begonnen hatte, seinen Rücken zu waschen.

Mit der Frage wollte er auch die ihre überspielen. Denn selbst wenn er seine Retterin besser gekannt hätte ... Zin war noch lange nicht so weit, über das „wie“ der Verletzungen zu sprechen.
 

Viola hielt bei seiner Frage kurz inne und sah ihn einen Moment lang nur schweigend an, ehe sie mit zusammengepressten Kiefern, weiter die halbwegs unverletzte Haut von den Blutspuren und der Wundflüssigkeit befreite.

„Könnte schlimmer sein", antwortete sie ihm schließlich, klang aber nicht gerade optimistisch.

Nun ja, schlimmer wäre es, wenn er genauso anfällig wie ein Mensch wäre und das wusste sie nicht genau. Andererseits, so wie seine ... Kiemen aussahen ...

„Ich ... bin nur nicht ganz mit den Entzündungsherden zufrieden. Die könnten ein Problem werden, wenn wir das nicht irgendwie in den Griff kriegen.“

Dann könnte er vielleicht sogar noch an einer Blutvergiftung sterben und sowas ging nicht gerade schnell.

Großartig.
 

Er kannte Viola eigentlich überhaupt nicht. Aber allein die paar Worte und das versteckte Zittern darin, sagten ihm, dass sie in gehörigem Maße untertrieb, was seinen Zustand anging. Gut gemeint, aber das half ihnen jetzt wirklich nicht weiter. Entzündungsherde hatte sie gesagt.

Zumindest eine Information, die ihm weiterhalf. Wenn auch nur in dem Maße, dass er eine Idee bekam. Immerhin war das nicht seine erste Verletzung. Wenn er auch zugeben musste, dass es die Schwerste bisher in seinem Leben war.

„Gibt es in deinem Palast ein Becken, das man mit Salzwasser füllen könnte?“

Die Alternative wäre, dass sie ihn ins Meer zurückwarf, wie einen angefressenen Fisch. An sich stellte das gar keine so schlechte Variante dar, wenn sie nur irgendwie verhindern konnten, dass etwas Größeres als ein Putzerfisch sich an Zin gütlich tat. „Es würde mir helfen, darinzuliegen.“

Er könnte sich besser entspannen, seine Haut würde positiv darauf reagieren und wenn sie wirklich ein paar Putzerfische organisieren konnten ...
 

Kurz stutzte sie über seine seltsame Wortwahl, was ihr Zuhause anging, doch Viola zuckte nur innerlich mit den Schultern. Genaue Wortlaute waren jetzt nicht so wichtig, sondern viel mehr, dass sie Zin wieder auf die Beine brachten.

„Ja, ich könnte dir das ermöglichen.“ Allerdings sträubte sich bereits alles in ihr, allein bei dem Gedanken daran, wie sie das bewerkstelligen wollte.

„Brauchst du sonst noch etwas?“, fragte sie daher kühl und packte Tupfer und Jod heraus, ehe sie sich Latexhandschuhe überstreifte, um so sauber wie möglich an den Wunden selbst zu arbeiten.

Die Idee gefiel ihr nicht.
 

Das konnte Zin sogar verstehen. Ihm wäre es inzwischen auch lieber gewesen, er könnte ihr einfach die Last seines zerschundenen Körpers von den Schultern nehmen und in sein Element zurückkehren. Am besten aus eigener Kraft. Dort würde sich auf jeden Fall zeigen, ob er noch fähig zum Leben oder eben nur noch zum Sterben nutze, war.

„Hör zu, es tut mir ehrlich leid, dass ich ... dir solche Umstände mache.“

Aber er konnte einfach nicht anders, als sich an jeden Strohhalm zu klammern, der ihn noch mit einer Überlebenschance verband. Dass diese hübsche Fremde sich als sein Strohhalm herausstellte, war nicht ihre Schuld. Aber vermutlich für sie mehr als lästig. „Nein ... Es reicht ... Salzwasser.“

Vorerst. Und wenn er es dann schaffte, auf eigenen Füßen den Palast zu verlassen, den Strand zu erreichen -

Zischend zog er die Luft ein und konnte sich auch einen aggressiven Klicklaut nicht verkneifen, als er das Beißen an seinen Kiemen erkannte.

Teufelszeug!
 

„Mach dir keinen Kopf deswegen“, meinte Viola nun etwas besänftigt, weil sie ihm zum einen gerade wehtun musste und zum Anderen hatte er sich bei ihr für ihre Umstände entschuldigt. Das war immerhin schon etwas.

„Du bist nicht mein erster Pflegefall, nur eben bei weitem mein größter. Außerdem motiviert es mich nicht gerade, Wasserspielchen zu spielen. Aber egal. Du brauchst ein Salzbad? Dann kriegst du es auch.“

Sie zuckte mit den Schultern und zeigte somit nicht, dass sie sich viel mehr darum sorgte, er könnte es am Ende doch nicht schaffen.

Scheiße, wenn ein Salzwasserbad ihn retten kann, dann würde sie das verdammt noch mal hinnehmen, ohne zu murren.

Da Viola Zin nicht länger quälen wollte als nötig, ging sie rasch und systematisch vor, ohne auf seine Anspannung und die unregelmäßigen Atemstöße zu hören.

Er hatte wahnsinnige Schmerzen. Dazu musste er noch nicht einmal einen Laut von sich geben, auch wenn er sich den auch nicht die ganze Zeit über verkneifen konnte. Sie sah doch, wie er mit der Zeit zu zittern anfing und jeder seiner Muskeln schien bis zum Zerreißen angespannt zu sein.

„So, fertig“, meinte sie schließlich und wischte sich mit dem Unterarm den Schweißfilm von ihrer Stirn.

„Ruh’ dich für einen Moment aus, bis ich alles weggeräumt habe. Danach hole ich dir frisches Wasser und dann sehen wir mal, was sich mit dem Bad machen lässt.“

Viola rutschte vom Bett, streckte kurz ihren verspannten Rücken durch, ehe sie die blutigen Verbände, Mullbinden, Tupfer und auch die feuchten Handtücher zusammenpackte und vor die Tür warf, wo sie sich später darum kümmern würde.

Dann nahm sie noch einmal den Waschlappen zur Hand, wusch ihn gründlich aus und presste ihn so lange aus, bis er nur noch leicht feucht war.

Vor Zins Gesicht ging sie noch einmal in die Hocke und tupfte ihm dann sanft mit dem feuchten Tuch über die Stirn und Wange.

„Hör zu. Wir schaffen das, ja? Schließlich schuldest du mir noch was, weil ich grundsätzlich nichts umsonst mache.“

Sie lächelte.

„Ich glaube übrigens nicht, dass ich so viel Meersalz im Haus habe, also werde ich nachher noch mal kurz wegfahren, damit ich alles Nötige besorgen kann. Versuch derweil noch etwas zu schlafen. Hier bist du sicher, also mach' dir keine Sorgen. Es wird dich keiner stören.“
 

Ihre sanfte Stimme war fast schlimmer, als die gesamten Schmerzen zusammengenommen.

Als Viola ihm mit dem feuchten Stoff über Stirn und Wangen fuhr und auf ihn einredete, wie auf ein schwerkrankes Tier, breitete sich schwelende Wut in Zin aus. Sicher nicht auf Viola, sondern auf ihn selbst, auf seinen kaputten Körper und seinen Kopf, der es nicht einmal schaffte, die Schmerzen unter Kontrolle zu halten. Oder die nette Art einer fremden Retterin so zu filtern, dass sie Zin nicht so hart traf.

Er hatte ... eine Scheißangst.

Da musste er sich nicht selbst auch noch ein Mitleid in Violas Worten erdichten, die ihn noch mehr daran glauben ließen, dass er es - entgegen ihrer Versicherung - nicht schaffen würde.

Um seine Pflegerin allerdings nicht noch weiter zu beunruhigen, lächelte er ein wenig und erkannte erst dann, dass ihm schon die Augen zugefallen waren.

„Ich bezahle ... immer meine Schulden ...“, murmelte er noch mit einem durchaus ernsten Klang in der Stimme, bevor die Behandlung ihren Tribut forderte und er in einen tiefen Schlaf fiel.
 

„Ich verlass’ mich darauf.“ Viola strich mit ihren Fingerspitzen über seine Schläfe, ehe sie einen Seufzer unterdrückte und aufstand.

Sie würde sich beeilen. Umso schneller, umso besser für Zin und vor allem würde sie sich nicht auf ein Salzwasserbad alleine verlassen. Dazu misstraute sie dem nassen Element zu sehr. Wurde also Zeit, dass sie den Gefallen von Ted einforderte, den er ihr schon so lange schuldete.

4. Kapitel

Viola brauchte bei weitem länger, als sie es beabsichtigt hatte. Nicht nur, dass sie sich hatte erkundigen müssen, wie viel Salz man brauchte, um ein Meeresklima im Umfang einer Badewanne herzustellen, es war auch noch schwierig gewesen, Ted davon zu überzeugen, ihr Antibiotika zu verkaufen, obwohl ihr selbst nichts fehlte.

Natürlich alles schwarz unter der Hand, woran er also immer noch anständig verdiente. Aber da der Kerl so ein herzensguter und vor allem ehrlicher Mensch war, fiel ihm das natürlich nicht leicht. Weshalb Viola ihn daran hatte erinnern müssen, wer Ted und seine Ehefrau Mary zusammengebracht hatte.

Sie natürlich.

Daraufhin gab er schließlich nach. Es würde ja keiner erfahren, und nachdem sie ihn weichgekocht hatte, war er sogar noch so nett gewesen, ihr noch ein paar wichtige Gebrauchshinweise und Tipps zu geben.

Mit diesen Ratschlägen und der Medizin im Gepäck fühlte Viola sich bei weitem besser, als mit dem 10-Kilo-Meersalzsack.

Gerade als sie zur Haustür herein kam, klingelte ihr Handy.

Umständlich fummelte sie es aus ihrer Tasche und balancierte dabei den Salzsack auf dem anderen Arm.

„Ja?“

Es war Dan. Ihr Boss.

Fuuuuck ...

„Nein, tut mir leid. Ich wollte gerade anrufen. Mir geht’s heute nicht so gut. Kann nicht jemand anderes für mich einspringen? Tina vielleicht? Ich hab’ letztens ihre Nachtschicht übernommen.“

Auf einem Bein hüpfend, schlüpfte sie aus ihren lose geschnürten Motorradstiefeln und es half dabei sogar, Dan eine überzeugende Geschichte herunterzurasseln, da sie langsam atemlos bei diesen ganzen Kunststücken mit dem Salzsack wurde. Anschließend klemmte Viola sich das Handy zwischen Schulter und Ohr, während sie kurz einen Blick zu Zin ins Zimmer warf, der immer noch zu schlafen schien.

„Ja, das klingt gut. Und tut mir echt leid, dass ich nicht schon früher angerufen habe.“ Sie trug den Salzsack gleich ins Bad, wo sie ihn ächzend auf den Boden gleiten ließ. „Nein, mach dir keine Sorgen. Mir geht’s schon besser. Hm ... In ein paar Tagen vielleicht.“

Sie würde noch ein paar Tage brauchen, bis Zin über den Berg war, oder zumindest klar wurde, ob er es schaffte, oder nicht.

Nun kramte sie hastig mit zittrigen Fingern die Antibiotika aus dem Plastikbeutel, den sie immer noch an ihrem Ellenbogen baumeln hatte.

Die würde sie Zin zuerst geben, bevor sie irgendetwas anderes machten.

„Nein, du brauchst wirklich nicht vorbei zu kommen. Danke. Ich hab mir schon was von Ted geholt. Das wird helfen.“

Das war noch nicht einmal gelogen!

Gott, bitte hör auf zu quatschen.

„Danke noch mal und ja, nächstes Mal melde ich mich früher ... Ist gut. Bis dann.“ Kaum hatte Viola ihr Handy wieder zugeklappt, war ihre Arbeit schon vergessen. So wie sie verschwitzt hatte, dass sie heute die Frühschicht gehabt hätte. Aber sie hatte derzeit ja wohl auch wirklich Wichtigeres zu tun.

Schnell drehte sie das Badewasser auf, nachdem sie den Stöpsel fest in den Abfluss gestopft hatte, danach ging sie rasch zu Zin ins Zimmer und setzte sich wieder zu ihm ans Bett. Bereits die erste Pille in der Hand.

Er würde drei verschiedene Tabletten schlucken müssen und das fünf Mal am Tag. Aber es würde ihm mit seinen Entzündungen helfen.

„Zin?“ Viola strich über sein millimeterkurzes Haar, um ihn sanft zu wecken.
 

Er dämmerte zwischen Wachsein und Schlaf hin und her. Immer wieder erkannte er den Lichtunterschied, obwohl er seine Augen nicht zu öffnen glaubte. War es der Wechsel zwischen Tag und Nacht?

Irgendwann, als er glaubte, beobachtet zu werden, drehte er sich weiter auf die Seite. Aber als er diese Anstrengung hinter sich gebracht hatte, war das Gefühl verschwunden und er konnte sich schon kaum daran erinnern, was es gewesen war.

Seine schlechten Träume klebten an ihm wie Teer. Mit zitternden Wimpern und leicht geöffneten Lippen entsprach seine äußere Haltung keinesfalls dem inneren Kampf, sich an die Oberfläche zu boxen.

Wäre nicht die leise, sanfte Berührung an seinem Kopf, der Geruch nach Wärme ...

Zin schlug die Augen auf und brauchte Sekunden, um sich zu orientieren. Immer noch fühlte er Violas Finger an seinem Nacken und es schmeckte nach Verlust, als sie die Hand zurückzog und sie vor ihm auf die Matratze ablegte.

„Wie lange warst du weg?“

Wie lange war ich weg? Das war, was er eigentlich meinte. Denn er fühlte sich weder ausgeschlafen, noch erholt. Eigentlich waren seine Augenlider so schwer und sein Kopf so dröhnend, als hätte er seinen Zug in kühlere Gewässer hinter sich.
 

„Zwei Stunden. Maximal zweieinhalb.“

Viola hätte sich am liebsten in den Hintern gebissen, da Zin so müde und fertig aussah, als hätte er noch wochenlang schlafen können. Aber das hier war wichtig. Sie würde ihn später ausreichend schlafen lassen.

„Ich lass dir gerade das Wasser für dein Bad ein. Meersalz steht bereit, allerdings musst du mir selbst sagen, wann genug davon drin ist. Und-“

Viola betrachtete die riesige Pille in ihrer Hand, ehe ihr ein Rat von Ted wieder einfiel. „Moment, ich komme gleich wieder.“

Sofort sprang sie auf, nahm die Wasserflasche mit und eilte in die Küche, um das Wasser durch frische Milch zu ersetzen.

Ted hatte gemeint, dass die Tabletten, wenn sie sich auflösten, leichtes Sodbrennen verursachen konnten. Wenn man sie aber mit Milch zu sich nahm, war das kein Thema und da Zin schon genug Probleme hatte, wollte sie ihm wenigstens das ersparen. Schon flitzte sie wieder zu ihm zurück.

„Hier. Ich weiß, die sind wahnsinnig groß. Aber du musst sie schlucken. Sie werden deine Entzündungen von innen heraus bekämpfen.“

Viola drückte auch die anderen zwei Pillen in ihre Hand, ehe sie Zin eine davon zusammen mit der Flasche gab, während sie ihm so gut es ging, dabei half, ihn zu stützen, damit er das Zeug auch wirklich in die richtige Röhre bekam.

„Es kann sein, dass dir davon etwas schwindlig wird und du dich noch müder fühlst. Aber es hilft und das ist das Wichtigste.“
 

Zin schenkte der Pille in Violas Hand nur einen nebensächlichen Blick. Er hatte schon Größeres am Stück geschluckt. Was ihn allerdings für eine Sekunde zögern ließ, war die Aussicht auf Schwindel. Dagegen sträubten sich alle seine kurzen Nackenhaare. Denn er wusste nur zu genau, wann er das letzte Mal so empfunden hatte.

Die Erinnerung an Schreie gellte in seinem Kopf und auch das Gefühl, wie seine Schwimmblase riss ... Der Anblick der taumelnden Fische ...

Er kniff die Augen zu, um die Bilder zu vertreiben.

„Was ist das?“

Es roch anders und war definitiv kein Wasser.

Da Zin sich mit Violas Hilfe zutraute, die Flasche ohne Strohhalm benutzen zu können, spähte er in die kleine Öffnung hinein und dann zu Viola hoch.

„Milch?“

Von ... Ihm fiel der Name nicht ein. Irgendein Tier mit vier Beinen. Ziemlich groß und mit Fell. Es gab es in verschiedenen Farben ... Pferd!

Zufrieden mit sich würgte er die Tablette hinunter, bloß um dann die nächste und die Dritte ohne Murren zu schlucken.

Wenn seine Krankenschwester sagte, es würde helfen ...

„Wie kommen wir ... zu dem Bad?“
 

Viola musste zugeben, dass sie ziemlich erleichtert war, als Zin die drei Pillen geschluckt hatte. Es würde nicht nur ihm helfen, sondern auch ihr eigenes Gemüt etwas beruhigen. So ungern sie Medizin mochte, manchmal half sie wirklich. Vor allem, wenn man nicht so ein starkes Immunsystem wie ein Gestaltwandler hatte. Praktisch jedoch war, wenn man einen im Haus hatte. Denn Zins nächste Frage ließ nichts anderes übrig.

„Du musst aus dem Bett raus. Es ist eigentlich nur aus dem Zimmer, über den Flur, ins Badezimmer. Ich denke, wir schaffen das, wenn wir es langsam angehen. Allerdings muss ich schnell das Wasser abdrehen. Nicht, dass die Wanne noch überläuft.“

Dann hätte sie einen See im Bad, und wenn es einmal so weit kam, wäre der Tag wohl bald für sie gelaufen.

Also lief sie schnell ins Bad. Momentan war die Wanne gut halbvoll, aber spätestens, wenn Zin darin lag, wäre es fast genug.

„Also, denkst du, wir schaffen es bis dorthin?“, wollte sie wissen, während sie Zin die Decke ganz bis zu den Füßen herunter zog und für einen Moment stutzte, als ihr Blick an seinem knackigen Hintern hängen blieb, der nun gänzlich unbedeckt war.

„Hm ...“ Vielleicht sollte sie ihm Shorts oder so geben. Männerklamotten hatte sie genug im Haus, noch aus der Zeit, als sich die meisten Typen hinausschleichen mussten, um ihre Omi nicht zu wecken. Da ließ man schon das eine oder andere Teil liegen.

Andererseits, ein nackter Hintern war zu verkraften, vor allem, wenn er so schön definiert war, wie der von Zin und da sich vorne herum sowieso nicht viel tat, war es eigentlich egal.
 

„Sicher.“

Das war alles, was er dazu sagte. Denn was war denn schon die Alternative? Hier liegen zu bleiben und Viola die Umstände mit dem Salz umsonst gemacht zu haben? Nein. Ganz gewiss nicht. Außerdem war schon allein die Erwartung von Salzwasser auf seiner Haut, dem Gefühl sich hineinlegen und darin ausruhen zu können Grund genug, um es nicht nur zu versuchen.

Mit mehr Motivation als echten Chancen drehte Zin den Kopf auf die andere Seite ... und bemerkte erst dann, dass das so nicht funktionieren würde.

Mist!

Eigentlich hatte er vorgehabt, sich auf die andere Seite zu drehen und sich dann aufzusetzen. Dabei hatte er aber nicht bedacht, dass er sich damit genau auf seine schweren Verletzungen drehen würde. Was diese Variante vollkommen ausschloss. Also leider doch der längere Weg um das Bett herum.

Kommando zurück und die Arme auf die Matratze gestützt, zog Zin seine Beine an, ließ das Rechte vom Bett sinken und versuchte sich gleichzeitig mit den Armen hochzudrücken, ohne das Schmerzfeuerwerk in seinem Rücken zu beachten.

Dass er dabei ein Grollen in seiner Brust einkerkerte, merkte er kaum.

Schmale, aber erstaunlich warme und starke Arme schlangen sich um seinen Oberkörper und Zin holte überrascht Luft, als Viola ihn in die Senkrechte zog und er auf einmal neben ihr auf dem Bett saß.

Mit einem leicht schmerzverzerrten Lächeln sah er auf sie hinunter.
 

Der Kerl hatte vielleicht Nerven!

Da versuchte er doch tatsächlich, selbst hochzukommen, so dass sogar sie sehen konnte, wie sich die Verletzungen auf seinem Rücken anspannten und sich die Nähte strafften.

Scheiße, wenn er so weiter machte, dann ...

Sofort war Viola bei ihm, um seinen armen Rücken zu entlasten und ihn in die Senkrechte zu ziehen.

Obwohl er vermutlich alleine für einen Moment sitzen konnte, hielt sie ihn doch an seinem Oberkörper fest, während sie sich in die richtige Position begab, die es ihnen beiden erleichtern würden, den weiten Weg bis zum Bad zu schaffen.

Viola strich sich ihre Haare über die Schulter und nach vor, ehe sie Zins linken Arm nahm und sich über die Schultern um den Nacken legte.

Ihr nächstes Problem bestand darin, dass sie ihren Arm nicht um seine Taille legen wollte, weil auf seinem Rücken dort ebenfalls Verletzungen waren, die sie dann voll berühren und belasten würde.

Ach, das war alles so verdammt be-

„Warte ... vielleicht geht’s, wenn wir es so machen.“

Viola beugte sich weiter hinunter und zog Zins Arm so weit über ihre Schulter, dass er sie fast im Schwitzkasten hatte. Zugleich drehte sie ihm weiter ihren eigenen Rücken zu und grabschte nach seinem anderen Arm, damit sie ihn so besser fixieren konnte. Sie umschlang ihn mit ihrem eigenen Arm und drückte ihn fest an ihren Bauch.

„Okay, ich ziehe langsam und du versuchst aufzustehen.“

Viola war zwar für eine Frau absolut nicht klein, aber im Gegensatz zu Zins schlanken, hochgewachsenen Körper, ging sie in ihrer gebeugten Haltung fast unter. Zum Glück war sie aber stärker als sie aussah und gerade jetzt war der Größenunterschied von Vorteil, weil sie sich so nicht vollkommen ins Gehege kamen, als sie Zin aus dem Bett auf die Beine zog.
 

Aufstehen hätte er das nicht unbedingt genannt, aber er kam mit Violas Hilfe zumindest auf die Fußsohlen und tat sogar einen wackeligen Schritt vorwärts, bis ihm etwas so hart in die Kiemen trat, dass er sich mit der rechten Hand kurz an Violas schmale Taille klammerte.

Seine Schwimmhäute streiften ihren warmen Bauch und Zin konzentrierte sich für den Moment, den er brauchte, um wieder weiter machen zu können, nur auf den Duft von ihren Haaren.

„Entschuldige. Geht wieder.“

Er lockerte seinen Griff ein wenig, allerdings immer bereit, sich wieder an ihr festzuhalten, falls es nötig sein sollte.

Viola gab die Richtung, Zin die Geschwindigkeit vor, in der sie sich um das Bett herum, den langen Weg bis zur Tür und schließlich auf den Gang hinaus bewegten.

Zin erkannte nichts von dem Palast, der ihn umgab. Er hatte alle Hände voll damit zu tun, durch das Aufblitzen der weißen Flecken vor seinen Augen, überhaupt irgendetwas zu erkennen. Hauptsächlich seine eigenen Füße auf Holzboden, Violas schwarzes Haar, das immer wieder in sein Sichtfeld geriet ... und ein paar Dinge, denen er auf dem Fußboden begegnete.

Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis er kühlen Untergrund unter seinen Sohlen spüren konnte. Vollkommen außer Atem, kurz davor, sich vor Anstrengung zu übergeben und zittrig wie Espenlaub, hellten sich seine Sinne auf, als er Salz riechen konnte.

„Sind wir ... da?“

Anstatt eine Antwort zu bekommen, wurde er auf etwas sehr Kaltem abgesetzt. Sehr schmal war es außerdem ...

„Warte ...“

Seine Augen drehten sich unkontrolliert nach oben und sein Griff um ihren Bauch erschlaffte, bevor Zin sich ins Bewusstsein zurückreißen konnte. Sein Kopf lag schwer auf Violas Schulter, er keuchte so stark, dass er den Geschmack ihrer Haut auf der Zunge hatte.

Ihm war ... verdammt übel.
 

Der Weg schien ihr unendlich weit zu sein. Aber vermutlich nicht einmal halb so weit, wie er Zin vorkommen musste.

Er wurde mit der Zeit immer schwerer, was darauf hinwies, dass er sich unbewusst immer mehr auf sie stützte. Aber genau das war ihre Aufgabe und sie würde ihn nicht fallenlassen. Stattdessen ging sie stur weiter, bis sie es endlich bis zum Rand der Badewanne geschafft hatten.

Erleichtert wollte sie ihn schon darauf niederlassen, als er ihr einfach wegsackte.

Gerade noch so konnte sie ihn fassen und davor bewahren, unsanft in der Wanne zu landen. Dann war er auch schon wieder bei ihr und hielt sich mit zitternden Gliedern an ihr fest, während sein Atem heftig über ihre Haut streichelte.

Für einen Moment hing Viola fest, ehe sie es schaffte sich unter seinem Griff herumzudrehen, so dass sie nun direkt an seinem Kopf vorbei sah und er sie förmlich umarmte, aber das war gut so. Sie musste nur noch ...

Alles in ihr sträubte sich dagegen, als Viola ihren Unterkörper zur Seite schob, ihr Bein über den Rand der Wanne und ins Wasser gleiten ließ, bis sie rittlings auf dem Rand der Badewanne saß.

Gott, wie sie es hasste, schon wieder nass zu werden. Aber Zins rasenden Herzschlag an ihrem Ohr zu hören, lenkte sie zuverlässig davon ab.

„Ruh dich einen Moment aus, ich versuche derweil diesen -“ ... beschissenen Salzsack zufassen zu kriegen.

Viola angelte blind mit ihrem Fuß nach dem Sack, während ihre Hände voll und ganz damit beschäftigt waren, Zin festzuhalten. Eigentlich hätte ihr die Position unangenehm sein sollen, so wie ihr Kopf da an seiner Brust gelehnt und sein Arm immer noch um ihren Nacken geschlungen war. Aber sie mochte seinen Duft, sofern sie den Geruch der Entzündung ignorierte und er war so schön angenehm kühl, ganz im Gegenteil zu ihrer erhitzten Haut, die langsam feucht vor Anstrengung wurde.

Endlich blieb sie mit ihrem Zehen an dem Sack hängen und sie schob ihn mühsam in Reichweite ihres freien Arms.

Zehn Kilo. Das würde sie schon mit einer Hand schaffen.

Allerdings erst beim dritten Versuch landete der Sack auf dem bisschen Platz auf ihrem Schoß, dennoch war es ab hier nicht mehr schwer, mit einer Kralle ein Loch hineinzumachen und mehr als die Hälfte des Inhalts über ihr Bein ins Wasser zu schütten.

Sie rührte mit ihrem Fuß etwas im Wasser herum, während sie angewidert an ihrer Unterlippe nagte und sich ganz allein auf Zins Atmung und seinen Herzschlag zu konzentrieren versuchte.

Na, los. Lös dich schon auf. Komm schon.

Viola spürte zwar nach einer Weile immer noch etwas von dem Salz auf dem Boden der Badewanne unter ihren Zehen, trotzdem blies sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und versuchte zu Zin hochzublicken.

Zwecklos. Sie war total eingekeilt.

„Kannst du mal testen, ob es für dich reicht?“, fragte sie daher gegen seinen Brustkorb.
 

Oh man, er wollte das nicht.

Wie er da so auf Viola hing, vollkommen unfähig seinen eigenen Körper auch nur einigermaßen aufrecht zu halten. Das ging ihm nicht nur gehörig auf die Nerven, es ... machte ihn unheimlich sauer.

Seine Stimmung schwankte zwischen Zorn und Panik hin und her. Je nachdem, wie nah er daran war, sich in sein zukünftiges Bad zu übergeben oder selbst kopfüber und vermutlich ziemlich schmerzhaft hinein zu stürzen.

Als Viola ihn gegen seine Brust murmelnd um einen Wassertest bat, nahm Zin noch einmal all seine Kräfte zusammen, drückte sich am glatten Wannenrand ab und ließ seiner Pflegerin damit etwas Platz, um atmen zu können.

Mit zusammengepressten Lippen und starrem, konzentrierten Blick, sah er sie an. Jeder Atemzug war flach und nur dafür bestimmt, Kontrolle über seinen Magen zu erlangen, der sich immer noch für die Überanstrengung rächen wollte.

Dass sein Rücken sich anfühlte, als bestünde er aus blubbernder Lava, war da fast mit hoch erhobenem Haupt zu ertragen.

„Wirf mich einfach rein. Salz kannst du ... nachschütten.“
 

Viola zog eine ihrer geschwungenen Augenbrauen in die Höhe und sah Zin musternd an. Ja. Ja, jetzt wurde es langsam offensichtlich. Er war sauer. Geschwächt, total am Arsch, aber Hauptsache, er war sauer.

Etwa auf sie?

Viola nahm das jetzt einmal besser nicht an, weil das sofort auf ihr eigenes Gemüt schlagen würde und Zin ihren Zorn im momentanen Zustand nicht aushalten könnte.

„Vergiss es. Ich werf’ dich doch nicht einfach rein!“

Was war er denn bitte schön? Ein Fisch, den sie dann doch noch gnädigerweise vom Haken ließ?

„Halt dich gefälligst an meinen Schultern fest und steig dann mit einem Bein nach dem anderen ins Wasser.“

Sie selbst hatte ihn am Nacken gepackt, nicht gerade sanft, aber zumindest sicher und half ihm so Stück für Stück in die Wanne zu gleiten, selbst erleichtert darüber, dass sie ihr Bein endlich aus dem ekligen Nass herausziehen und wieder ins Trockene stellen konnte.

Weit über ihn gebeugt, half sie ihm dabei, sich vorsichtig mit dem Rücken hinzulegen und schnappte sich noch schnell ein Handtuch, das sie zusammenrollte und Zin in den Nacken schob, damit sein Rücken nicht zu stark belastet wurde.

Dann setzte sie sich wieder auf den Rand der Wanne und betrachtete ihn einen Moment lang still.

„Besser so?“
 

Als der erwartete Schmerz aufbrandete, schloss Zin die Augen. Schon in die paar Schrammen an seinen Beinen biss das Salz unangenehm, aber das war noch nichts im Vergleich dazu, wie es sich anfühlte, als sein Po den abgeflachten Rand der Wanne berührte und er Stückchen für Stückchen immer weiter ins Wasser rutschte. Wie Schlangen fraß das Salzwasser sich an seinen Wunden fest, drang in seine Kiemen und ließ Zin die Zähne so fest aufeinander beißen, dass seine Kiefer knackten.

Es würde aufhören. Irgendwann würde sich die Haut daran gewöhnen, das Salz würde seine Wirkung tun und die schlimmsten Wunden würden sich mit einer dämpfenden Schicht überziehen, die es erträglicher machte.

Die Wanne gab ein quietschendes Geräusch von sich, als Zin ganz hineinrutschte und seinen Kopf dankbar auf den Stoff bettete, den Viola wieder irgendwo hervor gezaubert hatte.

Immer noch mit geschlossenen Augen runzelte er seine Nase, als Violas Haare sie kitzelnd streiften. Dann ... war ihre Gegenwart verschwunden.

„Besser so?“

Auf ihre Frage hätte er beinahe mit „Nein“ geantwortet. Aber eigentlich wusste er gar nicht, wieso.

Etwas verwirrt öffnete er die Augen wieder, sah zu ihr hoch und nickte dann schwach, weil er seiner Stimme noch nicht ganz über den Weg traute.

Es würde besser werden. Gerade jetzt fühlte er sich noch wie auf einem Nagelbett. Aber das gewohnte Gefühl von Losgelöstheit und Vertrautheit schlich sich ein und Zin konnte wenigstens ruhiger atmen.

„Vielen Dank“, meinte er kratzig. „Das Wasser ist fast perfekt so.“
 

„Gut.“ Mehr konnte Viola dazu nicht sagen, weil sie sonst vielleicht deutlich gemacht hätte, wie viel Sorgen ihr sein Erscheinungsbild machte. Er war ebenso blass, wie grünlich um die Nase und seine Augen glänzten etwas, als könne er nur mit Müh und Not deutlichere Anzeichen auf seine Schmerzen verbergen.

Es hätte ihr auch nichts ausgemacht, wenn er vor sich hingejammert hätte.

Harter Kerl.

Viola kam wieder auf die Beine, ging zu einem der Badezimmerschränke hinüber und kramte einen leeren Zahnputzbecher hervor. Den füllte sie dann bis zum Rand mit Salz und stellte ihn auf den Rand der Wanne.

„Hier, du kannst dir selbst noch nachnehmen, wenn du noch mehr brauchst. Ich werde dann ein paar Sachen erledigen gehen. Wenn du was brauchst, ich bin ganz in der Nähe. Aber versuch dich etwas auszuruhen. Ich weck’ dich dann später, wenn die nächste Runde Tabletten fällig ist und falls du dann etwas essen möchtest, werde ich dir etwas machen.“

Viola nahm alles mit, was sie entsorgen wollte, ließ allerdings die Tür offen, damit Zin sich nicht so isoliert in ihrem Badezimmer vorkam.

Danach leerte sie erst einmal die Flasche mit dem ... besonderen Inhalt weg. Verbrannte die benutzten Verbände im Kamin, steckte Handtücher und Bettwäsche in die Waschmaschine, damit er später frisches Bettzeug hatte, wenn Zin es wieder bis ins Bett schaffte.

Eigentlich hätte es ja für sie seltsam erscheinen müssen, dass er sich in Wasser legen wollte, um dort besser zu genesen, aber wenn man es einmal von allen Seiten betrachtete, war es eigentlich nur logisch.

Er war an ihren Strand gespült worden, hatte Kiemen und Schwimmhäute. Wasser musste also hauptsächlich seinen Lebensraum bestimmen, so wie Wald und Bäume, es bei ihr taten. Nein, sie fand das alles sogar ziemlich richtig.

Flocke saß schon in der Warteposition neben ihrer Futterschüssel und blickte Viola so mitleiderregend an, dass sie nicht anders konnte, als alles stehen und liegen zu lassen, um ihre süße Kleine zu füttern.

„Na, hattest du gestern eine schöne Nacht?“, fragte sie ihre Süße leise, während sie aus dem Kühlschrank eine Tuberbox mit gekochten Hühnerherzen und -lebern herausholte, um ihr ein paar davon in die Schüssel zu geben.

Dosenfutter gab es bei Viola grundsätzlich nicht für Katzen. Was da alles für Mist drin war, wollte sie gar nicht erst wissen. Außerdem verdiente Flocke das Beste, was eine Katze kriegen konnte und das Auge aß am Ende schließlich auch noch mit. Das durfte man nicht außer Acht lassen.

Zudem ekelte Dosenfutter sie schlichtweg an.

Dazu bekam Flocke noch ein Schälchen Katzenmilch und ein paar Streicheleinheiten, ehe Viola sich wieder an die Arbeit machte.

So viel geputzt wie in der letzten Zeit, hatte sie schon lange nicht mehr. Aber gerade wenn es um Verletzte ging, musste man sehr auf Sauberkeit achten. Daran würde sie sich halten. Ganz entgegen ihren Gewohnheiten.
 

Zin sah an die Decke, die ein paar Flecken aufzuweisen hatte und wackelte mit den Fingern im Wasser. Kleine Wirbel ergaben sich daraus, die an seinen Seiten kitzelten und ihm so etwas, wie Wohlbehagen vorgaukeln konnten.

War das zu glauben?

Er lag in Violas Badezimmer, in einer Wanne mit Salzwasser und sollte sich ausruhen. Sein Blick wanderte an der Wand entlang nach unten, bis zu den Armaturen, die dafür benutzt werden konnten, mehr Wasser in die Wanne zu lassen. Das hatte er schon einmal gesehen. Aber ausprobiert hatte er es noch nicht.

Würde er später. Im Moment war ihm mehr nach ... schlafen.

Nicht nur, weil Viola ihm dazu geraten hatte, sondern auch, weil Zin sich nach diesem abenteuerlichen Lauf durch ihren Palast so fühlte, als hingen an jedem seiner Muskeln zusätzliche Gewichte, schloss er schließlich die Augen.

Seine Wunden brannten, sein Rücken fühlte sich aufgerissen und unnütz an. Dabei hätte er so gern ...

Er rutschte noch ein Stück nach unten, spürte, wie das Wasser zuerst seine Brust hinauf, dann zu seinem Kinn und noch höher stieg.

Zin winkelte die Beine an, hängte eines über den Wannenrand nach draußen und ließ sich dafür mit dem Kopf ganz unter Wasser sinken, wo er seine Kieferkiemen aufstellte und versuchte zu atmen.

Es war nicht viel Sauerstoff im Wasser. Und außerdem brannte es selbst auf der einigermaßen gesunden Seite wie Höllenfeuer. Und es schmeckte nach Rost. Trotzdem war es unglaublich ... gut, wieder in seinem Element zu sein. Es würde helfen. Ganz bestimmt.

5. Kapitel

Irgendwann, als es für Viola nichts mehr zu tun gab, was derzeit wichtig gewesen wäre und sie interessiert hätte, sah sie wieder nach Zin.

Fast wäre sie vor Schreck gestorben, als sie nur noch sein Bein aus der Wanne hängen sah, ganz so, als wäre er ertrunken. Der Anblick, der sich ihr dann beim Näherkommen bot, ließ ihr Herz sogar noch mehr rasen.

Reglos lag der Fremde im leicht rosafarbenen Wasser. Die Augen geschlossen, jeder Muskel erschlafft, allein die Bewegung an seinem Kiefer zog ihre Aufmerksamkeit auf sich und Viola kam noch näher, um es sich anzusehen.

Erst nach mehrmaligem Hinsehen erkannte sie, dass er auch hier Kiemen hatte. Allerdings waren sie sonst gut versteckt in so einer Art Hautlappen oder wohl einfach nur zugeklappt. Auf alle Fälle waren sie ihr bisher nicht aufgefallen, nun aber war es das einzige Zeichen an ihm, das sie langsam wieder zu beruhigen begann.

Da es in ihrer Badewanne unmöglich eine Strömung gab, musste er es sein, der diese Bewegung verursachte, folglich war er nicht tot.

Gott sei Dank.

Für einen Moment hätte Viola nicht gewusst, was sie sonst getan hätte.

Eine Weile beobachtete sie ihn noch beim Schlafen, als ihr Blick dann allerdings an ihm herab nach unten zu tendieren begann, drehte sie sich um und ging, um sich eine Beschäftigung zu suchen.

Außerdem war es so verdammt still im Haus. Das war sie überhaupt nicht gewohnt, weshalb Viola letztendlich ihren iPod und das Kästchen mit ihren verschiedenfarbigen Nagellackfläschchen holte.

Sie machte es sich auf dem geschlossenen Klodeckel bequem und begann sich zuerst um ihre Zehennägel zu kümmern, während leise Musik durch ihre Ohrstöpsel wummerte.

Erst ablackieren, dann feilen, polieren, Watte dazwischen gestopft und schließlich trug sie silberfarbenen Nagellack auf, da der so schön glitzerte. Überhaupt liebte sie alles, was glitzerte und die Tätigkeit entspannte sie.

Hin und wieder warf sie einen Blick zu Zins Bein hinüber, konzentrierte sich dann aber wieder auf ihre Schönheitspflege, die sie von ihren Sorgen um ihn ablenkte. Dazu sang sie leise zu der Musik in ihrem Ohr und wippte mit dem Kopf.

Eigentlich ... war fast alles in Ordnung, wenn sie sich ganz fest anstrengte, doch dann wurde es Zeit für Zins Tabletten und ihre Ruhe war wieder vorüber.

Mit den Tablettenschachteln und frischer Milch in der Hand kam sie schließlich zur Badewanne hinüber und sah etwas ratlos auf Zin herab.

Wie weckte man jemanden, der unter Wasser schlief?

Ein kurzes Schulterzucken.

Vermutlich wie jeden anderen auch, also beugte sie sich über die Wanne, gerade so, dass ihre Haarspitzen nicht die Wasseroberfläche streiften und berührte Zins Wange.
 

Sofort, als er auch nur eine Kräuselung der Wasseroberfläche bemerkte, wachte Zin auf. Ihm war das erste Mal auf Anhieb klar, wo er sich befand und dass er mindestens ein paar Stunden geschlafen haben musste.

Als Finger seine Wange berührten, öffnete Zin langsam die Augen und er konnte durch sein geschlossenes drittes Lid, ein menschliches Schema über sich erkennen.

Viola, wer sonst?

Da Zin klar war, dass sie seine Sprache nicht verstand und er ihre nicht sprechen konnte, solange er unter Wasser war, zog er sein Bein wieder ins Wasser, drückte seine Füße gegen das Ende der Wanne und schob sich so weit hoch, dass sein Kopf auftauchte und er Viola schwach anlächeln konnte.

„Hallo.“

Der Gesprächseinstieg war bestimmt bald abgeschmackt, wenn er noch länger in ihrem Haus blieb. Und sie die Einzige, die er zu Gesicht bekam. Aber was hätte er sonst sagen sollen?

Es war das erste Mal, dass Zin sich vor Viola diese Gedanken machte. Dass er reflektierte, welches Bild sie sich wohl von ihm machte und ... wie übel er dabei wegkam.

„Wie geht’s dir?“

Sein Lächeln wurde bei ihrem Gesichtsausdruck um Einiges breiter und Zin versuchte die Situation, die durchaus ins Peinliche abdriften konnte, durch einen weiteren Satz zu retten.

„Das Wasser ist ... gut.“

Voll daneben. Zin beglückwünschte sich zu seiner außerordentlich charmanten, weltmännischen Wortwahl und versuchte dabei nicht allzu gequält auszusehen. Vielleicht half ihm diesmal Violas Hang zum Reden weiter.
 

Er fragte sie tatsächlich, wie es ihr ging?

„Ganz gut soweit. Vielleicht schon etwas zu heiß hier drin, aber ansonsten, ganz okay.“

Sie lächelte einen Moment, weil ihn das überhaupt interessiert hatte. Aber vermutlich war er da wie alle Männer. Er fragte der Höflichkeit halber, obwohl es ihn einen Scheiß interessierte. Sie würde es ihm nicht nachtragen.
 

„Magst du es denn nicht, wenn es heiß ist?“

Zin legte den Kopf ein bisschen schräg, damit ein Schluck Wasser aus den Kiemen an seinem Hals laufen konnte. Und außerdem war er wirklich daran interessiert, ob Viola sich in diesem Klima wohlfühlte. Immerhin lebte sie hier, hatte einen festen Wohnsitz und Zin nahm an, dass das für sie als menschliche Frau etwas zu bedeuten hatte. Auch wenn er wusste, dass es auch bei ihnen die Einen und die Anderen gab. Manche mochten es, sesshaft zu sein. Für Wenige war es auch überhaupt nicht von Bedeutung.

„Normalerweise wäre ich jetzt schon gar nicht mehr in dieser heißen Gegend, sondern unterwegs in Richtung Pol.“

Ja. Wäre da nicht ...
 

Aufmunternd, um den Patienten zu motivieren, behielt Viola auch weiterhin das Lächeln im Gesicht, während sie sich mit überschlagenen Beinen auf den Wannenrand setzte.

„Hier, ich hab dir wieder deine Folterinstrumente mitgebracht, aber wenn du jetzt Hunger hast, könnte ich dir schnell was machen. Vielleicht schmecken die dann nicht gar so übel.“

Sie hielt Zin die Tabletten hin, während sie über seine Frage nachdachte.

„Ach, eigentlich liebe ich die Sonne, und wenn es schön warm ist“, gab Viola ehrlich zu, während sie Zin eine Tablette nach der anderen reichte und jedes Mal dazwischen das Glas mit der Milch.

Dabei beobachtete sie seine Hand mit den Schwimmhäuten fasziniert, aber unauffällig und fragte sich insgeheim, was noch so alles anders an ihm war.

„Allerdings bin ich dann meistens draußen, lass mich von der Sonne bescheinen oder döse im Schatten. Sehr angenehm ist es dann auch, wenn frischer Wind einen abkühlt. Aber hier im Haus ist es einfach nur heiß.“

Und es fehlten die frischen Umgebungsdüfte, die Geräusche, die aus dem Wald kamen, auch wenn man selbst hier noch schwach das Rauschen des Meeres hören konnte. Aber es war eben kein Ersatz dafür, draußen zu sein. Nur das würde sie Zin jetzt sicherlich nicht auf die Nase binden, weil er sonst auch noch ein schlechtes Gewissen davon bekam, dass er sie zwang, hier im Haus bei ihm zu bleiben.

Dabei war das im Grunde kein Problem. Ihre Sorge und Neugierde hielt sie bei ihm. Das war alles.

Kurz musterte sie noch einmal ihre lackierten Zehennägel.

Sie sollte trotzdem ihre Flipflops vom Strand holen, bevor sie irgendwie verschwinden konnten.

„Und bei dir? Irgendwelche Besserung in Sicht? Brauchst du vielleicht noch etwas? Hast du einen Wunsch?“

Vielleicht eine Badehose?

Kaum, dass Zin wieder ansprechbar war, wollte Violas Verstand auch schon wieder mehr in ihm sehen, als einen Sorgenfall. Sein markantes Gesicht faszinierte sie ebenso sehr, wie der tiefe Ausdruck seiner Augen, und obwohl sie Krallen statt Schwimmhäute hatte, stieß sie das ganz und gar nicht ab. Nein, eigentlich fragte sie sich, wie sich die Teile wohl anfühlten. Weich und nachgiebig? Oder doch robust oder rau?

Mal ganz von der absoluten Absonderlichkeit seiner Körpermitte abgesehen, zu der sie sich sogar ziemlich zwingen musste, nicht hinzublicken.

Nicht nur, dass es extrem unhöflich und in seiner Situation mehr als unpassend war, es sollte sie auch nicht interessieren.

Aber bei Gott, so neugierig war sie noch nicht mal bei einem Kerl gewesen, bei dem man schon von weitem Sehen konnte, was für ein Mordsteil er da hin der Hose herumtrug.

Zudem kamen dann völlig unangebrachte Fragen, wie: Wie pinkelt er eigentlich? Sehen bei ihm alle Männer so aus? Wie sind dann wohl die Frauen gebaut? Gibt es überhaupt Frauen bei seiner Art? Wenn ja, wie soll man da Spaß beim Sex haben? Oder hatten da die Frauen die entsprechenden Teile?

Bei dem Gedanken musste Viola gezwungenermaßen kurz grinsen.

Nein. Das war einfach zu verrückt. Allerdings, wenn bei den Seepferdchen die Männer den Nachwuchs bekamen und manche Tiere sogar je nach Bedarf das Geschlecht wechseln konnten, warum eigentlich nicht?

Mutternatur schien nichts unmöglich zu sein.

Trotzdem fand sie ihre Gedanken mehr als albern, was wiederum darauf hinwies, dass sie sich mehr Sorgen machte, als sie sollte. Und sie war immer noch nervös ob Zins Zustandes.
 

Wieder hatte Zin Glück und Viola lenkte ihn von seinen düsteren Gedanken mit einer weiteren Frage ab. Und er musste weder über die Formulierung noch die Antwort besonders lange nachdenken.

„Ja, es geht besser. Mein Kopf ist freier. Vielleicht sind das schon die ... Tabletten?“

Er sah beim letzten Wort auf ihre Hand. Wenn er das falsche Wort benutzt hatte, würde sie ihn verbessern, da war Zin sich sicher. Und wenn es so war, würde er diesen Fehler nie wieder machen. So etwas merkte er sich.

„Was den Rücken angeht ...“ Er sah, wie Violas Haltung sich änderte, kaum dass er das Thema ansprach und Zin wunderte sich, ob sie sich tatsächlich so viel Sorgen um ihn machte. Wenn ja, dann ...

„Er ist auch besser.“

Zin machte sich lieber keine Gedanken darüber, warum er nur halb ehrlich zu Viola war, um nicht noch mehr Sorgenfalten auf ihrer Stirn und über ihrer süßen Nase sehen zu müssen.

Stattdessen ging er auf ein anderes Thema ein, das sie nur am Rande gestreift hatte.

„Würdest du denn auch etwas essen?“
 

Dass es ihm besser ging, freute sie, allerdings würde sie wohl erst wieder richtig aufatmen, wenn er auf eigenen Beinen stehen konnte und sein Rücken keinem blutigen Schlachtfeld mehr glich.

Wenigstens hielten die Nähte. Eine Technik, die ihr Ben beigebracht hatte.

Wenn er schon als Vater nichts taugte, als inoffizieller Arzt für ihre eigene Spezies war er immer zu gebrauchen.

Zin holte sie aus ihren Gedanken zurück, woraufhin sie sofort wieder zu lächeln begann. Überhaupt lachte sie oft und gerne. Trübsal zu blasen, lag ihr gar nicht.

„Klar. Ich habe sogar schon tierischen Hunger. Also wenn’s dir nichts ausmacht, mach’ ich uns schnell was und dann bin ich gleich wieder da.“

Sofort sprang Viola von der Wanne auf, drehte sich aber noch einmal um, um Zin ein Lächeln zu schenken. „Lauf mir ja nicht weg.“

Sie zwinkerte ihm zu und rauschte in die Küche.
 

Schmunzelnd tat Zin nichts dergleichen, sondern blieb in der Wanne sitzen und sah sich im Raum um, während er auf Violas Rückkehr wartete. Sein Rücken spannte nur ein wenig, als er sich streckte, um eine der vielen halbvollen Flaschen auf dem Fensterbrett über ihm zu erreichen.

Es war ein halb durchsichtiges Behältnis mit einem Bild darauf, das eine Frucht zeigte, die in eine milchige Flüssigkeit fiel.

Zin hatte keine Idee, was das für Zeug sein könnte. Daher öffnete er den Deckel mit einem Klacken und roch vorsichtig an der Flasche. Er zog die Augenbrauen hoch. Das roch gar nicht nach Milch. Sondern nach ... einer Fruchtmischung mit ... etwas Fettigem.

Er schloss den Deckel wieder und stellte die Flasche dann an ihren Platz zu den Anderen zurück. „Aromapflege“ hatte auf dem Aufkleber gestanden.

Zin nahm sich vor, nachher noch einmal unauffällig an Viola zu schnuppern. Die Flaschen gehörten vielleicht alle ihr? Mochte sie ... solche falschen Früchte?
 

Rührei war jetzt wirklich eine gute Idee. Allerdings würde Viola noch etwas Gemüse und Zwiebeln dazu mischen, damit das alles mehr Gewicht hatte.

Vor sich hinsummend, um ihre gute Laune nicht zu verlieren, da Zin jetzt schon wacher auf sie gewirkt hatte, rührte sie Eier in einer Schüssel zusammen, schnippelte noch anständig Paprika, Zwiebeln und auch etwas Speck hinein und warf dann alles zum Braten in eine große Pfanne.

Sie brauchte vielleicht fünfzehn Minuten dafür, ehe sie alles auf zwei tiefe Teller anrichtete und mit zwei Gabeln zurück ins Bad kam. Einen Sessel in der einen, die zwei Teller und das Besteck in der anderen Hand.

Sie war ja schließlich nicht umsonst Kellnerin!

„So, der Herr. Das Essen ist angerichtet.“
 

Ein ganz anderer Geruch schlug ihm entgegen, als er Viola auf den knarzenden Dielen des Flurs kommen hörte.

Es ... duftete. Nach Salz und vielen verschiedenen, anderen Dingen. Jedenfalls nicht schlecht, wenn auch ziemlich unbekannt.

Trotzdem erwartete Zin Viola mit einem Lächeln und musste sich zusammenreißen, sich nicht aus Reflex in der Wanne nach vorne zu lehnen, weil er ihr mit dem Stuhl oder den Tellern helfen wollte.

Schon bei der kleinsten Bewegung machte sein Rücken ihm klar, dass er auf Gentleman-Gehabe leider gerade verzichten musste. So sehr ihn das auch ärgern mochte.

Umso freundlicher lächelte er Viola an und setzte sich einigermaßen gerade im Wasser auf.

„Vielen Dank. Das ist wirklich nett von dir.“

Er spähte auf die Sachen in Violas Hand und konnte sein Interesse nun wirklich nicht mehr verbergen.

„Und das ist Rührei?“
 

Viola stellte ihm seinen Teller auf den Rand der Badewanne und gab ihm die Gabel. „Genau. Rührei mit Speck, Zwiebeln und Paprika.“

Sie pflanzte sich auf den Stuhl und stützte ihre Füße weiter unten am Rand der Badewanne ab.

„Ich kann noch immer nicht fassen, dass du so etwas noch nie gegessen hast. Ich muss das ungefähr schon tausendmal gegessen haben. Was wiederum klar macht, wie wenig Zeit ich manchmal zum Kochen habe.“

Etwas nachdenklich stocherte sie in ihrem Ei herum, ehe sie sich ein Stück Speck herauspickte und in den Mund schob. Dann zuckte sie einfach mit den Schultern. Sie war eben oft beschäftigt.

„Und dir ist es am Pol nicht zu kalt? Ich meine, da schwimmen doch Eisschollen und so herum, oder?“, begann sie zwanglos zu plaudern und auch um auf Zins Worte von vorhin einzugehen.

„Hey, siehst du auch öfter Schwertwale? Also die schwarzen Wale mit dieser schönen weißen Zeichnung? Ich finde die total schön. Soweit ich gelesen habe, können sie aber auch ganz schön brutal sein. Aber das tut ihrer Schönheit ja keinen Abbruch.“

Gott, sie sollte nicht so viel quatschen, aber ... ihr fiel es auch schwer, einfach nur zu schweigen. Das Schweigen am Tisch mit ihrem Vater war ihr beim Essen immer mehr als verhasst gewesen. Klar hatten sie sich nichts mehr zu sagen gehabt, als ihre Mutter abgehauen war, aber trotzdem.
 

Die Gabel nahm er noch voller Zuversicht in die Hand, aber als dann der Teller ungewöhnlich warm auf seinen gespreizten Fingern lag, sah Zin doch mit einer gehörigen Portion Skepsis auf sein Essen hinunter. Es roch gut. Aber es war gleichzeitig auch so ... warm. Dämpfe stiegen davon hoch und in seine Nase. Wenn er seinen Mund öffnete, konnte er das Essen schon auf seiner Zunge schmecken, bevor er es gekostet hatte. Das war ungewöhnlich und merkwürdig.

Deshalb nahm er Violas Frage auch zum Anlass, das Probieren noch etwas zu verschieben. Selbst wenn ihn das Nachdenken über die Reise zum Pol an etwas Anderes erinnerte, mit dem er sich nicht beschäftigen wollte. Aber das Eine konnte er mit viel Mühe vom Zweiten trennen. Auch wenn es ihm dann schwerer fiel, Viola anzusehen, wenn er sprach.

„Bis an das Eis kommen wir selten heran. Es geht nur darum, dass die Fischgründe hier während der heißen Jahreszeit ausdünnen. In kälteren Gewässern gibt es mehr zu essen.“

Als sie von den Schwertwalen mit einer kindlichen Begeisterung sprach, die Zin ein Kitzeln in die Mundwinkel jagte, sah er doch wieder auf und begegnete ihren schönen Augen.

„Sie sind schön, da gebe ich dir Recht. Und sie können auch sehr sanft und freundlich sein. Das, was Menschen allgemein grausam nennen, hat mit ihrem Spieltrieb zu tun, den sie auch nicht verlieren, wenn sie auf Jagd sind.“

Er unterdrückte ein Schulterzucken, weil er Viola nicht beleidigen wollte.

Einem ‚Killerwal‘ dabei zuzusehen, wie er mit einem Opfer spielte, war auch wirklich alles Andere als schön. Aber er tat es nicht aus grausamen Gründen. Dafür war sein Hirn gar nicht groß genug.

„Ja, das stimmt schon“, gab Viola ihm recht. „Ist wohl auch wie bei Katzen. Wenn man denen zusieht, wie sie mit lebenden Mäusen umgehen, denkt man auch, sie seien grausam. Aber gerade das macht für sie doch den Reiz des Spiels aus. Es bewegt sich, es gibt Laute von sich und man kann es herumschubsen. Menschen machen noch sehr viel grausamere Dinge, als es Tiere überhaupt könnten.“

Es entstand eine kurze Pause, die Viola auch jetzt wieder gekonnt, mit einer weiteren Frage überbrückte.

„Und, wie schmeckt es dir?“, wollte sie schließlich von ihm wissen, nachdem er sein Essen immer noch nicht angerührt hatte.

Zin sah Viola überrascht an, bloß um seinen Teller erneut zu mustern und die Gabel fester zu fassen.

Sie hatte es für ihn zubereitet. Da würde er es auch probieren. Selbst wenn es ... so ähnlich schmecken sollte, wie ihr Wasser.

Vorsichtig, als könne er sich schon von Weitem daran die Zunge verbrennen, hielt er das Stückchen Rührei auf Abstand, pustete konzentriert und lange darauf und hielt es dann zuerst an die Lippen, um die Temperatur zu testen.

Es war ... tatsächlich warm.

Der winzige, warme Bissen landete in Zins Mund, lag auf seiner Zunge und entlockte ihm nach zurückhaltendem Kauen ein neutrales „Hm“.
 

Viola versuchte nicht allzu neugierig zu schauen, während sie Zin dabei zusah, wie er erst lange ein Stück Ei anpustete, um es zu kühlen und dann nur zaghaft in den Mund nahm.

Als dann nur ein einfaches „Hm“ kam, wusste sie nicht so recht, wie sie jetzt reagieren sollte.

„Auf jeden Fall besser, als wenn du es gleich wieder ausgespuckt hättest. So schlimm kann es also doch nicht sein“, meinte sie scherzend und nahm selber noch einen großen Bissen. Sie war wirklich verdammt hungrig, schließlich hatte sie seit dem Morgen noch nichts gegessen.

„Und du lebst tatsächlich die ganze Zeit im Meer? Ich meine, bevor du an meinen Strand gespült wurdest, hatte ich nicht den blassesten Schimmer, dass es so ... jemanden, wie dich gibt.“ Sie hätte beinahe 'so etwas' gesagt. Aber er war kein Es, sondern ein Er.

Darauf legte sie bei ihrer eigenen Art auch immer wert. Nur weil sie keine banalen Menschen waren, hieß das noch lange nicht, dass sie weniger als das waren. Eigentlich waren sie sogar mehr.
 

Beinahe wäre ihm das nächste, winzig kleine Stückchen Ei ins Wasser gefallen.

„Nein, ich ... Es ist lecker.“

Wäre es vielleicht, wenn er sich mehr auf den Geschmack und weniger auf den ... Zustand des Essens konzentrieren würde. Er wollte Viola auch bestimmt nicht beleidigen. Deshalb sah er sich an, wie viel sie von dem Rührei auf ihre Gabel nahm und steckte sich dann in etwa die gleiche Menge in den Mund und kaute.

Ja, tatsächlich. Das war lecker!

Kauend lächelte er sein Gegenüber an und nickte sogar bekräftigend, bevor er hinunterschluckte und sich Gedanken darüber machte, wie detailliert er Violas Frage beantworten sollte.

„Ich lebe die meiste Zeit im Wasser, ja. Nicht nur im Meer, sondern auch in Deltas, Flüssen und Seen, wenn sie groß genug sind, um neugierige Blicke zu vermeiden. Aber normalerweise bin ich nicht an Stränden oder noch weiter landeinwärts unterwegs. Dass ich an deinen Strand gespült wurde, war ...“

Er sah grübelnd auf seine Gabel hinab. Ja, was war es denn gewesen? Glück? Oder genau das Gegenteil davon?

Zins Augen blickten auf und sein Blick legte sich auf Violas hübsches Gesicht. Der Ausdruck in seinem eigenen war traurig und doch ... war etwas dabei, das ihm noch neu und ziemlich unbegreiflich war.

„Das Meer hatte wohl Mitleid mit mir.“
 

Viola hatte bereits den Mund geöffnet, um ihn noch einmal zu fragen, was denn passiert sei. Doch der Ausdruck in seinen Augen und die Tatsache, dass er ihr beim ersten Mal nicht geantwortet hatte, hielten sie zurück.

Er erholte sich noch von den schweren körperlichen Verletzungen. Sie wusste nicht, wie tief seine seelischen waren.

Statt der Frage, die sie hatte stellen wollen, nahm sie noch einen nachdenklichen Bissen von dem Ei und kaute ihn gründlicher, als es nötig war.

„Das kann ich mir gar nicht vorstellen“, meinte sie schließlich und sah wieder hoch, um ihre Worte zu erklären, da sie doch absolut nichtssagend waren.

„Ich meine, dass ich ständig im Wasser sein müsste. Ich ... kann Wasser nicht ausstehen. Genauso wenig wie Regen. Alles ist dann nass und einfach igitt ... Nein, wäre ganz und gar nicht meine Welt. Aber ich habe ja auch keine Kiemen, Schwimmhäute und ...“

Sie dachte kurz an seine fehlenden Attribute.

„... dieses dritte Augenlied.“

Das war zwar nicht das, was sie gemeint hatte, aber das konnte Zin ja nicht wissen.

„Und dann auch noch die Sache mit dem immerkalten Essen. Hm ... Ich mag ab und zu was Warmes, obwohl ich Fisch total gerne habe. Davon könnte ich so viel essen, bis ich beinahe platze. Obwohl ich das natürlich vermutlich nicht sollte.“

Mit einem breiten Grinsen klopfte Viola auf ihr nicht vorhandenes Bäuchlein. Aber das kam schließlich auch nicht von irgendwoher.
 

Nachdem er nun Geschmack daran gefunden hatte, stopfte Zin sich noch eine große Portion Ei in den Mund, schob das warme Paprikastückchen mit der Zunge hin und her und kaute dann mit Genuss, bevor er Viola durchdringend ansah.

Sie konnte Wasser nicht ausstehen?

Das schockierte ihn ein bisschen. Aber so locker, wie Viola diese Tatsache nahm, obwohl sie nur wenige Meter vom Wasser entfernt wohnte, schien sie damit zurechtzukommen. Auch wenn ihre Abscheu etwas war, das Zin wohl niemals würde verstehen können.

Trotzdem hob er mit einem interessierten Blick seine eigene Hand, spreizte die Finger und warf dann ein Auge auf Violas kleine Gliedmaßen, die so elegant die Gabel hielten und auf ihren absolut flachen Bauch klopften.

„Isst du den Fisch kalt und roh?“

Etwas wirklich Fragendes mischte sich in seine Stimme. Denn er hatte nur von sehr wenigen Menschen gehört, die große Mengen Fleisch oder Fisch roh zu sich nahmen.

Das war sogar schädlich für ihr System, weil sie nicht so widerstandsfähig gegenüber Bakterien waren wie Zins eigene Art.
 

„Nein, natürlich esse ich den Fisch nicht immer kalt und roh. Sushi ist zwar lecker, aber ich mag auch gebratenen Fisch, gekochten Fisch, überbackenen Fisch ... eigentlich alles, was man so mit Fisch machen kann.“

Und wenn Viola einmal wirklich rohen, blutigen Fisch aß, dann war sie auf vier Pfoten unterwegs und nicht auf zwei Beinen. Aber das würde sie Zin nicht auf die Nase binden.

Er hatte seine Geheimnisse. Sie hatte die ihren.

Wenigstens schien es ihm zu schmecken, so wie sich nun langsam sein Teller leerte, was gut war. So kam er sicher noch ein bisschen schneller zu Kräften.

„Ich könnte dir aber Fisch besorgen, wenn du welchen willst. Ist zwar bestimmt nicht so fangfrisch, wie der den du gewohnt bist, aber ich finde ihn trotzdem lecker.“ Derzeit allerdings nicht.

Sie war inzwischen pappsatt und stellte den Teller mit dem wenigen Rest, der noch darauf war, auf den Boden, ehe sie sich gemütlicher auf den Sessel setzte und mit ihm zu wippen anfing.
 

„Hm. Dann muss ich noch Einiges probieren, wenn Fisch auf so viele Arten lecker zubereitet werden kann.“

Er lächelte Viola über seinen Teller hinweg an und beschloss sehr wohl, dass er die verschiedenen Varianten einmal kosten wollte. Allerdings würde er nicht von Viola verlangen, dass sie ihm diese Köstlichkeiten herankarrte. Immerhin fing sich ein Fisch nicht von selbst. Und sie machte sich schon genug Arbeit mit seiner Pflege.

Schon allein, dass sie ihm Rührei gemacht hatte, war ein Umstand, der eigentlich hätte vermieden werden können. Er hätte auch ... Ach, irgendetwas hätte sich bestimmt gefunden, was er hätte essen können.

Daher auch die eher ausweichende Antwort auf ihre nächste Frage.

„Danke, aber mach dir bitte nicht so viel Aufwand meinetwegen. Ich ... komme auch gut ein paar Tage ohne Essen aus.“

Wenn das Wasser in der Wanne nachts noch mehr abkühlte, würden auch seine Körperfunktionen zurückgehen. Was bedeutete, dass er nicht so viel verbrauchte und anschließend nicht mehr viel Nahrung zu sich nehmen musste. Wohingegen er eigentlich viel mehr Kalorien brauchte, um seine Wunden zu heilen.

Es wurde wirklich Zeit, dass er selbst zu seiner Erholung beitragen konnte und Viola etwas entlasteten.

„Zin, du kannst mir nicht weißmachen, dass du mehrere Tage ohne Essen auskommst, ohne dass es dir etwas ausmacht“, widersprach sie ihm auch schon. „Ich meine, jeder kommt mehrere Tage ohne Essen aus. Aber das sind nur Notfälle und ich mache mir wirklich keine Umstände, wenn ich für mehrere Personen koche, also lass den Quatsch von wegen Umstände. Du bist hier. Punkt.“

Da er sich gerade bestimmt nicht in der Lage fühlte, mit Viola zu diskutieren, geschweige denn mit ihr zu streiten, schwieg er lieber dazu, was er konnte oder nicht.

Er würde sehen, was kam. Aber in keinem Fall würde er etwas von ihr verlangen. Er hatte Wasser, er hatte etwas im Magen, er hatte Medizin. Eigentlich ... war das schon genug.

Gerade als er etwas in diese Richtung sagen wollte, wurde er von einem Ton unterbrochen, auf den Viola sofort reagierte und auch in Zin verursachte es etwas, das wie Wiedererkennen wirkte. Bloß wusste er nicht, warum.

War es nur das Gefühl noch ein weiteres Paar Augen - nein, ein weiteres Auge auf sich zu spüren?
 

Ein leises Tappen aus dem Flur ließ sie hochsehen, und schon bevor sie sich ganz herumgedreht hatte, stand Flocke in der Tür und beobachtete die Szene eingehend, die sich ihr da im Badezimmer bot.

Mit einem leisen „Miau“, das so viel hieß wie: „Hi Leute, was duftet hier so lecker?“ kam sie näher und beschnupperte Violas Teller.

„Bedien dich ruhig, Süße. Ich bin satt.“

Viola lächelte und strich ihrer kleinen Schneekönigin einmal über den Rücken, danach sah sie zu Zin.

„Darf ich vorstellen: Flocke, das ist Zin. Zin, das ist Flocke. Eigentlich Schneeflocke, aber das erklärt sich dann ja wohl von selbst.“

Wie immer, wenn sie ihre Katze vorstellte, beobachtet sie genau, wie das verstümmelte Kätzchen auf Fremde wirkte. Flocke selbst störte sich nicht an dem Gast, sondern fiel erst mal über den Rest der Rühreier her.
 

Nachdem er vorgestellt worden war, schmunzelte Zin ein bisschen. „Ich glaube, sie kennt mich schon. Aber trotzdem ‚Guten Tag, Flocke‘.“

Ja, er erinnerte sich daran, wie er sich gefühlt hatte. Als hätte ihn in dem anderen Zimmer jemand oder etwas beobachtet. Das könnte dieses kleine Tier gewesen sein.

Immer noch lächelnd betrachtete er das Tier mit dem langen, weißen Fell eine Weile und streckte sogar seine Hand aus dem Wasser, um sie neben der Wanne baumeln zu lassen. Vielleicht wollte Flocke daran schnuppern, um den Fremden endlich einschätzen zu können, der sich einfach so, ohne Anmeldung in den Palast geschlichen hatte?

„Ich habe noch nie trockenes Fell berührt“, gab er leise zu und hoffte fast, dass Flocke ihm den Gefallen tun würde. Es sah aus, als wäre das weiße Haar wirklich weich.
 

Er hatte noch nie trockenes Fell berührt?

Selbst gespannt auf die Frage, ob Flocke überhaupt in seine Nähe ging, da sie normalerweise keine Männer mochte, wartete Viola ab, was ihre kleine Freundin tat. Tatsächlich aß diese erst zu Ende, schleckte sich dann ausgiebig das Mäulchen, ehe sie Zin mit schräg gelegtem Kopf beobachtete.

Dann kam sie zögernd näher und schnupperte an seinen Fingern, ehe sie damit begann, sie abzulecken.

Kein Wunder. Der Kerl roch aber auch so verdammt gut, wenn man seine frisch gewaschene Haut damit meinte und nicht das Blut oder die Entzündung von seinem Rücken.

Für Viola duftete er ungefähr so, wie ein Fisch duftete. Nicht wie toter Fisch, sondern viel mehr wie der Geruch nach Meersalz, Frische und in ihrem Fall durchaus auch interessant, wie ein Mann, der stundenlang im Meer geschwommen war.

Mmh ...

Bevor sie allerdings ihre Katze, wegen deren Privilegien, beneiden konnte, rief sich Viola wieder zur Ordnung.

Zin war kein Mann im herkömmlichen Sinne, auch wenn er durchaus so aussah. Und selbst wenn ihm nicht etwas Entscheidendes fehlen würde, trennten sie Welten. Wortwörtlich. Er war also nichts für sie. Zudem war er auch noch schwer verletzt.
 

Als die Katze auf den runden Pfoten leise näher kam, sich an Violas Bein vorbei auf ihn zubewegte, hielt Zin unwillkürlich die Luft an. Und er entließ sie auch erst wieder aus seinen Lungen, als eine raue Zunge über seine Fingerspitzen leckte.

Zin lächelte und wagte es nach einer Weile sogar, seine Hand zu bewegen und nach dem pelzigen Kopf von Flocke zu fassen. Allerdings war er anscheinend zu schnell zu mutig geworden.

Flocke zog sich zurück, hüpfte ein paar Schritte davon und brachte sich hinter Viola in Sicherheit, bevor Zin auch nur den Eindruck ihres Fells hatte spüren können.

„Schade. Ich bin wohl zu gruselig für sie.“

Er lehnte sich in der Wanne zurück, ließ sich vorsichtig wieder tiefer ins Wasser sinken und stellte den Teller auf dem Rand ab, bevor er kurz die Augen schloss und entspannt seine Kieferkiemen öffnete.

„Ich würde gern noch eine Weile hier bleiben. Kann ich die Nacht über hier schlafen?“ Lieber fragte er nach, denn die Toilette stand auch in diesem Raum. Bevor er Viola in die Bredouille brachte, ging er auch auf die Matratze zurück.
 

Bei Zins Worten musste Viola unwillkürlich lachen.

„Nein, das Einzige für sie Gruselige an dir ist dein Y-Chromosom. Der Rest muss ihr allerdings gefallen haben. Ansonsten hättest du schon ihre Krallen zu spüren bekommen.“

Viola streichelte Flocke einmal über den Kopf, ehe sie vom Stuhl aufstand und die Teller einsammelte.

„Es macht mir nichts aus, wenn du hier bleibst. Dir scheint es ja im Wasser besser zu gehen, da will ich dich nicht auf dem Trockenen sitzen lassen.“

Mit diesen Worten trug sie die Teller hinaus und spülte schnell das Geschirr ab, ehe sie alles Nötige aus dem Bad in einen Kulturbeutel räumte, um es nach oben ins WC zu bringen, wo auch ein großer Spiegel und ein kleines Waschbecken waren. Das würde ihren Zwecken vorerst genügen und Zin konnte in Ruhe schlafen, ohne dass sie ihn morgens um zwei weckte, weil sie Mal musste, oder das Bedürfnis hatte, sich die Beine zu enthaaren.

War schließlich alles schon einmal vorgekommen.

Als sie mit ihrem kleinen Umzug fertig war, stellte sie Zin noch alles für die Nacht bereit. Genügend Wasser und Milch, wenn er selbst daran dachte, die Tabletten einzunehmen.

„Falls dir später kalt wird, ich heize noch den Ofen für den Boiler ein. Dann kannst du dir frühestens in einer halben Stunde heißes Wasser dazulassen.“

Noch einmal kontrollierte Viola, ob sie alles hatte, ehe sie Zin ein zufriedenes Lächeln schenkte.

„Falls was ist, einfach rufen. Ich hab’ einen sehr leichten Schlaf, ich werde dich also auf alle Fälle hören. Dann ... gute Nacht und gute Besserung.“
 

„Gute Nacht.“

Zin wollte sich schon wieder bedanken, ließ es aber diesmal bleiben. Er befürchtete, dass Viola es irgendwann nur noch als leere Worte hinnehmen würde, wenn er sich für jeden Handgriff bedankte. Selbst wenn er das gern tat.

Sobald Viola gegangen und er allein war, holte er sich das Handtuch, das halb im Wasser hing und schon ziemlich viel davon aufgesaugt hatte.

Zin rollte es zusammen, so wie es Viola am Nachmittag getan hatte und steckte es sich in den Nacken.

So wenig Sauerstoff, wie im Wasser war, sollte er nicht mehr komplett untertauchen. Das war erst wieder ratsam, wenn er Neues hinzu gelassen hatte. Ansonsten würde er nicht genügend Luft bekommen, um anständig zu schlafen. Aber das machte nichts. So, bis zum Kinn im Wasser, die Knie an die Seiten der Wanne gelehnt, war es auch ganz in Ordnung. Nur schade, dass er zu lang für die Wanne war. So konnte er nie wirklich ganz untertauchen und sich schwerelos fühlen.

Zin gähnte herzhaft, faltete seine Arme über seinem Bauch und musste lächeln, als ihm auffiel, dass er immer noch das Rührei auf der Zunge schmecken konnte.
 

***
 

Ein paar Stunden später – das konnte er deshalb sagen, weil es bereits dunkel war – wachte Zin auf.

Ihm stand der Schweiß auf der Stirn, obwohl das Wasser inzwischen ziemlich stark abgekühlt war. Wäre nicht sein klopfendes Herz und der trockene Mund gewesen, hätte er an Fieber geglaubt. Aber er fühlte sich nicht auf diese Art und Weise schlecht ...

Mit einem prüfenden Blick über den Wannenrand hinweg machte Zin sich endgültig klar, was passiert sein musste.

Mist. Hoffentlich hatte er Viola nicht aufgeweckt.

Wegen seines Problems sich in beengten Verhältnissen auf Dauer nicht entspannen zu können und wegen seiner ... Alpträume sollte sie sich keine Sorgen machen. Schon gar nicht sollte sie aus ihrem hoffentlich warmen und gemütlichen Bett aufstehen und im Dunkeln herunter kommen müssen.

„Schlaf weiter ...“, murmelte Zin leise, bevor er mit seinen kalten Fingern nach der Mischbatterie an der Wanne tastete und den Hebel nach oben zog. Wieder schwappte Wasser über, als er vor dem wirklich heißen Wasser zur Seite zuckte.

Ihm entkam ein kleiner Schmerzenslaut, als sein Rücken gegen das harte Material der Wanne drückte. Sofort brannte und brodelte es unangenehm an seinen Kiemen, was Zin aber mit zusammengebissenen Zähnen hinnahm.

Trotzdem schaffte Zin es nach einer Weile des Herumprobierens, die Temperatur so einzustellen, dass er sich nicht verbrühte und es zusätzlich angenehm warm im Wasser wurde. Das ersetzte kalte Wasser gluckerte den Überfluss hinaus und schaffte es sogar, Zin ein kleines Lächeln zu entlocken. Dann noch ein bisschen von dem Salz dazu mischen und sich vorsichtig wieder hineinsinken lassen.

Zur Sicherheit schluckte er auch noch eine Portion Pillen und versuchte dann wieder einzuschlafen. Ganz automatisch rutschte er dabei mit dem Kopf unter Wasser ... und rollte sich auf der Seite ein bisschen zusammen.
 

Viola schlief ziemlich spät ein, weil sie wegen Zin nicht schlafen konnte und beschlossen hatte, einfach noch zu lesen.

Sie sollte sich zwar wirklich keine Sorgen mehr um ihn machen, aber natürlich war das leichter gesagt, als gedacht. Natürlich machte sie sich Sorgen.

Bis er nicht wieder ganz gesund war, würde sich das wohl auch nicht ändern.

Schon seltsam, wie das so schnell so hatte kommen können.

Als sie dann doch irgendwann über ihrem Buch eingeschlafen war, träumte sie nur blödsinnige Sachen von schwanzlosen Männern, die ihr den Hof machten, während all die gut bestückten Schätze dort draußen, sie nicht einmal mit dem Arsch ansahen, egal wie sehr sie sich bemühte, ihre Aufmerksamkeit zu erringen.

Zum Glück fuhr sie irgendwann in der Nacht einmal hoch, so dass dieser Alptraum von ihr abfiel und sie kurz in die Dunkelheit lauschte.

Sie konnte Zin hören, wie er sich Wasser nachließ, also würde ja wohl alles bei ihm in Ordnung sein.

Eine Weile hörte sie ihm noch zu, ehe Viola sich in ihrem Bett herumwarf und erneut auf der Decke zusammenrollte.

Kaum dass sie richtig zum Liegen kam, war sie auch schon wieder eingeschlafen. Dieses Mal träumte sie von Fischen. Stinknormalen Fischen.

6. Kapitel

Etwas übellaunig an diesem Morgen, zog sich Viola erstmal nur ein weites Kuschelshirt über, das ihr bis knapp über den Hintern ging, da sie normalerweise nur in Höschen, Strings oder Pantys schlief. Alles andere war ihr zu heiß, aber da sie ja einen mehr oder weniger männlichen Gast hatte, wollte sie nicht halbnackt vor ihm herumlaufen. Entgegen der landläufigen Meinung über sie hatte sie nämlich sehr wohl Anstand.

Meistens jedenfalls.

Zuerst einmal machte sie sich Kaffee. Ein Getränk, auf das sie morgens nicht verzichten konnte, wenn sie eine anstrengende Nacht gehabt hatte und das nicht im körperlichen Sinne.

Während sie an dem Heißgetränk nippte, überlegte sie sich, was sie Zin zum Frühstück machen sollte. Rühreier gingen zwar schnell, man wurde sie aber sogar noch schneller überdrüssig. Sie hatte heute also wirklich keine Lust drauf, auch wenn sie ihm bestimmt noch welche hätte unterjubeln können. Nur, dass sie das gar nicht wollte. Kurzerhand entschloss sie sich daher, Pfannkuchen zu machen. Die mochte jeder gern und brauchten auch nicht allzu lange. Bis sie damit fertig war, würde sie sich hoffentlich verkneifen können, nach Zin zu sehen und ob er noch atmete.

Sie hatte ihn zwar nachts gehört, aber ...

„Nein. Nicht denken, Viola. Einfach nicht daran denken“, murmelte sie leise zu sich selbst, während sie entschlossen ihre flache Pfannkuchenpfanne aus dem Schrank holte.
 

***
 

In einem hellblauen Sommerkleidchen, das ihr sogar bis zur Mitte der Oberschenkel ging und aus weichem, flattrigen Stoff bestand, kam Viola schließlich doch ins Badezimmer geschlichen, um nach ihrem Patienten zu sehen.

Auf den Händen trug sie ein großes Tablett mit Tellern, den dampfenden Pfannkuchen, dazu noch verschiedenste Soßen, frisch geschlagene Sahne und gekühlten Mangosaft. Bevor sie allerdings zu Zin in die Wanne spähte, stellte sie alles vorsichtig auf der uralten Waschmaschine ab, um beide Hände frei zu haben.

Sie mochte es selbst mit den Händen sanft geweckt zu werden, daher würde sie auch nichts anderes bei jemand anderem tun.

Dieses Mal lag er auf der Seite, mit dem Gesicht zu ihr. Er sah ruhig aus, so wie er da schlief. Trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, wie man nur in Wasser schlafen konnte. Das war so ungemütlich, wie sich in ein Wespennest zu legen.

Nein. Sicher nichts, was sie selbst einmal ausprobieren würde. Allerdings glaubte sie auch nicht, dass Zin sich gerne in einen Baum legen würde, so wie sie es persönlich gerne hin und wieder tat.

Vollkommen andere Welten. Ja, das war es wirklich.

„Guten Morgen, Sonnenschein“, flüsterte sie Zin leise zu, während sie mit ihren Fingerspitzen über diese unglaublich weichen Haare streichelte. Eigentlich hätte man meinen können, bei der kurzen Länge, würde es sich stoppelig und kratzig anfühlen. Aber das tat es wirklich nicht. Zin war dort ganz weich, so dass sie noch einmal drüber streicheln musste. Und noch einmal.
 

Schon vor einer Weile hatte er leises Geklapper gehört. Aber da es ihn nicht direkt zu betreffen schien und auch nicht näher kam, hatte Zin deswegen nicht einmal die Augen geöffnet. Stattdessen hatte er sich sogar noch mehr zusammengerollt, einen großen Schluck Wasser durch seine Kiemen gespült und dann weiter geschlafen. Allerdings nicht so tief, wie zuvor. Deshalb hörte er Viola sofort, als sie ihn ansprach, und spürte auch ihre Hand, wie sie ihm mehrmals sanft über den Kopf streichelte. Es war also Zeit aufzuwachen.

Bloß warum tat er es dann nicht?

Panik wollte in Zin hochsteigen, als er versuchte die Augen zu öffnen, sich zu bewegen und weder das Eine noch das Andere funktionierte. Sein Körper rührte keinen Muskel, bis so viel Adrenalin durch Zins Blutbahn polterte, dass er glaubte, daran ersticken zu müssen.

Er schmeckte Blut im Wasser. Und etwas Anderes, das sehr viel beunruhigender war. Metall und ... zu wenig Sauerstoff!

Wach auf!

Eine Luftblase entwich über seine Lippen, als Zin die Augen aufriss und aus Reflex beinahe nach Violas Hand gegriffen hätte, um sich an ihr festzuhalten. Doch er blieb ruhig. Er musste nur die Beine strecken, sich aus dem Wasser schieben ...

Mit einem Japsen kam er an die Oberfläche und blinzelte sich das schale Nass aus den Wimpern, bevor er Viola leicht schockiert und mit flatterndem Herzen ansah. Seine Hand lag auf seiner eigenen Brust und seine Finger zitterten, während er über seine Lungen wieder genügend Sauerstoff in sein Blut pumpte.

„Hi ...“, meinte er etwas abgehakt und zwischen tiefen Atemzügen, die sich fast so anhörten, als hätte er einen Sprint hinter sich. Seine Muskeln brannten höllisch. Außerdem waren sie ganz steif und ausgekühlt. Lediglich an den wunden Stellen an seinem Rücken fühlte er immer noch das warme Pochen der Entzündung. War das denn gar nicht zurückgegangen?
 

Zin erschreckte sie fast zu Tode, als er so aus dem Schlaf hochfuhr. Dabei war sie nicht unbedingt jemand, den man leicht erschrecken konnte. Aber er war bleich und seine Haut fühlte sich, nun da sie ihn am Nacken ergriffen hatte, um ihn zu stützen, eiskalt an.

Es jagte ihre eine Gänsehaut den Arm hoch.

„Okay, ich weiß ja, das Wasser normalerweise dein Element ist. Aber du bleibst mir keine Minute länger in dieser beschissenen Badewanne!“, fauchte sie ihn regelrecht an.

Verdammt, ihr saß der Schrecken immer noch tief in den Knochen.

Trotzdem ließ sie Zin vorsichtig los, um zu sehen, ob er von selbst aufrecht sitzen konnte. Danach stapfte sie beinahe wütend durchs Bad und riss die Schranktüren auf, um ein großes Badetuch zu holen.

Sie kam zu Zin zurück und breitete es aus.

„Du kommst da jetzt raus. Dann packe ich dich wieder in meterlange Verbände ein und dann bleibst du im Bett. Verstanden? Plantschen gehen kannst du später auch noch. Jetzt werd' erst mal wieder gesund.“
 

Zin setzte sich noch weiter auf und sah hinter Viola her, die schäumend vor Wut durchs Bad stapfte. Ihr blaues Kleidchen wirbelte dabei um sie herum wie lockere Blütenblätter. Und Zin hatte nicht den blassesten Schimmer, womit er das Donnerwetter auf sich gezogen hatte.

Er sah zu seiner Pflegerin auf, als sie sich mit dem Handtuch vor der Wanne aufgebaut hatte, und machte ein ebenso verdutztes Gesicht, wie er sich auch fühlte. Da er aber nicht riskieren wollte, dass sie sich noch mehr aufregte - und das, obwohl ihm ihre geröteten Wangen durchaus gefielen - stützte Zin seine Hände brav auf dem Wannenrand ab und zog die Beine so an seinen Körper, dass er in die Position kam, in der er aufstehen konnte. Oder vielmehr könnte. Denn selbst seine eingeweichte Haut protestierte an vielen Stellen an seinem Rücken und Zin spürte ein unangenehmes Reißen, das aber von seinen Muskeln und nicht von den Verletzungen herrührte.

„Alter Mann ist kein Orca ...“, meinte er mit einem konzentrierten Blick auf seine Füße und holte dann einmal tief Luft, um sich auf den zu erwartenden Schmerz einzustellen. Der kam auch prompt und hätte ihn unter Umständen wieder von den Füßen gerissen, wäre es Zin nicht gelungen, sein Hinterteil auf den Rand vor Viola zu bugsieren und sich an der gegenüberliegenden Wand mit beiden Händen abzustützen. So zeigte er ihr zwar seine vermutlich im Moment nicht gerade schöne Hinteransicht, aber ... er war schon fast aus der Wanne.
 

Als er ihr den Rücken zu kehrte, ließ für einen Moment die Wut von ihr ab und Angst wollte sich an ihr festsaugen wie eine Zecke. Doch Viola rief sich zur Ordnung. Seine Wunden waren eingeweicht. Darum sahen sie so aus, und wenn man genauer hinsah, waren jetzt wenigstens auch die winzigen Schmutzpartikel weg, die sie zu anfangs nicht hatte richtig herausbekommen können, weil sie ihm nicht noch mehr wehtun wollte und das Jod, auch nicht alles herausgespült hatte.

Da Angst also unbegründet und keine angemessene Reaktion war, wurde sie noch wütender, verbiss sich aber jede Bemerkung und kam dafür in die Gänge.

Sie trat hinter Zin, legte ihm vorsichtig das Handtuch um die Schultern und beugte sich seitlich zu ihm, so dass er sie ansehen konnte.

„Leg' die Arme um mich“, war alles, was sie sagte. Sogar schon etwas sanfter, auch wenn sie sich nicht so fühlte.

Sie selbst schob auch ihre Arme unter die seinen hindurch und versuchte möglichst sich nur an seinen kräftigen Schultern und Nacken festzuhalten, damit sie keine Wunde auf seinem Rücken berührte. Ihre Wange war dabei wieder einmal an seine Brust gedrückt und sie spürte, wie ihr Kleid nass wurde, aber das war Viola egal.

Sie half Zin dabei, die Beine aus der Badewanne zu bekommen, ehe sie ihn in dieser Position hochzog, so dass er stand. Dann drehte sie sich vorsichtig in seinem Griff herum, so dass sie hinten auch noch schön eingenässt wurde, und umfasste wieder seinen Arm, den sie fest im Klammergriff an ihren Bauch drückte.

Dieses Mal ging es leichter, ihn zurück ins Zimmer zu bringen, da nicht mehr so viel von seinem Gewicht auf ihr lastete, auch wenn dadurch deutlich wurde, wie schwach er immer noch war.

Trotzdem kamen sie dieses Mal schneller an ihrem Ziel an.

Viola setzte Zin vorsichtig auf dem frisch gemachten Bett ab, ging noch einmal sicher, ob er auch von selbst sitzen blieb, ehe sie einen kleinen Schritt zurückmachte und Zin vorsichtig das Handtuch vom Rücken zog.

Dann begann sie damit, ihn an den unverletzten Stellen abzutrocknen. Ihre Miene war dabei verschlossen und machte hoffentlich klar, dass sie keine Widerrede duldete, bis sie damit fertig war.
 

„Das kann -“

Zin fing sich einen derart giftigen Blick ein, dass er nur verwundert die Brauen hochzog und sich nicht weiter dazu äußerte, dass er durchaus in der Lage wäre, sich größtenteils selbst abzutrocknen. Dass Viola ihn wieder durch den Flur des Palasts hatte zerren müssen, sollte doch wohl reichen.

Aber es stimmte schon. Selbst kam er nicht an seinen Rücken heran und schon gar nicht so sanft und kontrolliert, wie Viola es konnte. Sie tupfte geduldig an ihm herum, ließ sich Zeit und war so gewissenhaft, dass Zin schon glaubte, die kleine, konzentrierte Falte an ihrem Mundwinkel, würde sich für immer dort eingraben. Und das wäre seine Schuld.

Als Viola dann allerdings damit anfing auch seine Arme, seine Brust und schließlich seinen Bauch abzurubbeln, legte Zin doch Einspruch ein. Seine Hände umfassten die ihren, die sehr viel kleiner und auch deutlich wärmer waren, und hielten sie kurz fest. Ihr Blick wollte ihn wieder vernichtend treffen, doch diesmal konterte Zin mit einem Lächeln, in dem sich ehrliche Dankbarkeit spiegelte.

„Danke, den Rest ... mache ich lieber selbst.“

Vorsichtig, weil er nicht genau einschätzen konnte, ob sie ihn wirklich lassen würde, nahm er Viola das Handtuch aus den Fingern und begann seine Oberschenkel abzutrocknen. Dabei sah er absichtlich nicht noch einmal hin, als er anmerkte: „Dein Kleid ist nass geworden.“

Nicht nur nass ... durchsichtig.
 

„Das ...“ -trocknet wieder, wollte Viola eigentlich anmerken, bis sie an sich selbst hinuntersah. Das Kleid klebte nicht nur an ihrer Haut, sondern die kühle Feuchtigkeit neckte auch noch ihre Brustwarzen, die darauf natürlich reagierten.

„Ich bin gleich wieder da.“

Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ Viola den Raum und rannte dann die Treppe zu ihrem Zimmer hoch, während sie sich bereits das Kleid über den Kopf gezogen hatte.

Sie warf den nassen Stoff einfach über den Klappstuhl vor ihrem Schreibtisch, wo er bei der langsam aufkommenden Hitze bestimmt bald trocken sein würde.

Schnell wühlte sie in ihrem Kleiderschrank herum, band sich einen kurzen Wickelrock mit langen Fransen in sommerlichem Gelb um ihre Hüften und zog dazu ein bauchfreies Neckholdertop in der gleichen Farbe an.

Da sie zuhause meistens ohnehin keinen BH trug, da es ohne viel bequemer war, selbst bei ihrer Ausstattung, musste sie sich wenigstens nicht wegen sichtbarer Träger Gedanken machen. Höchstens darüber, dass sie noch einmal nass werden könnte.

Wieder bei Zin waren sogar ihre Haare wieder in annehmbarer Ordnung.

Er saß noch immer auf dem Bett, was gut war, weil sie ihm so sehr viel leichter den Verband umwickeln konnte.

„Wenn ich mit dir fertig bin - und das meine ich jetzt nicht im negativen Sinne - gibt es Pfannkuchen. Sie dürften dann zwar schon kalt sein, aber sie werden sicher auch so noch schmecken.“

Viola schnappte sich ihre Verbandsschachtel und stieg hinter Zin aufs Bett, wo sie begann, alles Nötige auszupacken und vorzubereiten.
 

„Dass du das nicht negativ meinst, hoffe ich sehr.“

Er sah sie kurz über seine Schulter hinweg an und wusste nicht genau, ob seine Worte mehr zu bedeuten hatten, als wirklich nur das, was er gesagt hatte.

Zin machte sich darüber keine weiteren Gedanken. Stattdessen stützte er sich mit den Händen auf der Matratze ab und setzte sich so gerade hin, wie er konnte.

„Ich möchte schlechte Nachrichten immer vor den Guten hören. Daher: Würdest du mir zuerst sagen, wie mein Rücken aussieht und dann, was genau ein Pfannkuchen ist?“

Auf jeden Fall wieder etwas, das man normalerweise warm zu sich nahm. Was es für Zin schon einmal spannend und fast schade machte, dass es kalt werden würde, bis Viola ihn verarztet hatte. Vielleicht hätte er einfach nur besser aufpassen und den Sauerstoffmangel früher bemerken müssen. Dann wäre sie nicht sauer geworden und ihre Mühe hätte nicht so umsonst sein müssen.

Verdammt, Zin hätte zumindest gern das Frühstück aus dem Bad geholt, wenn Viola es schon vorbereitet hatte.
 

„Habe ich nicht. Ich vergreif mich grundsätzlich nicht an Verletzten.“

Auch wenn sich nicht vermeiden ließ, dass sie ihnen manchmal wehtat. Oder besser gesagt, das Jod, das sie gerade auf einen Tupfer träufelte, um damit noch einmal über die offenen Wunden zu gehen, die inzwischen schon besser aussahen. Was auch immer das Salzwasser genau bewirkt hatte, zumindest blutete er nicht mehr, sobald sie an die Verletzungen kam.

„Sie sehen den Umständen entsprechend gut aus und sind auch nicht mehr so geschwollen, wie gestern noch. Ob es nun die Tabletten sind oder das Salzwasser, auf jeden Fall scheint die Entzündung langsam zurückzugehen. Das werden allerdings sicher ein paar deftige Narben werden. Naja.“

Viola zuckte mit den Schultern.

„Es hätte schlimmer kommen können.“

Vorsichtig betupfte sie die Wunden und ging wie schon die Male davor systematisch und nicht zimperlich vor, um es für Zin so schnell wie möglich zu erledigen, damit er nicht unnötig lange leiden musste.

„Was Pfannkuchen sind, könnte ich dir jetzt zwar lang und breit erklären, aber am besten du siehst es selbst. Auf jeden Fall sind sie süß und nicht salzig, so wie die Eier gestern und man kann die Soßen dazu variieren, so dass kein Bissen wie der vorige schmeckt.“

Als sie mit dem Säubern fertig war, nahm sie einen Tiegel mit einer fetthaltigen Creme zur Hand, in den unterschiedliche Kräuter gemischt waren.

Auf offene Wunden sollte man die Creme vermeiden, obwohl es nicht schadete. Aber es brannte sonst die ganze Zeit wie die Hölle. Da Zin aber nicht mehr blutete, bestrich sie die Nähte dick mit der Creme, was die Haut geschmeidig und die Narbenbildung geringer halten würde. Was seine Kiemenschlitze anging, bestrich sie nur die äußersten Ränder, ehe sie auf jede einzelne Wunde eine dicke Mullbinde drückte und dann damit begann, Zins Oberkörper langsam einzubandagieren.
 

„Das werden nicht die ersten und nicht die letzten Narben sein. Ich habe mal ein schlecht gelauntes Schwertfischweibchen ...“

Sein Rücken rundete sich, als Zin unwillkürlich den Kopf einzog und mit seiner begonnenen Geschichte innehielt. Ihm war gerade die Luft dafür abhandengekommen, als Viola wieder dieses ätzende Zeug auf seine Kiemen geträufelt hatte und auch jetzt damit nicht innehielt. Stattdessen schürte sie noch mehr Brandherde auf seinem zerfurchten Rücken und hörte erst damit auf, als er schon längst vergessen hatte, was er hatte sagen wollen.

Dafür hörte er kurz zu, was Viola über Pfannkuchen erzählte, um dann die Arme zu heben und es ihr zu erleichtern, ihm den Oberkörper vollständig mit elastischem Verband einzuwickeln.

Eine Gelegenheit, die Zin nutzen konnte, um sein Interesse von gestern zu befriedigen.

Als Viola einmal näher an ihn herankam, mit beiden Armen seinen Oberkörper umfassen musste und dabei ihre weichen Haare seine Schulter streiften, schloss Zin die Augen und schnupperte. Na gut, es war nur ein einzelner, tiefer Atemzug. Aber es genügte, um ihn mit einem Schmunzeln wieder die Augen öffnen zu lassen. Sie roch nicht besonders intensiv, aber ... irgendeine Frucht war dabei.
 

„So, fertig. Du hast es überstanden.“

Viola lächelte und war zufrieden mit ihrer Arbeit. Außerdem fand sie es gleich viel besser, Zin frisch eingepackt in einem Bett zu sehen, anstatt durchweicht in einer Badewanne, dessen Wasser mittlerweile nicht mehr sehr sauber ausgesehen hatte. Rasch packte sie alles wieder ein und verstaute die Kiste unter dem Bett.

„Mach' es dir schon mal gemütlich, ich hol derweil unser Frühstück.“

Als sie wieder zurückkam, stellte sie das Tablett neben Zin aufs Bett und setzte sich dann auf der freien Seite weiter unten zu seinen Füßen.

Ohne etwas zu sagen, stellte sie ihm die drei Pillen und das Glas Milch hin, währenddessen bereitete Viola das Frühstück vor.

Sie schenkte Zin und sich selbst Saft ein, legte ihm dann auch ein paar Pfannkuchen auf seinen Teller und öffnete dann eine Soße, nach der anderen. Sie hatte Ahornsirup, Himbeersirup, Schokoladencreme und natürlich ihr ganz persönlicher Favorit, war das große Sahnehäubchen oben drauf.

Gott, sie liebte gezuckerte Sahne!

„Ich werde ab morgen oder übermorgen wieder Arbeiten müssen“, begann sie einfach mal ein Gesprächsthema, weil sie Stille beim Essen nicht ausstehen konnte. „Meinst du, du kommst in der Zwischenzeit alleine zurecht? Falls dir langweilig wird, hätte ich sicher ein paar Bücher und Zeitschriften für dich. Ich glaube, ich könnte sogar einen Gameboy auftreiben.“
 

Inzwischen fackelte Zin nicht mehr lange mit den Tabletten herum, sondern nahm sich eine nach der Anderen vor, um sie mit einem großen Schluck Milch hinunterzuspülen. Angenehm fand er es nicht gerade, aber je schneller es ihm besser ging, desto früher konnte er damit aufhören, Medizin in sich hineinzuwerfen.

Hoch interessiert sah er Violas schlanken Fingern dabei zu, wie sie eine gelb-orange dicke Flüssigkeit in Gläser goss, die Pfannkuchen mit einer Gabel auf die Teller verteilte und dann kleine Gefäße aufschraubte, die jedes anders, aber alle unglaublich süß rochen.

Zin wurde allerdings von Viola davon abgelenkt, ein kleines Stück Pfannkuchen zu probieren. Stattdessen nickte er ruhig. „Verstehe. Natürlich komme ich klar.“

Wenn sie Glück hatten, konnte er vielleicht schon bald auf seinen Füßen gehen oder sogar ins Meer zurück. So, wie sich sein Zustand seit gestern verbessert hatte, konnte man wirklich langsam Hoffnung hegen.

„Bücher und Zeitschriften hören sich gut an. Vielleicht kann ich auch Flocke davon überzeugen, dass ich nicht gefährlich bin und sie kann mir Gesellschaft leisten.“

Er wollte das Fell der Katze immer noch ganz gern einmal berühren. Bis jetzt war er höchstens einmal an einen Otter oder an Robben so nah herangekommen, dass er sie hatte streicheln können. Aber das war alles unter Wasser und sicher nicht das Gleiche gewesen.

„Was arbeitest du denn?“, wollte er schließlich wissen und schnitt sich nun doch ein Stück von dem Fladen auf seinem Teller ab. Da er bei Viola gesehen hatte, dass sie die Happen einfach mit der Gabel in die Schälchen tauchte, machte er es ihr bei einer der halb durchsichtigen Flüssigkeiten nach. Dicke Perlen fielen dann zurück in die Schale und Zin musste sich beeilen, um nicht alles vollzukleckern, bevor er sich den Bissen in den Mund steckte.

Er zog die Augenbrauen zusammen. Kaute langsam ... und sah dann Viola an.

„Wie heißt das?“

Er zeigte auf das erste und dann auch auf die anderen Schälchen.

„Das schmeckt ziemlich ...“ Erst nach einem Moment fand er, wonach er gesucht hatte. „Großartig.“
 

„Ich arbeite in Dan’s Ocean Palace als Kellnerin. Es gibt drei Schichten, also kann es sein, dass ich mal nachts weg bin oder vormittags oder nachmittags. Ganz so, wie er uns einteilt.“

Viola tauchte ein Stück Pfannkuchen in die Schokosoße und gab sich dann mit einem kleinen Löffel noch einen ordentlichen Patzen Schlagsahne darauf.

Sie schloss genießerisch die Augen, während sie selig kaute.

Dafür könnte sie töten.

Als auch Zin seinen ersten Bissen hinter sich hatte, musste sie lächeln, weil es ihm offenbar sehr gut schmeckte. Das hatte sie natürlich gehofft, obwohl sie nicht sicher gewesen war, wie es für jemanden sein musste, der normalerweise nur rohen Fisch bekam. Außer, es gab auch unter Wasser Delikatessen, von denen sie einfach nur nichts wusste.

„Also die Soße, die du gerade probiert hast, ist Himbeersirup. Eine sehr leckere Frucht, die man auch frisch vom Strauch naschen kann. Das Erste ist Ahornsirup und kommt von einem Baum, der allerdings nicht in dieser Klimazone wächst.“

Etwas seltsam kam sich Viola schon vor, wie sie Zin das alles erklären musste, als hätte er keine Ahnung, was das für Früchte waren. Andererseits ... woher sollte er es auch wissen, und nur weil es für sie völlig gewöhnlich und banal war, musste es das nicht auch für ihn sein.

„Die dunkelbraune Soße da ist übrigens flüssige Schokolade. Macht unheimlich süchtig und bei zu intensivem Konsum auch dick. Aber ab und zu schmeckt es einfach göttlich. Und hier, das musst du auch mal probieren.“

Viola gab ihm etwas Sahne auf seinen nächsten Bissen.

„Das ist gezuckerte Schlagsahne. Auch ein absoluter Suchtfaktor. Zumindest für Leute, wie mich.“

Ihr Lächeln wurde etwas zurückhaltender, da sie ziemlich schnell so offen wurde, obwohl sie das vermutlich gar nicht sollte, weil sie sich bisweilen gerne mal verplapperte und dann musste sie sehen, wie sie sich da wieder herausredete.

„Und was treibst du für gewöhnlich so?“, wollte sie daher von Zin wissen, um von sich selbst etwas abzulenken.
 

„Aus Himbeeren kann man so etwas machen?“, fragte er erstaunt und steckte sich dann noch einen Bissen - diesmal einen sehr viel größeren in den Mund. Der Pfannkuchen ertrank inzwischen schon fast in Sirup auf Zins Teller. Allerdings wandte er sofort seine Aufmerksamkeit Viola zu, als sie ihm von der Schlagsahne und ihrer eigenen Schwäche dafür erzählte.

„Wie meinst du das? Leute, wie du?“, wollte er mit einem Lächeln wissen und kaute genüsslich das Pfannkuchenstückchen mit der Sahne.

Außerdem sah er sich dazu gezwungen, Viola ein bisschen über seine Art zu fragen aufzuklären. Immerhin war er weder dumm, noch von einem anderen Stern. Er war eben nur ... unerfahren, was ihren Teil der Erde anging.

„Was eine Himbeere und welcher der Ahornbaum ist, weiß ich übrigens. Ich habe viel über menschliche Bräuche, Essen und auch andere Dinge gelesen. Aber wenn man es dann mit eigenen Augen sieht ...“ Er schmunzelte Viola freundlich an. „... dann ist es vollkommen anders, als man es sich je hätte vorstellen können.

Dann magst du also gern Schokolade? Und Sahne? Was magst du noch?“

Das war gerade sehr viel interessanter und schien Zin wichtiger, als ihr zu erzählen, dass er den ganzen Tag eigentlich nicht viel machte. Oder zumindest an menschlichen Ansprüchen gemessen, nicht viel.
 

Viola sah Zin fragend an und hatte dabei wie immer ihre eine Augenbraue hochgezogen. Der Kerl war ja überhaupt nicht neugierig, wie?

„Naschkatzen wie ich eben“, log sie ihn ungerührt an. Schließlich war sie ziemlich gut darin, sofern sie sich nahe genug an der Wahrheit hielt.

„Aber bevor ich dir hier noch weitere Fragen beantworte, würde ich gerne einmal was von dir wissen.“

Viola machte es sich in ihrem Schneidersitz noch etwas bequemer, ehe sie Zin wieder ansah.

„Gibt es bei dir auch Fragen, denen du nicht ständig ausweichst? Vielleicht-“

Ihr Kopf schoss herum, noch ehe sie das laute Klopfen an der Vordertür hörte.

Sofort wurde sie schlagartig ernst.

„Bleib hier und sei still“, befahl sie Zin streng, ehe sie lautlos vom Bett glitt, auf den Flur schlich und die Tür zum Gästezimmer leise hinter sich schloss. Danach trat sie an die Haustür und öffnete diese.

„Viola Lennox! Was habe ich da gehört? Du bist krank?“

Mit in den Hüften gestemmten Händen stand ein goldgelockter Engel breitbeinig in ihrer Tür und grinste so breit, dass er fast seine Ohren verspeist hätte.

„Tess. Ich hätte wissen müssen, dass du nicht einfach anrufst. Nein, du musst mich ja unbedingt mit deiner Anwesenheit beehren.“

„Darauf kannst du Gift nehmen. Wozu sind denn sonst beste Freundinnen da?“

Bevor sie eine Antwort auf diese Frage finden konnte, sprang die sehr viel kleinere Frau sie an und umarmte sie kräftig, ehe sie Viola wieder losließ.

„Freut mich auch, dich zu sehen. Aber wie du siehst, mir fehlt nichts. Erzähl das aber bloß nicht Dan.“

Tess lachte.

„Als wäre das noch nie vorgekommen. Klar erzähl ich Dan nichts. Ich dachte auch nicht, dass du krank bist, weshalb ich dich sozusagen inflagranti erwischen wollte. Bei was auch immer. Also, bei was habe ich dich erwischt?“

Sofort kam Violas Anspannung zurück und ihre Sinne liefen auf Hochtouren. Schlimm genug, dass sogar ihre beste Freundin keine Ahnung hatte, was Viola war. Sie könnte ihr auch niemals erklären, was es mit dem Mann in ihrem Bett auf sich hatte. Auch wenn es nur das Gästezimmerbett war. Aber Bett war Bett. Zumindest in Tess' Augen.

„Beim Frühstück. Was sonst?“

„Aha. Und mit wem, wenn ich fragen darf?“

Viola zuckte mit den Schultern.

„Du darfst nicht fragen. Punkt. Aber du störst gerade ziemlich, ich wäre dir also sehr dankbar, wenn du dir jemand anderen zum Nerven suchst.“

Sie lächelte dabei, vielleicht sogar etwas gezwungen, aber das war Tess schon gewöhnt. Es wäre nicht das erste Mal, dass Viola ihre Freundin zu Gunsten eines Männerbesuchs wieder vor die Tür setzte. Der blonde Engel konnte dafür später nicht genug von Violas ausführlichem Bericht bekommen.

„Ist es der Knackarsch, mit dem du letztes Mal so schnell von der Strandparty verschwunden bist? Wie hieß er doch gleich ... Kit?“

Tess versuchte an Viola vorbei zur Treppe zu spähen, was gut war, denn sie schien keine Ahnung zu haben, dass das Objekt ihres eigentlichen Interesses kaum ein paar Meter von ihr entfernt lag.

„Cid und nein. Zu deiner Information, er hat noch nicht einmal angerufen.“

Das holte Tess wieder in die Gegenwart zurück. Zumindest sah sie wieder Viola an. „Echt nicht? Dabei dachte ich, ihr versteht euch so gut. Aber naja, Männer. Meld' du dich doch mal bei ihm. Vermutlich wartet er schon darauf ... allerdings, wird er dann wohl noch eine ganze Weile warten müssen. Also sag schon. Wer ist es dieses Mal?“

Viola schüttelte entschlossen den Kopf. „Es ist nicht so, wie du denkst und du kennst ihn nicht.“

Nun wurde Tess' Lächeln kleiner und ihr Blick skeptisch.

„Aber wenn er nicht in diesem Augenblick nach einer heißen Nacht splitterfasernackt in deinem Bett sitzt und ich euch gerade beim Erholungsfrühstück gestört habe, wieso zum Teufel darf ich dann nicht wissen, wer es ist?“

„Weil du neugieriges Ding nicht alles wissen musst, außer, dass ich gesund bin, bald wieder arbeiten gehe und dir ...“ Viola senkte deutlich die Stimme und sah Tess beschwörend an.

„... später alles genau erzählen werde. Vorausgesetzt, du gehst jetzt.“

Natürlich würde Viola das nicht tun. Aber solange sie Tess los wurde, war ihr jedes Mittel recht.

Sie mochte die junge Frau wirklich und hasste es, sie anlügen zu müssen. Aber in manchen Dingen hatte man nun einmal keine andere Wahl.

Dennoch schienen Violas Worte zu wirken, denn Tess' Lächeln wurde nun strahlend und sie grinste wissend.

„Okay, dann lass ich euch beide Mal wieder alleine. Lass mich aber nicht zu lange warten. Bis dann beste Freundin!“

Viola drückte Tess noch einmal, ehe sie die kleinere wieder hinausschickte.

„Werd' ich nicht. Machs gut.“
 

Sofort, nachdem Viola aus dem Raum geschossen war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, schob Zin den Teller von seinem Schoß und sah sich nach einem geeigneten Versteck um. Er hatte den leisen Befehl durchaus ernst genommen, aber außerdem hatte er seine eigene Meinung zum Aufeinandertreffen mit fremden Menschen. Solange sie ihn nicht halb tot am Strand fanden und es sich zur Aufgabe machten, ihn gesund zu pflegen. Daher verursachte Zins nervöses Herumrutschen auf dem Bett ein leises Klappern des Geschirrs, das er sofort festhielt. Mit zusammengekniffenen Augen horchte er auf den Flur hinaus und versuchte zu erkennen, ob wirklich Gefahr drohte, oder ob er sich einfach nur ruhig und unauffällig verhalten musste.

Die zweite Stimme hörte sich auch weiblich an. Zin konnte zwar nichts aus der Unterhaltung der Frauen wirklich verstehen, aber zumindest kamen sie nicht näher. Was wohl so etwas wie Entwarnung geben sollte. Bloß sträubten sich sämtliche von Zins Instinkten gegen diese Einsicht und er saß in dem weichen Bett, wie auf Kohlen. Wo konnte er denn hin?

Sein Blick flitzte durch den Raum, maß Lücken und Möglichkeiten ab, bis er immerhin zwei Stellen gefunden hatte. Allerdings blieb nur eine, die er in seinem Zustand und in so kurzer Zeit erreichen konnte. Sollten die Frauen näher kommen, würde er ...

Es war lediglich Viola, die nach einer Weile des Schweigens wieder ins Zimmer kam, die Tür diesmal offen stehen ließ - wie bisher - und sich auf ihren Platz auf dem Bett setzte, um das Frühstück anscheinend weiter zu führen, als wäre nichts gewesen.
 

Als die Tür hinter ihrer Freundin zu war, sperrte Viola zweimal ab und atmete erst einmal erleichtert durch. Glück gehabt. Nächstes Mal würde sie allerdings gar nicht erst an die Tür gehen.

Zurück bei Zin, setzte sie sich wieder bequem hin, nahm ihren Teller auf den Schoß und badete ein Stück Pfannkuchen in Schokosauce.

„Wo waren wir?“, fragte sie ungerührt, während innerlich noch total ihre Nerven flatterten.
 

„Du ... wolltest mich etwas fragen“, antwortete er wahrheitsgemäß, aber mit leichter Skepsis in der Stimme. Irgendwie traute er dem Braten nicht. Was, wenn der Mensch, den Viola gerade weggeschickt hatte, jetzt am Fenster auftauchte? Konnten sie ihn dann einfach als irgendeinen Verletzten verkaufen? Allerhöchstens, wenn er sich die Decke über den Unterkörper zog und seine Finger versteckte, genauso, wie seine Kiemen.

„Eigentlich hattest du mich schon etwas gefragt. Und ja, es gibt Sachen, die ich erzähle.“

Es war einfach nur sehr viel spannender, etwas über Viola zu erfahren. Er hatte sie damit nicht beleidigen oder sie misstrauisch stimmen wollen.

„Es gibt bloß gar nicht so viele Dinge, die ich während eines Tages tue. Ich stehe auf, gehe mit dem Schwarm auf die Jagd. Sobald wir genug gefangen haben, kehren wir nach Hause zurück und es wird gegessen. Meistens sehe ich mich dann noch in der Umgebung um. Oder ich frische meine menschlichen Vokabeln auf. Meistens mit Büchern.“ Oder, indem er verbotenerweise und vollkommen auf eigenes Risiko, an menschliche Boote und Schiffe heranschwamm und sie belauschte.
 

„Wirklich?“

Viola sah ihn erstaunt an. Und da dachte sie immer, sie sei faul, wenn sie den ganzen Tag nur in der Sonne herumliegen und dösen könnte.

„Schwarm ... also fühlst du dich in großen Gesellschaften wohl? Ich persönlich genieße ja gerne meine Ruhe, und wenn mir mal die Decke auf den Kopf zu fallen droht, geh ich auf Partys. Aber ein Gruppenleben würde mir gar nicht liegen.“ Obwohl sie es mit ihrer Omi sehr schön gefunden hatte. Zumindest war sie eine Person gewesen, die ihr glich. So hatte es in dieser Hinsicht keine Geheimnisse zwischen ihnen gegeben.

„Hast du eigentlich eine Familie? Du weißt schon, eine Frau, vielleicht auch Kinder? Wie macht ihr das eigentlich mit ...“

Viola räusperte sich. Nein, sie würde jetzt nicht fragen, wie Zin das mit dem Babymachen überhaupt hinbekam.
 

Zin lachte leise. Das erste Mal, seit er hier war und auch nur ziemlich kurz, weil die Kontraktionen seines Brustkorbs wohl nicht gerade das Ideal für seine verletzten Kiemen zu sein schien. Zurück blieb ein Grinsen, das er Viola schenkte und es ihr auch erklärte, sobald er sich nicht mehr so zusammenkrümmen musste.

„Ja, wirklich. Ich muss nun einmal nicht arbeiten, so wie ein Mensch. Das Einzige, was ich tun muss, ist meinen Schwarm, meine Familie und mich selbst am Leben zu erhalten.“

Sein Grinsen verschwand augenblicklich aus seinem Gesicht, als er das gesagt hatte. Die Worte kamen in seinen eigenen Ohren an und ließen sein Herz zu einem eisigen Stein erstarren. Seine einzige Aufgabe ... Er hätte ... sie beschützen müssen.

„Und nein, ich habe keine Frau und auch noch keine Kinder.“

Er sagte es aufgeräumt und sachlich, auch wenn ihm gerade eher der Sinn danach stand, Viola in einen winzigen Teil seines Gefühlslebens einzuweihen. Glücklicherweise verwirrte ihn allein diese Tatsache ausreichend, um ihn genau davon abzuhalten.

„Was die Gesellschaft angeht ...“ Zin erlaubte sich, Violas Blick festzuhalten, ihre wahnsinnig blauen Augen zu betrachten und sich einzugestehen, wie viel ihm die Gesellschaft dieser Frau bedeutete. Sie war ... seine Retterin.

„Ich kann durchaus allein sein. Manchmal finde ich es befreiend, tagelang allein durchs Meer zu schwimmen. Ohne Ziel, ohne Begleitung. Ich gewinne viel dabei. Und niemand verbietet es mir. Aber ... Es ist schön, zu Leuten nach Hause zu kommen, die einen vermisst haben.“
 

Zins Lachen verursachte Viola einen warmen Schauer, der ihr wie kleine Funkenblitze die Wirbelsäule hinabknisterte.

Es hörte sich verdammt gut an, mit seiner tiefen Stimme und ließ sie unwillkürlich fragen, wie es dann erst sein musste, wenn er aus vollem Leib lachen konnte, ohne sich dabei selbst Schmerzen zuzufügen.

Zunächst schob sie den deutlichen Stimmungswechsel auf seine Verletzungen, doch als er sie dann erneut ansah, hatte sich etwas in seinen Augen verändert. Sie waren ... kälter und das Funkeln, das gerade noch in ihnen aufgeblitzt war, war verschwunden.

„Ja. Das ist es.“, bestätigte Viola schließlich und nickte leicht, ehe sie sich noch ein Stück Pfannkuchen in den Mund steckte und kaute. Eigentlich war sie nicht mehr hungrig.

„Ohne Flocke würde mir hier wirklich etwas abgehen. Aber naja. Seit kurzem hab ich ja noch eine nette Gesellschaft hinzugewonnen.“

Viola lächelte Zin aufmunternd an, obwohl sie wusste, dass er schon bald wieder gehen würde, sofern er hinreichend genesen war. Und bis dahin würde sie diese Gegebenheit nehmen, wie sie gekommen war. Außerdem gab es ihr Zufriedenheit, dass sie sich um jemanden kümmern konnte.

„Da zahlt es sich wenigstens einmal aus, dass ich immer zu viel für mich alleine koche. Probier doch mal den Mangosaft. Der ist wirklich erfrischend.“

Den Rest von der Schokosoße auf ihrem Teller wischte sie mit ihrem Finger auf und den sie sich anschließend in den Mund steckte, um ihn abzulecken. Dann stellte sie das Geschirr wieder auf das Tablett zurück.

„Wie ist das eigentlich ...“, begann sie nach einem neuen Gesprächsthema zu suchen. „Bist du immer so angenehm kühl, oder ist das nur, weil du gerade nicht ganz fit bist?“
 

Er nahm das nette Kompliment mit einem angedeuteten Nicken und fing dann wieder an seinen Pfannkuchen zu essen, der auf dem Teller inzwischen gänzlich kalt geworden war. Was aber nichts daran änderte, dass er mit Schokolade und Sahne unglaublich gut schmeckt. Und mit Ahornsirup.

Schließlich hinterließen Zins Lippen einen verschmierten Abdruck auf dem Glas, als er den Saft probierte und sofort stutzte. Noch einen winzigen Schluck ...
 

"Das kenne ich. Das ... habe ich schon mal ... Es ist eine grüne Frucht, richtig?“ Ziemlich groß und innen sehr fleischig. Zin glaubte sich zu erinnern, dass er einmal einen Happen hatte versuchen dürfen, als zwei seiner großen Brüder so etwas in einem Fluss gefunden hatten. Dass ihm das bis heute entfallen war ...

Mit einem versonnenen Lächeln musterte er Viola und fragte sich, wie sie denn gerade auf dieses Thema kam.

„Meinst du, was meinen Charakter oder meine Körpertemperatur angeht?“, konterte er mit einem Zwinkern, bevor er ihr wahrheitsgemäß antwortete.

„Meine Körpertemperatur hängt auch von meiner Umgebung ab. Aber meistens bin ich nicht wesentlich wärmer als jetzt. Und du findest das ... angenehm?“
 

Viola musste grinsen. Wie er über Dinge sprach, als wären sie total neu und faszinierend, obwohl es für sie nur noch banal und gewöhnlich war. Das war so ... „Interessant. Und nein, ich meine nicht deinen Charakter.“

Ihr Lächeln wurde breiter.

„Aber ja, ich finde das angenehm. Ich meine, ich bin von Natur aus total hitzig, und obwohl ich ganz gut damit zurechtkomme, ist mir bei einer heißen Außentemperatur natürlich etwas Abkühlung lieber. In jeder Form. Auch in der Form eines Mannes.“

Viola nahm rasch einen Schluck von ihrem Mangosaft, um sich davon abzuhalten, noch mehr zu sagen. Doch sie ließ Zin dabei die ganze Zeit nicht aus den Augen. Er ... faszinierte sie einfach. Vor allem seine ungewöhnlichere Seite.

„Und du kommst wirklich nicht allzu oft an Land? Warum eigentlich nicht? Das Trockene scheint dir nichts auszumachen und den paar Menschen auf dieser Insel kann man durchaus aus dem Weg gehen.“

Außerdem hätte sie hier auf jeden Fall ein sicheres Plätzchen für ihn, falls er mal wieder hierher zurückkommen wollte.

Eigentlich wollte sie Zin jetzt schon nicht mehr gehen lassen. Ihre Freunde waren toll und sie liebte Flocke, aber Zin war ebenso andersartig wie sie, auch wenn er das nicht wusste.
 

„Ach ...“

Zins Miene zeugte von ehrlicher Irritation über diese Aussage. Er war sich für einen Moment absolut nicht sicher, ob sie ihn gerade ein bisschen angemacht hatte. Da er aber weder 'ja' noch 'nein' dazu sagen konnte, entschied er sich für die sichere Variante und ließ es einfach auf sich beruhen.

„Nein, nicht allzu oft. Aber du hast natürlich Recht. Ich könnte an Land gehen, mir die Natur ansehen, die ich durchaus zu schätzen weiß. Und das habe ich auch schon getan. Ich habe mir Mangrovenwälder angesehen, Strände, Urwälder und sogar einmal eine Großstadt. Aber nichts davon hat mich ... so nachhaltig beeindruckt wie zum Beispiel ein Ausflug mit einem Buckelwal an den Rand der Tiefsee. Es ist wirklich wunderschön dort, wo ich lebe, Viola.“

Hatte er sich gerade ein Stück zu ihr gelehnt? Um ... seinen Worten mehr Gewicht zu geben? Zin wunderte sich darüber, dass er ihr seine Heimat schmackhaft machen wollte. Ja, sie war schön, geheimnisvoll und er liebte sie ... Aber Viola hatte gesagt, dass sie Wasser hasste. Daran würde sich wegen ein paar schöner Geschichten nichts ändern. Und ... warum wollte er das überhaupt?

„Kann ich das als ... Angebot sehen? Dafür, dass ich dich vor meiner Reise zum Pol für einen Abstecher besuchen kann? Jedes Jahr ... einmal 'Hallo' sagen und auf ... das hier einen Pfannkuchen essen?“

Er lächelte verschmitzt. Das konnte er sich durchaus vorstellen.
 

Unwillkürlich lehnte sich Viola auch ein Stück in Zins Richtung, während er ihr erzählte, was er schon alles gesehen hatte.

Ein Ritt auf einem Buckelwal? Wow. Das konnte sie sich noch nicht einmal vorstellen. Zumal sie ja nicht unter Wasser atmen konnte, aber irgendetwas daran, vielleicht wie Zins Augen bei seinen Worten leuchteten, während er ihr von seiner Heimat erzählte, oder die Art, wie ihr Name von seiner tiefen Stimme getragen wurde, auf jeden Fall schürte das noch mehr ihre Faszination. Wer zum Teufel ritt auch schon auf einem Buckelwal am Rande einer Tiefsee?

Menschen würden ihn für diese Behauptung auslachen. Ebenso, wenn sie behaupten würde, dass es für sie kaum etwas Schöneres gab, als Wild durch die Wälder zu jagen, ohne es jedoch zu erlegen. Dass sie es einfach mochte, wie ihre Pfoten blitzschnell jeden Untergrund, jede Erhebung, ja jeden noch so kleinen Stein dazu nützten, sie noch schneller voranzutreiben, bis ihr der Wind ins Gesicht schlug. Oder das ihr kein Baum hoch genug sein konnte, wenn sie ihn erklimmen wollte.

Als Zin weitersprach, wusste Viola nicht, ob sie grinsen oder enttäuscht sein sollte. Enttäuscht deshalb, weil seine Frage nur einen Zeitraum von einmal im Jahr beinhaltete und so ein Jahr war nun einmal verdammt lang. Grinsen jedoch musste sie schließlich, weil sich seine Worte so mehrdeutig anhörten, obwohl er das sicher nicht gemeint hatte.

Ja, lächeln war besser, als enttäuscht, zu sein. Vor allem passte es besser zu einer Erwiderung auf seinen hinreißenden Gesichtsausdruck. Er sollte wirklich öfter so lächeln.

„Kommt darauf an, was du unter Abstecher und 'Hallo' sagen verstehst?“ Ihr Grinsen wurde breiter, während sie ihm einen vielsagenden Blick zuwarf, der dann ungewollt an ihm entlang nach unten glitt. „Ich kann mir das bei den gegebenen Tatsachen gerade irgendwie nur schwer vorstellen ...“
 

Zin hob die Augenbrauen und setzte eine vollkommene Unschuldsmiene auf, während er Viola einen Moment lang eingehend betrachtete und das Knistern zu ignorieren versuchte, das ihr Blick als Spur auf seinem Bauch hinterließ.

„Jetzt weiß ich nicht genau, mit was du mir eher gedanklich eine überziehen möchtest. Damit, dass man meine Frage falsch interpretieren könnte ...“

Er lehnte sich - trotz des Protests seines Rückens - noch ein Stück weiter vor, senkte seine Stimme zu einem tiefen Raunen und lächelte ein Lächeln, das sonst nur sehr wenige Frauen zu Gesicht bekamen.

„Oder, dass du mir nicht zutraust, ich könnte diese falsche Interpretation erfüllen.“ Mit einem breiten Schmunzeln setzte er sich wieder gerade hin. „Nur weil du nicht alles sehen kannst, heißt das nicht ... dass ich nicht alles habe, was ich brauche.“
 

„Wirklich?“

Okay, sie begann sich zu wiederholen, aber Zin forderte es geradezu heraus, dass sie seine Antworten in Frage stellte. Vor allem, wenn er so lächelte, wie er es gerade getan hatte.

Einen Moment lang hatte Viola geglaubt, ihr bliebe tatsächlich das Herz bei diesem Anblick stehen. Nur um dann ziemlich rasant weiter zu schlagen.

"Weißt du, was ich eher glaube?“

Viola sah ihn schief grinsend an und ließ ihn kurz zappeln.

„Ich glaube, dass ich viel mehr meine Neugierde befriedigen wollte, anstatt dir verbal eine überzubraten. Zudem traue ich dir ziemlich viel zu, wenn schon ein paar Sekunden von deinem speziellen Lächeln weniger abgebrühte Frauen als mich dazu bringen könnten, sofort ihre Höschen zu verlieren.“

Nun musste sie bei der Vorstellung tatsächlich lachen.

„Und überhaupt lasse ich mich grundsätzlich nur von Tatsachen überzeugen, nicht mit bloßen Worten.“ So wie sie es beinahe schnurrte, klang es fast wie eine Herausforderung, doch Viola winkte dann lediglich ab.

„Außerdem könnten deine Worte auch bedeuten, dass du alles hast, um ... wie zum Beispiel bei den Lachsen, einfach über ein paar Eier zu schwimmen und sie dabei zu befruchten. Ich bin zwar vielleicht kein Ass in Naturkunde, aber soviel weiß selbst ich.“ Viola ließ die Worte so im Raum stehen und nahm seelenruhig einen Schluck von ihrem Mangosaft, während sie in sich hineinschmunzelte.

Es machte Spaß Zin zu necken. Entsprach aber auch der Tatsache, dass sie ihm nicht vollkommen glaubte. Nein, da würde er sie wirklich erst noch überzeugen müssen. Wenn es überhaupt je dazu kommen sollte.
 

Als Violas Lachen erklang, musste Zin sich wirklich am Riemen reißen. Wenn er weiterhin so unvorsichtig war, würde er das Pulsieren der Wunden nicht mehr so schnell und leicht ignorieren können. Aber ... was sollte es denn? Zumindest ein bisschen ließ er sich anstecken und sah sein Gegenüber dann forschend an, als sie ihn mit ihrer nächsten Aussage offensichtlich wieder zu verwirren suchte.

Sie ließ sich nur von Tatsachen überzeugen?

Zin hatte ja schon von offenen Frauen gehört, aber das war eher so, wie Viola es gerade genannt hatte. Abgebrüht. Was es nur noch viel schwieriger machte, Viola einzuschätzen. Erlaubte sie sich nur einen Scherz mit ihm, neckte sie ihn ... oder lag ein bisschen Ernst in ihren Worten?

Manchmal war es wirklich nicht so einfach, mit einem Menschen zu kommunizieren. In seiner Welt war man selten unehrlich zueinander. Meistens war es einfach zu gefährlich, sich nicht auf die Signale des Anderen verlassen zu können. Aber bei Menschen ... musste man immer damit rechnen, dass sie genau das Gegenteil von dem meinten, was sie sagten. Man musste ... skeptisch bleiben.

Trotz seines gesunden Maß an Misstrauen musste Zin wieder leise lachen und diesmal schlang er seinen Arm um seinen Bauch, um den Verband etwas fester auf seine schmerzenden Kiemen zu drücken, bevor er sich wieder vollkommen beruhigt hatte.

„Das habe ich nun wirklich noch nie versucht.“ Allein die Vorstellung war aber durchaus erheiternd. Und sich das vorzustellen ... Herrje, stinklangweilig.

Wieder ruhiger fuhr er fort. „Wie ist das mit dir? Ich weiß ja immer noch nicht, wie groß dein Anwesen ist, aber Kinder hätte ich wohl inzwischen zumindest gehört ...“
 

„Also so groß ist mein Anwesen auch wieder nicht. Nimmt man die Wohnküche, mein Zimmer, das obere WC und die Rumpelkammer dazu, wäre das Haus eigentlich komplett. Dazu noch etwas Strand und hinterm Haus noch ausreichend Wald, dann wäre es das auch schon gewesen.“

Viola machte ihr kleines Reich zwar farbloser als es eigentlich war, aber sie sprach trotzdem mit Wärme in der Stimme, wenn sie von ihrem Zuhause redete. Sie liebte diesen Ort und wollte auch gar nicht von hier weg.

„Und nein. Für Kinder habe ich noch nicht den richtigen Erzeuger gefunden. Was mich bei dem Kaff auch kein Bisschen wundert, aber was soll’s. Ich hab ja noch ausreichend Zeit und wie meine Omi immer sagte: Ich muss mich noch austoben und erwachsen werden.“

Viola lächelte bei dem Gedanken. Es war jedoch nur noch ein kleines Lächeln. Sie wusste ja selbst, dass sie einen viel zu unsteten Lebenswandel hatte und ihre Unfähigkeit, lange intensive Beziehungen zu führen, machte es auch nicht gerade besser.

„Naja. Ich räum' dann mal das Geschirr weg.“

Geschmeidig rutschte sie vom Bett, sammelte alles ein, ließ Zin aber den Saftkrug und sein Glas auf dem Nachtkästchen stehen und verschwand dann mit dem Tablett in die Küche, wo sie die übrig gebliebenen Pfannkuchen einpackte und in den Kühlschrank stellte.

Mit einem Teller und einem Geschirrtuch in der Hand hielt sie schließlich inne und starrte aus dem Fenster auf das Meer hinaus.

Ihr fiel noch ein Grund ein, warum sie keine Kinder hatte und auch gar nicht erst daran dachte, welche in naher Zukunft zu haben.

Hier gab es niemanden von ihrer eigenen Art.
 

Toll.

Zin sah aus dem Fenster, nachdem Viola verschwunden war und ihn wohl für den größten Idioten halten musste, der in den Weltmeeren unterwegs war. Oder in ihrem 'bescheidenen Palast' im Gästezimmer herum saß.

Ganz toll.

Na, zumindest hatte sie ihn nicht ausgelacht dafür, dass er ihr diese anfängliche Beschreibung einfach abgekauft hatte. Vielleicht zählte ja, dass er da noch halb ohnmächtig vor Schmerzen mit dem Bauch auf dem Bett gelegen hatte.

Er würde sich von jetzt an daran gewöhnen, Violas Worte auf die Goldwaage zu legen, wie bei jedem anderen Menschen auch. Wobei der Unterschied sein würde, dass er bei ihr keine Lügen, sondern lediglich einen Scherz vermuten wollte.

Als er wieder vor sich auf das Bett sah - auf den Platz, an dem Viola gerade noch gesessen hatte - bekam Zin das Bedürfnis nach ihr zu rufen. Zwar brauchte er nichts, aber ... ihre Gesellschaft fehlte ihm schon nach den wenigen Minuten, die sie gerade in der Küche herum klapperte.

„Reiß dich doch mal zusammen“, ermahnte er sich nachdrücklich und schnappte sich noch etwas Mangosaft, der ihm dann in winzigen Tropfen auf der Oberlippe stand, bevor er sie unauffällig abschleckte.

Vielleicht sollte er lesen. Wenn er doch jetzt so oft mit einem Menschen sprach ...

Wieder huschte sein Blick zur Tür, doch anstatt nach ihr zu rufen, lauschte Zin Viola in der Küche und ließ sich dann umständlich und dem entsprechend sehr langsam auf das Bett gleiten, wo er auf die Seite gerollt liegen blieb.

Er würde vor Langeweile sterben, wenn sie wieder arbeiten ging.

7. Kapitel

Nachdem sie auch noch gleich das Geschirr weggeräumt hatte, suchte Viola ein paar Sachen für Zin zusammen. Modezeitschriften würden ihn zwar nicht so unbedingt interessieren, aber es waren auch Motorradmagazine darunter. Sogar ein paar GEO-Hefte, die sie immer wieder total interessant fand. Von einem davon hatte sie auch die Geschichte mit den Lachsen.

Da sie selbst keine große Auswahl an Büchern hatte, die Zin interessieren könnten, höchstens ein paar Krimis, Horrorschinken und Fantasyschnulzen, packte sie jeweils eines von den Besten oben drauf und trug alles in sein Zimmer.

Sie lud alles auf dem Stuhl neben dem Bett ab und schenkte Zin ein kleines Lächeln. „Bin gleich wieder da.“

Als Nächstes suchte sie ihm Kleidung heraus. Nicht, dass er sie in nächster Zeit brauchen würde, aber so konnte er ihr wenigstens sagen, was ihm davon gefiel und was nicht. Ein paar gewaschene T-Shirts und Shorts. Auch die eine oder andere Jeans war dabei. Diesen Stapel hängte sie über die Sessellehne, ehe sie schon wieder verschwand, um ihre Nagelpflegeutensilien zu holen.

Mit dem kleinen Kästchen pflanzte Viola sich schließlich vollkommen selbstverständlich zu Zins Füßen.

„Falls es Magazine gibt, die dich mehr interessieren, als ich zu bieten habe. Sag es ruhig. Was unser örtlicher Laden hergibt, kann ich dir besorgen.“ Sie begann ihre Nägel sauber zu feilen und nahm sich für dieses Mal fest vor, nicht ihre Krallen auszufahren und somit alles wieder zu ruinieren.

Mal wieder.
 

Es war wirklich grässlich, wie anstrengend und langwierig es war, sich nur zu dem Stuhl hinüber zu schieben, den Arm auszustrecken und das Möbelstück ein paar Zentimeter weiter an den Bettrahmen heranzuziehen. Aber im Sitzen wäre es auch nicht einfacher vonstattengegangen und Zin wollte sich auch nicht von Viola dabei erwischen lassen, wie er seine Energie damit verschwendete, sich wieder in sitzende Position zu bringen. Also blieb er liegen, zerrte den Stuhl heran und drehte den Stapel an Büchern und Zeitschriften so herum, dass er die Titel auf den Rücken lesen konnte. Die grünen Magazine gefielen ihm. Da gab es etwas über Wüsten und Vögel zu lesen. Und über Roboter.

Zin krauste die Stirn und überlegte, ob wohl etwas über Schwachstellen bei diesen Dingern in dem Heft stehen könnte. Auch wenn es sich nicht direkt um Bohrgeräte und Unterseeboote handelte, konnte man vielleicht -

Er zuckte innerlich zusammen, als Viola einen Stapel an Kleidung auf den Sessel warf und sich kurz darauf zu ihm aufs Bett setzte, um anzufangen, ihre Fingernägel mit irgendeinem Werkzeug zu bearbeiten.

Zin rollte sich ein Stück weiter zusammen und schob sich so das Bett hinauf, dass er fast quer darin lag und Viola besser ansehen konnte. Er fühlte sich wirklich, wie eine Schildkröte, die auf dem Rücken lag. Bloß ... anders herum. Ach egal.

„Das ist schon ein ziemlich guter Anfang. Danke. So schnell lese ich auch nicht.“
 

„Oh, ich auch nicht“, gab Viola ehrlich zu.

"Ich lese zwar gerne, aber meistens fehlt mir die Zeit dazu und dann werden die Wartepausen wieder so lange, dass ich ein Buch oder so etwas derart langes, fast schon wieder von vorne anfangen muss, weil ich den Faden verloren habe. Da sind mir die Zeitschriften lieber, weil man sich da von einem Artikel zum Anderen bewegen kann, egal wie viel Pause dazwischen liegt.“

Da es an Violas Fingernägel nicht sehr viel zum Feilen gab, da sie immer auf gepflegte Nägel achtete, ging sie ziemlich bald zum Polieren über.

„Wenn du dich einmal kräftiger fühlst, kannst du einmal die Sachen durchsehen, die ich dir hingelegt habe. Bei dieser Hitze ist zwar jedes überflüssige Kleidungsstück reine Quälerei. Aber was tut man nicht alles, um den Anstand zu wahren.“

Ein Gedanke brachte sie dabei zum Schmunzeln.

Wie oft sie früher schon von Sheriff Durell wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses verhaftet worden war, weil sie mal wieder nackt im Wald herumlaufen musste, konnte sie schon gar nicht mehr zählen.

Mein Gott, damals war sie 16 gewesen. Da hatten Regeln noch gar nichts für sie bedeutet und wieso sollte sie bei Ausflügen in ihrem Pelz Kleidung mit sich herumschleppen?

Etwas unschlüssig kramte Viola in ihrem Kästchen herum und hielt dann schließlich drei Nagellackfläschchen hoch, so dass auch Zin sie sehen konnte.

„Welche Farbe soll ich nehmen? Perlmutt, Strass oder doch lieber den, der schon zu meinen Zehennägeln passt?“
 

Zin hatte ihr eine Weile bei der für ihn unsinnigen Arbeit an ihren Nägeln zugesehen und war gerade dabei, sich eines der grünen Magazine aus dem Stapel zu fischen, als er in seiner Bewegung einfror und es nur wagte, seinen Kopf etwas zu senken, um Viola ansehen zu können. Sein Hals war auf einmal etwas trocken, so dass er sich räuspern musste und trotzdem brauchte es weitere Sekunden, bis er sich aus seiner Starre lösen konnte. So unauffällig wie möglich - was Schwachsinn war, da er vor Viola wie auf einem Silbertablett lag - zog er sein oberes Bein ein Stück nach vorn und legte es so auf der Matratze ab, dass es zumindest den Anschein dessen erweckte, was Viola gerade nicht unbedingt durch die Blume von ihm verlangt hatte.

Er würde sich verdammt nochmal so schnell wie möglich eine Hose anziehen, sobald sie aus dem Zimmer war!

Scheiße, warum hatte er nicht daran gedacht? Sie war nun einmal keine von ihnen, und selbst wenn sie sein bestes Stück nicht so ohne Weiteres sehen konnte, bedeutete das nicht, dass sie sich von seiner Nacktheit nicht gestört fühlte. Vor allem jetzt, wo er sich schon wieder einigermaßen bewegen konnte und seine Verletzungen keinen wirklichen Grund mehr darstellten.

„Okay.“

Er nickte grabesernst und fingerte dann wieder an dem Stapel mit Lesefutter herum, bevor Viola ihm nun tatsächlich noch eine größere Kopfnuss verpasste und Zins Augen sich weiteten. Irritiert sah er zwischen ihrem Gesicht und den Fläschchen in ihrer Hand hin und her und versuchte den Witz zu verstehen. Es misslang.

„Ich ... habe keine Ahnung.“

Für was hielt sie ihn? Für ihren asexuellen besten Freund? Er hätte ihr sagen können, dass es eine verdammt gute Wahl gewesen war, auch nach ihrem unfreiwilligen Bad keinen BH anzuziehen, aber doch nicht ... welcher Glitzerlack nun besser zu ihren Fingernägeln passte!
 

Oh Mann. Da hatte sie einmal einen nicht menschlichen Kerl auf ihrem Bett und selbst dieser stellte sich, wie alle anderen Männer an.

Darum waren schwule Männer so toll. Die nahmen so etwas wie Schönheitspflege wenigstens ernster, weil sie genau wussten, wie viel Aufwand das war und warum man diesen Aufwand eigentlich betrieb.

„Okay. Noch einmal von vorne“, begann Viola geduldig, musste sich allerdings ein Schmunzeln verkneifen.

„Ich will hübsch aussehen und du als Mann könntest mir dabei helfen, in dem du mir sagst, was du lieber an mir sehen würdest. Also, Perlmutt, Strass oder den Silbernen?“ Sie legte ihre Hand flach vor ihm hin und hielt die drei Fläschchen dazu, um die Auswahl womöglich etwas zu erleichtern.
 

Eine seiner Augenbrauen kräuselte sich leicht und Zin sah schließlich immer noch mit gemischten Gefühlen auf dem Gesicht auf Violas Hand und ihre Fingernägel hinunter. Innerlich seufzte er.

„Dann zeig mir deine Zehen.“

Sie tat, wie ihr geheißen und Zin nahm vorsichtig Violas Fuß in seine Hand. Gerade so, als könnten die kleinen Zehen mit den lackierten Nägeln einfach abbrechen, wenn er sie zu fest anpackte. Zins Daumen streichelte vorsichtig über den Rist und blieb dann leicht über den Zehen liegen, bevor er Violas Fuß auf der Matratze absetzte und sie ansah.

„Der Silberne ist hübsch. Aber für die Finger würde ich Perlmutt nehmen.“
 

Als Viola ihm ihren Fuß zeigte, hatte sie nicht damit gerechnet, dass Zin ihn berühren würde. Da er es aber doch tat, erstarrte sie für einen Moment und musste schwer schlucken.

Ein warmer Schauder rieselte ihre Wirbelsäule herab, während sie seinen Daumen auf ihrer Haut spürte und obwohl er sie so leicht hielt, als könne er ihr wehtun, fühlte es sich unglaublich ... gut an.

Hätte Zin sie noch länger berührt, sie vielleicht sogar noch mehr gestreichelt, hätte Viola zu schnurren begonnen.

Nicht wie eine Katze, aber sehr wohl eindeutig als das meinend, was es war - Wohlbehagen.

Solche Berührungen waren Violas absolute Schwachstelle. Sie war ebenso süchtig danach, wie sie nach Luft lechzte. Nach Freiheit und Aufregung.

Ja, wenn er sie noch länger auf diese Art berührt hätte, wäre vermutlich alles möglich gewesen.

So aber zog Viola ihren Fuß langsam wieder zurück, obwohl sie ihn Zin gerne noch mehr hingestreckt hätte, um vielleicht weitere Streicheleinheiten zu bekommen.

Züchtig richtete sie wieder den Stoff ihres Rocks, so dass er zumindest ihre Oberschenkel bedeckte, als sie sich wieder in einen Schneidersitz hinsetzte, und nahm dann das Perlmuttfläschchen zur Hand, nachdem sie die anderen zurückgestellt hatte.

„Du hast sehr angenehme Hände“, meinte sie schließlich leise, ohne von ihren Nägeln hochzusehen, die sie gekonnt, einem nach den anderen lackierte.

„Jetzt weiß ich wenigstens, was ich mir als Gegenleistung von dir wünsche.“ Sie lächelte warm, wenn auch immer noch leicht irritiert über das nachprickelnde Gefühl in ihrem Fuß.
 

Diesmal war sein Gesichtsausdruck eindeutig und fragend. Denn Zin war das kurze Schweigen nicht entgangen, das sich über die Szene gelegt hatte und das ihm so untypisch für dieses Haus schien. So hauchzart es auch nur gewesen war. Trotzdem war es gar nicht so schlecht, denn vielleicht hätte er sonst Violas anschließende Worte gar nicht hören können.

Ja? Hatte er? Obwohl er sich schon im nächsten Moment dumm dabei vorkam, musterte Zin seine Hand, in der Violas Fuß gerade noch gelegen hatte.

Noch irritierter als von der Nagellack-Frage, öffnete er auf ihren Hinweis hin den Mund. Allerdings kamen seine Worte ungewollt warm und mit einem gewissen ... Unterton über seine Lippen, der Zin selbst überraschte. „Dass ich deine Füße streichle?“

Von unten herauf versuchte er ihren Blick einzufangen, der so unglaublich konzentriert auf ihre Nägel gerichtet war. Er ... konnte diese Frau einfach überhaupt nicht einschätzen.
 

Violas Hand zuckte bei den Worten nur leicht zusammen, aber es reichte, um den Lack über ihren Nagel hinaus auf ihre Haut zu klecksen. Trotzdem unternahm sie nichts dagegen, sondern starrte nur auf die winzige Bescherung.

Er hatte ... Dieser Tonfall ... Es ...

Scheiße. Ihr Herz begann zu rasen, bei dem Gedanken, er könnte sie noch einmal so anfassen.

Entschlossen sah Viola hoch, bekam aber keinen Ton heraus, sondern leckte sich nur etwas verwirrt über die Lippen.

Ihr Blick traf den von Zin und bei seinen Augen begann es, noch mehr in ihr zu kribbeln.

Kurzerhand schraubte sie ihr Fläschchen zu, nahm den Nagellackentferner und einen Wattebausch zur Hand, um sich den versauten Nagel noch einmal neu zu streichen.

„Die Füße. Die Waden. Meinen verspannten Rücken. Alles, wonach ich eben dann das Bedürfnis habe. Bist du damit einverstanden?“

Ihr Tonfall war nüchtern, um das Zittern darin zu verbergen, welches sie bei dem Gedanken, er würde sie tatsächlich massieren, noch stärker verspürte.
 

„Selbstverständlich.“

Er freute sich sogar darauf und das zeigte auch sein Lächeln, das er nicht einmal vor Viola verbergen wollte.

Sie hatte einen Wunsch und er hatte verdammt große Schulden. Da würde er sich nicht lumpen lassen, wenn es um deren Erfüllung ging. Schon gar nicht, wenn es so etwas Angenehmes war, wo er doch mit Holzhacken, Kamine- und Regenrinnenreinigen oder nackt das Haus putzen gerechnet hatte.

Auch das alles würde er tun. Wenn sie es denn von ihm verlangte.

Nachdem eine Minute später immer noch Schweigen zwischen ihnen herrschte und Zin sich nicht sicher war, ob es sich diesmal ins Negative verkehren könnte, suchte er nach einem neuen Thema. Etwas, das sie noch nicht besprochen hatten. Vielleicht ...

„Dieser Wald, der zu deinem Haus gehört. Wie groß ist der? Hier in diesen Regionen kann man wahrscheinlich fast schon von Urwald sprechen. Gibt es viele Tiere dort?“
 

Selbstverständlich?

Oh Gott. Wäre Zin nicht verletzt, sie hätte ihm sofort befohlen, er solle ihr anständig den Rücken durchkneten und bloß mehrere Stunden lang nicht mehr damit aufhören. Wie gut, dass er derzeit nicht dazu in der Lage war. Vielleicht hätte er sich sein Angebot danach noch einmal überlegt.

Trotzdem, allein die Aussicht auf diese Gegenleistung, ließ sie bereits jetzt ungeduldig werden.

Es war nicht so, dass es nicht auch noch andere Männer gegeben hätte, die ihr den Rücken massieren würden, aber Typen wie zum Beispiel Cid, nutzten ihre Offenheit dabei ziemlich schnell aus, und wenn man dann das Gefühl hatte, man wurde nur massiert, um schneller die Beine breitzumachen, ging das Vergnügen dabei ziemlich schnell verloren.

Viola wollte massiert werden, damit man ihr etwas Gutes tat und das freiwillig und nicht, um sie schneller rumzukriegen. Wenn sie mehr daraus machte, dann, weil sie es so wollte und nicht umgekehrt.

„Er ist einige Hektar groß, auch wenn der Großteil davon nicht mir gehört. Aber er ist unberührt, bis auf die wenigen bekannten Plätzchen, an denen sich Liebespaare tummeln oder Grillpartys veranstaltet werden. Die sind zum Glück nicht hier in der Nähe.“

Während sie einfach draufloserzählte, lackierte sich Viola den letzten Fingernagel und räumte dann ganz vorsichtig alles zur Seite, ehe sie sich auf den Bauch legte, um gemütlicher mit Zin sprechen zu können. So musste er zumindest nicht so weit zu ihr hochsehen und sie konnte in Ruhe ihre Nägel trocknen lassen.

„Es sind einige Tiere unterwegs. Vor allem Nagetiere, Insekten und Wild. Auch sehr viele exotische Vögel. Aber manchmal trifft man sogar ... Wildkatzen.“

Nun lächelte sie wieder. Denn die einzige Wildkatze, die sich hier in der Nähe herumtummelte, lag bei Zin auf dem Bett.
 

Er hatte schon den Mund offen, um ihr begeistert zu erzählen, dass er Insekten ziemlich lecker fand. Aber gerade noch so besann er sich eines Besseren und schmunzelte in sich hinein. Bestimmt nicht die Art von Reaktion, die man einer hübschen Menschenfrau vor den Latz knallen sollte.

Weil es ihm in immer der gleichen Lage unbequem wurde, versuchte Zin sich etwas auszustrecken und schob seine Beine nun doch wieder von sich, sodass seine Füße frei über den Rand des Bettes hinausschauten. Er spreizte die Zehen und klemmte an seinem rechten Fuß die Schwimmhaut zwischen großem und zweitem Zeh so ein, dass er daran herum knubbeln konnte. Das tat er oft, wenn er sich entspannt fühlte.

„Nagetiere haben auch Fell, nicht wahr? Eigentlich so ziemlich alles, was nicht Vogel oder Insekt ist und an Land lebt.“

Das Blitzen, das wohl keinen bestimmten Grund hatte, ließ Violas Augen für einen Moment sogar noch mehr leuchten und Zin legte seinen Kopf auf seinem Unterarm ab, um sie anzusehen und in diesem Blau zu versinken. Er mochte es wirklich, sich mit Viola zu unterhalten.

„Meinst du, ich habe Chancen, dass Flocke mich irgendwann an sich heranlässt? Ihr Fell sieht wirklich ungemein weich aus und ich bin neugierig, wie sich trockenes Fell anfühlt. Könntest du ein gutes Wort bei ihr für mich einlegen? Denn ansonsten muss ich mich irgendwann an die Wildkatzen da draußen heranmachen und ich weiß nicht, wie gefährlich das für mich als Riesenfisch auf zwei Beinen werden könnte.“

Er grinste.
 

Viola blieb ... etwas undamenhaft der Mund offen stehen, als Zin sich so anhörte, als würde er sie persönlich necken, was die Wildkatze anging. Aber das konnte er doch gar nicht ...

Nein, er wusste es nicht. Das war einfach unmöglich. Er hätte schon irgendetwas gesagt und außerdem konnte sie sich mit nichts verraten haben. Sie war schon lange nicht mehr vollkommen verwandelt gewesen.

Aus ihrem offenen Mund wurde schließlich ein so breites Grinsen, dass nun Viola drohte, ihre Ohren zu verspeisen. „Also. Zum einen gäbe es da auch noch Reptilien. Vor allem die Haut von Schlangen finde ich sehr interessant. Was Flocke angeht, kann ich dir nur raten, sie wie jede Frau zu behandeln, die in den Augen vieler anderer, einen Schönheitsfehler hat: Schmeichel ihr! Dass dir ihr Fell gefällt, findet sie sicher toll, schließlich ist es wirklich verdammt weich und sie mag es, Aufmerksamkeit zu bekommen. Vor allem von einem Fischmann wie dir.“

Vorsichtig stupste Viola Zin neckend gegen die Schulter und lächelte weiter. „Und ich rate dir, nicht nach den Wildkatzen da draußen zu suchen. So wie du in der Nase einer Katze duftest, könnten sie dich mit Haut und Haar verspeisen.“

Allerdings sagte ihr Tonfall nicht unbedingt, dass er dann als Futter im Magen endete, sondern eher ... woanders.
 

„Stimmt. Die hatte ich vergessen. Reptilien und Amphibien zähle ich meistens zu den Wassertieren, weil ich recht oft welche sehe. Und dir gefallen Schlangen? Oder nur ihre Haut? Die meisten Schlangen, die ich unter Wasser sehe ... bei denen ist es ratsam, einen weiten Bogen um sie zu machen. Viel zu giftig, um sie anfassen zu wollen.

Magst du eigentlich Frösche? Die gefallen mir. Schön bunt und eine irre große Klappe.“

Wieder lächelte er und sein Grinsen wurde noch breiter, als Viola ihn spielend auf die Schulter boxte.

„Ich werde mich an beide Ratschläge halten. Allerdings befürchte ich, dass ich weder bei Flocke noch bei einer Wildkatze so schnell in die Verlegenheit kommen werde. Was im Moment nicht zu mir kommt, dem kann ich nicht schmeicheln. Selbst wenn ich es gern täte.“
 

„Oh, ja! Frösche sind toll. Vor allem, wenn die so herumspringen.“ Viola gestikulierte passend mit ihren Händen, ehe sie ihren Spieltrieb wieder unter Kontrolle hatte und sie sorgfältig wieder auf dem Bett ablegte.

Bei Zins nächsten Worten konnte sie einfach nicht anders. Er reizte sie geradezu so etwas zu sagen, wenn er so unwissend von Wildkatzen sprach. Viola rutschte ein Stück näher und sah ihm tief in die Augen, während ein etwas anderes Lächeln um ihre Lippen spielte.

„Da ist natürlich etwas dran. Aber du hast eine Sache vergessen.“ Sie drehte sich etwas zur Seite, Zin zugewandt und stützte ihren Kopf auf ihrer Hand, während sie mit der anderen ein paar Falten auf der Decke glatt strich. „Ich bin hier und Flocke wird sicher auch noch kommen.“
 

Zins Blick wurde weich und ein Schmunzeln umspielte seine Lippen, als er Viola dabei beobachtete, wie sie begeistert einen springenden Frosch mit der Hand imitierte. Eine Amphibie war in seinen Augen noch nie so ... reizend gewesen.

Selbst als sie näher rutschte, verspannte Zin sich nicht. Was ihn ... wunderte. Normalerweise regte sich sein Fluchtinstinkt, wenn ihm eine hübsche Frau, wie Viola auf einmal so nahekam. Noch dazu mit so einem gewissen Glitzern in den Augen, das unter Umständen etwas von ihm verlangen könnte. Etwas ... zu dem er sich gerade überhaupt nicht imstande gefühlt hätte.

Vielleicht war das der Grund, weswegen er immer noch locker lächelte und sogar auf das Spielchen einsteigen konnte, das er von Violas Standpunkt aus für vollkommen harmlos hielt.

„Dir zu schmeicheln ist aber schwieriger. Immerhin ...“ Zins Lächeln wurde tiefer und seine Stimme spielte ihm schon wieder einen Streich, als sie so weich über seine Lippen kam und seine Augen sich an denen von Viola festhielten, als wäre das hier doch kein ... so harmloses ... Spielchen.

„Immerhin weißt du ganz genau, wie schön du bist.“
 

Bedeutete das, dass er sie für schön hielt?

Und da war er wieder, dieser Tonfall, der ihr bis in die Zehenspitzen kribbelte, dabei wusste Viola, dass er ihr nur Konter gab. Sie wusste selbst, dass sie nicht zu verachten war. Trotzdem, es aus Zins Mund zu hören war ... etwas anderes.

Da Viola nicht genau wusste, was sie darauf erwidern konnte, ohne sich einzugestehen, wie sehr ihr seine Worte gefielen und sie sowieso nicht ohne triftigen Grund von seinen Augen ablassen konnte, versuchte sie es anders.

„Für einen Menschen, möglicherweise“, erklärte sie, ohne jedoch eingebildet zu klingen. „Allerdings weiß ich nicht, wie es bei anderen ... Arten aussieht. Immerhin habe ich keinen so schön stromlinienförmigen Körper wie du. Ich habe auch keine ... Schwimmhäute ...“

Bei dem Wort Schwimmhäute streckte Viola ihre Hand aus und strich vorsichtig mit ihren Fingerspitzen über Zins Handfläche, wagte jedoch nicht, die Schwimmhäute zu berühren, die für sie immer noch ein kleines Mysterium darstellten.

„Ich bin auch unfähig, unter Wasser zu atmen und ... ich weiß auch nicht, in welchem Sinne ich mich noch von euren Frauen unterscheide.“

Sie zuckte schwach mit den Schultern und zog ihre Hand wieder zurück. Als Violas Augen wieder Zins Blick trafen, lächelte sie erneut.

„Zum Glück ist mir auch Persönlichkeit wichtig.“ Und das meinte sie mit vollem Ernst.
 

Herr im Himmel, warum legte es diese Frau bloß so darauf an, ihn zu verwirren? Da hatte er gedacht, er würde für seinen Kommentar – den er im Nachhinein betrachtet, mehr als ernst gemeint hatte – eine kalte Dusche bekommen und jetzt das. Wäre er der Situation gegenüber nicht so skeptisch, Zin hätte meinen können, Viola wäre es wichtig, herauszubekommen, ob sie seinen Ansprüchen an Frauen genügte.

Aber nein, da nahm er sich eindeutig zu viel heraus. Nur, weil sie neugierig darauf war, wie Frauen seiner Art aussahen, hieß das noch überhaupt nichts. Das war wie der Nagellack. Nur eine Frage, die sie gern beantwortet hätte. Und er war derjenige, der ihr dabei weiterhelfen konnte.

Trotzdem hatte seine Stimme nicht mehr dieses Lockere an sich, das Viola so leicht wieder zurückgewonnen zu haben schien. Und seine Augen klebten immer noch an den ihren, wie Motten am Licht. Schon seltsam ...

„Dann haben wir etwas gemeinsam“, sagte er leise und hätte sich am liebsten geräuspert, um den Honig ein wenig aus seiner Stimmlage zu schütteln. Aber ... er wollte ja, dass ... Ja, was denn eigentlich?

„Du unterscheidest dich sehr wohl von den Frauen meiner Art. Sie sind ...“ Nun musste er doch scherzhafter lächeln. „Stromlinienförmiger, haben Schwimmhäute und können unter Wasser atmen.“

Einer Intuition folgend, von der er absolut nicht sagen konnte, woher sie so plötzlich gekommen war, schob er ihr eine der dicken, schwarzen Haarsträhnen über die Schulter auf ihren Rücken. Ein wenig aus ihrem schönen Gesicht.

„Trotzdem bist du auch ... mit den Augen eines Fischmenschen gesehen ... sehr schön.“
 

Viola wollte gerade erwidern, dass sie bei den Unterschieden nie mithalten könnte, als Zin sie plötzlich noch mehr überraschte.

Er streckte seine Hand aus, um ihr eine Haarsträhne über die Schulter zu streichen, woraufhin ihre Welt für einen Augenblick lang stehen blieb.

Da waren nur noch Zins Augen und die Worte, die er zu ihr sagte. Worte, die umso mehr an Bedeutung hatten, weil sie noch immer seinen Blick erwiderte und beinahe darin lesen konnte.

Die Zeit begann sich schließlich wieder weiter zu bewegen und Zin war dabei, seine Hand wieder zurückzuziehen.

Ohne es bewusst zu wollen, fing Viola seine Hand ein und hielt sie dicht an ihrer Wange fest.

Er war so ... angenehm kühl, was ihre erhöhte Körpertemperatur nur noch deutlicher machte und seine Hand erschien unter ihrer so viel größer zu sein.

Viola schloss die Augen und schnurrte einmal kurz, während sie sich in seine Handfläche schmiegte, so dass ihre Haut unter seiner Berührung kribbelte.

„Ich sollte dich warnen“, hauchte sie leise, ehe ihre Augen sich langsam wieder öffneten und Zins Blick auffingen.

„Ich bin ziemlich genusssüchtig und das hier ...“

Sie strich mit ihren Fingern zärtlich über seinen Handrücken.

„... fühlt sich richtig gut an. Du fühlst dich richtig gut an.“

Viola lächelte ihn für einen Augenblick lang voller Wärme an, ehe sie sich langsam wieder zurückzuziehen begann.

„Bevor ich jetzt also noch auf dumme Gedanken komme, werde ich dir wieder dein Bett zurückgeben, damit du dich noch erholen kannst. Weil - auch wenn ich es hin und wieder vergesse - du bist immer noch schwer verletzt.“

Noch ein letztes Mal strich sie über Zins Hand, ehe Viola sie langsam wieder losließ und aufstand, um ihre Sachen zu packen. Es war kein übereilter Rückzug, als wäre ihr etwas peinlich oder so, es war lediglich klüger, das hier nicht weiter auf die Spitze zu treiben.

„Ich schau dann wieder rein, wenn es Zeit fürs Mittagessen wird. Bis später dann.“
 

Ihre Wange war ... unglaublich weich, glatt und warm. Zins Lippen kräuselten sich ohne sein bewusstes Zutun, während sich sein Blick fasziniert über Violas feine Züge bewegte. Für einen kurzen Moment war er irritiert über das Geräusch, das sie von sich gab und das er zuvor noch nie gehört hatte. Aber dann brachte es ihn sogar noch mehr zum Lächeln. Es hörte sich ... mitreißend an.

Als sie ihn mit ihren blitzenden Augen unter dunklen Wimpern wieder einfing, versuchte Zin ihr zuzuhören. Aber ihr Mund ... die Art, wie sich diese geschwungene Oberlippe bewegte, hatten es ihm so vollkommen angetan, dass Zin eine Weile brauchte, um die Worte in seinem Hirn zu sinnvollen Sätzen zusammenzubauen. Sätze, die zusammen mit Violas Lächeln für Anspannung in seinem Körper sorgten.

Zins Nacken protestierte und wies damit darauf hin, dass er schon seit einer Weile seinen Kopf ein Stück angehoben hatte. Viola entgegen, die ... zusammenpackte und ging.

Als hätte er mehr als nur irgendeine Pointe verpasst, sah Zin wortlos hinter ihr her, nickte ihr sogar zu, bevor sie den Raum ganz verließ und er allein zurückblieb.

Erst dann ... Erst, nachdem er eine Weile seine Hand angesehen hatte, deren Innenfläche noch ein wenig die Wärme zu spüren schien, die Violas Wange ausgestrahlt hatte, ließ er sich mit einem Seufzen wieder gänzlich auf die Matratze sinken.

Verpasste Gelegenheiten.

Eine seiner absoluten Spezialitäten.

8. Kapitel

Ihre Wange prickelte noch immer, während Viola ihren hellblauen Bikini anzog und sich ein großes Tuch um die Hüfte wickelte. Zusammen mit einem Badetuch und ihrem Handy hatte sie kurzerhand beschlossen, einen Abstecher ins Freie zu tun, um einmal aus diesem Haus heraus und vielleicht auch ein bisschen von Zin weg zu kommen. Der Kerl war gefährlich für sie und das auf eine Weise, wie andere Männer es bisher nicht gewesen waren. Viola war inzwischen versucht, mehr von sich preiszugeben, als irgendjemand anderem. Herrgott noch mal, sie hatte schließlich geschnurrt!

Zin würde es verstehen und nicht gleich die Polizei holen oder gar mit einer Knarre auf sie zielen. Ihre Welten waren vielleicht vollkommen gegensätzlich, aber sie hatten mit ihrer Andersartigkeit wenigstens etwas gemeinsam.

Obwohl sie Wasser hasste - wie Viola mit einem weiteren Blick auf das Meer feststellte - mochte sie doch die Bewohner darin auf mehr als nur eine Art und Weise. Sie waren schließlich nicht nur lecker, sondern auch schön anzusehen und wenn sie jetzt auch noch bedachte, dass dort drin mehr war, als sie bisher geahnt hatte, dann wurde das Meer auch noch absolut faszinierend neben ihrer Abneigung gegen die Nässe.

Sie suchte sich ein schattiges Plätzchen im Sand, da es in der Sonne inzwischen viel zu heiß geworden war, breitete ihr Badetuch aus und ließ sich auf dem Bauch darauf nieder. Dann schrieb sie kurz Cid eine Nachricht und bette ihren Kopf schließlich auf ihre Arme, während sie dem Wellengang zusah.

Bis auf Tess hatte sie weder Nachrichten noch Anrufe auf ihrem Handy gehabt. Warum wunderte sie das bloß nicht?

Ein paar Minuten später war das Handy aber auch schon vergessen und Violas Gedanken drehten sich nur noch um diese eine Sache, um die sie sich schon in den letzten Tage drehten. Zin und wie es ihm wohl gerade ging? Ruhte er sich aus? Las er? Was er wohl darüber dachte, dass sie sich einfach so an seine Hand geschmiegt hatte? Gut, sie waren in letzter Zeit schon enger beisammen gewesen, da es eben nicht anders gegangen war, aber das hier ... das hatte nichts mit seinem Zustand zu tun gehabt und es ließ sie auch noch sehr lange nicht mehr los.
 

Zuerst hatte er versucht, in einem der GEO-Hefte zu lesen. Da das Vokabular darin aber schwieriger war, als das Meiste was er bisher gelesen hatte, gab er es nach einer Weile auf und sah sich nur noch interessiert die Bilder an.

Zumindest konnte er sich selbst fast davon überzeugen, dass er sich für die kleinen Maschinen und Helfer aus Schaltkreisen für die menschliche Art interessierte. Wäre da nur nicht die Tatsache gewesen, dass er sich das großformatige Bild eines Speicherchips nun schon seit Minuten ansah, ohne auch nur aufzunehmen, was für Farben abgedruckt waren. Geschweige denn, was die kleinen Erklärungstexte beinhalteten.

Versonnen kratzte er sich unter dem festen Verband kurz über seinem Hintern und grübelte. Viola hatte nicht so ausgesehen, als hätte sie den Kontakt zu ihm bereut ... oder?

Mit einem Seufzen warf Zin das Heft auf den Sessel zurück und drückte sich beide Handballen gegen die Augen, bevor er - nicht zum ersten Mal an diesem Tag - den Fehler machte, sich auf den Rücken rollen zu wollen.

Diesmal stöhnte er leise auf und drehte sich als Gegenreaktion einmal vollkommen um, sodass er auf dem Bauch und wieder richtig herum der Länge nach im Bett lag. Sein Atem ging heftig, was ihn wiederum ärgerte. War er wegen dieser zwei Tage vollkommen außer Form? Oder waren es schon drei?

Ihm schoss durch den Kopf, dass er Viola nie gefragt hatte, welches Datum sie hatten? Vielleicht war er eine ganze Weile auf dem Meer herumgetrieben, bevor er angespült worden war? Violas Insel war auch ein ganzes Stück von seiner Heimat entfernt. Wie weit eigentlich genau? Konnte man in einem Tag überhaupt hierher schwimmen? Na, bestimmt, wenn man -

Er gähnte und knubbelte seine Schwimmhaut zwischen den Zehen, während er immer noch grübelnd die Augen schloss. Soo weit konnte es nicht sein. Sonst hätte ihn irgendjemand gefressen. So, wie sein Rücken geblutet hatte.
 

***
 

Es war Nachmittag, als Viola mit einem Tablett voller Essen wieder in Zins Zimmer kam. Heute hatte sie gebratenen Lachs mit Kräuterrahmsoße und Jungkartoffeln gemacht. Einfach nur, damit er auch einmal wieder etwas Vertrauteres zu essen bekam, obwohl es natürlich heiß und nicht kalt war. Aber wenn er auch nur annähernd so neugierig war wie sie, dann würde es ihm sicher gefallen, zumindest einmal zu probieren.
 

Ein ihm unbekannter Duft schlich an seiner Nase entlang, streichelte Zins Sinne und holte ihn so angenehm aus dem Schlaf, dass er hochzufrieden gähnte, während er sich einmal über die noch kleinen Augen rieb. Gott, er hatte geschlafen wie ein Stein. Aber kein Wunder; bei dieser Hitze fühlte man sich ja ohnehin wie -

Seine Gedanken stoppten, als er sich halb herumdrehte, über seine Schulter lugte und Viola mit einem Tablett in der Tür stehen sah.

Sie war so ...

Scheiße!

Zin krümmte sich zusammen, als ihm mehrere Dolche gleichzeitig ins Rückgrat getrieben wurden und seine Kiemen sich noch einmal so anfühlten, als würden sie in tausend Einzelteile zerrissen. Er keuchte laut und seine Finger krallten sich wütend in den Bezug der Decke, auf der er lag, bis er wieder ordentlich Luft bekam. Verdammte Scheiße, er hatte sich nur umdrehen wollen!
 

Viola besaß gerade noch so die Geistesgegenwart, das Tablett abzustellen, ehe sie zu Zin eilte, um nachzusehen, warum er wieder solche Schmerzen hatte. Beinahe hätte sie es einfach fallengelassen.

Vermutlich, weil es sein Rücken einfach nicht hinnahm, wenn er zu großen Druck abbekam und das war im Moment ganz und gar nicht leicht zu vermeiden.

Sie legte Zin eine Hand auf die Schulter und eine auf seinen Nacken.

„Hey, ganz ruhig. Das wird gleich wieder. Einfach weiter atmen.“

Während sie das so ruhig wie möglich sagte, prüfte sie die Verbände, ob auch kein Blut durchsickerte. Was nicht der Fall war. Also war es noch nicht so schlimm. Trotzdem.

„Ich hole dir die Schmerztabletten.“

Sie streichelte beruhigend über seine Schulter, prüfte, ob der Schmerz langsam nachließ und sie kurz wegkonnte, ehe sie auf lautlosen Sohlen aus dem Zimmer stürmte, um die Tabletten zu holen.

Eigentlich hätte sie ihm schon längst welche geben müssen!

Als sie wieder zurück war, hatte sie sich innerlich bereits mehrmals angeschrien, wie sie überhaupt nur so unaufmerksam sein konnte. Doch nach außen hin nagte sie nur frustriert an ihrer Unterlippe, weil sie Zin nicht einfach die Schmerzen abnehmen konnte.

Dieses Mal kam sie von vorne auf ihn zu, damit er sie ansehen konnte.

„Hier. Wieder nur eine Halbe, aber es wird dir zumindest etwas helfen.“

Während sie das sagte, berührte sie wieder seine Wange und den Nacken. Auch wenn sie nicht wusste, wie das bei seiner Art so ablief, bei ihr waren Berührungen wichtig, besonders bei Verletzten. Sie tat das also schon rein von ihrem Instinkt her, andererseits beruhigte es sie selbst auch, wenn sie sich auf diese Art mit Zin verbinden konnte.
 

Da weiße Feuerkugeln vor seinen Augen explodierten und Zin damit zu kämpfen hatte, überhaupt zu atmen, konnte er nichts auf Violas besorgte Stimme erwidern. Er hörte sie nur davon flattern, während die Klingen aus seinem Rücken quälend langsam herausgezogen wurden und nur ein pochendes Stechen zurückblieb, dass er zumindest ertragen konnte.

Zuerst war es Wut, dann Scham, die über ihn hinweg brandeten, als Viola ihm die Tablette hinhielt und ihre warmen Hände sich auf ihn legten, um ihm zu helfen. Es half ihm auch tatsächlich. Was den Knick in seinem Ego allerdings bloß noch tiefer einbeulte, anstatt ihn auszubügeln. Er konnte sich doch nicht wie ein kleiner Junge an sie schmiegen und hoffen, dass dadurch alles vorbei ging!

„Es ... geht schon. Das war nur ... dumm von mir.“

Mit geschlossenen Augen atmete er noch ein paar Mal tief durch, glaubte Salz und aufgeheizte Haut zu riechen, bevor er Violas Hand nahm, die an seinem Gesicht lag und sie wegzog. Er wich ihrem Blick aus, als er ihre Finger noch einen Moment in seinen hielt, bevor er leise fragte, ob sie ihm helfen würde, sich aufzusetzen.
 

Sie half ihm, sich aufzusetzen. Allerdings tat sie es mit einem gewissen Stechen in der Magengrube, das nicht körperlich war.

Männer!

Am liebsten hätte Viola ihn angefaucht, er solle das Scheißding schlucken, damit es ihm wieder besser ging und somit auch ihr. Aber dass sie sich wahnsinnige Sorgen machte, jedes Mal wenn er sich vor Schmerzen krümmte, darauf käme er wohl nicht.

Still in sich hineingrummelnd, legte sie die Tablette zusammen mit dem noch fast vollen Päckchen und den Antibiotika neben sein Trinkglas und holte das Tablett, das sie zu seinen Füßen stellte, ehe sie sich selbst auf das Bett pflanzte und zuerst Zin etwas auf seinen Teller anrichtete und dann sich selbst. Zum Nachnehmen war noch genug da.

Viola schaffte es sogar, sich ein Stück Lachs herunterzuschneiden, es in den Mund zu nehmen, lange darauf herumzukauen und es anschließend zu schlucken.

Dann explodierte sie.

Mit den spitzen Zacken ihrer Gabel zeigte sie auf Zin und sah ihn finster an. Wäre sie jetzt in ihrer andern Form, sie hätte die Zähne gebleckt und die Ohren angelegt, während ihr Schwanz wie wild herumgepeitscht wäre. Alles sehr offensichtliche Signale, die sie als Mensch leider nicht ausspielen konnte. Vielleicht hätte das die Ernsthaftigkeit ihrer Laune noch mehr untermalt.

"Weißt du, was ich einfach nicht an euch Typen schnalle? Entweder seid ihr die totalen Babys und jammert wegen jedem kleinen Wehwehchen, oder ihr lasst so derart den Starken raushängen, dass man euch am Liebsten ein bisschen Verstand einprügeln würde. Es ist ja bewundernswert, wie du dem zweiten Typ gerecht wirst, aber weißt du eigentlich, wie es mir dabei geht?“

Viola rammte ihre Gabel in eine kleine Kartoffel, ohne diese allerdings zu essen und ließ Zin dabei keine Sekunde aus den Augen. Kurz witterte sie in die Luft, konnte zum Glück aber kein Blut riechen. Zum Glück für ihn.

„Jedes Mal, wenn du dich zusammenkrümmst, muss ich befürchten, dass dir vielleicht die Wunden aufgerissen sind und wenn ich mich dann selbst damit zu beruhigen versuche, in dem ich dir helfe, so gut ich kann, wird meine Hilfe natürlich abgewiesen, weil sie ja nicht wirklich von Nöten ist. Und dir beim Aufsetzen zu HELFEN, zählt NICHT dazu!

Hast du außerdem schon mal was davon gehört, dass gewisse Menschen dazu neigen, mit anderen mitzuleiden? Wenn du dich also vor Schmerzen krümmst, dann überträgt sich das bei deinem Anblick quasi auf mich. Vielleicht nicht zu Hundertprozent aber gut gehen, tut es mir dabei sicher nicht. Also schluck dein verdammtes Ego wenigstens für ein paar Tage hinunter, bis du mir sicher über dem Berg bist. Danach kannst du es von mir aus wieder raushängen lassen.“

Viola sah weg, nahm die kleine Kartoffel in den Mund und kaute bewusst langsam, während sie sich darauf konzentrierte, das Zittern in ihrem Inneren nicht nach außen dringen zu lassen.
 

Nein, ich wusste es nicht. Ich habe nicht mal geahnt, dass es dir schlecht dabei gehen könnte. Und denkst du denn wirklich, dass du mir nicht hilfst? Wer hat mich denn aus dem Wasser gezogen, in ihr Haus gebracht, meinen Rücken zusammengeflickt und alles getan, was sie konnte? Denkst du, ich bin nicht dankbar für alles, was du für mich tust? Ohne dich wäre ich tot!

Das sollte er ihr sagen. Anstatt nur in ihre vor Wut schäumenden Augen zu sehen und den Mund nicht aufzubekommen. So wie immer, wenn es um etwas Wichtiges ging. Um Gefühle von Frauen, die so leicht zu schüren und so schwer zu begreifen waren. Genauso schwer, wie einen Fehler wieder gut zu machen. Schier unmöglich.

„Es tut mir leid.“

Und das meinte er todernst. Zin war wirklich nicht klar gewesen, dass sie sich so um ihn sorgte. Das war ... so untypisch. In seiner Welt ... Aber sie waren nicht in 'seiner' Welt!

„Ich wollte sicher nicht -“

Mit einem Seufzen sah er auf den Teller, der schon die ganze Zeit auf seinem Schoß stand und Zins Oberschenkel wegen der Hitze in einem Kreis krebsrot färbte.

„Ich bin dir sehr dankbar, für alles, was du für mich tust.“

Aber genau da lag auch das Problem. Sie tat so unheimlich viel für ihn. Viola kannte ihn nicht einmal und da konnte sie so etwas wie eben so aus der Fassung bringen. Das ... sollte es nicht.

Zin griff sich die halbe Schmerztablette, schluckte sie hinunter und hob den Teller von seinen inzwischen wirklich überforderten Beinen.

Er war ein Idiot.
 

Nein ... Ihr tat es leid. Dass sie ihn so angefaucht hatte, nur um ihre eigene Unsicherheit zu überdecken. Aber das sagte sie ihm nicht. Eigentlich sagte sie eine ganze Weile gar nichts und sah Zin auch nicht an. Sie musste erst einmal mit sich selbst fertig werden und damit, dass sie immer wieder zu Überreaktionen neigte.

Herrgott, ganz am Anfang wäre es ihr vielleicht noch relativ egal gewesen, wenn Zin es nicht geschafft hätte. Zu der Zeit, als sie noch nicht einmal seinen Namen gekannt hatte, wäre es ihr zwar um den Fremden leid gewesen, aber sie wäre schnell darüber hinweggekommen, da sie ohnehin nichts hätte tun können. Wenn sie allerdings jetzt daran dachte, dass Zin - dieser Mann der sie faszinierte und von dem sie noch sehr viel mehr kennenlernen wollte - einfach so sterben könnte, dann wäre das nicht mehr so leicht zu verdauen.

Eigentlich wurde ihr sogar schlecht bei dem Gedanken.

„Weißt du, als ich Flocke blutend am Straßenrand fand, ging es mir eigentlich nur darum, sie von ihren Qualen zu erlösen, da sie wirklich schlimm ausgesehen hat. Wenigstens das konnte ich für eine mir fremde Katze tun. Also brachte ich sie zum Tierarzt, und während er gerade dabei war, die Spritze zum Einschläfern vorzubereiten, da ... hat sie mich auf einmal mit ihrem einen blauen Auge angesehen. Nur kurz, aber ... der Moment war so intensiv, dass ich ...“

Viola lächelte traurig.

„Ich habe dem Tierarzt die Spritze förmlich aus der Hand geschlagen und ihm dann auf meine Art klar gemacht, dass er verdammt noch mal alles tun sollte, um das Leben dieser Streunerin zu retten. Bestimmt hatte er mich die ganze Zeit für verrückt gehalten, da die Behandlungskosten meine gesamten Ersparnisse aufgebraucht haben und ich noch Extraschichten einschieben musste, um alles bezahlen zu können. Aber weißt du ...“

Sie sah hoch, offen und kein bisschen mehr böse, blickte sie in Zins Augen.

„... das war es mir wert. Seit dem habe ich eine unersetzliche Freundin und das vom ersten Augenblick an, als sie mich angesehen hat. Ich weiß, sie ist nicht perfekt, aber sie ist in meinen Augen trotzdem wunderschön und bringt mich auf eine Weise zum Lachen, wie es andere gar nie könnten. Darum ... glaub nicht, dass dein Leben mir weniger bedeutet, als das von anderen. Wir kennen uns zwar kaum, aber manchmal ... da reicht ein Blick und man weiß, dass man einfach alles tun muss, um zu helfen.“
 

Es fühlte sich in etwa so an, als hätte sie ihm mit voller Wucht in den Magen getreten und sich dann über ihn gestellt, um ihn auszulachen.

Das ... War das ihr Ernst?

Zin zwang sich zu einem Lächeln, das Viola überzeugen musste, gerade weil es nicht besonders intensiv war und Zin seinen Blick bald wieder auf seinen Teller richtete, um ihrem Blick nicht zu lange standhalten zu müssen.

Sie hatte ihn so voller Freude angesehen. Als wäre das, was sie ihm gerade erzählt hatte, etwas, das ihr wirklich etwas bedeutete. Und das ihn aufmuntern sollte.

Es war aber nicht besonders aufmunternd zu erfahren ... dass sie ihn als Haustier betrachtete. Nicht anders, als die Katze, die sie am Straßenrand gefunden hatte. Eine gute Freundin, aber eben nicht mehr als ein Tier.

Nun musste Zin seinen Stolz wirklich hinunterwürgen und etwas tun, was er normalerweise nicht tat. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Er log.

„Ich bin froh, dass du das so siehst. Flocke und ich ... hatten wirklich Glück.“
 

Viola nickte nur und machte einen dazu passenden Laut, ehe sie schweigend weiter aß. Irgendetwas - sie konnte nicht sagen was und vielleicht lag es auch wirklich nur an ihr - auf jeden Fall war die Stimmung gedrückt und es knisterte unangenehm in ihrem Nacken, ganz so, als könnten sich ihre Härchen nicht entscheiden, ob sie sich nun aufstellen oder doch lieber zurückziehen sollten.

Es war unangenehm, aber eigentlich sollte es sie nicht wundern. Sie hatte ihn gerade eben noch angeschnauzt. Da konnte sie nicht erwarten, dass jetzt zwischen ihnen alles in Ordnung war.

Also aß sie ihren Teller halbleer, weil sie den Geschmack nicht wirklich genießen konnte, ehe sie ihn zur Seite stellte und schon mal den Nachtisch holen ging.

Es gab stinknormalen Vanillepudding, aber der ging nun einmal einfach und schmeckte ihr sehr.

Da sie ihn in den Kühlschrank gestellt hatte, war er inzwischen fest geworden und abgekühlt.

Kommentarlos stellte sie Zin die kleine Glasschüssel mit dem Pudding hin und legte noch einen kleinen Löffel dazu. Dann machte sie es sich wieder auf dem Bett bequem und nahm wieder ihren Teller zur Hand, um auch noch den Rest fertig zu essen.
 

„Der Fisch ist gut“, versuchte es Zin nach einer Weile des Schweigens, die drohte, sich unendlich in die Länge zu ziehen. Es hatte doch niemand etwas willentlich falsch gemacht. Warum also so still nebeneinandersitzen. Wo sie sich doch ansonsten gut unterhalten hatten. Das ... wollte er nicht aufgeben, solange er hier war.

„Lachs, richtig?“

Es war nicht gerade ein brillanter Gesprächsbeginn, aber immerhin etwas, über das sie sich bis jetzt immer hatten unterhalten können. Das Gemüse schmeckte ihm auch. Vor allem das viele Salz daran. Und was da in dem Schälchen war, das Viola ihm hingestellt hatte, roch ebenfalls sehr lecker.

„Weißt du schon, ob du Morgen wieder arbeiten gehst?“

Er sah sie an, konnte aber ihren Blick nicht wirklich lange halten. Lieber sah er wieder auf sein Essen und passte auf, dass er das Gemüse nicht aus Versehen über das Bett hüpfen ließ.

„Und wann?“
 

„Ja, das ist Lachs. Aus einer Aquakultur und soweit ich das beurteilen kann, wurden da die Fische auch nicht mit lauter Antibiotika vollgestopft, damit so viele wie möglich ihr kurzes Leben auch überleben.“ Viola erzählte es nüchtern. Sie ... wusste immer noch nicht so recht, wie sie wieder zu einem normalen Gesprächsthema zurückkommen sollte. Allein die Erklärung mit der Aquakultur war schon übertrieben. Ganz so, als müsse sie Zin auch noch beweisen, dass sie nicht willentlich die Umwelt schädigte, um ihre Vorliebe für Fisch ausleben zu können. Und das mit den Antibiotika sollte auch keine Anspielung oder so sein. Es entsprach nun einmal leider der Tatsache, das viele Fischfarmen ihre Tiere so mit Medizin zu dröhnten, dass der Verzehr von ihnen am Ende nur noch widerlich war. Zumindest für ihren empfindlichen Gaumen.

„Ja, werde ich. Sonst könnte mein Boss noch auf die Idee kommen, mir einen Besuch abzustatten. Soweit ich weiß, bin ich für die Spätschicht eingeteilt. Ich werde also spät am Abend wieder da sein. Kommst du so lange zurecht?“

Das war Violas erste Frage, die wieder mehr von ihren Gefühlen preisgab und sie sah Zin dabei auch tief in die Augen, um keine Reaktion darin zu verpassen.
 

Zin nahm einen weiteren Bissen seines Essens und kaute nachdenklich darauf herum.

Nein, es schmeckte wirklich nicht so, als hätte der Fisch irgendwelche Medizin verfüttert bekommen. Er schmeckte gut. So, wie Lachs eben schmeckte. Und selbst wenn Zin wusste, dass es Besseres gab, als Fische dafür zu züchten, sie später töten und essen zu können, warf er das Viola nicht vor. Die Alternative wäre gewesen, dass sie sich ihre Fische selbst fing. Und das funktionierte nicht, wenn man eine Abneigung vor Wasser hatte.

Woher die wohl kam?

„Er würde zu dir kommen, um zu sehen, wie es dir geht?“ Das war nett. Zin hatte noch nie davon gehört, dass man das bei Menschen so machte. Aber andererseits ... verstand er auch nicht viel von deren sozialen Strukturen. Eben nur das, was er beobachtet und sich angelesen hatte. Das war schon mehr, als Andere seiner Art wussten, aber trotzdem nur die Spitze des Eisbergs. Es gab noch viel zu lernen.

„Ja, sicher komme ich zurecht. Ich habe doch eine Menge zu lesen.“

Mit dem Kopf deutete er in Richtung des Sessels, auf dem sich immer noch die Bücher und Zeitschriften stapelten.

„Außerdem scheine ich immer noch eine Menge Schlaf zu brauchen.“

Was sein sehr tiefes Nickerchen vorhin bewies. Wäre es nicht gewesen ... hätte er sich vielleicht nicht mit Viola gezankt.
 

„Ja, das würde er.“ Nun musste Viola doch grinsen.

„Weißt du, ich arbeite schon seit meinem sechzehnten Lebensjahr für Dan. Anfangs war es nur ein Nebenjob um ein bisschen Taschengeld hinzuzuverdienen, aber inzwischen mache ich es auch Vollzeit, und wenn es um seine 'Mädchen' geht, ist er sehr eigen. Er hat - glaube ich - so eine Art Vater-Komplex. Letztes Mal, als Nick Hall schon ein paar gekippt und mir dann in seinem Suff an den Arsch gefasst hatte, ist er doch tatsächlich ausgerastet, als er das sah. Ich konnte gar nicht einmal so schnell reagieren, da hatte er Nick schon am Kragen gepackt und vor die Bar gezerrt. Seitdem hat Nick für eine ganze Weile Hausverbot und eine Gipshand.“

Viola wäre auch alleine mit dem Kerl fertig geworden. Aber von Frauen wie ihr erwartete man natürlich, dass sie schutzbedürftig waren. Da sie nicht zu viel Aufsehen erregen wollte, als sie es bisweilen ohnehin tat, ließ sie solche Sachen durchaus auch zu. Warum sich die Hände schmutzig machen?

Vor allem war es gut für Nick. Bei ihr hätte er den Gips ganz wo anders tragen müssen.

„Mh-hmm. Schlaf ist gut. Davon kannst du dir morgen auf alle Fälle genug abholen und jetzt, da du nicht mehr in meiner Badewanne herumtümpelst, werde ich dich auch länger schlafen lassen. Übrigens war das Wasser verdammt dreckig. Wenn das alles von dir kam, bin ich wirklich froh, dass es wieder draußen ist.“

Es war eine unausgesprochene Aufforderung für Zin, ihr vielleicht ein paar Informationen zukommen zu lassen, was die Ursache für seine Verletzungen anging, aber sie hatte es auch so formuliert, dass er darauf nicht antworten musste, wenn er es nicht wollte.

Früher oder später würde sie es schon aus ihm heraus bekommen. Auf die eine oder andere Weise. Da war sie sich sicher.
 

Das war bloß richtig, dass ihr Boss dem Kerl ein paar Manieren beigebracht hatte. Was erlaubte er sich, betrunken jemandem so nahezutreten?

Zin wunderte sich kurz über den Ärger, der in wirklich erstaunlichem Maße in ihm aufbrandete. Ja, der Kerl hatte sich daneben benommen. Aber man hatte ihn dafür wirklich ordentlich büßen lassen. Warum ... fuchste es ihn dann so?

„Freut mich, dass du dort jemanden hast, der auf dich aufpasst“, meinte ehrlich und freute sich im nächsten Moment, dass sie endlich wieder normal miteinander zu sprechen begannen. Wenn auch über ein merkwürdiges Thema, wenn man es recht bedachte. Aber das war Zin gerade ziemlich egal. Es hatte ihn mehr Steine in den Magen versenkt, nicht mit Viola zu sprechen.

Als sie allerdings auf das dreckige Wasser und den 'Dreck' zu sprechen kam, der da in Zins Kiemen gehangen hatte, war die aufgelockerte Stimmung schon wieder wie weggeblasen.

Zins Augen verfinsterten sich, nahmen fast den Farbton von kaltem Metall an, bevor er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte.

„Ich habe ... nicht wirklich viel abbekommen.“
 

Es war beeindruckend, welche Gefühlswelt da über Zins Augen zu huschen schien, auch wenn Viola kein bisschen etwas davon verstand. Nur, dass es ihn offenbar ziemlich mitnahm. Sonst würde er ... nicht so mit Antworten geizen.

Wenn er ihr sagte, dass er nicht wirklich viel abbekommen hatte, was wirklich lächerlich war, weil er verdammt viel abbekommen hatte, dann fragte sie sich, was dann noch Schlimmeres hatte passieren können?

„Zin ...“, begann Viola vorsichtig, da sie ihre vorlaute Klappe auch in solchen Dingen zügeln musste, um es nicht gar so ... deutlich anzusprechen, wie es ihr mehr behagt hätte.

„... wenn du sagst, dass du nicht viel abbekommen hast und wir beide wissen, wie dein Rücken aussieht, was könnte dann noch schlimmer sein? War ...“

Viola schloss für einen Moment die Augen, um noch einmal zu überdenken, ob sie das wirklich fragen wollte, andererseits, wenn es wirklich so schlimm war, wie sie dachte, dann sollte Zin das nicht alleine mit sich herumtragen müssen.

„Es hat nicht dich alleine getroffen, oder? Ich meine, der Grund, weshalb du überhaupt so schwer verletzt wurdest, hat noch mehr Schaden angerichtet. Nicht wahr? Persönlichen?“

Scheiße, eigentlich hätte sie ihn am Liebsten einfach nur gefragt, wie es passiert war und ob er jemanden oder etwas für ihn Wichtiges dabei verloren hatte. Nicht wegen ihrer Neugier oder weil sie sich am Leid anderer weidete. Nein, sondern um ihm vielleicht besser helfen zu können. Auch in seelischen Belangen. Obwohl Viola zweifelte, dass sie besonders qualifiziert dafür war, bedachte man ihre eigene Starrsinnigkeit in Sachen Probleme, die nur sie was angingen. Dennoch konnte sie auch anders. Das war nun einmal ihre Natur.
 

Zin hatte seine Hände in seinem Schoß verschränkt und blickte aus dem Fenster. Seine Miene versteinert und sein Atem ging flach von den Bildern, die vor seinen Augen abliefen – für Viola ungesehen. Er konnte jedes Detail in seinem Kopf abrufen. Das Licht, wie es die tarnenden Muster auf seiner Haut gestreift hatte. Ayas Blick ...

Dass sein Atem zitterte, als er Luft holte, bemerkte Zin nicht. Er war ... vollkommen weggetreten. Für Momente, eine Ewigkeit, in der er sah, was er erlebt hatte. Was man ... ihnen angetan hatte.

„Ja, sie haben ...“ Seine Stimme verfing sich in seinem trockenen Hals, raspelte sich ab und kam kaum über seine Lippen. „Ich weiß nicht mal, ... ob jemand überlebt hat.“
 

Viola wusste nicht, was schlimmer war. Zu warten, bis sich die Sekunden zu Minuten ausdehnten, während Zin vollkommen weggetreten war - vermutlich bei dem Geschehen selbst - oder seine darauf folgenden Worte. Gesprochen in einer Tonart, die ihr kalte Schauer über den Körper jagte.

Einen Moment lang, wusste sie gar nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Besser gesagt, sie hätte schon gewusst, wie sie auf so etwas für gewöhnlich reagierte, nämlich mit intensiven Berührungen.

Viola hätte Zin in den Arm genommen, ihn geerdet und ihn wissen lassen, das er nicht alleine war. Dass alles irgendwann wieder gut werden würde, auch wenn das nicht unbedingt der Wahrheit entsprach.

Tatsache war aber auch, dass Zin nicht von ihrer Art war. Das er ein anderes soziales Leben hatte als sie selbst und dass sie selbst schon lange kein so inniges soziales Leben mehr hatte, wie sie es früher bei ihrer Omi gewohnt gewesen war.

Darum saß sie einfach nur da. Stocksteif, mit dem instinktiven Bedürfnis, Zin zu berühren und zu trösten, aber sie konnte nicht. Vielleicht war ihm das zu viel. Vielleicht würde sie ihn dann erst recht dazu bringen, sich zurückzuziehen. Schließlich war ihr sein Ego nicht entgangen. So viel würde er ihr wohl kaum gestatten.

„Was ist passiert?“, fragte sie ihn schließlich leise, sachlich. Viola wollte im Moment nicht, dass er mitbekam, wie sehr es sie selbst mitnahm, auch wenn sie noch nicht einmal dabei war, oder diejenigen gekannt hatte, die es vermutlich nicht überlebt hatten.
 

Zuerst blickte er sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Violas Worte schienen sich einen langen Weg zu ihm suchen zu müssen und schafften es trotzdem, Zin aus seinen finsteren Welten zu reißen, als würde Viola ihn aus einem Albtraum zerren.

Auch wenn ... sie von ihm wissen wollte, was genau dieser Albtraum gewesen war.

Er musterte sie. Lange und eingehend, während seine Finger vollkommen still ineinander lagen und obwohl Zin das Gefühl hatte, sie wären absolut verkrampft und steif, sahen sie doch entspannt aus. So, wie der Rest seines Körpers, der ihm nur durch seinen kantigen Herzschlag immer wieder Beweise dafür erbrachte, dass er noch funktionierte.

„Wir ...“

Ihre geschwungenen Lippen öffneten sich nur ein winziges Stückchen. Einen Millimeter vielleicht, aber Zin glaubte in dieser Mimik ... Gefühle zu sehen, die er sich nicht erklären konnte. Es war nicht nur Neugier, oder?

Seine Augen suchten nach Spuren auf Violas Gesicht. Für seine Befürchtungen, sie könnte nur auf eine abenteuerliche Geschichte aus sein, auf ...

Als sein Blick ihren traf, biss Zin die Zähne hart aufeinander. Sein Herz klopfte verhöhnend gleichmäßig in seinem Brustkorb. Ganz so, als ging es das alles gar nichts an.

„Es gibt Mineralien und andere Rohstoffe unter dem Riff, in dessen Nähe mein Schwarm lebt. Öl, Gase ... alles Mögliche, das scheinbar Nutzen bringen könnte für ... die Industrie.“

Das letzte Wort spuckte er aus, als könne er sich die Zunge verätzen, wenn er es zu lange im Mund behielt.

„Vor ein paar Wochen haben sie angefangen. Boote und Schiffe haben Anker gesetzt. Schon allein dabei sind Riffbänke zerstört worden. Manche über hundert Jahre alt. Einfach zerschlagen von dreckigem Metall.“

Zin schluckte hart und sein Blick löste sich von Violas Augen. Er sah nirgendwo mehr hin, auch wenn sich seine Augen auf einen Punkt irgendwo hinter Violas Rücken richteten.

„Eine moderne Bohrinsel wurde errichtet. An Ort und Stelle und so schnell, dass wir kaum reagieren konnten. Zuerst ... haben sie auch nur gebohrt. Vorsichtig, bis ... sie auf etwas gestoßen sind.“

Seine blanken Zähne kamen zum Vorschein, als er bei der Erinnerung die Lippen krauste.

„Dann war bohren nicht mehr schnell genug. Nicht mehr ... effizient genug. Es wurde ... gesprengt.

Und wir ... hatten uns den falschen Tag herausgesucht, um den Bohrer zu sabotieren. Wir ... wussten nicht, dass sie sprengen würden. Sonst wären wir nie so nah ran gegangen.“

Obwohl er in Gedanken weiter erzählte ... Obwohl er Erklärungen suchte, für das, was passiert war, schwieg er. Die Lippen fest aufeinander gepresst sah er immer noch auf den Punkt, der keiner war, und hielt seine eigenen Hände in seinem Schoß fest.

Zin hätte gern gewusst ... ob jemand außer ihm ... überlebt hatte.
 

Je mehr er erzählte, je mehr er sich ihr öffnete, umso mehr nahm es Viola mit.

Sie war normalerweise keine sehr weinerliche Frau, die bei der kleinsten Tragödie in Tränen ausbrach, aber eine so schlimme Sache aus dem Mund eines so starken Mannes zu hören, war ... niederschmetternd.

Selbst als er schwieg und sich immer mehr Stille zwischen ihnen beiden ausbreitete, fühlte sich ihr ganzer Körper taub und gefühllos an.

Er hatte so viele verloren, die er kannte.

Zin nannte es seinen Schwarm. Er war also sehr gruppenbezogen, und wenn dann mit dieser Gruppe etwas geschah, dann traf es einen, selbst noch härter.

Viola war eine Einzelgängerin. Sie konnte es nicht vollkommen nachvollziehen, wie Zin sich fühlen musste. Wie es sein musste, wenn jemand seine Heimat zerstörte und die tötete, die ihm etwas bedeuteten. Aber sie wusste, wie schlimm es sie selbst getroffen hatte, als ihre Omi eines Tages nicht mehr aufgewacht war. Überraschend und unvorbereitet.

Sie hatte wochenlang gar nichts gefühlt und dann tagelang hindurch nur geweint.

Es war Jahre her und sie vermisste sie immer noch wie wahnsinnig.

Zin musste schrecklich leiden.

Noch immer wortlos, weil ihr ein so dicker Kloß im Hals hockte, dass sie kaum etwas heraus bekommen hätte, schob Viola das Tablett mit den Tellern zur Seite und krabbelte auf Zin zu.

Sie suchte nicht seinen Blick, oder griff nach seinen angespannten Händen, sondern schlang ihre Arme um seinen Nacken und schmiegt ihr Gesicht an seine Brust.

„Tut mir leid“, meinte sie leise mit rauer Stimme. „Ich brauche das jetzt ganz dringend.“

Und das war ihr voller Ernst. Sie weinte vielleicht nicht, aber sie zitterte am ganzen Körper und das Bedürfnis, irgendjemanden zu berühren, war einfach sehr viel stärker, als alles andere im Moment.

9. Kapitel

Er war - sehr untertrieben formuliert - überrascht. Violas Arme, die sich um seinen Nacken schlangen, rissen ihn so schnell aus seinen horrorgleichen Erinnerungen, dass Zin sich zuerst einmal orientierungslos fühlte. In eine Situation gerissen, die ihn ... überforderte.

Ausdruckslos sah er an sich hinab, auf Violas Haar, ihren Körper, der in unbequemer Haltung an ihm hing und sanft, aber deutlich bebte, als würde sie von einem kleinen Erdbeben geschüttelt.

Zin begriff nur ... 'brauchen'.

Und gebraucht werden ... das war etwas, das er sich zutraute.

Vorsichtig, um sicherzugehen, dass er auch wirklich alles richtig machte, zog er seine Hände auseinander, schlang seine Arme um Violas schmalen Körper und zog sie erst nach einer Sekunde des Abwartens auf seinen Schoß. Weiterhin so, dass ihr Kopf an seiner Brust ruhte, saß sie nun an ihn gelehnt, warm in seinen Armen.

Zin streichelte Violas Haar. Langsam und gleichmäßig. Nicht sicher, ob er sie oder doch sich selbst beruhigen wollte. Auf jeden Fall war es ... fast einfach, seinen Kopf an ihren zu legen. Seine Wange an ihr weiches Haar zu schmiegen. Und das Brennen in seinen Augen nicht ganz so vehement wegzusperren.
 

Wie war es möglich, dass ein Moment, der so voller Traurigkeit war, sich zugleich so gut anfühlen konnte?

Viola wusste keine Antwort darauf. Sie wusste nur, dass die bleierne Schwere langsam von ihr abfiel, während sie Zins Herzschlag lauschte und mit geschlossenen Augen immer mehr und mehr sein Streicheln über ihr Haar genoss.

Sie war inzwischen dichter an ihn gekuschelt, spürte die angenehme Kühle seiner Haut, die auf ihrer stets so knisternd erschien, während ihre Hand ruhig auf seinem Brustkorb lag und ihre andere, sich an seinem Oberarm festhielt.

Es war so seltsam.

Viola kannte Zin kaum und doch war da nicht nur das Wuseln in ihrem Bauch, welches sie stets bei unbekannten Dingen heimsuchte oder wenn sie aufgeregt war, nein, da war noch mehr.

Bei Cid fühlte sie dieses Wuseln ebenfalls immer wieder. Genauso wie bei ihren anderen Bekanntschaften zuvor, aber bei Zin war das ... irgendwie anders. Sie fühlte sich wohl mit ihm, und zwar so richtig. Selbst in diesem Moment, wo die Luft tonnenschwer zu sein schien, war die Nähe zu ihm unglaublich behaglich.

So hatte sie sich zuletzt bei ihrer Omi gefühlt - geborgen.

Auf jeden Fall verwirrte es Viola, aber im Moment war sie lieber verwirrt, als Zin loszulassen oder von ihm losgelassen zu werden. Dennoch. Dieser Augenblick konnte am Ende nicht ewig dauern.

Vielleicht vergingen nur Sekunden, oder auch eine ganze Unendlichkeit, auf jeden Fall begann langsam der Zeitpunkt näherzurücken, an dem es enden musste. Einfach, weil so viel zwischen ihnen war, wie es zwischen zwei Fremden nur sein konnte und sie inzwischen hoffentlich gegenseitig den Trost gefunden, wie auch gespendet hatten, den sie beide brauchten. Vielleicht nicht genug. Aber es war ein Anfang.

Da Viola nicht wollte, dass Zin sie zuerst losließ, war sie es, die sich zu bewegen begann. Nicht viel. Es war nur ein Streichen über seine Brust, das er kaum durch den Verband spüren dürfte, dennoch sollte es ihn auf sie aufmerksam machen.

„Zin? Glaubst du an Zufall oder an das Schicksal?“, fragte sie leise und nachdenklich. „Denn weißt du, ich habe früher immer nur an Zufall geglaubt, aber langsam beginne ich doch mehr zum Schicksal zu tendieren.“

Viola richtete sich ein Stück auf, um Zin in die Augen sehen zu können, ließ ihn dabei aber nicht los.

"Ich meine damit, dass alles irgendeinen bestimmten Grund hat und eben nichts zufällig geschieht. Damit will ich zwar nicht sagen, dass das, was dir passiert ist, so hätte geschehen sollen, aber alles danach, das kann einfach kein Zufall sein. Ich meine, du bist zufällig an meinen Strand direkt vor meinem Haus gespült worden. Ich war dort zufällig an diesem Morgen zu Fuß unterwegs und schon unnatürlich früh auf für meine Verhältnisse. Dann bin ich auch noch zufällig in der Lage, solche Wunden wie die deinen zu versorgen, auch wenn ich nicht sehr geübt darin bin.“

Viola senkte kurz den Blick, um auf ihre Hand zu sehen, die immer noch über Zins Verband strich oder besser gesagt, auf ihren Finger, der kleine Kreise zu ziehen begonnen hatte.

„Eigentlich könnte man das alles wirklich noch einen gewaltigen Zufall nennen, aber es gibt eine Sache, die ... kann einfach kein Zufall mehr sein. Das wäre einfach zu ... seltsam.“

Viola schwieg für einen Augenblick, überdachte noch einmal ihr Vorhaben und den Grund, worauf sie eigentlich hinaus wollte, doch dann war sie sich mit einem Mal absolut sicher, während sie Zins Schwimmhäute zwischen seinen Fingern betrachtete. „Diese eine Sache ... habe ich noch nie einem Menschen gezeigt. Also flipp bitte nicht aus, ja?“

Nun musste sie sich doch von ihm lösen, aber im Augenblick hätte sie noch sehr viel mehr getan, damit es Zin wieder besser ging. Darum tat sie das hier und weil sie das Bedürfnis hatte, auch ihm ihr Vertrauen entgegen zu bringen, nachdem er das Gleiche bei ihr getan hatte.
 

Er wusste nicht, ob er an Zufall oder Schicksal glaubte. Das Eine war für ihn so wenig greifbar, wie das Andere. Meistens gab es nur Entscheidungen, die Gutes oder Schlechtes nach sich zogen. Jeder konnte bis zu einem gewissen Grade selbst entscheiden, was er tat oder nicht. Der Rest war ... vermutlich das, was Viola meinte.

Gerade wollte er ihr sagen, dass er nicht wirklich sinnvoll auf ihre Frage antworten konnte, als sie ihm all die Dinge aufzählte, die seit der Explosion passiert waren. Er hatte die Tage im Wasser überlebt, war angespült worden. An Violas Strand ...

Zins Augenbrauen zogen sich merklich zusammen und er sah auf sie hinunter. Seine Hand, die gerade noch ihr Haar gestreichelt hatte, lag seit ihrer Bewegung leicht auf Violas Schulter. Einem unverfänglichen Platz, der nicht mehr und nicht weniger bedeutete, als dass er sie nicht sofort loslassen wollte. Kurz hatte Zin darüber nachgedacht, Viola wieder an sich zu drücken, als sie Anstalten gemacht hatte, sich von ihm zu lösen.

Teils lag es daran, dass seine Augen bestimmt trügerisch gerötet waren und das, obwohl er die Dämme nicht ganz hatte brechen lassen. Und zum Anderen ... wollte er Viola einfach nicht weglassen. Sie sollte genau hier auf seinem Schoß sitzen, sich an ihn lehnen und ... ihm Gesellschaft leisten.

Was sie aber natürlich nicht tat.

Zin wurde sofort wachsam, als Viola mit diesem seltsamen Satz von ihm wegrutschte, das Tablett auf den Boden stellte und ihm dann den Rücken zukehrte. Sie wollte ihm etwas zeigen, das sie noch niemandem sonst -
 

Viola stellte das Tablett mit den Tellern nun ganz auf den Boden, ehe sie zum Fußende des Bettes krabbelte und sich dort mit dem Rücken zu Zin hinkniete. Dann begann sie den Knoten ihres Bikinioberteils an ihrem Rücken zu lösen, bis sie es ganz ausziehen konnte.

Da ihr ihre Haare über den Rücken fielen, konnte Zin nichts von ihrer Blöße sehen, und auch wenn ihr das egal war, so sollte das hier doch keine Piepshow werden. Nein, sie hatte etwas vollkommen anderes im Sinn, als sie nun auch unter das Tuch um ihre Hüften griff, um die Bänder ihres Bikinihöschens zu lösen, bis sie auch das ausziehen konnte.

Danach öffnete sie den Knoten des Tuches, ließ es aber dort wo es war und sah kurz über ihre Schulter.

„Erschreck dich nicht, okay?“
 

„Ähm ... warte mal.“

Mit großen Augen und abwehrend erhobenen Händen saß Zin da und konnte nicht glauben, was er sah. Aber ... Viola zog sich tatsächlich aus. Zuerst das Bikinioberteil, das ohnehin nicht wirklich viel verdeckt hatte. Als ihre Hände dann aber auch noch unter das Wickeltuch und zu ihrem Bikinislip wanderten, hakte es bei Zin kurz aus. „Ich glaube, du hast da was falsch verstanden, ich wollte nicht, dass du ...“

Das hatte er doch nicht gemeint, als er sie an sich gezogen hatte. Er hatte doch nur ...

Viola schnitt ihm alle weiteren gedanklichen Ausflüchte mit ihrer Warnung ab. Er sollte sich nicht erschrecken? Sein Hirn schaltete sofort auf Blödsinn, als er das hörte. Vorschläge wie „sie ist eigentlich ein Kerl“ oder „so stark können ihre Nippel gar nicht schielen, dass es mich erschrecken könnte“ schossen durch seinen Kopf und ließen Zin so gucken, als hätte er auf eine Zitrone gebissen. So ein Schwachsinn, das war es bestimmt nicht, was sie ihm zeigen wollte.

Damit, was Viola ihm allerdings tatsächlich zeigen wollte, hatte Zin nun wirklich absolut nicht gerechnet.
 

Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, ehe Viola die Augen schloss und sich auf das konzentrierte, was sie vorhatte.

Sie musste sich nicht wirklich besonders anstrengen, um die nötige Konzentration zu erreichen. Die Verwandlung war ein Teil von ihr. War in ihrem Blut, in jeder ihrer Zellen. Sie liebte sie. Sie liebte ihre andere Seite. Wie könnte es ihr da nicht leicht fallen?

Es schmerzte zwar kurzweilig, als die Metamorphose begann und sich der Körper eines Menschen in den eines Nebelparders verwandelte, doch es war erträglich und ein willkommener Schmerz.

Viola hatte ihn schon vermisst. Sie war schließlich seit Wochen nicht mehr auf vier Pfoten unterwegs gewesen.

Als sie sich nun wieder aufrichtete und das Tuch von sich schüttelte, musste sie sich erst einmal ausgiebig dehnen und strecken, ehe sie sich vor Zin setzte und auf sein Urteil wartete.

Das hatte sie mit unmöglichem Zufall gemeint. Sie war der einzige Gestaltwandler - ja womöglich sogar das einzige nichtmenschliche Wesen im Umkreis von mehreren Dutzend Quadratkilometern - von dem sie wusste, und ausgerechnet bei ihr war Zin gelandet. Der einzigen Person, die nicht eine Sekunde lang daran denken würde, bei einer Erscheinung wie ihm, die Polizei zu rufen. Oder noch Schlimmeres.
 

Seine Augen weiteten sich noch ein bisschen mehr und er blinzelte heftig, als er den silbernen Schimmer erkannte, der sich über ihren Körper legte und gleichzeitig aus ihr zu kommen schien, nur um sie zu ... verwandeln.

Viola war ... eine Gestaltwandlerin?

Zin klappte den Mund wieder zu, stützte aber ganz automatisch die Hände neben seinem Körper auf der Matratze ab. Wenn sie etwas war, das ihm ihrer Meinung nach Angst machen könnte, sollte er sich wohl auf Einiges -

Er grinste.

Zin grinste sogar so breit, dass er Gefahr lief, ihm könnten dabei die Ohren abhandenkommen. Erst nach ungefähr einer halben Minute, die Viola dazu brauchte, sich in ihrer anderen Form eingehend zu strecken und sich vor ihn zu setzen, fing Zin sich wieder. Er betrachtete die blauen Augen, die in ihrer jetzigen Form nicht weniger leuchteten, als sonst. Außerdem die langen Schnurrhaare, das hübsch gemusterte Fell ...

„Ach ja ...“, meinte er immer noch mit einem Grinsen in der Stimme. „Und da hast du mir erst noch geraten, ich soll mich nicht zu nahe an diese gefährlichen Wildkatzen heranwagen.“

Soweit er das wusste, sollte Viola ihn auch als Katze verstehen können. Bloß das mit dem Antworten ... war vermutlich schwierig.

Trotzdem streckte Zin seine Hand nach vorn, neugierig aber nicht ganz sicher, ob er sie berühren durfte. Er hatte ... keine Erfahrung mit Katzen. Weder Normalen noch welchen, in denen hübsche Frauen steckten.
 

Viola schnaubte belustigt, als sie seine Worte hörte.

Ja, sie hatte gesagt, er solle sich nicht zu nahe an gefährlichen Wildkatzen heranwagen. Dass die gefährlichen Wildkatzen aber durchaus zu ihm kommen könnten, hatte sie ihm dabei wohl verschwiegen.

Es tat gut, ihn wieder etwas aufgemunterter zu sehen und auch wenn es noch viele Stunden der Traurigkeit und des Schmerzes geben würde, so wollte sie doch, dass er für den Moment eine positive Erfahrung machte. Flocke hatte sich bisher nicht dazu bereit erklärt, ihm ihr Fell zu zeigen und sich von ihm streicheln zu lassen. Viola hingegen tat das nun - da die Katze ja offensichtlich aus dem Sack war - mit großem Vergnügen. Sie wartete nur darauf, dass er ihr entgegen kam, was er mit seiner ausgestreckten Hand schließlich auch tat.

Sofort erhob sie sich, schnupperte an dem köstlichen Duft von Zins Finger, ehe sie ihren großen Kopf in seine Hand schmiegte und lautstark zu schnurren anfing.

Sie konnte vielleicht nicht Brüllen wie eine Raubkatze, dafür konnte sie aber, wie wild schnurren, ganz so als wäre sie eine Kleinkatze. Trotzdem wusste man nie so recht, zu welcher Kategorie man sie nun eigentlich zählen musste. Violas Art war eben eine Klasse für sich und ihr Fell war heißbegehrt. Allerdings würde sie es nur ausgewählten Freunden 'borgen'.

Zin zählte auf jeden Fall dazu, wusste sie doch, dass er ihr nichts tun würde, darum warf sie sich ihm nun auch regelrecht vor die Füße, damit er sie ausgiebig streicheln und seine Neugierde auf trockenes Fell stillen konnte. Ihr Bauchfell war besonders weich und anschmiegsam, weshalb sie es ihm regelrecht anbot und zugleich seine Hände auf sich genoss.

Mhmm ... Das tat so guuut ...
 

Ein kleines Bisschen schreckte er zurück, als die Katze aufstand, ein Stückchen auf ihn zukam und an seinen Fingern schnupperte. Sogar so nah, dass er die Feuchtigkeit der Nase auf seinen Fingerkuppen spüren konnte.

Zu lächeln begann Zin spätestens dann, als sich der warme Kopf gegen seine Hand schmiegte, er das weiche Fell unter seinen Fingern spüren konnte und wieder das Geräusch den Raum erfüllte, dass er vorhin schon ganz leise von Viola gehört hatte. Das Geräusch gehörte also ... zu ihrer anderen Seite. Naja, das machte es nicht weniger angenehm. Zin glaubte sogar, dass es ihn nach einer Weile beruhigte und er nicht mehr ganz so zurückhaltend und vorsichtig mit der flachen Hand über das Fell am Hals und den Seiten der Katze streichelte.

Es war ... mehr als einfach nur weich. Das Fell war kurz und ... robust. Ein schönerer Begriff wollte Zin gerade nicht einfallen. Aber es bedeutete nicht, dass er sich mehr erwartet hatte. Es war einfach nur ... ganz anders, als er es sich vorher gedacht hatte. Violas andere Seite fühlte sich nicht etwa wie ein Kuscheltier, sondern sehr wohl wie ein echtes, lebendes Tier an. So, wie sie eines war. Nicht ganz ungefährlich, wenn es nicht gerade halb auf dem Rücken lag und dieses Schnurren von sich gab, das Zin in den Mundwinkeln genauso, wie in den Fingern kitzelte.

Nach einer Weile, von der er nicht wusste, wie lange sie gedauert hatte, hob er eine seiner Hände, betrachtete seine Schwimmhäute, durch die das Licht leicht hindurchschimmerte, und grinste breit. Mit einem Blick auf Viola hinunter pustete Zin kräftig auf seine Handfläche, sodass sich die 'abgestreichelten' Haare davon lösten und fröhlich über das Bett stoben.

„Das ist sogar besser, als ich es mir ausgemalt hatte“, meinte er mit einem sehr ehrlichen Schmunzeln und streichelte weiter den Bauch der großen Katze, die da auf dem Bett lag und keine Anstalten machte, sich vor ihm zurückzuziehen.

Was Zin nach einer Weile vielleicht mutiger machte, als er es sich erlauben durfte. Aber daran dachte er nicht, als er weiter über den weichen Bauch, die gemusterten Flanken und schließlich die Beine des Nebelparders hinunter streichelte.

Zins Finger kraulten sich einen geraden Pfad auf die Vordertatzen zu und lösten sich dann nur kurz von der warmen großen Tatze, um sich sehr sehr vorsichtig auf die weichen Polster der Zehen zu legen und sie ganz sanft zu stupsen. Auch zwischen den Pölsterchen wuchsen Haare hervor ... Ob es ihr gefiel, wenn man sie dort auch ganz sachte kraulte?

„Bitte mach mir anders, als mit einem Hieb verständlich, wenn ich etwas mache, das dir nicht passt“, sagte er leise. Mit so etwas wie ... Ehrfurcht in seiner Stimme.
 

Oh Gott, sie schmolz dahin.

Butter in einer heißen Pfanne war im Vergleich zu ihr nichts!

Schon lange hatte Viola die Augen vor Genuss geschlossen und schien überhaupt nicht mehr zum Schnurren aufhören zu können. Es tat so gut, so richtig gestreichelt zu werden, zumal noch nie jemand sie so gestreichelt hatte. Ihre eigene Art war zwar auch zärtlich zueinander, aber meistens waren sie dann in der jeweils gleichen Form unterwegs. Dass einer menschliche Hände hatte, während der Andere Tatzen trug, kam da eher seltener vor.

Eigentlich total unsinnig. Wenn es sich doch so wahnsinnig gut anfühlte.

Dass es auch Zin offenbar gefiel, machte die Sache nur noch besser. Schließlich wollte Viola sich ihm nicht aufdrängen, obwohl sie das mehr oder weniger sogar tat. Aber da es ihm nichts ausmachte, sogar vollgehaart zu werden, nahm sie es an und dankte ihm im Stillen für dieses wunderbare Geschenk.

Erst als er sich langsam zu ihren Krallen vorarbeitete, wurde sie wachsamer, ließ aber die Augen geschlossen, um Zin nicht zu beunruhigen. Sie passte nur für sich selbst auf, dass sie ihm nicht weh tat und ihre Krallen eingefahren ließ. Zum Glück war sie überhaupt dazu in der Lage, andererseits waren so ihre Krallen umso schärfer.

„Bitte mach mir anders, als mit einem Hieb verständlich, wenn ich etwas mache, das dir nicht passt.“

Nun öffneten Viola doch ein Auge und wäre sie dazu in der Lage gewesen, sie hätte gegrinst und ihn gefragt, was ihr denn an seinem Tun nicht passen könnte? Bisher war alles unglaublich schön gewesen. Um Zin jedoch zu beruhigen, hob Viola ihren Kopf und streckte ihre Nase seiner Hand entgegen, um ihn ausgiebig abzulecken.

Schon nach einem einzigen Zungenstreich hätte sie ihn beinahe aufgefressen. Nicht im Sinne von Zerfleischen, sondern etwas ganz anderem. Wie war das nur möglich, dass ein Mann so gut schmecken konnte?!

Zin schmeckte nach Salz und Gischt. Nach Meer und Mann. Oh und wie er nach Mann schmeckte! Erst als ihr klar wurde, dass sie gerade dabei war, Zins ganzen Arm hinaufzulecken, hielt Viola plötzlich verlegen inne.

Gut, in dieser Form waren ihre Wildkatzeninstinkte stärker, aber dahinter war sie auch immer noch ein Mensch und sie war gerade dabei, einen verletzten Mann zu vernaschen, den sie noch nicht einmal eine ganze Woche lang kannte. Abzüglich des Wochenendes.

Viola zog sich nun doch zurück. Nicht nur, weil sie es langsam zu übertreiben begann, sondern auch zu Zins Schutz. Nicht, dass sie ihm je absichtlich etwas tun würde, aber manchmal da ... ging es einfach mit ihr durch.

Sie stupste ihn noch ein letztes Mal mit ihrer Nase an, ehe sie vom Bett sprang und den Raum verließ, um sich in ihrem Zimmer zu verwandeln und sich wieder etwas anzuziehen. Ihr hellblaues Sommerkleid war wenigstens schon gut getrocknet, also zog sie es sich wieder über und einen dazu passenden Slip, ehe sie zu Zin zurückkam.

„Also ich weiß ja nicht, wie es für dich war. Aber ich fand es toll!“, schnurrte sie noch immer total high von seinen Streicheleinheiten, kaum dass sie durch die Tür war und ihre Kleider zusammen sammelte.
 

Mit einem breiten Grinsen hatte er der Wildkatze hinterher gesehen, als sie vom Bett gesprungen war und das Zimmer verlassen hatte. Viola ... eine Gestaltwandlerin ... Sein Kopfschütteln war ungläubig, aber eigentlich im Grunde fröhlich. Denn eines bedeutete diese Eröffnung bestimmt: Sie sah ihn – Zin – sicher nicht nur als Haustier, das sie verletzt vom Strand heimgeschleppt hatte.

Sehr gut. Das ... erleichterte ihn.

Wobei das aber bedeutete, dass er sich noch mehr Gedanken darum machen konnte, was ihre anderen Reaktionen zu bedeuten hatten. Und auch seine Eigenen. Wie zum Beispiel war er nur auf die Idee gekommen, sie einfach auf seinen Schoß zu ziehen?

Als Zin Dinge wie „du kennst sie gar nicht'„ und „sie hätte sich sonst etwas denken können“ durch den Kopf schossen, massierte er seine Nasenwurzel und seufzte ganz leise.

Er wusste doch selbst nicht, was er davon halten sollte. Von sich, wohl gemerkt. Denn so ... kannte er sich eigentlich gar nicht.

„Also ich weiß ja nicht, wie es für dich war. Aber ich fand es toll!“ Im Gegensatz zu ihren sonstigen Auftritten und wahrscheinlich auch wegen der Tatsache, dass Zin gerade in Gedanken verloren gewesen war, polterte Viola regelrecht ins Zimmer. Was Zin einerseits aufschreckte, ihn aber dann auch wieder breit lächeln ließ.

„Ich auch ... Ein sehr guter erster Kontakt mit trockenem Fell.“

Sie hatte wieder das hellblaue Kleid übergezogen, das sie schon morgens angehabt hatte. Morgens ... das kam Zin schon wie eine Ewigkeit vor. Und das, obwohl er nur im Bett gelegen und nichts getan hatte. Außer ... eine wunderschöne Frau in den Armen zu halten und eine ebenso hübsche Wildkatze zu streicheln. Na dann. Das konnte sicher nicht jeder Mann für einen Nachmittag von sich behaupten.

„Sollen wir uns dann über den Nachtisch hermachen?“

Die Schüsselchen waren immer noch unberührt, da ihnen beiden ... die Vergangenheit und noch so einiges Andere dazwischen gekommen war. Aber jetzt hatte Zin irgendwie Lust auf den noch ungewohnten Geschmack von etwas Süßem.

10. Kapitel

Zum ersten Mal seit langem war Viola total müde und erschlagen, aber auch hochzufrieden ins Bett gegangen, da sie 'nur' stundenlang geredet hatte. Dabei noch nicht einmal wirklich tiefgründige Dinge betreffend, sondern mehr so über alle möglichen Dinge, die Zin interessieren könnten. Menschliche Dinge.

Zum Beispiel hatte sie ihm ausführlich von ihrem Motorrad erzählt. Wie es genau funktionierte. Wie sehr sie es liebte, den Wind auf ihrem Körper zu fühlen, wenn sie über den Asphalt jagte.

Dann noch Dinge, was ihre Arbeit betraf, dass es sich dabei zwar um eine Bar handelte, man tagsüber aber auch gute und billige Gerichte bekommen konnte. Manchmal wurden auch Partys veranstaltet, da der Strand direkt davor lag.

Viola erzählte von Dan und ihrer Freundin Tess, was sie selbst jedoch anging, hielt sie eher hinterm Berg.

So wie Zin Dinge für sich behielt, gab es auch bei ihr Themen, die sie nicht gerne ansprach. Zum Beispiel ihre Omi oder ihr Vater. Was ihre Mutter anging, war die für Viola gestorben, obwohl sie sicher noch irgendwo in der Weltgeschichte herumhurte.

Irgendwann war ihr nicht mehr entgangen, dass Zin langsam immer müder wurde. Er gab es zwar nicht zu, aber man sah es ihm an und spätestens nach dem die Reste des Abendessens schon längst kalt geworden waren, hatte sie sich von ihm verabschiedet. Er brauchte Ruhe. Sie sollte ihn also nicht länger als nötig aufhalten.
 

***
 

Am nächsten Morgen war Viola ungewöhnlich belebt und gut gelaunt, obwohl sie die Nacht alleine verbracht und nur geschlafen hatte. Dennoch war sie dazu motiviert, etwas das Haus sauber zu machen, Wäsche aufzuhängen und für Zin ein königliches Frühstück vorzubereiten.

Zudem richtete sie ihm auch ein kaltes Abendessen her, das er sich, wenn er dazu überhaupt in der Lage war, nehmen konnte, während sie arbeitete. Ansonsten würden sie vermutlich erst essen, wenn sie wieder zurück war und Zin dann nicht schon schlief.

Während sie so durchs Haus tigerte, hatte sie immer wieder zu ihm hinein gesehen, aber da er zu der Zeit immer noch immer im Land der Träume verweilte, ließ sie ihn in Ruhe und beschäftigte sich auch weiterhin leise.

Zwischendurch rief sie sogar einmal Tess an, um ihr falsche Brocken an Informationen zuzuwerfen, damit diese nicht wieder unangekündigt auftauchte.

Es tat ihr zwar leid, Zin als flüchtigen Ausrutscher zu bezeichnen und dass das wohl nur so eine Art Verzweiflungstat gewesen war, weil sich Cid noch immer nicht gemeldet hatte. Aber zumindest war es allemal besser, als ihr die Wahrheit zu sagen.

Zwei Stunden vor Schichtbeginn servierte sie Zin schließlich sein Frühstück. Dieses Mal gab es wirklich alles, was zu einem ausgiebigen Frühstück gehörte. Gebratener Speck, gekochte Eier, Toastbrot, Butter und Marmelade. Da er Kaffee sicher nicht so einfach vertragen würde, hatte sie ihm Kakao gemacht, einfach mal auf den Versuch hin, ob dieser ihm überhaupt schmeckte. Dazu noch frischen Saft und etwas kleingeschnippeltes Obst für zusätzliche Vitamine.

Sie selbst aß natürlich mit ihm mit, allerdings nur wenig. Vor der Arbeit konnte sie nie viel Essen, sonst war das Herumrennen danach nicht sehr angenehm.

„Ich muss bald los. Bist du gut versorgt? Brauchst du noch etwas?“
 

Das Erste, was Zin tat, nachdem er sich endlich aus bleischwerem Schlaf befreit hatte, war seine Medizin einzunehmen. Die Kapseln gegen seine Entzündung und auch eine halbe Schmerztablette. Diese wäre zwar jetzt noch nicht wirklich nötig gewesen, aber mit der Aussicht, dass Viola ihn für mehrere Stunden allein lassen würde, hielt Zin es für besser, sich vorzubereiten. Immerhin würde er sehr viel mehr als bisher, selbst für sich sorgen. Das hieß, er würde sich mehr bewegen und seinen Rücken daher mehr belasten.

Zunächst allerdings kämpfte er sich nur im Bett in eine sitzende Position hoch und schnupperte einmal unauffällig an seiner Haut, die schon wieder nach Wasser zu lechzen schien. Sehr schade, dass das Bad so weit entfernt und er höchstwahrscheinlich unfähig war, sich selbst die Wanne einzulassen. Sonst hätte er die Zeit dafür nutzen können, sich wieder ein wenig einzuweichen. Auch wenn Viola es nicht so gerne sah, ihm hatte es gut getan und auch seine Stimmung hatte das Liegen im Wasser gehoben. Er musste eben nur mehr auf den Sauerstoffgehalt des Wassers achten.

Da die gesamte Überlegung aber hinfällig war, solange er Viola nicht darum bitten konnte, ihm neues Salz zu besorgen, ließ Zin das Thema unerwähnt und machte sich viel lieber über das köstlich duftende Frühstück her, das seine aufmerksame Pflegerin ihm ans Bett gebracht hatte, keine fünf Minuten, nachdem er wach geworden war.

Bald bekam Zin auch mit, dass es keineswegs mehr früh oder sogar Morgen war, sondern schon gegen Mittag. Was bedeutete, dass Viola bald zur Arbeit musste.

Verstohlen betrachtete Zin sie über eine Scheibe Brot mit Speck hinweg und überlegte sich, ob es natürlich war, sich schon jetzt auf den Zeitpunkt zu freuen, an dem sie wieder nach Hause kam. Und das nicht nur, weil ihm mit großer Sicherheit langweilig werden würde, solange er das Haus für sich hatte.

„Alles bestens“, ließ er auf ihre Frage hin hören, konnte sich dann allerdings doch dazu durchringen, Viola nach der speziellen Flasche zu fragen, die er vielleicht während ihrer Abwesenheit brauchen würde. Besser, die Peinlichkeit jetzt anzusprechen, als sie später mit noch Schlimmerem zu überfordern. Wenn er nur daran dachte ...

„Ich werde derweil die Böden bohnern, die Hecken schneiden und den Pool säubern. Oder hattest du eher daran gedacht, dass ich die lange geplante Steinterrasse im Garten anlege?“ Er lächelte, obwohl der Galgenhumor ihm Einiges abverlangte. Immerhin konnte er noch nicht einmal dafür sorgen, dass etwas Warmes zu Essen auf Viola wartete, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam.
 

Bei seinem Scherz musste Viola ihn für einen Moment einfach nur anstarren, ehe sie zu lachen anfing. Vorsichtig stellte sie dabei die Tasse mit ihrem zweiten Kaffee wieder ab, um nichts zu verschütten, ehe sie Zin tief in die Augen sah, und versuchte dabei ernsthaft zu wirken.

„Das klingt ja alles wirklich toll, aber du hast vergessen, dass ich dich beim Poolsäubern unbedingt beaufsichtigen muss. Den Anblick würde ich mir doch nie entgehen lassen.“

Viola zwinkerte Zin zu, ehe sie in einen weiteren Schluck von ihrem Kaffee schmunzelte. Nein, das würde sie niemals wagen.

Schließlich sah sie wieder auf ihre Uhr und seufzte resigniert. Normalerweise arbeitete sie ja gerne, aber nicht, wenn jemand wie Zin auf sie wartete, um den sie sich immer noch Sorgen machte, auch wenn es langsam nicht mehr ganz so begründet war. Wenn sie allerdings daran dachte, wie schnell es bei ihrer Omi ...

„Hm. Ich werde dir Flocke als Wächterin vor die Tür setzen. Vielleicht traut sie sich auch einmal näher an dich heran. Ich bin mir aber fast schon sicher, dass sie das tun wird.“

Schließlich roch er so unverschämt gut. Das fiel ihr nun mehr denn je auf, seit sie sich verwandelt hatte.

Wieder blickte Viola auf die Uhr.

„Ich räum' das hier noch schnell weg und komm dann noch mal wieder.“

Sie rutschte vom Bett und sammelte die Reste ihres gemeinsamen 'Frühstücks' ein, damit sie noch das Geschirr wegräumen konnte, bevor sie ging. Sie mochte ja kein penibler Staubwischer sein, aber schmutziges Geschirr in der Spüle konnte sie nicht leiden. Nicht, wenn dann schon bald die Fliegen um ihr Haus kreisten, als gäbe es ein Festmahl.

Als sie damit fertig war, setzte sie sich noch einmal zu Zin und betrachtete ihn ausgiebig, ob es ihm auch wirklich gut ging.

Viola hätte keine Scheu noch einen Tag länger zuhause zu bleiben, wenn er sie brauchen würde. Er sah aber nicht so aus, als würde er im nächsten Moment einfach einschlafen und nie wieder aufwachen.

Trotzdem nagte diese Sorge wie ein tollwütiges Tier an ihr.

„Ich muss dann los. Ich werde erst spät wiederkommen. Wenn du dann schon schläfst, ist das kein Problem. Du brauchst viel Schlaf.“

Eigentlich wollte sie ihm gerne über die Wange streicheln oder ihn sonst irgendwie berühren, um sich selbst zu beruhigen, doch Viola riss sich zusammen.

„Ich wünsche dir einen schönen Nachmittag.“
 

Aus irgendeinem Grund glaubte Zin zu bemerken, dass Viola gern mehr von ihm hören wollte. Sie schien unruhig und rastlos. So, als wolle sie nicht wirklich gehen, bevor sie nicht wusste, dass er wirklich allein bleiben konnte. Aber mehr, als es ihr zu versichern, konnte Zin auch nicht tun.

„Wir sehen uns dann später. Ich freu mich, wenn du nochmal reinschaust, bevor du ins Bett gehst. Ich bin jetzt schon ganz gespannt auf neue Geschichten aus der Außenwelt.“ Zin zwinkerte und lehnte sich ganz automatisch ein Stück vor; hielt inne ... und wusste gar nicht so genau, was er eigentlich hatte tun wollen.

„Okay dann ... bis ... dann.“
 

***
 

Sie war nicht gerade gerne gegangen. Aber irgendwann hatte Zin dann doch Violas Motorrad gehört, wie es schließlich immer leiser geworden und dann vollkommen verstummt war. Er hatte eine Weile aus dem Fenster gesehen, in den GEO-Heften geblättert und nach Flocke Ausschau gehalten, die allerdings nicht einmal ihre schneeweiße Schwanzspitze zeigte, sondern im sehr stillen Haus verschwunden blieb.

Zin zupfte an seinem Verband herum. Irgendwo auf seinem Rücken – natürlich an einer Stelle, die er selbst nicht erreichen konnte – juckte es fürchterlich und nur, indem er an den Bettpfosten rutschte, sich einen Dämpfer aus einem schmalen Kissen zurecht legte und sich wie ein Bär, an dem Pfosten kratzte, verspürte er annähernd so etwas wie Linderung.

So weit ...

Bei einem Blick auf die Uhr entkam Zin ein theatralisches Stöhnen. Viola war seit einer halben Stunde weg. Das konnte ja heiter werden.

Etwa zwei Stunden später hatte sich Zin fast zu Tode gelangweilt, zehn Seiten in einem der Fantasy-Liebesromane gelesen, die Viola ihm dagelassen hatte und sich über das Männerbild in dem Buch gewundert. Er wagte gar nicht zu fragen, ob Viola sich so einen Traummann vorstellte. Mit gestählter Brust, Haut wie flüssige Bronze ... Er kicherte. Haut, gemustert wie die eines Tigerhais konnte er ja anbieten, aber diese Maße, die der Kerl in dem Buch bereits auf den ersten Seiten zur Schau stellte ... Zin selbst konnte froh sein, dass Viola nicht im Ernst glaubte, er würde Eier befruchten, indem er einfach darüber hinwegschwamm!

Wieder ein Stöhnen der Langeweile.

Diesmal allerdings wanderte Zins Blick zur Tür und dann auf die Packung mit den Schmerztabletten. Er musste ziemlich dringend. Und er war vollgedröhnt mit Medizin. Da konnte er doch auch versuchen ...

Aus dem Bett zu kommen war noch die leichteste Übung. Es war relativ hoch und auf dem Weg zur Tür stand der Sessel, an dessen Lehne sich Zin festklammern und sich auf seinen wackeligen Beinen aufrecht halten konnte, bis er den Türrahmen erreicht hatte. Keuchend vor Anstrengung, aber mit einem grimmig entschlossenen Zug um die Lippen blickte er den Flur entlang, in Richtung der Tür, von der er wusste, dass sie ins Bad führte.

Okay. Wie weit? Ungefähr fünfzehn kleine Schritte. Vorsichtig an der Wand entlang. Da bei dem kleinen Tischchen könnte er Pause machen und dann war es nicht mehr weit.

...

Ein einzelnes, sehr blaues Auge sah ihn von oben herab an. Zin blinzelte, versuchte das Bild zurechtzurücken, das für ihn auf dem Kopf stand, und gab dann ein resigniertes Seufzen von sich.

„Keine Chance, dass du mir hochhilfst, oder?“

Die Antwort war eine nasse, raue Zunge, die ihm über die Wange und das Ohr leckte. „Okay ... dann bleib ich einfach noch ein bisschen hier liegen.“
 

***
 

„Bestellung für Tisch Vier! Und an Tisch Sechs fehlen noch zwei Cokes!“

„Wird erledigt!“, rief Viola fröhlich über den Lärm hinweg zurück, schnappte sich die Bestellungen für Tisch Vier von der Durchreiche und gabelte dazwischen noch die Getränke auf, ehe sie sich durch das dichte Gewühl an Leibern hindurchdrängte, um alles am richtigen Platz abzuliefern.

Gott war es heute heiß. Selbst um diese Uhrzeit noch.

Viola lief der Schweiß beinahe in kleinen Rinnsalen zwischen den Brüsten durch und das, obwohl sie ein ärmelloses weißes Top und dazu passende knappe Shorts in Schwarz anhatte. Es gehörte alles zu ihrer Arbeitskleidung, war aber immer noch verflucht heiß.

Am liebsten hätte sie nackt serviert. Zumindest an Tagen wie diesen, nur hätte das mit Garantie gleich für noch mehr Andrang gesorgt.

Also lieber lächeln und still vor sich hin schwitzen. Wenigstens ging es hier allen so, nur dass sie mit Abstand die höchste Körpertemperatur in der ganzen Bar hatte.

„Hey, Vy. Lange nicht gesehen, warst du krank?“, kam es von irgendwo her, als sie gerade bei neuen Gästen eine Bestellung aufnehmen wollte. Kurz warf sie einen Blick über ihre Schulter, treffsicher in die Richtung, aus der sie ihren Namen hatte kommen hören. „Hi, Claire. Na wie geht’s?“

Viola schenkte dem kleinen Püppchenverschnitt ein zuckersüßes Lächeln, während sie in Gedanken Würgegeräusche produzierte und die Augen verdrehte.

Drecksstück. Tat auch noch so, als wäre alles zwischen ihnen in Ordnung, dabei war diese Frau das schlimmste und niederträchtigste Weib auf der ganzen Insel.

Satan persönlich würde sie aus der Hölle verstoßen!

Schnell nahm Viola die neuen Bestellungen auf und gab sie weiter, ehe sie sich einen Blick auf die Uhr zugestand.

Halbzeit.

Scheiße!

Innerlich in sich hineinfluchend, da der Tag einfach nicht vergehen wollte, schenkte sie allen, die ihrem Blick begegneten ein strahlendes Lächeln und arbeitete weiter, bis die Bar sich nach und nach langsam zu leeren begann und sie Zeit hatte, die Senf- und Ketchupflaschen nachzufüllen. Als nächstens kamen die Serviettenständer dran. Dann Salz und Pfeffer.

„So, Mädels. Macht Feierabend. Ich will euch heute nicht mehr hier sehen“, verkündete Dan fröhlich.

Wie der Kerl nach so einem stressigen Tag es fertigbrachte, immer noch dieses gewisse Lächeln zu lächeln, war Viola schon immer ein Rätsel gewesen. Aber heute war sie einfach nur noch dankbar dafür, dass er die Bar abschließen würde.

Rasch packte sie ihre Sachen, verabschiedete sich knapp bei allen und war auch schon als Erstes aus der Tür, noch bevor die anderen überhaupt ihre Sachen in der Hand hatten.

Zugegeben, so wie sie raste, wäre es ein Wunder, wenn sie sich nicht bald um die nächste Palme wickelte. Aber verdammt noch mal, sie hatte die Reflexe einer Wildkatze. Sie konnte wenigstens gefährlich fahren, ohne sich Sorgen machen zu müssen, außerdem war der kühle Wind auf ihrer erhitzten Haut eine wahre Wohltat. Wobei ihr momentan etwas anderes ... Kühles, lieber wäre.

Viola fuhr schneller, um ein Scheinwerferpaar hinter sich abzuhängen und noch schneller bei Zin zu sein.

Den ganzen Tag über hatte sie sich kaum einen Gedanken an ihn gegönnt, aber jetzt wurde sie fast wahnsinnig, weil sie ihn so lange nicht gesehen hatte. Was wenn es ihm schlechter ging? Was wenn er etwas gebraucht hätte, während sie nicht da war? Was wenn er-?

Oh Gott. Sie würde dem Kerl ein Handy besorgen!

Kies und Erde spritzten hoch, als Viola das Motorrad direkt vor ihrem Haus zum Stehen brachte, sich den Helm vom Kopf zog und ihre Tasche schnappte.

Wie wild kramte sie darin nach ihrem Schlüssel, schob ihn hastig ins Schloss und riss die Tür förmlich auf.

Gerade als sie direkt ins Gästezimmer stürzen wollte, da sie unbedingt sehen musste, ob es Zin gut ging, fuhr ein Auto in ihre Einfahrt. Verwirrt hielt sie mitten in ihrer Eingangstür inne und drehte sich um. Ihr Herz raste wie wild, während sie darauf wartete, wer jetzt um diese Uhrzeit noch bei ihr vorbei schaute.

Hoffentlich nicht die Bullen, um sie wieder einmal wegen einer Zeugenaussage zu befragen, um einen Mann in U-Haft zu entlasten, der angegeben hatte, zur Tatzeit bei ihr gewesen zu sein. Was ihr leider schon mehr als einmal passiert war. Gott, sie suchte sich wirklich immer die falschen Männer aus.

Apropos. Es war Cid. Lässig kam er im Lichte ihrer Außenbeleuchtung auf sie zu marschiert, mit diesem gewissen Lächeln auf den Lippen.

Sofort begann Violas Herz noch mehr zu rasen und sie wurde nervös. Nicht etwa, weil sie ihn sah und sie sich ein bisschen darüber freute, ihn nach dieser einen Nacht wieder zu sehen, sondern weil sie befürchtete, dass Cid auf Zin treffen könnte. Immerhin war er gleich im Gästezimmer.

Sie hatte die Tür nicht geschlossen. Er konnte doch noch nicht einmal aus dem Bett.

Scheiße.

Cid würde nicht zögern, Zin an die Regierung zu verkaufen, wenn er ihn fand, nur um ein bisschen Kohle zu scheffeln. Ein Grund mehr, warum sie ihm nie auch nur ein Sterbenswort über ihre wahres Ich verraten würde.

„Ähm. Cid? Du hier?“, fand Viola schließlich ihre Sprache wieder, obwohl selbst in ihren Ohren ihr Tonfall etwas zu hoch klang. Doch nach einem weiteren tiefen Atemzug schob sich ihre Maske der Unbekümmertheit wieder auf ihr Gesicht. Sie würde das schon klären.

„Hi, Vy. Ich muss zugeben, du hast ein ganz schönes Tempo drauf, wenn du einem mit deinem Motorrad davonfährst. Hattest du es irgendwie eilig?“ Er kam die Stufen zur Veranda hoch, umfasste ihre Hüften und gab ihr einen Begrüßungskuss auf die Lippen.

„Oder bist du vor mir geflohen?“, fragte er nun etwas leiser und mit einem leicht verruchten Tonfall in der Stimme, der Viola jedes Mal zum Erzittern brachte und sie an unanständige Dinge denken ließ.

Der Kerl übte das bestimmt vor dem Spiegel! Sonst wüsste er nicht, wie er diese Wirkung so gut einsetzen konnte. Ja, da war sich Viola sicher.

„Nein. Ich wollte nur nach Hause. War ein anstrengender Arbeitstag“, log sie ihn ungerührt an. An ihrem Arbeitstag hatte ihre Raserei sicherlich nicht alleine gelegen. Zin ...

„Ah, wenn das so ist, könnte ich dir etwas die Anspannung aus den Muskeln massieren. Vielleicht hättest du davor auch Lust auf ein schönes Schaumbad. Ich wäre dir gerne behilflich, deinen Rücken zu waschen.“ Cid lächelte und streichelte über ihre Wange.

Das klang ja wirklich alles verlockend, bis auf das Vollbad und die Tatsache, dass sie gerade keine Lust auf eine Massage von Cid hatte. Sie wollte doch nur wissen, wie es Zin ...

„Ich habe dich vermisst“, gestand ihr Cid leise, als sie nicht reagierte. Dass er sie dabei noch etwas enger an sich zog, war sicher reiner Zufall. Genauso wie die Art, wie er ihren Hals küsste.

„Und darum hast du dich auch nicht bei mir gemeldet?“ Okay, selbst in ihren Ohren klang es etwas bissig, aber das war auch so eine Sache. Nach so einer Nacht hätte sich doch wohl jeder sofort am nächsten Morgen gemeldet, aber Cid hatte bis jetzt keinen Finger gerührt. Außer, dass er mitten in der Nacht auf ihrer Veranda aufkreuzte.

Bei ihren Worten ließ er von ihrem Hals ab und sah sie ernst an. „Ich hatte es vor. Aber Vy, wir wissen beide, dass du es nicht leiden kannst, wenn man wie eine Klette an dir klebt. Darum bin ich auch erst jetzt hier. Was den Drang zur Freiheit angeht, sind wir uns sehr ähnlich.“

Hm. Ja, vielleicht. Das war schon ein Argument, gegen das sie nicht wirklich ankommen konnte.

Egal, sie wollte jetzt zu Zi -

Cid schlang seine Arme um Viola und legte wieder seine Lippen an genau die Stelle, bei der sie jedes Mal schwach wurde. Direkt unterhalb ihres Ohrs.

Mhmm ...

Nein! Zin war doch ...

Er biss sanft zu.

Viola entkam ein Seufzen und krallte ihre Finger in Cids Shirt, während sie ihre Augen zusammenpresste.

„Cid ...“, versuchte sie es leise, ohne dass sie genau sagen konnte, was genau sie eigentlich sagen wollte.

„Ich weiß“, antwortete er ihr.

„Vergessen wir den Freiraum.“

Ach, das hatte sie gedacht?

Noch ehe Viola darüber nachdenken konnte, legten sich Cids Lippen auf die ihren und das auf eine Art, dass sie ihre Tasche fallen ließ und ihre Arme um seinen Nacken schlang.

Er drängte sie gegen den Türstock.

Sie ließ es zu.

11. Kapitel

Obwohl er immer noch vor dem Bett auf dem Bauch lag, sich die Flusen darunter ansah und sich überlegte, wie er mit Flockes Hilfe wieder aufstehen konnte, damit sie beide von Viola keinen Mordsärger bekamen, hüpfte Zins Herz doch bestimmt nicht vor Schreck, sondern vor Freude, als er das Motorengeräusch ihres heißen Untersatzes erkannte, der sich ziemlich schnell näherte.

„Flöckchen ... entweder jetzt oder nie.“

Leicht ächzend, aber mit einem breiten freudigen Lächeln, drückte Zin sich mit beiden Händen vom Boden ab, machte einen halben Liegestütz und versuchte dann – nicht zum ersten Mal an diesem Abend – sein Knie anzuziehen und sich anschließend am Bettgestell festzuhalten. Zu seinem größten Erstaunen funktionierte es sogar und seine Finger konnten sich in der weichen Decke festkrallen, bevor er schwer atmend seinen Kopf auf die Matratze fallen ließ.

Viola war schon an der Tür. Er konnte hören, wie sie aufschloss.

„Okay. Nur noch ... ein Stück.“

Es war Flocke, die ihn irritiert und auf der Hut aufsehen ließ.

Die weiße Katze, die bis jetzt geduldig auf dem Bett gesessen und Zin zugesehen hatte, spitzte auf einmal die Ohren, legte sie nach hinten und war dann wie der Blitz auf den Gang verschwunden. Und so wie Zin sehen konnte, allerdings nicht in Richtung ihres heißersehnten Frauchens.

Keine halbe Minute später wusste er, was das Problem war.

Es hieß Cid, war männlich und der Stimmlage nach gerade in der Brunft.

„Scheiße.“

Zin stieß noch mehr Flüche aus und das sogar lautstark. Aber dank der hohen Frequenz, in der seine Signale gegen die Wände knallten, sollte das nicht des knutschenden Pärchens Sorge sein.

Gott, wie er diese Schmatzgeräusche doch zum ...

Sein Herz krampfte sich unerklärlicherweise bei einem Seufzen zusammen, das eindeutig von Viola kam und nichts Anderes als ... Zustimmung bedeuten konnte. Diesmal tat sein Fluch sogar seinen eigenen Ohren weh.

Allerdings brachte es ihn auch auf beide Knie und auf die Handflächen, als er wieder halb vom Bett rutschte und sich robbend dahinter außer Sichtweite brachte. Er musste sich verstecken.

Es war anzunehmen, dass die Turteltäubchen nicht ins Gästezimmer sehen würden, aber wenn es dumm lief ... eben doch. Und wenn das passierte, war Zin geliefert.

Mit diesmal vor Anspannung klopfendem Herzen sah er sich gehetzt im Raum um.

Ein Versteck. Er brauchte ein Versteck!

Die einfachste Möglichkeit wäre das Bett gewesen, aber schon der Einblick von vorhin hatte Zin gezeigt, dass er neben dem halben Surfboard, einem Koffer, ziemlich vielen Paar Schuhen und unzähligem anderen Krempel bestimmt nicht genug Platz hatte. Mal davon abgesehen, dass er verdächtig schnell an Erstickungsgefahr durch Staub hatte denken müssen.

Da es sonst nur größere Möbelstücke in der Nähe der Tür gab und diese zu allem Überfluss offen und vom Eingang nicht wirklich weit entfernt waren ... blieb nur eines. Zin robbte zur Wand, direkt unter das Fenster, aus dem er schon des Öfteren vom Bett aus gesehen hatte. Hinter dem Haus ging es ein kleines Stück bergauf. Nicht viel – man konnte es schwerlich eine Steigung nennen. Der Abstand zwischen Fenster und Boden war also hoffentlich nicht zu hoch.

Der Stuhl schabte verdächtig über den Boden, als Zin ihn nutzte, um sich hochzuziehen, den Fensterrahmen zu erreichen und sich mit zusammengebissenen Zähnen nach draußen in die warme Nachtluft zu ziehen.

Der dumpfe Schlag, mit dem er draußen landete, ging ihm durch Mark und Bein, ließ weißes Feuer vor seinen Augen tanzen und seinen Rücken explodieren. Aber er war ... draußen. Schon fast außer Sichtweite. Wenn er jetzt noch ...

Sein Körper rollte von selbst die leichte Schräge hinunter, keilte sich neben einer Regentonne ein und blieb dann schlaff liegen, nachdem Zin seine letzten Kräfte aufgebraucht hatte, um sich zu ein paar Spinnen hinter die dunkle Tonne außer Sicht zu ziehen.
 

Viola ließ es zu, dass Cid sie an den Türstock presste. Zumindest für einen Moment, in dem ihre Libido die Funktion ihres Gehirns übernahm. Doch als wäre das ein Zeichen, fuhr plötzlich ganz kurz aber sehr intensiv, ein stechender Schmerz in ihre Schläfen und rief sie zur Ordnung.

Sie brauchte einen Augenblick, bis sie sich von Cid loseisen konnte, doch schließlich zog sie sich vor ihm zurück und stemmte die Hände gegen seine Brust.

„Cid. Stopp. Du kannst nicht einfach mitten in der Nacht hier aufkreuzen und mich so überfallen. Ich komme gerade von einem harten Arbeitstag, bin verschwitzt und müde. Das Einzige, was ich in meinem Bett jetzt noch tun will, ist zu schlafen, okay?“ Zumindest laut ihrer offiziellen Version. Eigentlich wollte sie jetzt einfach nur nach Zin sehen, und dass sie sich von Cid davon hatte abbringen lassen, wenn auch nur für einen Augenblick, machte sie rasend.

War sie denn wirklich schon so schlimm wie ihre Mutter?

„Ach, komm schon, Vy. Ich würde dich gerne ins Bett bringen. Mein Angebot-“

„Nein“, bestimmte Viola entschieden, während sie Cid mit ihrem Finger die Lippen verschloss und dann zur Seite auswich, weil er keinen Schritt zurücktreten wollte. „Kein Schaumbad. Keine Massage und auch keine ... Gutenachtgeschichten. Wir sehen uns ein andermal, okay?“

Bitte geh einfach. Komm schon. Einen Tag oder zwei wirst du es doch noch aushalten!

Kurz schien es in Cids Surferhirn zu rattern, während er Viola unverhohlen enttäuscht ansah. Dann jedoch lächelte er auf seine fast schon charmante Art, wenn er dabei nicht so verwegen aussehen würde.

„Okay. Ein andermal. Rufst du mich an?“

„Ja, mach ich“, versprach Viola erleichtert. "Und tut mir echt leid.“

„Ach. Ich versteh das“, winkte Cid ab.

Ach, wirklich? Cid verstand es hart zu arbeiten? Bei seinen reichen Eltern? Wohl kaum. „Dann, gute Nacht.“

Sie drückte ihm noch einen Abschiedskuss auf die Lippen, während sie kaum ihre Ungeduld verbergen konnte, doch Cid schien es zu schlucken.

Noch einmal sah er sie schweigend an, als würde sie es sich noch einmal anders überlegen, wenn sie das Angebot nur lange genug betrachtete. Das tat sie jedoch nicht.

„Gute Nacht, Vy.“

Endlich ging er.

Trotzdem warte Viola, bis die Rücklichter von Cids Wagen in der Ferne verschwunden waren, erst dann drehte sie sich um und stürmte ins Haus.

Ihr erster Weg führte zum Gästezimmer, wo sie das Licht anmachte, obwohl Zin schon schlafen könnte, nur dass er nicht einmal hier war.

„Zin?“, fragte Viola verwundert, während ihr Herz ein paar Gänge höher schaltete.

Er war nicht da. Aber wie -?

Sofort lief sie um das Bett herum, um zu sehen, ob er vielleicht gestürzt war, doch er war nirgends. Auch nicht unter dem Bett, wo auch kaum Platz für ihn gewesen wäre. Hinter der Tür war er auch nicht, genauso wenig wie im Badezimmer.

Panik machte sich in Viola breit.

„Zin?“, fragte sie erneut, schon lauter und ihre Sorge nicht verbergend, doch es kam keine Antwort. Nur Flocke kam bei ihrer Frage die Treppe herunter gestiefelt und sah sie mit unverhohlener Verachtung an.

„Ja, ja, Süße. Ich weiß, dass du den Kerl nicht leiden kannst. Aber jetzt mal ernsthaft, wo steckt Zin?“

Schweigen war die einzige Antwort, der sie offenbar würdig war.

Scheiße.

„ZIN!?“

Noch einmal lief Viola durch das ganze Haus, sah sogar im oberen Stockwerk nach, so unwahrscheinlich das auch war. Doch Zin war nirgends und raus hätte er gar nicht gekonnt, da alle Türen abgeschlossen gewesen waren. Aber wo war er dann nur?

Wieder in Zins Zimmer angekommen, versuchte sie seine Witterung aufzunehmen, was nicht viel brachte, da es im ganzen Raum nach ihm roch. Noch relativ frisch zwar, aber der Geruch schwand allmählich in der kühlen Abendluft.

„Verdammt noch mal, Zin!?“

Sie schnupperte noch einmal, ging über den Flur, versuchte wieder seine Witterung aufzunehmen, aber ihr Geruchssinn war nicht perfekt. Besser, als der jedes anderen Menschen, aber lange nicht so gut, wie in ihrer -

Viola dachte kaum den Gedanken zu Ende, als sie sich auch schon das Oberteil über den Kopf riss, ihre Hose runter strampelte und den BH mit ihren Krallen zerfetzte.

Ihr Slip und die Socken gingen flöten, als die Form ihres neuen Körpers die Maße sprengte.

Plötzlich war alles viel klarer zu erkennen, was die Gerüche anging, weshalb sie sofort noch einmal über den Flur tapste.

Zin war im Bad gewesen. Hatte offensichtlich eine längere Pause auf dem Teppich im Flur gemacht und war dann wieder ins Zimmer zurückgegangen. Denn sonst waren hier nirgends Gerüche von ihm im Haus, außer ...

Viola sprang auf das Bett und dann zum Fenster.

Ja, da! Sie witterte etwas.

Es kostete sie keine Mühe direkt über das Fensterbrett hinweg nach draußen zu springen und danach fand sie Zin noch sehr viel schneller, da ihre Augen selbst in der Dunkelheit alles scharf erkennen konnten und den Rest erledigte ihre Nase.

Zin lag bei ihrer vollen Regentonne im Dreck. So versteckt, dass sie ihn auf normalem Wege nie gefunden hätte. Zumindest nicht so schnell wie jetzt.

Zin?

Aus ihrem Mund kam nur ein Fiepen, als sie ihn mit ihrer Schnauze anstupste und ihm übers Gesicht leckte.

Gott, er war dreckig, und wenn sie sich nicht irrte, was seinen Geruch und die dunklen Flecken auf den Verbänden anging, blutete er schon wieder. Oder hatte es zumindest getan. Sie konnte das jetzt auf die Schnelle nur schwer sagen.

Was zum Teufel hatte er sich nur dabei gedacht?

Viola verwandelte sich zurück, damit sie ihm ordentlich die Leviten lesen konnte, sobald er auch nur ein Auge öffnete.

„Zin? Was zum Teufel machst du hier draußen?“, fragte sie ziemlich besorgt, da sie vor Angst zitterte und dieses Gefühl noch ihre Wut überdeckte.

Für einen Moment hatte sie tatsächlich geglaubt, er hätte sie verlassen!
 

Irgendwo sehr weit hinten in seinem müden Bewusstsein, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Einmal ... zweimal? Zin war sich nicht sicher, ob er antworten sollte. Sein Instinkt sagte ja, aber sein Hirn sagte nein. Er lag zwar hier im Dreck, blutete und war nah daran, sein Bewusstsein einmal wieder zu verlieren ... Aber er würde jetzt nicht auf sich aufmerksam machen. Dann wäre die ganze Aktion umsonst gewesen. Man würde ihn finden und dann ...

Etwas kitzelte ihn am Knöchel, als wäre es nicht schon schwierig genug zu ignorieren, dass ihm jemand mit aller Gewalt die Kiemen aus dem Leibe reißen wollte.

Zins Hinterkopf sank gegen die Hauswand und seine Wange landete sogar noch tiefer im Dreck, als bisher. Er fühlte das angestrengte Zittern, das das Innere seiner Muskeln füllte und ihm sagen wollte, dass er es diesmal wirklich übertrieben hatte. Aber ... solange man ihn nicht fand, war es das alles wert gewesen. Besser, als dass der Hormonhaufen ihn sah und die Behörden holte. Sie würden Zin zu Fischstäbchen verarbeiten.

Er lächelte schwach, als er daran dachte und schaffte es noch gerade so, sich über diese Reaktion Sorgen zu machen, bevor sein Kopf beschloss einen Gang herunter zu schalten, und ihn schlafen zu lassen.

„- machst du hier draußen?“

Überrascht riss er das Auge auf, das nicht nur Erdboden sehen konnte.

Viola?

Was machte sie denn hier? Und noch dazu -

Zin schloss das Auge wieder und atmete einmal geräuschvoll durch den Mund ein und aus.

„Ich spiele Verstecken. ... Jetzt bist du ... mit Verstecken dran.“
 

„Verstecken? Verstecken!? Hast du sie nicht mehr alle?!“

Viola fuhr sofort ihre Lautstärke wieder herunter, nachdem sie beinahe in einem Kreischen ihren Höhepunkt gefunden hatte. Allerdings musste sie sich üble Betitelungen wie: Verdammter Vollidiot und lebensmüder Irrer doch sehr schwer verkneifen, während sie nach Zins Kopf griff, um zumindest diesen aus dem Dreck zu holen.

Gott, sie war so ...

Hätte sie noch Pelz an, sie hätte Zin so derart angefaucht, dass es ihm jedes noch so winzige Härchen aufgestellt hätte.

„Wenn du dich umbringen willst, dann hättest du mich doch nur zu fragen brauchen“, fuhr sie bitterböse fort und grabschte auch nach Zins Arm, um ihn weiter aufzusetzen. „Ich wäre dir dabei mit Freuden behilflich gewesen. Dann müsste ich mir wenigstens nicht mehr ständig Sorgen um dich machen, du verdammter ... du verdammter MEERMANN!“

Violas Unterlippe bebte und ihre Augen brannten schrecklich, doch sie gab ihrer Schwäche nicht nach, sondern legte sich Zins Arm um den Nacken und zog ihn in die Höhe. Es war ihr momentan egal, ob sie ihm dadurch noch mehr wehtat. Noch mehr Schaden konnte sie nicht mehr bei ihm anrichten, als er womöglich es schon selbst getan hatte.

„Und wenn du dich hier jetzt auch noch verabschiedest, dann warte nur, bis du wieder aufwachst. Dann kannst du was erleben, Freundchen!“, knurrte sie weiter, obwohl es etwas atemlos klang.

Gott, er war genauso schwer, wie er groß war. Als hätte sie nicht noch frisch in Erinnerung, wie es gewesen war, ihn vom Strand ins Haus zu schleppen.

...

Na toll. Sie würde ihn wieder baden können, so wie er aussah.

„Komm schon. Ich bring dich ins Haus zurück.“

Als Viola ihn weit genug auf die Beine gezogen hatte, schlang sie ihren Arm um Zins Rücken, um so irgendwie das Gleichgewicht und zusätzlich seinen Körper halten zu können.

Ihre müden Muskeln wollten dabei nicht so recht mitmachen, aber ihre Wut, ihre Sorge und ihre Entschlossenheit halfen da aus, wo ihre rein körperliche Kraft fehlte. Sie würde ihn verdammt noch mal ins Haus bringen, koste es, was es wolle!
 

Er wurde von Viola in die Höhe gezerrt, auf die Füße gestellt und bereits ein Stück vorwärts gezogen, bevor Zin überhaupt richtig verstand, was los war. Die Beschimpfungen hatte er mitbekommen, auch wenn er den Inhalt noch nicht so ganz hatte schlucken können. Aber jetzt wollte sie ihn ins Haus -?

„Warte!“

Zins Hand griff nach dem Fensterrahmen. So unerwartet und scheinbar doch so eisern, dass es Viola in ihrem Vorhaben stoppte und sie beide fast von den Füßen riss.

Mit zu Schlitzen verengten Augen und einem Ausdruck darin, den man nur als schneidend skeptisch bezeichnen konnte, sah Zin Viola an. Sie keuchte so sehr, wie er es tat, wenn sie auch nicht so blass war, wie Zin sich fühlte. Er hätte gern das Blut ausgespuckt, das er zwar nicht auf der Zunge, aber an seinen Kiemen schmecken konnte.

„Ist er weg?“, wollte Zin mit düsterer Stimme wissen.

Er traute Viola nicht zu, dass ihr Lover noch gemütlich auf der Couch saß, während sie den Fisch draußen aus dem Dreck zog. Aber was wusste er schon davon? Vielleicht hatte sie ihm gesagt, er solle warten.
 

Viola hätte Zin beinahe fallen gelassen, als er sich an dem Fensterbrett festklammerte.

„Was?“, fragte sie ihn verwirrt, ehe ihr müdes und zugleich so aufgebrachtes Gehirn richtig schaltete.

Als die Frage bei ihr ankam, konnte sie sich ein Knurren nun wirklich nicht verkneifen. Nicht nur das. Allein für die Frage hätte sie ausrasten können.

Glaubte er denn wirklich sie würde -?

Mit nur schwer beherrschtem Gesichtsausdruck sah sie ihn an, während sie ihn dazu zwang, auch sie anzusehen, in dem sie ihm eine Hand unters Kinn legte.

„Glaubst du ernsthaft, ich würde dich an einen Menschen verraten, nachdem du sehr wohl weißt, was ich selbst bin? Oder glaubst du ernsthaft, ich würde hier zum Spaß nackt herumlaufen? Also, entweder du lässt diese verdammte Fensterbank sofort los und lässt mich dich endlich ins Haus bringen oder wir klären die Vertrauensfrage gleich hier und jetzt. Du kannst es dir gerne aussuchen, ich habe die ganze Nacht Zeit.“ Allerdings wusste Viola nicht, wie lange ihre Geduld mit ihm noch ausreichen würde. Wäre er nicht schon verletzt, sie würde ihn wesentlich härter rannehmen, allein für die Frechheit, dass er ihr so einen Verrat unterstellte.
 

Zin biss hart die Zähne aufeinander und starrte Viola ins Gesicht.

Natürlich hatte sie Recht. Allein, dass er ihr für eine Sekunde ansatzweise unterstellt hatte, sie würde ihn an diesen brunftigen Affen verraten, war eigentlich unverzeihlich. Aber was hätte er denken sollen? Zin versuchte die Ausflüchte einzudämmen, die sich in seinem Kopf breitmachten, und nahm stattdessen seine Hand von der Fensterbank, um sie flach auf die Hauswand zu legen und sich damit abzustützen.

„Tut mir leid, aber ...“ Er stoppte sich, bevor er ihr sagen konnte, dass der Typ ihn einfach angekotzt hatte. Dass es sich scheiße angefühlt hatte, ihnen beim Knutschen zuhören zu müssen und darauf zu warten, dass sie am Gästezimmer vorbei, kichernd nach oben gingen, während sie sich gegenseitig die Klamotten vom Leib rissen. Verdammt, selbst wenn er jetzt daran dachte, wäre er diesem Cid am liebsten an die Gurgel gegangen.

„Ich vertraue dir. Aber nicht dem Menschen.“ Diskret formuliert entsprach das der Wahrheit.
 

Viola seufzte und versuchte wieder von ihrem Trip herunter zu kommen. Wenn Zin sich entschuldigte, fiel es ihr ziemlich schwer, ihre Wut aufrechtzuerhalten, vor allem, da sie sehr wohl immer noch sein Blut wittern konnte.

„Glaub mir, der Mensch, dem ich vertraue, ist noch nicht geboren worden. Also komm' lassen wir die Homo sapiens Homo sapiens sein und ziehen unser eigenes Ding durch.“

Viola stützte Zin erneut, bis Haut auf Haut lag, Kühle an Hitze.

Würde es ihm nicht so dreckig gehen und sehe er nicht auch dementsprechend aus, Viola hätte dieses Kribbeln auf ihrer Haut irgendetwas gesagt, doch so ignorierte sie es und schob ihre wirren Gedanken und Gefühle auf die momentane Stresssituation. Zum Glück war es mit Zins Hilfe nicht mehr so schwer, ihn um das Haus herum, zur Vordertür zu bringen.

Einen Moment überlegte sie trotzdem, ob sie ihn nicht einfach auf dem Bett ablegen sollte, aber Wasser würde ihm jetzt wirklich nicht schaden, also schleppte Viola ihn ins Badezimmer und ließ ihn sich auf den Badewannenrand setzen.

„Halt still, okay? Ich nehm' dir den Verband ab und dann machen wir dich erst einmal sauber.“

Da Viola keine Schere in Griffweite hatte und sie Zin nicht ohne weiteres loslassen wollte, da er so mitgenommen aussah, dass sie seinen Kräften nicht mehr traute, benutzte sie ihre Krallen, um den Verband vorsichtig durchzutrennen, ohne Zins Haut dabei zu berühren.
 

Sie hatten es unfallfrei ins Haus und sogar ins Bad geschafft.

Jetzt, da Zin auf dem schmalen Rand der Badewanne saß, auf seine Füße starren und die kleine Spinne von dort verscheuchen konnte, die er von draußen mit hereingetragen hatte, wurde ihm etwas Anderes sehr deutlich bewusst, das nichts mit seiner Flucht aus dem Haus oder seinen Schmerzen zu tun hatte.

Immer schön auf den Boden sehen. Gerade runter auf deine eigenen Zehen. Nirgendwohin sonst. Zehen, Zehen, Zehen ...

Seine Eigenen, dann die kleinen hübschen, mit dem silbernen Nagellack, der allerdings ziemlich abgesplittert und zerrissen aussah. Was allerdings diesen süßen Zehen wenig Schönheit nahm und auch die schlanken Fesseln waren nicht zu verachten.

Als er tief Luft holte, hatte das zwei Dinge zur Folge. Zuerst einen kurzen Schmerz an seiner Seite und dann einen Fluch von Viola, der selbst Zin irritiert aufsehen ließ. Ja, sie hatte ihn wohl gekratzt, aber so schlimm war das nicht.

„Kein Grund zur -“

Zin blinzelte wild, glitt mit seinem Blick von dem flachen, glatten Bauch ab, schlitterte über die gefährlich sanften Schwünge der Hüften und die elegante Rundung eines knackigen Pos und stürzte getroffen wieder auf die Kacheln zu seinen Füßen. Seine Brauen waren hochgerissen, während er starr auf den Boden sah und seinen Mund so fest verschloss, als hätte man ihn zugenäht.

Ein Muttermal. Ein ganz Kleines ... perfekt rund, direkt unter -

Zehen! Deine Eigenen!
 

Verdammt. Als hätte er nicht schon genug Kratzer im Rücken, jetzt musste sie ihn auch noch zeichnen!

Still vor sich hinfluchend und dabei eine Entschuldigung murmelnd, säbelte sich Viola das letzte Stück durch die Bandagen, ehe sie Zin ganz davon befreite.

„So, jetzt setz dich rein.“

Sie half ihm in Wanne.

Nun, da das erledigt war, konnte sie sich schnell etwas überziehen.

Es war ihr zwar weder kalt, noch wirklich peinlich, aber der Sheriff hatte sie inzwischen oft genug wegen Nacktheit in der Öffentlichkeit verhaftet, dass dieses gewisse Unbehagen haften geblieben war.

„Ich komme gleich wieder.“

Schnell tapste sie aus dem Bad, um im Flur ihr Kellnerinnentop aufzuheben und es sich zusammen mit ihren Shorts anzuziehen.

Danach kniete sie sich zu Zin neben die Wanne und half ihm dabei, sich sauber zu machen. Wie immer war das Wasser nur lauwarm, aber das würde es schon tun. Nebenei konnte sie sich die Verletzungen ansehen.

„Zwei Fäden sind wieder aufgegangen, darum blutest du auch“, ließ sie ihn wissen. „Ich werde die zwei Stiche noch einmal machen müssen.“

Wieder seufzte sie, nur dieses Mal klang es wirklich erschöpft. Allerdings erschöpft von Sorge.

„Bitte mach so was nie wieder“, bat sie ihn leise, während sie vorsichtig die Wunden auswusch.

„Ich hätte ihn doch niemals ins Haus gelassen, weil ich wusste, dass du da bist.“

Wen sie mit 'ihn' meinte, musste sie wohl nicht erklären. Momentan hätte sie Cid am liebsten zum Teufel gejagt, da er auch zum Teil Schuld daran war, dass es Zin wieder schlechter ging. Aber er konnte im Grunde überhaupt nichts dafür, hatte er doch absolut keinen blassen Schimmer von Violas Gast.
 

Die zwei Fäden waren ihm eigentlich egal. Es fühlte sich nicht großartig anders an, als bisher. Es tat weh, es brannte und außerdem fühlte er sich so, als hätte ihn zusätzlich jemand windelweich geprügelt.

Deshalb ließ Zin sich auch schlapp in die Wanne gleiten, nachdem Viola seinen Rücken begutachtet hatte und er sie jetzt wieder ohne ein schlechtes Gewissen ansehen konnte. Dabei fiel ihm ihr ‚Arbeitsdress‘ auf. Den er allerdings nur als Solchen erkannte, weil quer über ihre Brust das Logo der Bar prangte, in der sie kellnerte. Wurden dort die Kurven gleich mit verkauft oder was sollte der Mist?

Das kühle Material der Wanne war fast wohltuend für seinen Rücken, wäre es nicht gleichzeitig so hart gewesen. Mit einem Blick, der nicht viel zu sagen hatte, außer dass es ihm wirklich leidtat, sah Zin in Violas müdes Gesicht.

„Es ist dein Haus“, meinte er unzusammenhängend, bevor er seine Hand nach Viola ausstreckte.

Selbst darüber erschrocken, stoppte er sich in der Hälfte der Bewegung, ignorierte das hektische Klopfen in seinem Magen und legte seine Finger nur leicht auf Violas Handrücken, bevor er versuchte zu lächeln.

„Und ich verspreche, mich beim nächsten Mal nicht noch einmal aus dem Fenster zu stürzen.“

Auch wenn er hoffte, dass es so ein nächstes Mal nicht geben würde.
 

„Na, zum Glück liegt dein Zimmer nicht im ersten Stock“, meinte sie daraufhin nur, während sie Zins Lächeln erwiderte und ihm mit einem Waschlappen Dreck von der Wange wischte. Das Gleiche tat sie mit anderen Stellen, die er selbst nicht zu fassen bekam oder bei denen er nicht sah, dass sie dreckig waren.

Als nur noch klares Wasser den Abfluss hinunterlief, half sie Zin wieder aus der Wanne und hielt ihn sicher fest, damit er auf dem nassen Untergrund nicht ausrutschte. Wieder wickelte sie ihn in ein Badetuch, wie sie es schon einmal getan hatte, und führte ihn dann zurück in sein Zimmer.

Man sah Zin sofort an, wie erleichternd es für ihn sein musste, sich endlich hinlegen zu können. Wenn auch nur schon wieder auf dem Bauch oder höchstens die Seite. Schweigend kramte Viola wieder alles heraus, um ihn zu verarzten. Doch im Gegensatz zu anderen Gelegenheiten war es dieses Mal ein angenehmes Schweigen. Eines, das langsam Ruhe verbreitete und die damit einhergehende Müdigkeit.

Viola gähnte nicht nur einmal, während sie die beiden gerissenen Fäden mit einer Pinzette aus Zins Haut zog, sie durch frische ersetzte und dann alles großzügig in Mullbinden einpackte. Da sein Rücken ohnehin wie wild brennen musste, waren die zwei Stiche wohl auch nicht mehr schlimmer gewesen. Dennoch war sie äußerst vorsichtig beim Neuverbinden und umso zärtlicher, während sie dafür sorgte, dass es Zin so bequem wie möglich hatte und es ihm bald wieder besser ging.

Sie verabreichte ihm die Antibiotika, gab ihm noch eine halbe Schmerztablette aufgelöst in etwas Saft und deckte ihn leicht zu.

„Morgen sieht die Welt gleich wieder anders aus“, flüsterte Viola am Ende leise, als sie neben Zin auf dem Bett saß, eine Hand vorsichtig an seiner Seite.

„Das hat meine Omi immer zu mir gesagt, wenn ich etwas angestellt habe.“
 

Er schluckte brav seine Medizin, ließ sich zudecken und sah dann von unten mit einem merklichen Anteil von schlechtem Gewissen zu Viola auf. Es tat ihm inzwischen noch mehr leid, dass er sich so verhalten und Viola damit Angst eingejagt hatte. Denn selbst wenn sie vorhin mehr wie eine Furie reagiert und ihn angeblafft hatte, war doch klar gewesen, dass sie sich nur Sorgen machte. Wäre es nicht so, sie hätte sich wohl kaum als Raubkatze durch das Fenster gestürzt und ihn dann splitternackt um das halbe Haus herum geschleppt.

Mit einem inneren Seufzen nahm Zin hin, dass ihn diese Abhängigkeit von seiner Retterin allmählich wirklich fertigmachte. Normalerweise war er jemand, der sich zwar nicht ausgesprochen gern um andere kümmerte – weil er dafür einfach zu wenig fähig war, sein Mitgefühl nach außen zu spiegeln – aber doch für sie da war. Oder sich in die Schusslinie warf, wenn es nicht anders ging. Dass er jetzt so unfähig herumlag ... machte ihn ganz kirre im Kopf. Es ging sogar so weit, dass er Viola beinahe erzählt hätte, dass er selbst auf der Toilette gewesen war. Allein und aus eigener Kraft.

Ja, das war bestimmt die richtige Taktik, um sie –

Zin wandte den Blick ab und schloss schließlich die Augen. So einen Blödsinn sollte er nicht denken. Schon gar nicht, wo sie doch den Brunftaffen hatte.

„Eine weise Frau, deine Omi“, meinte er leise und musste sich unheimlich zusammennehmen, um nicht nach Violas Hand zu fassen, die so warm auf seiner Seite ruhte.

„Vielen Dank, Viola. Und das alles nach einem anstrengenden Tag ...“ Sollte er sie fragen, ob er ihr die Füße massieren sollte? Bestimmt war sie viel gelaufen, in unbequemen Schuhen. Und so eine kleine Massage war noch dazu entspannend. Sie würde besser schlafen können.

Zin sah noch einmal hoch ... Und der Moment verstrich. Nicht zum ersten Mal hätte er sich selbst dafür in den Hintern beißen können, aber das änderte leider nichts.

„Du siehst ziemlich müde aus.“

Wie wäre es, wenn du hier bleibst und dich ausruhst? Ich könnte ... auf dich aufpassen.

Nein. Könnte er nicht.
 

„Ja ... Ja, das war sie ...“

Viola rieb sich mit ihrer freien Hand über die brennenden und müden Augen. Nun, da das ganze Adrenalin nachgelassen hatte, erschlug ihre Erschöpfung sie regelrecht. Sie schlief beinahe im Sitzen ein und konnte kaum Zins Worten folgen, die so zäh wie Honig in ihrem langsam erstarrenden Gehirnwindungen ankamen.

Noch einmal gähnte sie hinter hervorgehaltener Hand, als wolle sie Zins letzte Feststellung noch ausreichend untermauern.

Sie war auch ziemlich müde ...

„Ich ... werde dann mal ins Bett gehen“, prophezeite sie anschließend, ohne sich jedoch zu rühren. Stattdessen suchte ihr müder Blick den von Zin, und ein schwaches Lächeln erschien auf ihren Lippen.

Diese grauen Augen waren einfach so ...

Violas Hand glitt von seiner Seite zu Zins Brust, dort wo sie seinen Herzschlag fühlen konnte.

„Meine Omi hat mir noch etwas beigebracht.“ Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern.

Sie zog ihre Hand zurück und beugte sich vor, um die Stelle zu küssen, auf der ihre Hand gerade noch gelegen hatte.

„Damit es schneller heilt“, erklärte sie und stand auf. „Gute Nacht, Zin.“

Sie schlurfte aus dem Raum und ließ die Tür einen Spalt breit offen, damit Flocke ihm Gesellschaft leisten konnte, wenn sie wollte.

Viola selbst schlief schon halb mit der Zahnbürste im Mund und schaffte es daher nur noch, sich die wenigen Klamotten abzustreifen und unter den hauchdünnen Stoff ihrer Decke zu schlüpfen, ehe bei ihr ganz die Lichter ausgingen und das für viele Stunden.
 

„Gute Nacht ... Viola“, antwortete er leise und mit einem warmen Lächeln.

Zins Hand lag auf seiner Brust, seine Fingerspitzen genau auf dem Punkt, an dem er sich mit aller Macht das Gefühl erhalten wollte, das ihre Lippen hinterlassen hatten. Warm und weich ... und noch einiges mehr. Vielleicht würde es sogar in der Weise helfen, wie Viola es beabsichtigte.

Ohne sich weitere Gedanken über ihre Beweggründe zu machen, knipste Zin das Licht im Gästezimmer aus und schloss die Augen. Es wunderte ihn nicht einmal, dass er auch dann noch das Bild ihres Gesichts sehen konnte. Dieses Lächeln, die müden, aber trotzdem strahlenden Augen.

Zin schlief schmunzelnd ein, die Decke gegen seine Brust gedrückt. Auch wenn er gern etwas Anderes im Arm gehalten und daran gekuschelt eingeschlafen wäre. Jemand ... anderen.

...

Seine Lippen waren leicht geöffnet, seine Augen immer noch geschlossen. Man konnte seine Unruhe nur daran erkennen, dass er sich mit einem schweren Seufzen auf die Seite rollte. Die Finger in die weiche Decke gekrallt, streckten sich seine Zehen immer wieder ... zitterten seine Wimpern und Zin schluckte hart, bevor er ein leises wohliges Fiepen hören ließ, ehe er weiter in süßen Träumen badete.

12. Kapitel

Viola war erschöpfter, als sie selbst zunächst angenommen hatte.

Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass sie länger schlief, aber dass sie dabei beinahe drohte, ihre Spätschicht zu verschlafen, war ihr schon lange nicht mehr passiert. Gerade noch so brachte sie die Zeit auf, Zin und sich selbst etwas zu Essen zu kochen, sich noch ein bisschen mit ihm zu unterhalten, bis auf die Dinge, welche die gestrige Nacht angingen und noch rechtzeitig zur Arbeit zu fahren.

Wie auch schon gestern zogen sich die Stunden nur so hin, und obwohl sie eigentlich nicht mehr so müde hätte sein sollen, ging sie doch nicht lange nach dem sehr späten Abendessen wieder ins Bett.

Da sie wieder arbeitete, hatte Viola das Gefühl, die Zeit würde wie im Flug vergehen, vor allem da keine unerwarteten Besucher mehr vor der Tür standen, es Zin von Tag zu Tag besser zu gehen schien und sie langsam wieder so etwas wie einen Tagesrhythmus entwickelte.

Trotzdem war sie unendlich erleichtert, als sie ihr Motorrad in die Garage stellte, nachdem sie die letzte Schicht für diese Woche hinter sich gebracht hatte. Zudem war angekündigt, dass bald ein Taifun kommen würde. Erst recht ein Grund sich auf Heim und Herd zu freuen. Noch dazu, da sie nun noch bessere Gesellschaft hatte, um so ein Unwetter auszustehen, als Flocke, die sich davon nie wirklich beeindrucken ließ. Egal wie sehr es im Wald hinter ihrem Haus krachte, oder wenn wieder einmal ein Teil des Daches abgedeckt wurde.

Oh Gott. Hoffentlich wurde es nicht wieder so schlimm, wie vor zwei Jahren!

Damals hatte sie das Unwetter nicht einfach mehr ignorieren können, sondern war regelrecht vor Angst fast gestorben.

Dieses Mal sollte es nicht so schlimm sein. Aber schon ein kleiner Regenschauer machte sie reizbar und mürrisch.

Zin konnte sich schon einmal warm einpacken.

Trotzdem lag ein äußerst warmes Lächeln auf ihre Lippen, als sie ihren Schlüssel in das Schloss steckte, noch einmal in der bereits leicht aufgeladenen Luft schnupperte und schließlich mit einem Seufzen das Haus betrat.

„Bin wieder dahaaa!“, rief sie fröhlich durch den Flur und schloss die Tür sofort wieder hinter sich ab. Später würde sie noch einmal ums Haus gehen und alles sichern, was nicht niet- und nagelfest war.
 

„Hey!“

Zin steckte zuerst nur seinen Kopf aus der Tür des Gästezimmers und schenkte Viola ein Lächeln.

„Schön, dass du da bist. Wir warten schon sehnsüchtig.“

Was der zweite Part von ‚wir‘ sofort bestätigte, indem Flocke auf Viola zulief, um mit einem Maunzen die lang ersehnten Streicheleinheiten einzufordern, die Zin wohl irgendwie trotz aller Bemühungen nicht ausgleichen konnte.

Sein Lächeln vertiefte sich, als er – mit einer Hand fest an den Türrahmen gestützt – aus dem Zimmer trat. Am liebsten hätte er an sich herumgezerrt, aber er konnte sich gerade so beherrschen. Immerhin war die Jeans, die er trug, lang genug und passte einigermaßen. Vielleicht etwas tief auf den Hüften, aber damit kannte er sich ja ohnehin nicht aus. Ihm war nur wichtig gewesen, dass er in seinen Augen vor dem Spiegel und vor allem jetzt vor Violas Kritik nicht, wie ein Idiot im Kostüm wirkte.

Es war zwar nicht das erste Mal, dass er menschliche Kleidung trug, aber es war das erste Mal ... dass es ihm nicht egal war, was Andere von seinem Erscheinungsbild dachten. Zin wollte nicht ... in irgendeiner Menge untergehen. Eigentlich ... ganz im Gegenteil.

„Riecht nach Sturm, findest du nicht?“

Steif humpelte er zum Sofa hinüber, hielt sich an der Lehne fest und freute sich trotzdem unendlich, dass er wieder eigenständig laufen konnte. Noch nicht sehr gut, aber ohne Viola dabei belasten zu müssen und vor allem ohne größere Schmerzen. Wenn er sich nicht übernahm.
 

Wie immer ließ Viola sofort ihre Tasche auf dem Tischchen neben der Tür fallen und nahm Flocke hoch in ihre Arme, um ihre Süße ausgiebig zu streicheln und zu begrüßen. Mit Zin hätte sie bisweilen gerne das Gleiche getan, auch wenn sie es nicht zugab und ihn auch nicht so einfach hoch auf ihre Arme nehmen konnte. Aber sie wüsste da schon diverse Stellungen, wie es trotzdem möglich gewesen -

Als er ganz aus dem Zimmer trat, das sie inzwischen als das seine ansah, verstummte Viola nicht nur in Gedanken. Sie wollte Zin eigentlich wenigstens verbal anständig begrüßen, doch stattdessen glitt ihr Blick an seinem Körper auf und ab.

Mehrmals.

Dann biss sie sich unwillkürlich auf die Unterlippe und zwang sich dazu, ihm nicht auf den Hintern zu starren, als er ins Wohnzimmer humpelte, sondern ihm zu folgen. Gott, er sah so ... sie hätte am liebsten gegurrt. Ja, tatsächlich gegurrt und nicht geknurrt, obwohl ihr das natürlich auch in den Sinn kam.

Wie war es eigentlich möglich, dass man manchmal in Kleidung besser aussah, als ohne? Vielleicht weil dadurch die Fantasie mehr angeregt wurde?

Zumindest Violas Fantasie begann sich auf ihrem Weg in die Wohnküche um Zins Hintern zu drehen und dass er ihr ausgesprochen gut in der Verpackung gefiel.

„Sitzt gut, wie ich sehe“, war alles, was sie sich am Ende zugestand. Eigentlich hätte sie gerne auch einmal eine Fühlprobe gemacht, um wirklich sicherzugehen, ob die Jeans gut saßen. Aber das wäre dann wohl zu viel des Guten gewesen.

Schade.

Erst verspätet kam ihre Reaktion auf den Sturm, den offenbar auch er riechen konnte und ihre Stimmung wurde etwas davon gedämpft, aber nicht vollkommen. Dafür freute sie sich einfach zu sehr, Zin wieder eingeständig laufen zu sehen und außerdem hatte sie dank des bevorstehenden Unwetters heute früher gehen dürfen.

„Viola, ich weiß, du hattest wahrscheinlich schon ziemlichen Stress heute, aber ... dürfte ich dich um etwas bitten?“, meinte Zin plötzlich.

„Hmm. Kommt darauf an, worum du mich bittest.“

Sie setzte Flocke auf der Küchenzeile ab und füllte etwas Katzenmilch in ihr Schälchen.

Danach lehnte sie sich gegen die Theke und lächelte Zin an, während sie noch einmal mit einem Blick seinen langen Körper nach unten glitt. Diese Jeans saßen wirklich verdammt tief.

Sie konnte sich gerade noch so davon abhalten, sich genüsslich über die Lippen zu lecken.
 

Letztendlich lehnte sich Zin gegen die Rückseite des Sofas und stützte sich zusätzlich mit den Armen hinter seinem Rücken darauf ab, um seine immer noch geschundenen Muskeln zu entlasten. Irgendwann demnächst würde er Viola einmal um einen kleinen Handspiegel bitten, damit er sich die Bescherung im Spiegel des Schrankes selbst ansehen konnte. So, wie es sich anfühlte, konnte er zu Hause wie mit einem Haiangriff angeben. Wenn es denn ... noch jemanden gab, vor dem er seine Narben zeigen konnte.

Den Trübsinn in das hinterste Eck seines Verstandes steckend, sah er Viola etwas zwiespältig an. Er rechnete eher damit, dass sie seine Bitte ablehnen würde. Immerhin war ihr Tag wirklich anstrengend gewesen, sie hatte schon viel um die Ohren und außerdem ... musste es nicht unbedingt sein. Trotzdem ...

„Ich weiß nicht, wie du das normalerweise mit solchem Wetter hältst, aber ich würde vorschlagen, dass wir uns ein paar Vorräte anschaffen. Vielleicht für ein paar Tage. Alles Mögliche, damit wir Gänge vor die Tür vermeiden können.“

Zin senkte leicht den Kopf und sah Viola mit einem Blick an, der zwar bei seiner Mum immer geholfen hatte, von dem er aber nicht wusste, ob er bei Viola zog. Einen Versuch war es wert.

„Ich wollte fragen, ob ich mit dir einkaufen gehen dürfte.“
 

Oh mein Gott. Dieser Blick ...

Wo zum Teufel hatte er den die ganze Zeit versteckt?

Viola nagte an ihrer Unterlippe, während sie Zin in die Augen sah und seine eher banale Bitte überdachte. Eigentlich hätte sie mit etwas ganz anderem gerechnet. Allerdings war die Bitte gar nicht so ohne, wenn sie länger darüber nachdachte.

„Du ... willst also mit mir einkaufen fahren? Was ist mit deinen ... Händen? Ich meine, ich mag deine Schwimmhäute. Die sind wirklich faszinierend, aber naja, fallen doch auch auf. Außer, du behältst die Hände vielleicht die ganze Zeit in deinen Taschen. Gut möglich. Hmm ... Ja, das müsste gehen, es sei denn, dir fällt noch was Besseres ein. Und wie viel sollen wir kaufen? Auf meinem Motorrad ist nur beschränkt Platz, andererseits könnten wir auch sicher zweimal fahren. Wäre nicht so schlimm. Bist du denn schon mal auf einem Motorrad mitgefahren?“

Wieder biss sich Viola auf die Unterlippe, als sie mitbekam, wie sehr sie Zin mit ihren Fragen bedrängte. Aber die waren schließlich nicht unerheblich.
 

Sie dachte darüber nach! Oh ja und nicht nur im negativen Sinne oder wie sie Zin die Schnapsidee wieder ausreden könnte. Nein, Viola wies ihn nicht sofort in die nichtmenschliche Ecke, sondern fragte lediglich nach Kleinigkeiten, die sich bestimmt regeln ließen.

„Solange niemand in der Nähe ist, der sie sehen könnte, kann ich dir trotz der Schwimmhäute tragen helfen. Und selbst wenn jemand kommt, sieht mir nicht jeder auf die Hände. Ich habe auch an Handschuhe gedacht, aber das fällt sicher noch mehr auf.“

Er betrachtete eine seiner Hände und schob mit dem Zeigefinger der Anderen eine der dehnbaren Häute so weit nach unten, bis er unangenehm wurde. Hm. Handschuhe wären schon möglich, aber besonders toll war die Variante nicht. Außerdem müssten sie dafür erstmal welche auftreiben.

„Wie viel wir kaufen sollen, weiß ich nicht. Du hast ja schon viele Sachen hier. Es geht nur um ...“ Er sah sie an und schenkte ihr ein Lächeln, das schon seit ein paar Tagen immer wieder auf seinem Gesicht erschien. Es war ... neu und schien etwas allein mit Viola zu tun zu haben. Ein Lächeln ... speziell für sie.

„Darum, dass wir es gemütlich haben. Wir könnten deine Lieblingssachen besorgen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Egal was. Und ähm ... nein. Ich bin noch nie auf einem Motorrad mitgefahren.“
 

Ihre Lieblingssachen? Gemütlich?

Oh Mann. Wären Männer nicht so empfindlich deswegen, hätte sie ihn tatsächlich als süß bezeichnet. Leider fassten das die meisten nicht gerade als Kompliment auf und zugegeben, süß passte vielleicht immer wieder zu Zins Verhalten, aber wenn sie ihn so betrachtete, wie er sie anlächelte, dann kamen ihr ganz andere Adjektive in den Sinn.

„Okay“, meinte sie schließlich kurz und knapp und stieß sich von der Theke ab, während ihr Lächeln breiter wurde.

„Lass mich mal sehen, ob ich irgendwo Schuhe für dich habe, die dir passen, und zieh dir noch ein Hemd über, gegen den Fahrtwind und du wirst mir gefälligst sagen, wenn es dir zu viel wird. Dann fahren wir sofort Heim. Hast du mich verstanden?“

Eigentlich war das nicht wirklich eine Frage, sondern eine Forderung, denn Viola verschwand schon aus der Küche direkt in den ersten Stock, um nach passenden Schuhen für Zin zu suchen.

Er war recht groß, dementsprechend war - Viola musste lächeln - alles an ihm recht groß. Das konnte sie zwar nur mutmaßen, aber es gab da so diese eine gewisse Faustregel, die man eigentlich bei jedem Mann anwenden konnte. Passte fasst immer. Nur ... dass Zin, da etwas anders gebaut war, wie sich Viola schließlich wieder erinnerte. Sie vergaß es zwar immer wieder, weil er einfach nicht so aussah, als würde ihm etwas fehlen und laut seiner eigenen Aussage, war das auch nicht der Fall. Aber er war auf jeden Fall kein gewöhnlicher Mann.

Sie steckte ihn also grundsätzlich nicht in irgendeine passende Schublade, so wie sie es zum Beispiel bei Cid tat. Der gehörte zur verwöhnten Surferfraktion mit so viel Sexappeal, dass die Frauen Schlange bei ihm anstanden.

Kein Wunder, dass er auf sie aufmerksam geworden war. Diese Typen würde sie sicherlich nicht auch noch darin bestätigen, in denen sie sich in dieser Schlange anstellte, sondern sie so lange ignorierte, bis man sie selbst einfach nicht mehr übersehen konnte.

Sie hatte ihn immer noch nicht angerufen.
 

Solange Viola unterwegs war, um nach passendem Schuhwerk für ihn zu suchen, bewegte sich Zin ins Gästezimmer zurück und griff nach einem dünnen Sweatshirt, das er sich über den Kopf zog. Es war langärmlig, was die Musterung seiner Haut zum größten Teil verbergen würde. Was zwar noch ein zusätzliches Problem mit seinen Händen darstellen könnte, aber solange in dem Laden nicht die Sonne schien, war das zu vernachlässigen. Draußen würde er einfach die Hände in die Hosentaschen schieben. Selbst wenn ihn das bestimmt einiges an Überwindung kosten würde. Immerhin hieß das ja, dass Viola ihren gesamten Einkauf tragen musste.

„Wird Zeit, dass ich meinen Invalidenstatus loswerde.“
 

Ein paar Minuten später kam sie mit mehreren Paaren Turnschuhe zurück und gab sie Zin, damit er sie durchprobieren konnte, während sie einen großen Rucksack holte, in dem sie die Einkäufe verstauen könnten.

Zin würde ihn nicht auf den Rücken tragen können, aber es müsste gehen, wenn sie ihn sich verkehrt herum, vor dem Bauch schnallte. So wie sie sich auf die Maschine legte, wenn sie fuhr, würde das gerade noch so gehen.

„Start klar?“, fragte sie schließlich mit dem Schlüssel in der einen und einem zweiten Schutzhelm für Zin in der anderen Hand.
 

Nachdem er ein Paar Schuhe ausgesucht hatte, in denen er zwar vorn anstieß, bei denen es aber nicht zu schlimm war, um laufen zu können, richtete Zin sich langsam auf und grinste Viola so breit an, dass seine gute Laune sich wohl im ganzen Raum ausbreitete.

„Auf jeden Fall.“

Motiviert nahm er ihr den zweiten Helm ab und humpelte hinter ihr her aus der Tür, die paar Stufen von der Terrasse hinunter und schließlich zu dem Motorrad, das Zin mit einem interessierten Blick betrachtete. Und jetzt? Er entschied sich dafür, auf Violas Anweisungen zu warten.

Sie stieg auf, ließ den Motor an, der Zin ganz schön in den Ohren dröhnte, und zeigte dann, dass er sich hinten auf das Gefährt schwingen sollte.

Das mit dem Schwingen war gar nicht so einfach, obwohl die Maschine nicht sonderlich hoch war. Seine mahlenden Kiefer konnte Zin gut hinter dem Visier des Helmes verstecken, und als er schließlich doch leicht außer Atem auf dem wummernden Motorrad saß, hielt er grinsend den Daumen nach oben.
 

Viola schärfte Zin noch einmal ein, dass er ihr ein Zeichen geben sollte, wenn etwas während der Fahrt bei ihm nicht stimmte. Dass ihm zum Beispiel schlecht wurde, oder er sich plötzlich schwach fühlte. Denn das Letzte, das sie wollte, war, ihn vom Asphalt kratzen zu müssen.

Deshalb nahm sie auch seine Arme, schlang sie unter dem leeren Rucksack um ihren Bauch und brachte ihn dabei dazu, dass er sich auch wirklich an ihr festhielt, während sie sich langsam nach vorbeugte, damit sie seinen Rücken so gut wie möglich nicht beleidigte.

Noch einmal überprüfte sie, ob er die Beine auch wirklich angelegt hatte und sie ihr nicht in das Hinterrad hängen ließ, ehe sie losfuhr.

Zunächst langsam, bis sie den Kies ihrer Einfahrt verlassen hatten und auf die Hauptstraße fuhren. Danach legte sie etwas an Tempo zu, aber noch lange nicht so schnell, wie sie es für gewöhnlich tat.

Viola wollte erst einmal sehen, wie er mit dieser Geschwindigkeit zurechtkam, weshalb sie auch keine Zeit hatte, daran zu denken, wie sich seine Brust an ihren Rücken schmiegte und er sie mit seiner Größe fast umspannte. Ganz so, als wäre er eine weitere Sicherheitsmaßnahme auf ihrem Motorrad.

Da er einkaufen wollte, fuhr sie zu dem einzigen Laden, der so ziemlich alles hatte, den das Kaff hier bieten konnte. So ersparten sie sich viel Fußmarsch, auch wenn es dem Laden natürlich deutlich an Charme fehlte, so wie ihn die kleineren spezialisierten Läden besaßen.

Viola stellte die Maschine ab, zog sich ihren Helm vom Kopf und schüttelte erst einmal ihre Haare durch, ehe sie sich voll und ganz auf Zin konzentrierte.
 

Die Fahrt war eigentlich recht angenehm. Einmal von dem anfänglichen Problem abgesehen, dass Zin jedes Mal von hinten mit seinem eigenen gegen Violas Helm knallte, wenn sie bremste oder sie nach einem Halt wieder losfuhren. Das bekam Zin selbst nach einer Weile noch nicht vollkommen in den Griff, obwohl er sich sonst auf dem Motorrad recht wohl fühlte. Er war hohe Geschwindigkeiten gewohnt. Auch wenn er sie normalerweise nicht über dem Wasser erreicht. Und dass er spüren konnte, wie Viola nach einem oder zwei Kilometern auch entspannter mit ihrem Passagier klarkam, machte es umso leichter. Er hielt sich gut an ihr fest, genoss durchaus, dass er dabei das Gefühl haben durfte, sie ihm Arm zu halten und sah dabei zu, wie die Landschaft an ihnen vorbei zog. Eigentlich wirklich ganz schön an Land. Nicht so, wie seine Heimat, aber durchaus sehenswert.

Was sich Zins Meinung nach allerdings wesentlich änderte, als sie an den Stadtrand kamen und Viola nach kurzer Zeit auf eine Betonwüste von Parkplatz einbog und vor einem grauen Quader stehen blieb, dessen große, gelb leuchtende Lettern zeigten, dass sie am Ziel waren.

Inzwischen – und vor allem durch die Umgebung – etwas verunsichert, stieg Zin ab, hielt sich dabei kurz an Viola fest, bevor er sich den Helm vom Kopf zog und sich einmal mit der Hand über das stoppelkurze Haar fuhr.

„Alles in Ordnung bei dir?“, wollte sie von ihm wissen, bevor es losgehen konnte.

„Ja. Alles klar.“

Er achtete penibel darauf, dass beim Sprechen auch nicht einmal das Zittern seiner Kieferkiemen zu erkennen war. Jetzt wäre eine andere Frisur wohl von Vorteil gewesen, aber wenn er nicht weiter auffiel ...

„Lass‘ uns rein gehen“, meinte Zin etwas kurz angebunden, während eine Bö als Vorbote des Unwetters über sie hinweg zog.

Drinnen erwartete sie heilloses Durcheinander. Zumindest empfand Zin die Mischung an Farben, Waren, Menschen und dem Rest als schwer verdaubare Mischung. Aber es war seine Idee gewesen, hier herzukommen. Also würde er jetzt sicher keinen Rückzieher machen. Stattdessen nahm er Viola den kleinen, grünen Plastikeinkaufskorb ab, auf dem das Logo des Supermarktes erneut prangte, und ging hinter seiner Begleiterin her durch die kleinen Drehschranken.

Als Erstes öffnete sich vor ihnen ein Platz, vollgestopft mit Obst und Gemüse. In allen Farben des Regenbogens und taugleich angesprüht durch irgendwelche Düsen, die Zin erst auf den zweiten Blick über den verspiegelten Regalen entdecken konnte.

„Ist das nicht unpraktisch, wenn man sie nachher einpacken will?“, fragte er in der Lautstärke, die eher zu einem Besuch in einer Kathedrale gepasst hätte, als in einen schnöden Supermarkt.
 

„Nur, wenn man auch was von dem Zeug kauft“, konterte Viola und ging schnurgerade an dem verpesteten Obst und Gemüse vorbei.

Klar, es gäbe auch noch eine Bio-Abteilung. Aber wieso mehr Geld für Bio ausgeben, wenn sie ebenso gute Qualität auf dem Markt bekam. Außerdem hatte sie genug Obst zuhause und von Gemüse war sie nur mäßig begeistert.

Tomaten, Gurken, Paprika, Salat, alles noch okay. Aber sobald man ihr mit Kohl kam, stellten sich ihre Nackenhaare auf und sie musste ein angewidertes Fauchen unterdrücken.

Zin war zwar so nett gewesen, ihr einfach den Tragekorb abzunehmen, aber sobald dieser mehr als drei oder vier Kilo übersteigen sollte, würde sie ihm den wieder abnehmen. Mit seinen Verletzungen sollte er überhaupt nichts heben.

Nur erklär' das Mal einem sturen Meermann, der noch nicht einmal davor zurückscheute, aus ihrem Fenster zu springen.

„Hier entlang.“

Viola nahm Zins kühle Hand, weil sie ihn nicht mit den ganzen Angeboten überfordern wollte, die selbst ihr zusetzten. Es waren nicht die Artikel selbst, oder die angepriesenen Preise, sondern viel mehr die Unsumme von allem. Die vielen Gerüche, der nervige Einkaufssong im Hintergrund. Ein Kind, das irgendwo loskreischte. Das Piepen der Barcodescanner.

Das alles machte sie immer ganz kirre und dann die vielen grellen Farben und unzähligen vollgestopften Regale.

Sie führte Zin zuerst zu der Cornflakes-Abteilung, da ihre Lieblingsschokopops gefährlich nahe daran waren, alle zu werden.

Hinzu kamen dann noch Rollmöpse im Glas. Geräucherter Lachs. Ein paar Süßigkeiten und noch eine Packung Heißwachs.

Ein Unwetter stand bevor. Da konnte sie von dem Zeug nie genug haben.

Viola war schon einmal gespannt, was Zin dazu sagen würde. Er selbst schien ja nie an Brazilian-waxing denken zu müssen. Auch ein Punkt, der eindeutig für ihn sprach.

Sie mochte vielleicht selbst in einem Pelz herumlaufen, aber das hieß nicht, dass sie das auch an Männern mochte. Zumindest nicht überall. Stattdessen liebte sie das Gefühl von feinem Haarflaum oder nackter Haut.

Ja, Zin war ein richtiges Sahneschnittchen, nun, da er immer aktiver wurde.

Ehe sie es noch vergaß, warf Viola auch eine Packung Tampons in den Einkaufskorb, allerdings nicht, ohne innerlich zu seufzen. Wenn sie könnte, sie würde auf diesen Mist vollkommen verzichten, aber andererseits war sie doch sehr froh über diese Erfindung. Nur nicht über den Grund, warum sie überhaupt nötig war.

In der Medikamentenabteilung blieb sie schließlich am Längsten, lud ein paar frische Verbände und Mullbinden ein und überlegte, was sie noch alles brauchen könnten, um Zins weitere Besserung zu gewährleisten.

„Wenn du etwas brauchst, sieh dich ruhig um. Ich bin hier noch eine Weile beschäftigt“, meinte sie schließlich, da ihr einfiel, wie viel sie Zin einfach nur durch die Gegend geschleift hatte, ohne ihm die Möglichkeit zu schenken, sich umzusehen. Herrgott noch mal, dabei war er doch kein Kind mehr!

Trotzdem war sie durchaus auch deshalb angespannt, weil sie mit ihm in der Öffentlichkeit war. Nicht nur, weil sie Supermärkte dieses Ausmaßes nicht ausstehen konnte.
 

„Okay. Wir finden uns dann schon.“

Sie musste ja nicht hier an Ort und Stelle auf ihn warten. Allein die Vorstellung sorgte dafür, dass Zin sich gar nicht darauf konzentrieren konnte, was er alles hatte hier im Supermarkt finden wollen. Zuerst steuerte er den Gang zurück, um das nächste Eck herum und warf einen kurzen Blick in die Kühlfächer, in denen sich haufenweise leicht blutige Fleischbrocken stapelten. Die Art, mit Essen umzugehen, das einmal ein lebendes Tier gewesen war, ließ Zin die Nase rümpfen und die Abteilung schnell hinter sich lassen.

Irgendwann schien sich der Dschungel aus Lebensmitteln zu lichten und machte anderen Dingen Platz, die ihm noch seltsamer erschienen. Reihenweise bunte Flaschen mit Flüssigkeiten, die offensichtlich zum Reinigen von verschiedenen Dingen gedacht waren. Menschen, Kleidungsstücken ... Geschirr. Zin lief daran vorbei, verlagerte den Korb von einer zur anderen Hand und blieb schließlich vor einer Regalreihe stehen, in der er das fand, was er gesucht hatte.

Blöderweise waren gerade die Kerzen, die ihm wegen ihrer Schlichtheit gefielen, ganz unten in einer Art Hängekorb. Er würde sich bücken müssen, um sie zu erreichen.

„Hi!“

Beinahe ließ er den Korb fallen, während sein Kopf zur Seite zuckte und Zin sich sehr beherrschen musste, seinem Gegenüber nicht die Zähne zu zeigen.

„Hallo?“

„Kann ich was für Sie tun?“

Die junge Frau, die bestimmt zwei Köpfe kleiner war als Zin, hatte pinke Haare und ziemlich viele Ringe in ihrem linken Ohr. Das passte zwar zu ihren sehr deutlich dunkel geschminkten Augen, aber Zin konnte sich irgendwie nicht so leicht von dem Anblick losreißen. Das musste wehgetan haben.

„Nein, danke. Ich komme zurecht. Ich wollte nur ein paar Kerzen.“

Deshalb stand er doch auch hier. Vor dem Regal. Mit den Kerzen.

„Glauben Sie, dass wir die in den nächsten Tagen brauchen werden? Wegen des Sturms? Letztes Mal ist ja ziemlich lange der Strom ausgefallen.“

So, wie die Frau ihn musterte, war Zin sich nicht sicher, ob sie nur über den Sturm mit ihm sprechen wollte. Vorsichtshalber schob er seine Finger am Griff des Plastikkorbs enger zusammen und steckte die andere Hand in seine Hosentasche.

„Ich war beim letzten Sturm ... noch nicht hier“, meinte er abwehrend und kurz angebunden.

„Oh, dann sind Sie neu auf der Insel? Cool. Warum hat es Sie denn hierher verschlagen?“

Weil mich eine Explosion fast in Stücke gerissen hat und ich glücklicherweise ohnmächtig in die passende Strömung geraten bin, die mich halbtot an den Strand geschwemmt hat.

„Nichts Besonderes“, sagte er und griff sich die nächstbesten Kerzen aus einem der oberen Fächer des Regals. „Okay, dann ...“

„Wenn Sie neu sind und Leute kennenlernen möchten, sollten Sie mal in den Pub kommen. Da bin ich auch oft.“

Zin sah die junge Frau an, die sich ihren pinken Pony zurechtstrich und ihn Kaugummi kauend angrinste.

„Das ist ... nett.“
 

Viola hielt es nicht lange ohne Zin aus und entschied dann, dass sie einfach noch einmal herfahren würde, sollte ihr wirklich noch etwas Wichtiges fehlen, das sie jetzt vergessen hatte. Wichtiger war für sie, dass sie Zin wieder fand, weil sie sich einfach nicht wohl dabei fühlte, ihn alleine zu lassen.

Eigentlich fühlte sie sich ganz und gar nicht gut dabei und das wurde noch schlimmer, als sie ihn in dem großen Kaufhaus auch nicht mehr allzu schnell finden konnte. Letztendlich war es dann doch seine unverkennbare Witterung, die sie direkt zu ihm führte und am Ende eines Regals stehen bleiben ließ.

Er sprach mit Cindy Mason.

Sie wollte fauchen und der Schnepfe die Krallen ins Gesicht schlagen.

Eigentlich eine total übertriebene Reaktion. Cindy war im Grunde ganz okay und wies sie immer mal wieder auf Rabatte hin, obwohl sie das eigentlich gar nicht müsste. Trotzdem.

Zin mit ... einer anderen zu sehen, und wenn es auch nur eine bloße Unterhaltung war ... löste etwas in ihr aus. Etwas Bösartiges mit spitzen Krallen und Zähnen.

Erst recht, da sie Cindys Gesichtsausdruck und die Art wie sie lächelte, nicht missverstehen konnte.

Zum Teufel noch mal, sie setzte diese Waffen auch jedes Mal ein, wenn ihr ein Kerl gefiel, fehlte nur noch, dass sie sich die Haare nach hinten warf und -

„Ah, da bist du ja!“, platzte Viola mitten in die Unterhaltung und hakte sich bei Zin ein, während sie ihm ein strahlendes und durch und durch echtes Lächeln schenkte. Nur ihre Anspannung galt der Frau, die sich gerade an ihren Meermann heranmachen wollte.

„Hi, Cindy. Neue Frisur? Steht dir echt gut. Wie geht’s eigentlich deinem Freund? Wie hieß er doch gleich ... Bill? Naja, egal. Wir müssen los. Du weißt ja. Das Unwetter und so. Ich will nach Hause, bevor es uns komplett einnässt. Man sieht sich.“

Viola zog Zin mit sich, ohne sich noch einmal zu Cindy herumzudrehen, denn dann hätte sie vermutlich nicht mehr länger ihr fröhliches Lächeln aufrechterhalten können.

Sie bemerkte dabei noch nicht einmal, wie sie seinen Arm besitzergreifend umklammert hielt und mit ihm schnurstracks direkt zu den Kassen gehen wollte. Doch dann beschloss sie doch noch einmal stehen zu bleiben und ihn unschuldig lächelnd anzusehen, als hätte sie nicht gerade eine Konkurrentin ausgestochen, obwohl sie sich selbst nicht einmal in so einer Rolle sehen sollte.

Allerdings tat sie das.

Eigentlich sogar zu Recht. Schließlich hatte sie Zins Leben gerettet, versorgte ihn, gab ihm zu essen, einen Platz zum Schlafen, Kleider und doch war er ... kein Objekt, das ihr gehörte.

Langsam ließ sie ihn wieder los und nagte wieder auf ihrer Unterlippe herum.

„Hmm ... brauchst du vielleicht noch was, oder können wir gehen?“, fragte sie schließlich, nicht mehr ganz so übertrieben selbstsicher, wie gerade eben noch.
 

Zin ließ sich von Viola aus dem Gang und dann auch ein Stück in Richtung der piepsenden Kassen führen, bis sie auf einmal abrupt stehen blieb und ihn vollkommen unschuldig anlächelte. Zumindest versuchte sie es, wie Zin mit einem innerlichen Schmunzeln registrierte.

„Keine besonders gute Freundin von dir nehme ich an?“

Zumindest hatte es eher so ausgesehen, als hätte diese Cindy Viola einmal in den Kaffee gespuckt. Die beiden mussten eine Meinungsverschiedenheit am Laufen haben. Warum sonst sollte sich Viola so verhalten? Sie hatte ja gerade so gewirkt, als könne Zin sich an dieser fremden Frau vergiften? Oder war es allein die Tatsache, dass ihn der Mensch erkennen und sofort die Polizei holen könnte. Das war natürlich möglich und so schnell, wie hier alle Türen verriegelt und Kameras auf ihn gerichtet werden konnten. Nicht auszudenken -

Zins Augenbrauen arbeiteten sich nach oben und er sah für eine Sekunde so aus, als müsse gleich eine Glühbirne über seinem Kopf erstrahlen. Dann allerdings runzelte er die Stirn wieder, griff mit seinem Arm um Violas Schultern und schob sie in Richtung Kasse.

„Nein, Schatz, wir haben alles. Lass‘ uns nach Hause fahren.“
 

Schatz? Was zum -

Viola wollte Zin tatsächlich fragen, was das jetzt sollte, allerdings riet ihr ein wahnsinnig selbstsüchtiger Teil von ihr, das auf später zu verschieben und lieber das Gefühl zu genießen, wie er seinen Arm um sie geschlungen hatte.

Mann, er war so groß und sie ... verschwand förmlich an seiner Seite.

Viola würde es vermutlich niemals so offen zugeben, da das bedeutete, sie würde Schwäche zeigen, aber sie fand es wirklich sehr schön, wie er sie da so hielt. Ganz so, als könne ihr nichts und niemand etwas anhaben, wenn er an ihrer Seite war.

Während Viola mit Zin an der kurzen Schlange vor der besetzten Kassa anstand, wagte sie kaum zu atmen. Das Gefühl dauerte und dauerte, bis sie schließlich an der Reihe waren und Zin sie loslassen musste, damit sie den mitgebrachten Rucksack mit den Einkäufen füllen konnte.

Trotzdem, da sie da gerade irgendeine Pointe verpasst hatte, nahm sie wieder seine Hand und verließ mit Zin zusammen das Geschäft. Ganz so, als wären sie tatsächlich ein Pärchen und als wolle sie Cindy noch einmal einen Dämpfer verpassen.

Ja, zugegeben, sie war vorhin kurz eifersüchtig gewesen. Aber was hätte sie auch großartig machen können? Zusehen, wie Cindy Zin noch mehr anbaggerte? Vorher hätte sie irgendein Regal verwüstet, als dem noch länger beizuwohnen.

Auf alle Fälle würde sie die Szene nicht noch einmal erwähnen. Das war nur ein kurzer Ausrutscher gewesen. Ein Filmriss sozusagen. Denn im Grunde ging es sie gar nichts an, solange es Zins Sicherheit nicht gefährdete und eine Anmache von Cindy würde ihn wohl kaum stark genug beeindrucken, dass es das könnte.

„Macht’s dir was aus, wenn wir bei der Heimfahrt etwas mehr an Tempo zulegen?“, fragte sie daher schließlich, um endlich das Thema zu wechseln.
 

Auf dem Weg nach draußen sah Zin sich so unauffällig wie möglich um. Dabei hielt er Violas Hand fest, als könne gleich irgendein Kommando mit Betäubungsgewehren aus den dünn gesäten Büschen auf sie stürzen. Überall waren Kameras, und selbst als sie den Parkplatz erreichten, schien es Zin so, dass sie beobachtet werden könnten. Zwar war niemand hier, aber Viola wirkte irgendwie noch immer angespannt. Ein Zeichen, das Zin so las, dass sie immer noch vorsichtig sein mussten. Immerhin war das hier ihre Welt. Er hatte sich anzupassen, wenn er sich nicht in Gefahr bringen wollte. Deshalb nickte er auch abgehackt auf Violas Frage hin und stieg hinter ihr auf das Motorrad, dessen lautes Motorengeräusch Zin sogar etwas beruhigte.

Sie fuhren wirklich sehr viel schneller und Zin ignorierte nur schwerlich das Bedürfnis, sich immer wieder umzusehen, ob ihnen nicht jemand folgte. Aber das hätte vermutlich bloß noch mehr Aufmerksamkeit auf sie beide gezogen. Also starrte er geradeaus, über Violas Schulter hinweg und war bloß froh, als sie die Kieseinfahrt und schließlich den Parkplatz für Violas fahrbaren Untersatz erreichten, wo er absteigen konnte.

Zins Rücken fühlte sich von dem kleinen Ausflug ein bisschen taub an und er überlegte, ob es wohl sinnvoller wäre, sich für eine Weile ins Bett zu legen. Andererseits ... wollte er Viola noch helfen, das Haus sturmfest zu machen. Zwar lebte er nicht an Land, aber die Ausmaße eines Sturms und was er verursachen konnte, waren Zin sehr wohl geläufig. Daher nahm er Viola den Rucksack ab, humpelte recht schnell auf ihr Haus zu und sah dann skeptisch in den dunkler werdenden Himmel, während Viola die Tür aufschloss.

„Gibt es noch etwas zu tun? Das Dach sichern? Ein paar Sachen hereinräumen? Das sollten wir jetzt noch machen, bevor es losgeht.“
 

Viola überlegte nur kurz. Sie hatte nicht viel, was man von draußen wegräumen musste, da sie sich jedes Mal, wenn ein Sturm aufzog, gar nicht erst die Mühe machen wollte. Obwohl sich das natürlich ausgezahlt hätte, aber das, was sie draußen brauchte, war für gewöhnlich leicht von drinnen mitzunehmen.

„Hinterm Haus zwischen den Bäumen hängt noch meine Hängematte. Wenn du die reinholen und dann die Einkäufe auspacken könntest, während ich das Motorrad in die Garage stelle, wäre super.“

Sie schenkte Zin ein dankbares Lächeln und machte sich gleich auf den Weg.

Je dunkler der Himmel und je größer die Spannung in der Luft wurde, desto unruhiger und gereizter wurde sie selbst. Sie wollte auf keinen Fall auch noch einen Regentropfen oder einen ganzen Eimer davon abbekommen. Also beeilte sie sich und machte dann noch die Fensterläden rund um das Haus zu, was sie inzwischen in einem ziemlich beachtlichen Tempo fertigbrachte.

Wer nicht nass werden wollte, musste sich eben beeilen.

Keine Sekunde zu spät, kam sie bei der Tür herein, gerade als ein lautes Donnergrollen über sie hinweg rollte und Viola es rasch aussperrte.

Ein Schauder fuhr durch ihren Leib und für einen Moment wollte sie fast schon panisch zu hyperventilieren beginnen, ehe sie sich selbst am Riemen riss, zielstrebig ins Wohnzimmer ging und ihre liebsten Unwetterhits einlegte, bis die Musik so laut durch das Haus dröhnte, dass sie nichts mehr von dem herannahenden Unwetter hören konnte.

Solange sie Strom hatte, würde das auch so bleiben. Danach ... wurde es richtig ungemütlich.

13. Kapitel

Nachdem sie auch noch im ersten Stock die Fensterläden geschlossen hatte, machte sie sich auf die Suche nach Flocke, die sie - natürlich - bei Zin fand, der noch in der Küche beschäftigt war.

Langsam war sich Viola sicher. Die beiden waren ein Herz und eine Seele.

„Ich dachte nie, dass ich einmal neidisch auf Flocke sein könnte“, bemerkte Viola lächelnd, ehe sie schlagartig ernst wurde.

Die Luft füllte sich langsam aber sicher mit dem Geruch von Regen und sie konnte die einzelnen Tropfen auf dem Dach hören, bis so viele davon auf das Haus nieder trommelten, dass es sich wie ein einziges Rauschen anhörte.

Viola drehte die Musik noch etwas lauter und nahm das Heißwachs und die Tampons vom Tisch, die Zin noch nicht verräumt hatte, um sie im Bad zu verstauen. Dabei begann sie sich an den Rhythmus der Musik anzupassen, und ihre Hüften zu bewegen.

Sie würde sich von so einem dämlichen Wetter doch nicht die Laune verderben lassen.
 

Als Zin ins Haus kam, ließ er die Hängematte einfach im Flur auf den Boden gleiten und schleppte lieber zuerst einmal den Rucksack in die Küche, wo er ihn auf der Arbeitsfläche abstellte und sich daran machte, die Sachen zu verräumen. Da Viola ihn darum gebeten hatte, verrichtete er die Aufgabe besonders akkurat und versuchte gleichzeitig das Brüllen einer Girliegruppe zu überhören, die irgendetwas von ihren eigenen Hinterteilen zu berichten hatten.

Er mochte ja Musik und sogar mit dieser hätte er sich abfinden können – aber in dieser Lautstärke ... war das eine Herausforderung.

Etwas erträglicher wurde das Martyrium nur deswegen, weil es Violas Laune zu heben schien und sie sogar zum Tänzeln brachte. Was Zin sehr gefiel, wie er zugeben musste. Mit einer erhobenen Augenbraue sah er auf Flocke hinunter, die sogleich dabei innehielt, sich die Schulter zu putzen und stattdessen mit ihrem einen Augen Zin fixierte.

„Sie mag Wasser wirklich nicht, was? Auch nicht, wenn es vom Himmel fällt.“

Die Katze hatte ihn wahrscheinlich trotz des guten Gehörs ihrer Art nicht verstanden. Zin verstand ja kaum selbst sein eigenes Wort. Trotzdem glaubte er so etwas wie ein Schulterzucken bei Flocke zu erkennen und beschloss selbst auch eher locker mit Violas Phobie umzugehen.

Vielleicht konnte er sie aufheitern, wenn er ihr Pudding kochte.
 

Im Bad kramte Viola eine Weile ihre Schränke durch, nahm Gesichtsmasken zur Hand, suchte sich gründlich ein oder zwei davon aus, ehe sie die anderen wieder zurücklegte und zur Musik mitsang und bewegte.

Ein Fußbad würde ihr auch wieder einmal gut tun, und solange es nur so viel Wasser war, wie sie auch mit den Händen ertragen konnte, war es nicht so schlimm. Also füllte sie eine kleine Wanne mit all dem Zeug, das ihr über das Unwetter hinweghelfen würde, um es ins Wohnzimmer zu tragen.

„I’m a bitch, I’m a mother, I’m a -“

Schon im Flur konnte sie es riechen und sofort war das Gefühl von Panik wieder da.

Sie ließ die Sachen einfach fallen und lief in die Wohnküche, wo sie Zin am Gasherd herumfummeln sah. Darum auch der Geruch nach Gas.

„Wow, wow, wow!“

Sofort war Viola bei ihm und erschreckte ihn offenbar fast zu Tode, weil er sie nicht kommen hörte. Ebenso wenig, wie ihre Erklärungen darüber, dass er das Gas abstellen sollte, also fummelte sie selbst so lange an den Drehknöpfen herum, bis der Herd wieder aus war.

Danach riss sie rasch ein Fenster auf, das zum Glück von zwei Balken geschützt wurde, so dass sie den Regen zwar feucht auf ihrer Haut spüren und auch riechen, aber dabei nicht sehen konnte.

Dann nahm sie die Fernbedienung der Stereoanlage zur Hand und schaltete auf Hintergrundlautstärke, ehe sie sich zu Zin herumdrehte und damit fast anklagend auf ihn zeigte.

„Was zum Teufel sollte das gerade werden?“, fragte sie so ruhig wie möglich, konnte aber das immer noch aufgebrachte Zittern in ihrer Stimme nicht ganz verbergen. „Willst du uns vielleicht in die Luft jagen?“
 

Zin ließ sich einfach zur Seite drängen, die Streichholzschachtel noch geschlossen in der Hand und sah Viola dabei zu, wie sie hektisch an den Knöpfen des Herds herumdrehte. Was aber nichts nützen würde. Das hatte er ja auch schon versucht. Dabei hätte man annehmen sollen, wenn Viola jeden Tag darauf kochte, sollte sie wissen -

Etwas verwirrt zog Zin die Augenbrauen zusammen, als Viola den Herd jedoch nicht zum Kochen brachte, sondern stattdessen das Fenster aufriss, das Gejohle herunterdrehte und sich dann mit einem säuerlichen Blick an Zin wandte.

„Was zum Teufel sollte das gerade werden?“ Pudding.

„Willst du uns vielleicht in die Luft jagen?“ Ähm ... Nein?

Mit gerunzelter Stirn knallte Zin die Streichholzschachtel auf die Küchenplatte und hielt Viola dann das Päckchen mit der Schokopuddingmischung unter die Nase.

„Der Herd funktioniert nicht. Ich wollte dir Pudding machen, aber es kommt kein Feuer aus den kleinen Löchern.“

Das Gas hatte er schon auch gerochen, aber Feuer brauchte ja auch etwas, woran es sich nähren konnte. Sonst war das alberne Element ja nicht lebensfähig. Dass bei dem Herd allerdings das Feuerzeug nicht offensichtlich mit inbegriffen war, fand Zin sehr unpraktisch. Man konnte sich am Ende sogar wehtun, wenn man die Streichhölzer benutzen musste, um es anzumachen.
 

Viola starrte Zin nur an.

„Du ... wolltest mir Pudding machen?“

Ja, eigentlich war es offensichtlich, so wie er ihr die Puddingpackung hinhielt, trotzdem konnte sie es irgendwie nicht ganz begreifen. Niemand kochte für sie. Sie selbst kochte für sich. Ihre Omi hatte früher mal für sie gekocht und davor war sie auch selbst für das Essen zuständig gewesen.

Warum wollte Zin ihr dann etwas -?

Wortlos legte Viola die Fernbedienung weg und nahm Zin das Puddingpäckchen aus der Hand, um es ebenfalls zur Seite zu legen. Dann griff sie in eine Schublade, wo sie ein Stabfeuerzeug hervor holte, das man häufig zum Anzünden von Kerzen am Weihnachtsbaum benutzte.

"Also, wenn du den Gasherd anmachst, dann nicht zu lange warten, bis sich das Gas in der Luft verteilt. Ich konnte es bis in den Flur riechen, was heißt, dass um dich herum schon ziemlich viel Gas gewesen sein muss und wenn du das dann angezündet hättest ...“

Viola sah Zin ernst an.

„Na, dann hättest du noch nicht mal mehr auf dem Bauch schlafen können.“

Gott, ihr Herz hämmerte immer noch wie wild in ihrer Brust und bei der Vorstellung, wurde ihr fast schlecht.

„Außerdem immer eine Platte nach der anderen anmachen. Ich fang immer auf der kleinsten Stufe an und beeil mich mit dem Anzünden. Siehst du? So.“ Viola drehte die große Herdplatte an, woran sie schon das Feuerzeug hielt und zündete das Gas an, so dass kleine blaue Flämmchen in regelmäßigen Abständen einen Kreis um das Metallgestell bildeten. Dann stellte sie einen passenden Topf darauf.

„Wie viel Milch braucht man für ein Päckchen?“, fragte sie Zin inzwischen so ruhig, als hätte er nicht gerade in der Gefahr geschwebt, sich selbst zu grillen. Währenddessen holte sie die Milchpackung aus dem Kühlschrank und stellte ihm einen Messbecher hin.
 

Zin lehnte sich vorsichtig nach vorn, wobei er das Spannen in seinem Rücken ignorierte, und sah Viola sehr aufmerksam dabei zu, wie sie den Herd zum Laufen brachte. Eigentlich gar nicht so schwierig, wenn man wusste, wie es ging. Trotzdem unheimlich unpraktisch. Passend zu Feuer, wie Zin fand. Aber zumindest funktionierte es jetzt und er konnte mit seinem Vorhaben weitermachen. Weswegen er Viola auch die Milch aus der Hand nahm und ihr dann ein Lächeln schenkte.

„Von hier schaffe ich es allein, danke. Und wenn nicht, werde ich Flocke um Hilfe bitten.“

Scheiße. Wie knapp war er gerade daran gewesen, sich vorzulehnen und Viola einen Kuss auf die Wange zu geben?

Irritiert sah Zin sie kurz an, fing sich dann aber wieder mit diesem Lächeln, das allein für die schöne Frau ihm gegenüber in ihm wohnte, und fing an, den Pudding nach der Anleitung auf der Packung zuzubereiten. So schwierig konnte es nicht sein, wenn er sich daran hielt. Und er hoffte doch stark, dass Viola ihm so etwas Einfaches zutraute.
 

Einen Moment lang schien sich die Zeit zwischen Zin und ihr zu verzögern, während sie sich gegenseitig anblickten. Ganz so, als würde jemand die Uhr anhalten.

Ihre Lippen öffneten sich dabei leicht, als wolle sie irgendetwas tun, dann jedoch erwiderte sie Zins Lächeln und wandte sich ab.

„Schon verstanden. Ich werde der Küche verwiesen. Aber den Wasserkocher bekommst du nicht.“

Viola gab Zin einen vorsichtigen Knuff in die Seite und schnappte sich den großen Wasserkocher, um ihn mit Wasser zu füllen und anzuschalten. Schließlich war ein Fußbad nur dann wirksam, wenn es mit heißem Wasser vollzogen wurde. Alles andere würde ihre Haut nie geschmeidig genug machen.

Während das Wasser also kochte und Viola immer ein halbes Auge bei Zin hatte, um jeden seiner Schritte zu überwachen, holte sie die Sachen aus dem Flur, die sie einfach fallengelassen hatte, und begann sie auf dem Couchtisch sorgfältig auszubreiten und auch noch ein Handtuch bereitzulegen.

Als das Wasser heiß war, schloss sie auch das Fenster wieder und sperrte somit den Eindruck von Regen wieder aus, ehe sie sich ihr Fußbad vorbereitete und sich dann über die Kücheninsel zu Zin hinüberbeugte, um nach dem Stand der Dinge zu sehen.

„Sieht gut aus. Eigentlich müssten wir die Premiere feiern. Das ist dein erstes selbstgekochtes Essen. Moment, ich glaube, ich habe sogar noch ein Sixpack im Kühlschrank.“

Nun ja. Es war zwar kein Sixpack, aber vier Bierflaschen taten es auch. Noch dazu schön kühl.

Viola nahm zwei Flaschen heraus und öffnete sich eine, während sie Zin die andere hinstellte. Ungeöffnet. Vielleicht wollte er ja keines. Hatte er eigentlich schon einmal Bier getrunken?
 

Zin warf einen mehr als konzentrierten Blick in die Mischung, in der er gerade herumrührte. Violas Worte hörte er nur am Rande, während er darüber nachgrübelte, ob da solche Klümpchen in dem Pudding herumschwimmen sollten, oder nicht. Da er aber nicht fragen wollte, schwenkte er eine große Porzellanschüssel mit kaltem Wasser aus und goss dann den heißen Pudding hinein, damit er erkalten und fest werden konnte. Zumindest sollte er das in der Theorie. Sie würden schon sehen, ob es klappte.

Nachdem er den Herd wieder ordnungsgemäß abgeschaltet und den Topf mit Wasser gefüllt hatte, damit er einweichen konnte, humpelte Zin um die Küchentheke herum und nahm die kühle Flasche in die Hand, die Viola ihm hingestellt hatte.

„Bier“, meinte er vollkommen neutral. Was so viel bedeutete, wie Alkohol.

„Wie verarbeitet dein Körper sowas?“, wollte er etwas zusammenhangslos wissen, bevor er sich etwas umständlich auf die Couch setzte und den Drehverschluss der Flasche öffnete.
 

„Wie eigentlich alle Substanzen“, beantwortete Viola seine Frage und setzte sich neben ihn, wo sie dann ihre Füße ins warme Wasser tauchte und darin einweichen ließ. Da sie ein paar Badesalze dazu gemischt hatte, duftete es genauso herrlich, wie der Geruch nach Pudding.

Eins musste man Zin lassen. Er hatte nichts anbrennen lassen.

„Egal was ich zu mir nehme, ob Alkohol, Drogen oder sonstige Substanzen die irgendwie eine Wirkung auf den Körper haben, alles wird ziemlich schnell verbrannt. Ich müsste also mindestens drei Dutzend Sixpacks hinunterkippen und würde dann vielleicht ein Kribbeln in den Fingerspitzen spüren.“

Viola stellte ihr Bier auf ihrem Schoß ab, hielt es mit einer Hand, während sie sich seitlich zu Zin drehte und ihre andere Hand auf der Rückenlehne der Couch abstützte, wo sie ihren Kopf darauf bettete und ihn ansah.

Merkwürdig. Wenn er da war, kam ihr das Unwetter gar nicht so schlimm vor. Zumindest riss er so viel von ihrer Aufmerksamkeit auf sich, dass sie alles andere um sich herum fast ausblenden konnte.
 

„Hm. Dann sind wir uns vom Endeffekt her recht ähnlich.“ Zin roch einmal kurz an seinem Getränk.

Er würde es Viola nicht auf die Nase binden, aber Alkohol war etwas, von dem auch ein Meermann nicht besonders viel hatte. Sein Körper war darauf programmiert, alle möglichen Substanzen aus dem Wasser zu filtern, die ihm schaden konnten. Dazu gehörte auch das, was Menschen dazu benutzten, ihren Verstand zu benebeln. Zin hätte also Einiges an Bier trinken und dabei noch jeden Menschen unter den Tisch saufen können. Die Wirkung von Alkohol blieb bei ihm vollkommen aus. Trotzdem ... schmeckte Bier eigentlich ganz gut. Daher hielt er Viola die Flasche hin, stieß kurz mit ihr an und nahm dann einen großen Schluck, bevor er das Bier auf der Sofalehne parkte. Auf dem Tisch war eindeutig kein Platz mehr frei.

„Und ich dachte, du verabscheust Wasser.“ Es war mehr eine Frage. Zin deutete mit dem Kinn kurz auf die Schüssel und lehnte sich dann halb seitlich in die Ecke der Couch zurück.

Herrgott, diese Hosen. Wie Menschen in so etwas herumlaufen konnten, fragte man sich doch wirklich. Selbst wenn es nicht ganz unvorteilhaft aussah.
 

Als er sie auf das Wasser ansprach, zuckte sie nur mit den Schultern.

„Hände und Füße gehen. Schließlich wasche ich ja auch ab, und wenn ich nicht einmal eine Katzenwäsche ertragen könnte, würde ich hier ganz schön müffeln.“

Sie grinste, wurde dann aber wieder ernst.

„Ich mag es nur nicht am ganzen Körper und am Schlimmsten ist es im Gesicht. Wenn ich es in die Augen bekomme ... naja, sagen wir mal, dann sollte keiner in der Nähe sein, den ich unabsichtlich kratzen könnte. Frag mich aber nicht, warum das so ist. Ich weiß es nicht.“

Viola plantschte ein bisschen mit den Zehen und dachte nach, ehe sich ihr Blick wieder auf Zin richtete. Seine Nähe war so präsent, es war schwierig ihm 'nur' in die Augen zu sehen.
 

Zin nahm noch einen Schluck Bier, der es zumindest schaffte, ihm leicht auf der Zunge zu kribbeln. Solche Substanzen aus Wasser oder anderen Flüssigkeiten herauszuschmecken, war für ihn kein Problem. Manchmal mochte er das sogar. Wenn es nicht gerade Metall oder etwas wirklich Schädliches war. Chemische Stoffe waren das Schlimmste. Oder ... Öl.

Mit einem weiteren Schluck spülte Zin die finsteren Gedanken herunter, die schon seit ein paar Tagen immer häufiger in seinem Kopf herumschwirrten. Seit es ihm so gut ging, dass er gehen konnte. Und so gut, dass er daran dachte, einmal auszuprobieren, wie gut seine Schwimmblase die Explosion überstanden hatte.

Kurz zögerte er und überlegte, ob er dieses Thema Viola gegenüber ansprechen sollte. Es könnte sein, dass er ein paar Tage weg war. Um nach seinem Schwarm zu sehen. Nach der Stelle, an der ... es passiert war.

Zin kam wieder von diesem Gedanken ab, als Viola ihm von ihrem Problem mit Wasser diesmal ausführlicher erzählte. Es war für ihn absolut unverständlich, aber daran konnte man nun einmal nichts ändern. Bloß schade, dass er ihr dann nie etwas unter Wasser zeigen konnte. Die Schönheit eines Riffs voller glitzernd bunter Fische ... Das hätte ihr bestimmt gefallen.

„Gibt es was, das du absolut nicht ausstehen kannst?“

Da er gerade vollkommen im Zuhören versunken gewesen war, überraschte ihn die Frage.

„Gar nicht?“ Zin musste eine Weile überlegen. Alles, was ihm spontan in den Sinn kam, konnte man durchaus ertragen. Es gab nur wenig, von dem er sagen könnte, er würde es verabscheuen. Einmal von Menschen abgesehen, aber das wäre unfair zu sagen. Denn bestimmt gab es auch welche, die keine hirn- und haarlosen Affen waren.

„Mir fällt gerade nichts Einzelnes ein. Ich mag es nicht besonders in großer Hitze draußen zu sein. Also an Land. Und Metallgeschmack finde ich auch nicht prickelnd. Aber ansonsten ... Parasiten?“
 

„Hm. Große Hitze mag ich auch nicht sehr. Zumindest nicht dauerhaft. Allerdings liege ich gerne in der Morgen- oder Abendsonne und lasse mich ein bisschen braten. Ich sehe mit blasser Haut nämlich fürchterlich aus.“

Zin allerdings stand es ziemlich gut, und nachdem sich die Verfärbungen auf seiner Haut immer weiter verbesserten, wurde langsam ersichtlich, dass er nicht einfach nur hellhäutig war, sondern so etwas wie eine Zeichnung auf dem Rücken hatte.

Punkte und Streifen. So könnten sie beide sich sehen.

Viola mit Punkten, Zin mit Streifen.

Gott, was sie wieder für Blödsinn dachte.

„Parasiten finde ich auch nicht sehr toll. Also Zecken, Flöhe, Läuse und Würmer zum Beispiel. Aber ich mag ziemlich viele Insekten. Spinnen, Heuschrecken, Käfer.“

Viola schenkte Zin ein Lächeln. „Die bewegen sich so toll.“

Besser gesagt, diese Tiere sprachen ihren Katzensinn voll und ganz an und weckten ihren Spieltrieb, der beachtlich groß für ... einen Erwachsenen war. Zu viel, für manche.
 

„Ja.“ Er sah Viola für eine Sekunde forschend an, entschied aber dieses Mal, dass er ruhig mehr zu den Insekten sagen konnte. Viola würde sich schon nicht vor ihm ekeln. „Käfer und Heuschrecken ... sind lecker.“ Sein anschließendes Lächeln war klein und etwas verhalten. Aber er sagte ja nur die Wahrheit.
 

Wieder wackelte Viola mit ihren Zehen und befand, dass ihre Füße nun genug eingeweicht waren. Sie stellte das Bier weg, rubbelte sich etwas mit einem Sandstein über die Füße, um sie wieder richtig schön zu machen, wobei sie es nie so weit ausarten ließ, dass sie je die Stufe der Unansehnlichkeit erreichten. Danach schob sie die kleine Wanne unter den Tisch und trocknete ihre Füße ab.

„Ich finde es ganz schön faszinierend, dass du unter Wasser atmen kannst. Das ist so ... Dir stehen im Grunde genommen beide Welten offen, während für uns anderen nur das Land wirklich zur Verfügung steht.“

Viola zog ihre Beine wieder an und begann sie gründlich einzucremen, bis sie richtig schön geschmeidig waren. Außerdem fühlte es sich nach der ganzen Woche Arbeit einfach nur noch wohltuend an, sie ein bisschen zu massieren.
 

Bevor Zin auf den Themenwechsel einging, musste er noch etwas Anderes erledigen. Etwas, an das er schon die ganze Zeit gedacht hatte, seit Violas Utensilien, Tiegel und Cremes auf dem Tisch standen.

„Was hältst du davon, wenn ich langsam einmal anfange, meine Schulden abzuarbeiten?“

Viola wirkte leicht irritiert. Deshalb streckte Zin ihr beide Hände hin, nahm das Handtuch, breitete es über seinen Oberschenkel und sah sie dann aufmunternd an. „Deine Füße. Wenn du möchtest, kann ich das mit dem Eincremen übernehmen.“

War da ein Zögern? Nein, vermutlich bildete sich Zin das nur ein, denn Viola legte ihre Beine tatsächlich in seine Richtung, bettete ihre kleinen Füße auf seinen Oberschenkel und hielt Zin auch die Creme hin.

„Gemütlich?“, wollte er sanft wissen, nachdem sie nun halb auf der Couch lag und er vorsichtig begann, ihre Zehen und Füße zu streicheln.

„Weißt du, an sich hast du Recht. Ich sollte froh sein, dass ich beide Welten offen habe. Aber ... naja, man hält sich meistens doch an das, was man kennt. Obwohl ich schon Ausflüge an Land gemacht habe. Zumindest einmal musste ich meine Neugier auf so etwas wie eine Großstadt stillen.

Warst du schon in einer Großstadt? Schrecklich grau und trist dort, finde ich.“
 

Er wollte seine Schulden -?

Da fiel es Viola auch schon wieder ein. Natürlich, sie hatte ihm gesagt, wie er bei ihr die offenen Rechnungen begleichen konnte, allerdings hatte sie das im Laufe der Zeit schon vollkommen vergessen. Denn, ganz entgegen ihren Gewohnheiten, genoss sie seine Gesellschaft sehr und empfand das schon alleine als eine schöne Abwechslung. Dennoch, wenn er ihr den Gefallen tun wollte, würde sie ihn nicht davon abbringen. Ihre Füße würden es ihm wirklich danken.

Sie hielt sich immer noch an der Rückenlehne fest, während sie Zins Händen dabei zusah, wie er sie streichelte und ihm zuhörte. Wobei Streicheln etwas überschätzt wurde. Eigentlich war es mehr ein Kitzeln.

Sie musste sogar leicht zusammenzucken und kichern.

„Fester, bitte.“

Als er den Druck verstärkte, wurde es besser und es fühlte sich auch ganz gut an.

„Ja. In einer Stadt würde es mir gar nicht gefallen. Zu viel Asphalt, Lärm und Gedränge. Zumal ich es liebe ...“

Mhmm ... das machte er wirklich gut.

„... auf Bäume zu klettern ...“

Viola schnappte sich das Kissen vom Ende der Couch und schob es schließlich so zurecht, dass sie sich gemütlich auf den Rücken legen konnte.

Noch einmal bat sie Zin, nicht so vorsichtig mit ihren Füßen umzugehen und vielleicht auch ein bisschen mehr den Daumen einzusetzen.

Als er es dann tat, wurde es richtig gut.

Viola schloss die Augen und konzentrierte sich ganz auf das Gefühl. Sie vergaß das Unwetter. Sie vergaß den Regen und sie vergaß das Thema, über das sie gerade gesprochen hatten.

Irgendetwas mit Bäumen ...

„Mhmm ...“, entkam es ihr unwillkürlich, als er eine besonders anspruchsvolle Stelle an ihren Füßen fand und Viola dieses Gefühl weit über diese Stelle hinaus fühlen konnte. Es war ein prickelndes Ziehen, ihre Beine hinauf und zugleich tauchte es auch noch an anderen Stellen an ihr auf.

Es hieß nicht umsonst, dass es gewisse Punkte an Hand- und Fußflächen gab, die für Teile des Körpers zuständig waren. Zin schien da gerade einen sehr guten Punkt erwischt zu haben.

Viola entspannte sich immer mehr und seufzte wohlig.

Gott, wie sie das liebte!

„N-Nicht aufhören ...“, flüsterte sie leise und krallte ihre Hand in die Sitzpolsterung der Couch. Sie schnurrte dabei. Allerdings ganz und gar auf menschliche Art und Weise.

Langsam fing ihr ganzer Körper dabei zu prickeln an und sie begann, vor Vergnügen sanft in ihre Unterlippe zu beißen.
 

Wenn man es Überraschung nennen würde, wäre es noch sehr untertrieben. Immer wieder stockten Zins Hände, hielten inne, wenn Viola ihn mit ihrer Reaktion vollkommen irritierte und er nicht genau wusste, ob er wirklich weitermachen sollte, oder nicht. Sie schien – zumindest für seine Erfahrungswerte – sehr extrem auf seine Berührungen zu reagieren. Und das machte Zin ehrlich gesagt ein bisschen nervös. Natürlich wusste er, dass er allein an Violas Füßen keinen ... Schaden anrichten konnte. Aber vielleicht war es ihr anschließend peinlich, dass sie vor ihm so derartig geschnurrt hatte? Dass sie sich ein bisschen räkelte, wenn er seinen Daumen schön langsam, aber kräftig über diese bestimmte Stelle kreisen ließ? Oder, wenn er hier entlang strich und gleichzeitig mit seinen Fingern zwischen ihren Zehen ... Vorhin hatte sie leise geseufzt. Ihr Brustkorb hatte gezittert, als er -

Eine Gänsehaut kletterte die kurzen Haare in seinem Nacken hinauf und Zin hätte sich im nächsten Moment am liebsten eine heruntergehauen dafür, dass er Viola so derartig begaffte!

Um das zu umgehen und sie trotzdem nicht loslassen zu müssen, ging er vom echten Massieren wieder zum deutlich harmloseren Eincremen über. Allerdings dafür auch ihre Knöchel und ein Stück Violas Waden hinauf. Sie würde ihm hoffentlich sagen, wenn er -

Oh man, Zin hatte ohnehin schon das Gefühl, dass er hier aufdringlich wurde. So gebärdeten sich Seefrauen normalerweise nur, wenn er ... ganz andere Regionen an ihren Körpern massierte.
 

So schön es auch war, Zin ließ es viel zu schnell wieder vorbei sein. Dabei hatte Viola eine Weile lang an nichts mehr denken müssen. Keine Sorgen, keine Ängste, nur Zins kühle Hände auf ihrer Haut und an ihren empfindlichen Füßen.

Es war zwar nicht mehr so intensiv und knisternd, aber allein dass seine Hände weiter ihre Fesseln hinaufrutschten und auch ihre Wade streichelten, ließ sie noch einmal erzittern.

Unwillkürlich fragte sich Viola, wie es wohl wäre, wenn er sie an den sensiblen Kniekehlen streicheln würde, oder gar ihren ganzen Rücken mit seinen großen Händen bearbeitete?

Die Vorstellung fühlte sich fast so gut an, wie die momentane Realität, allerdings schien er dafür nicht unbedingt die Lust zu haben. Warum sonst hätte er mit dem Massieren aufhören sollen?

„Dir ist aber schon klar, dass du noch eine Menge Schulden abbezahlen musst“, hauchte sie leise, so dass er sie gerade noch so über die Musik hören konnte.

Träge öffnete sie dabei ihre Augen und sah ihn unter gesenkten Wimpern leicht erhitzt an.

„Du machst das nämlich wirklich gut. Willst du wirklich schon aufhören?“

Beinahe klang es wie eine unanständige Bitte. Aber eigentlich war es ja auch so. Massagen ... führten bei ihr durchaus zu unanständigen Gedanken, aber da Zin sowieso nicht diese Art von Masseur war, wie sie sie für gewöhnlich zu haben pflegte, behielt sie ihre Gedanken momentan für sich.

„Bitte mach weiter“, bat sie ihn noch einmal und schloss ihre Augen wieder.
 

„Ich ...“

Der Rest blieb Zin kantig im Hals stecken, denn wenn er eines wusste, dann, dass er Viola wirklich sehr viel mehr schuldete, als das hier. Mehr, als eine Massage und mehr, als er vermutlich je zurückzahlen konnte. Trotzdem würde er sein Möglichstes versuchen.

Noch einmal gab er sich etwas Creme auf die Hände, verteilte sie zuerst auf Violas Fuß, dann ihren Knöchel und ihre Wade hinauf, bis er – an einem Bein beginnend – in massierenden Kreisen zuerst ihre Wade, ihr Schienbein und ihren Knöchel eincremte. Er widmete sich jedem Zentimeter ihrer Haut, massierte, streichelte und ging darin auf, sich um Viola zu kümmern. Selbst wenn er dabei seine grauen Augen auf seine eigenen Finger gerichtet hielt.

Nach einer Weile, in der er sich bis zu Violas Fuß hinuntergearbeitet und dort angefangen hatte, sie vorsichtig durchzukneten, drifteten sogar Zins Gedanken ab. Es war für ihn eine Art beruhigende Tätigkeit, sich so um Viola zu kümmern. Auch wenn er davon selbst gar nicht viel merkte.

Zin dachte an die kommenden Tage. Daran, was er alles tun sollte und er fragte sich, ob er überhaupt bereit war, sich ins Meer zu wagen. Natürlich würde er es auf einen Versuch ankommen lassen, aber es konnte durchaus sein, dass ein Tauchgang ihm wieder enorme Schmerzen verursachen konnte ...

Ungeachtet seiner Gedanken glitten Zins Hände nun Violas zweites Bein entlang. Immer noch so gewissenhaft, wie vorher, bloß noch ein Stück höher, bis er mit seinen Fingern und dem Daumen von unten ihr Knie umfassen und auch dort die übrige Creme einmassieren konnte.

Dass er dabei Viola ein Stück auf sich zuzog, merkte Zin kaum. Er war versunken. In die Abarbeitung seiner Schulden, in die gemütliche Atmosphäre und in seine Gedankenwelt.
 

Oh, wow!

Dafür, dass Zin eben noch so gewirkt hatte, als wolle er aufhören, machte er beachtlich gut mit der Massage weiter. Viola störte es nicht, dass er nach einer Weile einen Blick bekam, als wäre er mit den Gedanken woanders, sie war dafür für sie beide so richtig in diesem einen Augenblick.

Wieder schloss sie die Augen, ließ sich in die sanften Berührungen fallen und je mehr sie davon bekam, umso entspannter wurde sie. Nicht nur ihre Muskeln, sondern auch ihr Kopf wurde leer und wattig. Keine Angst mehr vor dem Unwetter. Keine Aufregung mehr, weil Zin sich beinahe in die Luft gejagt hätte. Da waren nur seine Hände, der Duft der Creme und das immer deutlicher werdende Kribbeln in ihrem ganzen Körper.

Vor allem, als er seine Finger bis zu ihrer Kniekehle hochgleiten ließ, spannte sich etwas in Viola an, so dass sie auch ihre zweite Hand in die Sitzpolsterung krallte und sie tief Luft holte.

Zin berührte sie nicht an dieser Stelle und trotzdem schien es, als ob seine Finger ihre Brustwarzen necken würden.

Zuerst war da eine Gänsehaut auf ihrem Körper, ausgelöst von den Schauern, die seine Hände ihr verursachten und dann zogen sie sich unter dem enganliegenden Arbeitstop zusammen. Als die kleinen Funken auf ihrer Haut sich genau an diesen Stellen bündelten.

Und an einer ganz anderen ...

Viola rieb ihre Schenkel aneinander und leckte sich über die trockenen Lippen, dann ... sah sie langsam hoch zu Zin. Er machte zwar immer noch weiter, aber sie war ganz ruhig. Einmal von ihrem rasenden Herzen und dem leicht flachen Atem abgesehen.

Es war so schade, stellte sie bei seinem Anblick fest.

So schade, dass es nicht doch anders sein könnte. Gerade weil er ... so anders war. So aufmerksam. So zurückhaltend und doch so absolut liebenswert.

Eigentlich war es klar, dass es so und nicht anders war. Schließlich hatte sie kein Glück mit Männern und die Guten, ja, die wussten, dass sie sich von ihr fernhalten mussten.

Wieder seufzte Viola, allerdings auch vor Wehmut.

Wenigstens konnte ihr keiner verbieten, zu träumen und bisweilen dachte sie sehr viel häufiger an Zin, als an sonst irgendjemand anderen. Selbst Cid hatte sie schon längst vergessen. Ihr Fokus hatte sich neu ausgerichtet. Natürlich auf genau die eine Sache, die sie wohl nie haben konnte.

Sie verabscheute Wasser. Zin lebte im Wasser. Ende der Geschichte.

Dabei würde es sie wahnsinnig interessieren, ob auch er ... nicht ganz abgeneigt wäre ...

Viola war ziemlich neugierig, was ihn betraf, aber das interessierte sie wohl am Meisten.

„Zin?“, fragte sie leise, fast schon verhalten, weil sie seine Gedanken eigentlich nicht stören wollte.

„Würdest du gerne ... an meinem Rücken weitermachen?“
 

Seine Augen richteten sich auf sie und seine Hände hielten dort inne, wo sie gerade auf ihrem Bein lagen, aber Zin brauchte ein paar Sekunden, bis er Viola wirklich sah. Und selbst dann konnte er ihren Gesichtsausdruck nicht richtig einordnen. Es war fast so, als hätte sie ihn noch nie so angesehen. So ... schüchtern? Der Ausdruck passte so wenig zu Viola, dass Zin die Bezeichnung sofort wieder verwarf und sich stattdessen mit einem kleinen Lächeln abmühte, das aber leichter auf seine Lippen kam, als er gedacht hätte.

„Klar.“

Er würde noch sehr viel mehr tun, wenn sie es wollte. Und selbst wenn ihm die Daumen abfallen sollten, Zin würde sie so lange massieren, bis Viola sagte, dass es genug war.

Sanft stellte er ihren Fuß auf dem Handtuch ab und versuchte dann von dem Sofa hochzukommen, ohne wie ein alter Mann zu wirken. Was ihm zwar nur halbwegs gelang, aber immerhin.

Um Viola Zeit zu lassen, sich ihr Oberteil auszuziehen und sich so hinzulegen, dass er sie massieren konnte, stand Zin auf, ging zur Küchenzeile hinüber und sah kurz nach dem Pudding, der aber noch nicht ganz dem entsprach, was er am Ende werden sollte.

„Sag mir einfach Bescheid, wenn du so weit bist“, meinte Zin leise und ließ seinen Blick zumindest ganz kurz zur Couch hinüber huschen, wo er allerdings nur Violas schwarzes Haar sehen konnte.

Schon seltsam, dass sie ihm so vertraute. Zin nahm an, dass es daher kam, dass sie ihn auch nackt gesehen hatte. Und dass er sehr abhängig von ihr gewesen war. Für Viola war er wohl tatsächlich sehr geschlechtslos ... oder zumindest auf keinen Fall mit ihrem Brunftkerl gleichzusetzen. Denn gerade dieser hätte sie bestimmt sonst davon abgehalten, Zin an ihren nackten Rücken heranzulassen.

Irgendwie ... stimmte diese Tatsache ihn ein wenig traurig. Er war schon sehr oft nur der ‚nette Kerl‘ gewesen. Etwas, mit dem er eine Frau von Violas Klasse ... bestimmt nicht beeindrucken konnte.
 

Viola wurde von einem warmen Schauer durchflutet, als Zin sogar zustimmte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er es tat, weil er sich ihr gegenüber verpflichtet fühlte, oder ob er es von sich aus gerne wollte. Aber sie würde das schon noch herausfinden.

Es gefiel ihr, wie er sich von ihrem Anblick abwandte, obwohl sie sich eigentlich fast sofort, nachdem er aufgestanden war, das Top über den Kopf gezogen hatte. Immerhin störte es sie nicht, wenn er sie nackt sah. Nein, ganz im Gegenteil, sie mochte es, wenn er sie mit diesem bestimmten Lächeln ansah.

Nicht obszön oder eindeutig, wie die meisten Männer ihr hinterhersahen. Vielmehr hatte Viola das Gefühl, er würde sie sehen. Alles, was sie ausmachte. Was eigentlich nur logisch war. Er kannte die Wahrheit über sie. Die anderen Männer taten das nicht.

Trotzdem versuchte Viola momentan nicht weiter darüber nachzudenken, sondern zog sich auch den BH aus und nach einer kurzen Überlegung auch die Shorts. Der Knopf an der Hose würde ihr nur in den Bauch drücken und darauf hatte sie keine Lust.

Ihren weißen String, der sich sehr deutlich von ihrer gebräunten Haut abzeichnete, behielt sie an. Er hatte nicht nur ein Strassherzchen vorne am Bund, sondern auch auf der Hinterseite, dort wo die drei dünnen Stoffteile aufeinandertrafen.

Viola machte es sich mit dem Bauch auf der Couch und dem Kissen gemütlich und sah lächelnd zu Zin hinüber.

„Bin so weit.“ Sie strich sich noch die Haare vom Rücken, ehe sie sich endgültig hinlegte und auf Zin wartete.
 

Zin riss sich von dem Anblick des Schokopuddings los und machte sich auf den Weg zum Sofa.

„Dauert das mit dem Pudding immer so lange? Hätte ich das gewusst, dann-“

Er blieb wie angewurzelt stehen, stutzte und entließ dann die Luft aus seinen Lungen, von der er gar nicht gewusst hatte, dass er sie anhielt. Zins Blick war zu schnell, als dass er sich hätte, selbst eine Zensur auferlegen können und ihm wurde mit einem Schlag heiß in seiner Haut und sein Mund wurde trocken.

„Du ...“ Er räusperte sich leise und zerrte dann den Blick von ihrem nackten Hintern, bevor er auf der Stelle wieder von diesem hypnotisierenden Strassherzchen angezogen werden konnte.

Für einen Moment der Schwäche ergriff ein Kribbeln Zins Körper, das seine Gesichtszüge hart werden ließ. Er spürte, wie ihm das Hirn in den Schritt zu rutschen drohte und das ... war nicht angebracht!

Aber ganz ehrlich. Was zum Teufel dachte sich Viola dabei? Meinte sie denn, er war aus Holz? Bei dem Anblick wäre selbst einem hundert Jahre alten Baum ein neuer Ast gewachsen. Von einem Meermann in den besten Jahren einmal ganz zu schweigen.

Mit zusammengebissenen Zähnen ging Zin ganz um die Couch herum, ließ sich auf die Knie sinken und zog das Handtuch unter Violas Füßen heraus, um es ihr über das entblößte Hinterteil zu breiten.

Er hielt die ganze Zeit eisern die Klappe. Selbst als er die kühle Creme auf seinen Händen verteilte und diese dann auf Violas glatten Rücken legte, um anzufangen, sie mit langsamen, streichenden Bewegungen zu massieren. Dabei kam er ihrem Hintern erst einmal nicht im Entferntesten näher, als anständig gewesen wäre, sondern konzentrierte sich auf ihre Schultern, ihren Nacken und die Region um die Schulterblätter.

Dabei war Zins Blick immer fest auf seine Fingerspitzen gerichtet. Ihm war immer noch unglaublich warm und es kribbelte auffällig an der Stelle, die Viola für nicht existent hielt.
 

Es sollte ihr nicht so gefallen, Zin aus der Fassung zu bringen, aber tatsächlich kribbelte es heftig in ihrem Bauch, als sie seine Überraschung sah. Ohne allerdings zu zeigen, dass sie es genoss, weil er wegen ihr ins Stocken gekommen war.

Viola war nicht anders, als alle anderen Katzen. Sie war stolz und unzähmbar. Sie liebte es über die Maßen gestreichelt und verwöhnt zu werden und dazu gehörte es auch, wenn man ihr die nötige Aufmerksamkeit schenkte.

Aber das waren ihre egoistischen Seiten. Sie konnte auch anders sein. So wie sie zu Zin war, wenn er ihre Hilfe brauchte. Sie konnte zärtlich, einfühlsam und beschützend sein, allerdings war es ihr bisher nicht oft vergönnt gewesen, diese Seite an sich zu zeigen, weshalb sie Zin umso dankbarer war und sich mit ihm auch auf eine andere Art verbunden fühlte, als bisher mit anderen Männern.

Dass er sie bedeckte, störte sie nicht, konzentrierte sie sich doch kaum einen Moment später nur noch auf seine kühlen großen Hände.

Ihr fielen die Augen zu, als er sie zu massieren begann.

Erst jetzt merkte sie, wie die Spannung in ihren Muskeln steckte. Aus ihren Füßen hatte er sie schon herausgezogen, doch in ihren Schultern war sie noch sehr deutlich vorhanden.

„Mhmm ...“, schnurrte sie leise vor Behaglichkeit und schmolz regelrecht unter diesen wunderbaren Händen dahin.

Sie schob sich noch etwas besser zurecht, seinen Händen entgegen und verschlang ihre Beine miteinander, was das Kribbeln in ihr noch verstärkte.

„Das fühlt sich ... so gut an, Zin ...“, hauchte sie leise, ehe sich ihre Hände in das Kissen unter ihr gruben, als er eine besonders verspannte Stelle in ihrem Nacken erwischte. Für einen Moment stockte ihr der Atem, im nächsten entließ sie einen langen genussvollen Seufzer.

Genau darin hätte sie baden können. Nicht in Wasser, sondern in Zins Berührungen.
 

Je länger sie sich unter seinen Händen räkelte und je bewusster Zin wurde, dass Viola fast nackt vor ihm lag, desto weniger wusste er, was er davon halten sollte. Und wie er dazu gekommen war, seine Hände nun über ihren nackten Rücken gleiten zu lassen, ihre Verspannungen aus ihren Muskeln zu kneten und dabei so verbissen auszusehen, als müsse er gerade einem weißen Hai einen Zahn ziehen. Eigentlich war das doch keine besondere Bitte. Viola wollte nur -

„Das fühlt sich ... so gut an, Zin ...“

Ihm stellten sich die Nackenhärchen in Reih und Glied auf und Zin musste wieder hart schlucken, bevor er sich erneut auf seinen selbst auferlegten Tunnelblick auf seine Finger konzentrieren konnte.

Gott, das hatte sich gerade verdammt ... träumerisch angehört. So, als hätte Viola das auch in einer anderen Situation sagen können. In einer, in der sie nicht einmal diesen winzigen Slip trug, sondern -

Dieses Mal musste das Räuspern einen Laut überdecken, der mit dem ungewohnten Zusammentreffen von Zins bestem Stück und sehr unnachgiebigem Jeansstoff zu tun hatte.

Er veränderte seine Position ein wenig und es wurde weniger ... beengend. Aber toll fühlte es sich nicht an. Zumal er es eigentlich ... gar nicht so weit hätte kommen lassen sollen.

Noch eine Weile massierte er Viola weiter, dachte dabei an Haizähne, Tiefseeschlamm und Steinfische, bevor er schließlich aufgab und seine Hände zurückzog.

„Was hältst du ... von Pudding?“
 

Zin riss sie mit seiner Frage sanft aus ihrem träumerisch behaglichen Zustand. Sie fühlte sich so entspannt und zufrieden, wie schon seit Ewigkeiten nicht und das noch dazu bei einem Unwetter, das ums Haus tobte. Diese Leistung war wirklich beachtlich.

Viola drehte wieder ihren Kopf in seine Richtung und sah Zin mit einem sehr warmen Lächeln an.

"Klingt toll.“

Sie streckte ihren Rücken durch und ihre Beine aus, um sich vom Liegen zu erholen, ehe sie sich aufsetzte und dabei das Kissen vor ihrem Körper hielt, um diesen gewissen Anstand zu wahren, von dem sie schon einmal etwas gehört hatte. Dabei sah sie Zin immer noch dankbar an, allerdings verschob sich langsam ihr Lächeln, je länger sie ihm in die Augen blickte.

„Vielen Dank, Zin. Das hat mir wahnsinnig gut getan“, bekam sie schließlich leise heraus und wollte aufstehen, um sich ihren Morgenmantel zu holen und dann mit ihm zusammen den Pudding zu probieren. Aber irgendwie wollten sich ihre total entspannten Glieder nicht bewegen. Bis auf ihre Hand vielleicht, die sich langsam hob und vorsichtig Zins Nacken berührte.

Ein weiterer Moment verging auf diese Weise, ehe sich Viola vorbeugte und Zin einen Kuss auf die Lippen hauchte.

„Du glaubst gar nicht wie gut“, flüsterte sie gegen seinen weichen, verlockenden Mund, ehe Viola sich zurückzog, um sich etwas überzuziehen und allen voran ihren komplett prickelnden Körper wieder die Möglichkeit zu bieten, herunterzukommen.

Hatte sie ihn gerade wirklich -?

Nach ihrem Herzrasen und dem Wuseln in ihrem Magen nach zu urteilen, hatte sie es getan.

Dabei war er doch ...

Andererseits, warum nicht? Er war großartig. Er war unglaublich nett, eine sehr angenehme Gesellschaft, sah gut aus und würde wohl immer viel zu gut für sie sein. Was machte da dieses kleine Detail, von dem sie einfach nicht wusste, was sie davonhalten sollte?

In ihrem Zimmer schlüpfte Viola schnell in ein großes Shirt, das ihr auf einer Seite immer über die Schulter rutschte und in eine gemütliche Stoffhose, die ihr gerade mal bis zur Mitte der Oberschenkel ging. Danach blieb sie einfach stehen und berührte ihre Lippen.

Sie hätte das nicht tun sollen ...

Sie hätte dankbar seine Wange küssen können oder seine Stirn, aber das wäre ihr so ... so falsch vorgekommen. Als würde sie ihm damit nur sagen: Hey, danke für die tolle Massage, bist ein guter Freund, vielleicht können wir das einmal wiederholen.

Nein, das war er nicht für sie. Sie passte auf Zin auf. Versorgte ihn und er gab ihr dafür etwas so Großartiges zurück.

Er ...

Komm schon, Viola. Reiß dich zusammen!

Ja, genau das würde sie tun. Es war doch nur ein Kuss der Dankbarkeit. Gut, es war einer direkt auf die Lippen, aber das war Zin ihr nun einmal wert. Basta.

Trotzdem schnappte sich Viola als Erstes ihre Bierflasche, als sie in die Wohnküche zurückkam, und trank einen Schluck. Alkohol nützte ihr zwar nichts, aber es war eine Beschäftigung, bis sie sich über das Ausmaß ihrer Tat bewusst war.

„Und, wie ist er geworden?“, fragte sie neugierig, in der Hoffnung einfach das Thema wechseln zu können.

14. Kapitel

Im Hintergrund dudelte immer noch die Sommerhits-CD, während der Sturm den Regen gegen das Haus schlug. Man konnte das aufbrausende Meer hören, das Rauschen des Winds in den Bäumen und Zins Herzschlag, der ihm so unangenehm in der Brust saß, dass er das Gefühl hatte, er bekäme keine Luft.

Die Hände beide auf die Küchentheke gestützt, die Schultern hochgezogen und die Augen zu Schlitzen verengt, sah er auf das Muster der Arbeitsplatte und versuchte klar zu kriegen, was gerade passiert war.

Nein, ihm war klar, was physisch gerade geschehen war, aber das war auch nicht das Problem. Der Seehund lag dort begraben, wo er anfing, nach Violas Gründen für ihr Verhalten zu suchen, und so krampfhaft Zin mit dem Blut, das ihm in seinem Kopf zur Verfügung stand, auch zu überlegen versuchte, er kam einfach nicht dahinter.

War es bloße Dankbarkeit? Mitleid? Das eher nicht. Warum sollte sie Mitleid mit ihm haben? Über die Phase waren sie schon hinaus und da hatte sie ihn nur auf die Brust geküsst. Was vermuten ließ, dass sie entweder etwas offener mit diesen Dingen umging als er, oder dass Zin ihr so egal war, dass ein Kuss nichts ausmachte. So, als würde Viola ... ihren Bruder küssen. Naja. Einen Cousin vielleicht. Oder den schwulen Kumpel.

„Den schwanzlosen Kumpel, in deinem Fall", brummte er sich selbst an und sah auf den Schritt der Jeans hinunter, wo sich inzwischen gar nichts mehr regte, selbst wenn Viola jetzt noch mehr unter dem Stoff hätte sehen können, als sie bis jetzt für möglich gehalten hatte. War es nur das?

Das ‚nur‘ strich er sofort wieder weg, denn was ihn selbst anging, war das genauso wenig ein ‚nur‘, wie für jeden anderen Mann. Verdammt nochmal, was sollte er denn tun? Er konnte ja schlecht nackt in der Küche warten und ihr zeigen, dass er sehr wohl ...

Diesmal hörte er sie die knarzenden Treppenstufen hinunter kommen, schaffte es jedoch nicht, sich zu ihr herumzudrehen, selbst als er mitbekam, wie Viola um das Sofa ging und sich ihre Bierflasche holte.

„Und, wie ist er geworden?“

Er sollte sich umdrehen und sie küssen. Nicht nur so einen kleinen Kuss, sondern einen echten. Einen, der etwas bedeutete und der ihr gleichzeitig zeigte, dass er nicht der schwanzlose, harmlose Fischmann war, den sie wie ein hübsches Stück Strandgut betrachten konnte. Ja, er sollte ... er würde sie küssen.

Er stieß sich von der Theke ab, drehte sich zu Viola um und ... prallte an diesen funkelnd blauen Augen ab, die ihn so neutral und unbeeindruckt ansahen, dass es ihm Steine in den Magen plumpsen ließ.

„Ein bisschen klumpig.“

Zin, du verdammter Idiot!
 

Ein bisschen klumpig ... Das war alles? Sonst nichts? Kein Aufgreifen des vorangegangenen Themas? Kein mehrdeutiger Blick? Einfach nur ein klumpiger Pudding?

Viola musste sich eingestehen, dass sie - obwohl sie selbst das Thema so einfach gewechselt hatte - enttäuscht war, wie schnell Zin darauf einging.

Sie musste ihm wirklich scheißegal sein, wenn nicht einmal ein Kuss bei ihm entsprechende Reaktionen hervorrief. Natürlich war sie ihm nicht scheißegal auf diese Art, dass sie ihm komplett egal war. Nein, aber sie war eben 'nur' seine Retterin.

Mein Gott, wenn er sie vorhin nicht so angesehen hätte, als er sie fast nackt gesehen hatte, dann hätte sie schon angenommen, er würde sich nicht für Frauen interessieren. Doch das tat er offenbar trotzdem. Nur nicht für sie. Sonst wäre doch irgendein Feedback gekommen, oder nicht? Bisher war es bei den anderen Männern nicht schwer zu erraten gewesen, was sie über Viola dachten, aber bei Zin ...

Sie stand vor verschlossenen Türen.

„Macht nichts. Er wird sicherlich trotzdem schmecken. Nimm nächstes Mal einen Schneebesen und rühr anständig um, dann verschwinden die Klümpchen.“ Viola nahm einen Schluck von ihrem Bier und lehnte sich mit der Hüfte an die Theke, während sie in die Schüssel mit dem Pudding sah.

Er war wirklich etwas klumpig, aber zumindest fest und gerade das brachten manche Anfänger gar nicht hin. Einfach, weil sie zu schnell die Panik kriegten und die Milch nicht ordentlich aufkochen ließen.

Viola hob wieder den Blick und musterte Zin.

Nein. Ein Anfänger war er sicherlich nicht. Vielleicht, was kochen anging, aber in anderen Bereichen ...

War also auch keine Erklärung für seine Nichtreaktion auf den Kuss.

Bevor sie leicht niedergeschlagen auf ihrer Unterlippe herumkauen konnte, schnappte sich Viola zwei Dessertlöffel aus einer Schublade, hielt Zin einen hin und stach mit ihrem eigenen in die braune Masse.

„Ich hoffe, du hast nichts dagegen, wenn ich den Vorkoster spiele.“ Schon führte sie ihren Löffel zum Mund und nahm einen Bissen.

Prüfend ließ sie den Pudding über ihre Zunge gleiten. Die Menge an Zucker, die Zin hineingetan hatte, passte sehr genau. Nicht zu viel und zum Glück auch nicht zu wenig und die Klümpchen machten das sogar irgendwie interessanter, sofern man sie nicht mit der Zunge zerdrückte.

„Für deinen ersten Versuch - echt gut hinbekommen", lobte Viola Zin und nahm sich gleich noch einen Bissen.

Sie setzte sich ganz auf die Theke und ließ ihre Beine baumeln.

„Ich denke, ich lasse dich ab jetzt immer den Pudding für mich machen.“

Trotz ihrer kleinen Enttäuschung musste sie Zin einfach anlächeln. Ihr war zumindest wieder eingefallen, dass er den Pudding für sie gemacht hatte. Er hatte sozusagen also für sie gekocht, das war ... äußerst seltsam, aber es wärmte auch Violas Herz ein bisschen.
 

Er schaffte es unfallfrei durch die Anweisungen, wie er nächstes Mal die Qualität seines Puddings verbessern konnte. Er zuckte nicht mit der Wimper, als es ums Vorkosten ging und Viola sich den Löffel in den Mund steckte und Zin sich wieder diesen unglaublich sinnlich geschwungenen Lippen gegenübersah, auf die sie damit eindeutig hinwies ... Aber als es um ‚immer‘ ging, war es endgültig vorbei.

Immer noch hielt er den kleinen Löffel fest in seiner Hand, sah aber schon die ganze Zeit wie versteinert jeder noch so kleinen Bewegung von Viola zu und verfluchte sich bei jeder Sekunde, die verging so herzhaft, dass jedem Menschen in einem Kilometer Entfernung die Ohren hätte abfallen müssen.

Das änderte sich erst, als ... sie in anlächelte. Ein winzig kleines Lächeln, das Zin allerdings für eine Millisekunde stutzen ließ. Es hatte ... sich verändert. Dieses Lächeln. Vorhin war es voller Dankbarkeit und Zuneigung gewesen. Und auch wenn er nicht sagen konnte, welche Art von Zuneigung dahinter steckte, so hätte er doch blind sein müssen, um nicht zu erkennen, dass sich jetzt ein anderes Gefühl auf Violas Zügen spiegelte.

„Eine Bedingung.“

Wie war er so schnell so nah zu ihr gekommen? Zin konnte Violas Haar riechen, die Creme, die er auf ihrem Rücken verteilt hatte, ihre Haut ... Er konnte spüren, dass ihr eben noch baumelndes Bein seine Hüfte berührte.

Sein Mund wurde wieder trocken, als er in ihre Augen sah. In diese blauen wunderschönen Augen, von denen er einfach nicht wusste, warum sie ihn immer so undurchschaubar musterten. Sie schienen noch schöner, wenn man ihnen so nahe kam.

Zin berührte vorsichtig Violas Oberarm, strich sanft mit seiner Hand über ihre glatte Haut und ließ ihren Blick nicht los, während sein Hirn ihn fragen wollte, was er eigentlich zum Teufel nochmal gerade vorhatte. Viola hatte ihren Brunftaffen, sie war eine Wandlerin, so anders als er, und sie hatte ...

„Dass ich dich dann auch immer massieren darf.“

Mit leicht zitternden Fingerspitzen schob er ihr das Haar über die Schulter zurück, legte seine Hand an ihren warmen Hals und streichelte mit seinem Daumen über ihre Wange. Verdammt, er wollte ja, aber ... man nahm keinem Anderen einfach seine Frau weg. Selbst wenn es ... Viola war.
 

Also auf die Bedingung war sie schon sehr ...

Was?

Viola erstarrte unwillkürlich, als Zin plötzlich so viel näher war. Seine Präsenz sie regelrecht einhüllte und seine Augen sie auf eine Art fixierten, dass sie nicht einmal, wenn es um ihr Leben ginge, wegsehen könnte.

Sie hielt den Atem an, spürte ihr Bein an seiner Hüfte, und als Zin auch noch die Hand nach ihr ausstreckte, war sie vollkommen verwirrt.

Aber er ...

Sie war für ihn nicht ...

Eine Gänsehaut begleitet von einem prickelnden Schauer breitete sich auf ihrem Arm aus und Violas Lippen öffneten sich unwillkürlich. Nur leicht, kaum auffällig und doch war es fast eine offene Einladung.

Beinahe hätte sie sich schnurrend in seine Hand geschmiegt, die Augen geschlossen und einfach nur das Gefühl von seiner kühlen Hand auf ihrer heißen Wange genossen. Sie hätte ihn fast angebettelt, dass er sie sofort auf der Stelle noch mal massieren könnte, weil sie es so gern hatte und dass er es immer machen durfte.

Wären da nicht ihr plötzlich rasender Herzschlag und der leichte Schwindel, da sie immer noch nicht atmete, sie hätte es wirklich getan. So aber starrte sie Zin wie gebannt an, darauf wartend, was er als Nächstes tun würde, weil sie es einfach nicht glauben konnte.

Doch er rührte sich nicht. Er zögerte, sah sie einfach nur an, als wäre da eine unsichtbare Grenze, die er einfach nicht überschreiten konnte und Viola spürte sehr deutlich, wie er sich langsam von dieser Grenze zu entfernen schien, je mehr Zeit zwischen ihnen verging.

Nein ...

Nein!

Sie wollte das! Das war zwar absolut unerwartet und vermutlich deutete sie alles falsch, aber vielleicht eben auch nicht. Vielleicht war das seine Art, auszudrücken, dass er ...

Viola ließ ihren Löffel fallen und ergriff Zins Gesicht, bevor er sich ihr wieder entziehen konnte. Vielleicht war es sogar ihrer leichten Panik davor zuzuschreiben, dass sie ihre Beine um seine Hüften schlang und ihn so an sich heranzog und festnagelte.

Dann sah sie ihm noch tiefer in die Augen, und obwohl das vermutlich der dümmste Satz der Welt war, kam er ihr einfach so gedankenlos über die Lippen. Lippen, die seine schmecken wollten.

„Du hast noch nichts von dem Pudding gekostet“, hauchte sie ihm leise zu. „Du ... musst ihn unbedingt probieren ...“

Viola zog Zins Kopf näher zu sich heran, während sie ihm entgegen kam und dann langsam ihren Mund auf seinen legte.

Sie hatte es nicht eilig. Nicht, wenn sie ihn so in der Mangel hatte, darum kostete sie ihn genüsslich und in vollen Zügen aus, während ihre Augen nicht von ihm abließen und zu ergründen versuchten, was er davon hielt.
 

Das Klimpern des Löffels auf der Küchentheke wurde von einer Bö begleitet, die wohl das gesamte kleine Haus umwerfen wollte. Zin jedenfalls fühlte sich fast von den Füßen gerissen, als Viola ihn zu sich heranzog und ihre Beine so um ihn schlang, dass er sie von ihrem Sitzplatz gezogen hätte, wäre er ihr ausgewichen.

Aber dazu bestand keine Gefahr. Er wollte weder ausweichen, noch davon laufen. Sein Herz sprang wie ein Gummiball in seiner Brust und er wagte nicht einmal, Violas Lippen noch einmal zu betrachten. Er hätte nicht garantieren können, dass er noch ...

„Du hast noch nichts von dem Pudding gekostet ...“

Ihre Worte gingen in ihrer Gegenwart unter, die immer drängender wurde und Zin das Gefühl von prickelnder Wärme auf seiner kühlen Haut gab. Selbst auf seinen Lippen konnte er sie spüren, diese ungewohnte Hitze. Er konnte sie fast schmecken und ...

Für einen winzigen Moment verkrampfte er sich, als sie ihn wieder küsste. Da waren so viele widersprüchliche Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse, die alle auf einmal kreischen und sich in den Vordergrund drängen wollten, das Zin einmal beherzt blinzelte, um sie alle loszuwerden.

Ihre Lippen lagen immer noch aufeinander. Weich und zum Versinken angenehm. Viola küsste ihn.

Es dauerte noch einen Wimpernschlag, bis Zin begriff.

Seine Hand, die bis jetzt immer noch an Violas Hals gelegen hatte, glitt in ihren Nacken, während sein anderer Arm sich sanft um ihren Rücken schlang und er die Augen schloss.

Schuldgefühle trommelten auf ihn ein und er kämpfte für Augenblicke damit, bis er ein kleines, aber bedeutendes Lächeln von seinen auf Violas Lippen übertrug. Er erwiderte ihren Kuss. Sanft und zurückhaltend, aber ... voller Gefühle für sie, die er mit Worten nicht so wirklich hätte beschreiben können.
 

Oh Gott, er schmeckte so gut!

Vor allem, als Zin endlich sein Hirn abschaltete und den Kuss zu erwidern begann. Fast im gleichen Augenblick wie ihm fielen auch ihr die Augen zu, während Viola ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihn so noch enger an sich heranzog.

Immer noch war der Kuss sanft, aber forschend. Seine Kühle ... Mann, wie das auf ihren Lippen prickelte!

Wie ein kleines Feuerwerk kam es ihr vor, während ihre erhitzte Haut auf seine angenehm kühle traf, als wären sie zwei Naturgewalten und sie konnte es nicht oft genug feststellen: Er schmeckte so unverschämt guuut!

Viola hatte zwar immer noch den süßen Geschmack des Puddings in ihrem Mund, doch Zin schmeckte salzig, frisch und ... dafür gab es noch nicht einmal ein Wort. Vielleicht eine Mischung aus Freiheit und unendliche Weite. Als hätte er das Meer in seine Haut gesogen, als trüge er das Gefühl davon auf seinen Lippen und zum ersten Mal wollte sie mehr davon. Mehr von Zin. Mehr von diesem Geschmack des Meeres.

Violas Kuss wurde fordernder, je mehr es in ihrem Bauch kribbelte und je wilder ihr Herz pochte.

So aufgeregt war sie noch nie bei einem einfachen Kuss gewesen.

Aber das war er ja schließlich auch nicht, nicht wahr? Einfach. Dieser Kuss war alles andere als einfach. Er war sogar hochkompliziert und doch konnte sie nicht damit aufhören. Vielleicht gerade deswegen.
 

Dass er sofort an ‚süß‘ dachte, ließ Zin noch einmal lächeln. Da sprach der Pudding zu ihm, wenn man so wollte. Denn Viola war nicht unbedingt die Frau, die man als ‚süß‘ bezeichnete. Eher ... sinnlich, heiß und sexy. Aber dieser Kuss hier ... der war süß. Prickelnd, süß und so anders, als alle Küsse bisher. Violas Lippen waren warm und auch ihre Hände, die immer noch seinen Nacken hielten, als könne er jeden Moment vor ihr davonrennen ...

Vorsichtig versuchte Zin seine Neugier auf diese weichen wunderbaren Lippen zu stillen. Seine Eigenen streichelten Violas Unterlippen, kosteten in winzigen Küssen von ihrem Mundwinkel. Ihre Nasenspitzen berührten sich und Zin atmete so tief ein, dass es wie ein winziges, aber absolut wohliges Seufzen klang, das man von ihm sehr sehr selten hörte.

Zin ließ es andauern. Je länger sie sich küssten, desto weicher wurde sein Mund, desto mehr Gefühl legte er in die Berührung ihrer Lippen und doch blieb er dabei immer zurückhaltend, unaufdringlich und eben das, was er für jemanden wie Viola immer sein musste ... harmlos.

Es fühlte sich verdammt gut an, Viola so zu küssen. Nur um des Kusses willen und nicht, weil er ihr die Klamotten vom Leib reißen und sie gleich hier auf der Küchenzeile flachlegen wollte.

Zugegeben, bei dem kurzen Gedanken lief ihm ein knisternder Schauer von den nackten Fußsohlen bis in die Haarwurzeln. Aber ...
 

Oh, bitte. Konnte nicht irgendjemand die Zeit anhalten?

Je länger sich ihre Lippen trafen, sich verwöhnten und dann flüchtig wieder voneinander abließen, nur um sich auf eine neue Art wieder zu treffen, umso mehr ließ Viola los.

Nicht Zin oder seine Hüften. Nicht seine Lippen oder seine Nähe. Nein, sie ließ von möglichen Bedenken los. Von gewissen Dingen, die Zin betrafen und sie meistens immer noch beschäftigten. Sie ließ selbst von ihrer gegenseitigen Andersartigkeit los, weil das hier alles so unwichtig wurde.

Alles, was in diesem Augenblick zählte, war sein Mund und die Dinge, die sie mit diesem anstellte und noch alles anstellen wollte.

Violas Finger verkrallten sich schließlich in das Sweatshirt, das Zin trug, und verfluchte es zugleich. Warum hatte sie ihm noch einmal gesagt, er solle Kleider anziehen? Wegen des Anstandes? Wohl eher wegen des Umstandes. Denn jetzt störte es sie, dass sie nicht einfach seine Haut berühren konnte.

Natürlich waren da auch noch seine Verbände, aber trotzdem.

Sie erschauderte unter einer knisternden Welle, die ihre Wirbelsäule hinunterjagte und von dem prickelnden Gefühl von Zins Haut auf ihrer herrührte. Es war nicht viel Haut, aber dazu reichte es aus und ließ sie schließlich auch in den Kuss seufzen, ehe sich ihr Mund weiter für ihn öffnete, damit sie mit ihrer Zungenspitze über seine Unterlippe streicheln und an dieser sanft und vorsichtig knabbern konnte.

Violas Beine verhakten sich ganz unbewusst hinter Zins Po, drückten ihn noch enger an ihren Körper, während sie ihn mit allen erdenklichen Mitteln bei sich behielt.

Nein, sie würde ihn jetzt sicher nicht gehenlassen.
 

Ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, an dem Viola ihre Finger in Zins Shirt krallte und ihn mit ihren Beinen noch etwas mehr an sich heranzog, verabschiedete sich sein Hirn mit einem Cocktail in der Hand in den Feierabend. Es hatte noch ein kleines ‚Ach, tu doch, was du willst‘ auf den Lippen und war dann einfach verschwunden.

Es fiel wie eine Last von Zins Schultern.

Seine Hand begann kleine Kreise in Violas Nacken zu zeichnen, ihre Haut dort zu streicheln und sie zu halten, während er ihr noch das Stückchen näher kam, das ausreichte, damit Zin Violas Körper an seinem spüren konnte. Der Arm, den er um ihren Rücken gelegt hatte, zog sie etwas nach vorn, auf ihn zu und blieb dann eher auf Höhe ihres perfekt gerundeten Pos liegen, als wirklich an ihrem Rücken.

Zin spürte Violas Zunge an seiner Unterlippe, erschauderte kurz, bevor er sich öffnete, seine Zungenspitze an ihre stupste und schließlich den Kuss etwas intensiver gestaltete.

Herrgott, er war nun einmal ein Mann, und Viola war wunderschön, witzig, liebevoll und spannend. Zu allem Überfluss wollte sie ihn auch noch küssen. Wie hätte er sich da entziehen können?

Nach einer Weile meldete sich allerdings doch etwas an ihm und Zin zog sich atemlos ein paar Millimeter von Violas verführerischen Lippen zurück. Er streckte sich und sein Rücken gab ein paar stechende Einwände von sich, was diese leicht gebückte Haltung anging. Verdammt, er wollte aber nicht ... aufhören.

„In einer oder zwei Wochen würde ich dich tragen, aber ...“ Er funkelte sie zwischen zwei weiteren kurzen Küssen aus seinen leicht verschleierten Augen an. „Könnten wir das hier trotzdem auf die Couch verlegen?“
 

Als er sich langsam zurückzog, krallten sich Violas Finger sofort noch fester in Zins Shirt, doch sobald er ihr eine Erklärung für sein Verhalten abgab, beruhigte sie sich sofort wieder.

Er wollte nicht aufhören. Er wollte es nur bequemer haben.

Mit einem spitzbübischen Grinsen auf den Lippen erhaschte sie sich von Zin noch einen letzten Kuss, ehe sie ihn losließ und ein Stück von sich schob, damit sie von der Arbeitsplatte springen konnte. Sie ließ dabei seine Hand keine Sekunde los, denn wenn sie es getan hätte, ihr wäre vielleicht das Ausmaß ihrer Situation bewusst geworden.

Sie hatte Zin geküsst. Nein, nicht einfach nur geküsst. Sie waren dabei, miteinander zu knutschen und obwohl das irgendwie falsch sein sollte, fühlte es sich doch so verdammt richtig an.

Es stimmte schon, dass sie sich um seine Sicherheit sorgte und bisher ein mehr freundschaftliches Verhältnis zu ihm aufgebaut hatte, aber gerade weil das für sie so selten und kostbar war, klammerte sie sich an Zins Hand, während sie ihn mit sich zur Couch zog und ihn dann sanft dazu brachte, sich hinzusetzen.

Fürsorglich, wie sie ihm gegenüber war, klopfte sie ihm noch ein Kissen zurecht, das sie ihm hinter den Rücken legte, damit er es noch weicher hatte. Dann kam sie ebenfalls auf die Couch. Jeweils ein Bein auf seiner Seite abgelegt, setzte sie sich einfach auf seinen Schoß und schlang ihre Arme erneut um Zin.

Doch bevor sie ihn wieder küsste, sah sie ihn offen und ehrlich an. Genau so sollte auch seine Antwort auf ihre Frage sein.

„Bequem so?“
 

Bequem?

Es dauerte kurz, bis Zin sich von den Bildern in seinem Kopf losgerissen hatte, die sehr viel mit Violas Shirt und dem Ausschnitt zu tun hatten, der sich vor ihm hatte öffnen können, während sie sich vorlehnte und ihm ein Kissen in den Rücken stopfte.

Dass sie jetzt einfach auf seinem Schoß saß, rittlings und vollkommen ungeniert ... brachte Zin zum Grinsen. Etwas unsicher zwar, aber ziemlich angetan von der Situation, die ihm nicht nur mit ihr ziemlich neu war.

Normalerweise hatte er für so etwas wenig Zeit. Schon gar nicht, während ein Sturm tobte; der Regen wie ein Trommelwirbel auf das Dach niederfiel und niemand in der Nähe war, der hätte stören können. Es war ... mehr als bequem.

Mit seiner Linken hielt er immer noch Violas Hand, während seine Rechte sich auf ihre Wange legte, sie sanft streichelte und dann mit den Fingerspitzen Violas Kinn umfing, um sie zu sich heranzuziehen.

„Ja ... sehr“, brachte er geradeso hervor, eher er seine Lippen wieder auf ihre legte und diesmal sehr viel schneller dazu überging, seine Arme um ihren schmalen, aber sinnlich kurvigen Körper zu schlingen, sie nah an sich heranzuziehen und ihren Rücken zu streicheln.

Zin sog tief die Luft ein, berauschte sich an Violas Duft und wagte sogar, als Erster seine Zunge zum Einsatz zu bringen, diese Frau auf seinem Schoß zu einem kleinen Tanz einzuladen und in ihr aufzugehen. Das war so gut, so berauschend, dass er kaum merkte, wie er sie irgendwann kurz an den Hüften nahm, um sich unter ihr so hinzusetzen, dass in dieser dummen Jeans nicht dauernd die Naht an dem erhärtenden Körperteil von ihm rieb, dem die Knutscherei offensichtlich auch sehr gut gefiel.
 

Sie konnte es irgendwie noch immer nicht ganz realisieren, doch das interessierte sie im Moment auch überhaupt nicht. Da war Zin. Da waren seine Hände, seine Lippen, seine Zunge.

Mehr musste sie im Augenblick wirklich nicht wissen, um mit der Situation zurechtzukommen, vor allem weil er es schaffte, in ihr ein Kribbeln auszulösen, das inzwischen so bombastisch war, dass es sich bis zu ihren Brustwarzen vorarbeitete, die gegen den losen Stoff rieben und zugleich gegen Zins Brust gedrückt wurden.

Aber das war noch nicht alles. Je mehr sich ihre Zungen kennenlernten, je vertrauter sie langsam in ihrem Rhythmus wurden, umso mehr schmolz sie dahin. Begleitet von einem sanften Pochen zwischen ihren Schenkeln.

Als Zin ihre Hüften nahm, hätte Viola am liebsten vor Zustimmung geseufzt, doch ihr Mund war mit anderem beschäftigt, bis ...

Etwas rieb über ihren äußerst empfindsamen Punkt und sie erschauderte.

Einen Moment lang nahm sie dieses Gefühl vollkommen in Beschlag, ehe sie regelrecht über Zins Lippen und seine Zunge herfiel.

Violas Hände streichelten dabei seinen Brustkorb und ...

Da war es wieder!

Nur flüchtig, doch als sie sich nun weiter auf seinen Schoß sinken ließ, begann sie es deutlicher zu fühlen.

Zunächst vermutete Viola, dass es von einer steifen Jeansfalte in Zins Schritt herrührte, aber ganz sicher war sie sich da nicht. Das musste schon eine ziemlich große Falte sein.

Neugierig geworden, ließ sie ihre rechte Hand weiter nach unten wandern, während sie Zin sinnlich und auch fordernd küsste, nur um mit sanft und zurückhaltend abzuwechseln, um mit ihm gemeinsam die Paletten der Küsse durchzuprobieren, welche sich am Besten anfühlten.

Violas Hand rutschte zwischen ihre Körper, zwischen ihre eigenen Schenkel und blieb schließlich dort liegen, wo sie die Jeansfalte vermutete. Nur dass es keine war.

„Oh mein Gott“, hauchte sie gegen Zins Halsbeuge, während sie ihre Stirn gegen seine kühlende Haut drückte und über die Länge dessen strich, was sie da fühlen konnte.

Es war Zin.

„Danke.“ Er schluckte hart. „So positiv hat das vor dir noch niemand aufgenommen.“

Den Rücken fest gegen das Sofa gedrückt, holte Zin immer wieder tief Luft, um den mangelnden Sauerstoff auszugleichen, den er bis jetzt hatte vollkommen ignorieren können. Was konnte schon wichtiger sein, als die vielen verschiedenen Varianten von Küssen, die Viola so offensichtlich mit ihm ausprobieren wollte? Fordernd und leidenschaftlich, dann wieder sanft und fast quälend zart.

Es war ihm zu Kopf gestiegen – besser, als jeder Alkohol es je könnte – und hatte seinen Verstand so vernebelt, dass Zin zuerst nur mit einem leisen Klicken zur Kenntnis genommen hatte, in welche Richtung Violas Hand da wanderte.

Ihm schwirrte jetzt noch der Kopf davon und sein Herz pumpte so viele Hormone durch seinen Körper, dass er nicht wusste, ob er im Kreis grinsen oder Viola einfach auf die Couch werfen und weitermachen sollte. Ihre Hand strich immer noch an ihm herum und verursachte kleine knisternde Explosionen, die allerdings nur Hunger auf mehr machten.

Zin wusste nicht, ob er noch etwas dazu sagen sollte. Violas Überraschung war offensichtlich. Aber andererseits war er selbst ganz froh, dass er jetzt wohl zumindest aus der „Schwanzloser Kumpelschublade“ raus war.
 

Bei seinen Worten musste Viola leise lachen und Zin in die Augen sehen. Natürlich war das für sie kein Grund, ihn loszulassen. Ganz im Gegenteil. Er hatte sie damit wirklich überrascht und so wenig sie es glauben konnte, so deutlich konnte sie es fühlen.

Viola konnte nicht anders. Sie musste ihn einfach noch einmal küssen, ehe sie sich auf etwas anderes, als auf seine Lippen konzentrierte. Ihr Blick glitt langsam mit einem ganz bestimmten Lächeln an Zin herab, während sie etwas in Richtung seiner Knie rutschte.

Nun war die Wölbung in der Jeans nicht mehr zu übersehen.

„Du bist ziemlich gut im Verstecken, weißt du das?“, meinte sie schließlich leise grinsend und schenkte Zin einen Blick zwischen gesenkten Wimpern hervor, ehe sie ihre Arme wieder um seinen Nacken schlang und näherrückte. Auf ihn rückte, bis sie ihn deutlich an sich fühlen konnte.

Viola küsste seine Schläfe, seine Wange, folgte zart mit ihren Lippen der Spur seiner Kieferkiemen, die er bedeckt hielt, und machte dicht an seinem Ohr halt.

„Du faszinierst mich immer wieder, Zin“, flüsterte sie ihm leise zu und schmiegte sich an ihn. Sie platzte fast vor Spannung, was für Überraschungen sie mit ihm noch alles erleben könnte, allerdings behielt sie ihre Neugierde momentan für sich. Im Augenblick wollte sie das hier einfach nur genießen. Sie wollte Zin ganz und gar genießen.

Es war keine direkte Einladung, obwohl es für ihn so wirken musste, dennoch scheute Viola keinen Moment davor zurück, Zins Hände zu nehmen und sie langsam an ihren Hüften unter ihr Schlabbershirt zu führen, wo sie sich angenehm kühl auf ihrer erhitzten Haut anfühlten, die dank ihm noch mehr an Temperatur zugelegt hatte.

„Streichle mich, Zin. Bitte. Ich will deine Hände fühlen.“ Ihre Stimme war so leise, dass sie kaum über die Hintergrundgeräusche hinweg zu hören waren und so vorsichtig vorgebracht, dass er sich jederzeit umentscheiden konnte. Aber Viola wollte das. Sie wollte das wirklich.
 

Sein Lächeln ermattete ein wenig, als Zin klar wurde, dass Viola ihn gerade auf den Prüfstand stellte. Zumindest ließen ihr gewisses Lächeln und die Tatsache, dass sie von ihm abrückte, keine andere Möglichkeit offen.

Ihr Blick wanderte über seine Brust und seinen Bauch nach unten und blieb am Ende sehr unmissverständlich an seinem Schritt hängen.

Oh man, wusste diese Frau denn nicht, dass Männer mit einer normalen Portion Ego das nicht lange aushielten? Zin war sich nicht sicher, aber in diesem Moment wäre er vielleicht lieber einer von denen gewesen, die jetzt ihre Knie sogar etwas gespreizt hätten, um der Lady noch besseren Eindruck zu gewähren. Aber das war nun einmal nicht seine Art ... zu flirten. Selbst wenn er wusste, dass er sich nicht verstecken musste.

Außer in der Art und Weise, die Viola in der nächsten Sekunde ansprach, bevor sie sich ihm an den Hals warf und Zin sofort alles andere vergessen ließ. Verstecken wäre gerade überhaupt nicht angebracht gewesen. Fühlte es sich doch so viel ... besser an, dass er sehr wohl spüren konnte, wie sich Viola an ihn schmiegte.

Ein Schauder durchlief seinen Körper und er zog Viola unwillkürlich noch näher an sich heran, als sie seine empfindlichen Kiemen mit ihren Lippen berührte. Die Nackenhaare stellten sich ihm auf und es knisterte leise in seinem Bauch, als er ihren Atem darauf spüren konnte. Warm und prickelnd, als würde ihm diese Berührung direkt ins Blut übergehen.

Und da behauptete sie, dass er sie faszinierte. Dabei war es doch Viola, die so anders, so einzigartig und so ...

Das Flüstern drang so leise an sein Ohr, dass er es vielleicht gar nicht verstanden hätte, wäre Viola nicht drauf und dran gewesen, es mit ihren Händen zu erklären, die seine unter ihr Shirt schoben. Auf ihre warme Haut, die er vorhin schon gespürt, sich aber nicht wirklich erlaubt hatte, wahrzunehmen. Sie war so weich und glatt ... so unglaublich warm und zu nichts Anderem geschaffen, als gestreichelt zu werden. Sein Daumen zeichnete leichte, kleine Kreise auf ihren Bauch, während Zin Viola festhielt. Sanft, aber entschlossen sie nicht mehr so schnell loszulassen. Auch wenn er nicht verstand ... was sie eigentlich von ihm erwartete.
 

Viola erschauderte unter der Berührung von Zins Händen.

Normale Männer waren schon kühler als sie und somit willkommen, da ihr bei diesem Klima nicht noch heißer sein musste, als es bei gewissen Aktivitäten ohnehin schon der Fall war, doch Zins Temperatur knisterte richtiggehend auf ihr.

Er jagte ihr mit seinen Fingerspitzen eine Gänsehaut über den gesamten Körper, so dass ihre Brustwarzen sich leicht schmerzhaft zusammenzogen.

Sie seufzte gegen seine Haut und biss sich auf die Unterlippe, während sie Zins Hände noch ein bisschen weiter nach oben führte und dann in die Freiheit entließ, damit sie tun konnten, wozu sie beide auch immer Lust hatten.

Sie selbst legte ihre eigenen Hände auf Zins breite Schultern, die trotz seiner momentanen Einschränkungen nichts an Substanz verloren hatten. Sie waren immer noch fest und muskulös, aber nicht wie aus einem Fitnessstudio, sondern wegen der Dinge, die er wohl täglich in seinem Leben tat.

Sie waren perfekt, um sich an ihnen festzuhalten, während Violas Lippen eine Spur seinen Nacken hinabküssten und sie sich noch mehr an ihn schmiegte.

Alles in ihr wollte sich an ihm reiben, wie eine Katze, die man zu lange nicht beachtet hatte, bis sie fast wahnsinnig wurde, von ihrem enormen Bedürfnis, gestreichelt zu werden.

Vielleicht schmiegte sie ihren Schoß deshalb noch enger an Zins deutlich spürbare Überraschung.

Sie hatte zwar wirklich nicht geglaubt, dass er einfach nur über ein paar Eier schwimmt und sie mal eben, wie ein Lachs befruchtete, doch die Theorie, dass er dennoch alles hatte, was er brauchte, war ihr auch nicht ganz eingegangen. Schließlich hätte das alles Mögliche sein können. Dass es eine beachtliche Erektion war, musste sie immer noch leicht verdauen.

Aber sie fühlte sich gut an. Zin fühlte sich gut an. Einfach alles an ihm, obwohl diese Kiemen unter seinem Kiefer so neu für sie wahren, wie noch sehr viel mehr an ihm. Viola hätte ihn auf jeden Fall akzeptiert, ob nun mit dieser Erektion, als auch ohne. Zin war Zin und das war das Beste daran.

Ihre Lippen wurden schließlich vom Ausschnitt seines Shirts gestoppt. Ihres war wenigstens so weit geschnitten, dass ihr schon bei der geringsten Bewegung eine Seite von der Schulter rutschte und sie somit an dieser Stelle entblößt wurde, doch Zin schien geradezu von dem Teil erwürgt zu werden.

Zumindest kam es Viola so vor, weshalb sie auch den Stoff mit ihren Fingern packte und eine Kralle ausfuhr, um ihn schön langsam entzwei zu fetzen und somit den Ausschnitt und die damit frei werdende Hautfläche zu vergrößern. Die Verbände jedoch ließ sie in Ruhe, da man bald bei ihm die Fäden ziehen konnte und Viola unter keinerlei Umständen wollte, dass sich an diesem Fortschritt etwas änderte.

Sie schnappte nach Luft, als Zins ausgebeulte Jeans einen besonders sensiblen Punkt durch ihre dünne Trainingshose hindurch reizte und ihr einen kleinen Blitz zwischen die Schenkel jagte.

Fest presste Viola ihre Lippen gegen sein Schlüsselbein, um einen beinahe wimmernden Laut zu unterdrücken, ehe sie sich wieder im Griff hatte.

Sie riss das Shirt noch weiter entzwei, während ihre Lippen erneut Zins Mund suchten. Viola hatte schließlich noch lange nicht genug von ihm und seinen Küssen. Vor allem, wenn er ihr so bereitwillig mit seiner Zunge entgegen kam.

Vorhin noch war sie mehr oder weniger stürmisch vorangegangen, phasenweise hatte sie sich dann wieder eingebremst, nur um erneut nach vorzupreschen.

Dieses Mal ging es Viola ganz sanft und zärtlich an. Sie hatten Zeit.

Trotzdem streifte sie das zerfetzte Shirt keine Minute später von Zins Schultern.
 

Der Sturm legte noch einen Zahn zu, rüttelte an den verriegelten Fensterläden und toste über den Strand hinweg. Und irgendwie kam es Zin so vor, als würde Viola ähnlich vorgehen. Sie war die erste Frau, die er in seinem Leben getroffen hatte, die mehr von ihm verlangte, als er eigentlich vorgehabt hatte. Sie hatte seine Hände noch weiter unter ihr Shirt geschoben, ihren wunderbaren, fast bedichtenswerten Kurven entgegen und ihn dann einfach dort allein gelassen.

Natürlich wollte er sie berühren! Zin wollte sie streicheln, die warme Haut auch an diesen Stellen erkunden, herausfinden, ob Violas Brustwarzen ähnlich empfindlich reagierten, wie ...

Sein Atem zitterte leicht, als Viola ihm das Shirt aufschlitzte und sich dann über sein Schlüsselbein hermachte. Nur wenige Küsse später; wenige Verschlingungen ihrer Zungen, wenige Streicheleinheiten seiner Hände auf ihrem Oberkörper ... zog sie ihm einfach das Shirt von den Schultern. Die Verbände schoben sich über seine Haut, als Zin sich bereitwillig die Fetzen abstreifte und dann vorsichtig Violas Gesicht in seine Hände nahm. Bei Gott, sie war so wunderschön, dass ihm der Atem stockte.

Er küsste sie sanft, streichelte ihr Kinn entlang zu ihrem Ohr, griff in ihren Nacken und kraulte sie dort kurz, bevor er sich wieder von ihr löste. Allerdings nur, um seine Hände, wie auch seinen Blick sinken zu lassen und nach einem winzigen Zögern unter ihr Shirt zu fassen und es ihr mit einer sanften Bewegung nach oben zu schieben. Immer weiter, bis er zuerst ihren flachen Bauch mit dem kleinen Stein im Nabel, dann die Rundungen ihrer Brüste und schließlich deren gesamte Pracht erblicken konnte.

Zin konnte seinen Blick nicht losreißen. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen und auch der intensive Kuss, mit dem er sich abzulenken versuchte, half nicht wirklich weiter. Ganz im Gegenteil sorgte er dafür, dass Zin mutiger wurde, Viola das Shirt ganz über den Kopf zog und dann beide Hände vorsichtig auf diese perfekt gerundeten Brüste legte. Er streichelte sie sanft, strich mit beiden Handflächen über die erhärteten Brustwarzen und knabberte dabei an seiner eigenen Oberlippe, wie er es immer tat, wenn er etwas besonders Spannendes und ihm Unbekanntes erforschte. Und unbekannt ... war es wirklich. Leider, wie er feststellen musste, denn dieses Gefühl, wie Violas Brüste in seinen Händen lagen, wie es war, sie zu streicheln, ein wenig anzuheben, die Brustwarzen mit den Fingern zu necken ... Zin fiel nur sehr wenig ein, was er lieber getan hätte. Wobei ...

Kurz sah er Viola mit einem Blick an, der sowohl Vorfreude, wie auch sehr viel größere Gefühle beinhaltete. Dann küsste er sie. Ein bisschen rau, aber trotzdem darauf bedacht, es so zu tun, wie es ihr gefiel.

Die Arme für einen Moment fest um sie geschlungen, verlagerte Zin sein Gewicht so, dass er Viola auf die Couch betten und sich über sie legen konnte. Allerdings ... war das unterdrückte Stöhnen an ihre Lippen nicht auf ein gutes Gefühl, sondern auf eine heiße Klinge zurückzuführen, die sich bei dieser Bewegung in seine Kiemen und den Brustkorb darunter bohrte und Zins Griff erschlaffen ließ, bis ihm keine weißen Punkte mehr wild vor dem Sichtfeld herumhüpften.

15. Kapitel

Viola begann zu zittern. Erst kaum merklich, während Zin seine Hände erneut unter ihr Shirt schob und es ihr dann langsam nach oben zu ziehen begann.

Daraufhin wurde ihr Zittern stärker.

Viola wusste nicht genau, was es zu bedeuten hatte. Sie war hin und her gerissen von ihren Gefühlen. Einerseits war es so unglaublich gut, Zin zu küssen und seine Hände auf sich zu fühlen, andererseits wollte sich da etwas in ihrem Bauch immer weiter zusammenziehen. Irgendetwas, das ihr sagte, dass sie beide damit aufhören sollten. Einfach, weil das gerade keine so gute Idee war.

Doch Viola kannte diese Stimme in sich nicht. Das hier war das Tempo, das sie stets zu haben pflegte.

Warum lange um den heißen Brei herum reden? Warum sich lange mit irgendwelchen Floskeln herumschlagen, wenn man doch den Körper für sich sprechen lassen konnte und Zin war wirklich gut darin, ihren Körper zum Sprechen zu bringen.

Violas Brustwarzen waren steinhart und sie legte genussvoll den Kopf in den Nacken, nachdem er ihr das Shirt ausgezogen und seine Hände auf ihre Brüste gelegt hatte. Diese wunderbaren so vollkommen neuen Hände, mit der zarten Haut zwischen den Fingern, von der sie erst jetzt spürte, wie elastisch und nachgiebig sie war.

Ein heiseres Seufzen entkam ihr, als Zin damit begann, seine Neugier an ihrer Oberweite zu stillen. Unter gesenkten Lidern sah sie ihm dabei zu, wie er seinen Blick starr auf sie gerichtet hatte. Als gäbe es da nur ihn, seine Hände und ihre Brüste, die er so aufreizend und wunderbar verwöhnte.

Violas Herz raste wie wild, und obwohl ihr Nacktheit nicht im Geringsten etwas ausmachte, war ihr Atem leicht abgehakt und flach. Sie zitterte nun für sie ganz deutlich.

Der Knoten in ihrem Bauch sagte ihr, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie kam nur einfach nicht darauf, was. Deshalb verdrängte sie das Gefühl, gab sich Zin so vollkommen hin, als er sie küsste, als gäbe es kein Morgen mehr und versuchte nicht zu sehr zu begreifen, was sie da in seinem Blick gelesen hatte. Es würde sich schon zeigen.

Als Zin jedoch seine Arme um sie schlang und sie auf die Couch legte, er ganz dicht über ihr, schlug dieses neue Gefühl heftig zu.

Für einen Moment erstarrte Viola vollkommen und wollte nur noch ihre Kleidung packen und vor diesem Gefühl fliehen, im nächsten allerdings, wurden ihre Fluchtgedanken von Sorge abgelöst.

„Zin?“

Er hatte gestöhnt und das nicht vor Lust.

Verdammt. Sein Rücken!

Vorsichtig strich Viola ihm über die Wange, bis sein Blick nicht mehr so glasig war, dann half sie ihm, sich wieder langsam und vorsichtig aufzusetzen.

Scheiße, sie war vollkommen durcheinander.

„Hey, ganz ruhig", hauchte sie ihm leise zu, während sie über seine Seite streichelte und so lange für ihn da war, bis der Schmerz wohl langsam abebbte. Dann legte sie sanft ihre Stirn an seine, hielt mit beiden Händen sein Gesicht fest und küsste ihn hauchzart auf die Lippen.

„Zu schnell ... Es tut mir leid. Wir sind zu schnell.“

Ja, irgendetwas sagte ihr, dass das nicht nur auf Zins Rücken bezogen war, doch sie war sich nicht sicher. Dieses Gefühl kannte sie nicht.

„Geht’s wieder?“

Viola sah Zin voller Sorge an, während immer noch ein Zittern ihre Glieder vibrieren ließ. Dabei war ihr noch nicht einmal kalt.
 

„Nein, mir ... mir tut es leid.“

Zin schluckte hart und holte flach Luft. Selbst Violas zarten Kuss zu erwidern, bereitete ihm Mühe und seine Hände lagen nur leicht auf ihren Oberschenkeln, kurz davor, sich an ihr festzuhalten.

Diesmal machte sich Frust bei seinem Stöhnen bemerkbar, als Zin seinen Kopf nach hinten auf die Couchlehne sinken ließ und die Augen schloss.

Vermutlich hätte er etwas sagen sollen. Aber das Einzige, was er jetzt wirklich tun wollte, war die Arme um Viola schließen, sie an seine Brust zu ziehen und zu spüren, dass sie da war.

Er schenkte ihr einen vorsichtigen Blick unter den Wimpern hervor, ehe er sich tatsächlich traute, seine Hände auf ihren Rücken zu legen und sie vorsichtig an sich zu ziehen. Es konnte ja durchaus sein, dass sie das nicht wollte. Dass sie lieber das gehabt hätte, wonach es vor wenigen Minuten noch ausgesehen hatte. Selbst wenn Zin sich sicher war, dass er selbst mit viel Sturheit keinen Sex zustande gebracht hätte. Vielleicht nicht einmal alle Vorstufen dazu. Aber naja ... Mühe hätte er sich schon gegeben.
 

„Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen", flüsterte Viola leise an sein Ohr, als sie sich von ihm in den Arm und an seine Brust ziehen ließ. Danach kuschelte sie sich einfach an ihn, barg ihren Kopf an seiner Schulter und schloss die Augen.

Das hier ... fühlte sich schon besser an, als das Gefühl von gerade eben. Sehr viel besser. Sie wollte gar nicht mehr von Zin weg, was sie auch damit klar machte, dass sie sich gemütlicher hinsetzte und über seine Brust streichelte.

Mhmm ... jetzt konnte von ihr aus die Zeit stehen bleiben. Viola wäre es nur recht gewesen.

Allerdings war ihnen nur ein kurzer Moment in dieser vertraulichen Wärme gegönnt, ehe das Licht und die Musik mit einem Schlag ausgingen und plötzlich ein Krachen über den Himmel donnerte, das selbst bis durch ihre Knochen rollte.

Viola fiel fast von der Couch, als sie vor Schreck aufsprang, die Krallen gewetzt, bereit auf jede Art von Angriff. Allerdings verrieten ihr flacher Atem und ihre geweiteten Pupillen, dass sie dabei gewaltig Schiss hatte.

Beim nächsten Donner direkt über ihren Köpfen ging sie fast an die Decke, ehe sie sich wieder so weit beruhigen konnte, dass sie die Geistesgegenwart besaß, sich ihr Shirt überzuziehen. Ein kleiner Schutz vor dem Unwetter zwar, aber die wirkliche Angst davor saß ja auch in ihrem Kopf und nicht außerhalb, obwohl sich das Wetter wirklich redliche Mühe gab.

Nur nicht aufregen. Blitz und Donner sind dein Freund. Regen ist der Feind. Nur nicht aufregen.

Als wäre das nicht schon genug, grummelte es plötzlich lautstark in einer Windpause in ihrem Magen. Die ganze Situation war inzwischen so lächerlich, dass Viola nur auf ihren hungrigen Bauch schauen und zu lachen anfangen konnte. Vielleicht klang es etwas überdreht, aber darüber dachte sie nicht länger nach, als sie zur Anrichte hinüberging, sich noch einmal zwei Löffel und den Pudding schnappte und es sich dann dicht neben Zin auf der Couch gemütlich machte.

"Ich hab ganz vergessen, wie hungrig ich eigentlich bin.“ Sie hielt Zin einen Löffel und die Schüssel hin.

Viola war wirklich froh, dass er da war.
 

Zin hatte sich nicht von der Couch gerührt, sondern gewartet, bis Viola sich wieder neben ihn setzte. Er hatte zugegeben nicht ganz mitbekommen, was eigentlich nach dem Stromausfall passiert war. Außer, dass Viola panisch aufgesprungen war, sich etwas übergezogen und dann etwas unsicher gelacht hatte. Da sie jetzt aber wieder neben ihm saß, er seinen Arm um sie legen und noch einmal mit geschlossenen Augen den Duft ihres Haares einatmen durfte, war wohl alles so weit in Ordnung. Zumindest zitterte sie nicht oder machte den Eindruck, als würde ihr das Gewitter noch so viel Angst machen, wie eben. Denn das war es offensichtlich gewesen.

Viola hatte sich wegen des Donnerschlags ziemlich erschreckt. Aber dass ihm das aufgefallen war, würde er der stolzen Wildkatze nicht auf die Nase binden.

„Dann ist es ja gut, dass ich Pudding gemacht habe.“ Wenn das auch ein etwas dürftiges Abendessen darstellte. Zwar besser als nichts, aber wenn der Strom wegblieb, konnten sie wohl ziemlich wenig machen. Im Dunkeln mit diesem seltsamen Herd zu hantieren traute Zin sich jedenfalls nicht so ohne weiteres zu. Aber auch das würde er erst einmal für sich behalten.

„Grillst du eigentlich oft? Wo du doch so eine schöne Terrasse hast ... Ich stelle mir das gut vor. Mit ein paar Freunden ...“

Ja, das stellte er sich gut vor. Der Blick auf Strand und Meer. Man könnte Essen, dann ein bisschen schwimmen gehen – vielleicht unterm Sternenzelt.

Seine Hand streichelte über Violas Arm und Zin steckte sich einen Löffel voll Pudding in den Mund. Wirklich gar nicht so schlecht für den ersten Versuch.
 

„Nein. Ich habe eigentlich noch nie selbst auf der Terrasse gegrillt. Als meine Omi noch da war, gab’s fast jeden Sonntag Barbecue mit ihren Freundinnen. Sie hat immer unglaublich leckeren Kartoffelsalat gemacht und ihre Steaks waren nicht nur hammermäßig groß, sondern auch superlecker. Es gab auch ständig Kuchen und Gebäck. Damals hatte ich wirklich noch einen kleinen Babyspeck von dem vielen Essen.“

Viola lächelte, bei der Erinnerung daran, auch wenn es ihr einen Stich ins Herz gab. Nachdenklich löffelte sie noch etwas von dem Pudding.

„Tess ist Vegetarierin und kann noch nicht einmal ein Stück blutiges Fleisch sehen, ehe sie austickt. Und noch einen Vortrag über Schlachthöfe und Tierquälerei will ich mir nicht anhören. Gerade weil meine Omi damals das Fleisch auch immer mal wieder selbst ... besorgt hat. Sie war wirklich noch sehr fit für ihr Alter.“

62 ... Das war doch noch gar kein Alter!

„Und was macht man bei euch so, da man nichts auf den Grill schmeißen kann?“
 

Einer Eingebung folgend, von der er nicht wusste, ob er dabei etwas falsch machte, kuschelte Zin seine Wange an Violas Scheitel und küsste sie auf ihr weiches Haar. Er mochte es gern, wie es sich anfühlte, sie so im Arm zu haben. Zuerst hatte er kurz befürchtet, sie würde sich nicht so ganz einfach von ihm an sich ziehen lassen. Aber scheinbar war es für Viola zumindest so angenehm, dass sie nicht das Bedürfnis hatte, sich zurückzuziehen. Was Zin in die Dunkelheit lächeln ließ.

„Wie lange hast du mit deiner Großmutter zusammen hier gelebt?“, fragte er ruhig und ließ ihre Frage erst einmal beiseite. Dieses Thema schien sehr wichtig für Viola zu sein.

Es war Zin aufgefallen, dass sie immer wieder über ihre Omi sprach und was diese für eine tolle Frau gewesen war. Was sie alles getan und wie gut sie sich um ihre Enkelin gekümmert hatte. Zin konnte sich kaum vorstellen, wie lange es her sein mochte, dass Viola sie hatte gehen lassen müssen. So furchtbar lange konnte es wohl noch nicht her sein.

„Es hört sich so an, als wäre sie sehr nett gewesen.“
 

„Neun Jahre", war Violas von Gefühlen geschwängerte Antwort, ehe sie sich noch mehr an Zin kuschelte. Dass er ihr Halt und Schutz bot, rührte sie, auch wenn sie ihn nicht gebraucht hätte. Sie konnte sehr gut auf sich alleine aufpassen. Aber der Unterschied von blinder Sturheit und dezentem Zulassen war ihr sehr wohl bewusst. Weshalb sie sich auch nicht von ihm abwandte.

Er bot es ihr an und sie war nicht so dumm, es abzulehnen, selbst wenn sie wusste, dass sie mit diesen Dingen alleine fertig geworden war und es wieder würde. Vielleicht badete sie deshalb so intensiv in Zins Nähe.

„Ich kam mit zwölf zu ihr, da mein Vater mich nicht mehr bändigen konnte. Für Klapse auf dem Hintern war ich schon zu groß, und bloße Worte hatten bei mir keine Wirkung mehr. Als er mich dann beim Knutschen mit meinem ersten Freund erwischt hatte, war es endgültig vorbei. Er packte einfach meine ganzen Sachen und schickte mich zu einer mir bis dahin völlig fremden Frau - seiner Schwiegermutter.

Am Anfang kamen wir überhaupt nicht zurecht. Ich habe gegen alles rebelliert, was sie gesagt hat und auch nur, weil sie es gesagt hat. Ich musste immer das Gegenteil von dem tun, was sie mir sagte und bin oft tagelang nicht nach Hause gekommen. Sie hat mir ihre Sorge darüber allerdings nie gezeigt, sondern mich immer mit einem herzlichen Lächeln empfangen, obwohl ich in ihren Augen sah, dass ihr meistens nicht nach diesem Empfang war.

Ich versteh bis heute nicht, wie sie trotz meines Verhaltens hatte so nett sein können. Aber ich denke, genau das war es, was ich gebraucht habe. Keine Schimpftiraden, keinen Hausarrest und keine Strafen. Sie hat irgendwie gewusst, dass man mich nur noch wilder macht, je enger man meine Fesseln zuzieht und irgendwann, waren da überhaupt keine Fesseln mehr ihrerseits.“

Nun musste Viola wirklich lächeln.

„Meine Omi war eine sehr weise Frau. Ich kann mir kaum vorstellen, wie schwer es für sie gewesen sein muss, mir bei meinen Unglückstaten zuzusehen, aber sie war immer da, um mich wieder aufzubauen und irgendwann wurde ich dann aus meinen eigenen Erfahrungen schlauer und etwas ruhiger. Ich hab dann zumindest nicht mehr so oft auswärts geschlafen und oft meine freie Zeit mit ihr verbracht.“
 

„Ich kann mir vorstellen, dass es schwierig für euch beide war.“ Was nur ansatzweise der Wahrheit entsprach. Zin kannte es nicht anders, als eine große Familie zu haben, in der alle etwas zu sagen und die Verantwortung hatten die Kinder mit zu erziehen. Er hatte eine Mutter und einen Vater – natürlich – aber Zin hatte auch Tanten, Onkel, ältere Geschwister, und als er ein Teenager gewesen war, hatte er das Gefühl gehabt, unter all den guten Ratschlägen ersticken zu müssen. Das war auch seine Zeit gewesen, in der er immer wieder ausgebrochen und seiner eigenen Wege geschwommen war. Nicht immer in die richtige Richtung, manchmal direkt in echte Schwierigkeiten. Aber immer war mehr als ein Mitglied seiner Familie da gewesen, um ihn willkommen zu heißen, wenn er sich entschied, wieder zurückzukommen.

Daher war es schwierig für ihn, Violas Vater zu verstehen. Und auch die Beziehung zwischen den beiden Frauen, die sich zu Anfang nicht einmal gekannt hatten. Trotzdem war Blut wohl dicker als Wasser und ihre Omi genau das gewesen, was Viola gebraucht hatte.

Mit einem Lächeln versuchte Zin sich vorzustellen, welch ein Wildfang Viola gewesen sein musste. Immerhin war sie auch jetzt noch voller Energie und bestimmt kaum zu bändigen, wenn sie wusste, dass man ihr nicht als Halbinvalide gegenüberstand.

„Ich hätte sie gern kennengelernt. Es klingt so, als hättest du die starke Persönlichkeit ein bisschen von ihr.“
 

„Sie hätte dich auf alle Fälle gemocht", meinte Viola und war sich da absolut sicher, weil ihre Omi keine dieser rückständigen älteren Damen, sondern stets neugierig auf Neues war. Zin hätte sie total fasziniert, und während sie ihn mit Essen vollgestopft hätte, hätte er alles über sich erzählen müssen.

Zu Zins zweiten Satz konnte Viola allerdings zunächst gar nichts sagen, außer ihn nur lange ansehen, bis es fast peinlich wurde.

„Weißt du ...“, begann sie schließlich doch vorsichtig. „... du bist der Erste, der mir sagt, ich hätte etwas von meiner Omi. Alle anderen haben mich immer mit meiner Mutter verglichen. Dass ich genau wie sie sei. Dass ich die jüngere Ausführung von ihr wäre. Dass ich total nach ihr schlage usw. Immer wieder die gleichen Worte, nur anders gesagt.“

Viola senkte den Blick und auch ihren Puddinglöffel.

Mit ihrer Mutter verglichen zu werden, war die schlimmste Beleidigung, die man ihr an den Kopf werfen konnte. Und das hatte man viele Male getan.

Sie hätte sich mit Zähnen und Krallen gegen diesen Vorwurf gewehrt, wenn sie nicht tief in sich drin ein bisschen dran glauben würde, dass die anderen vielleicht doch damit recht hatten.
 

Er hätte wirklich ein Holzklotz sein müssen, um den Stimmungsumschwung nicht in der Magengrube zu spüren. Violas Stimme schwankte so deutlich, wie ihr Körper ein bisschen in Zins Umarmung zusammensank und sie leiser wurde, je mehr sie über ihre Mutter erzählte. Einen Menschen, den sie bis jetzt noch nie erwähnt hatte. Noch nicht einmal ansatzweise.

„Ich kenne deine Mutter nicht, daher kann ich nichts dazu sagen. Aber meiner Meinung nach bestimmt man zu einem großen Teil selbst, an wem man sich orientiert. Und da du deine Großmutter sehr geliebt und sie respektiert hast ... wirst du dir bestimmt an ihr ein Vorbild genommen haben.“

Mit dem Arm, den er immer noch um sie geschlungen hatte, drückte er Viola einmal sanft.

„Ich jedenfalls kann sehr große Parallelen entdecken. Du bist fürsorglich, wie sie. Du kochst unheimlich gut und hast ein großes Herz. Also mach dir mal keine Sorgen. Deine Omi kann stolz auf dich sein und du auch.“
 

Einen Moment lang dachte sie über Zins Worte nach, ehe sie sich langsam von ihm löste, die Puddingschüssel ganz auf seinem Schoß verfrachtete und aufstand.

Sie schlich durchs Zimmer, während sie aus kleinen Verstecken überall Duftkerzen ans Licht oder eben ins Dämmerlicht beförderte und sie an ausgewählten Plätzen aufstellte.

Es war noch dunkel, als sie zu sprechen begann, doch während sie redete, wurde es allmählich immer heller.

„Du hast recht. Du kennst meine Mutter nicht. Sie hat mich und meinen Vater verlassen, als ich vier war. Für einen anderen Kerl. Hat einfach ihre Sachen gepackt und sich mitten in der Nacht hinaus geschlichen, um nie wieder zu kommen. Aber auch wenn ich noch klein war, so weiß ich doch noch ganz genau, wie es sich angefühlt hat, wenn sie in meiner Nähe war.

Sie roch nach unterschiedlichen Männern. Nur ganz selten nach meinem Vater, der ständig arbeitete. Wenn sie mich ansah, dann mit dieser gewissen unzufriedenen Gleichgültigkeit. Als wäre ich nichts weiter als ein unerwünschter Pickel, gegen den man sowieso nichts machen kann. Ich nehme stark an, dass das mit ihr und meinem Vater nur deshalb so lange gehalten hat, weil ich - der Unfall - sie dazu zwang. Sie ist auch der Grund, warum ich keine Kinder will. Allein bei dem Gedanken, ich könnte auch nur annähernd so wie sie werden ...“

Viola schüttelte es. Der Hass auf diese Frau saß sehr tief, aber zumindest wurde sie nicht mehr fuchsteufelswild, wenn sie über ihre Mutter sprach. Auch wenn sie sich immer noch erbärmlich dabei fühlte, wenn sie daran dachte, wie sie früher immer um die Aufmerksamkeit ihrer Mutter gebettelt hatte.

Nun, zumindest war das schon lange vorbei.

„Und jetzt erzähl mal. Was macht man bei euch, wenn man nicht grillen kann?“

Viola stellte die letzte Duftkerze in die Mitte des Couchtisches, wo sie ein kleines Fleckchen hatte freimachen können und schenkte Zin ein warmes Lächeln.

Nun, sie mochte vielleicht in einigen Dingen ihrer Mutter ähneln, aber zumindest hatte sie dieses eine Mal einen verteufelt guten Geschmack.
 

Zin sah zuerst im Halbdunkel ungefähr in die Richtung, in der er Violas Schatten erahnen konnte. Seine Augen mochten bei diesen Lichtverhältnissen nicht so schlecht sein, wie die eines Menschen. Aber er konnte trotzdem eher Schemen wahrnehmen und zuordnen, wie weit sich Gegenstände von ihm entfernt befanden. Dreidimensional sehen, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Der eben leider nicht zuließ, dass er Viola genauso gut betrachten konnte, als wäre es hell gewesen.

Ein wenig machte er sich Sorgen darüber, dass Violas Verhältnis zu ihrer Mutter sie so belastete. Immerhin war aus ihrer Stimme genauso gut zu hören, was an ihrer Körpersprache abzulesen war. Sie fühlte sich nicht wohl, wenn sie von dieser Frau sprach, die ihr eigenes Kind als ‚Unfall‘ angesehen hatte. Zwar war sich Zin nicht zu hundert Prozent sicher, dass Violas Gedächtnis sie nicht sogar schlimmer drangsalierte, als ihre Mutter es gekonnt hatte, aber es kam auf das gleiche Ergebnis. Nämlich auf einen Themenwechsel ihrerseits, den Zin annahm. So gut kannten sie sich nicht, dass er sich einmischen durfte, mit dem Ziel, dass es Viola besser ging. Natürlich würde er ihr gut zureden, wenn sie sich in ein Loch zog, aber das schien gerade nicht unbedingt der Fall zu sein. Zumindest hoffte er, ihr Lächeln richtig zu interpretieren.

„Komm wieder her ...“, verlangte er sanft und streckte Viola seine Arme entgegen, bevor er weiter sprach und versuchte, ihre Frage nicht so zu beantworten, dass sie sich vor der Wahrheit ekelte. Er hatte wahrlich Glück, dass sie kein normaler Mensch war. Sonst hätte er vermutlich so ziemlich alles an seinem Leben beschönigen müssen.

„Wir sind ziemlich viele, weißt du? An die hundert. Zumindest ... waren wir das.“ Vor der Explosion. „Jetzt weiß ich es nicht genau.“

Bevor seine Stimmung sinken konnte, konzentrierte er sich lieber darauf, was er Viola hatte erzählen wollen. Etwas Positives.

„Ich habe dir doch schon erzählt, dass wir in der Nähe eines sehr alten und großen Riffs leben. Einige der Korallenbänke sind so hoch, dass sie aus dem Wasser herausragen. Sand fängt sich daran, hat sich im Laufe der Jahre aufgeschichtet und kleine, flache Inseln hinterlassen. Nicht solche, wie diese hier, aber Sandbänke. Es ist schön dort, wenn es Abend wird und nicht mehr so heiß ist. Viele Mitglieder meines Schwarms treffen sich fast immer vor Einbruch der Nacht dort. Man unterhält sich, es wird zusammen gegessen. Eine Art ... Familientreffen.“
 

Viola kam wieder um den Couchtisch herum, nahm Zin die so gut wie leere Puddingschüssel ab und machte es sich nicht nur an seiner Brust, sondern wieder auf seinem Schoß gemütlich. Doch dieses Mal einfach nur, um sich für einen Moment an ihn zu kuscheln, ehe sie ihm verblüfft ins Gesicht sah.

„Wirklich, so viele? Erstaunlich. Du musst eine ganz schön fleißige Familie haben.“ Viola grinste und knuffte Zin sanft in den Bauch, während sie selbst zu verdrängen versuchte, dass vermutlich viele davon ... nicht mehr da waren.

Gott, es tat ihr so leid für Zin.

„Das ist dann wirklich ein riesiges Familientreffen. Hast du denn viele Geschwister? Ältere oder Jüngere? Geht man da als Einzelner nicht irgendwie unter?“
 

Mit einem breiten Grinsen blickte Zin Viola in die großen, blauen Augen und nickte. Das mit dem ‚fleißig‘ war für menschliche Verhältnisse bestimmt richtig. Andererseits war sein Schwarm nicht wirklich einer der Größten. Sogar eher klein, wenn er so darüber nachdachte.

„Ja, ich würde schon sagen, dass ich viele Geschwister habe. Fünf ältere Brüder, eine kleine Schwester.“

Ein Kloß wollte sich in seinem Hals bilden und sein Lächeln schwankte leicht, als er an sie dachte. Aber nicht nur deshalb, weil Zin nicht wusste, wie viele es ähnlich glimpflich wie er aus der Explosion geschafft hatten. Es ... brachte ihn zu dem Thema, das er heute noch gar nicht hatte ansprechen wollen. Und schon gar nicht, nach dem Kuss und dem ... mehr, das vorhin hier auf der Couch stattgefunden hatte.

Nein.

Zin beschloss, jetzt noch nicht daran zu denken. Es war ... noch Zeit.

„Und nein, für meinen Geschmack ging ich eigentlich immer zu wenig unter. Jüngster Sohn, immer nur Flausen im Kopf und für meine Brüder nie wirklich ernst zu nehmen. Der Älteste hat zehn Jahre Vorsprung vor mir. Ich glaube, er hat sich immer in der Rolle des Elternteils gefühlt, ob nun beabsichtigt, oder nicht.“

Zin zwinkerte leicht. „Wir kamen noch nie wirklich richtig gut klar.“
 

„Wow. So viele Geschwister kann ich mir gar nicht vorstellen.“

Das war Violas voller Ernst. Wenn sie bedachte, dass ihr Vater und ihre Omi schon eine von ihrer Sorte hatten aushalten müssen, wie mussten dann erst sechs davon sein? Vermutlich hätte ihr Vater sich dann schon längst die Kugel gegeben. Ihre Omi hingegen ... hätte sicher auch das auf die Reihe bekommen.

„Wie ist das eigentlich. Lebt ihr da alle eng auf einem Haufen, oder habt ihr da auch mehr ... Privatsphäre. Ich meine, so ein Riff kann ganz schöne Ausmaße annehmen, glaube ich, aber habt ihr da auch sowas wie ... keine Ahnung. Behausungen?

Viola fiel gerade nicht das richtige Wort dafür ein und vermutlich kannte sie es auch gar nicht. Zins Welt war so anders als ihre, das hinderte sie aber trotzdem nicht daran, mit seinen Brustmuskeln unter den Verbänden zu spielen und sie mit den Fingern nachzuzeichnen.

Unwillkürlich fragte sie sich, ob er wohl eine Freundin hatte. Vermutlich nicht, da er dann wohl sicher nicht so vertraut mit ihr sein würde und Zin nicht der Menschenschlag war, zu dem sie offenbar wohl oder übel gehörte. Trotzdem würde es sie interessieren. So wie alles von seinem Leben.
 

Ohne groß darüber nachzudenken, dass er Viola damit vielleicht unangenehme Gefühle bereitete, lachte Zin leise auf ihre Frage mit der ‚Behausung‘ hin. Es war nicht so, dass er sich durch diesen Ausdruck beleidigt fühlte, aber es hörte sich schon ein bisschen so an ...

„Wir leben leider nicht in einem Schloss aus Muscheln, Perlen und längst vergessenen Schätzen gesunkener Schiffe, wenn du das meinst. Aber ein Stück des Zeichentrickfilms habe ich einmal gesehen.“

Das stimmte. Bei seinem Ausflug in die Stadt hatte er ein Mädchen getroffen, die ihm den Film gezeigt hatte. Auf einem kleinen Bildschirm in einem Laden voller Spielzeuge.

Zin musste lächeln bei dem Gedanken an das Mädchen. Sie hatte ihn nach seinen Schwimmhäuten gefragt und ob er vielleicht Arielle kenne. Niemandem sonst war seine Andersartigkeit aufgefallen. Kein Erwachsener hatte die Zeit gehabt, einem Fremden ins Gesicht, geschweige denn auf die Hände zu sehen.

„Aber ja ...“ Wieder, als würden sie ihn magisch anziehen, hatten es Zin Violas Haare angetan. Er spielte mit einer der dicken dunklen Strähnen und versuchte Viola zu erklären, wie er lebte. Dort ... wo er herkam.

„Wir leben in unterschiedlichen Teilen des Riffs. Teilweise im Riff selbst, aber die meisten von uns in einer Höhle, nicht weit davon entfernt. Es gibt einen alten Vulkankegel, der von innen ziemlich durchlöchert ist. Teilweise geflutet, teilweise auch mit Luft gefüllt. Ich habe dort auch einen Raum für mich allein.“

Er hätte es ihr gern gezeigt. Nicht unbedingt seine kleine Höhle, aber doch ... sein Zuhause. Aber dazu würde es wohl nie kommen. Wo Viola ... Wasser doch so verabscheute.
 

„Würde bei dir auch so 'ne rothaarige Arielle herumschwimmen, müsste ich auch ganz schön eifersüchtig sein.“

Viola grinste verhalten, ehe sie Zin einen kleinen Kuss auf die Lippen hauchte und ihn weitererzählen ließ. Was gar nicht so einfach war. Schließlich machte dieser kleine Kuss schon wieder Lust auf mehr. Zwar nicht so viel mehr, wie es bei ihr sonst so üblich war, aber Zin zu küssen war einfach schön. Das konnte sie gar nicht leugnen.

Nach Zins Erzählungen lebte er in einer für Viola so unbekannten Welt, wie sie es sich nur vorstellen konnte. Er könnte ihr genauso gut erzählen, er käme vom Mond und sie würde ihm das glauben müssen. Denn genauso unerreichbar schien ihr seine Heimat zu sein.

Es war ja nicht nur ihre Wasserphobie, sondern auch ihre ganze Anatomie. Sie könnte all die Dinge niemals sehen, weil sie unter Wasser nicht atmen konnte.

Klar, es gäbe noch Taucherausrüstung und das alles, aber damit kannte sie sich überhaupt nicht aus und so etwas musste man auch erst einmal auftreiben. So weit Viola wusste, war so etwas teuer, es sei denn, man begleitete einen Tauchkurs und schwamm brav hinter dem Lehrer her.

Ach ja, das brachte sie gleich zum nächsten Problem ...

Viola konnte nicht schwimmen.

Mit einem unterdrückten Riesenseufzer schmiegte sie sich schließlich an Zin, weil es sie beruhigte, wenn er so ihr Haar streichelte und sie ihn so dicht bei sich spürte. Irgendwie schien dann die Welt da draußen ein bisschen von ihr abzurücken. Sie bekam noch nicht einmal wirklich das Unwetter mit, obwohl es wohl gerade direkt über ihnen tobte.

„Warum muss nur immer alles so kompliziert sein?“, dachte sie bei sich, merkte aber nicht, dass sie es laut ausgesprochen hatte.

Stattdessen kuschelte sie ihren Kopf an Zins Halsbeuge und streichelte weiter über seine Brust, während sie mit geschlossenen Augen tief seinen herrlichen Duft in sich aufnahm.

Sie könnte ihn wirklich mit Haut und Haar fressen.
 

„Ich weiß nicht", antwortete er sehr leise und nachdenklich. Denn dass Viola dasselbe meinte, wie er sich dachte, war für Zin klar. Selbst eine Freundschaft zwischen ihnen beiden würde schwierig werden. Geschweige denn ... etwas mehr als das. Sehr viel mehr, wenn es nach Zin ging.

Ein wenig hob er seinen Kopf und wandte sich Viola so zu, dass er ihr Profil sehen konnte. Vorsichtig und sanft streichelte er mit seinen Fingern über ihre Wange und gab ihr dann einen Kuss auf die warme Stirn.

„Angeblich ist es so, weil das Leben sonst langweilig wäre", meinte er lächelnd. Dabei konnte er sich wegen Langeweile bestimmt nicht beschweren. Schon gar nicht, wenn Viola auch nur in der Nähe war.
 

Bei Zins zartem Kuss musste Viola lächeln und sie öffnete die Augen, um ihn ansehen zu können.

„Also langweilig war mir in letzter Zeit nie.“

Sie hob ihre Hand an Zins Wange, zeichnete mit ihrem Daumen seine Unterlippe nach und küsste ihn dann ebenso sanft auf seinen Mund zurück.

Wie schon vorhin reichte ihr der kleine Kuss nicht. Es war lediglich ein Vorgeschmack und als würde sie das nur zu genau wissen, schmiegten sich ihre Lippen beim zweiten Kuss schon ein bisschen enger an seinen Mund.

Zärtlich und voller Genuss aber ohne Eile sog sie an seiner Unterlippe, knabberte sich von einem Mundwinkel zum anderen und streichelte seine Lippen mit den ihren. Viola strich auch an seinem Kinn entlang, stupste mit ihrer Nasenspitze an seiner und lächelte immer wieder, wenn sich ihre Blicke ab und zu begegneten, doch meistens flatterten ihre Lider nur einmal kurz auf, um dann wieder das Gefühl genießend, geschlossen zu werden.

„Mhmm ... Du schmeckst so gut, wie du duftest", hauchte sie gegen seine Lippen und leckte mit ihrer Zungenspitze neckisch an ihnen.

„Und das will schon was heißen.“
 

„Dann muss ich wohl wirklich aufpassen, dass du mich nicht irgendwann aus Versehen anknabberst, hm?“

Anstatt auf eine Antwort auf seine scherzhaft gemeinte Frage zu warten, schlang Zin seine Arme neu um Violas Körper, zog sie noch enger an sich und umarmte sie zuerst kurz und fest, bevor er in ihr überraschtes Gesicht sah und ihr dann einen Kuss gab. Die Berührung dehnte sich, ließ Zin darin versinken und war doch viel zu schnell wieder vorbei, als er sich von Viola lösen musste, um etwas Sauerstoff in seine Lungen zu lassen und gleichzeitig den fast schon klammernden Griff um sie zu lockern. So tat er sich bei ihr bestimmt keinen Gefallen.

„Sag mal, was würdest du von einem unmoralischen Angebot meinerseits halten?“
 

Es gefiel ihr.

Es gefiel ihr sogar sehr, wie Zin sie festhielt. So besitzergreifend und einnehmend. Ja, genau so wollte sie von ihm gehalten werden, denn dann könnte sie glauben, dass das hier noch länger andauern würde. Zumindest wollte sie es glauben.

Als Zin ihr dann doch wieder Luft zum Atmen ließ und ihr diese merkwürdige Frage stellte, sah sie ihn für einen Moment nachdenklich an, ehe sich ihr Lächeln zu einem breiten Grinsen verzog.

„Hm ... Sex gegen Bezahlung ... Das muss aber 'ne verdammt gute Bezahlung sein", scherzte nun sie weiter und stibitzte sich einen Kuss von Zins Lippen.

„Oder meinst du ein anderes unmoralisches Angebot, als das aus dem gleichnamigen Film?“
 

Sie schaffte es doch immer wieder, dass Zin sich fast an seiner eigenen Atemluft verschluckte und Viola so entgeistert ansah, dass er wie ein Trampel wirken musste.

Nein, natürlich hatte er nicht Sex gegen Bezahlung gemeint. Und den Film kannte er auch nicht. Aber da das nicht das gewesen war, was er hatte vorschlagen wollen, räusperte sich Zin lediglich ein bisschen betroffen.

Er konnte zwar nicht sagen, ob Viola so ein Angebot besser gefunden hätte, aber in jedem Fall wirkte das, was er eigentlich hatte sagen wollen, dagegen absolut langweilig.

„Nein ... keinen Sex.“ Schon gar nicht gegen Bezahlung.

Zin holte tief Luft, seine Arme immer noch um Viola geschlungen und versuchte ein bisschen selbstsicher zu lächeln. Mehr als nein sagen konnte sie sowieso nicht.

„Aber ich dachte ... es wäre vielleicht nett, wenn wir heute trotzdem die Nacht zusammen verbringen könnten.“

Interessiert an ihrer Reaktion, verfolgte Zin jede Veränderung in Violas Miene. Im schlimmsten Fall würde sie ihn auslachen. Aber für die winzige Chance, dass sie ja sagte, wollte er die Frage trotzdem riskieren.

„Auf der Couch oder ... in einem Bett. Ist mir egal. Aber ...“ Er schmiegte seine Wange an ihre und schloss die Augen, bevor er leise in Violas Ohr flüsterte. „Ich würde die Nacht gern mit dir in meinen Armen verbringen.“
 

Er wollte ... was?

Viola starrte Zin für einen Moment ausdruckslos an, während langsam ihre Augenbrauen in die Höhe wanderten, je mehr seine Nachricht bei ihr ankam.

Es war ja an sich nicht ungewöhnlich für sie, die Nacht mit einem Mann zu verbringen, nur lief das ziemlich sicher ganz anders ab, als so wie Zin es gerade meinte.

Hatte sie denn überhaupt schon mal so etwas gemacht, ohne vorher mit einem Mann intim gewesen zu sein?

So schlimm es langsam auch war, Viola konnte sich nicht daran erinnern. Daher stellte seine Frage eine kleine Herausforderung für sie dar.

Als er ihr jedoch noch deutlicher sein Angebot ins Ohr flüsterte, wurde ihr ganz anders. Mit einem Schlag war da wieder das intensive Kribbeln in ihrem Bauch, das Blut rauschte in ihren Ohren und sie wusste kurz nicht, was sie darauf sagen sollte. Sie ... freute sich ... irgendwie total wie blöde darüber.

Fest schlang Viola ihre Arme um Zins Nacken und umarmte ihn lange und eindringlich. Auch sie konnte verdammt besitzergreifend sein.

„Ja. Darauf hätte ich große Lust", war ihre geflüsterte Antwort direkt an der Stelle unterhalb seines Ohrläppchens. Sie sah ihn wieder an.

„Wir könnten doch die kleine Pyjamaparty in mein Zimmer verlegen. Ist zwar ein bisschen unordentlich dort, aber du hast mein Zimmer ja, glaube ich, ohnehin noch nie gesehen.“ Bei all den Klamotten die dort verstreut herumlagen kein Wunder. Unter normalen Umständen ließ sie dort niemanden rein. Aber zumindest hatte mit ihr dort noch nie ein Mann die Nacht verbracht. Okay, sie war schon mehrmals mit einem dort Zugange gewesen, aber die waren alle immer schon weg gewesen, ehe der Morgen gegraut hatte. Mit Zin wäre das also sozusagen eine Premiere. Kein Sex, dafür seine Nähe die ganze Nacht lang.

Das klang fast zu schön, um wahr zu sein. Zumindest fühlte es sich unheimlich gut an, wenn sie nur daran dachte.

„Sollen wir uns dann schon mal bettfertig machen?“
 

War das etwa ... ein ‚Ja‘?

Violas warmer Atem und ihre Worte kribbelten immer noch unter seinem Ohrläppchen und Zin merkte nur nebenbei, wie unheimlich doof er bei dieser Erkenntnis grinste, bis er sich wieder einigermaßen im Griff hatte.

Aber es war doch auch irgendwie eine große Sache.

Nicht nur, dass Viola die Nacht mit ihm verbringen wollte, nein, sie hatte gesagt, sie habe ‚große Lust‘ dazu. Es war also nicht nur so etwas wie ein Mitleids-‚ja‘, sondern ein Echtes. Ein gewolltes und so gemeintes Ja. Etwas, über das er sich wirklich so sehr freuen durfte, wie er es gerade tat.

„Nein, habe ich nicht. Selbst wenn ich hätte spionieren wollen, während du arbeiten warst ... war mir die Treppe bis jetzt immer im Weg.“

Viola würde auch jetzt noch etwas Geduld mit ihm haben müssen, wenn er ihr in den ersten Stock folgen sollte. Aber das machte nichts. Zin würde die Zähne zusammenbeißen und sich mit den Zähnen nach oben ziehen, wenn es sein musste und bedeutete, dass er in dieser Nacht neben Viola einschlafen durfte!

„In Ordnung, dann ...“ Noch einmal drückte er sie an sich, küsste ihren Scheitel, ihre Stirn, ihre unheimlich süße Nase hinab und schließlich ihre Lippen, bis er sich Minuten später erst von ihr lösen und sie anstrahlen konnte.

„Dann nichts wie Zähne putzen und dann ... sehen wir uns bei dir.“

Und bei allen Weltmeeren, heute würde Zin das erste Mal in seinem Leben Unterwäsche zum Schlafen tragen!
 

Wären Männer doch immer so leicht zu handhaben, wenn Zin schon eine einzige Treppe davon abhalten konnte, etwas zu tun. Aber um ehrlich zu sein, Viola hätte es ihm sowieso nicht zugetraut, dass er bei ihr spionierte und selbst wenn ihm danach gewesen wäre, er hätte nichts Interessantes gefunden.

Klar hatte sie auch ein paar Sachen im Schrank, die man nicht gleich jedem zeigte. Aber das würde höchstens dem Finder peinlich werden, sicherlich nicht ihr.

„Okay, dann bis gleich.“

Viola gab Zin noch einmal einen dicken Kuss auf die Lippen, ehe sie es endlich schaffte, von seinem Schoß zu rutschen und aufzustehen. Für Zin ließ sie die Kerzen stehen, sie selbst brauchte kein Licht, um bei den Verhältnissen etwas zu sehen, also flitzte sie rasch die Treppe hoch in ihr notdürftig eingerichtetes Zweitbad, das aber immer noch einfach nur ein kleines WC mit Waschbecken war. Für ihre Katzenwäsche reichte es jedoch vollkommen aus.

Rasch bürstete sie sich dann auch noch schnell die Haare aus, putzte sich die Zähne und lief nackt über den Flur, doch zuvor hatte sie noch gelauscht, ob Zin vielleicht schon auf dem Weg hierher war. Ihr blieb aber noch Zeit, sich schnell ein frisches Höschen in schlichtem Schwarz mit Spitze dran und ein knappes Spagettitop anzuziehen. Normalerweise schlief sie ohne Oberbekleidung, aber da Zin heute bei ihr schlafen würde, musste sie wohl einfach eine Ausnahme machen. So lange, bis es nicht mehr nötig sein würde.

Als Viola fix und fertig hergerichtet auf dem oberen Treppenansatz auf Zin wartete, fragte sie sich, was da vorhin eigentlich auf der Couch mit ihr los gewesen war.

Zin sah nicht nur unglaublich gut aus, er wusste auch, was ihre zweite Natur war und sie fühlte sich wohl bei ihm. Eigentlich die perfekte Kombination um sich bei ihm vollkommen gehen lassen zu können. Nur dass sich allein bei dem Gedanken, sie könnten Sex haben, ein Knoten in ihrem Bauch bildete.

Viola konnte es sich einfach nicht erklären. Sie küsste ihn doch auch so unheimlich gerne und ließ sich voller Genuss von ihm berühren. Was also stimmte nicht mit ihr? Vielleicht war es auch nur bloße Einbildung gewesen ...

Ja, das war es wohl.

16. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

17. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

18. Kapitel

Es war schon merkwürdig, am Morgen aufzuwachen, die eindeutige Entspannung im eigenen Körper zu spüren, die Zufriedenheit, die man nach einer solchen Nacht empfand und dann ganz genau zu wissen, wo man war und mit wem.

Viola war es schon des Öfteren passiert, dass sie das nicht auf Anhieb gewusst hatte. Ein Grund mehr, danach ins eigene Bett zu verschwinden, anstatt zu bleiben. Aber dieses Mal ... wusste sie auch schon so, welche Hand sie da umschlungen hielt, ohne auch nur die Augen zu öffnen.

Viola wusste, wessen Atem da über ihren Nacken streichelte, welche kühle Haut sich da an ihren nackten Rücken schmiegte und wem der Arm gehörte, der sie so sanft aber energisch festhielt.

Sofort erschien mit Zins Namen in ihren Gedanken ein glückliches Lächeln auf ihren Lippen, ehe sie in die Stille horchte und nur den Herzschlag neben sich und das Meer rauschen hören konnte.

Langsam und träge öffnete Viola ihre Augen. Der Sturm war vorbei und sanftes Sonnenlicht fiel durch die Ritzen der Fensterbalken.

Es war noch angenehm kühl im Raum und die Feuchtigkeit des Regens konnte man fast auf der Zunge schmecken.

Sie lockte Viola, und als eine der wenigen Arten von Nässe die sie mochte, konnte sie sich diesem Drang nicht entziehen.

Langsam, damit sie Zin nicht aufweckte, zog sie seinen Arm von sich und schlüpfte unter der Decke hervor, um auf nackten Sohlen um die Wäschehäufchen herumzuschleichen, direkt auf das Fenster zu.

Da das Haus alt, die Fenster dank eines Taifuns vor etlichen Jahren aber neu waren, war es Viola möglich, es leise zu öffnen. Dann klappte sie die Balken zur Seite und schloss genießerisch die Augen. Herrliches Sonnenlicht kitzelte ihre Haut, während sich der Morgendunst wie eine sanfte Liebkosung ebenfalls darauf legte.

Ja, diese Art von Feuchtigkeit mochte sie auf alle Fälle und so sehr sie Regen verabscheute, der Duft von nasser Walderde und Meersalz würde ihr immer das Gefühl von Heimat vermitteln.

Genießerisch reckte Viola ihre Glieder und konnte gar nicht mehr aufhören zu lächeln.

Mann, wenn es Glück zum Abfüllen in Gläsern gebe, hätte sie jetzt einen ganzen Vorrat für die nächsten paar Monate!
 

Dass die Lichtverhältnisse sich änderten und kühle Luft ins Zimmer floss, weckte ihn auf. Es war natürlicher Instinkt, gepaart mit einer lebenslangen Erfahrung. Wenn sich etwas änderte, sollte man auf der Hut sein. Und die Licht- und Temperaturverhältnisse waren nicht das Einzige, was anders war. Außerdem war da ... Ein Wohlfühlfaktor fehlte. Und das in dramatischen Ausmaßen! Zin gab ein Klicken des Unmuts von sich und öffnete dann die Augen, um sich umzusehen.

Er erkannte den Raum und wusste, wo er sich befand. Allerdings sah bei Tageslicht doch alles ein wenig anders aus. Wenn auch nicht weniger ... unordentlich.

Ein breites Lächeln schlich sich auf Zins Lippen und er stemmte sich umständlich in den Kissen hoch, so dass er seitlich fast aufrecht saß und Violas nackten Körper vor dem Fenster betrachten konnte.

„Gut, dass du keine Nachbarn hast ...“, meinte er mit noch leicht belegter Stimme und blinzelte ihr zu, als Viola sich umwandte.

„Ich müsste deine Blöße mit meinen Händen bedecken, weißt du.“ Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. „Aber das Opfer würde ich bringen. Für dich.“

Mit einem unterdrückten Stöhnen, da sein Rücken ihn am Morgen immer besonders herumkommandierte, stellte er seine Füße neben dem Bett auf den Boden, schob die Decke vollkommen beiseite und stand auf, um zu Viola hinüber zum Fenster zu gehen.

Zin legte seine Hände nicht an die Stellen, von denen er sehr wohl der Meinung war, dass kein Nachbar sie sehen sollte. Stattdessen nahm er ihr Gesicht und küsste sie sanft, aber innig, bevor er sie in die Arme nahm.

„Guten Morgen.“
 

„Hmm ... Dann ist es ja direkt schade, dass ich keine Nachbarn habe“, konterte Viola und machte einen Schritt auf Zin zu. Im Gegensatz zu ihr sah er unglaublich gut aus, wenn auch noch etwas verschlafen. Aber ihm standen wenigstens nicht die Haare in allen Richtungen ab. Nur war ihr das momentan auch ziemlich egal. Sie musste einfach diesen hinreißenden Mann küssen und sich an ihn schmiegen.

„Dir auch einen guten Morgen“, nuschelte sie gegen seine Lippen, ehe Viola seinen Mund wieder voll und ganz in Beschlag nahm.

Gott, von dem Kerl konnte sie einfach nicht genug kriegen!

Die Hände auf seinen festen Pobacken bewiesen das, genauso wie die Art, in der sie sich an ihn schmiegte.

Doch dann ließ sie doch mit einem Lächeln von seinen Lippen ab.
 

Über Violas Aussage schmunzelnd versuchte Zin sich nicht über die Tatsache zu wundern, dass sie einfach ihre Hände auf seinen Po legte und noch dazu so aussah, als würde sie das genießen. Es gab wirklich ... enorme Unterschiede, zwischen ihr und den Meerfrauen, die er gewohnt war. Allerdings ... hätte Zin sich an die Unterschiede durchaus gewöhnen können. Wie schon gesagt ... er würde Einiges an Opfern bringen. Vor allem, wenn sie dieser Art waren.

Daher war es eine zwar dumme, aber für ihn trotzdem logische Reaktion darauf, dass Viola sich zurückzuziehen begann. Zin hatte so schnell die Arme um sie geschlungen, dass er gar nicht so genau mitbekam, was er da eigentlich machte. Da hatte er sie schon hochgehoben, sie wieder mit geschlossenen Augen geküsst und sie anschließend wieder auf ihre Füße gestellt.

Sein Rücken brannte. Aber das war nicht der Grund, warum er etwas entschuldigend grinsend aus der Wäsche schaute. Herrgott, er verhielt sich ja wie eine junge, verknallte Flunder!

Zum Glück lenkte Viola ihn etwas von seinem Übermut ab, als sie fragte: „Lust auf Frühstück?“

„Ja, sehr gern. Frühstück klingt gut.“
 

Einen Moment lang, freute Viola sich über Zins spontane Reaktion, doch im nächsten Augenblick war da einfach nur noch Sorge, ob ihm sowas nicht zu viel war.

Eigentlich machte sie sich ständig Sorgen wegen Kleinigkeiten und sie fragte sich allmählich wirklich, ob das irgendwann aufhören würde, doch dann sah sie in Zins Gesicht und war sich mit einem Schlag sehr deutlich bewusst, dass das nicht der Fall war.

Dafür mochte sie ihn einfach zu gerne.

„Gut, dann mach dich mal auf ein üppiges Mahl gefasst. Ich bin nämlich verdammt hungrig.“ Und daran war Zin nicht ganz unbeteiligt.

Viola nahm seine Hand und führte ihn nackt wie Gott sie beide schuf die Treppe hinunter in die Wohnküche. Erst dort fischte sie sich ihren Morgenmantel von einer der Stuhllehnen und zog ihn sich über.

„Macht es dir was aus, die Balken zu öffnen, während ich uns was zubereite? Die Sonnenanbeterin in mir lechzt nämlich schon nach ihrer täglichen Dosis.“

Das tat sie immer. Besonders nach einer stürmischen Nacht. Wobei diese hier auch verdammt toll gewesen war.

Während Viola den Kühlschrank öffnete, um alles für das Frühstück herauszuholen, schenkte sie Zin noch einmal einen genüsslichen Seitenblick und ließ keinen Zentimeter seiner Haut aus.

Bevor ihr jedoch die Idee kommen konnte, dass sie zum Frühstück doch lieber Appetit auf etwas anderes als Eier und gebratenen Speck hatte, wandte sie ihren Blick von ihm ab.

Vielleicht später. Nun, wenn es nach ihr ging, konnte man das 'Vielleicht' sogar aus dem Gedanken wegstreichen.
 

Bevor Zin sich um die Fenster kümmerte, drehte er Viola seine Rückenansicht zu und tat das, zu was er schon den ganzen Weg aus ihrem Schlafzimmer hier hinunter das Bedürfnis gehabt hatte. Mit einer kurzen, bereits automatisierten Bewegung, verstaute er sein bestes Stück wieder in der dafür vorgesehenen Hautfalte, streckte sich anschließend einmal und beschloss sich erst einmal waschen zu gehen, nachdem er Violas Wunsch entsprochen hatte. Schließlich konnte er nicht so ... angeschmutzt mit ihr am Frühstückstisch sitzen.

„Weißt du ... eigentlich finde ich das faszinierend. Dass du in der Sonne liegen so gern hast und ich nicht unbedingt sehr gut beraten bin, das auch zu tun.“

Zin schob den ersten Riegel auf und öffnete die Fenster weit, sodass das erwünschte Sonnenlicht und die Morgenluft auch in diesen Raum fluten konnten. Der Duft eines vorbei gezogenen Gewitters hatte wirklich etwas Schönes an sich. Abenteuerlich, aber doch sicher ... Und das Meer, das noch immer aufgewühlt, aber schon wieder angenehm beruhigt war, schien mit einem Mal noch viel anziehender. Vor allem, wenn es heute richtig heiß wurde. Zin könnte ja ... Während Viola am Strand ihrer Sonnenlust frönte ...

„Ich werde nachher einmal meine Kiemen ausprobieren", meinte er gelassen, aber mit einer gewissen Vorfreude in der Stimme, die er nicht unterdrücken konnte.
 

Viola lächelte leicht, während sie eine große Pfanne auf den Herd stellte und sie warmlaufen ließ, ehe sie Fett dazugab.

„Nun, wir können es ja so machen. Ich liege für dich in der Sonne und du gehst für mich eine Runde schwimmen.“

Auch wenn sie sich etwas unsicher war, ob Zin sich bereits gut genug dafür fühlte. Doch das konnte nur er beantworten, weshalb sie nichts sagen würde.

„Ich bin ohnehin dafür, dass wir wieder einmal einen Blick unter deine Verbände werfen. Wer weiß, vielleicht kann ich dir heute schon die Fäden ziehen.“

Sie klopfte gekonnt mit einer Hand ein Ei nach dem anderen in die Pfanne, ehe sie noch einen Topf für die Milch aufstellte, um sie aufzuwärmen.

Danach verfrachtete sie noch eine Ladung Toast nach der anderen in den Toaster. Zum Glück war der Strom wieder da, und da ihre Stereoanlage dann automatisch auf Standby ging, wurden sie auch nicht davon gestört.

Ja, alles in allem war es ein wunderbarer Morgen.

Als sie den Speck fertig gebrutzelt hatte, war schon der Esstisch gedeckt und alles für das Frühstück vorbereitet. Fehlte eigentlich nur noch Zin, der nach einer Weile verschwunden war. Dafür hatte sich Flocke wieder einmal blickenlassen und verlangte lautstark nach Nahrung und Aufmerksamkeit.

Das Erste bekam sie sofort, das Zweite erst, nachdem Viola den Speck noch auf zwei Teller verteilt und an den Esstisch gebracht hatte. Danach nahm sie Flocke auf den Arm und streichelte sie einmal ausgiebig von oben bis unten durch.

Ihre Süße hatte das Unwetter wohl ebenso gut überstanden, wie sie selbst. Wenn auch sicherlich nicht ganz so ... genussvoll.
 

Frisch gewaschen kam Zin aus dem Bad, fischte auf dem Weg das Shirt auf, das er gestern getragen hatte, und hängte es in einer nebensächlichen Bewegung über die Lehne der Couch, bevor er mit einem begeisterten Lächeln in die duftende Luft schnupperte.

„Das riecht absolut lecker. Wieder Ei und ... Speck.“

Ohne groß darüber nachzudenken, ob es wohl eine der Damen erschrecken könnte, umarmte Zin Viola von hinten, küsste sie auf die Schulter und dann sanft auf den Hals, bevor er auf Flocke hinunter sah und auch ihr einen guten Morgen wünschte.

„Ich hoffe, du bist mir nicht böse, Flöckchen. Aber als mir Viola deinen Platz angeboten hat, konnte ich einfach nicht 'nein' sagen.“

Immer noch mit diesem gewissen Lächeln auf den Lippen zog er für Viola einen Stuhl heraus, ließ sie sich setzen und suchte sich dann seinen Platz, bevor er die Wasserflasche zur Hand nahm und ihr einschenkte.
 

Es knisterte durch ihren ganzen Körper und nicht nur an der Stelle, wo Zin sie am Hals küsste. Ein Gefühl, das sie beinahe dazu zwang, genussvoll die Augen zu schließen und einfach nur vor Wonne zu schnurren. Doch Viola konnte sich noch zusammenreißen und zeigte ihr Wohlbehagen in einem warmen Lächeln.

„Ach, sie ist eher böse auf mich, weil ich ihr ihren Platz streitig gemacht habe. Sie hat dich nämlich merkwürdig schnell in ihr Herz geschlossen. Ich glaube, du bist ein Katzenflüsterer.“

Das letzte Wort hatte sie mit einem ganz bestimmten Blick untermalt, der bedeutete, dass es hier nicht nur um Flocke ging. Auch sie war sehr von Zin angetan, vor allem über seine Manieren.

Gemütlich setzte sie sich auf den Stuhl, den er ihr anbot, nachdem sie Flocke auf den Boden gesetzt hatte, und zog ein Bein hoch an ihre Brust. Normal sitzen war etwas, das sie noch nie gerne getan hatte, wenn es nicht unbedingt sein musste.
 

„Um auf vorhin zurückzukommen. Ich denke schon, dass ich Glück haben könnte, was die Nähte angeht. Meine Selbstheilungskräfte sind besser, als die von Menschen. Nicht ganz so gut, wie bei euch Wandlern, aber das mit den Fäden dürfte hoffentlich schon gehen.“

Violas Augenbrauen verzogen sich überlegend. „Wir werden es nachher ja sehen. Ansonsten packe ich dich noch einmal ein wie eine Mumie.“

Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln.

Zin schnupperte noch einmal an dem Essen, das so verführerisch auf seinem Teller duftete, und betrachtete dann doch noch eine Weile Violas Gesicht. Am liebsten hätte er sich ständig zu ihr hinüber gelehnt und sie geküsst. Einfach nur, damit dieser Zauber länger bestehen blieb. Dass sie nicht herausgerissen wurden oder sich die Situation einfach verflüchtigte. Wenn Zin dagegen etwas tun konnte, dann würde er es auch. Es sollte nicht einfach ... vergehen.

Genau aus diesem Grund legte er auch seine Hand an Violas Wange, lehnte sich zu ihr und küsste sie sanft mit geschlossenen Augen. Länger, als nur ein freundschaftlicher Kuss oder etwas, das alles Mögliche hätte bedeuten können. Denn das war es nicht. Dafür knisterte es viel zu sehr auf seinen Lippen.

Er lächelte viel zu zufrieden, selbst nachdem er sich wieder von ihr gelöst hatte.
 

Eigentlich hatte Viola vorgehabt, das Besteck zur Hand zu nehmen und zu essen, doch Zins Blick auf ihr ließ sie innehalten und zu ihm hinübersehen.

Als sie ihn gerade fragen wollte, ob sie etwas auf der Nase hätte oder sonst etwas Derartiges, das einen so intensiven Blick verdiente, beugte er sich einfach zu ihr hinüber und küsste sie noch mal. Doch dieses Mal nicht einfach flüchtig, sondern so zart und gefühlvoll, dass sie das Essen vollkommen vergaß und stattdessen einfach noch ein bisschen mehr Schmetterlinge in ihrem Bauch produzierte, in dem sie seinen Kuss mit gleicher Intensität erwiderte.

Als sie sich dieses Mal voneinander lösten, flatterte ihr Herz aufgeregt und ihr wurde etwas heiß.

„Wir sollten essen, bevor es kalt wird und ich nicht doch noch etwas anderes zum Frühstück vernasche.“

Sie schenkte Zin ein eindeutiges Lächeln und nahm dann vorsichtig einen Bissen von ihrem Speck, der genau richtig kross gebraten war, so wie sie ihn mochte. Trotzdem schweifte ihr Blick immer wieder zu dem Mann hinüber, der da mit ihr am Tisch saß und obwohl sie nichts sehen konnte, erweckte gerade der Anschein von seiner Nacktheit neue Lust in ihr.
 

Er mochte es sich nur einbilden, aber Zin glaubte trotzdem so etwas wie einen leicht rosa Schimmer auf Violas Wangen zu erkennen, als er sich wieder von ihr löste, sich aber nicht sofort wieder ganz zurücklehnte. Dafür war die Wärme ihrer Haut einfach viel zu verführerisch und ihr Duft viel zu anziehend. Wenn er ehrlich war, hätte Zin sich am liebsten direkt neben sie gesetzt oder Viola auf seinen Schoß gezogen. Aber da das dann bestimmt tatsächlich in etwas Anderem als Frühstück geendet hätte, ließ er es bleiben. Schließlich war es auch so schon schwierig genug, seine Augen auf seinen Teller zu richten und nicht ständig die schöne Frau am selben Tisch anzustarren.

„Sollen wir dann nachher deine Hängematte mit an den Strand nehmen?“

Während Zin genießerisch auf einem kleinen Stückchen Speck herumkaute, das so ansprechend zwischen den Zähnen knusperte, überlegte er sich, dass das wirklich eine gute Idee wäre. Er konnte sich vorstellen, eine Runde zu schwimmen, sich dann mit Viola im Halbschatten in die Hängematte zu legen und den Tag mit Kuscheln und Knutschen zu verbringen. Ja, das konnte er sich sogar sehr gut vorstellen. Und wenn er das tat, zeichnete sich ein versonnenes, aber freudiges Lächeln auf seinen Zügen ab, das Zin selbst gar nicht wirklich registrierte.
 

„Oh ja, auf alle Fälle!“, stimmte Viola begeistert zu und machte sich dann über eines ihrer gebratenen Eier her.

„Aber es wäre nett, wenn du mir nachher auch den Rücken mit Sonnencreme einschmieren könntest. Da komme ich selbst immer so schwer ran und danach seh ich an der Stelle nicht nur gut durch aus, sondern pelle auch noch wie blöde ab.“
 

„Natürlich. Mache ich doch mit Vergnügen.“ Sehr großem Vergnügen sogar. Jetzt, da sich ein paar Sachen geklärt hatten und Zin nicht mehr durch Violas wunderschönen Körper hindurch oder auf seine eigenen Finger starren musste. Nach der vergangenen Nacht würde sie es ihm hoffentlich nicht übel nehmen, wenn er ihre Kurven auch betrachtete, während er Sonnencreme auf ihr verteilte. Wenn er es richtig bedachte ... vermutlich hatte Viola damit gestern sogar weniger ein Problem gehabt, als er selbst.
 

Viola nahm eine Toastscheibe zur Hand und bestrich sie sich dick mit Butter, ehe sie einen winzigen Klecks Erdbeerkonfitüre darauf strich und herzhaft hineinbiss.

Oh Mann! Sie kam tatsächlich viel zu selten dazu, einmal ausgiebig zu frühstücken. Kein Wunder, wenn sie die meiste Zeit bis Mittag schlief, und die Gesellschaft war auch wirklich ganz und gar nicht zu verachten.

„Bekommst du eigentlich einen Sonnenbrand oder bist du dann eher schon kurz vorm Ausdörren, bevor man es dir ansieht?“
 

„Nein, ich bekomme keinen Sonnenbrand", antwortete er seinen Erfahrungen gemäß. Denn es war ja nicht so, dass die UV-Strahlung durch Wasser sonderlich gebremst wurde. Da hätte sich seine Familie eigentlich jedes Mal eincremen müssen, wenn sie in tropischen Gewässern, nah an der Oberfläche unterwegs waren. Dieses Bild ließ Zin leise schmunzeln.

„Aber austrocknen kann ich wohl schneller als jeder Mensch. Allerdings denke ich, dass es mir vorher schon viel zu unangenehm werden würde, wenn es heiß und sonnig ist. Das mag ich einfach nicht besonders.“

Halbschatten war da viel eher was für Zin.
 

Viola lächelte breit.

„Gut. Dann genieß du, was ich nicht mag und ich genieße, was du nicht magst und dann treffen wir uns irgendwo in der Mitte.“

Ein weiteres Mal biss sie herzhaft von ihrem Toast ab, während sich in Violas Gedanken schon der Tag entfaltete.

Es würde ein guter Tag werden. Da war sie sich sicher.

Mit Zin an ihrer Seite ... wie könnte er da nicht gut werden?
 

***
 

„Hmm. Ich weiß, ich hab es schon hundertmal gedacht, aber jetzt muss ich es einfach einmal aussprechen.“

Viola strich über Zins nackte Schultern, während sie seinen Rücken betrachtete.

„Ich bin verdammt froh, dass du kein Mensch bist.“

Und das war ein Kompliment, wie es nur nichtmenschliche Wesen wie sie beide es verstehen konnten.

Da ihre Freude darüber, dass sein Rücken schon sehr viel besser aussah und sie ihm tatsächlich die Fäden ziehen konnte, so groß war, hauchte Viola einen langen Kuss auf Zins Nacken und schmiegte einen Moment ihre Wange daran.

Danach griff sie zu der vorbereiteten Pinzette und der Schere, um jeden einzelnen Faden aus Zins Rücken zu entfernen.

Es waren viele Stiche gewesen, daher brauchte sie auch entsprechend lange, aber als sie schließlich fertig war, bestrich sie die ehemaligen Nähte dick mit ihrer Kräutersalbe und tastete dann Zins Kiemen entlang.

„Die Creme ist übrigens relativ Wasserfest. Sie dürfte also auch eine Weile halten und ich denke nicht, dass dich deswegen jemand anknabbern wird. Na ja, vielleicht Vegetarier.“

Sie lachte leise, ehe sie wieder ernst wurde.

„Wie sieht’s mit deinen Kiemen aus? Alles klar so weit? Sie sehen zumindest nicht mehr so schlimm aus, wie am Anfang.“

Aber um ehrlich zu sein, Viola wusste gar nicht, wie sie im Normalfall aussehen sollten. Dafür hatte sie zu wenig Erfahrung mit Fischwesen. An der Anatomie von normalen Fischen wollte sie sich da jedenfalls nicht so einfach halten.
 

„Das Kompliment kann ich zurückgeben", meinte Zin zu der Aussage mit dem nichtmenschlichen Wesen und freute sich über Violas warme Lippen und ihre Wange an seinem Nacken. Allerdings währte diese Berührung viel zu kurz, bevor sich seine Retterin mit großer Emsigkeit über seine Nähte hermachte. Was zwar im Ganzen positiv war, sich aber während der Prozedur leider nicht immer so anfühlte. Im Gegensatz zum Anfangsstadium seiner Verletzung allerdings ein Kinderspiel.

Als Viola die Creme auftrug, wurde es auch wieder angenehmer. Jetzt, wo sie nichts mehr davon in offene Wunden bringen konnte, war Zin sogar nah daran, die Streicheleinheiten zu genießen, bevor er schließlich einen Arm hob und an seiner Seite entlang spähte, um Violas Frage beantworten zu können.

„Ich kann es nicht richtig sehen. Warte ...“

Es fühlte sich richtiggehend seltsam an, sich ohne die Verbände zu bewegen. Zins Körper hatte sich anscheinend so schnell daran gewöhnt, dass ihm etwas zu fehlen schien, als er aufstand, sich vor dem Schrankspiegel umdrehte und über seine Schulter sah.

Ein Kloß bildete sich in Zins Hals, kaum dass er das Desaster auf seinem Rücken einigermaßen überblicken konnte. Heilige Scheiße und da sagte Viola, das sah schon sehr viel besser aus?

Vorsichtig, als könnte das rosa Fleisch, das sich in Fetzen, Kerben und frischen Narben über seine Seite und vor allem die rechte Seite seines Rückens zog, aufplatzen, hob Zin den Arm. Zuerst auf Schulterhöhe, dann weiter hinauf.

Die Narben spannten zusehends und Zin biss die Zähne zusammen. Ihm wurde heiß und sein Puls raste ihm bis in die Trommelfelle. Was, wenn seine Kiemen vollkommen hinüberwaren? So, wie das aussah ... sollte er wohl damit rechnen.

Ein bisschen wich ihm die Farbe aus dem Gesicht, als Zin es wagte, seine Kieferkiemen zu öffnen und etwas Luft anzusaugen. Es ergab ein leicht röchelndes Geräusch, aber ...

„Mit Luft ... funktioniert es.“

Verdammt. Ja, das schon, aber seine Kiemen hatten sich nicht einmal aufgestellt. Nur die im oberen Bereich seines Brustkorbs, recht nah am Schulterblatt, wo sich kaum Narbengewebe über die Öffnungen zog.

Scheiße. Jetzt erstmal keine Panik. Selbst wenn er nur auf einer Seite atmen konnte ...

Seine Stimme klang leicht belegt. „Ich werde es einfach ausprobieren.“
 

Am liebsten hätte Viola ihn gewarnt oder Zin ganz davon abgehalten, sich das Desaster auf seinem Rücken jetzt schon anzusehen. Andererseits hätte ihre Weigerung ihn nur noch misstrauischer gemacht und er sah jetzt schon ziemlich ... schockiert aus.

Natürlich hatte er seine Gesichtszüge ziemlich gut unter Kontrolle, aber ihrer Nase entgingen die anderen Details keinesfalls. Genauso wenig sein Pupillenreflex.

Es klang nicht sehr optimistisch, als er davon sprach, dass es zumindest schon einmal mit Luft funktionierte und sein zweiter Satz kam nicht einmal mehr richtig bei ihr durch.

Violas Herz krampfte sich bei seinem belegten Tonfall zusammen und sie stand auf. Sanft nahm sie sein Gesicht in ihre Hände und drehte ihn vom Spiegel weg, bis er nur noch sie ansah.

„Gib ihnen Zeit, Zin. Wenn sich jemand einen Fuß bricht oder sonst irgendein schwerwiegender Eingriff in die Gesundheit stattfindet, brauchen sie alle Zeit. Dafür sind ja diese teuren Kuren und Rehabilitationszentren da.“

Viola hauchte ihm einen zärtlichen Kuss auf die Lippen, ehe sie ihre Arme um seinen Nacken schlang und sich an ihn schmiegte.

„Du hast deinen Körper ganz schön beleidigt. Nimm es ihm also nicht übel, wenn er ein bisschen braucht, um wieder in den Normalzustand zurückzukehren. Außerdem hat er schon großartige Arbeit geleistet. Menschen bräuchten Monate, um sich so schnell zu erholen, wie du.“

Und es machte ihr ganz bestimmt nichts aus, sich noch ein bisschen länger um Zin zu kümmern. Ihn noch ein bisschen länger bei sich zu behalten, für ihn zu kochen, mit ihm zu lachen, ihn zu küssen und sich von ihm küssen zu lassen. Aber allen voran, machte es ihr ganz und gar nichts aus, wenn er ihre heilige Ruhe störte und sie mit seiner angenehmen Anwesenheit erfüllte.

Außerdem, selbst wenn er nie wieder ganz gesund werden würde, wäre sie – die Besitzerin einer einäugigen, dreibeinigen Katze mit zerfetztem Ohr – die Letzte, die ihn als Invaliden behandeln und ihm die dementsprechende Reaktion entgegen bringen würde. Nur weil einem etwas fehlte, hieß das nicht, das man nicht doch noch ganz war. Viel mehr wurde man dadurch stärker.

Flocke war schließlich nicht umsonst immer noch die beste Mäusefängerin in diesem Haus. Trotz ihrer Einschränkungen.

„Komm. Ich zieh mir noch schnell den Bikini an und dann entlassen wir deine Kiemen einmal wieder in die Freiheit. Luft ist doch für jemanden wie dich kein Ersatz. Da wäre ich auch schwer beleidigt.“

Noch einmal küsste Viola ihn aufmunternd und schenkte ihm ein zuversichtliches Lächeln, das nichts ins Wanken bringen würde.

Sie glaubte an Zin. Sie konnte gar nicht anders.
 

Nachdem Viola aus dem Gästezimmer verschwunden war, warf Zin einen letzten Blick in den Spiegel. Diesmal betrachtete er nicht seinen vernarbten Rücken, sondern starrte sich selbst in die metallgrauen Augen. Eine Weile stand er dort, versunken in den Anblick, der sich ihm vor wenigen Minuten geboten hatte. Seine Augen brannten, sein Hals zog sich zusammen und seine Hände ballten sich so fest zu Fäusten, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

Viola hatte leider Unrecht.

„Nicht ich war es, der meinem Körper das angetan hat.“

19. Kapitel

Sie schlenderten den Weg von Violas Haus hinunter zum Strand. Zin hatte sich Surfershorts übergezogen und trug die zusammengerollte Hängematte, wie auch eine Kühltasche mit Getränken und etwas Knabberzeug. Was Viola für sich selbst brauchte, hatte sie in einer weiteren Tasche bei sich, was es möglich machte, dass Zin vorsichtig ihre Hand halten konnte, während sie auf das Meer zugingen.

Je näher sie kamen, desto aufgeregter vor Vorfreude schien sein Herz in seiner Brust zu springen. Zins Fußsohlen kribbelte und seine Schwimmhäute schienen beim bloßen Anblick des Wassers zu jucken.

Mein Gott, ihm lief im übertragenen Sinne das Wasser im Mund zusammen!

„Wo möchtest du die Hängematte hin haben?“, fragte Zin mit einem Lächeln und sah sich dabei nach einem möglichen Platz um, der Violas Ansprüchen genügen würde und trotzdem dafür geeignet war, dass sie später zusammen darin liegen konnten.

„Da drüben?“ Die beiden Palmen schienen geradezu perfekt. In einer halben Stunde würde die Sonne an den Punkt zwischen ihnen scheinen und etwas später, wenn das Licht wanderte, konnten sie im Halbschatten liegen.
 

Normalerweise war der Anblick des Meeres für Viola immer eine ganz besondere Mischung aus Aufregung, Verzückung und Angst.

Aufregend, weil es für sie so unbekannt und unberechenbar war, wie alles, was sie nicht näher erforschen konnte. Verzückung deshalb, weil es einfach wunderschön aussah, wenn die Sonne in dem türkisen Wasser glitzerte und Welle um Welle sanft an den Strand rauschte und sich wieder zurück zog. Angst ... nun, das musste sie wohl nicht näher erklären.

Es war ein ausgesprochen klarer Tag nach dem gestrigen Unwetter, aber das Meer hatte noch nicht ganz seine schöne Farbe zurückerlangt und auch die abgerissenen Palmwedel und das Treibgut, das am Strand entlang angespült worden war, versetzten dem normalerweise herrlichen Anblick einen düsteren Einschlag.

Violas Finger schlangen sich fester um Zins Hand, während sie mit ihm zum Strand ging.

Bei dem Gedanken, dass er in dieses Wasser gehen wollte und er sich auch noch, wie wild darauf freute, obwohl ihm genau dort etwas Schlimmes zugestoßen war, verursachte ihr eine Gänsehaut.

Es war seine Welt und nicht ihre. Trotzdem hatte sie auf einmal Angst um ihn.

Was, wenn er noch nicht in der Lage war, wieder zu schwimmen und zu tauchen? Was wenn dort draußen irgendeine Gefahr auf ihn lauerte und nur darauf wartete, ihn ihr wegzunehmen? Was wenn ihm etwas passierte, er das Bewusstsein verlor und von einer Strömung mitgerissen wurde?

Was, wenn er ertrinken sollte?!

Gerade als Viola zu hyperventilieren beginnen wollte, riss Zin sie mit seiner Frage – wo sie denn ihre Hängematte hin haben wolle? – vom Anblick des Meeres los, der heute überhaupt nichts mehr Schönes für sie bot, und ließ sie zu den Palmen hinübersehen.

Kurz musste sie ihre Gedanken wieder ordnen und ihr wie wild pochendes Herz etwas beruhigen, um überhaupt über seinen Vorschlag nachdenken zu können.

Sie befeuchtete mit ihrer Zunge ihre trockenen Lippen und schluckte den dicken Kloß in ihrem Hals hinunter, ehe sie Zin anlächelte.

"Sieht gut aus. Ideal für unser kleines Basiscamp.“

Erleichtert darüber, dass sie ihn für einen Moment von dem beängstigenden Wasser weglocken konnte, zog Viola Zin hinter sich her, zu den zwei Palmen, die er in Augenschein genommen hatte, und stellte dann ihre Tasche ab.

Sie holte Handtücher und ihre Sonnenbrille heraus, dazu noch die Sonnencreme und eine große Spange mit der sie sich einen Moment später die Haare hochklemmte, damit diese nicht auch noch zusätzlich für Hitze in der warmen Sonne sorgten und zugleich Zin nicht dabei stören würde, sie einzucremen.

Denn kaum, dass er die Hängematte aufgebaut hatte, drückte sie ihm demonstrativ die Sonnencreme in die Hand und drehte ihm den Rücken zu.

Alles, was nötig war, um ihn noch länger vom Wasser fernzuhalten, würde sie tun, weshalb sie auch kein schlechtes Gewissen hatte, ihr Bikinioberteil hinten zu öffnen, damit er ungestörten Zugriff auf ihren Rücken hatte.

Dennoch wurde ihr immer flauer im Magen, da sie wusste, dass ihn das nicht lange aufhalten würde.
 

Zin lächelte breit, als er die Sonnencreme in seiner Hand und dann Violas Rücken betrachtete. Die Spange im Haar stand ihr gut, gerade weil sie ein paar der dicken Strähnen nicht halten konnte und diese Viola locker über die Schultern fielen.

„Hier.“

Nachdem er sich etwas Creme auf die Handfläche getan hatte, gab er Viola die Flasche über ihre Schulter hinweg zurück, verteilte dann die Sonnencreme zwischen seinen Händen, bevor er diese schließlich auf ihren warmen Rücken legte.

Zuerst bearbeitete Zin Violas Schultern massierte sie sogar ein bisschen, als ihm auffiel, dass sie sich irgendwie verspannt anfühlte.

Machte es ihr denn wirklich so viel aus, am Strand zu sein? Das Wasser kam nicht einmal annähernd an die Palmen heran, die sie sich ausgesucht hatten. Um das noch zu kontrollieren, drehte Zin sich halb herum, betrachtete die Wellen, die auf den Sand rauschten, und konzentrierte sich dann wieder auf seine Aufgabe, die Sonnencreme ordentlich auf Violas Rücken zu verteilen.

Als er fertig war, gab er ihr einen Kuss auf die Schulter, umschlang Viola von hinten und drückte sie einmal fest an sich.

„Okay. Dann wünsche ich dir viel Spaß beim Braten. Die Shorts lasse ich hier, okay?“ Mit viel aber nicht einmal annähernd so viel Enthusiasmus, als hätte Viola ihn darum gebeten, entledigte Zin sich des Kleidungsstücks, streckte sich einmal und wandte sich dann wieder an die hübsche Frau, die halb hinter ihm stand.

„Dann bis ... später. Viola? Ist alles ...“ Er brach mitten in der Frage ab, denn um ehrlich zu sein, wollte Zin sich nicht herausnehmen, sie zu fragen, ob etwas nicht stimmte. Aber ihre gesamte Körperhaltung, die Art, wie sie dastand ... gefiel ihm irgendwie nicht. Sie wirkte noch angespannter, als gerade eben. Bloß konnte Zin gar nicht verstehen, was denn los war. Sie hatte doch hoffentlich nicht nur seinetwillen gesagt, sie wolle an den Strand?

Mit drei vorsichtigen Schritten ging er auf sie zu, schlang seine Arme um Viola und hob ihr Kinn an, damit sie ihm in die Augen sah. Um ihre deutlich erkennen zu können, hätte er ihr noch die Sonnenbrille abnehmen müssen, aber das ... schien ihm zu weit zu gehen.

„Ich werde erstmal nicht weit reingehen. Mich ein bisschen ins Wasser setzen und sehen, was meine Kiemen zu ihrer natürlichen Umgebung sagen. Wenn alles gut läuft, komme ich nochmal bei dir vorbei, bevor ich eine Runde schwimmen gehe, ja?“

Er küsste sie sanft auf die Lippen, zog ihren schmalen, kleinen Körper an seinen und hätte sie am Liebsten gar nicht mehr losgelassen. Irgendwie kam sie Zin immer noch so vor, als wäre ihr ... irgendetwas über die Leber gelaufen.
 

Es fiel ihr schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren.

Nicht einmal Zins Hände auf ihrem Rücken und den massierenden Bewegungen an ihren Schultern konnte sie etwas abgewinnen. Nein, viel mehr versteifte sie sich immer mehr, je weniger Zeit ihm oder besser gesagt, ihr noch blieb.

Als er sie dann schließlich fertig eingecremt hatte, war sie noch nicht einmal dazu gekommen, auch nur einen Quadratzentimeter ihres restlichen Körpers vor der Sonne zu schützen. Stattdessen versuchte sie die ganze Zeit schon, ihre Fassung wieder zu gewinnen.

Es half nicht gerade, das Zin sie so leicht zu durchschauen schien, trotzdem war seine Berührung tröstlich und Viola hätte ihn am Liebsten gar nicht mehr losgelassen. Natürlich beruhigte es sie kein Bisschen, dass er sich erst mal nur ins Wasser setzen wollte. Kleine Kinder konnten schon bei geringerer Menge ertrinken.

Nein, es beruhigte sie ganz und gar nicht, weshalb sie einen Preis dafür gewinnen sollte, dass sie es schaffte, ihn anzulächeln.

„Ist gut. Mach das. Geh schön spielen.“

Sie gab Zin einen Klaps auf den nackten Hintern und strahlte ihn an, bis ihre Wangenmuskeln wetaten, ehe sie sich einmal gespielt lässig streckte und dann das Bikinioberteil nach hinten über ihren Rücken schob, damit sie sich vorne rum eincremen konnte.

Dabei sah sie kein einziges Mal mehr hoch. Sie konnte einfach nicht. Sie musste alle Kraft dazu aufbringen, um sich Zentimeter für Zentimeter einzucremen und nicht daran zu denken, was Zin gerade tat.

Als sie am Ende auch mit ihren Beinen fertig war, fühlte sie sich wie ein einziges nervliches Wrack, also legte sie sich zur Sicherheit in die Hängematte, um ihre butterweichen Knie zu entlasten.

Sie suchte sich eine Pose aus, die entspannt wirkte, dennoch war sie alles andere als das, als sie mit messerscharfem Blick Zin beobachtete. Jeder Nerv angespannt, jeder Muskel bereit, um ...

Ja, um was zu tun?

Ihn zu retten? Ihn wenn nötig aus dem Wasser zu ziehen?

Es war so lächerlich, da sie selbst noch nicht einmal schwimmen konnte und trotzdem hegte sie diese Gedanken. Sie waren das Einzige, woran sie sich klammern konnte, während sie diese peinigende Tortur über sich ergehen ließ.

Es war, als würde man russisches Roulette mit ihr spielen. Nur das nicht ihr eigenes Leben auf dem Spiel stand, sonder das von Zin und sie wartete nur noch darauf, bis eine volle Trommel in Form eines Unglücks einrastete und jemand abdrückte.
 

So ganz hatte er sich von diesem Grinsen und der aufgesetzten Lässigkeit nicht überzeugenlassen. Aber ob es nun gut war oder nicht, Viola wollte ihn offensichtlich nicht in ihre Gefühle einweihen und Zin war nicht der Typ, der sie dazu zwang. Lieber ließ er sie ihn Ruhe und hoffte darauf, dass sie schon von selbst mit der Sprache herausrückte. Immerhin war sie sonst ja auch keinesfalls auf den Mund gefallen.

Langsam ging er von den Palmen zum Strand hinunter, spürte bald den Sand unter seinen Sohlen, an seinen Schwimmhäuten und zwischen seinen Zehen. Bis es so weit war, dass er zwischen dem ganzen Strandgut, den angeschwemmten Muscheln und dem menschlichen Müll ganz nah am Wasser stand. Zin konnte es hören, es riechen, es einatmen, wenn er kurz die Augen schloss.

Den Kopf in den Nacken gelehnt, sog er den salzigen Duft ein und hätte am Liebsten die Arme weit ausgebreitet, als ihn das Gefühl von absoluter Freiheit überfiel, das sein heimisches Element immer in ihm auslöste.

Als er die Augen wieder öffnete, musste er blinzeln. Die Reflexe der Sonnenstrahlen auf den kleinen Wellen blendeten ihn und luden doch so sirenenhaft ein, dass Zin keinen Moment länger widerstehen konnte. Die ersten Wellen umspielten seine Füße, griffen streichelnd nach seinen Knöcheln, seinen Waden und Zin gab einen Laut der Erleichterung von sich, als er sich schließlich auf die Knie in den weichen Sand fallen ließ.

Das Wasser reichte ihm bis zum Bauchnabel. Was bedeutete, dass es kaum seine Kiemen erreichte. Erst, als er sich weiter hineinwagte, so weit, dass er bis unter die Schultern im warmen Wasser steckte ...

Zin stöhnte leise vor Wonne, ehe er sich breitgrinsend wieder weiter den Strand hinauf robbte und sich so ins Wasser setzte, dass es ihm weiterhin bis an die Schultern reichte.

So konnte er seine Kiemen natürlich nicht wirklich ausprobieren. Dafür musste er nachher wirklich untertauchen, Wasser über seine Kieferkiemen aufnehmen und versuchen, den Sauerstoff herauszufiltern. Das wäre der erste Schritt. Später, wenn er noch Zeit hatte und soweit alles funktionierte, würde er vielleicht sogar seine Schwimmblase auf die Probe stellen. Aber das ... konnte auch bis Morgen warten.

Zunächst versuchte er einfach, die Kiemen an seinem Rücken zu öffnen, das Wasser daran entlangströmen zu lassen und sich an das Gefühl zu gewöhnen. Denn es war leider wirklich anders, als er es zuvor gewohnt gewesen war. Irgendwie weniger frei und leicht. Die Muskeln gehorchten seinen Befehlen nicht so unmittelbar oder wurden von Narbengewebe daran gehindert. Es schmeckte auch ... noch nicht so richtig gesund.

Trotzdem entspannte es Zin unendlich, im Meer zu sein. Er sah lange auf die glitzernde Oberfläche hinaus, dachte an dies und das, dann eine ganze Weile an gar nichts und schlang schließlich seine Arme um seine Knie, als ihm auffiel, wohin seine Gedanken da wirklich zu driften begannen.

Vermutlich ... konnte er wieder schwimmen. Oder es würde nicht mehr lange dauern, bis er es konnte. Hieß das ...? Ja, er sollte ... er wollte nachsehen, wie viele überlebt hatten.
 

***
 

„Na? Bist du schon gut durch?“

Er musste sich wirklich unendlich zusammenreißen, Viola nicht zu nahe zu kommen. Zin hätte sich liebend gern zu Viola in die Hängematte geworfen, sie an sich gezogen und sie mit seinem nassen Körper ein bisschen geneckt. Aber so dumm war er sicherlich nicht. Immerhin ging es ihm gerade wieder gut. Da würde er doch keine Krallen riskieren, die ihm ordentlich Manieren beibrachten.
 

Dieses Mal fiel es ihr nicht gar so schwer, so zu tun, als hätte sie sich die ganze Zeit über entspannt. Denn zumindest war sie etwas davon beruhigt worden, als Zin eine ganze Weile nur im Wasser gesessen und das Meer beobachtet hatte, während sie ihn dabei beobachtete.

Sie konnte es immer noch nicht nachvollziehen, wie er es auch nur ertragen konnte, bis zu den Schultern in dieser Nässe zu sein, aber ob sie es nun zugeben wollte oder nicht, er passte dort hinein. Alles an ihm war darauf ausgerichtet, wie sie nur unschwer übersehen konnte, egal wie sehr ihr Verstand es leugnen und ihn bei sich behalten wollte.

Als er zu ihr kam, nahm sie schließlich die Sonnenbrille ab und blinzelte zu Zin auf. Sie ließ die Gläser neben sich in den Sand fallen, ehe sie nach Zins Hand griff und ihn nun ehrlich anlächelte. Schließlich war sie unendlich erleichtert, ihn wieder am sicheren Strand und bei sich zu haben.

„Ich könnte eine Abkühlung gebrauchen", hauchte sie leise, gegen das Rauschen des Meeres und zog ihn zu sich.

Sie war vorsichtiger, als sie es für gewöhnlich wäre, als sie ihn in die Hängematte zog und ihre Gliedmaßen um Zins feuchten, nackten Körper faltete.

Viola kam einfach nicht dagegen an, ihn so intensiv zu küssen, als hätten sie sich für lange Zeit getrennt, aber irgendwie war es ihr so vorgekommen.

Dort draußen im Wasser war er für sie unerreichbarer denn je gewesen.

Umso mehr wollte sie nun jeden Millimeter von ihm wieder für sich beanspruchen. Dabei störte es sie nicht im Geringsten, das feuchte Perlen ihre erhitzte Haut neckten. Nein, an ihm fühlte es sich gut an, leicht nass zu werden und sie rieb ihn mit ihrem eigenen Körper trocken.
 

Zugegeben, er war überrascht. Aber das im positivsten Sinne, den er sich gerade denken konnte. Zin hatte absolut nicht damit gerechnet, dass Viola ihm erlauben würde, zu ihr in die Hängematte zu kommen. Geschweige denn, dass sie ihn zu sich ziehen würde. Aber umso schöner war die Tatsache, dass sie nicht einmal Berührungsängste zeigte, sondern sich um ihn schlang, als müsse sie erst einmal testen, ob noch alles an Ort und Stelle war, wo sie es gesehen hatte, als er ins Wasser ging.

Was sollten bloß die Nachbarn denken?

Eigentlich war es Zin egal, was irgendjemand davon hielt, dass er vollkommen nackt mit Viola und ihrem Mini-Bikini hier herumlag und sie küsste. Selbst die Insel hätte gerade in sehr viele kleine Einzelteile zerbrechen können und es hätte Zin unter Umständen nicht unbedingt dazu bewogen, von seiner Tätigkeit abzulassen und hochzusehen.

Viel lieber widmete er sich Violas Lippen, streichelte mit seinen Händen, die noch kühler waren, als sonst, über ihre erhitzte Haut und zog sie so nah an sich, wie es nur möglich war, ohne dass die Hängematte sich überschlug.

„Mmh ... so ein Tag am Strand ... mit dir ... ist wirklich nicht ... zu verachten.“ Er brachte es nur zwischen ein paar Küssen hervor, bis sich Viola schließlich so fest um ihn geschlungen hatte, dass Zin wieder das Gefühl bekam, da war mehr im Busch, als die Tatsache, dass sie ihn ein bisschen vermisst hatte.

„Geht es ... dir gut?“, wollte er zurückhaltend und auch unsicher wissen. Bei Viola war er sich nicht sicher, ob er so etwas fragen durfte. Vielleicht bekam sie es in den falschen Hals oder dachte, er wollte ihr etwas unterstellen.
 

Sie hob nur leicht den Kopf, um Zin anzusehen, während sie ihm tief in die Augen blickte. Der Rest von ihr klebte wie zuvor eng an ihm fest.

„Mal ehrlich, Zin. Ich liege gerade mit einem im übertragenen Sinn heißen Fischmann in einer Hängematte, habe meine Glieder um diesen wunderbar nackten Körper geschlungen und denke schon wieder daran, dich zu küssen und ein paar andere erwachsenen Sachen mit dir anzustellen. Glaubst du ernsthaft, dass es mir nicht gut geht?“ Zumindest in diesem Augenblick.

Sie küsste ihn erneut und strich dabei mit ihren Händen über seine herrlich definierte Brust, die nun nicht mehr von Verbänden bedeckt war.

Es fühlte sich sogar unheimlich gut an, über seine kühle Haut zu streichen, mit den Daumen seine Brustwarzen nachzuzeichnen und ihm das Salz von der Haut an seinem Hals zu lecken.

Der einzige Beweis dafür, dass sie sich vorhin noch fast vor Angst ins Höschen gemacht hätte, war das unangenehme Ziehen in ihrem Bauch. Der Knoten, der sich nur allmählich lösen und sehr penetrant an seinem Vorrecht festhalten wollte.
 

Also gut. Schmunzelnd ließ Zin sich wieder küssen und schob das Gefühl zur Seite, das er sich scheinbar sowieso nur eingebildet hatte. Warum sollte Viola ihn belügen? Das hatte sie bis jetzt nicht getan. Daher ließ Zin es auf sich beruhen und knüpfte stattdessen an etwas Anderes an, das ihn inzwischen sogar sehr viel mehr interessierte.

„Erwachsenensachen?“ Er raunte es ihr zu, während seine Hand ihren Rücken streichelte, an ihrer Seite hinabkletterte und schließlich an ihrer Hüfte verweilte, wo Zin etwas aufreizend mit dem dünnen Bändchen an Violas Bikini herumspielte.

„Was könnte ... das nur ... sein?“ Mit einem Glitzern in den Augen küsste er ihre Lippen, ihre Wange, hinunter zu ihrem Ohr und schob dann kurz mit seiner Nasenspitze ihr Haar zur Seite, damit er besser an ihren Hals herankam. Zuerst knabberte Zin mit den Lippen, drückte Küsse auf diese unendlich warme Haut und hielt sich an Violas Seite fest, je mehr die Hängematte ob seiner Aktionen ins Schaukeln geriet.

„Mmh ... mir fallen da ... schon ein ... paar Sachen ... ein ...“

Violas letztes Wort ging fast in einem Seufzen unter, als Zin diese gewisse Stelle an ihrem Hals mit seinen Lippen streifte und nun ein gänzlich wohliger Schauer durch ihren Körper knisterte. Sofort zogen sich die Muskeln zwischen ihren Beinen zusammen, genauso wie auch der Rest von ihrem Körper von diesem herrlichen Schauer durchströmt wurde.

Dabei drückte sie ihre Finger in Zins Haut, ohne ihm jedoch wehzutun, aber es knisterte so herrlich, wenn er das tat und beinahe hätte sie darüber hinaus auch das Schaukeln der Hängematte verdrängt.

Doch nur beinahe.

Langsam, um sie nicht noch mehr ins Wanken zu bringen, schlang Viola ihren Arm um Zins Nacken und ein Bein um seine Hüfte, ehe sie ihn dank ihrer natürlichen Stärke vorsichtig auf sich drauf zog, um das Gewicht auf der Hängematte auf so wenige Punkte wie möglich zu verteilen, diese dafür aber sorgen sollten, dass sie nicht einfach auf dem Boden landeten.

Bereitwillig spreizte sie ihre Beine für ihn, um es ihm bequemer zu machen, während ihre Hände ihn überall, bis auf seinen Rücken zu erkunden begannen. Vor allem seine Brust hatte es ihr angetan, gerade weil sie diese so lange nicht hatte anständig berühren können und sie musste ihn küssen. Immer wieder küssen, um den Geschmack seiner Haut so oft wie möglich aufzufrischen.

„Bequemer so?“, fragte sie ihn leicht atemlos und bog sich unter einer weiteren seiner Zärtlichkeiten seinem Körper entgegen.
 

„Das Gleiche wollte ich dich gerade fragen.“ Damit blieb Zin Viola eine wirkliche Antwort schuldig, aber ein paar feurige Küsse später hatte sie gewiss schon verstanden, dass er sich wesentlich unangenehmere Positionen hätte vorstellen können. Das Einzige, was ihn störte, war die Tatsache, dass er Viola nicht weiterhin ausgiebig streicheln konnte. Damit die Hängematte nicht wieder in gefährliches Wackeln geriet, musste Zin sich auf beiden Seiten abstützen und zusätzlich immer wieder gegenlenken, wenn sie beide doch etwas zu euphorisch wurden.

Und dabei war das lange nicht so euphorisch, wie Zin gerne werden wollte. Schon allein die Geste, mit der Viola sich vorhin an ihm festgekrallt hatte, war wunderbar gewesen. Wenn er sich da vorstellte, sie könnten hier ... unter freiem Himmel, das Rauschen des Meeres im Hintergrund ...

Mit einem kleinen Seufzen küsste Zin sich weiter Violas Hals hinunter, betastete mit seinen Lippen vorsichtig ihr Schlüsselbein, zeichnete mit seiner Zungenspitze einen verschlungenen Pfad in ihren Ausschnitt hinunter ... Und hätte beinahe einen Absturz verursacht, als er nun doch ungeduldig angezogen von diesen schönen Brüsten sein Gleichgewicht aufgegeben hatte.

Sie wankten eine Weile hin und her, in der Zin sich wieder breit lächelnd um Violas Lippen kümmerte. Dabei kam er ihr aber so nah und ihm war nur allzu deutlich bewusst, dass sie so wenig Stoff am Leibe trug, dass sich ein bekanntes Kribbeln in seinem Schritt meldete, das er nach einer Weile nicht mehr ignorieren konnte.

„Viola ... Du hast doch ... auch eine Decke dabei ...“ Es war ein Vorschlag. Mit rauer Stimme zwischen Küssen hervor gebracht.
 

Viola hätte fast frustriert geknurrt, als Zin auf seinem Pfand, den seine Lippen ihren Körper hinab wanderten, unterbrechen musste, um sie beide nicht aus der Hängematte zu katapultieren.

Nächstes Mal kaufe ich ein besseres Modell!, schwor sie sich insgeheim, während sie Zins hungrigen Küssen mit gleichem Verlangen entgegen kam und –

Ihre Hand schoss in die Höhe um sich am Stamm der Palme festzukrallen, da sie fast tatsächlich aus der Hängematte gefallen wären.

Etwas atemlos blickte sie in Zins unglaubliche Augen.

„Ich würd’s auch mit dem Sand aufnehmen, wenn es anders wäre. Darauf kannst du dich verlassen.“

Sie gab ihm noch einmal einen vorsichtigen Kuss, ehe sie ihn losließ, damit er sich langsam von der Hängematte erheben konnte. Keine Sekunde später war sie ebenfalls wieder auf den Beinen und wühlte in ihrer Tasche herum, um die Decke hervorzuholen.

Allerdings legte sie diese nicht einfach gleich hier auf den Boden, sondern suchte sich ein schattigeres Plätzchen im Sand aus, ehe Viola sie ausbreitete.

Danach ergriff sie Zins Hände und setzte sich mit ihm auf die Decke. Sie küsste ihn so ungeniert, als hätten sie ihre Zärtlichkeiten von gerade eben nicht kurz unterbrechen müssen und ebenso frei waren auch ihre Hände, die über Zins Muskeln wanderten. Ihre Hand umfasste seinen Nacken, während die andere über seinen Bauch streichelte.

„Mmh ...“, schnurrte sie absolut hingerissen. „Ohne alles gefällst du mir sehr viel besser.“

Damit meinte sie natürlich die nicht mehr vorhandenen Verbände, und auch dass die Shorts nicht mehr da waren, fand sie unheimlich gut.

Gerade wollte sie Zin sanft auf die Decke drücken, als ihr wieder sein Rücken einfiel, was es leider nicht sehr angenehm für ihn gestalten dürfte. Also suchte sie nach einer anderen angenehmeren Variante – sie zog ihn mit sich, als sie sich selber auf den Rücken legte, ohne den Kuss und das Spiel ihrer Zunge mit seiner, zu unterbrechen.
 

Zin hob eine Augenbraue, konnte aber nicht viel auf Violas Feststellung erwidern, da sie ihre Lippen so verführerisch auf seine drückte, dass ihm sämtliche passenden Worte sofort entfielen. Ein leises Klicken kam über seine Lippen, als er den neuen Untergrund vollkommen positiv für sich entdeckte und seine Hand über Violas Seite, hinauf zu der Rundung ihrer Brust und ein winziges Stück unter das Schnürchen ihres winzigen Oberteils wandern ließ. Es war wirklich ein Hauch von Nichts, der sie da bedeckte. Aber genau das ... machte es auch irgendwie anziehend. Noch anziehender, als ihre Kurven ohnehin schon für Zin waren.

„Weißt du ...“

Wieder schlich er sich mit Küssen an. Zuerst auf ihr Kinn, sanft ihren Hals hinab und dann den Weg einschlagend, den er vorhin bereits hatte nehmen wollen. Seine Wange berührte eine von Violas Brüsten und Zin konnte sich nicht beherrschen, einen deutlichen Kuss auf die Stelle ihres Ausschnitts zu drücken, der da mit bloßer Haut reizte.

„... mir würde es auch noch besser gefallen, wenn du ... gar nichts an hättest.“

Das war ehrlich und dennoch wartete Zin gespannt ab, wie Viola reagieren würde. Dabei streichelten seine Daumen an dem Schnürchen unter ihren Brüsten entlang, schoben sie ein winziges Bisschen hinauf, bis er die samtene Haut unter dem Stoff vage erahnen konnte und ihm ein warmer Schauer den Nacken hinunterlief.
 

Viola erschauderte wohlig unter der Berührung von Zins Händen und seinen Lippen. Schon bevor er ihr so offen sagte, dass er sie am liebsten nackt sehen würde, hatte ihr Herz schneller geschlagen. Nun gesellte sich auch noch ein deutlicheres Kribbeln in ihrem angespannten Bauch hinzu.

Einen Moment gab sie sich voll und ganz dem Genuss hin, den seine Daumen ihr spendeten. Dieses zarte Streicheln ihrer Rundungen war so unglaublich angenehm und prickelnd zu gleich. Sofort ließ es sie wünschen, er würde seine Hände noch ein Stückchen weiter nach oben schieben, wo ihre Brustwarzen sich bereits um Aufmerksamkeit heischend emporreckten.

Sie gab Zin keine direkte Antwort, auf seine ... mehr oder weniger unausgesprochene Frage, sondern streichelte über seinen Hinterkopf und sah zu ihm hinab. Sein Gesicht so dicht zwischen ihren Brüsten schien geradezu perfekt dort hinzupassen. Männliche Züge vermischten sich mit ihren weiblichen Kurven.

Es kribbelte bereits zwischen ihren Schenkeln.

Immer noch streichelte sie seinen Hinterkopf, während sie ihre andere Hand in ihren eigenen Nacken legte und den Knoten ihres Bikinioberteils dort löste. Langsam zog sie die dünnen Bänder hervor und nahm Zins Gesicht in beide Hände, um ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen zu hauchen, ehe sie es sich wieder auf der Decke gemütlich machte.

„Nur zu. Ich will ohnehin überall schön braun bleiben und ... nicht nur von der Sonne ... dort geküsst werden.“

Viola zog noch ihre Spange aus dem Haar, ehe sie ihren Kopf ganz auf die Decke legte und entspannt halb die Augen schloss, während sie Zin unter gesenkten Wimpern hervor ansah. Ihre Hände legte sie dabei wieder in seinen Nacken und auf seine Schulter.
 

Wie sie es nur immer wieder schaffte, ihn so aus der Fassung zu bringen. Es war Zin schleierhaft, aber wehren würde er sich auch nicht gegen dieses Gefühl. Dafür war das Knistern in seiner Magengrube viel zu willkommen und auch das angespannte Jucken zwischen seinen Beinen wuchs allmählich in Maßen an, die sehr Angenehmes ahnen ließen. Zumindest schien sein Körper sich genauso darauf zu freuen, Viola aus ihrer winzigen Verpackung zu schälen, wie es auch Zins Verstand tat.

Jetzt, da sie die Bänder um ihren Hals selbst gelöst hatte, konnte Zin sie mit seinen Daumen ganz leicht zur Seite schieben, seine Hand legte sich flach neben sein Gesicht, streichelte gefolgt von seinen Lippen weiter hinunter und schob schließlich das bunte Stoffdreieck so weit beiseite, dass Zin die perfekt geformte Aussicht genießen konnte, während er seinen Kopf auf Violas Brust betete.

Seine Lippen küssten immer noch sanft ihre Haut, während sein Zeigefinger das Rund ihrer Brustwarze nachzeichnete, sich in einer Spirale immer weiter nach außen arbeitete und schließlich zu der harten Knospe zurück kehrte, um sie vorsichtig anzustupsen.

Lange hielt es Zin nicht aus, seinen Fingern dabei zuzusehen. Er musste näher rücken, seine Hand um diese wunderbare Brust legen und sie seinen Lippen ein bisschen entgegen heben. Seine Zunge strich ganz leicht über die samtige Haut, die Violas Brustwarze umgab. Er konnte sogar die kleine Gänsehaut erspüren, die er damit verursachte und die ihm selbst ein wohliges Kribbeln verursachten. Wäre da nicht die andere Seite gewesen, die sich bestimmt schon unendlich vernachlässigt fühlte, Zin hätte diese süße Brustwarze ewig necken können. Was er auch in sanfter Art und Weise mit seinen Fingern weiterhin tat, während er sich der anderen Seite ebenso vorsichtig näherte, wie zuvor.

Genauso langsam, aber voller Vorfreude schob er den Stoff des Bikinis beiseite, küsste sich einen Weg den sanft ansteigenden Hügel hinauf, um schließlich seine Lippen um die zweite harte Perle zu schließen, seine Zunge daran spielen zu lassen und in Violas wunderbarem Geschmack zu versinken, der Zin leise Klicklaute des Wohlbefindens entlockten.

Sie war wirklich wunderschön. Anziehend, sexy und ... einzigartig. Zin konnte kaum genug bekommen von dem Geschmack ihrer warmen Haut, dem Bedürfnis, sich um ihre Brüste zu kümmern und doch von seinem eigenen Zentrum immer mehr darauf hingewiesen zu werden, dass noch ganz andere Freuden ihn erwarteten, wenn er sich nur ... tiefer traute.

„Du hattest gesagt – überall – richtig?“

Auch wenn sie etwas Anderes gesagt hatte, hielt ihn das gerade nicht davon ab, sich weiter ihren Bauch hinunter zu küssen, Kringel und Linien mit seiner Zunge auf ihre Haut zu malen und seine Hände an ihren Seiten hinunter wieder vor zu schicken. Seine Finger erreichten die Schleifen an der Seite von Violas Bikini-Höschen. Wieder ein Stück Stoff, dass nicht viel, aber eindeutig zu viel verbarg.

Mmh, allein der Duft, der Zin da ganz hauchfein entgegen schlug ...
 

Violas Augenlider fielen zu, als ein genussvoller Schauer sie erneut voll erwischte und durch jedes einzelne Molekül in ihrem Körper prickelte.

Sie erzitterte sogar für einen Moment, als Zins Finger es wagte, in kreisenden Bewegungen ihrer harten Brustwarze näher zu kommen, ganz so, als würde er sich an sie heranpirschen.

Sie biss sich auf die Unterlippe, um einen Laut zu unterdrücken, als er die empfindliche Knospe schließlich berührte. Doch auch wenn sie es schaffte, stumm zu bleiben, verriet alles andere die Gefühle in ihrem Bauch, die von Zin ausgelöst wurden.

Viola bog sich leicht der Berührung entgegen, sog den Atem scharf ein und entließ ihn wieder in einem einzigen Schauder.

Als Zin jedoch weiter wanderte und die sich aufbauende Erregung in ihrem Körper noch weiter damit schürte, dass sein Mund sich um ihre zweite Brustwarze schloss, konnte sie nicht mehr an sich halten.

Erneut bog sich ihr Körper ihm sanft entgegen, während ihr ein deutliches Seufzen entkam.

Völlig abgetaucht in diesem Bad aus sinnlichen Gefühlen, das immer ... heißer zu werden begann, bekam Viola Zins Frage nur am Rande mit und selbst da, begriff sie nicht ganz die Bedeutung.

Es schien aber auch nicht wichtig gewesen zu sein.

Im nächsten Augenblick hatte sie auch schon wieder vergessen, dass er überhaupt etwas gesagt hatte. Viel mehr konzentrierte sich jede Zelle in ihrem Körper darauf, was Zins Zunge da auf ihre Haut zeichnete und wie er es tat.

Sie erschauderte erneut unter dieser Berührung und je mehr er sich ihren Bauch hinab arbeitete, umso mehr zogen sich ihre Bauchmuskeln und die Muskeln in ihrem Inneren zusammen.

„Mmh ...“, seufzte sie erregt, während die Wildkatze in ihr wie wild vor Wonne schnurrte und sich gemeinsam mit ihrem menschlichen Körper auf der Decke räkelte.

Als Zin bereits unterhalb ihres Bauchnabels angekommen war, öffneten sich fast wie von selbst ihre Beine.

Viola war nicht unbedingt offen für jeden, das ganz bestimmt nicht. Aber bei Zin fiel es ihr schwer, auch nur im Mindesten verschlossen zu bleiben. Sie vertraute ihm. Sie konnte bei ihm sein, wer sie wirklich war. Das Privileg hatte bestimmt kein anderer Mann.

Und auch wenn sie es nicht sagte, so zeigte sie es Zin immer wieder auf ihre eigene Art.

20. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

21. Kapitel

Sie hatten beschlossen in einer Spirale, ausgehend vom Unglücksort zu suchen.

Ban hatte von Anfang an die Führung des Suchtrupps übernommen. Zusammen mit zwei seiner jüngeren Brüder. Die Zwei, die noch fähig waren, ihm zu folgen. Auch Aya hatte eigentlich darauf bestanden, mit ihnen zu kommen. Ihnen bei der Suche zu helfen. Aber Ban hatte in ihren Augen dieses gewisse Glänzen gesehen. Ein Zeichen dafür, dass sie das Mädchen nicht gebrauchen konnten. Sie wollte nicht nach anderen Überlebenden des Schwarms suchen. Aya wollte nach ihm suchen. Und genau das würde sie nicht weiter bringen.

Es war schlimm genug, die Toten zu finden. Aber jemanden bei sich zu haben, der bei jedem leblosen Körper, den sie herumdrehten, bei jedem zerfleischten Opfer, nur nach diesen bestimmten Gesichtszügen suchte. Nein. Ban hatte sie zurückgelassen. Es war besser, wenn sie systematisch suchten, die Verletzten zurück zum Schwarm schickten oder jemanden holten, der sich um sie kümmerte. Je weiter sie nach draußen kamen, umso schwieriger wurde es ohnehin. Und umso unwahrscheinlicher, dass sie noch Überlebende fanden.

Hier, ein paar Kilometer vom zentralen Punkt entfernt, fanden sie kaum etwas. Vielleicht noch ein paar Spuren. Manchmal hatten sie Glück und der Eine oder Andere hatte sich auf eine kleine Insel retten können. Ein Ankerpunkt mitten im Meer. Nicht viel mehr, als ein größerer Haufen Muschelkies. Aber ein Ort, an dem ein Einzelner sich zumindest vor schnappenden Mäulern sicher fühlen konnte. Denn so viel Blut im Wasser hatte doch so manchen Räuber auf den Plan gerufen. Auch die Verletzung, die Ban selbst halb unter einem Verband verbarg, der quer über sein Gesicht verlief, hatte er nicht vollkommen der Explosion, sondern einem Fisch zu verdanken.

Für manche, schien ein Augapfel eben eine besondere Delikatesse zu sein.

Mit einer aggressiven Geste scheuchte Ban seinen jüngeren Bruder hinter einen Felsbrocken, der von einigen Polypen bewachsen war. Bunte Fische tummelten sich darum und man hätte es für ein winziges, idyllisches Eiland halten können. Zumindest so lange, bis man dahinter, eingeklemmt oder an den Haaren festgehakt an einer Koralle, einen der ihren fand.

Nichts, was tot war, überdauerte hier lange. Jeder Fisch, jede Krabbe, jeder Wal war für diejenigen, die sich im Leben nicht an sie heranwagten, am Ende bloß Futter. Jeder hatte Hunger. Und er nahm sich, was er kriegen konnte.

Sal fand nichts. Ein kurzes Nicken und ein Pfiff, dann war er wieder bei ihnen. Kein weiterer toter Bruder. Gut.
 

***
 

Erst nach einer ganzen Weile stiller Zufriedenheit und deutlichem Wohlbefinden schlug Viola langsam wieder ihre Augen auf und lächelte sofort, als sie Zins Haut vor ihrer Nase erkannte.

Seine Farbe war so unverwechselbar wie ein Fingerabdruck. Sie hätte ihn zwischen tausenden von Leuten wieder erkannt und dabei musste sie noch nicht einmal seinen leicht getigerten Rücken sehen.

Ein Gähnen unterdrückend zitterte sie in Zins Armen, doch als es darum ging, sich einmal genüsslich zu strecken, konnte sie dann doch nicht widerstehen.

Zuerst blickte sie zu Zin hoch und schenkte ihm ein Lächeln, ehe sie sich an ihn schmiegte, während sie ihren Rücken durchstreckte und die Arme um ihn schlang, um auch diese von ihrem eingezogenen Dasein zu entlasten.

Da ihr die Position gefiel, ließ sie es gerne einen Moment lang dabei bleiben, wobei ihre Lippen nach Zins Mund tasteten und dabei seinen Hals hoch küssten, über sein Kinn flatterten und schließlich ihr Ziel trafen.

Wenn man Küsse in verschiedensten Stufen von Süß und Bitter einordnen konnte, dann war das hier definitiv ein Kuss, der ihre Zähne peinigen müsste, so süß war er und er dauerte.

„Hi“, meinte sie schließlich, als sie sich ihre vorläufige Dosis von Zin abgeholt hatte und seinem Mund einen Moment Ruhe gönnte.
 

„Hi.“

Diesmal war es ein Seufzen ganz anderer Natur, das sich tief aus Zins Brust über seine Lippen rang.

Es zeugte von absolutem Wohlbefinden und auch die Art, wie er sich an Viola schmiegte, ihr einen weiteren, deutlich kleineren Kuss stahl und sie dann anlächelte, war damit im Einklang.

Die Stellen, an denen ihre Lippen ihn gerade hauchzart gestreift hatten, kitzelten sanft und Zin musste sich zusammennehmen, um nicht darüber zu streichen und zu sehen, ob von ihren Küssen vielleicht eine Spur zurückgeblieben war. Für die Augen anderer nicht sichtbar.

„Es gefällt mir hier", fasste er für Viola zusammen, was er vorhin in seinem Kopf hin und her gedreht und gewendet hatte. Allerdings konnte sie auch annehmen, er meinte nur den halbschattigen Platz unter den Palmen.

Neben ihnen schwang die Hängematte im warmen Wind und Zin sog den salzigen Duft des Meeres tief in seine Lungen und schloss sogar kurz die Augen. Ja, er fühlte sich wirklich ausgesprochen wohl. Und das hatte nicht allein etwas mit dem Sex von eben zu tun. Allein, dass er Viola im Arm halten und sie küssen durfte. Das war ... unbeschreiblich schön.
 

„Ich gestehe ...“, schnurrte sie leise und rieb ihr Kinn an Zins Brust, ehe sie ihre Nase dagegen drückte und einmal tief seinen wunderbaren Duft einsog.

„... hier gefällt es mir auch sehr gut.“

Sie leckte über sein Schlüsselbein und streichelte diesen wunderbaren Körper mit ihren Händen. Ja, hier bei Zin gefiel es ihr außerordentlich gut. Das war nicht zu leugnen und sie wollte es auch gar nicht. Auch wenn er vermutlich nur das schattige Plätzchen unter den Palmen gemeint hatte.

„Das müssen wir bei Gelegenheit unbedingt einmal wiederholen.“

Viola lachte leise, streichelte über Zins Bauch und blickte zu ihm hoch.

„Ich ... ähm ... bin nämlich ein Wiederholungstäter, weißt du?“

Nun musste sie wirklich grinsen, während sie spürte, wie langsam ihre eingelullten Lebensgeister wieder richtig zurückkamen. So wie es eigentlich bisher immer nach sexuellen Begegnungen gewesen war. Aber vielleicht wollte ihr die Tatsache – dass sie bei Zin vor Behaglichkeit danach einschlafen könnte – auch etwas zu sagen.
 

Er erschauderte leicht, als Viola ihm so unvermittelt über die Haut leckte. Sofort breitete sich eine Gänsehaut von der Stelle ausgehend über seine Brust aus und Zin veränderte seine Position ein wenig, bevor er in Violas Lachen leise einstimmte.

Ja, gern. Er würde das sogar liebend gerne wiederholen. Und wenn es ihm endlich wieder vollkommen gut ging, dann ... konnten sie noch so Einiges ausprobieren und dann erst zu den Wiederholungen übergeben.

Der Gedanke ließ ihn schelmisch grinsen.

„Nicht so schlimm. Damit werde ich einfach leben müssen.“ Er küsste sie auf die Stirn, den Nasenrücken und schließlich die Lippen, bevor er sie an sich zog und sie festhielt. Zin drückte Viola wirklich unheimlich gern. Sie war so ... wie dafür gemacht. Er schmunzelte leise, ließ sie dann aber ein wenig los, um ihr wieder richtig ins Gesicht sehen zu können.

„Was hältst du davon, wenn wir uns über die Snackbox hermachen. Und nachher gehe ich eine Runde schwimmen.“
 

Zin war einfach ... unglaublich. Und dieses Mal meinte sie es nicht ganz im positiven Sinne. Denn in einem Moment war er dazu in der Lage, sie durch wenige Worte und Gesten glücklich zu machen und im nächsten Augenblick trieb er ihr ein eiskaltes Messer zwischen die Rippen und schlitzte sie bis zum Magen auf.

Er wollte wieder ins Wasser. In dieses verdammte, sie ängstigende Zeug, in das sie ihm nicht folgen konnte. Wenn er beschließen würde, zu gehen, könnte sie ihn nicht einmal mit Klauen und Zähnen dazu bewegen, zu bleiben. Geschweige denn von ihren sanfter anmutenden Reizen.

„Nein.“

Viola zwang sich zu einem kleinen Lächeln, da es glaubhafter sein würde, als ein großes.

„Ich hab keinen Hunger. Zumindest nicht auf was zu essen.“

Auf Zin hätte sie sofort wieder Appetit gehabt, aber durch seine Worte, war selbst das gedämpft.

„Wie wär’s, wenn du ... schwimmen gehst und ich ...“ Sie holte einmal tief Luft. „Leg noch ein bisschen Sonne nach?“
 

Nein.

Diesmal hatte er sich weder etwas eingebildet, noch sich in einer Weise geirrt, die seine nächste Reaktion hätte verhindern können. Also setzte Zin sich auf, legte Viola eine Hand auf die Wange und streichelte sie, bevor er ein sehr ernstes Gesicht aufsetzte.

Irgendetwas steckte hier im Busch. Und es war nichts Gutes. So viel wusste er bereits durch die Reflexe von Violas Augen und dem leichten Zittern ihrer Mundwinkel, als sie versucht hatte, zu lächeln.

„Möchtest du mir vielleicht zuerst sagen, was los ist?“, wollte Zin sanft, aber nicht bevormundend wissen. Er war sich nicht zu hundert Prozent sicher, dass er sich richtig entschieden hatte, indem er Viola darauf ansprach. Immerhin war es nur ein Gefühl. Und sie war keine Meerfrau. Er sollte sich im Lesen ihrer Mimik und ihrer Gesten noch üben. Aber bevor er etwas tat, was ihr zuwider war, wollte er wenigstens versuchen, es aus dem Weg zu räumen.

„Für mich klingt es nicht so, als wärst du mit diesem Plan ... einverstanden.“

Nein, sie klang alles Andere als glücklich darüber. Das konnte doch kaum daran liegen, dass er für eine halbe Stunde wegging. Sie ging doch auch zur Arbeit und sie waren einen Tag lang getrennt.
 

Viola biss die Zähne zusammen, um Zin nicht garstig anzufahren.

Es wäre nur gemein und völlig unangebracht, da er ernsthaft wissen wollte, was mit ihr los war. Daher wäre es nicht richtig, ihn bissig abzufertigen, obwohl es ihr widerstrebte, ihn genau wissen zu lassen, wie groß ihre Angst vor Wasser war. So groß, dass ihr allein beim Gedanken daran, er könnte dort hineingehen, schlecht wurde.

Sie sollte es ihm sagen. Das sollte sie wirklich. Doch was würde er dann tun? Auf sie hören und bei ihr bleiben, anstatt in das Element zurückzukehren, in dem er geboren wurde?

Das war lächerlich.

Obwohl ein Teil von ihr ihn sogar auf diesen Prüfstand stellen wollte, um herauszufinden, was ihm wichtiger war, tat sie es nicht. Gerade weil sie sich damit nur selbst ins Fleisch schneiden würde.

Ob er nun bei ihr bliebe oder ging, war hierbei nicht von Bedeutung. Sie würde sich ebenso mies dabei fühlen, ihm seine Freiheit zu rauben, wie von ihm versetzt zu werden. Nichts davon war richtig.

Es war sicherer, beide Optionen zu umschiffen und das tat Viola auch, in dem sie Zin einen langen Kuss auf die Lippen gab und mit den Worten „Ich hol mir ein Eis“ aufstand, um von sich aus zu gehen. Damit er das tun konnte, was er nun einmal tun musste, um sich gut zu fühlen. Um herauszufinden, ob es seinem Körper besser ging. Wer war sie, dass sie ihm das hätte nehmen können?

Sie wollte es gar nicht herausfinden, also schnappte sie sich ihren Bikini und ging damit zum Haus zurück. Es half nicht gerade, dass sie dabei einen Teil von Zin immer noch zwischen ihren Schenkeln spüren konnte.

Der Tag war so gut gewesen und jetzt drohte sie alles zu versauen. War doch wieder einmal eine typische Viola-Aktion.
 

Er zupfte die Decke gerade, strich sie unnötig glatt, stand auf und ging zum Strand hinunter. Verwirrt und ein wenig getroffen von ihrer Reaktion, sah er zu Violas Haus hinüber. Doch sie war schon durch den Türrahmen verschwunden.

„Und ich dachte, du hast keinen Hunger ...“, murmelte er leise, bevor die ersten Wellen seine Zehen umspielten.

Zin lief einfach gerade aus. Ohne zu wanken, ohne stehen zu bleiben, so lange, bis sein gesamter Körper umspült und er von einer Welle sanft vom Sand in die Höhe gezogen wurde. Die Augen geschlossen, öffnete Zin seine Kiemen. Die an seinem Kiefer, dann die an seinem Rücken. Salz legte sich hinein, fraß an den immer noch offenen Wunden und brannte so stark, dass Zins Körper zusammenzuckte. Doch es dauerte nur eine Weile. Gerade so lange, bis seine Lungen protestierten. So lange, bis es nur noch zwei Möglichkeiten gab. An die Oberfläche zu schwimmen oder –

Der Pfeifton war laut und durchdringend. Zin krümmte sich zusammen, die Augen fest zugedrückt, die Arme um seinen Körper geschlungen. Seine Schwimmblase klopfte schmerzhaft unter seinem Brustkorb, als er wie ein Stein zu Boden sank und sich rote Schlieren aus seinen Rückenkiemen ins umliegende Wasser verteilten.

Erst, als er einen ihm bekannten Schatten sah, riss Zin den Kopf hoch. Durch sein drittes Lid waren seine Augen geschützt. Er konnte den Hai erkennen, der fast träge auf ihn zuschwamm. Um einmal zu sehen, was da so lecker nach Mittagessen roch. Aufrecht im Wasser schwebend brachte Zin ein Lächeln zustande, als er das Muster auf dem Tier erkannte. Dem sehr ähnlich, das auch seinen eigenen Rücken zierte.

Na, Dicker ...

Der Hai schwamm um ihn herum. In abschätzendem Abstand. Zin konnte das Auge erkennen, das ihn musterte. Nicht sicher, ob die Beute so wehrlos war, dass man einfach hineinbeißen konnte.

Zin lächelte immer noch, ließ aber dann eine Salve von Klicklauten in Richtung des Tigerhais los, die diesem sehr genau vermittelten, dass es hier nichts zu holen gab. Schon gar keine schmackhafte Mahlzeit. Wunden hin oder her. Zin würde sich bestimmt nicht einfach auffressen lassen.

Verzieh dich. Ich schmecke nicht.

Wieder eine Salve von Klicks und ein ordentlicher Pfiff hinterher und der Hai drehte ein Stück ab. Allerdings nicht so weit, dass Zin ihm den Rücken zudrehen würde. Er verfolgte die Bewegungen des Tiers mit größter Aufmerksamkeit. Und dabei ... fiel ihm der weitere Schatten ins Auge. Sogar zwei, die direkt und ziemlich schnell auf ihn zuschwammen. Mehr Haie.

Na toll. So viel zum ersten Ausflug.
 

Sie hatte das Eis schon vergessen, als sie es als Vorwand ausgesprochen hatte. Denn mehr war es nicht gewesen.

Stattdessen kreisten ihre Gedanken alle nur um Zin und dass er in diesem Augenblick da draußen im Meer war und ein paar Runden schwamm. Viola hielt diese Gedanken kaum aus. Vielleicht zitterten auch deshalb ihre Finger so sehr, dass sie es kaum schaffte, die Schleifen ihres Bikinihöschens wieder zuzubinden, nachdem sie sich von ihrem intimen Abenteuer erfrischt hatte.

Leider nichts, was so lange dauern würde, dass es sie davon abgehalten hätte, viel zu früh zum Stand zurückzukehren. Denn das tat sie schließlich, noch bevor sie es bewusst registrierte.

Sofort wurde ihr ganz anders zu Mute, als sie Zin nirgends entdecken konnte. Weder plantschte er sitzend im Wasser, noch sah sie auch nur irgendwo seinen Kopf auf der spiegelnden Wasseroberfläche.

Er schwamm nicht.

Er tauchte.

Scheiße!, fluchte sie gedanklich in ihrer Panik und lief zum Strand, um vielleicht dort besser sehen zu können. Doch der Einfallswinkel der Sonne war im Augenblick so dumm, dass sie nicht einmal ein Stück unter Wasser sehen konnte, selbst als sie sich mit einer Hand die Augen vor der Helligkeit abschirmte.

Da war einfach nichts zu erkennen.

„Zin?“ Es kam nur leise und gebrochen über ihre Lippen, während sich ihre Kehle immer weiter zuschnürte.

Was wenn ihm etwas passiert war, während sie sich drinnen aufgehalten hatte? Hatte ihre Sturheit ihm vielleicht Schaden zugefügt? Was wenn er Hilfe brauchte?

„Zin?“ Nun sagte sie es schon lauter, aber bei weitem noch davon entfernt, es zu schreien.

Wie ein eingesperrtes Tier im Käfig schlich sie um die Grenzen ihres Gefängnisses herum, ignorierte dabei, dass das Meer bereits an ihren Fußknöcheln leckte. Sie hatte nur Augen für die weite offene See dort draußen und ob sie irgendwo den ihr inzwischen so vertrauten Hinterkopf oder Rücken erblicken konnte.

Doch da war auch weiterhin nichts.

„ZIN?!“, rief sie nun endgültig los, während sich ihr Magen zu einem kleinen kümmerlichen Elend zusammenkrampfte.

„Verdammt noch mal, Zin!“

Nun klang es wie ein heiseres Fauchen, aufgebracht und provoziert. Sämtliche Härchen an ihrem Körper stellten sich widerstrebend auf und ihre Krallen schossen aus ihren Fingern, da sie ihre Panik inzwischen so wenig im Griff hatte.

Eine Welle ließ sie einen Schritt zurücktaumeln, ehe sie festeren Stand einnahm und das Nass gegen ihren Bauch schlug.

Oh Gott ... Was wenn er nie wieder zu ihr zurückkehrte?

Viola begann am ganzen Körper zu zittern und sämtliche ihre Glieder schienen sich mehr und mehr zu versteifen, bis sie sich keinen Millimeter mehr rühren konnte. Der letzte Akt ihrer Muskeln bestand darin, dass sie sich die Arme vor die Brust schlang und sich selbst hielt.

Danach verharrte sie reglos mit zusammengebissenen Zähnen, weit aufgerissenen Augen und am ganzen Körper bebend in dieser Erstarrung.

Selbst die Wellen, die sie nun gegen ihre Brust trafen, konnten sie nicht umwerfen.
 

Er schob sich aus dem unteren, langsameren Teil der Welle nach oben, in die Hälfte, die auf dem unteren Block brach und auf den Strand zurasen würde. Immer noch zu langsam, wie Zins pochendes Herz fand, das ihm bei jedem Schlag aus dem Hals springen wollte.

Schneller!

Die Welle sog ihn nach oben, umspülte ihn mit Luftbläschen und riss ihn mit sich in Richtung Strand. Die Schatten neben ihm waren größer als er. Massiger. Trotzdem glitten sie etwa in der gleichen Geschwindigkeit auf der Brandung entlang, was Zin aber nur am Rande interessierte. Seine Arme nach vorn ausgestreckt raste er durchs Wasser, seine Füße trieben ihn zusätzlich an. Und doch war es immer noch nicht genug.

Weiter! Los!

Schließlich konnte er einen anderen Schatten erkennen. Schmal und verloren im mächtigen Blau um ihn herum. Zin hielt direkt auf die Figur zu, von der er wusste, wer es war. Schließlich war sie es, die ihn an sich gerissen hatte. Durch das Wasser, aus dem Kreis der Haie und direkt an den Strand zurück.

Die dunklen Umrisse folgten ihm immer noch, als er schon fast bei ihr war. Zin bremste, machte eine Rolle und stieß seine Fersen in den Sand. Er wurde in eine aufrechte Position gerissen und es genügten zwei Schritte, bis er bei Viola war, seine Arme um sie schlang und sie so hochzog, dass er sie fest im Griff hatte. Den Kopf über der Oberfläche schüttelte er sich das Wasser aus dem Gesicht, schob einen Arm unter Violas Kniekehlen und drückte ihren Körper an seinen.

„Was ist denn los?“

Herrgott, ihm war so schlecht, dass er gar nicht wusste, ob es klug war, in ihrer Sprache zu sprechen.

„Warum hast du denn so gerufen? Und ... was machst du denn so tief im Wasser?“ Er drückte ihr einen besorgten Kuss auf die Schläfe und im gleichen Moment barst die Oberfläche dicht neben ihm. Zu beiden Seiten sprengte es hoch und Zin zog Viola beschützend an sich.

Was sollte der Scheiß, Zin?! Hast du sie noch alle?! Wir –

Sal zuckte unter Zins Blick und dem entsprechenden Pfeifton so stark zusammen, dass es Zin im nächsten Moment schon wieder leidtat. Aber er konnte sich jetzt keine Vorhaltungen anhören. Er musste Viola hier wegbringen!

Eine Hand schloss sich so fest um seinen Oberarm, dass Zins Augen sich zu Schlitzen zusammenzogen.

Lass mich los.

Was tust du da?

Bans Klicken war dumpfer und tiefer als das von Zin und würde wohl immer viel mehr Autorität besitzen. Aber gerade jetzt war Zin das schnurz. Er riss sich von seinem Bruder los – was einen roten Handabdruck auf seinem Oberarm hinterließ – und stapfte geradewegs aus dem Wasser den Strand hinauf. So weit, bis er Viola vorsichtig im Sand absetzen konnte.

„Hey ... Viola?“
 

Sie ... bekam keine Luft mehr.

Ihr Brustkorb, ihr Herz und ihr Magen zogen sich zu einem einzigen Klumpen zusammen. Unmöglich erschien es ihr da, auch nur einen einzigen Luftzug in ihre Lungen zu bekommen.

Panik breitete sich wie ein tödliches Virus in ihr aus, und obwohl da plötzlich die vertraute Stimme von Zin an ihr Ohr drang, während seine Arme sie beschützend festhielten, nahm sie es doch nur am Rande war. Genauso wie die Tatsache, dass er sie aus dem Wasser holte. Aus diesem teuflischen Nass, das es so leicht so gekonnt schaffte, jede Kraft aus ihrem Körper zu saugen.

Erst als Zin sie auf dem warmen Sand absetzte und ihren Namen sagte, stahl sich ein Lufthauch in ihre Lungen, woraufhin sie panisch nach noch mehr Atem rang, um die herumwabbernden Nebel vor ihrem Blickfeld zu verscheuchen.

Hastig und viel zu schnell rang sie nun nach Luft, während ihre geweiteten Augen sich gehetzt umsahen und es kaum schafften, sich auf Zin alleine zu konzentrieren.

Nur mühsam konnte sie ihre verkrampften Arme von ihrem Brustkorb lösen, die ihr noch mehr die Luft abgedrückt hatten.

Dann fixierten ihre Augen die von Zin und sie wurde ruhiger.

Immer noch am ganzen Körper zitternd schlang Viola ihre Arme um seinen Nacken und drückte sich so fest an ihn, dass sie ihm bestimmt wehtat. Doch das war ihr egal. Er war hier. Er war nicht im Meer verschwunden. Er –

Mit einem bedrohlichen Fauchen löste sie sich von ihm und kam schleunigst auf ihre eigenen Beine, während sie noch einen Schritt zurücktaumelte und die Gestalten nicht aus den Augen ließ, die sie hinter Zin erblickt hatte.

Hastig versteckte sie ihre Krallen hinter ihrem Rücken, doch sie ließ die Männer keine Sekunde lang aus den Augen.

Ihre Nackenhaare sträubten sich.

Ihr rasendes Herz wusste, was das bedeutete, doch ihr Verstand wollte es noch nicht begreifen.

„Zin?“, flüsterte sie leise, zwischen zusammengebissenen Zähnen, so dass es hoffentlich nur er hören konnte.

Was ging hier vor?
 

Er fing sich einen Kratzer an der Schulter ein, als Viola sich so schnell von ihm losriss, dass er es nur dank seiner Instinkte mitbekam. Diese brauchte er allerdings nicht, um zu verstehen, was und aus welchem Grund Viola so ein Gebaren an den Tag legte. Ihre Augen flitzten zwischen den Anwesenden hin und her und sie zischte seinen Namen so hart und scharf, dass Zin noch flauer im Magen wurde.

Langsam, um sie nicht noch mehr zu beunruhigen, stand Zin auf. Sand klebte an seinen Beinen und er troff vor Wasser. Genauso wie die anderen drei Männer, die ihn alle um mindestens einen Kopf überragten.

„Es ist alles in Ordnung. Das sind ...“

Wer ist sie? Was hast du bitte mit einem Menschen zu schaffen?

„Sprich in der Sprache, die sie versteht!“

Zin war so schnell herumgewirbelt, dass der Sand zu seinen Füßen aufwirbelte. Er hatte Ban angeschrien und Zins Herz klopfte bis auf seine Zunge. Aber verdammt nochmal, Viola sah so aus, als würden ihr gleich die Beine unter dem Körper wegknicken! Da half es absolut nichts, wenn Ban sich aufführte, wie ein Meermonster, das sie fressen würde, wenn sie nur einen falschen Wimpernschlag tat.

Es dauerte mehrere schwere Atemzüge, während denen die Brüder sich anstarrten. Graue in tief grüne Augen.

„Wer ist sie?“

Am liebsten hätte Zin ausgeholt. Aber das hätte auch nichts gebracht. Er hatte es vor Jahren an Ban ausprobiert und es hatte ihm bloß Ärger von seinem Vater eingebracht.

„Viola ... bitte verzeih.“ Er drehte sich zu ihr herum und blickte sie ehrlich entschuldigend an.

„Sie werden dir nichts tun, keine Sorge. Das sind ... Sal, Oka und Ban.“

Er deutete mit Nicken an, wer welchen Namen trug. Erst danach ging er die zwei Schritte zu Viola hinüber und berührte sie sanft an der Schulter.

„Sie sind meine Brüder.“
 

Viola zuckte noch einmal zusammen, als Zin so schnell herumwirbelte und seinen Bruder anblaffte. Die Art, wie er es machte, gefiel ihr allerdings. Nur milderte es nicht im Geringsten das Chaos in ihrem Inneren.

Sie war total durcheinander und noch immer nicht fähig, ganz normal und ruhig zu atmen. Stattdessen versteifte sich ihre Haltung nur noch mehr, während ihr imaginärer Schwanz hin und her peitschte und die Wildkatze in ihr sich in eine Lauerstellung begab. Jederzeit bereit, sich bis aufs Blut zu verteidigen.

„Wer ist sie?“, kam es schließlich von einem der Männer, der – so unglaublich es für Viola auch war – noch größer als Zin zu sein schien und auch sehr viel massiger. Zudem hörte sich der Tonfall, in dem er diese Frage stellte, kein bisschen nett oder höflich an.

Am liebsten hätte sie den Kerl als Erwiderung einmal giftig angeknurrt. Zumal sie noch immer nicht die Situation verstand. Auch wenn sie natürlich nicht leugnen konnte, dass sie sehr wohl wusste, zu welcher Art die Männer gehörten.

Als Zin sich wieder zu ihr drehte, schenkte sie ihm einen Augenblick lang ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Gemischte Gefühle wallten in ihr auf.

Zum einen wollte sie sich einfach nur in Zins Arme werfen und sich an seine Brust kuscheln, während sie die Welt um sich herum ausblendete. Aber zum anderen wäre sie dann nicht die, die sie nun einmal war. Weshalb sie genau dort blieb, wo sie stand und ihre Deckung keine Sekunde außer Acht ließ.

Viola vertraute Zin, aber sie vertraute ihm nicht blind.

Als er schließlich an sie herantrat und sie berührte, zuckte sie erneut leicht zusammen, zwang sich dann jedoch dazu, ihre Krallen wieder einzufahren und stattdessen ihre Arme vor der Brust zu verschränken. Sie konnte nicht einfach Zins Hand nehmen, obwohl sie das gerne getan hätte.

Dafür kam sie sich viel zu sehr auf verlorenem Posten zwischen den Anwesenden vor. Weder zum einen gehörend noch ganz zu einer eigenständigen Partei.

„Deine Brüder?“, fragte sie noch einmal leise und ruhiger nach, obwohl die Anspannung ihr vermutlich im Gesicht zu lesen war, während ihre Gedanken erneut loszuwirbeln begannen.

Wenn das seine Brüder waren, dann hatte man ihn gefunden. Wenn man ihn also gefunden hatte und Zin dazu in der Lage war, bereits zu tauchen und zu schwimmen, dann würden sie ihn mit sich nehmen. Wenn man ihn mit sich nehmen würde, würde Zin sie verlassen. Fakt war also, dass sie die drei Männer keine Spur ausstehen konnte.

„Hi. Ich bin Viola“, stellte sie sich selbst vor und setzte ein erzwungenes Lächeln auf ihre Lippen, ohne sich allerdings von der Stelle zu rühren.
 

Zin nickte geschlagen.

„Ja.“ Seine Brüder. Drei davon. Und nur zwei waren so höflich, für Viola den Kopf zu senken, zu lächeln und ihre Begrüßung zu erwidern. Wieder versuchte Zin, seinen ältesten Bruder niederzustarren. Aber Ban rührte sich keinen Millimeter und starrte nur ungerührt zurück. So lange, bis es Sal zu dumm wurde.

„Zin.“

Ein muskulöser Arm wurde um ihn geschlungen und ihm wurde fast die Luft aus den Lungen gedrückt, während Zin überrascht blinzelte. Auch er umarmte Sal, ließ die Freude zu, ein paar Mitglieder seiner Familie wieder zu sehen. Lebend und ... wohlauf? Als er sich löste und sofort von Oka fast erdrückt wurde, fielen ihm die Narben auf. An Oberarmen, Bäuchen und anderen Stellen. Ein Verband verlief über Bans Gesicht. Und Oka ... fehlte der kleine und ein Stück des rechten Ringfingers.

„Geht es?“, wollte Sal mit einem Nicken auf Zins eigene Narben wissen. Man sah die Sorge in seinen Augen und auch ... unendlichen Schmerz. Sie waren ... nur zu dritt.

„Ja. Viola hat sich gut um mich gekümmert.“

Mit einem Blick, der so warm war, wie die Sonne über ihnen sah er sie an und schenkte ihr eins dieser Lächeln, die nur für sie bestimmt waren.

„Ohne sie ... hätte ich es nicht geschafft.“

„Ein Glück“, meinte Oka mit einem breiten Grinsen und trat sogar einen Schritt auf Viola zu. Wobei Zin nicht sicher war, ob das die richtige Taktik sein würde. Immerhin war Viola ein Raubtier und konnte ihre Krallen sehr gut dazu benutzen, einen Fremden auf Abstand zu halten.
 

Eigentlich sollte ihr der Anblick, wie Zins Brüder ihn für sich einnahmen, stören und sie noch mehr reizen, doch irgendetwas in ihr, einen Teil, den sie gar nicht mehr kannte, genoss es, die Freude in den Berührungen der Brüder zu sehen. Darüber, dass sie sich wieder hatten. Darüber, dass wenigstens sie überlebt hatten.

Violas Haltung wurde nach und nach etwas weicher, auch wenn sie Ban – den Eisberg, wie sie ihn vorerst nannte – nicht vollkommen vergaß. Trotzdem ließ sie der Familienzusammenführung ihren nötigen Freiraum und mischte sich nicht ein, sondern trat noch ein Stück zurück. Nicht vor Scheu oder Angst, sondern aus Respekt.

Als Zin sie dann mit seinen Worten etwas in die Begrüßung miteinbezog, und zwar mit diesem ganz bestimmten Lächeln, konnte sie ihr gereiztes Gebaren nicht länger aufrecht halten. Stattdessen erwiderte sie sein Lächeln und schaffte es sogar, es dort zu behalten, als einer der Brüder direkt auf sie zutrat.

Etwas unbehaglich zu Mute starrte sie zu dem riesenhaften Mann auf und grinste dann unverhohlen zurück.

Besser keine Schwäche zeigen.

„Meine Güte, du hast mir gar nicht erzählt, dass deine Brüder solche Riesen sind, Zin. Dabei komme ich mir schon neben dir wie ein Zwerg vor.“

Was nicht bedeuten sollte, dass der Zwerg sich nicht verteidigen konnte, wenn er wollte. Aber das sollte auch vorerst ihr eigenes kleines Geheimnis bleiben.
 

Gott, er war so erleichtert, als Viola ihre verkrampfte Haltung aufgab und wieder etwas lockerer in die Runde sah. Auch der Scherz kam an und Oka grinste ein schiefes Lächeln, bevor er Viola die Hand hinhielt.

„Entschuldige, dass wir so unangemeldet auf deiner Insel auftauchen.“

Zin musste schmunzeln. Oka wusste zwar nicht, dass es tatsächlich Violas Insel war, aber der Meermann hatte sofort ins Schwarze getroffen. Was hoffentlich ein gutes Zeichen zur Kommunikation zwischen ihnen allen war.

Natürlich einmal von Ban abgesehen, der immer noch wie ein Felsblock in der Gegend herumstand und frostige Blicke in die Runde warf. Was Zin aber immer noch lieber war, als das, was Ban als Nächstes tat. Nämlich anfangen zu sprechen.

„Hätten wir uns jetzt auch noch anmelden sollen, bevor wir kommen, um zu sehen, ob noch einer unserer Brüder in Stücke zerrissen irgendwo herumliegt?“

Der Hieb ging nicht gegen Viola. Bans grüne Augen waren direkt auf Zin gerichtet und erforschten kalt seine Reaktion auf das Gesagte.

Zin wurde schwarz vor Augen. Er blinzelte heftig und wäre vor diesem Schlag einen Schritt zurück gestolpert, hätte sich sein Körper nicht so angefühlt, als wäre jede Möglichkeit zu empfinden, aus ihm gewichen.

Wie meinst du das?

Die Klicklaute prasselten aus seinem Mund und Zins Blick zerbrach fast an Bans steinerner Miene.

Wie meinst du das?!

Zin ... Sal griff ihm unter den Arm, als wollte er ihn stützen. Doch es war schon längst du spät. Zin fiel. Und niemand ... hätte diesen Fall bremsen können.

Bans Worte vibrierten in Zins Kopf, in seiner Brust und trieben heiße Speere in sein Herz.

Kel und Ang sind tot. Ang sofort, bei Kel hat es zwei Tage gedauert.

Sämtliche Farbe wich aus Zins Gesicht. Er spürte, wie Sals Griff an seinem Oberarm sich verstärkte. Irgendwo im Augenwinkel sah er Oka, einen Schritt auf ihn zu machen. Tränen glitzerten in den Augen seines kleinen Bruders und er senkte den Kopf.

Auch Zins Augen brannten. Genauso wie sein Hals und der Rest seines Körpers. Flüssiges Blei geriet in seine Lungen und er wollte bloß schreien. Den Schmerz hinaus brüllen, bis er verschwunden war. Aber sein Hals war wie zugeschnürt. Er konnte ... absolut gar nichts tun.
 

Gerade wollte sie Okas Hand in ihre nehmen, als man sie mit Säure übergoss und sie mitten in der Bewegung erstarrte.

„Hätten wir uns jetzt auch noch anmelden sollen, bevor wir kommen, um zu sehen, ob noch einer unserer Brüder in Stücke zerrissen irgendwo herumliegt?“

Sofort schoss ihr Blick zu Ban hinüber, doch der starrte nur Zin an und das auf eine Art und Weise, wie es Viola noch mehr frösteln ließ.

Das sollte Zins Bruder sein?

Sie musste gar nicht zu ihm hinüber sehen, um den Gefühlsumbruch mitzubekommen. Es breitete sich schließlich wie dicker Rauch in der Luft aus und ihre Nase kam gar nicht daran vorbei, die Emotionen herauszufiltern.

Zins Klicklaute unterstrichen das Ganze nur noch.

Natürlich verstand Viola nicht. Auch nicht das, was Ban darauf erwiderte, aber es schien Zin endgültig k.o. zu schlagen.

Sämtliche Farbe entwich seinem Gesicht und auch seine Augen schien es hart getroffen zu haben. Alles an dem Zin, den sie kannte, wurde mit ein paar einfachen Klicklauten weggewischt. Sie erkannte ihn kaum wieder, aber sehr wohl die Trauer, die daran schuld war.

Also hatte es offenbar auch Tote in seiner engsten Familie gegeben. Zumindest konnte Viola sich die Intensität der Gefühle nur so vorstellen.

Da die beiden anderen Brüder sich um Zin kümmerten, ihn aufrecht hielten, da er wohl sonst niedergesunken wäre, konnte Viola nicht zu ihm. Obwohl sie das starke Bedürfnis danach hatte.

Sie wollte ihn trösten. Ihn halten und für ihn da sein. Aber das alles schien sie nichts anzugehen. Die drei so riesenhaften Gestalten wurden gebeugt von etwas, das sie nicht betraf. Nur einer war nicht dort, wo er eigentlich hingehören sollte.

Viola wusste nicht genau, was sie dazu trieb. Vielleicht irgendein uralter Instinkt diejenigen zu beschützen, die ihr am Herzen lagen. Auf jeden Fall fand sie sich einen Augenblick später zwischen der kleinen Gruppe und Ban wieder.

Breitbeinig und in einer selbstsicheren Position fixierte sie den Eisberg, hätte ihm am liebsten auch noch einen weiteren Verband im Gesicht verpasst, für das, was er offenbar so schnöde ausgedrückt hatte, was normalerweise ein gewisses Maß an Feinfühligkeit verlangte. Selbst unter ihren Verhältnissen.

Doch sie tat nichts dergleichen, sondern sah ihn nur finster an und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, dass nicht jeder auf Trauer gleich reagierte. Dennoch gab es diesem Kerl nicht das Recht so mit seinem Bruder umzuspringen.

„Bist du jetzt zufrieden?“, fragte sie Ban leise, fast trügerisch ruhig.

„Oder zerfrisst die Trauer dir so sehr das Gehirn, dass du deinem eigenen Fleisch und Blut auch noch Schmerzen zufügen musst, wo er doch schon genug gelitten hat, nur damit es dir selbst besser geht?“
 

„Weder noch", war Bans kurze Antwort, während er Viola undurchdringlich ins Gesicht sah. Eine seiner breiten Augenbrauen hob sich und er musterte die kleine, schmale Menschenfrau, die Zin scheinbar so wichtig geworden war, dass er sich wie ein Unbeteiligter verhielt. Wie sonst sollte man sein Verhalten bitte werten?

„Aber wir haben nicht die Zeit, uns Trauer zu erlauben. Sal, Oka und ich sind seit Tagen unterwegs, um nach Überlebenden zu suchen. Je länger wir warten, desto unwahrscheinlicher ist es, dass wir noch jemanden finden.“

Er warf einen Blick zu Zin hinüber, dem Gefühle in den Augen standen. Mehr, als Ban an seinem kleinen Bruder bis jetzt jemals gesehen hatte. So etwas, wie Reue kam in ihm hoch. Das konnte doch nicht sein ... Zin war ... derjenige, der das verkraften konnte.

„Es war ... reines Glück, dass wir ihn noch gefunden haben.“ Ein Zögern. Etwas, das Ban normalerweise nicht passierte. Und schon gar nicht, gegenüber einer Menschenfrau.
 

Viola stieß einen leisen entrüsteten Laut aus und verschränkte erneut ihre Hände vor der Brust, um sich selbst daran zu hindern, Ban eine zu scheuern.

„Aber du hast offenbar noch die Zeit, deinem Bruder noch ein Ding zu verpassen, als wäre das, was er selbst durchgestanden hat noch nicht genug. Und mal ehrlich, nach so vielen Tagen ist es wirklich schon sehr unwahrscheinlich, dass ihr noch jemanden findet. Wenn ihr noch jemanden findet, dann wird derjenige es sicher noch ein paar Minuten länger aushalten, weil er vermutlich ebenfalls Hilfe gefunden hat. Was die anderen angeht ...“

Viola senkte traurig den Blick und auch der leicht aggressive Tonfall verlor sich ganz in ihrer leisen Stimme.

„Die Natur ist schnell, was das Aufräumen angeht.“

Sie sah Ban wieder fest in die Augen und auch ihre Stimme wurde wieder stärker.

„Zu schnell, als dass ihr nach etlichen Tagen noch etwas finden würdet. Ist es daher zuviel verlangt, die Trauer für einen Moment zur Seite zu schieben und sich einfach nur zu freuen, dass Zin noch lebt? Oder muss ich dir erst ins kleinste Detail erklären, was Glück wirklich bedeutet?“

Nun stemmte sie angriffslustig ihre Hände in die Hüfte.

„Weil es nämlich nur reiner Zufall war, dass ihr ihn gefunden habt. Glück hatte er, als er an meinen Strand gespült wurde. Glück hatte er, dass ich gerade so in der Lage war, die Fleischmasse von Verletzung wieder in einen Rücken zu verwandeln. Glück hatte er, als er in den ersten Tagen nicht durch eine Infektion gestorben ist und er hatte verdammt noch mal Glück, dass offenbar alles wieder endgültig heilen wird, als er das bei seinem ersten Schwimm- und Tauchversuch heute herausfinden wollte. Rede du also nicht von Glück, wenn du es doch nur mit Füßen trittst. Zin wäre ... er wäre auch von sich aus so bald wie möglich wieder zu euch zurückgekehrt.“

Und das war leider eine Tatsache, der sie sich nun nicht länger entziehen konnte. Nicht morgen, nicht übermorgen, nein, schon heute. Sie wusste es einfach und das brachte sie fast zum Heulen, nur würde sie diese Schwäche keinem der Männer zeigen.
 

Bans Augen hatten sich während Violas Auftritt zu schmalen Schlitzen verengt. Das eine Auge – oder vielmehr die leere Höhle, die davon übrig geblieben war – konnte die Frau zwar nicht sehen, aber Ban war sich sicher, dass sie seinen Argwohn trotzdem nicht vollkommen ignorieren konnte. Wobei er dieser kleinen Menschenfrau schon jetzt Einiges in diese Richtung zutraute.

Sie schien ein richtiges Temperamentbündel zu sein – was ihn nicht wunderte, wenn man Zins sonstigen Geschmack beim anderen Geschlecht beachtete. Aber das tat jetzt nichts zur Sache. Ob ihr nun egal war, was die vielen Toten und Zins Überleben für den Schwarm bedeutete, war nebensächlich. Sie war keine von Ihnen. Eigentlich ... genau das Gegenteil.

„Wenn du auf Dankbarkeit hinaus willst –“

Nein, das will sie nicht.

Zin hatte sich von Sals Griff losgemacht und war neben Viola getreten, um sie vor seinem Bruder zu beschützen. Oder zumindest vor dessen unsäglichem Talent, immer genau das Falsche zu sagen.

Nachdem er Ban mit einem schon fast aggressiven Klicken unterbrochen hatte, wechselte Zin jetzt wieder in die Sprache, die auch die Frau in ihrer Mitte verstehen konnte.

„Viola hat Dankbarkeit verdient. Dafür, dass sie mich gerettet und gepflegt hat. Ohne ihre Hilfe wäre ich gestorben. Und das ist Fakt. Aber sie ist nicht eine von denen, die von dir etwas für ihre Hilfe verlangt.“

Mit einem großen Schritt stand Zin Ban direkt gegenüber und sah zu ihm auf. Trotzdem kam er sich gerade um keinen Zentimeter kleiner vor, als sein großer Bruder.

„Sie will von dir nur mit dem Respekt und Anstand behandelt werden, den sie verdient. Und du ...“ Er zeigte mit dem Finger auf Bans breite Brust. „... wirst dich einmal zu benehmen wissen. Immerhin können wir alle froh sein, dass Viola uns nicht einfach mit einem Tritt in den Hintern von ihrer Insel zurück ins Meer jagt.“

Ban gab ein amüsiertes Schnauben von sich. Ach ... so war das.
 

Worauf sie eigentlich hinaus wollte, wusste Viola nicht genau. Erst recht nicht, als Zins plötzliche Anwesenheit neben ihr, sie vollkommen ablenkte. Allerdings war für sie zumindest eines klar. Dankbarkeit war es nicht gewesen, was sie dazu angetrieben hatte, seinen großen Bruder anzupöbeln.

Als Zin vortrat, hätte sie ihn am liebsten in die Arme geschlossen und vor der ganzen Welt beschützt. Niemand sollte so viel Leid durchmachen müssen, doch da war er auch schon wieder. Der alte Zin. Oder zumindest Aspekte von ihm, die ihr vertraut waren.

Also riss sie sich zusammen. Was sie auch immer mit ihren Worten erreichen wollte, irgendwie schien es ihr gelungen zu sein. Dennoch wollte sie ihn berühren. Ihn festhalten, damit er nicht einfach ohne sie ging.

Violas Magen zog sich weiter zusammen, während sie sich schon einmal geistig auf den Verlust einzustellen versuchte, nur dass man sich auf so etwas nicht einfach vorbereiten konnte.

Verdammt noch mal, sie hatten doch erst seit so kurzer Zeit enger miteinander ...

Unwillkürlich schüttelte sie den Kopf. Das tat nichts zur Sache. Sie war hier nicht wichtig. Aber Scheiße, es tat trotzdem weh.

„Bevor ich euch von meiner Insel befördere, wäre ich durchaus bereit, euch einen Augenblick der Ruhe und Sicherheit anzubieten. Du hast selbst gesagt, dass ihr schon seit Tagen unterwegs seid. Wollt ihr euch nicht für einen Moment ausruhen? Ich hab auch ... ähm ... Kekse?“

Viola lächelte einladend.
 

Zin rückte näher an Viola heran, legte seine Hand flach auf ihr Schulterblatt, ließ Ban dabei aber keine Sekunde aus den Augen. Viel lieber hätte er ihn mit Nichtbeachtung gestraft. Aber um ehrlich zu sein, fürchtete er ein wenig um Viola. Zwar würde Ban sie nicht angreifen – das sollte er nur wagen – aber verbal konnte da schon noch mehr kommen. Und Viola war nun einmal niemand, der sich einfach zurückzog, wenn sie der Meinung war, dass sie auf ihrem Standpunkt beharren musste. Was Zin zwar gefiel, aber in so mancher Situation bloß zu noch mehr Spannungen führen konnte.

„Das ist ein großzügiges Angebot. Ich denke ...“ Jetzt sah sich Zin nach Oka und Sal um, die extra nicht direkt hinter Viola standen, sondern ein Stück zu einer Seite ausgewichen waren, damit sie die beiden sehen konnte.

Endlich jemand, der Anstand zeigte. Zin hätte am liebsten erleichtert geseufzt.

„Ich denke, ihr solltet es annehmen.“

Sal trat noch ein Stück vor. Seine getupfte Haut, die immer ein bisschen hektisch wirkte, veränderte sich leicht im Sonnenlicht. Aus seinen dunklen, kurzen Locken fielen Wasserperlen, als er energisch nickte und Viola ein Lächeln schenkte.

„Das ist wirklich sehr nett. Wir sind ziemlich müde und würden sehr gern ein bisschen ausruhen. Wenn dir das wirklich recht ist.“

Violas Lächeln veränderte sich unmerklich. Es wurde echt, als sie Sal ansah.

„Es wäre mir ein Vergnügen.“

Alles, nur um Zin noch länger in ihrer Nähe behalten zu können. Schon jetzt schien die Berührung seiner kühlen Hand heftiger auf ihrer Haut zu prickeln als ein Glas Champagner. Gerade weil sie sich dieser einen Geste so stark bewusst war.

Viola warf noch einen letzten Blick auf Ban, bei dem sie sich gar nicht so sicher war, ob er der Einladung folgen würde, doch dann nahm sie Zins Hand von der Schulter, verschlang ihre Finger mit den seinen – so gut das eben mit Schwimmhäuten ging – und zog ihn mit sich zum Haus.

Ihr Herz raste wie wild und doch so schwer, als hätte man ihm Bleigewichte angehängt.

22. Kapitel

Da Männer ihrer Erfahrung nach große Esser waren und bestimmt noch mehr, wenn sie tagelang kaum zur Ruhe gekommen sein mussten, holte Viola die große gusseiserne Pfanne ihrer Omi hervor, um darin ein ganzes Dutzend Eier zu braten. Danach den restlichen Speck, der noch im Kühlschrank war. Dazu gab es Toast, Würstchen, Erdnussbutter, Honig und Marmelade, Nutella und heiße Schokolade sowie eisgekühlte Getränke.

Vielleicht übertrieb Viola es etwas mit ihrer Bewirtung, aber sie wusste nicht, was genau die Männer aßen, also nahm sie einfach alles, was sie selber gerne aß. Solange man die Reste im Kühlschrank aufbewahren konnte, war es bestimmt kein Fehlgriff.

Während sie kochte, drückte sie Zin schon fast wie selbstverständlich die Platzdeckchen in die Hand, damit er den Tisch decken konnte und wenn er ihr nahe genug war, strich sie manchmal mit einer verhaltenen Geste über seine Seite, seinen Arm oder neigte sich wie zufällig weiter zu ihm hin, um seinen Duft in sich aufzunehmen.

Sie hatte die Geschehnisse auf der Decke nicht vergessen, waren sie doch noch so ungemein frisch, und obwohl ihr das Herz schwer wurde, konnte sie doch nicht anders, als auch noch die Nachwirkungen davon auszukosten. Allerdings war sie während der ganzen Kocherei wenig gesprächig und überließ es den Männern Konversionen zu führen, schließlich hatten sie sich lange nicht gesehen und mussten sich bestimmt noch sehr viel mehr auf den neuesten Stand bringen, als man bei einem flüchtigen Wiedersehen es konnte.

Überraschenderweise ließ sich sogar Flocke blicken, auch wenn sie die Überraschungsgäste von einem sicheren Platz von der Fensterbank aus beobachtete. Keiner, der zu Gattung von Katzen gehörte und eine feine Nase hatte, könnte es ihr verdenken. Es roch verteufelt gut in ihrer Wohnküche und damit meinte sie nicht den knusprig gebratenen Speck.
 

Das hat ja nicht lange gedauert ...

Sal nickte in Richtung der Platzdeckchen, die Zin gerade auf dem Tisch verteilte, und grinste dann so eindeutig, dass Zin seine Miene stark verschließen musste, um am Ende nicht rot zu werden.

Was meinst du?, wollte er wissen.

Die Brüder unterhielten sich so leise, dass Viola es über das Brutzeln am Ofen hinweg ohnehin nicht gehört hätte. Daher war es hoffentlich auch in Ordnung, wenn sie in einer Sprache miteinander sprachen, die sie nicht verstehen konnte.

Ach, es wundert mich nur, dass sie in so kurzer Zeit schafft, was Mom in 30 Jahren nicht zu Wege bringen konnte.

Sals Lachen war nun wieder etwas zu laut für Zins Geschmack. Aber er tat trotzdem nichts dagegen, sondern holte lieber Gläser und Teller aus dem Schrank, um den Tisch fertig zu decken, an dem Oka sich bereits niedergelassen hatte und seine gespreizten Zehen betrachtete.

Von denen habe ich wenigstens noch alle, erklärte er und hielt die Hand in die Luft, an der ihn die Explosion zwei Finger gekostet hatte.

„Wie viele sind gestorben?“, fragte Zin nun in menschlicher Sprache und setzte sich ganz automatisch auch auf einen der Stühle. Kels und Angs Tod steckte ihm noch in den Knochen. Sollte es noch mehr getroffen habe, würden ihm vielleicht doch die Knie ihren Dienst versagen.

„Frag lieber, wie viele noch übrig sind“, meinte Sal finster und lehnte sich gegen die Rückseite des Sofas, wo noch immer das Shirt hing, das Zin in der vergangenen Nacht zumindest für eine Weile getragen hatte.

„Was ist ... mit Aya?“

War seine Stimme gerade leiser geworden? Oder war es allein die Furcht vor der Antwort, die seine Stimme schon jetzt niederdrückte und Zins Herz, wie eine stachelige Nuss in seiner Brust springen ließ?

Als Ban auf diese Frage hin einen nicht definierbaren Ton von sich gab, war Zin sofort wieder auf hundertachtzig. Am liebsten wäre er aufgesprungen und hätte seinem Bruder die Faust ins Gesicht gedonnert. Aber er ließ es bleiben und verwendete seine Energie lieber darauf, sich unauffällig an der Kante des Stuhls festzuklammern.

Aya ... Bitte. Bitte, bitte nicht.

„Ihr ist nicht viel passiert. Keine Sorge. Ila geht’s auch gut. Die beiden waren nicht ganz vorn, daher hatte Ila eine Gehirnerschütterung und beide haben was an der Schwimmblase abbekommen. Aber du kennst sie ja. Nichts, was sie wirklich aus der Bahn werfen könnte.“

Sie lebten. Aya und seiner kleinen Schwester ging es gut.

Nun ließ Zin doch seiner Erleichterung freien Lauf und lächelte, bevor er Sal dankend zunickte. Das waren endlich einmal gute Neuigkeiten.
 

Viola war in ihren eigenen Gedanken versunken, während sie langsam Essen auf den von Zin gedeckten Tisch auftürmte, bis man fast den Tisch ächzen hören konnte. Allein die Pfanne musste sie mit zwei Händen nehmen, obwohl sie keine schwache Frau war.

Eben die perfekte Waffe, um auf einen Einbrecher loszugehen.

Das wäre zumindest Violas erste Wahl gewesen, wenn sie nicht selbst ein paar Waffen am Körper tragen würde.

Alberne Gedanken, wie sie wusste. Denn eigentlich war die Lage im Moment viel zu ernst, um sich so etwas Banalem zu widmen. Aber alles, was sie davon ablenken konnte, nicht auf der Stelle wild zu werden, war gut.

Tatsächlich kämpfte Viola um Beherrschung. Es war, als würde man auf ein schlimmes Ereignis warten. Als wüsste man, dass es kein Entkommen gab und auch, dass es trotz aller Wünsche nicht anders ausgehen würde.

Ach, was machte sie sich vor. Es war tatsächlich so. Je mehr sie versuchte, die Zeit zu verlangsamen, je schneller schien sie zu zerrinnen.

Als Viola die Pfanne auf den Tisch stellte, nahm sie Zins Witterung auf. Sie hatte dem Gesprächsverlauf nicht mitgekommen, nur ein paar Namen waren gefallen, doch es war auch so klar, dass zuerst Angst an ihm nagte und dann so etwas, wie Erleichterung ihn erfüllte. Trotzdem strich Viola seinen Arm hinauf, als sie sich wieder umdrehte, um den Brotkorb zu holen und ließ ihre Hand einen Moment zart in Zins Nacken verweilen, ehe sie sich regelrecht von ihm losreißen musste.

Verdammt!

Sie biss sich auf die Unterlippe und unterdrückte somit ein Knurren.

Verdammt, verdammt, verdammt!

Sie sollte ihre Finger bei sich behalten. Sich schon jetzt langsam zurückziehen, anstatt noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Das wäre besser so.

Ein kurzer schneller Bruch. Das tat zwar im ersten Moment weh, war aber immer noch besser, als wenn man sich das Pflaster langsam von der Haut zog.

Viola stellte den Brotkorb neben Oka ab und verteilte dann die Getränke auf die gedeckten Plätze. Dieses Mal schaffte sie es, Zin dabei nicht mehr zu berühren.

„Na dann, guten Hunger, Jungs", durchbrach sie ihr eigenes Schweigen, als sie noch Ketchup zu den Würstchen dazu stellte und sich setzte. Neben Zin. Alles andere wäre ihr unmöglich erschienen.
 

„Vielen Dank.“

Oka blinzelte kurz, bevor sich ein leicht irritiertes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete.

„Das sind Spiegeleier. Heiß, aber sehr lecker.“ Zin deutete noch auf die anderen Speisen, die mengenmäßig für einen Schwarm ausgelegt zu sein schienen, und erklärte seinen Brüdern, was das alles war, bevor er sich an Viola wandte und eine Hand ausstreckte, um ihren Arm zu berühren. Am liebsten hätte er ihr einen kleinen Kuss gegeben. Oder einen Großen. Ja, eigentlich eher einen Großen.

„Danke.“ Er sagte es leise und wurde sofort wieder aus der kleinen Seifenblase gerissen, die sich gerade um ihn und Viola bilden wollte, als Ban sich auf einen Stuhl fallen ließ und allein durch seine Anwesenheit ein tiefes Loch in die Stimmung riss. Dabei nahm er sich für seine Verhältnisse sogar zusammen, hielt die Klappe und warf einen weniger skeptischen Blick auf das Essen, als Zin vermutet hätte.

„Darf man ... schon anfangen?“ Sal blickte Viola direkt in die Augen und holte sich damit die Erlaubnis, bevor er sich ein paar Eier auf seinen Teller schaufelt und einen großen Schluck Saft hinunter stürzte, bloß um dann begeistert Viola anzugrinsen. „Das ist ziemlich süß.“

Oka beäugte sein eigenes Glas, bevor er einen kleinen Schluck nahm und dann ebenfalls grinste. Er schien Sal zuzustimmen.

Sie aßen ruhig und für eine Weile schweigend, bis Ban sich in seinem Stuhl zurücklehnte, die Gabel weglegte und Zin ansah.

„Wenn wir morgen früh aufbrechen, können wir in zwei Tagen am Riff sein. Die Bohrungen gehen weiter, daher müssen wir uns etwas Besseres einfallen lassen, als in unseren Tod zu schwimmen. Hast du dir Gedanken gemacht?“

Zin musste dem Drang widerstehen, sich ebenfalls nach hinten zu lehnen. Das hätte nur Schwäche offenbart, wenn er vor Schmerzen im Rücken zusammengezuckt wäre. Bevor er allerdings überhaupt etwas sagen konnte, fiel Sal in die Unterhaltung mit ein.

„Vielleicht sollten wir unsere Gastgeberin lieber erst einmal fragen, ob wir überhaupt bis Morgen bleiben dürfen.“

Bans Blick richtete sich auf Viola und Zins Nackenmuskeln spannten sich in der Erwartung dessen an, was jetzt wieder alles schief gehen konnte.

„Du hast recht. Wäre es für dich in Ordnung, wenn wir uns in der Nähe deiner Insel ausruhen würden, bis wir Morgen weiter können? Wir schlafen im Wasser und werden dir nicht weiter zur Last fallen.“

Beinahe wäre Zin die Kinnlade auf die Tischplatte geknallt.
 

Eigentlich hätte sie es gar nicht geglaubt, aber sie genoss es tatsächlich ein winzig kleines Bisschen, dabei zuzusehen, wie die Männer zwar noch etwas skeptisch aber dann doch nach und nach, ihr gekochtes Essen vertilgten.

Es war immer noch gewöhnungsbedürftig gewesen, das Zin erst erklären musste, um was es sich dabei alles handelte, aber so war es ihr mit ihm anfangs auch gewesen, also ...

Ach Zin ...

Viola hatte sich selbst nicht viel auf ihren Teller getan, da sie eigentlich keinen Hunger hatte. Trotzdem tat sie beschäftigt, in dem sie ihren Speck kleinschnitt und dann mit der Gabel über den Teller jagte, ab und zu durch das flüssige Eigelb schob und ganz selten tatsächlich in den Mund nahm.

Als Ban ein ziemlich unverdauliches Thema auf den Tisch brachte, verging Viola auch noch der letzte Rest eines möglichen Appetits.

Ihr Herz plumpste ihr in den Magen und ein kalter Schauer jagte ihr über den Rücken.

Morgen früh ... Sie wollten morgen früh aufbrechen.

Sie kam allerdings nicht dazu, die Worte richtig zu verdauen, ehe sie auch schon direkt ins Gespräch gezogen wurde und den Blick von dem Kunstwerk auf ihrem Teller hob, um Ban direkt anzusehen.

„Nein, kein Problem. Ihr stört überhaupt nicht.“

Na ja, eigentlich doch irgendwie, aber das würde sie dem ältesten Bruder in dieser Runde sicherlich nicht auf die Nase binden.

Es war so absolut unvermeidlich.

Kurz warf sie einen Seitenblick auf Zin, doch ehe er vollständig ihren Blick erwidern konnte, erhob sie sich vom Tisch und nahm ihren Teller mit, um die Reste in Flockes Futternapf zu leeren und den Teller in die Spüle zu stellen. Danach nahm sie kleine Schüsselchen aus dem Schrank und stellte sie der Reihe nach auf der Anrichte auf.

„Bleibt ihr denn auch noch zum Frühstück?“, wollte sie etwas farblos wissen, was aber auch auf eine leichte Versunkenheit hinweisen könnte, da sie gerade den Kopf ins Gefrierfach steckte, um nach der riesigen Eisbox mit Stracciatella zu suchen. Andere Eissorten schien sie leider gerade nicht mehr im Haus oder besser gesagt in ihrem Kühlschrank zu haben.

Unwillkürlich musste sie sich fragen, ob Zin in seiner letzten Nacht hier, bei seinen Brüdern schlafen würde.
 

Zin war ziemlich schnell auf den Beinen, ging zur Küchenzeile hinüber und ignorierte dabei die Anwesenheit seiner Brüder so vollkommen, dass Sal seinen Blick auf seinen Teller richtete, als wäre dort etwas unglaublich Interessantes zu sehen.

Die Temperatur im Raum war so stark gesunken, dass es Zin fröstelte und er Viola am liebsten an sich gezogen und ihre Wärme in sich aufgenommen hätte. Andererseits schien sie gerade nicht wirklich viel Wärme für ihre Umgebung übrig zu haben. Was Zin auch verstand, wenn er bedachte, auf was genau Viola in dieser Art und Weise reagiert hatte.

Sie war ... Er sollte mit ihr reden. Allein und unter vier Augen. Ob sie das allerdings wollte, war eine andere Frage.

Selbst Ban hielt für eine ganze Weile den Mund und kaute lieber auf seinem Speck und Ei herum, während Zin sich an Viola heranpirschte, ihr das Eis aus der Hand nahm und es auf die Anrichte stellte. Er warf ihr einen besorgten Blick zu, der aber irgendwie an ihr abzuprallen schien. Sie sah ihm nicht einmal direkt in die Augen.

„Ich würde gern noch zum Frühstück bleiben. Wenn das ... für dich in Ordnung ist.“

Er würde sogar gern sehr viel länger bleiben. Aber das konnte er nicht jetzt sofort und nicht hier vor den Anderen mit ihr klären. Dafür würden sie Zeit und Privatsphäre brauchen. Zin hoffte bloß, dass Viola ihm beides gewähren würde.
 

Es war faszinierend, die Reaktion der Eispackung auf die plötzliche Wärme in ihrer Umgebung zu beobachten. Eigentlich hätte man meinen können, dass sich die feine Raureifschicht sofort in schwitzende Perlen verwandeln würde, doch irgendwie schien der Frostfilm sich noch weiter auszubreiten. Ganz so, als würde er noch einmal alle Kräfte aufbieten, um der ungewohnten Hitze zu trotzen.

Viola hob den Kopf und sah Zin direkt in die Augen.

Beinahe wäre sie vor seinem Blick zurückgewichen, der immer noch so tief und voller Gefühl war, wie es ihre Knie nur allzu leicht weichmachen konnte. Dennoch hielt sie ihm stand und zuckte dann lediglich mit den Schultern.

„Warum nicht? Essen ist noch genug da", antwortete sie fast etwas zu gleichgültig, ehe sie sich an ihm vorbei schob, den Atem anhielt, um seinen Duft nicht noch stärker in die Nase zu bekommen und dann die frische Eispackung aufbrach.

Sie hatte keinen Eislöffel, mit dem man schöne Kugeln formen konnte, also nahm sie einen stinknormalen Esslöffel und machte eben etwas, das aussah, wie breite Kringel, die sie auf die Glasschüsseln verteilte, bis in keinem davon mehr Platz war. Nur bei ihrer eigenen Schüssel beließ sie es bei ein einer winzigen Portion Eis.

Es würde ohnehin nur vor sich hinschmelzen, ehe sie es in den Ausguss leerte.
 

Warum nicht?

Kurz war Zin so, als hätte Viola ihm im Vorbeigehen eine runtergehauen.

Er starrte auf den Fleck, an dem sie eben noch gestanden hatte, und konnte nicht ganz glauben, dass sie das gerade gesagt hatte.

Es ging doch ... nicht ums Essen! Es ging darum, dass er gern noch bei ihr bleiben wollte. In dieser Nacht und so lange, wie es seine Pflicht zuließ, sich um den Rest seiner Familie zu kümmern.

„Okay.“ Zin schaffte es nicht, noch ein 'Danke' hinterher zu schicken. Stattdessen nahm er zwei Schüsseln voll Eis, stellte sie vor Ban und Sal ab und holte sich dann seine eigene Portion, die er stillschweigend im Stehen verzehrte, bevor er begann, den Tisch abzuräumen.

In sich versunken, bemerkte er gar nicht, wie sich hinter ihm etwas rührte. Erst, als Ban neben ihm stand, ihn überschattete und auf ihn hinunter blickte, riss Zin sich aus seinen Gedanken. Sie hatten sich alle um Viola gedreht. Darum, was er jetzt tun sollte. Was sie dachte und ob das vorhin am Strand ... Ob er nur jemand für sie war, der ihr ein bisschen Spaß brachte. Immerhin ... war sie nicht scharf darauf, dass er länger blieb. Das hatte er aus ihrer Reaktion vorhin sehr deutlich herauslesen können. Oder zumindest glaubte Zin, das herauslesen zu müssen.

Viola war so ein ehrlicher Mensch. Sie würde nicht das eine sagen und das andere meinen. Also hieß das wohl, dass er zwar bleiben konnte, bis sie sich für die Reise gestärkt hatten, aber danach ... waren sie beide wieder frei. Für ... was oder wen auch immer.

Als wäre das für ihn auch nur eine Option.

„Denkst du, dass du so weit schwimmen kannst? Wenn deine Verletzungen noch zu schwer sind, können wir dich auch für den Angriff nicht brauchen. Allerdings gibt es außer dir niemanden, der so viel Schaden verursachen kann.“

Ban rasselte die Worte ohne große Gefühle herunter. Fakten an Fakten. Der Schwarm brauchte Zin und seine Erfahrungen, die er an Land gesammelt hatte. Sein Wissen aus Büchern. Nur er kannte sich ansatzweise mit der Funktion von Strom aus. Und der Gefahr.

„Es geht schon.“ Keine Sorge.
 

Das war nicht einfach nur ein Ruck an einem festsitzenden Pflaster. Das war, als würde man gleichzeitig das Pflaster auch noch kratzen und beißen, während es einen zurückkratzte und biss und noch mehr an der empfindlichen Haut zupfte.

Mit jedem weiteren Atemzug, der ihr Zins Geruch in die Nase trieb, wuchs zugleich der Knoten in ihrer eigenen Brust immer weiter an, bis da gar kein Platz mehr war, um richtig atmen zu können.

Trotzdem schaffte es Viola irgendwie auch Oka eine Schüssel voll Eis hinzustellen und den restlichen Tisch abzuräumen, wobei Zin ihr ebenfalls inzwischen wie selbstverständlich half.

Ihr eigenes Eis ließ sie unberührt und sie war gerade dabei gewesen, die schmutzigen Teller zu stapeln und das Besteck zur Seite zu legen, um alles mit ein bisschen Ordnung abwaschen zu können, als Ban erneut den Mund aufmachte und ihr den Rest gab.

Natürlich war sie nicht gemeint. Sie war ja nicht einmal anwesend oder auch nur annähernd irgendwie an dem Thema beteiligt, trotzdem hatte sie das Gefühl, gleich explodieren zu müssen.

Sie zitterte bereits und ihre Fingerspitzen juckten, als würde sie jeden Moment unwillentlich die Krallen ausfahren.

Sie wollten Zin also gleich an vorderste Front schicken. Sie wollten ihn in seinem Zustand und nach einer Zweitagesreise sofort wieder der Gefahr aussetzen, als wären beim letzten Versuch nicht schon genug Leute gestorben.

Als sie daran dachte, dass Zin dieses Mal wirklich sterben könnte, konnte sie nicht mehr.

Sie wischte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab und verließ einfach die Küche.

Nicht nur die Küche. Sie verließ auch das Haus, allerdings nicht in Richtung Strand, sondern Wald, und als sie mit immer schneller werdenden Schritten immer tiefer in ihre geliebte und vertraute Umgebung eintauchte, ließ sie dem Druck in ihrem Inneren freien Lauf.

Mit einem wütenden und zugleich verzweifelten Laut zerriss es ihre Moleküle, ihr Bikini flog in Fetzen an ihr herab, ehe sie auf vier Pfoten aufkam und nun endgültig durchs Unterholz preschte, als wäre ein ganzer Reisebus von Wilderern hinter ihr her.

Ihrem inneren Gefühlschaos konnte sie damit jedoch nicht davonlaufen.
 

***
 

Es war schon längst dunkel, als ihr Weg sie wieder auf den schmalen Pfad führte, der sich ein Stück hinter ihrem Haus durch den Wald schlängelte und sich dann irgendwo im Wald verlief. Da sie allerdings in die andere Richtung ging, führte sie der Weg natürlich direkt zu ihrem Haus. Zu ihren Problemen und zu ... Zin.

Inzwischen kam sich Viola verdammt kindisch und unüberlegt vor. Sie hatte sich nicht nur mies verhalten, sondern war auch einfach so davongelaufen, während Gäste in ihrem Haus waren. Normalerweise war sie keine so miese Gastgeberin, aber zu ihrer eigenen Entschuldigung, musste sie anmerken, dass sie keine Sekunde länger diesem Gespräch hätte zuhören können, da es immer noch an ihr nagte und fraß, bis wohl bald nichts mehr von ihr übrig bleiben würde.

Dass Zin sie verlassen würde, war schlimm. Dass er nie wieder zurückkommen könnte, weil er vermutlich getötet wurde, war so unerwartet unerträglich für sie, dass Viola es selbst immer noch kaum glauben konnte.

Am liebsten wäre sie bis zum Morgengrauen gar nicht mehr zurückgekommen. Nicht einmal bis zum nächsten Abend, um sicherzugehen, dass die Männer weg waren. Doch Zin loszulassen, einfach so ohne Abschied? Das brachte selbst sie nicht fertig. Egal was für eine Art von Abschied das auch werden würde.

Die Gegend rund um das Haus, war ruhig und auch im Haus selbst war es still, also verwandelte Viola sich wieder zurück und schlich nackt durch ihre Vordertür und wich danach den knarrenden Dielen aus, die ihr schon so vertraut waren.

Sie wollte nur noch in ihr Zimmer. In ihr Bett und ihr Gesicht in das Kissen vergraben, das Zins Duft bestimmt immer noch beherbergte. Alles andere konnte sie bestimmt noch auf Morgen verschieben.
 

Er trat aus dem Gästezimmer, sobald er auch nur das leiseste Geräusch vernahm, das auf die Anwesenheit einer zweiten Person hätte hinweisen können. Jedes Mal machte sein Herz in seiner Brust einen Sprung, bloß um dann enttäuscht und nach Stunden auch besorgt weiter zu klopfen, während Zin sich wieder zurückzog, sich auf das Bett legte und an die Decke starrte.

Natürlich wartete er auf sie. Das hatte er getan, seit Viola einfach davongelaufen war. Er war sogar kurz davor gewesen, ihr zu folgen. Aber das hätte nicht viel gebracht. Zin kannte sich in den Wäldern nicht aus. Am Ende hätte er sich verlaufen oder wäre in einen Menschen hineingerannt und hätte sich wirklich in Schwierigkeiten gebracht. Da war es das kleinere Übel, Löcher in die Decke zu starren und zu warten.

Er wartete und wartete. Als es bereits dunkel war, fielen Zin immer wieder die Augen zu und sein Rücken protestierte immer lauter, je öfter Zin ihm das Aufspringen und wieder hinlegen zumutete, bloß um dann wieder die ganze Zeit belastet zu werden.

Vermutlich wollte sie ihn nicht sehen. Selbst wenn sie wiederkam. Viola wäre nicht einfach davon gelaufen, wenn sie sich mit Zin hätte aussprechen wollen. Aber ... er wollte. Er musste ihr noch ein paar Dinge sagen. Sie etwas fragen und ... er konnte nicht einfach so verschwinden. Nicht, nach allem, was passiert war.

Die Tür quietschte leise in den Angeln.

Zins Augen huschten zum Flur und diesmal blieb er sogar ein paar atemlose Sekunden lang liegen, bevor er aus dem Bett sprang, Violas Morgenmantel von der Matratze mit sich riss und ihr in den Weg trat.

Er erstarrte, als er sie sah. Nackt und ... wunderschön, wie immer. Es hätte Zin nicht gewundert, hätte seine Hand, die er ausstreckte, um ihr den Morgenmantel anzubieten, gezittert. Aber sie tat es nicht. Zin hielt Viola den Morgenmantel so hin, dass sie nur hineinschlüpfen musste, wenn sie es wollte.

Seine Augen versuchten, ihren Blick einzufangen. Selbst wenn das bedeuten würde, dass sie ihn damit erdolchte.

„Es tut mir leid.“
 

Sie hielt mitten im Schritt inne, als ein Schatten plötzlich vor ihr auftauchte.

Zin.

Sie hätte eigentlich mit ihm rechnen müssen und so wie ihr Herz – dieses verräterische Ding – zu rasen begann, schien sie sich auch noch darüber zu freuen, dass er ihr den Weg versperrte. Ihr Verstand sagte allerdings etwas ganz anderes.

Eigentlich wollte sie ihn einfach beiseiteschieben und in ihr Zimmer gehen. Doch sie konnte es nicht. Ihr Körper wollte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegen.

Sein „Es tut mir leid“ ließ sie innerlich zusammenkrümmen.

Es tat auch Viola leid und doch brachte sie keinen Ton über die Lippen, sondern starrte auf Zins Hände, die ihr ihren Morgenmantel entgegen hielten.

Ihr Herz schlug wilder und die sich ausbreitende Stille zwischen ihnen wurde ohrenbetäubend.

Langsam hob sie die Hand.

Für einen Moment blieb diese unentschlossen in der Luft hängen, ehe Viola nach dem Morgenmantel griff und ihn aus Zins Händen zog, um ihn einfach auf den Boden fallen zu lassen.

Sie trat einen Schritt näher an ihn heran, ohne den Blick zu heben, was nun auch noch ein intensives Prickeln sowohl in ihrem Nacken, wie auch in ihrem Bauch auslöste.

Viola konnte ihn wittern. Genauso wie sie immer noch den Wald an sich riechen konnte. Doch nichts hätte sie in diesem Augenblick dazu bringen können, noch einmal dorthinein zu laufen. Außer vielleicht ... Zin.

Viola schloss die Augen und sog tief den Duft von Meer und Mann in ihre Nase. Immer noch wollte sie sich dagegen wehren. Gegen seine Nähe. Gegen die Dinge, die er so einfach mit ihr anstellen konnte. Gerade weil er sie in wenigen Stunden verlassen würde. Gerade deshalb wollte sie das alles nicht.

Trotzdem trat sie einen weiteren Schritt nach vor und schmiegte ihr Gesicht an sein Schlüsselbein, während ihre Arme sich um ihn schlossen und sanft über seinen geschundenen Rücken strichen.

„Halt ... einfach die Klappe", murmelte sie zart gegen seine Haut und rieb dabei ihre Wange an dieser kühlen Geborgenheit.

Noch einmal atmete sie tief das Aroma von Zins Haut ein, ehe sie die Luft in einen endlosen Seufzer entließ und sich noch enger an ihn schmiegte, ehe ihre Lippen einen Weg von seinem Schlüsselbein ausgehend nach oben zu seinem Hals zu suchen begannen.

Auch ihre Hände wanderten nach oben, um sein Gesicht zu berühren und es schließlich zu sich herunterzuziehen, während sie sich auf ihre Zehenspitzen stellte.

„Sag einfach gar nichts", flüsterte sie noch einmal gegen seine Lippen, küsste sie für einen Moment lang ausgesprochen zärtlich, ehe Viola sich wieder halb von Zin löste und ihn mit sich in das Gästezimmer zog, wo er nur so kurze Zeit bei ihr gewohnt hatte. Aber offenbar nicht kurz genug.

Viola schob ihn auf das Bett zu, bis er sich darauf niederlassen musste, und setzte sich dann auf seinen Schoß, während ihre Hände erneut sein Gesicht umfingen und sie ihn dieses Mal sehr viel länger küsste und sich intensiver an ihn schmiegte, als wäre es das letzte Mal.

Aber ... das war es doch auch, nicht wahr?
 

„Halt ... einfach die Klappe.“

Das tat er.

Zin hatte erstaunt die Hände ausgebreitet, als Viola auf ihn zugetreten war. Und auch jetzt, eine Minute später traute er sich noch nicht, sie um Violas nackten Körper zu legen. Ihr langes Seufzen machte es ihm sogar noch schwerer.

Sie kam Zin in diesem Moment so ... zerbrechlich vor. Eine Eigenschaft, die er an Viola nicht kannte. Zin hätte nicht einmal angenommen, dass sie überhaupt so wirken konnte. Aber so war es. Selbst, als sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihn küsste.

Zins Hände legten sich sanft um ihre Schultern, hielten sie so zart, dass ihr die Berührung vielleicht gar nicht auffiel. Sein Herz schlug hart und sein Körper war angespannt. Irgendwie wirkte Viola so, als würde sie sofort wieder weglaufen, wenn sie die Gelegenheit dazubekam. Und das ... wollte Zin auf keinen Fall.

Deshalb folgte er ihr auch immer noch wortlos, ließ sich auf das Bett schieben, das irgendwie in diesen vergangenen Wochen zu 'seinem Bett' geworden war, und erwiderte Violas Kuss.

Oh man, er war wirklich vollkommen durcheinander. War es nun ein gutes Zeichen, dass sie ihn küsste? Oder konnte er immer noch jede Sekunde einen Fehler machen, der sie verletzte und sie wieder hinaustrieb?

Als sie sich an ihn schmiegte, er ihre warme Haut auf seiner spürte, war der Bann endgültig gebrochen. Zins Arme schlangen sich um Violas Körper. Einen Unterarm um ihren Po gelegt, zog Zin sie noch näher an sich heran, streichelte ihre Hüfte und vergrub seine freie Hand in ihrem Haar. Viola roch nach Erde, nach Luft und Blättern. Nach ihrer zweiten Natur, die Zin bis jetzt nur einmal zu Gesicht bekommen hatte.

Es tat ihm wirklich unendlich leid. Und es zerriss ihn fast, als er daran dachte, dass sie auf seine Frage vielleicht negativ reagieren könnte. Dass sie ...

Zin ließ sich langsam nach hinten fallen, zog Viola mit sich und hielt ihr Gesicht kurz zwischen seinen Händen, bevor er sie wieder um sie schlang, als könnte sie ihm wirklich jeden Moment davon laufen. Er küsste sie, knabberte über ihre Lippen, zeichnete mit der Zungenspitze den Schwung ihres Mundes nach ... und verging fast, wenn er daran dachte, dass er das für eine Weile nicht mehr würde tun können.
 

Sie folgte ihm so unwiderruflich, als würde sie an Zin festkleben und das tat sie irgendwie ja auch, da ihre sämtlichen Gliedmaßen so vollkommen um ihn geschlungen waren, dass er sogar hätte aufstehen können und sie wäre nicht runtergefallen. Trotzdem war das meiste ihres Gewichts auf ihren Knien und Unterschenkel verlagert, die weich in die Matratze gedrückt waren und sich zugleich eng an Zins Seite schmiegten.

Ihre Hände streichelten immer wieder zärtlich über seine Haut, zogen die Linien seiner Brustmuskeln mit einer solchen Sanftheit nach, dass es erschien, als hätte sie gar keine Krallen.

Die hatte sie zwar sehr wohl noch, doch im Augenblick war ihr nicht mehr danach, sie gegen Zin einzusetzen. Nein, Viola wollte alles andere, als ihm wehtun, obwohl es ihr selbst wehtat. Wenn auch mehr ihrem Herzen als sonst irgendeinem anderen Teil von ihr.

Dabei öffnete sie sich so vollkommen für ihn, dass es absolut ihrer momentanen Stimmungslage widersprechen müsste.

Doch das tat es irgendwie nicht.

Sie ließ seine Zunge in ihren Mund ein. Hieß sie sogar erfreut willkommen, während sie ihn weiter streichelte. Seinen Atem auf ihrer Haut spürte, seine Kühle, die ihren ganzen Körper stets zuverlässig prickeln ließ und doch heute, hier und jetzt noch intensiver zu sein schien.

Ihre Hände begannen, größere Flächen zu liebkosen. Seine Schultern, seine Oberarme, hielten ab und zu intensiver seinen Kopf fest, während sie sich nur darauf konzentrierte, Zins Lippen zu küssen, ehe Viola sie über seine Brust zu seinem Bauch hinabschickte. Zu seinen Seiten. Zwischen ihre Körper.

Sie seufzte erneut. Immer noch unklar, ob es von der aufkommenden Lust oder ganz anderen Gefühlen kam.

Das blieb selbst für sie noch offen. Doch Hauptsache, sie konnte bei Zin sein, ihn berühren und so intensiv unter seine Haut kriechen, wie es einem Außenstehenden nur möglich war.
 

Nun entkam auch Zin ein Seufzen, als Violas Lippen sich für ihn öffneten, sie ihn einließ und gleichzeitig begann, ihn zu streicheln. Jede Linie, die sie auf seiner Haut zog, schien nachzubrennen, wie kleine Feuer. Lichtpunkte, die er gern entgegen nahm und in denen er badete, solange Viola es zuließ.

Auch er streichelte sie. Ihren Rücken in langen Zügen, ihren Po und ihre Oberschenkel hinunter bis zu der Stelle, wo Haut auf Haut traf. Zins Lider flatterten hoch, als Violas Finger seinen Bauch liebkosten. Und weiter hinunter. Unmissverständlich ... oder nicht?

Zins Hände schoben ihr Haar zurück, legten es ihr auf den Rücken und streichelten dann Violas Wangen. Er zog sie zu sich heran, küsste sie wieder und versank in dem Gefühl, das nur sie ihm vermitteln konnte. Es war ungewöhnlich und ... groß.

Zin schlang seine Arme um Viola, hielt sie fest und drehte sich mit ihr zusammen auf die Seite, während er ein Stück die Matratze hinaufkroch.

„Bist du sicher, dass ich die Klappe halten soll?“, raunte er leise, bevor er sie sofort wieder küsste, mit ihren Haaren spielte und seine Beine mit ihren verschlang.

„Ich bin so froh, dass du wiedergekommen bist.“
 

„Ja.“

Sie schob sich enger an ihn heran, umschlang ihn nun noch mehr mit ihren Armen – ihrem Körper und widmete sich hingebungsvoll seinen Lippen.

„Sag einfach ... gar nichts", befahl sie ihm erneut, kaum mehr als ein Flüstern, als ein wirklicher Befehl und doch war es ihr ernst damit.

Er sollte nicht solche Dinge sagen. Er sollte überhaupt nichts sagen, das so stark eine Resonanz in ihr auslösen konnte, dass es in ihrem Inneren zitterte.

Und um ihren Wunsch noch weiter zu bekräftigen, ließ sie seinem Mund gar keine Zeit, noch mehr zu sagen. Jedes mögliche Wort wurde sofort von ihren Lippen im Keim erstickt.

Sie wollte das hier genießen. Sie wollte mit vollem Bewusstsein diesen Augenblick erleben, in dem sie Zin so nahe war und in dem sie in seiner Nähe und Zuwendung baden konnte.

Nicht sollte ihr das nehmen. Nicht einmal er. Nein, sie würde es verhindern, wenn er es versuchen sollte. Auf die eine oder andere Art würde ihr das bestimmt gelingen. Auch wenn sie nicht darum kämpfen wollte. Es nicht mehr konnte.

Warum konnte er ihr nicht einfach geben, wonach sie verlangte? Ohne Worte. Denn die waren im Augenblick mehr als überflüssig. Es reichte schon, dass er einfach bei ihr war. Damit gab sie sich zufrieden. Musste sie sich einfach zufriedengeben. Was hätte sie denn mehr verlangen können?

Violas Hand schlang sich um Zins Nacken, als sie den Kuss intensivierte und ihr Bein so um seine Hüfte schlang, dass er ihr nicht entkommen konnte.

Als seine kühle Haut auf die ungeschützte und zugleich vermutlich wärmste Stelle ihres Körpers traf, seufzte sie erneut in den Kuss. Dieses Mal jedoch eindeutig lustvoll.

23. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

24. Kapitel

Viola fühlte sich wie nach einem ausgiebigen Winterschlaf. Nicht, dass sie wüsste, wie es war, einen Winterschlaf zu halten, doch genau so stellte sie sich ihn vor. Eingemümmelt in ein weiches Nest, rundherum Wärme, Geborgenheit und wohltuende Stille.

Ihre Glieder waren bleischwer und taten auf eine Weise weh, wie man gerne die Schmerzen hinnahm. Vor allem ihre Oberschenkel zwickten bei jeder noch so kleinen Anspannung und erinnerten sie an die köstliche Art, wie sie gerade diese Muskeln auf eher ungewohnte Art beansprucht hatte.

Zufrieden und von einem herrlich männlichen Duft eingelullt, den sie sich am liebsten vor dem Zubettgehen immer aufs Kopfkissen gesprüht hätte, holte sie einmal tief Luft, um noch eine Runde zu schlafen.

Sie war träge, faul und absolut nicht in der Stimmung irgendetwas an ihrer derzeitigen Lage zu verändern, obwohl dieser große, schlanke Männerkörper sich beinahe in eine Art beschützendem Käfig um ihren eigenen Körper gewickelt hatte.

Sie bekam noch Luft. Alles andere war ihr egal.

Trotzdem machte sie es sich noch um eine Spur bequemer, in dem sie ihre Hände und Beine etwas anzog und sich in der männlichen Umarmung an Zins Brust zusammenrollte.

Viola war bereits dabei, wieder ins Land der sorglosen Träume abzutauchen, als sie die Nase rümpfte.

So stark der herrlich einlullende Duft um sie herum auch war, sie konnte dennoch auch den Gestank von Eisen wahrnehmen.

Sie sollte mal ordentlicher aufräumen, wenn sogar alte Pennys es schafften, durch diesen Duft hindurchzukommen.

Immer noch leicht angewidert vergrub sie ihr Gesicht an der kühlen Brust, die sich regelmäßig hob und senkte, während sie sich mit ihrer Hand von dem Gestank abzuschirmen versuchte.

Nur, dass es damit noch schlimmer wurde.

„Was zum ... ?“, nuschelte sie total verschlafen, zog den Kopf etwas zurück und versuchte blinzelnd die schweren Augen zu öffnen.

Viola brauchte eine Weile, um überhaupt die Umrisse ihrer Hand erkennen zu können und noch ein gutes Stück länger um die undefinierbaren rostbraunen Flecken darauf zu identifizieren.

Als die nötigen Informationen endlich in ihren Gehirnwindungen ankamen, war sie mit einem Schlag hellwach, versuchte aber trotzdem ruhig zu bleiben, da es ja sein könnte, dass sie gerade zum unpassendsten Zeitpunkt ihre Zwischenblutungen bekommen hatte.

Nichts, was Zin unbedingt mitkriegen sollte. Nicht nur, weil es verdammt peinlich wäre, neben ihm das Bett voll zu bluten, sondern sie in dieser Phase durchaus dazu neigte, in mörderische Stimmungen zu kommen.

Während Viola sich langsam von Zins Armen freimachte, versuchte sie herauszufinden, der Wievielte heute war. Aber um ehrlich zu sein, sie hatte keine Ahnung.

Trotzdem war sie erleichtert, als sie sich endlich so weit befreit hatte, dass sie einen Blick an sich hinabwerfen konnte.

Die Innenseiten ihrer Schenkel fühlten sich zwar trotzdem etwas verklebt an, aber das lag an dem, was sie letzte Nacht getrieben hatte. Nicht an dem Beginn der Horrorwoche.

Gerade als Viola noch einmal erleichtert durchatmen wollte, fiel ihr Blick wieder auf ihre von der Morgensonne beschienene Hand und das getrocknete Blut darauf.

Einer grausigen Ahnung folgend, setzte sie sich nun doch ganz auf, aber ganz vorsichtig, damit sie Zin nicht weckte, und sah ihn prüfend an. Dann seinen blutverschmierten Rücken und das vollgeblutete Bettlaken hinter ihm. Dort wo sie ihn gestern Nacht beinahe bis in die Federkerneinlage der Matratze geritten hatte. Die Wut, die mit einem Schlag in ihr hochkochte, war so gewaltig, dass ihr einen Moment lang jedes Wort und vollkommen der Atem fehlte.

Sie hatte ihn gestern extra noch gefragt, ob sie ihm wehtat und er hatte eindeutig den Kopf geschüttelt. Was in ihrer Sprache 'nein' bedeutete.

„Zin, du verdammter ...“, knurrte sie leise und unfähig den Satz zu Ende zu sprechen, da sie kurz davor war, ihm wirklich wehzutun, dafür, dass er sie so belogen hatte und sie nun das Ausmaß ihrer eigenen Taten entdecken musste.

Verdammt noch mal, sie hätten es auch in einer anderen Stellung treiben können. Damit hatte sie keinerlei Probleme. Sie war schließlich niemand, der darauf bestand, oben zu sein!

„Du verdammter MASOCHIST!“, brüllte sie ihn schließlich an und schupste ihn unsanft gegen die Schulter, ehe sie sich fuchsteufelswild aus den Laken befreite, aufstand und beinahe auf die Schnauze fiel, weil ihr Fuß sich noch nicht ganz befreit hatte.

Sie riss sich einfach los, taumelte zur Tür und schlug sie mit einem lauten Knall, der das ganze Haus zum Wackeln brachte, hinter sich zu. Dasselbe wiederholte sie mit der Badezimmertür.

Der Spiegel ihres Badezimmerschranks erlitt beinahe das gleiche Schicksal, hätte sie nicht den Daumen darin gehabt, bevor er wieder aufsprang, und Schmerz sie durchzuckte.

Dieses Mal fauchte sie wirklich und schonungslos die ganze Litanei an Schimpfwörtern hinunter, die selbst einen gestandenen Seemann vor Scham hätte erröten lassen.

Kochend vor Wut riss Viola die Plastikhülle der frischen Kernseife mit den Zähnen ab und begann dann gründlich ihre Hände zu schrubben, bis das Wasser im Waschbecken wieder klar und nicht mehr rot war. Danach wusch sie sich auch noch Zins restliche Hinterlassenschaften von ihrem Körper, bürstete sich die Haare und Zähne und donnerte wie eine Dampflok aus dem Badezimmer.

Fehlte nur noch, dass ihre Nasenlöcher Rauch ausstießen, dann wäre das Bild perfekt. Trotz ihrer Nacktheit.
 

Es riss Zin von der Matratze hoch in die Senkrechte.

Sein Hirn war sofort hellwach und wusste, was los war, noch bevor der zweite Knall einer Tür das Haus in seinen Grundfesten erschütterte. Nur ein kurzer Blick auf das Bettlaken genügte, um sich im Klaren darüber zu sein, was Viola so aufregte.

Scheiße, das sah aber auch wirklich so aus, als hätte sie ihn mit einem Messer bearbeitet, anstatt wirklich eher kuscheligen Sex mit ihm gehabt zu haben. Dabei war es doch wirklich halb so schlimm gewesen.

Seine Kiemen hatten ihm die Muskelzuckungen vielleicht ein bisschen übel genommen. Auch jetzt fühlten sie sich noch taub an. Und das, obwohl er davon gestern nichts bemerkt hatte. Herrgott, er war mit ganz anderen Dimensionen von Gefühlen beschäftigt gewesen!

Bevor Sorge über seinen eigenen Zustand sich breitmachen konnte, kam Zin auf die Füße, riss das Bettlaken von der Matratze, knüllte es zusammen und nahm es mit auf den Flur, wo Viola keine Minute später wutschnaubend aus dem Bad gestürmt kam.

In ihrer Haltung hätte sie auf jeden angsteinflößend wirken müssen. Und sie wollte wohl auch Zin den Eindruck vermitteln, dass er sich bloß nicht zu weit vorwagen sollte. Wo er doch ein 'verdammter Masochist' war und sie nichts anderes wollte, als von ihm weg! Zumindest, wenn sie es sich nicht gerade anders überlegte und sich so sehr an ihn hielt, dass ihm wegen der ganzen Verwirrung die Luft wegblieb.

Ihre Blicke trafen sich.

Und Zin hielt stand. Seine Augen schimmerten wie flüssiges Quecksilber und es lag so viel Entschlossenheit in seinem Gesicht, dass es Viola die Millisekunde zu irritieren schien, die er brauchte.

Mit zwei langen Schritten war er bei ihr, fasste ihre Handgelenke, drehte Viola so herum, dass ihr Rücken an seinem Bauch lag, und warf dann vor ihr das blutige Laken mit einer ungeduldigen und auch ein wenig ungehaltenen Geste auf den Boden.

Zin war klar, dass sie kämpfen würde.

Dass sie sich würde befreien wollen.

Dass sie ihn anschreien würde.

Er ließ ihre Handgelenke los und hielt ihr stattdessen seinen Unterarm ein Stück entfernt vor ihr Gesicht. Sein freier Arm schlang sich dabei sehr viel sanfter als eben noch und in einer deutlichen Umarmung um Violas nackten Bauch.

„Beiß hier rein, wenn dir danach ist.“

Er ballte eine Faust, so dass sich die Sehnen und Muskeln in seinem Unterarm vor Violas Gesicht anspannten.

„Lass es raus. Und dann ...“

Zin schlang seinen Arm ein bisschen fester um sie, drückte seinen kühlen Körper an ihren warmen Rücken.

„... rede endlich mit mir ... Bitte, Viola.“
 

Als sich ihre Blicke trafen, rechnete Viola absolut sicher damit, dass Zin ihr im nächsten Augenblick ausweichen würde. Das taten diese Feiglinge immer.

Jeder Mann, der sie bisher auf die Palme gebracht hatte, zog letztendlich den Schwanz ein und wich ihr aus, ehe er schon bald darauf seine Sachen packte und auf Nimmerwiedersehen verschwand, weil er sich mit keiner Frau abgeben wollte, die in nur wenigen Sekunden dafür sorgen konnte, dass er um seine Eier bangen musste. Mochten es noch so harte Kerle sein.

Und die wirklich harten Kerle ließ sie gar nicht erst an sich heran. Denn auf Prügel stand sie nicht, obwohl sie sicher ziemlich gut im Austeilen war.

Daher überraschte es sie, dass Zin nicht einmal mit der Wimper zuckte, als sie ihm einen vernichtenden Blick zuwarf, der jeden geringeren Mann in die Knie gezwungen hätte.

Umso verblüffter war sie erst recht, als er sie packte, sie einfach so herumdrehte und gegen seine kühle Brust drückte.

Das nach Blut stinkende Bettlaken flog an ihr vorbei, und obwohl es die Flecken gut darin verbarg, war der Geruch jedoch ziemlich offensichtlich.

Zin ließ ihre Handgelenke los und schlang stattdessen seinen Arm um ihren Bauch, während sie immer noch unfähig war, sich zu bewegen.

Er hatte sie so total überrascht. Damit hatte sie einfach nicht gerechnet und sogar ihre Wut ließ deswegen etwas nach. Aber einen richtigen Dämpfer verpasste er ihr, als er seinen Arm vor ihr Gesicht hielt und ihr sagte, sie solle hineinbeißen, um sich abzuregen.

Viola starrte einfach nur auf die blasse Haut vor ihr und fühlte, wie ihr Blut in den Ohren rauschte und ihr Herz heftig schlug. Zugleich war sie sich sehr deutlich bewusst, wie nahe sie Zin erneut war und dass die Wildkatze in ihr, sich am liebsten einfach nur an ihm gerieben und geschnurrt hätte, um sich anschließend um ihn und seine Verletzungen zu kümmern. So wie sich eine annähernd anständige Frau ihrer Art, um 'ihren' Mann gekümmert hätte. Zumindest glaubte Viola das.

Scheiß auf die Vernunft!

Sie begann unterschwellig zu knurren, als sein letzter Satz sie sehr deutlich an etwas erinnerte, das ihr gar nicht gefiel und obwohl sie eher wegen des bevorstehenden Verlusts wie ein kleines Mädchen heulen sollte, siegte doch immer noch die Wut über alles andere.

Das Knurren schwoll noch mehr in ihrer Brust an und ließ ihren ganzen Körper vibrieren, während sie immer noch Zins Arm anstarrte und ihre Hände still an ihr hinabhingen, so als würde sie immer noch überlegen, ob sie nun zubeißen sollte oder nicht.

Oh, sie würde Zin gerne wehtun.

Da brauchte sie sich keine Illusionen zu machen und er sich bestimmt auch nicht, aber sie wollte es nicht auf diese Art tun. Sie war vielleicht halb Tier, aber sie war auch halb Mensch und somit ein instinktgesteuertes Wesen mit logischem Denkvermögen.

Viola packte äußerst flink seinen Arm und hielt ihn mit hartem Griff fest, so dass ihre Fingerknöchel weiß wurden und sie ihm bestimmt wehtat. Wenn auch nicht sehr. Aber es gab ihr kein Gefühl der Befriedigung. Das war es schließlich nicht, was sie wollte. Verdammt noch mal, sie hatte noch nie über einem Kerl von 'ihrem' Mann gedacht. Das Bedürfnis kannte sie nicht und umso mehr hatte diese Empfindung plötzlich ihre Gedanken fest im Griff. So fest, wie sie Zins Arm hielt.

Das Knurren arbeitete sich nun ihre Kehle hinauf und ließ ihre zusammengebissenen Zähne vibrieren, bis ihre Kiefer knackten und sie die Anspannung daraus löste und das Knurren abrupt abbrach.

„Glaubst du, ich würde es nicht tun?“

Ihre Stimme war schneidende Kälte und doch gefährlich leise. Fast ein Flüstern.

„Glaubst du, ich würde dir nicht das Fleisch von den Knochen ziehen, wenn mir danach wäre?“

Viola drehte leicht den Kopf zur Seite, so dass sie in ihrem Augenwinkel Zins Schulter sehen konnte und zugleich dem Verlauf seines Armes folgte.

„Glaubst du, dass mir dein Arm dafür auch nur annähernd genügen würde?“

Langsam, so dass er es kommen sah und selbst so weit nachgab, wie nötig, drehte sie sich zuerst in seiner Umarmung leicht auf die Seite, ließ dann sogar seinen Arm los, um sich dann ganz zu ihm herumzudrehen, so dass ihr Brustkorb nun gegen seinen gedrückt wurde und sie zu ihm aufsehen konnte.

Sie raste vor Wut und war zugleich erfüllt von etwas völlig Neuem. Etwas, das sie nur einmal in seine wunderschönen Augen sehen ließ, ehe sie Zins Hals fixierte.

Langsam, so dass Zin ihre völlig normalen Hände sehen konnte, obwohl sie am liebsten die Krallen ausgefahren hätte, hob Viola ihre Arme und legte sie um seinen Nacken.

Nicht fest, aber auch nicht in einer liebevollen Geste.

Noch einmal blickte sie in seine Augen, ehe sie überraschend schnell ihre Arme doch fester um seinen Nacken schlang und ihren Mund auf die Stelle an seinem Hals presste, bei der sie selbst immer total schwach oder wohl eher scharf wurde.

Ein Stück unter seinem Ohr und doch weiter seinem Nacken entgegen, dort wo sich ein Muskelstrang spürbar unter ihren Lippen abhob.

Ihre Zähne schabten deutlich, aber nicht verletzend über seine Haut, ehe ihre heiße Zunge folgte und sie ihn kostete.

Viola stöhnte ungewollt vor Genuss, schloss für einen Moment die Augen, um alles andere auszublenden und nur dieses eine Gefühl übrig zu lassen, ehe sie zu saugen begann.

Fest und hart. Aber allen voran, verletzte sie fordernd und in einer dominanten Geste die feinen Blutgefäße unter seiner Haut.

Als sie endlich von seinem Hals abließ, prickelten ihre Lippen von der ungewohnten Anspannung und fühlten sich geschwollen an, als hätte sie Zin stundenlang geküsst. Doch es war der Anblick des gigantischen Knutschfleckes, der ihr wahre Befriedigung schenkte und zugleich das Untier in ihr etwas zähmte. Dagegen sahen die immer noch sichtbaren roten Striemen auf seiner Brust, einfach nur ... nett aus.

Ihn wirklich zu beißen, hätte sie trotzdem nicht über sich gebracht, weil sie sich schon immer in diesem Punkt zurückgehalten hatte. Doch der leuchtende Knutschfleck prangte auch so wie ein Neonschild in der Dunkelheit und war garantiert nicht zu übersehen.

„Ich weiß nicht, ob ich mit dir reden werde, aber wenn du mich loslässt, höre ich dir vielleicht zu“, meinte sie anschließend in ruhigerem, etwas besänftigteren Tonfall und ließ Zin zuerst los, ohne ihn anzusehen.
 

Und wieder etwas, von dem er überhaupt nicht wusste, was er davon halten und wie er reagieren sollte. Zins Augen wurden schmal, als Viola seinen Arm so fest hielt, dass es auf jeden Fall wehtun musste. Er machte sich bereit dafür, dass sie wirklich ihre Zähne in sein Fleisch versenken würde. Vor Wut, an der er Schuld hatte.

Zin wusste nicht, was genau er getan hatte. Aber wenn Viola meinte, sie könne es damit lindern, dass sie ihn verletzte, sollte sie es lieber so tun. Mit körperlichen Narben konnte er leben.

Das Vibrieren ihres Knurrens übertrug sich auf seine Haut. Violas Brustkorb schien ihn ebenso angreifen zu wollen, wie der Rest ihres Körpers. Wahrscheinlich konnte er mehr als froh sein, dass er nicht schon längst ihre Krallen gespürt hatte.

Die Annahme bewahrheitete sich mit Violas Worten. So kalt sie waren, verursachten sie doch Hitze auf Zins sonst so kühlen Wangen und seine Muskeln spannten sich an, bis sein Gesichtsausdruck angestrengt wirkte und man rein gar nichts mehr daraus lesen konnte.

Sie wollte ihm das Fleisch von den Knochen ziehen?

Auch wenn er scheinbar ruhig stehenblieb, sie sich umdrehen ließ und auch ihrem Blick standhielt, hätte Viola einige Veränderungen an Zin erkennen können. Hätte sie nur für eine Sekunde darauf geachtet.

Das Muster auf seinem Rücken verstärkte sich. Die Streifen und Punkte, die jedem Fisch schon von Weitem Respekt und sogar so etwas wie Panik einflößten, wurden dunkler. Sie hoben sich deutlich von Zins blasser Haut ab. Eine Warnung genauso, wie eine natürliche Schutzfunktion, die er nicht einmal bewusst steuerte.

Seine Lippen zuckten, waren kurz davor, seine Zähne zu entblößen, aber Zin hielt diese Geste gerade gegenüber Viola zurück. Erstens wusste er nicht genau, was sie vorhatte. Und zweitens hätte er eine Verletzung wohl kaum vermeiden können, wenn sie es darauf anlegte. Weder für ihn selbst noch für sie. Denn dafür waren seine Instinkte – trotz aller Gefühle, die er für Viola hegte – einfach zu stark.

Er sah ihre Hände, die sich an seinen Hals legten, spürte ihren Bauch unter seinen eigenen Fingern, die sich direkt auf ihren Solarplexus platzierten. Bereit, sich gegen Zähne und Krallen zu verteidigen.

Er würde sie zumindest von sich stoßen können. Viola war stark und hatte die besseren Waffen. Aber sie unterschätzte Zin. Das wusste er.

Adrenalin schoss durch seine Adern und seine Fingerkuppen gruben sich fester in Violas Haut, als sie ihn zu sich herunterzog. Er spürte ihre Lippen an seinem Hals, ihren festen Griff. Doch noch immer tat Zin nichts, was ihr hätte wehtun können.

Seine Kiefer waren so fest aufeinander gepresst, dass seine Schläfen davon schmerzten. Aber ... er wollte sie nicht –

Zin musste das Klicken so schwer hinunterschlucken, dass ihm kurz schlecht davon wurde. Es fühlte sich so an, als wolle Viola ihn tatsächlich häuten, aber auf sehr viel langsamere Weise, als es ihre Krallen zustande gebracht hätten.

Hätte sie es ein Stück weiter vorne – auf seinen Kieferkiemen getan – hätte sie ihm wirklich schaden können. So ... ließ sie ihn mit einer pochenden Stelle am Hals und einem leicht getrübten Blick zurück, als sie sich von ihm losmachte und ihm diese paar Worte hinwarf.

Es war nicht einfach sie anzusehen. Viola kam ihm klein und bebend vor. Wie ein Vulkan, der zwar gerade einen Gang herunter schaltete, aber immer noch alles niedermachen konnte, wenn man sich nur einen Zentimeter in die falsche Richtung bewegte.

Was hatte er denn nur getan? Verdient hatte er diesen Zorn bestimmt nicht, nur wegen der Tatsache, dass er sie gestern im Eifer des Gefechts über seine Verletzungen im Unklaren gelassen hatte. Aber was war es denn dann?

Zin zögerte. Er wusste, was er sagen wollte. Aber ihm war auch klar, dass das vermutlich wieder hieß, dass sie davon lief.

Hatte er denn eine Wahl?

„Ich bin froh, dass du mir zuhören willst“, begann er leise, aber mit fester Stimme. Es war immerhin schon eine Weile her, dass er über diese Sache nachgedacht hatte.

„Das ist sogar mehr, als ich verlangen kann. Und doch ... will ich dich um noch mehr bitten. Es ist nur eine Bitte. Wirklich.“

Er wollte auf sie zutreten, seine Hand auf ihre Schulter legen. Aber ...

„Ich möchte nicht gehen. Aber ich muss. Man hat meine Familie abgeschlachtet. Zwei meiner Brüder sind tot. Mein Schwarm braucht mich, um mehr Zerstörung und mehr Morde zu verhindern. Ginge es nicht darum, würde ich nicht gehen.“

Nun tat er es doch. Zin streckte langsam seine Hand aus. Ganz vorsichtig, als könne Viola davor zurückscheuen. Er hob ihr Kinn an, sodass sie ihm ins Gesicht sehen musste.

„Meine Bitte an dich ist nur diese: Sag mir, ob ich wiederkommen darf.“
 

Violas Pupillen waren das Einzige an ihr, was einen Moment lang reagierte, als Zin ihr seine Bitte vortrug.

Fast hätte sie ihn verblüfft angestarrt und noch einmal nachgefragt, ob er auch wirklich das gesagt hatte, was sie verstanden zu haben glaubte. Doch so wie er sie ansah ... So wie er sie sanft dazu zwang, ihn anzusehen ... das ließ einfach keine Fragen offen.

Hitze kroch über ihre Haut und das Flattern in ihrem Bauch wurde zu einer vollkommenen Invasion.

Dennoch war das Zucken ihrer Pupillen erstmal alles, was sie Zin gab.

Sie hätte ihn gerne gefragt, ob er denn wiederkommen wollte? Ob er überhaupt dazu in der Lage sein würde oder es vielleicht wohl eher wahrscheinlicher war, dass er bei der ganzen Aktion draufging, von der sie nichts wusste und die sie im Grunde auch nichts anging.

Ja, seine Familie war abgeschlachtet worden und er hatte zwei Brüder verloren. Er hatte alles Recht zu gehen und sollte das auch auf jeden Fall tun. Schließlich war seine Familie es wert, dass er zu ihr stand.

Sogar Viola war das klar, die sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als auch nur ein freundliches Wort über ihren Möchtegern-Vater zu verlieren.

Trotzdem ...

Ihr Blick fiel auf das deutlich leuchtende Zeichen, das sie ihm in ihrer ... Verzweiflung aufgedrückt hatte.

Wieder sah sie seine Augen an.

Trotzdem wollte sie ihn nicht gehen lassen ...

Es hätte mehr ihrem Temperament entsprochen sich von seiner Hand loszureißen, doch stattdessen entzog sie sich beinahe sanft, ging um Zin herum und hob ihren Morgenmantel auf, um ihn sich überzuziehen.

„Du wirst in diesem Haus keine verschlossenen Türen finden“, meinte sie leise, fast betrübt und ging in die Küche, da sie annahm, Zin würde ihr folgen.

Eigentlich hätte sie ihm noch mehr sagen wollen. Dass er auf jeden Fall zu ihr zurückkommen durfte und dass er sich dann sicher sein konnte, dass sie ihn nicht mehr so leicht aus ihren Krallen lassen würde.

Sie hätte ihm gerne gesagt, dass sie gar nicht erst wollte, dass er ging. Dass die letzte Zeit mit ihm schön gewesen war und sie ihn mit Garantie wie wahnsinnig vermissen würde.

Doch was hätte das bewiesen?

Dass ich eine hoffnungslos verschossene, klammernde Egoistin ohne Rückgrat bin.

„Braucht ihr etwas für den Rückweg?“, fragte sie schließlich weiterhin in diesem leicht belegten Tonfall und holte eine große Teigschüssel heraus, da sie Pfannkuchen für eine gute Idee hielt.

Irgendwie war bei ihr plötzlich vollkommen die Luft raus.

Zin machte ihr Hoffnungen, wo es keine gab. Zumindest nicht nach ihren Erfahrungen nach. Niemand war je wieder zurückgekommen.
 

Zin atmete geräuschvoll tief ein und aus. Es war ein Seufzen. Aber kein Eindeutiges.

Er wusste nicht, was er mit Violas Antwort anfangen sollte. Hieß es, dass er gern zurückkommen konnte, wenn er unbedingt darauf bestand? Oder ... dass sie wollte, dass er zurückkam? So hörte es sich ehrlich nicht an. Vielmehr war es ein 'mach doch, was du willst' gewesen. Andererseits ... konnte man in Viola nur lesen, wenn sie es so wollte.

Noch ein Seufzen, diesmal deutlicher, bevor er Viola auf leisen Sohlen in die Küche folgte.

Sie hatte eine große Schüssel aus dem Schrank geholt, sah aber etwas unentschlossen aus, was sie damit letztendlich tun sollte.

Zins Rücken juckte leicht, als er sich gegen die Küchenzeile lehnte und ihr bei ihrer zwiespältigen Suche zusah. Nach was sie suchte ... er hatte keine Ahnung. Vielleicht eine bessere Antwort, als sie ihm gerade gegeben hatte.

Egal, was es war, es schien die Stimmung wie eine Tonne Blei niederzudrücken und Zin fühlte, wie sein Nacken langsam steif wurde, von der Anstrengung, seinen Kopf hochzuhalten. Er hatte seine Antwort bekommen. Was wollte er denn noch mehr?

„Nein, danke“, war schließlich seine Antwort auf ihre Frage, ob sie etwas für den Rückweg bräuchten.

Waren ihre Augen tatsächlich in seine Richtung gehuscht? Zins Herz machte allein bei der Vorstellung einen Satz und es hielt ihn nicht länger den Meter von Viola fern. Mit zwei Schritten war er bei ihr, umarmte sie von hinten und schlang diesmal seine Arme wirklich besitzergreifend um ihren Bauch.

Zins Rücken rundete sich, bis er sein Kinn auf ihre Schulter legen konnte. Bis er ... ihren Hals küssen konnte, ihre Wange und es schaffte, seine eigene Wange in ihr Haar zu schmiegen.

Sollte sie ihn doch kratzen, beißen und ihm die Haut von den Muskeln ziehen. Dann wäre es wenigstens ein ordentlicher Abschied. Nicht so ein abgeklärtes Erwachsenengespräch, wie sie es sich hier gegenseitig vorzuspielen versuchten.
 

Ihre Hände umklammerten die Schüssel so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten und sie starrte blind aus dem Fenster direkt vor sich.

Jeder ihrer Muskeln versteifte sich zunehmend noch mehr, während Zin sich nicht davon abhalten ließ, ihren Hals zu küssen ... genau an der Stelle, wo –

Zitternd atmete Viola kontrolliert tief ein, während die Sicht vor ihren Augen verschwamm und ihre Augen so stark brannten, als hätte jemand Salz hineingestreut. Ihr Herz holperte schwer in ihrer Brust und ihr Bauch zog sich unter Zins Armen umso fester zusammen.

Sie konnte kaum an dem Knoten in ihrem Hals vorbeischlucken.

Nein. Ich werde jetzt nicht heulen. Auf keinen verfickten Fall werde ich jetzt heulen!

Aber Viola hatte keine Ahnung, wie sie es aufhalten sollte.

Wie sollte sie es schaffen, wenn Zin alles in ihr zum Zittern und Beben brachte und Dämme niederzureißen begann, von denen sie selbst noch nicht einmal gewusst hatte, dass es sie überhaupt gab?

Langsam, so als könne eine zu hastige Bewegung alles einfach so niederreißen, drehte Viola sich in seinen Armen herum und legte schließlich ihre Stirn an diese perfekt an ihren Kopf angepasste Kuhle. Genau dort, wo sie ihre Nase hineindrücken und seinen Duft tief in sich aufsaugen konnte.

Nein, sie würde jetzt nicht heulen, das wagte sie nicht, aber sie konnte es nicht verhindern, dass sie ihre Arme um ihn schlang und sich einfach an ihn schmiegte. So, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Was ja auch den Tatsachen entsprach.

Viola konnte Zin nicht mehr mit Härte und Abweisung strafen. Egal wie sehr er ihr zusetzte. Sie konnte es einfach nicht länger.
 

Selbst wenn er das Zittern ihres Körpers nicht gespürt hätte, die Art, wie sie schwer gegen seine Haut atmete ... Zin hätte sie trotzdem festgehalten. Er drückte Viola sanft an sich, schloss die Augen, als er seine Wange wieder in ihr Haar kuschelte, und hörte seinem eigenen, schwer klopfenden Herzen zu.

Er verstand Viola einfach nicht. Nein, er kam bei diesen Meinungsschwankungen, diesen Wechseln von kalter Schulter und warmen Umarmungen nicht mehr mit. Aber eigentlich war es auch egal. Solange er sie so in seinen Armen halten und ihren Körper an seinem spüren konnte, würde Zin es genießen. So lange, wie Viola es zuließ. Solange ... wie er sich einbilden konnte, dass sie vorhin doch mehr gemeint hatte, als „wenn du es nicht lassen kannst, dann komm eben wieder“.

Zin genoss es, solange es dauerte.

Er streichelte über den dünnen Stoff, der nun Violas Rücken bedeckte, und versuchte die Gedanken an seine Brüder zu vertreiben, die er draußen bereits hören konnte. Noch waren sie im Wasser. Aber sie waren wach. Und so, wie es sich anhörte, würden Oka und Sal nicht mehr lange dafür sorgen können, dass Ban sich vom Haus fernhielt.

„Viola ...“, begann Zin deshalb vorsichtig und küsste sanft ihren Scheitel. „Was ...“

Er brach die Frage mit einem Seufzen ab. Sie würde es ihm nicht sagen. Hätte sie es tun wollen, wüsste er schon, was los war.

Das machte es aber leider alles andere als einfacher.
 

Ja, sie hörte sie ebenfalls, auch wenn Viola die unterschiedlichen Klicklaute nicht verstehen konnte, so konnte sie das Geräusch nun doch inzwischen eindeutig zuordnen.

Langsam nahm sie die Hände von Zins Rücken, suchte mit geschlossenen Augen seine Lippen und hauchte ihm schließlich einen Kuss darauf, als sie seinen Mund endlich fand. Dann zog sie sich ganz zurück, ohne ihn anzusehen.

Vielleicht hätten ihre Augen sie verraten.

„Was ... es zum Frühstück gibt?“, nahm sie seine unausgesprochene Frage wieder auf, sicher, dass es nicht das war, was er hatte sagen wollen. Aber so war es einfach am besten.

„Pfannkuchen. Aber ich würde dir raten, dich vorher zu waschen, ehe deine Brüder dich so sehen können.“

Viola hielt ihm ihre offenen Handflächen hin, die zwar nicht blutverschmiert waren, aber trotzdem getrocknete Blutflocken auf der Haut vorwiesen, obwohl sie ihn nur leicht berührt hatte.

„Ich werde dafür nicht meinen Kopf hinhalten, verstanden?“

Sie sagte es nicht böse und meinte es auch nicht so.

„Bei den ganzen anderen Sachen ...“

Sie ließ ihren Blick kurz über die Striemen auf seiner Brust und ihr Zeichen auf seinem Hals schweifen, ehe sich ihr Mund zu einem leichten Grinsen verzog.

„Dafür übernehme ich die volle Verantwortung.“

Trotzdem wusch sie sich demonstrativ die Hände in der Spüle und drehte sich dieses Mal mit verschränkten Armen vor der Brust herum, konnte Zin aber inzwischen wieder ansehen, ohne sich zu verraten.

Das Unwetter war endgültig vorbei. Was blieb, war eine tiefe Leere.

„Nun geh schon. Ich laufe bestimmt nicht weg, ehe deine Brüder und du einen vollen Magen habt.“
 

Noch einmal schloss er sie in die Arme, drückte sie und gab ihr einen Kuss auf die Lippen, bevor er sich mit einem winzigen Nicken von Viola losmachte.

Zin ging ins Badezimmer, stellte das Wasser in der Dusche an und hörte mit halbem Ohr, wie sich seine Brüder dem Haus endgültig näherten. Es war ihm relativ egal, dass sie seinen Rücken so sehen könnten. Sie hatten schließlich die offenen Wunden nicht ertragen müssen. Nicht so wie Viola ...

Ein Stich in der Herzgegend versuchte Zin etwas zu sagen. Etwas, das er im Moment nicht hören wollte. Deshalb verschloss er Augen und Ohren davor und stellte sich stattdessen unter den lauwarmen Wasserstrahl. Es brannte, aber in einer Art und Weise, die Zin locker ertragen konnte.

Seine langen Finger tasteten nach einer Weile über seine Brust, fuhren die roten Linien nach, die Viola dort hinterlassen hatte. Es brachte Zin zum Schmunzeln. Auch ein bisschen mehr lag in seinem Blick. Aber erlaubte sich nicht, weiter darüber nachzudenken.
 

„Guten Morgen, Viola.“

Oka hielt ihr wieder die Hand hin, mit der er auch an der Tür geklopft hatte. Er sah ein bisschen stolz aus, weil er daran gedacht hatte, wie Menschen darauf aufmerksam machten, dass sie das Gebiet eines anderen betreten wollten.

„Wie geht’s?“, wollte Sal wissen und hielt seine Nase in den Raum hinter Viola, aus dem schon ein herrlich süßer Duft nach draußen flatterte. „Wo hast du Zin versteckt? Pennt er noch?“

„Er ist ...“

Viola lauschte kurz auf das ihr verhasste Geräusch.

„... unter der Dusche“, beendete sie ihren Satz und schenkte Zins Brüdern ein Lächeln, ehe sie alle hereinbat. Auch Ban bekam eins ab, obwohl er nicht so aussah, als hätte er auch eines gewollt.

„Er kommt sicher gleich. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch ruhig schon mal setzen. Ich mache gerade Pfannkuchen. Ihr könnt aber auch Speck und Eier dazu haben. Kein Problem. Gebt mir einfach nur bescheid.“

Viola sagte das alles so leichthin, obwohl sie sich nicht gerade wohl in ihrer Haut fühlte. Das lag nicht an den Männern, sondern der Situation, weshalb sie das die Drei auch nicht spüren ließ, sondern einfach nur vor sich hin plauderte, selbst wenn sie am Ende als unerträgliche Schnattergans hingestellt werden könnte.

Der Tisch in der Wohnküche war noch nicht gedeckt, aber wie Viola vorhin, als Zin gegangen war, festgestellt hatte, sauber aufgeräumt. Genauso wie der Rest der Küche. Das hätte sie keinem der Anwesenden zugetraut, gerade weil sie gestern so fluchtartig den Raum verlassen hatte. Trotzdem würde sie die Männer sicherlich nicht daran erinnern, in dem sie fragte, wer für die Ordnung verantwortlich war.

„Ich hoffe, ihr konntet euch ausreichend erholen. Wie habt ihr geschlafen?“

Während sie mit einer Hand einen Pfannkuchen in der Luft wendete, ehe der sich in ein schwarzes Unding verwandeln konnte, plapperte sie einfach weiter drauf los. Irgendwie würde sie diesen Tag schon hinter sich bringen. Das musste sie einfach.
 

„Ach ganz gut. Vor deinem Strand ist das Wasser ziemlich ruhig. Genau das, was man nach so vielen Tagen des Schwimmens brauchen kann.“ Sal lächelte und schob sich eine dunkle Haarsträhne nach hinten, während er das sagte. Ihm sah man die erholsame Nacht auf jeden Fall an.

Etwas weniger schien sich diese Empfindung auf die beiden anderen Brüder niedergeschlagen zu haben und auch Zin war nicht unbedingt bester Laune, als er aus dem Bad trat. Ihm hingen noch kleine Wassertropfen an der kühlen Haut. Aber länger als nötig hatte er Viola nicht mit Oka, Sal und vor allem Ban allein lassen wollen. Wer konnte schon einschätzen, wer von den beiden Hitzköpfen als Erstes etwas sagen oder tun würde, was den jeweils anderen zum Explodieren brachte.

„Morgen“, meinte Zin daher etwas knapp und machte sich am Geschirrschrank zu schaffen, um den Tisch zu decken.

Der Blick, den Ban ihm zuwarf, als er sich umdrehte, überraschte Zin sehr stark. Vor allem, weil in der nächsten Sekunde klar wurde, dass er ihn gar nicht hätte sehen sollen.

Scheiße. Zin wünschte, er hätte gesehen, was Ban da gerade so an ihm fixiert hatte. Seinen Rücken? Den Monsterknutschfleck an seinem Hals? Und wenn es eines von beidem gewesen war, was ließ sich bitte daraus schließen? Hielt der große Bruder ihn für zu schwach und nutzlos für ihr Vorhaben? Oder fand er es lächerlich, dass er sich von einer Frau so hatte zeichnen lassen? Noch dazu – zumindest wie Ban glaubte – von einem Menschen?

„Hier. Mach dich mal bitte nützlich.“ Zin drückte Oka den Stapel Teller in die Arme und kramte anschließend in der Besteckschublade herum, was ihn Viola so nahe brachte, dass er ihre Körperwärme an seinem Unterarm spüren konnte. Der Blick, den er ihr zuwarf, war hoffnungsvoll und doch durch und durch ... schüchtern.

„Wenn ich dir irgendwie helfen kann ...“ Er wusste nach dieser kurzen Dusche, nach dem Blick in den Spiegel ... einfach überhaupt nicht mehr, was er sagen und tun sollte.
 

Als Zin neben sie trat und sie ansprach, hob Viola den Blick von den Pfannkuchen, um ihn von der Seite her anzusehen. Er duftete intensiver nach Meer und ihm selbst, was vermutlich an der noch leicht feuchten Haut von der Dusche kam.

Gott, zum Glück hatte er sich das Blut abgewaschen.

Noch einmal hätte sie den Anblick vermutlich nicht ertragen. Das brachte einfach nur schlechte Erinnerungen mit sich, als sein Leben noch an einem seidenen Faden gehangen hatte.

Violas Blick glitt zu dem Liebesbiss, dem sie ihm verabreicht hatte, dann wieder zu seinen Augen.

Beschämt sah sie schließlich wieder auf ihre Hände und drehte den Pfannkuchen in der Pfanne herum.

Sie hatte überreagiert. An sich nichts Neues in ihrem Leben, aber so sehr hatten ihre Hormone noch nie verrückt gespielt, dass sie jemanden so zugesetzt hatte, den sie eigentlich mochte und der ihr doch noch dazu gesagt hatte, dass er gerne bei ihr bleiben würde.

Vielleicht lag es daran, dass sie es einfach nicht ganz glauben konnte, auch wenn sie Zin nicht für einen Lügner hielt.

Was hielt ihn denn schon bei ihr?

Ja, sie hatte ihm das Leben gerettet und das war sicher ein guter Grund, ihr dankbar zu sein, aber deswegen konnte man niemanden dazu bringen, länger zu bleiben oder nicht nur auf einen Kurzbesuch wieder zu kommen. Das war es also bestimmt nicht. Vielleicht der Sex?

Nein. Zin sah so gut aus, dass er sicherlich keine Probleme hatte, sich ein Mädchen fürs Bett – oder wo auch immer er es für gewöhnlich sonst trieb – zu angeln. Und bedachte man ihre Stimmungsschwankungen, ihr unbeugsames Wesen und die Tatsache, dass der Umgang mit ihr oftmals nicht leicht war, waren ein paar heiße Stunden den Aufwand noch nicht einmal wert.

Allein bei diesem Gedanken fühlte sich Viola noch beschissener und zugleich machte sich rasende Eifersucht in ihren Eingeweiden breit, auf jedes dieser möglichen Mädchen, das er so einfach haben könnte und bestimmt so viel besser zu seinem Wesen gepasst hätte.

Zin war nicht dominant. Zumindest nicht so, wie diese dämlichen Machos, die sie bisweilen brauchte, um die Typen nicht zu schnell zu vertreiben.

Aber das vorhin im Flur, als er sie gepackt hatte ...

Sanft aber bestimmt. Dominant und doch nicht eingebildet.

Ein prickelnder Schauer durchlief sie, als sie sich noch einmal daran erinnerte und Zin einen Seitenblick zuwarf.

Prompt wurde ihr klar, dass er sie etwas gefragt hatte und sie vermutlich schon die ganze Zeit beobachtete, während ihr diese ganzen Gedanken durch den Kopf gegangen waren. Sofort begann ihr Gesicht noch mehr zu glühen und sie lächelte etwas unsicher.

Was hatte er sie noch einmal gefragt?

Das Besteck in seiner Hand gab ihr die nötige Hilfestellung. „Ähm ... Im Kühlschrank sind noch die Soßen für ...“

Sie benetzte sich die trockenen Lippen und räusperte sich kurz.

„... für die Pfannkuchen.“

Mann, der Kerl schaffte es wirklich, sie durcheinanderzubringen!
 

Mit einem kleinen Nicken nahm Zin Violas Wink auf, ging zum Kühlschrank hinüber und ignorierte die kühle Luft, die ihm direkt auf die Füße zu fallen schien und ihm für ein paar Sekunden eine Gänsehaut verursachte. Komisch. Da schwamm er auf den Wegen der Wale fast bis an den Pol und trotzdem erwischte ihn diese menschliche Erfindung immer wieder aufs Neue. Es war aber auch wirklich beeindruckend, wie sie es geschafft hatten, Kälte in einem Schrank zu speichern. Bei einem Leben im Wasser nicht nötig. Aber an Land ... sehr praktisch.

Zin holte Schoko- und Vanillesauce und irgendetwas mit Karamell heraus. Dann noch Ahornsirup und Honig aus dem Hängeschrank.

Er fand es faszinierend, dass Viola so viele Lebensmittel in ihrem kleinen Haus lagerte. Andererseits war das besser, als immer wieder in diesen schrecklichen Supermarkt fahren zu müssen. Auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, dass Viola mit ihrer Art gern für lange Zeit alleine blieb. Sie hatte doch bestimmt das Bedürfnis nach –

Er warf einen Blick über seine Schulter und musterte kurz Violas Profil. Dabei schoss ihm ein durchdringender Schmerz vom Hals in die Wirbelsäule und Zin zog sich lieber wieder zurück, bevor er den angefangenen Satz mit 'Kontakt', beendete.

Ja, Viola war bestimmt jemand, der auch nicht für immer und ewig ohne sozialen Austausch hier in ihrem Häuschen sitzen konnte. So schön und idyllisch es auch war. Da gab es doch noch die gesprächige Freundin und ...

Die Flasche mit dem Ahornsirup knallte unerwartet laut auf den Tisch, als sie Zin halb aus der Hand glitt und er sie halb auf die Platte donnerte, als ihm der Name Cid in den Sinn kam.

Am liebsten hätte er die Zähne gefletscht.

So, wie er den Platzhirsch einschätzte, musste Zin damit rechnen, dass er auf Violas Veranda auftauchen würde. Früher oder später. Daran gab es nichts zu rütteln.

Die Frage war nur ... was würde sie dann tun? Wenn er – Zin – nicht mehr hier war. Wenn er nicht mehr in diesem Gästezimmer lag und sie kein schlechtes Gewissen haben musste, weil er sie möglicherweise hören könnte ...

„Das riecht klasse.“

Beinahe hätte er die Plastikflasche mit der Schokosauce erwürgt. Das Behältnis gab schon ein bedenkliches Geräusch von sich und Zin stellte die Flasche lieber mehr als vorsichtig neben Oka ab, von dem der Kommentar gekommen war, der gerade eine Explosion verhindert hatte.

„Ja ... riecht ... wirklich gut.“
 

„Danke. Wenn’s auch noch gut schmeckt, hab ich mein Ziel erreicht“, merkte Viola an, während ihr Herz immer noch wild in ihrer Brust pochte.

Zin hatte sie ganz schön erschreckt, als ihm die Flasche fast aus der Hand gerutscht wäre und diese auf den Tisch knallte. In der sonst eher ruhigen Küche war das wirklich ein lautes Geräusch gewesen.

Um allerdings die Jungs nicht mehr zu lange warten zu lassen, warf sie den fertigen Pfannkuchen aus der Pfanne auf den bereits gestapelten Haufen auf einem Servierteller und stellte diesen dann in die Mitte des Tisches.

„Greift schon mal zu, solange es noch warm ist.“

Sie schenkte den Männern ein Lächeln, ehe Viola die Rührschüssel ausspülte und noch einmal neuen Teig anrührte, damit die Pfannkuchen auch wirklich für alle reichten. Zudem tat es ganz gut, ihre Finger beschäftigen zu können.

Das lenkte sie zumindest mit etwas Mühe von ihren Gedanken ab.

Trotzdem hob sie sofort den Kopf, als Flocke einen Blick zur Tür hereinwarf, die Männerrunde misstrauisch beäugte und dann an den Wänden entlang auf Viola zu schlich.

Sofort legte sie die Rührschüssel aus der Hand, warf ebenfalls kurz einen Blick auf die Männer und nahm dann Flockes Futternapf von der Anrichte.

Es gab Leute, die ekelte es davor, wenn ihre Katze in gleicher Höhe wie sie selbst aß, obwohl sie ihrer Süße niemals stinkendes Dosenfutter antun würde.

Trotzdem stellte sie ihrer Katze schließlich den gekochten Hühnchenflügel und das Hühnerherz zusammen mit dem Napf auf den Boden.

Während Viola Flocke einmal über den Kopf kraulte, entschuldigte sie sich leise bei ihrer Süßen für den Ortswechsel und versprach ihr für später ein frisches Stückchen Lachs.

Flocke miaute daraufhin kurz und blickte sie aus dem großen blauen Auge an, ehe sie sich über das Essen hermachte.

Wenigstens schien es hier noch jemandem zu schmecken und selbst das Übermaß an Testosteron schien sie kein bisschen zu stören.

Das musste der Geruch sein.

Selbst wenn Zin weg war, würde sie ihn mindestens noch eine Woche hier riechen können. Irgendwie war das kein bisschen tröstlich.

Noch niedergeschlagener machte Viola sich daran, auch die zweite Runde Pfannkuchen fertigzumachen.

25.Kapitel

„Vielen Dank nochmal. Es hat sehr gut getan, sich ein bisschen auszuruhen.“

Oka hielt Viola die Hand hin, entschied sich dann aber letztendlich doch anders und zog sie kurz und herzlich an sich heran, um sie zum Abschied zu umarmen. Sal ging ähnlich vor, auch wenn er Viola, die er immerhin noch nicht besonders lange kannte, nicht so überfiel. Er lächelte sie an, bedankte sich ebenfalls und drückte sie kurz, bevor er seinem jüngeren Bruder zum Strand hinunter folgte.

Auch Ban kam auf Viola zu, musterte sie und streckte ihr schließlich die Hand hin.

Zin glaubte die Spannung zwischen den beiden zu spüren, für die er allein seinen Bruder verantwortlich machte. Und die sich, dank dessen charmanter Art wohl nie wieder ganz verflüchtigen würde.

Ban ... war einfach so. Er konnte schon mit Meermenschen nicht sonderlich gut umgehen. Von Wildkatzenwandlerinnen einmal vollkommen abgesehen. Da stand er offensichtlich auf vollkommen verlorenem Posten.

Und doch war ihm Zin irgendwie dankbar dafür, dass sein großer Bruder sich benahm, nichts weiter dazu sagte, sondern sich ebenfalls in Richtung Wasser aufmachte und Zin und Viola alleine ließ. Die Dankbarkeit hielt so lange, bis Zin sich gezwungen fühlte, Viola anzusehen. Der Ausdruck in ihren Augen brachte ihn fast um und auch das Gefühl, als sich seine Finger mit ihren verschlangen, spannte etwas in ihm bis zum Zerreißen.

Er sagte nichts.

Stattdessen schlang er seine Arme um Viola, hob sie hoch und küsste sie so innig, dass die Welt um ihn in kleine Scherben zersprang. Die bunten Bruchstück wirbelten um ihn herum, fügten sich zu Wogen von Gefühlen zusammen und veranstalteten ein Feuerwerk, bis Zin sich schließlich von Violas Lippen lösen musste.

Es wurde Zeit. Das wussten sie beide.

Zin hoffte so sehr, dass sie in seinen Augen lesen konnte. Dass sie verstehen würde, was er ihr sagen wollte, als er über ihre Wange streichelte.

Er würde wiederkommen.

„Versprochen ...“

Zin wagte nicht, ihr noch einen Kuss zu geben. Es war schwer genug, ihre Finger loszulassen, sich aus Violas Gegenwart zu reißen und sich umzudrehen. Über seine Schulter sah er noch einmal zurück und lächelte.

Erst dann ging er zum Strand hinunter, folgte Ban ohne Zögern ins Wasser und tauchte unter. Das Wasser legte sich wie eine tröstende Decke um seinen Körper; hüllte ihn ein, wie Watte die das hämmernde Gefühl in seiner Brust mit ihrer Weichheit minderte. Er würde zurückkommen. Davon ... konnte ihn nur der Tod abhalten.
 

Oka überraschte sie zwar mit seiner Umarmung, aber da Viola ein einziges Gefühlschaos war, machte es ihr nichts aus. Ganz im Gegenteil, sie erwiderte diese herzliche Geste auch vollkommen.

Sal bekam ebenfalls etwas von ihr ab und selbst Ban, der sich nur dazu zwingen konnte, ihr die Hand zu geben, drückte sie einmal warm die Finger, wünschte ihm eine gute und sichere Reise, ehe sie ihn ziehen ließ.

Mit Zins Brüder hatte sie kein Problem gehabt, ja nach der kurzen Zeit mochte sie diese sogar und es tat ihr auf alle Fälle leid, dass sie die Jungs nicht mehr sehen würde. Doch Zin selbst war es, der ihr den schwersten Brocken aufbürdete.

Vollkommen unfähig sich zu rühren oder zu sprechen, ließ sie ihn gewähren. Ihm fiel dabei sicherlich nicht einmal auf, dass sie den Kuss nicht erwidern konnte. Dass ihre Arme keine Kraft mehr hatten, um ihn wirklich an sich zu ziehen. Was vielleicht ganz gut so war, sonst hätte sie ihn nie gehen lassen können.

Sie lächelte gezwungen und schweigend, als der Körperkontakt schließlich abbrach. Was auch immer er ihr in jenem Moment versprach, sie glaubte nicht daran, das er es halten würde.

Das war ein Abschied, und zwar einer, der wirklich richtig wehtat.

Steif stand sie da, als er sich noch einmal nach ihr umdrehte.

Schwach hob sie die Hand.

Als er sich dieses Mal umdrehte, ging auch sie zurück zum Haus.

Steif waren ihre Schritte und taub fühlten sich dabei ihre Glieder an. In ihrem Kopf herrschte absolute Leere, als sie die Terrassentür hinter sich zuschob und sich schließlich nach einem langen reglosen Moment in der Küche umsah.

Schließlich gab sie sich einen Ruck und begann, das Geschirr wegzuräumen. Die restlichen Pfannkuchen warf sie in den Bio-Müll, danach trocknete sie alles ab und polierte sogar noch die Arbeitsflächen gründlich.

Das hatte sie noch nie getan, seit sie hier war.

Irgendwann, als es nichts mehr in der Küche zu putzen gab und selbst auf den Hängeschränken kein Staubfusel mehr zu finden war, wandelte sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hoch, verkroch sich in ihrem Bett unter die Decke und zog sie fest über ihren Kopf, bis sie kaum noch Luft bekam.

Einmal, zweimal, dreimal atmete sie schwer ein, ehe alles aus ihr herausbrach.

Viola begann, am ganzen Leib zu zittern. Ihr Herz tat so verdammt weh, dass es ein Wunder war, wie es noch weiter schlagen konnte und ihre Kehle und Augen brannten. Sie schluchzte trocken, aber weder konnte sie weinen, noch sonst irgendwie für Erleichterung sorgen. Stattdessen krampfte sie sich noch mehr zusammen und versuchte die Bruchstücke ihres Selbst so gut wie möglich zusammenzuhalten. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie selbst das nicht mehr konnte.

Nach einer ganzen Weile war der Sauerstoff aufgebraucht und sie musste zumindest die Nasenspitze herausstrecken, um wieder Luft zu bekommen. Prompt leckte ihr eine raue Zunge darüber und ein leises Miauen drang durch die Decke hindurch.

Langsam, als wöge der Stoff Tonnen, zog Viola die Decke weiter von ihrem Kopf, um Flocke ansehen zu können.

Fast schien es, als würde ihre Süße sie aufmunternd anlächeln, während sie lautstark zu schnurren begann, doch genau das war am Ende zu viel.

Viola drückte ihr Gesicht in Flockes weiches Fell und begann hemmungslos zu weinen. Jede andere Katze hätte bei diesem feuchtlauten Ansturm die Flucht ergriffen, aber nicht ihre süße Kleine. Nicht Flocke. Sie hielt tapfer durch.
 

***
 

Etwas berührte sein Bein.

Das hätte Zin nicht unbedingt beunruhigen müssen, hätte sich die Berührung nicht wiederholt und sich absolut nicht wie ein Seetangblatt angefühlt, das ihn in diesem Wald die ganze Nacht über immer wieder gestreift hatte.

Also öffnete er die Augen.

Mehrere breite Seetangblätter waren um seinen Körper geschlungen. Sie hielten ihn trotz der Strömung an Ort und Stelle und hatten dafür gesorgt, dass er nachts nicht abgetrieben wurde. Außerdem waren hier im Dickicht nicht so viele Haie oder andere nachtaktive Jäger unterwegs, die für schlechte Träume hätten sorgen können.

Die hatte Zin auch ohne diese Bedrohung zur Genüge gehabt.

Mit einem Blick an sich hinab stellte er fest, dass die sich wiederholende Berührung an seinem Bein einer Unterwassernacktschnecke zu verdanken war, die wohl gerade herausgefunden hatte, dass über seine Haut hinweg der kürzeste Weg zum nächsten Seetangblatt führte.

Na gut.

Indem er sich ein paar Mal um die eigene Achse drehte, machte Zin sich von den Pflanzen frei, steckte seinen Kopf zwischen den breiten Blättern hindurch und sah nach dem Rest der kleinen Truppe.

Sie waren wie in Kokons gehüllt. Wie in grüne Verbände gewickelt, die Köpfe auf die Brust gesunken, hingen Sal und Oka in gleicher Höhe unter der Wasseroberfläche. Fast fünf Meter.

Zin fuhr sich mit der flachen Hand über die stoppelig kurzen Haare auf seinem Kopf und spülte seine Kiemen mit einem ordentlichen Schluck sauerstoffreichem Wasser, bevor er sich langsam zwischen dem Blattwerk hindurchbewegte.

Ban musste hier irgendwo sein und Wache halten.

Zin fand ihn am Rande des Tangwaldes, neben einem hochgewachsenen Stein, an dem sich ein paar kleinere Fische zu schaffen machten.

Morgen.

Ban sah ihn tatsächlich an. Zin wollte schon erschrocken zurückweichen, aber das wäre wohl nicht die passende Reaktion auf die Aufmerksamkeit seines Bruders gewesen.

Wie geht’s deinem Rücken?

Aber wenn diese Klick- und Pfeiflaute kein Erstaunen hervorrufen sollten, dann wusste Zin auch nicht, was es könnte. Wie es ... seinem Rücken ging?

Es geht.

Die Antwort war leise. Sein verdammter Rücken war bestimmt nicht das Problem. Ein Aal hätte daran nagen können und es wäre Zin angenehm vorgekommen, im Vergleich zu der Fessel, die sein Herz zusammendrückte.

Er wollte nicht hier sein.

Morgen Abend sind wir zu Hause. Ich würde dir gern sofort die Stelle zeigen, an der sie jetzt bohren. Du musst dir ein Bild davon machen. Dann können wir mit den Anderen entscheiden, wie wir rauf gehen.

Bläschen lösten sich von Zins Unterlippe, als er den Mund öffnete. Natürlich sinnlos, wenn er sich unter Wasser befand. Aber ... das konnte doch auch nicht wirklich sein Ernst sein?!

Sie wollten ... rauf gehen?
 

***
 

Es musste mitten in der Nacht sein, als die ersten Krämpfe sich langsam mit dem Feingefühl einer Horde Elefanten anschlichen.

Erst verstand Viola gar nicht, was los war, als es ihr den Unterleib zusammenzog und sogar schlimmer wehtat, als ihr Herz und ihre brennenden Augen zusammen. Doch als ein weiterer Krampf ihr den Atem nahm und sie die Zähne fest aufeinander beißen musste, um keinen Schrei loszulassen, war alles klar.

Vor allem war sie aber hellwach und aus ihrem kleinen Delirium herausgerissen worden.

„Scheiße ...“, fluchte sie gepresst, als ihre Hand auf den Nachttisch schlug und nach den Tabletten suchte, die für gewöhnlich dort lagerten. Nur waren sie nicht mehr dort.

Sie waren in Zins Zimmer. Aber so spät wollte sie ihn doch nicht weck–

Er war nicht da. Sie konnte ihn gar nicht wecken, und selbst wenn er da gewesen wäre, hätte er bei ihr geschlafen.

Die Erkenntnis traf sie mit der Wucht eines Hammerschlages.

Sofort trieb ihr der Verlust neue Tränen in die Augen. Vielleicht waren es aber auch die Schmerzen, als sie sich aufzurichten versuchte.

Flocke beäugte sie besorgt von der anderen Seite des Kopfkissens aus und machte einen fragenden Eindruck.

Quälend langsam und in gebeugter Haltung kam Viola auf die Beine, kickte nach mehreren Schritten einen Wäschehaufen zur Seite und wäre fast über einen anderen gefallen, den sie nicht rechtzeitig gesehen hatte.

Oh Gott. Sie würde es nie bis ins Gästezimmer schaffen.

Schon als sie endlich die Tür erreichte, standen Schweißperlen auf ihrer Stirn und am Ansatz der Treppe lief es ihr bereits in Bächen zwischen den Brüsten hindurch.

Mit den Schmerzen kam immer die Hitze oder alles schien sich mit Frost zu überziehen. Keins von beidem war angenehm, allerdings war Viola im Augenblick fast froh, dass sie aus allen Poren schwitzte, anstatt mit den Zähnen zu klappern. Denn das hätte ihr den Weg nach unten noch mehr erschwert, obwohl ihr Wohlgefühl dadurch endgültig flöten ging.

Alles fühlte sich eklig an und der Geschmack, den sie im Mund hatte, war noch schlimmer.

Fluchend, schimpfend und wimmernd kam sie irgendwie die Treppe hinunter, hielt sich am Absatz am Geländer fest, während ihr nun wirklich Schmerzenstränen über die Wangen liefen und sie sich erneut krümmte.

Sie hasste es. Sie hasste es zu dieser Zeit wirklich wie die Pest, eine Frau zu sein und so schlimm der Gedanke auch war, Viola war froh, dass Zin sie so nicht sehen konnte. Sie beide hatten echt ein beschissen gutes Timing.

Und es war wirklich perfekt, dass sie wegen ihm ohnehin schon litt, was machten da die paar Schmerzen zusätzlich noch aus?

„Ah ...“

Viel. Mächtig viel!

Viola ging fast in die Knie, als ihr etwas Gewaltiges den Leib zusammenzuquetschen begann.

Die Tabletten ... Sie brauchte unbedingt diese verfickten Tabletten!

Zentimeter für Zentimeter schob sie einen Fuß nach dem anderen über die Dielen in ihrem Flur, und obwohl das Ziel so weit weg zu sein schien, wie der Gipfel des Mount Everest, gab sie doch nicht auf. Was hätte es denn gebracht? Gar nichts. Es würde nur schlimmer werden.

Es dauerte ungefähr eine gefühlte Ewigkeit, bis sie Zins Zimmer erreichte. Noch mal so lange, bis sie es über sich gebracht hatte, den Blick vom Bett loszureißen und von den Erinnerungen an vergangener Nacht, ehe sie nach den Schmerztabletten suchen konnte.

Ein weiteres Leben schien zu vergehen, als sie diese endlich fand und gleich zwei ganze davon trocken hinunterwürgte.

Danach rutschte sie auf den Boden neben dem Bett und wartete nur ab, bis sich ihr Körper zumindest wieder so weit entspannte, dass sie einmal tief durchatmen konnte. Währenddessen marterte Zins Geruch sie fast bis zum Wahnsinn. Gerade weil sie sich daran festklammern konnte und es doch so hoffnungslos war.

Er war gegangen. Er war weg. Sie konnte ihn nicht mehr festhalten. Ihn nicht mehr anschreien, beschimpfen und sich trotzdem um ihn kümmern. Er war einfach ... nicht mehr da.

Der Schmerz in ihrem Leib wurde zuerst dumpf, ehe er so weit abflaute, dass sie fast erleichtert geseufzt hätte, wäre da nicht immer noch der Schmerz in ihrer Brust. Witzigerweise war das gerade die Art von nichtkörperlichem Schmerz, den man nicht einmal mit starken Schmerztabletten vertreiben konnte.

Wie dumm ...

Viola begann schon wieder zu heulen, obwohl sie das selber nur noch wütender machte. Sie hatte noch nie wegen eines Kerls geheult und jetzt konnte sie gar nicht mehr damit aufhören.

Gott, sie war so blöd!

Und sie sollte sich waschen gehen ... Ja. Das wäre eine gute Idee. Frisches klares Wasser. Vielleicht würde das auch ein paar ihrer Erinnerungen fortspülen, so sehr sie dieses Element auch hasste.
 

***
 

Sie folgten einer kleinen Delfinschule. Etwa vierzig der Tiere waren in heller Aufregung unterwegs. Zumindest schienen die Sprünge und Spiele, die sie während ihrer doch sehr schnellen Reise vollführten, das irgendwie nahezulegen.

Normalerweise fand Zin es faszinierend, wie diese Meeressäuger miteinander umgingen. Er beobachtete sie gern, war jedes Mal begeistert, wenn er sich an sie hängen und sich ein Stück mitziehen lassen durfte. Aber heute ... sah er nur die dunklen, stromlinienförmigen Schatten an sich vorbei schießen. Er hörte, wie die stabilen Körper die Wasseroberfläche durchbrachen, bloß um dann platschend wieder ins Meer zu fallen und neu Schwung zu holen.

Es kam ihm so vor, als würden diese spielenden, gut gelaunten Delfine ihm alle die Zunge dabei herausstrecken. Als würde man ihm durch dieses fröhliche Durcheinander nur noch klarer machen, wie beschissen er sich fühlte. Wie sehr es ihn in die entgegengesetzte Richtung zog.

Und dabei hatte er allen Grund, schneller zu schwimmen. Ban hatte ihn am Morgen in die Pläne eingeweiht. Darin, dass der Schwarm beschlossen hatte, sich intensiver gegen den Angriff der Menschen zu wehren.

Die Nerven lagen blank, nachdem so viele gestorben waren. Nachdem man sie in die Luft gesprengt und das halbe Riff zerstört hatte. Sie wollten sich an den Menschen rächen. Und zwar nicht nur, indem sie die Bohrungen erschwerten und langwierig darauf hin arbeiteten, dass die Menschen sich zurückzogen.

Dafür ... war zu viel passiert.

Es sollte gehandelt werden. Und zwar trotz des Risikos, das dahinter steckte.

Zin kollidierte mit einem gedrungenen Delfin. Beide sahen sich für eine Sekunde auf ausdruckslosen, aber doch irritierten Weise an, bevor das Tier sich zurückzog, den offensichtlich etwas dummen Meermann ignorierte und sich dem Spiel zweier seiner Artgenossen anschloss, die sich gerade mit 'Fang den Seetang' vergnügten.

Er hätte kotzen können.

Da wollte er nichts anderes, als kurz zu Hause nach dem Rechten sehen. Sich auch selbst sehen lassen. Ein paar Sachen klären, seine Familie sehen. Und dann ... wollte er zurück.

Dass es so einfach nicht werden konnte, hatte Zin schon vor der Abreise gewusst. Schon als seine Brüder aufgetaucht waren, hatten die Probleme große Schatten vorausgeworfen. Aber dass sie jetzt ’hinauf' wollten – das war der absolute Selbstmord!

Die Menschen würden sie abschlachten wie bloße Fische! Egal, ob sie kräftig waren. Egal, ob sie sich leise anschleichen konnten! Oben auf der Bohrplattform, das war ... nicht der Bereich für Meermenschen.

Sie wussten doch nicht einmal, wie es dort aussah. Wie sollte es etwas bringen, hinaufzuklettern und aufs Geratewohl zu versuchen, so viel Zerstörung anzurichten, dass die Menschen den Schwanz einzogen?

Der Delfin von vorhin schwamm dicht an Zin vorbei und streifte den Meermann mit einem Blick.

Ja, total durchgeknallt, der schlecht gelaunte Kerl.
 

***
 

Ein Hämmern drang leise zu ihr durch, zerstörte die wirren Träume, die sie gefangen hielten, und klammerte sich aufdringlich an ihr langsam erwachendes Bewusstsein. Viola verzog nur das Gesicht und versuchte weiter zu schlafen.

Sie hatte keinen Bock sich der Realität zu stellen, war es auch noch so ungemütlich, da wo ihr Körper lag.

Bestimmt würde ihr jeder Knochen im Leib wehtun, wenn sie sich rührte. Nein, da war es besser, tatenlos herumzuliegen. Sehr viel besser sogar.

Das Hämmern wurde lauter.

„Vy? Ich weiß, dass du da bist. Dein Motorrad steht in der Garage und ich hab schon bei jedem Typen angerufen, den ich irgendwie ausfindig machen konnte. Bei keinem von denen liegst du im Bett, also mach, verdammt noch mal, die Tür auf!“

Tess ...

Viola legte den Arm über ihren Kopf und versuchte weiter zu schlafen.

Wieder polterte es gegen ihre Eingangstür.

„Verdammt, Viola! Komm endlich in die Gänge und schwing deinen Arsch hier her, oder schalt wenigstens mal wieder dein Handy ein. Ich mach mir schon die ganze Zeit Sorgen um dich, weil durch das Unwetter deine Straße blockiert wurde und keiner zu dir durchkam.“

Einen Moment herrschte Stille.

Dann ein wütendes Schnauben.

Das Klackern von Absätzen über Holzbohlen war zu hören und bewegte sich dann fast lautlos um das Haus herum.

Die Terrassentür wurde aufgeschoben.

„Vy? Wo bist ... Hi, Flocke. Siehst gut genährt aus, also kann ich annehmen, dass dein Frauchen noch hier irgendwo ist?“

Ein Maunzen antwortete ihr.

Tess ging durch die Küche, direkt durch den Flur und stampfte lautstark die Treppe nach oben, da sie Viola bestimmt im Bett vermutete.

Falsch getippt. Das gekachelte Muster auf ihrer Wange würde es beweisen.

Das Gemurmel, das darauf folgte, konnte Viola nicht ganz verstehen. Aber es hatte irgendetwas mit dem 'Schweinestall' zu tun, in dem sie offenbar hier 'lebte'.

Als das Klackern dieses Mal die Treppen herunter kam, konnte man fast schon hören, wie besorgt die Schritte waren, die nun systematisch durch jeden Raum gingen.

Lange brauchte Tess nicht, bis sie Viola neben der Kloschüssel am Boden fand, mit nicht sehr viel mehr bekleidet, als einem T-Shirt und einer Shorts. Beides hatte Zin zuvor noch getragen. Nur kurz zwar, aber sein Duft hing noch an den Sachen.

„Vy?“

Tess' Stimme klang nun eindeutig besorgt und überhaupt nicht mehr wütend, so wie sie es vorhin noch getan hatte. Sofort war ihre Freundin bei ihr und berührte ihre Wange. Die Seite, auf der sich nicht das Muster der Badezimmerfliesen eingeprägt hatte.

Als Viola unter der Berührung zusammenzuckte und sich dann langsam aufzuraffen begann, wurde sie von großen hellblauen Augen gemustert.

„Alles ... in Ordnung bei dir?“, fragte Tess vorsichtig.

Einen Moment gab sich Viola, ehe sie laut seufzte, sich übers Gesicht rieb und sich ganz aufsetzte. Dann stellte sie sich dem Blick ihrer besten Freundin.

„Ja.“

Eine blonde Augenbraue wurde skeptisch in die Höhe gezogen.

„Nein. Nein, du hast recht. Gar nichts ist in Ordnung.“

Und da brach der Damm von Neuem.

Schockiert über die offene Zurschaustellung von Tränen in Violas Gesicht konnte Tess nichts anderes tun, als ihre Freundin in den Arm zu nehmen und sich darüber wundern, wer oder was das nur geschafft hatte.

Viola weinte nicht. Das tat sie nie.

Aber es gab offenbar immer ein erstes Mal.
 

***
 

Es war grau. Grau und schroff. Hart und scharfkantig. Wohin man blickte ... nur Splitter, Trümmer und ... grau.

Wo sich vor wenigen Wochen noch das Leben getummelt hatte, wo es vor schillernden Farben, mannigfaltigen Lebewesen, Pflanzen und bunten Mustern nur so gewimmelt hatte ... war jetzt alles tot.

Zin ließ sich auf den Boden sinken. Seine nackten Füße berührten den Kamm des toten Riffs, lösten ein paar abgebrochene Teile, die sich wie Porzellanscherben übereinander schoben und schließlich bis ganz auf den Grund polterten. Dem schenkte Zin keine Beachtung. Mit gesenktem Kopf ignorierte er das Ziehen in seiner Schwimmblase, die Scherben, die ihm die Fußsohlen zerschnitten und die Schemen seiner Begleiter, die in meterweitem Abstand über die Reste ihrer Heimat hinweg schwammen.

Außer den Meermenschen war niemand mehr hier.

Zins Finger hoben ein Korallenskelett auf, drehten es im funkelnd blauen Wasser und bewunderten die filigranen Ärmchen, in denen die Polypen jede Nacht emsig weiter am Riff gebaut hatten. Hunderte Jahre hatte es gedauert, dieses Paradies zu erschaffen. In wenigen Minuten war es vollkommen zerstört worden. Nichts war übrig, kein Tier lebte mehr hier ... und es zerriss Zin fast in ebenso scharfe Scherben, das hier zu sehen.

Sein Blick schweifte über die Landschaft, die inzwischen in Farbe und Eindruck der des Mondes glich. Leer und trostlos.

Seine Sohlen schmerzten, als er sich aufrichtete, sich abstieß und auf eine kleine Gruppe zuschwamm.

Eine Meerfrau drehte sich zu ihm herum. Ihre hellen Haare mit der einen, schwarzen Strähne rahmten ihr schmales, feines Gesicht ein, wie ein glitzernder Schleier. Ihre leicht schräg gestellten, mandelförmigen Augen sahen Zin traurig und ernst an.

Aya kam Zin entgegen, streichelte seinen Arm und legte ihre Hand auf seine Wange.

Gut, dass du hier bist.
 

***
 

„Aber er hat dich doch gefragt, ob er wiederkommen darf!“

Tess stellte mit Nachdruck ihre Kaffeetasse auf den Tisch.

„Für mich klingt das eindeutig so, als wollte er wieder kommen. Warum also das ganze Drama? Er wird doch wieder kommen.“

Viola schnaubte.

„Ja, vermutlich nächstes Jahr, wenn er mit seinem Schwarm zum Pol schwimmt“, murmelte sie so leise, dass Tess es nicht verstehen konnte, ehe sie selbst einen Schluck von dem starken Gebräu hinunter würgte.

Ihr schien immer noch der Geschmack abhandengekommen zu sein, seit sie ihrer besten Freundin alles von Zin erzählt hatte. Zumindest die stark zensierte Version davon.

Dass er in Wahrheit bei ihr gestrandet, und eigentlich gar kein Mensch war, hatte sie ausgelassen. Ebenso wie die anderen nichtmenschlichen Details. Dafür hatte sie nach mehreren Anläufen über das geredet, worüber sie so frisch danach noch gar nicht reden wollte.

Nämlich über ihr Verhältnis zu Zin. Dass sie ihn zwar erst so kurz kannte, seine Abwesenheit aber schon jetzt wahnsinnig wehtat. Dass sie ihn permanent hätte küssen können. Dass jeder Atemzug ohne seinen Duft dabei zu inhalieren, nun quälend war und das sie absolut keine Ahnung hatte, was zum Teufel eigentlich mit ihr los war.

Auch was den Sex anging, hatte sie nichts ausgelassen. Hatte beschämt zugegeben, dass sie Zin einen gewaltigen Knutschfleck verpasst hatte, damit es auch ja alle Welt sehen konnte.

„Wieso bist du dir da nur so sicher? Ich meine, ich hab doch schon wieder den klassischen Fehler gemacht und Sex mit ihm gehabt, bevor sonst irgendwas da war. Ich bin 'ne verdammte Schlampe!“

Am liebsten hätte sie ihren Kaffeebecher gegen die Wand gepfeffert, doch Viola verschlang die Wärme der Tasse förmlich, da sie gerade erbärmlich fror.

„Nein, bist du nicht“, widersprach Tess, ganz die beste Freundin, die sie war.

„Hast du denn das Gefühl, dass es ein Fehler war?“

Das beantwortete nicht Violas Frage, trotzdem schüttelte sie den Kopf.

„Nein. Ich ... bereue gar nichts davon.“ Nicht mal den Knutschfleck.

„Dann glaube ich auch nicht, dass du ihn in die gleiche Kategorie werfen solltest, wie die anderen Typen bisher. Wenn er auch nur annähernd so für dich empfindet, wie du für ihn – und das glaube ich mit ziemlicher Sicherheit – dann wird er zu dir zurückkommen. Wirst schon sehen.“

Tess schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.

Viola glaubte trotzdem, dass sich ihre Freundin in diesem Punkt irrte, auch wenn sie recht hatte, was die Männerkategorie betraf. Zin gehörte in keine Schublade. Er war ... etwas Besonderes.
 

***
 

„Wer ist dafür?“

Zins Stimme klang dumpf und leer. Er fühlte sich ähnlich, wie der Anblick des Riffs, das er in Gedanken immer noch seine Heimat nannte. Zerstört und elend. Grau.

„Nicht einmal die meisten.“

Ayas Haar schwamm wie ein Fächer auf der unruhigen Wasseroberfläche. Es kräuselte sich und sah trotzdem so aus, als wäre es der weichste Seidenstoff, der in einer lauen Frühlingsbrise flatterte. Zin sah daran vorbei.

Er starrte schon in die tiefe Düsternis unter den Felsen, seit sie sich an die Außenseite des Vulkankegels gesetzt hatten. Nur mit Mühe brachte Aya ein paar Worte aus ihm heraus und selbst dann waren es reine Fakten, die nichts mit ... ihm selbst zu tun hatten.

Aya machte sich Sorgen. Zin hätte es in ihrem Gesicht lesen können, wenn er sie nur einmal richtig angesehen hätte. Aber er schien vollkommen entrückt, an einem anderen Ort und doch so nah bei allem, was ihn umgab, dass Aya ihn einfach nicht erreichen konnte. Es war ... so schwierig.

Sie legte ihre Hand auf seinen Oberschenkel, strich darüber, um ihn im Hier und Jetzt zu behalten. Ihn nicht untergehen zu lassen, in diesem Strudel aus –

Für eine Sekunde weiteten sich ihre tiefgrün glitzernden Augen, als Zin ihre Hand nahm und sie sanft, aber bestimmt von seinem Bein zog. Ayas Herz fing an, hart in ihrer Brust zu schlagen.

„Zin?“

Es ging ihm schlecht. Das konnte ein Blinder sehen. Aber lag das nur an dem, was sie alle niederdrückte?

In Ayas Kopf warnte sie eine Stimme. Irgendetwas war anders. Etwas ... stimmte nicht mehr mit dem überein, was sie gewohnt war. Bloß was?

„Zin ...“

„Es ist Schwachsinn, auf die Bohrplattform zu klettern.“ Er unterbrach sie kühl und für Ayas Geschmack schon fast ein bisschen zu schroff. Oder lag es daran, dass sie Enttäuschung in ihren Adern spürte, die sie die letzten Monate vor Zins Verschwinden so gut hatte zur Seite schieben und weg interpretieren können?

Sie zog sich neben ihn auf den Felsen, setzte sich auf den kleinen Vorsprung und ließ auch die Beine bis zu den Knien im Wasser baumeln. Als Aya ihren Kopf auf seine Schulter legte, zuckte er nicht zurück.

War ... doch alles gut?
 

***
 

„Weißt du, was ich glaube?“

Tess beugte sich von ihrer Ecke der Couch weiter zu der von Viola hinüber.

„Nein“, war die inzwischen monotone Antwort. Sie hatte einfach keine Kraft mehr, um das Thema noch länger breit zu walzen, sich noch mehr selbst zu foltern und langsam kamen auch die ... anderen Schmerzen zurück. Eigentlich wollte sie einfach nur noch schlafen.

Ja, es wäre gut, sich einfach im Bett zu verkriechen und dort zu bleiben. Für ein paar Wochen oder so.

Jemand boxte ihr unsanft gegen die Schulter.

„Hm?“

„Du hörst mir überhaupt nicht zu, was?“

Verwirrt sah Viola den blond gelockten Engel an, obwohl der gerade eher wie ein kleiner Teufel aussah.

„Wieso?“

„Ich hab dir gerade lang und breit erklärt, dass du offenbar hoffnungslos in Zin verknallt bist und alles, was ich von dir bekomme, ist nachdenkliches Schweigen. Ich glaube nicht, dass das eine passende Reaktion von dir ist.“

In Zin verknallt ...

Viola musste erst einmal den Inhalt dieses Satzes entschlüsseln, dann fuhr sie jedoch hoch.

„Quatsch!“

Tess grinste.

„Schon besser. Und trotzdem habe ich recht. Wegen Sex alleine würdest du hier nicht so herumheulen. Selbst der Typ kann nicht so gut sein.“

Wenn du wüsstest ...

„Ich bin trotzdem nicht in ihn verknallt. Ich meine ... nein. Glaube ich nicht. Ich vermiss ihn bloß, okay? Das ist alles.“

„Aha.“

Tess sah Viola an, als hätte sie es mit einem besonders begriffsstutzigen Kind zu tun, dem man alles langsam vorsagen musste. Aber trotzdem wechselte sie einfach das Thema.

„Wenn wir schon bei Männern sind. Da gibt es diesen einen Typen, den solltest du unbedingt anrufen, weil er dich sonst womöglich einen Kopf kürzer macht, nachdem du dich immer noch nicht bei ihm gemeldet hast. Wie wäre es, wenn du dir jetzt das Telefon greifst und das nachholst? Ich als deine beste Freundin, kann dir das nur nahelegen.“

„Den Teufel werd ich tun. Glaubst du echt, mich interessiert Cid noch?!“

Viola sprang regelrecht von der Couch auf und pfefferte ihren leeren Kaffeebecher auf den kleinen Tisch, um zu einer entrüsteten Rede anzusetzen, doch Tess kam ihr zuvor.

„Kleines, ich rede nicht von Cid, sondern von Dan. Deinem Boss. Klingelt da was bei dir?“

Oh ja, das tat es.

Für einen Moment war Viola total geschockt, weil sie tatsächlich ihre Arbeit vergessen hatte. Sie war zwar sonst auch nicht der zuverlässigste Mitarbeiter, aber sowas war ihr noch nie passiert.

Hastig sah sie sich nach ihrem Handy um, es war jedoch Tess, die ihr schließlich ihr eigenes in die Hand drückte, weil ihres vermutlich unter irgendeinem Wäscheberg lag und nach Energie lechzte.
 

***
 

Den Strom konnte er nicht unter Wasser sabotieren. Das wäre nicht nur gefährlich, sondern ausgesprochen dumm. Zin hatte ein einziges Mal gesehen, was Strom in Verbindung mit Wasser anrichten konnte. Da brauchte er keine zweite Lektion, die auch noch seinen eigenen Körper mit ins Spiel brachte. Andererseits gab es keine wirklichen Alternativen. Es wäre schon möglich gewesen, sich an den Verankerungen der Plattform nach oben zu hangeln. Unter vielen unmöglichen Umständen hätten sogar wenige Meermenschen an Bord gehen können, ohne entdeckt zu werden. Aber dann war es auch schon vorbei mit den Pluspunkten für diesen Plan.

Woher sollten sie denn wissen, wo sich die Stromversorgung befand? Eine Karte der Bohrinsel hatten sie nicht. Und wo sie eine finden konnten, wenn es eine gab, wusste ebenfalls niemand. Auf bloßes Glück danach zu suchen – nach Karte oder Generator – war absolut schwachsinnig. Da konnten sie gleich einen der Menschen nach dem Weg ... fragen ...

Zins Augenbrauen zogen sich zusammen und seine Stirn kräuselte sich. Der Gedanke drehte sich ein paar Mal in seinem Kopf.

Nein ... Das war doch der blanke Wahnsinn ... Oder?

Als Zin sich nach vorn lehnen wollte, rutschte Aya Kopf an seiner Schulter ab. Er sah sie an, als würde er gerade erst bemerken, dass sie neben ihm saß. Was – ehrlich gesagt – auch der Fall war.

Jetzt allerdings rückte er ein paar Zentimeter von ihr ab, schenkte ihr ein winziges Lächeln und stemmte dann die Hände auf den kühlen Fels, um sich abzudrücken und ins Wasser zu gleiten.

Ayas Nähe wurde ihm unangenehm, als sie sich zu ihm hinüberlehnte und ihn mit ihren schlanken Fingern auf seinem Handrücken von seinem Vorhaben abhielten. Kühl und glatt, wie seine Eigenen. Durchscheinende Schwimmhäute zwischen den Knöcheln. Er starrte diese kleine Hand an und entzog sich ihr nach nur ein paar Sekunden.

Und das, obwohl er ganz fest mit Konsequenzen rechnete. Es war seine eigene Schuld und damit würde er umgehen müssen. Viel zu lange hatte er sich ohnehin damit getröstet, dass der Tag wohl nicht allzu bald kommen würde. Jetzt war der Tag an ihm vorbei gerannt, hatte ihn von hinten umgeworfen und saß nun auf Zins Brust; machte es ihm schwer, zu atmen.

War er so feige, sich einfach aus der Affäre zu ziehen und darauf zu hoffen, dass sich Aya in diesen Tagen, die er weg gewesen war, auch verändert hatte? Dass sie nicht mehr hoffte, wo eigentlich noch nie Hoffnung gewesen war?

Zin wusste die Antwort. Und doch fiel es ihm unendlich schwer, seine Hand wegzuziehen, sie stattdessen an Ayas Schulter zu legen und sie auf Abstand zu halten.

Aya ... seine beste Freundin. Sie kannten sich schon, seit die Meerfrau geboren worden war. Als Kinder hatten sie zusammengespielt, als Teenager hatten sie sich offiziell ignoriert und gezankt, bloß um sich am gleichen Tag, Stunden später gegenseitig ihr Leid über das Übel und die Ungerechtigkeit der Welt zu klagen.

Aya hatte Zins erste Freundin abgrundtief gehasst. Eigentlich hatte sie an keiner seiner Beziehungen ein gutes Haar gelassen. Und Zin war erst Jahre später darauf gekommen, woran es lag. Warum Aya so reagierte. Und zu Zins eigener Schande musste er gestehen, dass er diese Sache nie klargestellt hatte.

Gerade jetzt war ihm so klar wie nie zuvor, dass es Zeit wurde, das zu ändern.

„Aya, ich –“

Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und ihr Körper bebte, während sie zitternd Luft holte.

„Ich hatte solche Angst um dich, Zin.“

Scheiße.
 

***
 

„Ist es heute so voll, oder bin ich einfach nicht mehr daran gewöhnt?“, fragte Viola niemand Bestimmten, als sie ihr Tablett auf der Theke abstellte und einen Moment durchatmete.

Schweiß stand ihr in feinen Perlen auf der Stirn, saß ihr im Nacken, zwischen den Brüsten und lief auch langsam aber sicher in kleinen Rinnsalen jedes Tal ihres Körpers hinab.

Sie fühlte sich zittrig, verklebt und einfach nur noch unwohl, während noch sechs weitere Horrorstunden vor ihr standen und sie keine Ahnung hatte, wie sie diese überleben sollte.

„Vielleicht beides. Aber mach dir nichts draus.“

Es war Dans ruhige Stimme, die sie aufsehen und leicht lächeln ließ, obwohl ihr wirklich nicht mehr nach Lächeln zumute war. Doch er war ihr Boss und sie hatte ihn noch nicht einmal anbetteln müssen, dass er sie wegen ihrer Nachlässigkeit doch bitte nicht feuern möge. Er hatte nur erleichtert reagiert, als sie anrief und auch jetzt lag kein Tadel in seinem Blick, während er ein kühles Budweiser nach dem anderen zapfte.

„Ich versuch's.“

Das tat sie wirklich. Aber es war verdammt schwer, mit ihren zittrigen Händen, den Hitzewallungen und ihrem verkrampften Körper ihren Job nach Gutdünken zu erledigen. Eigentlich hätte sie ihm gerne gesagt, dass sie sich lieber hinlegen und sich in ihrem Bett winden wollte, anstatt weiter zu machen. Doch Dan hatte ihr gegenüber schon so viel Nachsicht gezeigt, sie konnte ihn jetzt nicht einfach im Stich lassen. Also warf sie sich verstohlen noch eine Schmerztablette ein und spülte sie mit einem Glas Wasser hinunter, das ihr sofort noch mehr Perlen auf die Stirn zu treiben schien, nun, da ihr Körper noch mehr Flüssigkeit zum Verdunsten zur Verfügung hatte. Danach nahm sie ihr Tablett mit den Bestellungen wieder auf, um weiter ihrer Arbeit nachzugehen.

Jeder Schritt durch das dichte Gewühl der Leiber war die reinste Qual und es wunderte sie, dass keiner ihr Unwohlsein zu bemerken schien. Einerseits gut, andererseits hätte das vielleicht bedeutet, dass man sie weniger strapazierte und dafür mehr Trinkgeld gab. Aber das war natürlich reines Wunschdenken.
 

Zwei Stunden später war sie kurz davor, jemanden das Tablett ins Gesicht zu knallen, obwohl ihr Lächeln etwas ganz anderes zu sagen schien.

Sie bekam es gar nicht mehr aus dem Gesicht. Es wirkte dabei noch nicht einmal gezwungen, obwohl es dort wie festgetackert hing und gar nicht mehr weggehen wollte. Aber besser sich zu Tode lächeln, als sich vor Schmerzen zu krümmen.

Scheiße ...

Diese verfluchten Tabletten halfen nicht mehr wirklich etwas, und wenn sie sich noch mehr von den Dingern reinpfiff, dann könne sie sich gleich auf einen der Tische legen und ins Koma fallen. Dabei spielte ihr Körper ohnehin schon total verrückt.

Viola schwitzte nun tatsächlich aus allen Poren und was viele eigentlich abschrecken sollte, bewirkte bei ihr genau das Gegenteil. Denn wenn sie schwitzte, dann sah sie danach aus, als hätte sie sich ausgiebig im Bett vergnügt und das ließ inzwischen schon so manche Blicke nach ihr umdrehen. Vor allem von den Typen, die inzwischen schon einiges an Alkohol intus hatten.

Um diese Uhrzeit wirklich kein Wunder.

Als dann zum dritten Mal jemand am Saum ihrer engen Shorts zupfte, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, reichte es ihr endgültig.

Viola nahm das leere Tablett in die linke und schnappte sich mit der rechten die Hand des Kerls, der ihr schon seit einer Weile unangenehm aufgefallen war. Mit einem einzigen Ruck riss sie dessen Handgelenk in einem unnatürlichen Winkel herum und was eigentlich nur eine abschreckende Geste hätte werden sollen, wurde durch ihren Missmut zu Körperverletzung.

Der schmierige Kerl mit dem Doppelkinn und dem schütteren Haar jaulte auf, entzog sich ihrer Hand und sah sie in seinem Rausch fassungslos an, ehe er laut zu schreien begann.

„Du hast mir die Hand gebrochen!“

Nein, nicht gebrochen, aber schön verstaucht.

„Und du meine Intimsphäre!“, fauchte sie so finster zurück, dass sogar die zwei Kumpels des Grabschers vor ihrem Blick zurückwichen. Danach knallte sie ihnen das Tablett auf den Tisch.

„Ich hab die Schnauze voll von euch versoffenen Pennern!“

Mit einem Ruck drehte sie sich herum, bahnte sich einen Weg durch die glotzende Menge und verschwand mit wütenden Schritten im Bereich für Angestellte.

Oh Gott. Sie musste tatsächlich kotzen.

Das war ihr schon lange nicht mehr passiert. Nicht einmal nach einer total abgefüllten Nacht hatte sie sich am nächsten Morgen oder noch währenddessen übergeben müssen, was dank ihres Metabolismus wohl auch nicht möglich war, aber jetzt hing sie über der Kloschüssel der Damentoilette und kotzte sich die Seele aus dem Leib.

Erst da, erst jetzt in diesem Augenblick, begann sie langsam zu begreifen, dass das alles hier nicht mehr normal war. Dass diese Krämpfe sich trotz der starken Schmerzmittel außerhalb der Norm befanden. Dass sie zudem unnatürlich starke Blutungen hatte, wie es eigentlich bei gewöhnlichen 'Zwischenblutungen' nicht sein sollte und dass ihr ganzer Körper verrückt spielte. Von Monat zu Monat mehr.

„Viola?“

Jemand klopfte an die Tür, riss sie damit kurz aus ihren Überlegungen. Sie antwortete, in dem sie sich erneut über die Schüssel hängte und würgte.

Sie sollte zu einem Arzt gehen.

Ein weiteres Würgen.

Als könnte sie so einfach zu einem Arzt gehen!

Auch wenn sich die menschliche Anatomie nicht von ihrer menschlichen Seite unterschied, galt das Gleiche jedoch nicht für ihre Gene, ihren Zellaufbau, ja noch nicht mal für ihren beschissenen Stoffwechsel, der derzeit dafür sorgte, dass sie die Schmerztabletten wie Kohlen in einem Hochofen verbrannte.

Dan steckte den Kopf zur Tür herein und kam sofort mit äußerst besorgter Miene zu ihr, als er sie auf dem Boden vorfand.

„Mein Gott, Viola, was ist los?“

Am liebsten hätte sie ihn einfach weggeschubst. Sie konnte ihn im Augenblick nicht ertragen. Eigentlich konnte sie gerade überhaupt niemanden ertragen. Sie wollte allein sein. Allein mit ihrer Schwäche. Allein mit ihren Sorgen und auch allein mit ihren Ängsten. Denn das war sie schon, solange sie denken konnte, und das würde auch immer so sein.

Nur dass es da eben doch Menschen oder Personen in ihrem Leben gab, die ihr das nicht durchgehen ließen. Dan war einer davon.

„Schlechter Magen“, bekam sie schließlich krächzend hervor, während ihr Hals brannte.

Sie würde ihm jetzt sicherlich nicht die blutigen Einzelheiten ihrer Pein erzählen. Männer verstanden sowas ohnehin nicht in im vollen Ausmaße, warum es also überhaupt versuchen?

Auf dem Weg zu ihr nahm er ein paar Papierhandtücher mit, ehe er sich neben sie in die enge Kabine quetschte.

„Hast du was Falsches gegessen? Soll ich dich vielleicht zum Arzt bringen?“

Viola zwang sich dazu, ihn nicht abzuwehren, genauso wie seinen Vorschlag, sondern nahm stattdessen die Papierhandtücher und wischte sich damit den Mund ab.

„Nein, schon in Ordnung. Hab heute noch nicht mal was gegessen. Vielleicht ... keine Ahnung. Egal. Krieg ich jetzt eigentlich Ärger?“

Verständnislos sah er sie mit seinen haselnussbraunen Augen an.

„Wegen was?“

„Der besoffene Penner? Die verstauchte Hand? Du erinnerst dich?“

„Ach der.“

Dan winkte ab und half ihr stattdessen auf die zittrigen Beine zu kommen, nachdem er sichergegangen war, dass sie sich nicht noch einmal übergeben musste.

„Wenn du nicht so schnell reagiert hättest, hätte ich es getan. Ich hab ihm Hausverbot erteilt und sollte er noch einmal meine Mitarbeiterinnen belästigen, wird ein verstauchtes Handgelenk seine geringste Sorge sein. Das verspreche ich dir.“

Viola lächelte schwach. Ja, das war ihr Boss.

„Willst du nicht lieber nach Hause gehen?“, fragte er schließlich wieder in seinem väterlich besorgten Tonfall.

„Ich fahre dich auch. Ist sowieso nicht mehr allzu viel los in der Bar. Den Rest schaffen auch die anderen.“

„Nein.“

Sie schüttelte langsam den Kopf.

„Danke, Dan. Ich ... komm schon klar. Aber du hast recht. Ich glaube nicht, dass ich dir heute noch großartig eine Hilfe sein kann.“

Betroffen senkte sie den Blick und wusch sich stattdessen die Hände.

„Es tut mir leid, dass ich dich in letzter Zeit so in Stich lasse. Es ist nur ...“

Ihre Hände hielten inne. Zitterten unter dem kühlen Wasserstrahl und zugleich musste sie an andere Hände denken. Lange schlanke Finger, die mit weichen, nachgiebigen Schwimmhäuten unzertrennlich verbunden waren.

„... es läuft gerade nicht alles so rund, wie es sollte. Das ist alles.“

Viola spürte eine große, warme Hand auf ihrer Schulter, die sie beinahe niedergedrückt hätte. Nicht wegen des Gewichts, sondern wegen der Geste an sich. Gerade jetzt, wo sie sich so mies fühlte, hungerte sie nach Zuneigung. Aber obwohl Dan ihr bisweilen wie ein Vater war, blieb er am Ende doch ihr Boss. Sie nahm, was er ihr bereitwillig gab, aber sie würde nichts verlangen.

„Mach dir nichts draus“, riet er ihr erneut an diesem Tag.

„Ich weiß doch, dass ich mich auf dich verlassen kann, wenn ich dich brauche und du kannst den Job so lange haben, wie du ihn haben willst. Das wird sich nie ändern. Also mach dir keine Gedanken deswegen. Ich will einfach nur, dass du besser auf dich selbst aufpasst. Ginge das?“

Sie hob den Blick und lächelte schwach.

„Ich werd’s versuchen.“
 

***
 

Wie nur? ... Wie?

Die Frage stellte sich Zin, seit er Ayas Schultern genommen und sie ein Stück von sich geschoben hatte. Bestimmt nicht grob oder abweisend, aber doch so bestimmt, dass sie ihn einerseits überrascht und andererseits fast schon argwöhnisch ansah.

Wie sollte er es ihr sagen? Er hatte so viele Jahre Zeit gehabt, es sich zu überlegen. Wäre er früher mit der Sprache herausgerückt ... Aber das war er nicht. Und Aya hatte zwar viele erste aber doch nie den entscheidenden Schritt getan.

Wenn man es genau betrachtete, musste Zin sich wie ein Arschloch vorkommen. Er hatte Aya bloß nicht gesagt, dass aus ihnen nie etwas werden würde, weil er sie als Freundin nicht verlieren wollte.

Er hatte Angst gehabt. Schlicht und ergreifend. Und auch jetzt hatte er Angst.

Davor, dass sich Aya vollkommen von ihm abwenden würde. Dass ihre Freundschaft die Wahrheit nicht überstand. Nicht einmal nach Jahrzehnten.

Wie konnte er ihnen beiden nur so wenig zutrauen? Und noch dazu ... gleichzeitig Aya unterstellen, dass sie verliebt in ihn war?

Genau. Das war das eigentliche Problem, oder nicht? Der Grund, warum er nie etwas gesagt hatte. Sie konnte auch nur anhänglich sein. Wie eine Schwester. Ja, bestimmt war das auch –

Zin schüttelte kurz über sich selbst den Kopf. Von wegen Schwester. Seine kleine Schwester ging nicht so mit ihm um, wie Aya es tat. Ila hätte ihn vermutlich eher in den Hintern getreten, als sich an ihn zu kuscheln. Zumindest, wenn die coolen Jungs oder jemand anderes Wichtiges es sehen könnte.

Wellen schlugen leise gegen die Seite des Vulkankegels und Ayas grüne Augen funkelten wie Seetang, als Zin sie so an den Schultern hielt und in ihr Gesicht blickte.

Ihre Lippen öffneten sich leicht, bevor sie sie wieder schloss und für einen Moment so fest aufeinander presste, dass sämtliches Blut aus ihnen wich.

„Wir sollten zu den Anderen schwimmen. Die Diskussion ist in vollem Gange, seit ihr zurück seid.“ Aya sah zur Seite. Aufs Meer hinaus. „Es ist gut, dass du wieder hier bist. Du hast dem Schwarm gefehlt.“
 

Dass die Diskussion in vollem Gange war, hielt Zin für eine absolute Untertreibung. Normalerweise war es in der 'Halle', einem großen Raum im Kegel mit kuppelartiger Decke, sehr still. Hier traf sich der Schwarm, um wichtige Entscheidungen zusammenzutreffen, sich die Routen für die großen Wanderungen zu überlegen oder eine Vereinigung vor allen bekannt zu geben. Das ging immer sehr gesittet vonstatten. Einer hatte das Wort, die anderen hörten zu. Wenn jemand etwas zu sagen hatte, dann tat er es ruhig. Wie in einem normalen Gespräch auch. Nur dass eben mehr Leute anwesend waren. Aber heute ...

Zin klingelten die Ohren von dem ganzen Durcheinander an Klick-, Pfeif- und Sprechlauten. Er konnte sich kaum auf die Meermenschen konzentrieren, denen er wirklich zuhören wollte. Das ganze Gewimmel an Sprache wurde von den Wänden zurückgeworfen, verstärkt und verursachte bestimmt nicht nur ihm langsam aber sicher Kopfschmerzen.

Außerdem brachte diese 'Unterredung' hier gerade absolut überhaupt nichts. Es war geradezu traurig, wie sich die Mitglieder des Schwarms in Rage redeten, ihre persönlichen Verluste gegen die Verluste der Menschen aufrechneten.

Zin sah, wie sich einige schon jetzt vorstellten, Rache zu nehmen. Das war ... alles andere als gut. Das konnte nicht gut ausgehen. Eigentlich ... sollte diese Reaktion auf das Unrecht, das man ihnen angetan hatte, allen Anwesenden echte Furcht einflößen. Ein paar schien es tatsächlich in diese Richtung zu ziehen. So sah zum Beispiel Sal immer wieder mit einer Grimasse zu Zin hinüber und schüttelte vehement den Kopf über so manche Satzfetzen, die sich ihren Weg über die Köpfe der Anwesenden hinweg bahnten.

Es ging um die Idee, die Plattform einzunehmen. Die Menschen in die Flucht zu schlagen. Aber niemand schien so richtig an die Folgen zu denken. Oder kam dieser Gedanke bloß nicht dazu, sich unter den Angriffsplänen durchzusetzen?

Kam denn keiner darauf, dass sich nicht alles von selbst regeln würde, wenn diese Menschen sich wirklich vertreiben ließen?

Es würden mehr kommen. Viel mehr. Und wenn sich auch nur einer der Meermenschen sehen ließ, hatten sie mehr Probleme, als diese Bohrplattform. Dann würden Forscher kommen. Kamerateams, Biologen und wer weiß was noch alles.

Zin wurde bei dem Gedanken ganz flau im Magen. Er wollte sich gar nicht vorstellen, was im Riff los sein würde, wenn bekannt wurde, dass es Arielle wirklich gab. Wenn auch in sehr viel weniger kindlicher, aber dafür erschreckend realer Form.

Für eine Weile schaltete Zin ab, warf einen verstohlenen Blick zu dem Platz hinüber, an dem Aya normalerweise bei diesen Treffen saß.

Die Stelle war leer.

Mit einem Seufzen versuchte sich Zin wieder auf das zu konzentrieren, was diskutiert wurde. Pläne und Ideen, Ideen und Pläne. Ihm drehte sich der Kopf davon, bis er aufstand.

„Ich habe mir etwas überlegt.“

Viele Augenpaare legten sich auf ihn, sahen ihn forschend und prüfend an. Zin konnte die Blicke auf seiner Haut spüren, auf den Narben an seinem Rücken.

Er mochte es nicht, vor allen zu sprechen. Eigentlich wäre ihm alles Andere sehr viel lieber gewesen. Aber er konnte nicht einfach nur weiterhin zuhören. Nicht, wenn er etwas Konstruktives beitragen konnte. Oder zumindest glaubte, sie vorwärts zu bringen.

„Es geht um die Plattform. Darum, wie sie gebaut ist. Mir ist etwas eingefallen ... das uns helfen könnte, sie außer Gefecht zu setzen.“

Stille breitete sich in der Höhle aus. Wartend und umfassend. Sie ... hörten ihm zu.

26. Kapitel

Eingehüllt in eine dicke Wolldecke, verpackt wie zu einem Kletterausflug ins Gebirge und mit einer heißen Wärmeflasche bewaffnet, starrte Viola ins Leere.

In der einen Hand hielt sie ihr aufgeklapptes Handy, in der anderen eine dampfende Tasse Tee. Die Füße hatte sie auf der Couch zusammengefaltet, um ihre eisigen Zehen irgendwie warm zu bekommen. Doch es war vergebens. Sie fror erbärmlich und konnte manchmal nicht einmal ein Wimmern unterdrücken.

Ihr tat alles weh. Am schlimmsten jedoch waren ihr Unterleib und die Kälte, die sich darin eingenistet zu haben schien.

Sie sollte ihn wirklich anrufen. Darum ja auch das Handy. Aber sie schaffte es nicht einmal, seine Nummer zu wählen.

Eine weitere Schmerzwelle überrollte sie; zwang Viola dazu die Augen zusammenzupressen und den Atem anzuhalten, ehe es wieder etwas nachließ.

Sie hatte keine andere Wahl. Ob sie nun mit ihm reden wollte oder nicht, sie musste ihn jetzt anrufen, um sich Klarheit über ihren Zustand zu verschaffen. Den Vater würde sie zwar niemals darum bitten, aber der Arzt konnte ihr vielleicht helfen.

Noch einen Moment der Überlegung. Noch eine weitere Schmerzwelle und sie tippte schließlich die Nummer ein, die sie nur im Kopf aber sicherlich nicht in ihrem Handy gespeichert hatte.

Es klingelte lange, bis sich endlich etwas in der Leitung tat.

Schon wollte Viola etwas sagen, keine Begrüßung, aber doch irgendetwas, da sprang auch schon der Anrufbeantworter an.

Sie legte auf.

So verzweifelt war sie noch nicht, dass sie ihm eine Nachricht auf seinem privaten AB hinterlassen würde. Niemals.

Ein tiefes Seufzen.

Viola wählte seine Praxisnummer.

Es klingelte nur einmal, dann meldete sich eine angenehme Frauenstimme. „Ordination Dr. Benedict Brown. Clara Wilson am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“

Einen Moment lang fehlte ihr die Sprache. Violas Hals war wie ausgetrocknet, während ihr Herz ihr auf die Zunge springen wollte.

Doch gerade, als die Frau am anderen Ende der Leitung etwas sagen wollte, kam ihr Viola zuvor.

„Ja, hallo. Kann ich Dr. Brown sprechen? Es ist ... dringend.“

„Tut mir leid, er ist gerade in einer Teambesprechung. Kann ich ihm vielleicht etwas ausrichten? Oder möchten Sie etwas später noch einmal anrufen?“

Mit Müh und Not konnte Viola ein Schnauben unterdrücken, ehe sie mit zusammengekniffenen Lippen in ihren Becher starrte.

„Richten Sie ihm aus, dass Vi...“

Sie räusperte sich kurz vernehmlich.

„... dass Amber Brown ihn sprechen möchte und er mich sobald wie möglich zurückrufen soll. Mein Vater hat die Nummer.“

Sie legte einfach auf.

Mehrere Minuten starrte sie wieder in die Luft, während sich ihr Herzschlag kaum beruhigen wollte. Sie war total aufgeregt und das nur, weil sie versucht hatte, ihren Vater anzurufen. Der noch nicht einmal Zeit für sie hatte.

Obwohl, wenn man es genau nahm, sollte sie das kein bisschen wundern. Er hatte nie Zeit für sie gehabt. Und was die Sache mit ihrem Namen anging, so bereitete es ihr zumindest ein gewisses Maß an Genugtuung, dass er keine Ahnung hatte, wie sie jetzt wirklich hieß.

Eine Namensänderung war zwar aufwendig und kostete Geld, aber immerhin war sie diesen Ballast losgeworden.

Amber Brown Junior.

Diese Person hatte es nie gegeben und wenn doch, dann war sie inzwischen toter als tot. Sie war vernichtet.

Unvermittelt ging das Handy in ihrer Hand los und Viola hätte beinahe vor Schreck den ganzen Tee verschüttet. Hastig stellte sie den Becher ab, wischte sich etwas Flüssigkeit von der Hand, ehe sie einen Blick auf das Display warf.

Es war die Nummer, die sie gerade gewählt hatte, nur mit einer anderen Durchwahl.

Ihr Vater.

Scheiße.

Viola ließ es ein paar Mal läuten, ehe sie den Mut aufbrachte, um abzuheben und wenn auch nur aus Angst, dass er vorher die Geduld mit ihr verlor.

„Hallo, Ben.“
 

***
 

Sie hatten ihm zugehört. Zin hatte ausreden dürfen, seinen eigenen Plan darlegen, der weniger drastisch und auch sehr viel ungefährlicher war als alles, was bis jetzt auf den Tisch gelegt worden war. Er hatte es ihnen dargelegt. Er hatte es erklärt, argumentiert und ... verloren.

Der Plan sei schön und gut. Eine nette Idee, aber bei Weitem nicht ausreichend. Vielleicht konnte Zins Erfahrung mit Menschen in den Angriff mit einbezogen werden. Das hatte man sowieso vorgehabt. Aber allein das, was er sich da ausgedacht hatte? Beileibe nicht.

Eine Nacht und einen ganzen Tag später waren sie bereit. Zumindest so bereit, wie sie es je sein würden.

Seite an Seite, wie schon diese traurigen Wochen zuvor, rückten sie auf das Riff zu. Diesmal noch vorsichtiger, als bei ihrem ersten Angriff. Denn jetzt wusste man sicher, was das metallene Monster anrichten konnte. Welche Zerstörungskraft in den Gerätschaften der Menschen steckte. Es war noch erschreckender, wenn man bedachte, dass die Sprengung nicht einmal der Verteidigung gegolten hatte. Das Bohren allein hatte bloß nicht mehr ausgereicht. Sie waren nicht tief genug in das Plateau vorgedrungen. Die Sprengung hatte den Weg freiräumen sollen.

Das hatte sie auch.

Sie waren jetzt weniger Männer. Keine Frauen diesmal. Dafür war es zu gefährlich. Und obwohl das hieß, dass es in ihren Reihen an guten Kämpfern beider Geschlechter fehlte, machte es viele der Meermenschen ruhiger.

Sie wussten, dass zumindest ihre Familie in Sicherheit war. Im Kegel, wo ihnen keine direkte Gefahr drohte. Nicht, wie hier draußen, über den Überresten des Riffs.

Langsam, aufgeteilt in kleinere Grüppchen, arbeiteten sie sich vor. Immer Deckung suchend, die es kaum noch gab. Noch war das Ungetüm nicht zu sehen und doch warf es seine Schatten voraus.

Nebelige Schwaden an Benzinausdünstungen. Öl, das sich in schmalen Streifen ins Meer ergoss, es verklebte und verpestete. Jedes Molekül vibrierte unter der Anstrengung des Bohrkopfes, sich tiefer ins Gestein zu fressen. Hinab zu den Mineralienvorkommen. Hinab zum Geld.

Die Meermenschen schmeckten die Abwasser in ihren Kiemen, spürten das Metall in ihrem Mund.

Es machte sie nur wütender. Der Zorn und die Trauer trieben sie vorwärts. Immer weiter auf das Zentrum des Übels zu, das schon so viel zerstört hatte, was ihnen lieb und teuer war.

Sobald der Koloss in Sicht kam, löste sich jeweils einer aus den kleineren Gruppen. Der Rest blieb in einigem Abstand zurück, während die 'Spezialisten' sich weiter trauten. Es waren nur acht. Mutig und teilweise viel zu jung, um sich auf das Risiko einzulassen.
 

***
 

„Hallo, Amber.“

Viola schloss die Augen, während ein Zittern sie durchlief.

Es wäre so viel einfacher, diesen Mann zu hassen, wenn er nicht so eine tiefe, angenehme, Wärme vermittelnde Stimme besessen hätte und ihr das durch das Telefon nicht noch deutlicher auffallen würde.

„Es ist lange her, dass du dich bei mir gemeldet hast. Ist denn alles in Ordnung bei dir?“, fragte er, ohne die Sorge in seiner tiefen Stimme zu verbergen, nachdem sie nichts auf seine Worte erwidert hatte. Dabei klang er ganz und gar nicht wie der Arzt, der er war, sondern wie der Vater, der er nicht mehr für sie sein konnte, weil sie es nie zugelassen hätte.

Sie hatte vergessen, wie es war, wenn sie einmal seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit besaß.

Einen Augenblick lang war Viola tatsächlich versucht, sich von ihm den Schutzmantel herunter reißen und seine Fürsorge zuzulassen. Doch sie hatte nicht vergessen, wie er sie weggeschickt hatte, weil er nicht mehr mit ihr klargekommen war.

Sie hatte nicht vergessen, wie er sie bei ihrer lieblosen Mutter gelassen hatte, während andere Menschen ihm wichtiger als sein eigenes Kind gewesen waren.

Nein, sie würde diese Schwäche niemals zulassen. Daher war ihre Stimme auch kühl und distanziert, als sie gleich zum Punkt kam.

„Wie du weißt, benutze ich seit Jahren die Pille und die damit einhergehenden Zwischenblutungen werden von Mal zu Mal stärker und die Schmerzen unerträglicher. Sag mir: Ist das normal, oder stimmt etwas nicht?“

Schweigen kam durch die Leitung.

Vermutlich kramte er gerade wieder den Arzt hervor und steckte den nichtvorhandenen Vater zurück in den Keller.

Langsam wurde die Stille belastend und Viola begann, sich ernsthaft Sorgen zu machen.

„Hast du schon einmal überlegt, die Pille abzusetzen?“, wollte er schließlich von ihr wissen.

„Das beantwortet nicht meine Frage!“

Viola fuhr ihn so abrupt an, dass es sie selbst überraschte, weshalb sie etwas ruhiger hinzufügte: „Nein, warum sollte ich? Ich bin absolut nicht scharf drauf, einen Eisprung zu haben. Du wirst ja wohl am besten wissen, was das mit einer Frau unserer Art anstellt.“

Wieder ein kurzes Schweigen.

„Ein Eisprung ist nicht so schlimm, wie du denkst, Amber.“

Sie schnaubte leise.

Versuchte er sie gerade ernsthaft davon zu überzeugen?

Als würde sie auf seine bloßen Worte etwas geben.

„Ach ja? Bilde ich mir das nur ein, oder warst es nicht du selbst, der mir damals zur Pille geraten hat, weil ich mich dann leichter im Griff hätte? Erzähl mir also nichts darüber, dass es nicht schlimm wäre!“

"Das war damals etwas anderes. Für junge Frauen in der Pubertät ist ein Eisprung etwas völlig anderes, als für eine erwachsene Frau, die mit dieser Verantwortung umgehen kann und sich bereits selbst gut genug kennt. Es wäre auf keinen Fall mehr vergleichbar und ich bin mir sicher, dass du jetzt damit umgehen kannst. Daher würde ich dir nahelegen, die Pille abzusetzen und es mit nicht hormonellen Verhütungsmethoden während dieser Phase zu versuchen.“

Viola starrte fassungslos ihr Handy an, ehe sie es wieder zurück an ihr Ohr setzte. Was war denn jetzt los?

„Rätst du das allen Frauen, oder nur mir?“, wollte sie schließlich bissig wissen.

„Ich meine, versteh mich nicht falsch, aber du hast mich damals dazu gedrängt, die Pille zu nehmen. Ja, mich beinahe dazu gezwungen und jetzt willst du sie mir mit allen Mitteln ausreden? Was ist denn so schlimm daran, dass ich keinen Eisprung und somit nicht schwanger werden will? Hast du ein Problem damit? Oder bist du einfach scharf darauf, dass dir bald ein paar Enkelkinder am Rockzipfel hängen könnten? Denn wenn das so sein sollte, dann kannst du das vergessen. Du würdest sie nie zu Gesicht bekommen!“

Ein langes, schweres Seufzen erklang durch die Leitung und das Knarzen eines ledernen Bürosessels. Vermutlich lehnte er sich gerade in seinem Stuhl zurück und kniff sich in den Nasenrücken, so wie er es bei ihr oft getan hatte, wenn sie unsäglich lästig geworden war und er nicht mehr weiter wusste.

„Amber ...“, begann er erneut und voll Geduld.

Sie hasste es.

„Ich möchte dir deshalb zur Pille abraten, weil sie für Frauen unserer Art auf Dauer nicht gut ist. Alle künstlich zugeführten Hormone tun uns nicht gut und der Körper beginnt nach und nach, sich dafür zu rächen. Du musst keine Angst haben, dass sonst etwas mit dir nicht stimmen könnte. Wir können keinen Krebs bekommen oder andere Krankheiten. So viel kann ich dir versichern. Aber ich rate dir wirklich, die künstlichen Hormone abzusetzen, damit dein Körper wieder ins Gleichgewicht kommt. Ansonsten wird es nur noch schlimmer werden.“

Schlimmer? Nein, oder? Bitte nicht!

Sie ertrug es doch jetzt kaum noch und ohne die Schmerztabletten könnte sie vermutlich nicht einmal geradestehen. Wie sollte sie eine noch schlimmere Variante davon ertragen?

„Aber ich hasse meinen Eisprung!“, protestierte Viola beinahe atemlos, weil sie kurz vorm Durchdrehen war.

Wieder einmal drohte das ganze Gefühlschaos, in dem sie sich befand, über ihr zusammenzubrechen und sie wollte bestimmt nicht, dass ihr Vater das alles mitbekam.

Scheiße ...

„Am. Ich kann dir versprechen, dass es nicht mehr so schlimm ist, wie damals, als du noch mitten in der Phase zum Erwachsenwerden warst. Ganz im Gegenteil. Viele Frauen, die meine Praxis besuchen, haben mir versichert, dass sie diese Phase ihres Lebens ganz besonders genießen. Natürlich ist das eine Phase, in der man große Verantwortung beweisen muss, aber wie gesagt, ich bin mir sicher, dass du das kannst und es ist auf jeden Fall erträglicher, als die Schmerzen die du vermutlich jetzt hast.“ Da war natürlich etwas Wahres dran.

„Und außerhalb dieser Phase musst du dir auch weiterhin keine Gedanken machen, schwanger zu werden. Im Gegensatz zu menschlichen Frauen wirst du ganz genau wissen, wann du aufpassen musst und wann nicht.“

"Wie?“, hauchte sie nur noch leise in ihr Handy. Viola wollte wirklich nicht Mutter werden. Davor hatte sie vermutlich sogar die schlimmste Panik.

„Erfahrungsgemäß nimmt ein paar Tage vor der fruchtbaren Zeit dein Sexualtrieb zu. Dein Körper wird sich leicht verändern. Du wirst einen intensiveren Körpergeruch verströmen, um damit mehr weibliche Anziehungskraft auf Männer bewirken. Glaub mir, das wird dir auf keinen Fall entgehen, und wenn das beginnt, solltest du dich entweder zurückhalten oder Kondome verwenden.

Ich würde bei den ersten Anzeichen für einen Eisprung, verhüten. Du weißt ja, dass Spermien ein paar Tage im weiblichen Körper überleben können. Daher –“

„Ja, ich weiß!“

Langsam wurde Viola rot. Nicht wegen des Themas, sondern wegen der Person, mit der sie es besprach. Ob sie nun wollte oder nicht, Ben blieb trotzdem ihr Vater und mit ihm hatte sie schon immer ungern gesprochen, doch auf seinen ärztlichen Rat konnte man sich verlassen. Das wusste sie.

„Hast du denn sonst noch Fragen?“

Viola überlegte nicht lange. Er hatte ihr gesagt, was er zu sagen hatte und damit wäre dieses Gespräch dann auch schon beendet, denn über andere Dinge würde sie mit ihm sicherlich nicht sprechen.

„Nein.“

Es klang fast trotzig. Wie eigentlich immer, wenn sie sich länger mit ihm beschäftigen musste. Dafür konnte sie nichts. Das war einfach schon immer so, seit er sie weggeschickt hatte. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sie inzwischen erwachsen geworden war.

„Wie geht es dir sonst so?“, wollte er nach längerem Schweigen schließlich wissen. Als ob ihn das tatsächlich interessieren würde.

Nur wollte sie darauf nicht antworten. Aber einfach so auflegen konnte sie auch irgendwie nicht. Da war noch etwas. Etwas das sie ihn fragen wollte. Ihr Gefühl sagte es ihr ganz deutlich, doch es wollte ihr einfach nicht mehr einfallen.

Nachdenklich zupfte sie am Saum der Wolldecke herum, erleichtert darüber, dass sie nicht mehr so erbärmlich fror und auch erleichtert darüber, dass das Gespräch mit ihrem Vater ihr wenigstens ein bisschen geholfen hatte.

Sie wusste jetzt, was sie tun würde. Es würde zwar sicherlich nicht leicht werden, aber sie würde es schaffen. War nur die Frage, wie Zin ...

Ihre Hand erstarrte.

Plötzlich brannten erneut Tränen in ihren Augen, nachdem sie es geschafft hatte, eine ganze Weile nicht mehr zu weinen. Aber die Tatsache, dass sie Zin nie wieder so nahe kommen würde, so dass das Thema Verhütung aktuell werden könnte, war einfach so ... so niederschmetternd.

„Amber?“

Scheiße, sie hatte doch nicht etwa geschluchzt, oder?

„Ben ...“

„Nenn mich bitte nicht so.“

„Na gut, Dad. Ich weiß, das ist nicht dein Spezialgebiet, aber kannst du mir verraten, warum manche Menschen Angst vor Wasser haben?“

Es war ihr wieder eingefallen. Zin war der Auslöser gewesen und dass sie keine Möglichkeit hatte, ihm zu folgen. Nicht nur wegen der fehlenden Kiemen, sondern auch, weil sie eine Scheißangst vor Wasser hatte und ihm somit niemals folgen könnte. Nicht einmal mit voller Tauchermontur, was ja noch eine Alternative dargestellt hätte. Er war also tatsächlich unerreichbar fern für sie und das machte sie wahnsinnig.

Selbst wenn sie wie eine anhängliche Freundin vor ihm auf den Knien rutschen müsste, um ihn wieder zu haben. Verdammt, sie würde es tun und noch sehr viel mehr als –

Plötzlich fiel ihr das eisige Schweigen in der Leitung auf. Noch nicht einmal ein Atemzug war zu hören.

„B– ... Dad? Bist du noch dran?“

Ein Räuspern.

„Ja.“

Das klang nicht gut. Den Tonfall hatte er für gewöhnlich drauf, wenn einem Patienten nicht mehr zu helfen war, oder er der Familie mitteilen musste, dass jemand gestorben sei. Es war absolut kein beruhigender Tonfall.

„Und? Weißt du, warum Menschen Angst vor Wasser haben könnten?“

Das erneute Schweigen teilte ihr nur zu gut mit, wie er offenbar mit sich rang. Nein, das klang ganz und gar nicht gut.

„Ein Trauma. Schlechte Erfahrungen zum Beispiel“, sagte er schließlich, wenn auch merkwürdig entrückt. So als wäre er nicht ganz da.

„Aber wenn man keine schlechten Erfahrungen, also kein Trauma hat, woran könnte es dann liegen?“

Viola musste einfach nachbohren. Sie hatte einen ziemlich guten Riecher, wenn es darum ging, dass man ihr etwas vorenthielt und er könnte tatsächlich eine Lösung für sie bereithalten. Eine Lösung, die ihr Zin näherbringen könnte.

„In deinem Fall ist es aber ein Trauma, Amber.“

Was?

„Nein. Ist es nicht!“, fuhr sie ihren Vater entschieden an. Das wüsste sie schließlich!

„Doch ist es!“

Auch er konnte stur sein und er beharrte darauf. Ebenfalls energisch, wenn auch mit einem traurigen Unterton.

„Aber ... Ich kann mich an keines erinnern!“, beharrte Viola weiter und wedelte nachdrücklich mit ihrer Hand, obwohl er die Geste natürlich nicht sehen konnte.

„Und überhaupt. Wer redet denn hier von mir persönlich. Ich hab die Frage allgemein gestellt.“

Jetzt wurde sie zickig. Das war zwar ziemlich blöd von ihr, aber sie wollte vor ihrem Vater keine Schwäche zeigen. Auf keinen Fall wollte sie das.

Allerdings war er wiederum ziemlich gut darin, über solche Dinge einfach hinwegzugehen. Speziell in ihrem Fall.

„Du warst zu klein damals und du standest unter Schock. Natürlich kannst du dich nicht daran erinnern.“

Natürlich nicht, dachte sie sarkastisch und war auch nicht weniger freundlich, als sie laut fragte: „Ach, hat mich Mom etwa in der Badewanne absaufen lassen, oder was?“

Er antwortete nicht.

...

Warum antwortete er nicht?

Plötzlich begann ihr Herz zu rasen und das Blut schoss ihr nur so an den Ohren vorbei. Ein Gefühl von kalter Panik stieg in ihr hoch, zwar nur schwach, aber das Schweigen ihres Dads machte ihr eindeutig mehr Sorgen, als es sollte.

Was zur Hölle ist denn nun wirklich passiert?

„Du warst damals noch nicht ganz zwei Jahre alt und gerade in einer Phase, wo du ständig die Gestalt gewechselt hast. Egal wer dabei war oder wo du dich befunden hast. Wenn du Lust dazu hattest, gabst du dem einfach nach.“

Zu spät bemerkte Viola, dass sie die Frage wohl laut ausgesprochen hatte.

„Wir wohnten damals in einer menschlichen Siedlung. Wir konnten dich also nur selten rauslassen. Es war an einem Tag, als ich Überstunden machen musste und deine Mutter war zu dem Zeitpunkt ... unaufmerksam.“

Soll wohl heißen, sie hat gerade den Handwerker gefickt.

„Irgendwie bist du in deiner Tiergestalt nach draußen gekommen. Vermutlich wolltest du einfach nur etwas den Garten erkunden. Die Nachbarsjungen müssen dich dort aufgegriffen haben. Ich bin mir sicher, sie wussten damals nicht, dass du ihre Nachbarin warst ... Jedenfalls steckten sie dich in einen Sack und ...“

Viola umklammerte ihr Handy so fest, dass das Gehäuse hörbar protestierte. Sie konnte sich nicht daran erinnern. Weder an die Nachbarsjungen, noch an den Sack, aber kaltes Grauen überkam sie. Das war mehr, als sie wissen wollte, trotzdem sprach ihr Vater weiter.

„Die Regentonne stand hinterm Haus. Ich habe nur noch das Gejohle der Jungen gehört, als ich nach Hause kam.“

Nun begann er in kurzen, abgehakten Sätzen zu sprechen. So als müsse er es einfach loswerden. Als könne er es nicht länger für sich behalten. Genauso wenig, wie Viola sich der Wahrheit verschließen konnte.

„Sie sind weggerannt, als sie mich sahen. Zuerst wusste ich nicht, was sie bei der Regentonne wollten. Dann sah ich den silbernen Schimmer und dann den Sack. Dein schwarzes Haar, wie es an der Wasseroberfläche trieb. Ich habe dich sofort rausgeholt. Die Reanimationsmaßnahmen eingeleitet. Trotzdem brauchtest du volle drei Minuten, bis du wieder einen Herzschlag hattest ... Danach sind wir weggezogen. Aber du warst nicht mehr dieselbe. Hast dich während Regen unter dem Bett verkrochen. Schriest wie am Spieß, wenn wir dich baden wollten und wenn wir versuchten dich abzuduschen, hast du dich wie wild gebärdet und uns gekratzt und gebissen. Es war nicht leicht. Für niemanden von uns. Aber für dich war es am Schlimmsten ...“

Er musste nicht weiter sprechen. Sie glaubte ihm und begann langsam eine Ahnung zu bekommen, warum bald danach ihre Mutter abgehauen war. Mit so einem Kind ...

„Und was soll ich deswegen machen?“ Ihre Stimme war brüchig und rau und voller ungeweinter Tränen. Gott, sie fühlte sich so allein gelassen. Selbst mit ihrem Vater am Ohr.

„Ich würde dir ja vorschlagen, zu einem Psychiater zu gehen, aber da du das sicherlich nicht tun wirst, kann ich dir nur raten, dass du dich deinen Ängsten stellst. Jetzt wo du alt genug bist, verstehst du vielleicht, dass nicht das Wasser dein Feind ist, sondern die Jungen, die es als Werkzeug gegen dich verwendet haben ... Es tut mir so leid, Amber.“

„Mir auch ... Dad.“

Viola legte auf. Schaltete das Handy aus und schrie so laut in die Wolldecke, bis ihr beinahe der Schädel platzte.
 

***
 

Das Metall fühlte sich kalt und rau an unter seinen Fingern. An vielen Ecken splitterte es, rieselte in kleinen Flöckchen Richtung Meeresboden, während er sich hinauf zur Wasseroberfläche zog. Weiter, Stück für Stück. Zuerst war es eine leichte Übung. Es glich mehr einem Hangeln als wirklichem Klettern. Ein Schwimmen zur Oberfläche. So, wie er es täglich ohne Mühe tun konnte. Das Einzige, was hier anders war, was ihn lähmte und langsam machte, waren die Dämpfe. Das Metall überall, der Gestank und der Lärm.

Ein paar Meter unter der Oberfläche veränderten sich die Geräusche. Es fiel nicht nur ihm auf, sondern auch den anderen, die über leise Klicklaute und gelegentliche Kontrollblicke miteinander Kontakt hielten.

Die Anspannung stieg.

Würde es an der Luft besser oder noch schlimmer werden?

Die Antwort bekamen sie Minuten später. Als ihre Körper durch die Oberfläche brachen, Wellen gegen sie schlugen und sie im Schatten des Kolosses mit Ausdrücken von Horror nach oben sahen. Die Plattform erhob sich Meter über ihren Köpfen. Dunkel und bedrohlich, wie eine schwarze Festung aus Metall. Sie ächzte und dröhnte, als würde wirkliches Leben in ihr stecken. Hungrig nach Zerstörung.

Es verursachte ihnen Übelkeit.

Und Angst.

Angst, die sie hinunter schlucken mussten.

Seine Hände legten sich fester um das Metall, ignorierten die Splitter, unter denen der Rost zum Vorschein kam und die ihm in die Schwimmhäute ritzten. Sie mussten nur ihrem Plan folgen. Dann würde auch dieses Ungetüm nicht mehr lange bestehen. Es würde untergehen, und wie ein riesiges Skelett dort enden, wo es bereits so viele Leichen hinterlassen hatte.

Ja, das gab Mut. Und Entschlossenheit.

Sie fingen an zu klettern. An Stahlträgern und Ankerketten hinauf. Über metallene Vorsprünge, unauffällig vorbei an Luken und Bullaugenfenstern. Unter ihnen schlug das Meer gegen die Beine des Monsters. Es würde ihnen helfen. Der Ozean würde dafür sorgen, dass das Ungetüm fiel, sobald die Meermenschen es zum Wanken gebracht hatten.

Und das würden sie tun. Was auch immer es kostete.

Ihre nackten Fußsohlen berührten den kalten Boden. Die Letzten zogen sich über die Reling, während diejenigen, die sich als Erste auf die Plattform gewagt hatten, Wache hielten. Sie sahen sich nach Menschen um. Nach Patrouillen, die hier entlang kamen, um die Bohrinsel zu sichern.

Aber es war ... unheimlich still.

Wenn man einmal von dem dröhnenden Donnern der Motoren und dem Wummern des Bohrkerns absah, lag die Plattform ruhig da. Es war früher Abend. Gegen sechs Uhr und der Himmel färbte sich langsam grau. In einer oder zwei Stunden würde die Sonne untergehen.

Die kleine Gruppe wagte sich vorwärts, heraus aus den Schatten der Reling, hinein in Winkel und Verstecke, die Schlote und Maschinen auf Deck boten. Sie blieben außerhalb der Sichtweite des großen Aufbaus in der Mitte der Plattform. Dort würden die meisten Menschen zu finden sein. Dort mussten sie leben, wenn sie nicht hier draußen waren, um den Bohrer zu bedienen. Oder konnten sie das sogar ferngesteuert? Zin hatte so etwas erzählt.

Zin ... der sich jetzt aus der kleinen Gruppe von Meermännern löste, sich mit dem Rücken an eine Maschine gedrückt auf den großen, leeren Platz zwischen ihrem Versteck und dem Hauptgebäude zuschob.

Er hatte nicht mitmachen wollen. Eigentlich war er absolut dagegen gewesen, dass irgendjemand den oberen Teil der Plattform betrat. Und doch ... war er hier. Niemand sonst hätte tun können, was er tun würde.

Die Eindringlinge sahen ihm nach, wie er geduckt aus der Deckung zu ein paar großen Seiltrommeln hinüber sprintete. Das Tigermuster auf seinem Rücken hob sich dunkel gegen seine blasse Haut ab. Die Streifen und Punkte waren durchbrochen, zerrissen von großen, frischen Narben.

Er war schon immer risikobereit gewesen. Ein Abenteurer, wenn man den Geschichten glauben durfte. Manche davon waren bestimmt übertrieben. Aber ... er war angeblich bei den Menschen gewesen. Das war mehr, als die Meisten behaupten konnten.

Und er kannte sich mit Strom aus.

27. Kapitel

„Ich sag dir doch, so war’s!“

Das dickwandige Schnapsglas donnerte auf die Bar und die Hand, die es gerade noch gehalten hatte, winkte dem Barkeeper mit zwei Fingern eifrig zu. Noch zwei für ihn und den ungläubigen Kerl neben ihm.

„Ach, komm schon. So ein Seemannsgarn hab ich schon lange nicht mehr gehört. Seemonster. So ein Blödsinn.“

Ein raues Lachen untermalte die Meinung des zweiten Mannes, der sich über das Karo seines Hemdes am Bauch kratzte und dann einen großen Bissen von seinem Zwiebelburger nahm. Eine Spezialität in diesem Laden und neben den hübschen Bedienungen der zweitwichtigste Grund für die meisten Männer hierher zu kommen.

„Es ist aber die Wahrheit. Der Mann meiner Cousine arbeitet auf der Plattform. Hat den Job schon seit drei Jahren. Zuerst war er an der andern Küste, aber dann eben hier. Alle zwei Wochen für eine Woche daheim bei Frau und Kindern. Scheißjob, sag ich dir. Und dann sowas!“

Der Schnaps kam und der Erzähler kippte ihn sofort hinunter, bevor er sich nun doch lieber an seinem halb vollen Bierglas festhielt.

„Kam doch sogar in den Nachrichten, dass die Plattform sabotiert wurde.“

„Ja, schon. Aber von einem Meerjungfrauenangriff haben die da nix gesagt. Oder Dan?“

Wieder war das gleiche, raue Lachen zu hören. Diesmal sogar lauter, sodass sich einige Köpfe nach dem Duo wandten. Allerdings war um diese frühe Stunde in der Bar noch nicht allzu viel los. Die jüngeren Leute kamen erst später. Im Moment waren hauptsächlich die Trunkenbolde des Dorfes und ein paar Trucker für ihr Abendessen hier. Was leider auch bedeutete, dass noch nicht viele der knackigen Damen ihre Schicht angetreten hatten.

„Aber jetzt hört mir doch mal zu. Der hat echt alles gesehen! War dabei, als auf einmal alles Drunter und Drüber ging und die Hölle losbrach. Ehrlich wahr!“

„Ey, jetzt aber mal ehrlich, Bo. Über das Unglück sollte man keine Witze machen. Da sind ein paar Leute schwer verletzt worden. Von manchen weiß man noch nicht, ob sie’s überstehen werden.“

Die Miene des Karohemdträgers wurde ernst. Ja, sie hatten alle von dem Unfall vor der Küste gehört. Wieder einmal war eine der Bohrplattformen einem Unglück zum Opfer gefallen. So, wie es häufiger passierte. Ein echtes Drama, aber das hatte nichts mit irgendwelchen Monstern aus der Tiefe des Meeres zu tun. Da spann sich der gute Bo in seinem alkoholvernebelten Hirn was zusammen.

„Ich sag aber die Wahrheit! Zuerst dachten sie auch, es wäre nur irgendwas mit der Stromversorgung. Der Generator abgesoffen oder sowas. Licht weg, Notstrom weg. Und das beim Abendessen.“

Bo redete sich in Rage. Wenn das so weiter ging, würden sie sich die Geschichte anhören müssen, ob sie wollten oder nicht.

„Hey Bo, willst du nicht auch was essen? Ich geb dir nen Zwiebelburger aus“, versuchte es der Mann im Karohemd – Mike – noch einmal. Auch wenn ihm schon klar war, dass es nicht viel helfen würde.

„Ja, einen Zwiebelburger, Dan. Danke. Und noch ein Bier. Und dann erzähl ich die Geschichte. Ihr werdet es echt nicht glauben. Echte Meermänner haben sie angegriffen. Absolut irre.“
 

Viola kassierte bei den zwei jungen Touristinnen ab, die sich noch schnell ein Abendessen gegönnt hatten, bevor sie die Heimreise ins hiesige Motel antraten und nachdem sie gegangen waren, konnte sie auch den Tisch für die nächsten Gäste herrichten und das Geschirr zurück in die Küche bringen.

Es war noch ruhig heute, was sie dieses Mal ziemlich nervte. Denn gerade jetzt, wo es ihr wieder besser ging und sie allzu gerne Zusatzschichten einlegte, konnte sie zwischendurch auch keine zu langen Pausen ertragen, die sie zum Nachdenken zwangen.

Ihr schwirrte zu viel im Kopf herum, als das sie es sofort bewältigen könnte und Arbeit war da immer eine gelegene Ablenkung und brachte zudem auch wieder Geld in die Kasse.

Nachdenken war das Letzte, was sie wollte. Weder über sich, ihre Ängste, ihren Dad, noch über ihren ersten Eisprung seit Jahren der ihr nun nicht mehr erspart bleiben würde. Aber worüber sie am allerwenigsten nachdenken wollte, war Zin.

Zin, der Mann, der sie nachts nicht schlafen ließ. Zin, der ihr schon beim Anblick eines Schokopuddings ein Messer in den Bauch rammte. Zin, der sie blind für alle Männer machte und den sie so wahnsinnig vermisste, wie sie es zuvor nur von ihrer Omi gekannt hatte.

Alles schien sich am Ende nur noch um ihn zu drehen und das konnte sie nicht mehr länger ertragen.

Er würde nicht wieder kommen. Daran änderte auch Tess' Optimismus nichts und die Tatsache, dass Viola vermutlich in ihn verknallt war.

Sie musste ihn ziehen lassen, obwohl er schon längst gegangen war. Auch wenn sie es immer noch nicht über sich brachte, diesen Schritt zu tun.

„Dan, zwei Bier und eine Cola.“

Sie stellte ihr Tablett auf der Theke ab und prüfte noch einmal den Sitz ihres Pferdeschwanzes nach.

„Kam doch sogar in den Nachrichten, dass die Plattform sabotiert wurde.“

„Ja, schon. Aber von einem Meerjungfrauenangriff haben die da nix gesagt. Oder Dan?“

Meerjungfrauenangriff?

Viola warf einen verwirrten Blick zu den zwei Trunkenbolden hinüber, die keinen Meter von ihr entfernt an der Bar saßen und sich angeregt unterhielten.

„Aber jetzt hör mir doch mal zu. Der hat echt alles gesehen! War dabei, als auf einmal alles Drunter und Drüber ging und die Hölle losbrach. Ehrlich wahr!“

Wo soll die Hölle losgebrochen sein?

Viola nahm langsam ihren Bestellblock heraus und tat so, als würde sie noch einmal etwas nachkontrollieren, um Zeit zu schinden und das Gespräch noch ein bisschen länger zu verfolgen. Sie kapierte nicht wirklich, um was es ging, aber allein dass Meerjungfrauen darin vorkamen, weckte ihre Neugierde. Erinnerte sie der Begriff doch zu sehr an Zin.

Ja, wieder einmal Zin!

„... weiß man noch nicht, ob sie’s überstehen werden.“

Mist. Sie hatte nicht gut genug aufgepasst. Dafür sperrte sie jetzt umso mehr die Lauscher auf.

„Ich sag aber die Wahrheit! Zuerst dachten sie auch, es wäre nur irgendwas mit der Stromversorgung. Der Generator abgesoffen oder sowas. Licht weg, Notstrom weg. Und das beim Abendessen.“

Viola kapierte immer noch nicht, um was es ging. Vermutlich nichts Wichtiges, also nahm sie ihr volles Tablett in die Hand und wollte gerade die Bestellungen verteilen, als ein weiteres Stichwort fiel, das sie verharren ließ.

„Echte Meermänner haben sie angegriffen. Absolut irre.“

Zin ...
 

Das Warten war schlimmer, als der gesamte, steile Aufstieg. Immer wieder huschten nervöse Blicke über die Plattform, suchten nach Menschen, die sich irgendwo aus Löchern schälten, die sich wie von Geisterhand im Boden öffneten. Oder einfach nur durch eine Tür kamen, die man übersehen hatte. Hier gab es so viele Ecken, so viele Winkel und alle konnten zu einer Falle werden.

Sie mussten aber warten. Auf das Zeichen. Darauf, dass Zin seine Aufgabe erledigte, für Ablenkung und Verwirrung sorgte. Er musste den Strom abstellen, den zweiten Generator lahmlegen, sodass Dunkelheit auf der Bohrinsel herrschte, bevor die anderen Meermänner sich an die Arbeit machen konnten. Ungesehen und mit minimiertem Risiko. Ein guter Plan.

Die einzige Schwachstelle war das Warten.

Sie mussten sich zu hundert Prozent darauf verlassen, dass Zin nicht nur den Generator finden, sondern auch noch wissen musste, wie man ihn für längere Zeit außer Gefecht setzte. Das erforderte mehr, als nur zu wissen, dass Strom und Wasser eine schlechte Kombination waren.

Ban fühlte die Blicke der Anderen auf sich.

Er ignorierte sie, da er wusste, was die Blicke bedeuteten.

Es ist dein kleiner Bruder. Du kennst ihn. Wird er schaffen, was wir ihm zutrauen? Oder ist es alles ein Himmelfahrtskommando. So ... wie Zin es vorausgesagt hat?
 

„Wie gesagt, die meisten waren beim Abendessen. In dem Gebiet ist das Meer häufig ruhig. Daher haben sie auch keine große Plattform aufgestellt. Nur eine von diesen Kleinen. Nicht viele Leute an Bord. Fast alles automatisiert.“

Bo lief ein bisschen Zwiebelsauce über die Unterlippe. Er leckte sie weg, bevor er einen weiteren Schluck Bier hinunter schüttete und sich dann wieder auf seine Geschichte konzentrierte. Seine Zuhörer schienen allmählich aufmerksamer zu werden. So kam es ihm zumindest vor.

„Umso schlimmer, als der Strom ausgefallen ist. Natürlich haben alle erstmal gedacht, dass sie sich keine Sorgen machen müssen. Es gibt ja einen zweiten Generator. Das Licht ging auch erstmal wieder an. Für 'ne Weile zumindest. Aber dann ... war wieder alles duster.“

Er wedelte mit dem Bierglas so heftig herum, dass Schaum auf die blanke Theke spritzte.

„Ich hätte mir dabei auch nicht viel gedacht. Aber wisst ihr, dann ging es los. Draußen auf der Plattform hat sich irgendjemand an den gesicherten Geräten zu schaffen gemacht. Ist wohl was mit einem ziemlichen Knall kaputt gegangen. Da waren dann alle in heller Aufregung. Alle Mann raus auf Deck und sehen, was los ist.“
 

Sie hatten die Drahtverkleidung des Bohrkerns eingerissen. Nicht gerade subtil, aber hoffentlich wirkungsvoll. So kamen sie zumindest an das eigentliche Übel heran. Wenn sie die Kabel herausrissen, sie ins Meer warfen und vielleicht noch mehr zerstören konnten ...
 

"Draußen war’s noch nicht ganz dunkel. Deshalb haben sie gesehen, dass Leute an Deck waren. Keine Ahnung, wie viele, aber der Mann meiner Nich- ne, meiner Cousine. Der meinte, es müssten so an die fünfzig gewesen sein. Alle riesig groß und breit. Schleimige Haut, und grüne Haare. Echt gruselige Monster eben. Die haben sich an den Geräten zu schaffen gemacht. Irgendwo hat’s gebrannt.“
 

Während sie endlich die Bestellung an den dafür vorgesehenen Tisch brachte, war Viola nicht bei der Sache. Zumindest nicht, was ihre Arbeit anbelangte. Ihr feines Gehör war immer noch auf die Worte des Mannes ausgerichtet, der da an der Bar saß und Horrorgeschichten zu erzählen schien.

Zumindest kam es Viola so vor, nachdem sie nach und nach begriff, dass es wohl um eine Bohrinsel ging, und zwar nicht um irgendeine Bohrinsel.

Um die Bohrinsel.

Alle um sie herum hatten keine Ahnung, aber sie selbst wusste, was das bedeutete und ihr Herz schlug schmerzhaft fest in ihrer Brust, während sie versuchte, sich ihre Sorge um Zin nicht anmerken zu lassen.

Oh Gott. Sie hatten die Bohrinsel wirklich angegriffen!

Lebte er noch? War jetzt alles überstanden? Gab es überhaupt Überlebende? War sein Zuhause noch zu retten gewesen?

Auch wenn sie es irgendwie schaffte, nebenbei weiter zu arbeiten, diverse Bestellungen auf ihren Block zu kritzeln, von denen sie Sekunden später keine Ahnung mehr hatte, war sie doch hauptsächlich auf das Gespräch der beiden Männer fixiert und auf diese Version der Geschichte.

Viola hätte interessiert, was wirklich vorgefallen war. Denn das Zin oder seine Brüder weder schleimig waren, noch grüne Haare hatten, konnte sie aus ganzer Überzeugung sagen. Was war also noch alles erfunden? Und was wahr?
 

Ein roter Blitz schoss in den dunkler werdenden Himmel, zog Rauch hinter sich her und explodierte mit einem Knall, der Ban innerlich zusammenfahren ließ. Hinter ihm ertönte ein Knall. Wieder wurde der Himmel in rotes Licht getaucht.

Sie ... waren hier!
 

„Keiner von uns hätte das im Angesicht dieser ... dieser ... Kreaturen anders gemacht. Jeder hat sich irgendwas geschnappt. Natürlich zur Verteidigung. Immerhin hatten die riesige Klauen und Zähne. Wie Haigebisse! Man musste echt Angst haben. Um Leib und Leben!

Ich hätte mir vermutlich in die Hose gepisst, aber dann hätte ich auf den Ersten von diesen Monstern mit bloßen Händen eingeprügelt. Ich mein, das muss ja ein Fehler der Natur sein, dass sowas überhaupt existiert. Vielleicht waren das auch Mutanten oder sowas. Auf jeden Fall hochgefährlich. Das war klar.

Darum mussten sich die Arbeiter auch verteidigen. Sonst wären sie gefressen worden!“
 

Natürlich griffen sie sofort nach den Waffen. Sie waren doch Menschen. Wie hatte Ban eigentlich etwas Anderes erwarten können? Eine dieser roten Kugeln wurde auf sie abgefeuert, Geschrei brach los, irgendwo schlug die Ladung ein, explodierte.

Ban registrierte mit einem scharfen Grinsen, dass es eine Schalttafel an der Apparatur getroffen hatte, die er gerade auseinandernehmen wollte. Funken sprühten daraus hervor.

Gut.

Sogar hervorragend!

Da hörte er den ersten Schrei. Einer seiner eigenen Leute. Kim. Man hatte ihm mit einer Metallstange auf den Schädel geschlagen. Blut lief an seiner Schläfe herab.
 

„Und dumm sind diese Tiere auch noch. Bis auf ihre echt scharfen Klauen hatten die keine Waffen dabei. Natürlich war’s auch so gefährlich. Aber hey, das war so, als würde man mit Pistolen auf Fische zielen. Die konnten gar nichts Anderes tun, als ins Meer zurück zu flüchten!“

Diesmal kam das Lachen von Bo.

„Ziemlich viele haben sie abgestochen. Vielleicht zwanzig von den fünfzig, die sich auf die Plattform getraut haben!“

„Bo, jetzt aber mal halblang. Wenn die Arbeiter diese Meermänner wirklich zurückgetrieben haben, wie ist denn dann das Drama passiert?“

„Ach!“ Bo winkte harsch ab. „Irgendeiner hat eine Leuchtrakete in die falsche Richtung geschossen. Du weißt schon: Vor Panik. Da ging es doch zu, wie in der Hölle. Monster überall. Da kann sowas passieren. Im Gefecht!“

Das Gefecht schien auch in Bos Kopf umzugehen, so wie er sich gebärdete.

„Aber weißt du, was das Wahnsinnigste war? Was einer von denen geschrien hat ... In unserer Sprache! Das haben die an Bord echt gehört! War unheimlich, das sag ich dir. Wo man doch nicht denkt, dass diese Kreaturen was mit der Bibel und unserem Herrn am Hut haben ...“

„Jetzt mach aber mal halblang, Bo ...“

„Ne! Ehrlich!“
 

Die Plattform wurde von einer Explosion erschüttert, das Deck neigte sich zur Seite, Metall ächzte und Ban wurde durch eine Feuerwand geblendet. Irgendetwas war passiert. Er hatte nicht genau gesehen, was.

Eigentlich war es auch egal. Jetzt war nur wichtig, sich zurückzuziehen. Sie hatten Chaos gesät. Jetzt mussten sie ihre Ärsche retten.

Los! Weg hier!

Das Pfeifen durchschnitt den Lärm, zog die paar Meermänner an die Reling zurück auf die Ban sich geschwungen hatte. Bereit, die anderen in Sicherheit springen zu lassen, bevor er selbst ging.

Los, los, los!

Er schubste seine Männer ins Meer. Einen, nach dem Anderen. Zwei, drei ... vier.

Eine Pause entstand, in der er sich umsah. Mit suchendem Blick und die leblosen Körper zählend, die auf dem Deck verstreut lagen. Sollte er ... konnte er noch einen von ihnen retten?
 

„Zwei wollten entkommen. Einer hat den anderen gestützt. Weißt schon, weil der ziemlich was abbekommen hatte. Würde man ja gar nicht glauben, dass Tiere so aufeinander achtgeben. Das muss man denen fast lassen. Aber dumm war’s trotzdem. Hätte der eine sich nicht um den anderen bemüht, wäre er vielleicht auch davon gekommen. Aber so ...“
 

Er erkannte Zin sofort. Allein der schlanke Körper, der unter dem Gewicht eines weiteren Meermanns zur Seite gebeugt war. Er schleifte den Freund vorwärts, weg vom Feuer, auf die Reling zu.

Zin! Hier!

Eine Erschütterung hätte Ban fast ins Meer geworfen. Er sah seinen Bruder straucheln, stolpern. Aber er hielt sich auf den Füßen, zog den anderen Körper mit sich.

Zin!

Ein Schemen. Dunkel gegen das Licht des Feuers. Er tauchte hinter Zins schwankender Silhouette auf. Schwankte ebenfalls.

Er hielt etwas in der Hand. Er ...

„ZIN!!!“
 

„Hätte jeder von uns in der Situation gemacht. Ihn erschossen. Aber ehrlich, mir wäre auch das Blut in den Adern gefroren. Wenn ich gehört hätte, wie das Monster schreit. Gerade sowas. Wirklich.“

Bo senkte den Blick in sein Bierglas. Seine Miene wirkte fast ein bisschen betroffen. „Hätte nicht gedacht, dass die so ein Wort wie Sünde überhaupt kennen.“
 

Nein. Nicht Zin. Nein, verdammt!

Der Stift in ihrer Hand zerbrach. Plastik splitterte, die Kugelschreibermine fiel zu Boden, während die Feder irgendwo davon sprang.

Nein, das durfte nicht wahr sein. Das konnte doch nicht wahr sein!

Auch das hölzerne Tablett knackte, während sich ihre Krallen hineinbohrten und ihm noch mehr zusetzten.

Nein, nein, NEIN!

Viola konnte nicht atmen. So sehr sie es auch versuchte. Ihr Brustkorb war wie zugeschnürt, selbst ihr Herz schien sich aus der engen Fessel mit wildem Pochen befreien zu wollen. Doch der Knoten zog sich immer weiter zu.

Die Welt verschwamm vor ihrem Blick, aber das kümmerte sie nicht. Sie starrte ohnehin nur eine abgenutzte Pinnwand mit nicht mehr ganz aktuellen Eventflyern und Vermisstenanzeigen von Hunden und Katzen an, die im Gang zu den Toiletten hing.

Der Ort, wo sie sich zurückgezogen hatte.

Um weiter zu lauschen.

Um ihre möglichen Reaktionen nicht vor allen preisgeben zu müssen und doch könnte jederzeit einer der Gäste vorbeikommen, um dem Ruf der Natur zu folgen.

Dann würde man sie so sehen. Total aufgelöst. Kurz vor einem Dammbruch, der ein ganzes Tal niederwälzen könnte und zugleich bereit, jedem die Kehle herauszufetzen, der ihrem Mann wehgetan hatte.

Oh Gott.

Sie rutschte an der vom Rauch verfärbten Wand entlang zu Boden.

Er wurde zwar täglich gereinigt, aber wirklich sauber würde er nicht mehr werden. Trotzdem war es ihr egal.

Nein ... bitte, begann sie zu flehen.

Bitte nicht Zin!

Ein Geräusch schreckte sie auf. Jemand betätigte die Spülung in der Männertoilette. Würde vermutlich gleich herauskommen und sie sehen, da die meisten Kerle hier nichts von Händewaschen hielten.

Sie musste hier raus!

Also kam sie wieder auf die Beine, lief den Flur entlang an Dans Büro und den Umkleideräumen vorbei, direkt auf den Hinterausgang zu.

Sie stolperte im Freien fast gegen einen großen Müllcontainer und konnte nur in letzter Sekunde einem Karton mit leeren Schnapsflaschen ausweichen. Danach warf sie das Tablett auf den Boden und begann zu laufen.

Nicht auf die Straße.

Zum Strand. Zum Wasser. Als könne sie ihn dort auch nur irgendwie erreichen.

Ihre Schuhe und Socken sogen sich nur allzu schnell mit Nässe voll, schon bald waren auch ihre Shorts vollkommen durchnässt, doch als das Wasser ihren Bauchnabel erreichte, konnte sie nicht mehr weiter.

Stattdessen starrte sie blind von dem Tränenvorhang auf das schwarze Wasser hinaus, die Arme fest um sich geschlungen und der Schrei, der sich in ihrer Kehle bildete, endete letztendlich in einem atemlosen Schluchzen.

28. Kapitel

Sanfte Wellen trieben ihn an den Strand. Kugelten seinen müden Körper über den feinen, weißen Sand, bis er – Füße zuerst – auf dem Trockenen landete. Schwer atmend rappelte er sich hoch, strich sich im Gehen ein paar Algen und Sand von den wackeligen Beinen und stolperte vorwärts.

Der Himmel war noch grau. Die Sonne würde in weniger als einer Stunde aufgehen. Aber noch mühte sie sich redlich, den Horizont zu erklimmen.

Zin arbeitete sich die kleine Anhöhe hoch, den Weg entlang, der zur Terrasse führte. Jeder Schritt ohne die Unterstützung des Wassers um seinen Körper fiel ihm schwer. Seine Muskeln schmerzten. Und das nicht zu unrecht, wenn man bedachte, dass er zweiundzwanzig Stunden ohne Unterbrechung geschwommen war. Er hatte nicht geschlafen und nicht gegessen. Er hatte keine Pause gemacht.

Wie hätte er das auch gekonnt? Er wollte doch so schnell wie möglich bei ihr sein. Er hatte es ihr doch versprochen.

Auf der Treppe vertrat er sich, rutschte an einer hölzernen Stufe ab und kratzte sich das Schienbein auf. Der Schmerz weckte ihn auf und machte ihm sein hämmerndes Herz erst richtig bewusst.

Er war fast da!

Es hatte so unendlich lange gedauert! Die Kilometer hatten sich zu doppelter Länge gestreckt und Zin hatte zwischenzeitlich gedacht, er würde gar nicht mehr ankommen. Aber er ... war hier.

Ja, er war wirklich hier!

Und wäre da nicht die Angst in ihm, dass er ... nicht mehr willkommen war ... er hätte vor Freude jubeln können.

Seine Hand berührte den Türrahmen.

Würde sie ihn hören, wenn er klopfte? Vermutlich schlief sie ja noch. Vielleicht sollte er warten, bis es ein bisschen später –

Oh bitte. Als hätte er warten können!

Zin klopfte dreimal laut an die Tür.

Keine Reaktion.

Er versuchte es noch einmal, bekam dann aber nur Flockes Maunzen von drinnen als Antwort. Also die Hintertür.

Er schaffte es erstaunlich schnell ums Haus herum, durch die Tür und schließlich auch die unzähligen Stufen die Treppen hinauf.

Doch dann ... wurden seine Schritte zögerlich.

Was, wenn er mit seinen Befürchtungen recht hatte? Was wenn ... sie nicht allein –

Seine Finger zitterten, als er die Tür zu Violas Schlafzimmer vorsichtig aufschob. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und sein tropfnasser Körper hinterließ eine kleine Wasserlache auf den Bodenbrettern.

„Viola?“

Sie lag im Bett.

Allein ...

„Viola ...“

Zin trat näher, suchte sich einen Weg durch den Parkour aus Wäschebergen, bis er vor dem Bett auf die Knie ging.

Es war so ... schön, sie zu sehen.
 

Oh Gott. Ihr Kopf tat so weh und was war das? Hatte sie jetzt auch noch Halluzinationen?

Nein. Da war keiner, der ihren Namen sagte. Nur dieses blöde Licht, das langsam stärker wurde und in ihren verquollenen Augen stechende Schmerzen verursachte, obwohl ihre Lider geschlossen waren.

Unwillig murrte sie im Schlaf, drehte sich vom Licht weg und zog die Decke höher ihre nackte Schulter hinauf.

Sie war so erschöpft. Nach dem sie sich wieder mal in den Schlaf geweint hatte, nur um vieles schlimmer als bisher, hatten Alpträume sie gemartert, so dass sie mehrmals schreiend aufgewacht war. Erst gegen Morgen hatte sie endlich ein bisschen Frieden gefunden.

Trügerischer Frieden. Schließlich war sie ja schon wieder halbwach und döste doch noch immer vor sich hin.

Sie zog die Decke noch weiter hoch, über ihren schmerzenden Kopf.

...

Es duftete nach frischer Meeresbrise. Nach Fisch und ...

Nein, das bildete sie sich sicher nur ein.

Ihr Kopf hatte ihr in den letzten Tagen schon zu viele trügerische Hoffnungen gemacht, jedes Mal, wenn sie aufs Meer geblickt und geglaubt hatte, dort draußen eine vertraute Silhouette zu erkennen.

Nein. Noch einmal würde sie darauf nicht mehr reinfallen. Dazu fehlte ihr einfach die Kraft.
 

Oh man ... konnte das wirklich wahr sein?

Ließ es ihn wirklich schmunzeln, wie sie leise murrte und sich die Decke über den Kopf zog?

Und dabei hatte der kurze Blick in ihr Gesicht genügt, um Zin zu zeigen, dass sie wohl nicht besonders gut geschlafen hatte. Schon längere Zeit nicht mehr. Viola hatte dunkle Ringe unter den Augen und sah selbst im Schlaf richtig müde und erschöpft aus.

Eigentlich ... wollte er sie nicht wecken.

Aber konnte er sich wirklich erlauben ...?

Zin ging das Risiko ein. Was konnte ihm schon groß passieren. Mit Krallen und Beschimpfungen, mit einer Faust in seinem Gesicht rechnete er ohnehin. Aber er war nicht tagelang geschwommen, war seinem Herz gefolgt, um jetzt den Schwanz einzuziehen.

Er hob die Decke an, sagte noch einmal ihren Namen, bevor er sich ins Bett wagte, Viola sehr vorsichtig an sich zog und einmal tief und erleichtert seufzte.

Ja, sie würde ihn umbringen. Schon allein dafür, dass er ihre Bettwäsche nass machte. Aber das war Zin egal. Er wollte ... sie einfach wieder festhalten.
 

Mhmm ...

Diese Halluzination wurde immer besser. Nein, wohl mehr ein Traum. Ein guter Traum, wie es schien. Zumindest anfangs.

Zu dem Zeitpunkt, als sich vertraute Arme um sie schlossen, vertrauter Duft sie einhüllte und vertraute Kühle sich von hinten an sie drückte, war das sogar ein wirklich guter Traum.

Doch mit diesen vertrauten Gefühlen kam auch der inzwischen so vertraute Schmerz und zugegeben, die Nässe auf ihrer Haut war nicht unbedingt ein Gefühl, das einen gut weiterschlafen ließ.

Es entwickelte sich nur allzu schnell zu einem Alptraum.

Mehr noch, als sie im Halbschlaf ihre Hände bewegte und sie nach den Armen tasten ließ, die sich um sie geschlungen hatten und sich verdammt echt anfühlten. Entsetzt riss Viola die Augen auf, als sie endlich zu sich kam.

Jeder Muskel in ihrem Körper spannte sich an, während ihre immer noch leicht trägen Sinne sich langsam auf Hochtouren hocharbeiteten.

Sie hatte sich Zins unverkennbaren Duft nicht eingebildet. Ebenso wenig wie sie sich seine so vertraute Körpertemperatur einbilden könnte. Oder die schlanken kräftigen Arme, die sie so selbstverständlich hielten, wie sie es keinem anderen Mann nach ihm erlauben würde.

Als sie jedes noch so winzige Detail durchgegangen war und einen sicheren unverfälschten Schluss zog, begann ihr Herz loszupreschen.

Langsam richtete sich Viola auf einem Unterarm auf und blickte zögerlich über ihre Schulter.

Ihre Stimme war wie weggewischt, aber jeder Atemzug wurde hörbar schneller und flacher, als der vorangegangene.

Zuerst spiegelte sich nichts in ihren Gesichtszügen wieder. Dann wechselte der Ausdruck langsam zu Unglauben, Skepsis, Fassungslosigkeit und zu guter Letzt schlug er in Wut um.

Rasender Wut, die eigentlich nur getarnte Sorge war.

Aber das änderte nichts an der Heftigkeit des Gefühls.

Mit einem mehr als tierischen Laut riss sie schließlich ihren Körper herum und war auf Zin, ehe der auch nur einmal blinzeln konnte.

Violas Hände pressten ihn in die Kissen und ihre Krallen lagen bedrohlich nahe an seiner Kehle, während sie heftig zu zittern anfing.

„Du ...“, begann sie leise und mit vom Weinen rauer Stimme.

„Du ...“ Ihre Stimme wurde etwas kräftiger, während sich ihr Brustkorb unter immer aggressiveren Atemzügen zu dehnen begann und schließlich die Decke von ihren Schultern auf ihre Hüften rutschte. Doch das war ihr egal. Ihre Augen fixierten nur ein einziges Ziel.

Diese sturmgrauen Augen von Zin, die sie in ihren Träumen immer wieder gesehen hatte. Ohne Leben darin und doch jedes Mal immer schmerzvoller mit anzusehen.

„Du Mistkerl!“, presste sie schließlich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mehr ein Zischen, als wirklich eine verständliche Wortfolge, doch ihre Hände, die plötzlich neben Zins Kopf die Kissen zerfetzten, untermalten die Aussage ziemlich deutlich.

„Du verdammter MISTKERL!“, schrie sie ihn nun wirklich an und musste sich stark zusammenreißen, um Zin nicht zu ohrfeigen. Kurz schien es so, als wolle sie ihm tatsächlich den Kopf vom Körper reißen, als sie ausholte und ihre Krallen erneut hervor brachen. Doch mitten in der Bewegung hielt sie inne, konnte immer noch nicht den Blick von ihm lösen.

Ihre Unterlippe begann heftig zu beben und ihre Augen brannten wie Höllenfeuer. Erst als die ersten Tropfen über ihre Wange kullerten und sie schluchzend nach Atem rang, nahm sie die Hand wieder runter und vergrub stattdessen ihr Elend dahinter.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie geglaubt, ihn nie wieder zu sehen.
 

O-Okay ...

Das mit den Krallen war beängstigend. Viola bedrohte ihn für einen Moment tatsächlich auf eine Weise, die Zins Überlebensinstinkte nicht zum ersten Mal in den letzten paar Tagen hervorriefen.

Andererseits ... war er so müde.

Er war es alles leid. Die Kämpfe, die Toten ... Wenn er bestraft werden sollte und das dafür, dass er zurückgekommen war ... dann sollte sie ihm doch die Augen auskratzen. Zins Lider waren so schwer, seine Glieder so kaputt. Er ...

Er hatte nicht gemerkt, dass er die Augen geschlossen hatte. Vielleicht in der Erwartung des glühenden Schmerzes. Vielleicht, weil er gar nicht mehr anders konnte. Er war zu Viola gekommen, weil er nicht mehr kämpfen wollte. Weil er sich nicht mehr wehren und um sein und das Leben Anderer fürchten wollte.

Warum ... tropfte ihm dann eine salzige Träne auf die Brust?

Was –

Sie ... weinte?

Zuerst war er sich nicht sicher. Das Zittern ihres Körpers hätte auch von der tosenden Wut kommen können. Das hatte er schon einmal an ihr gesehen. Und der „Mistkerl“ war eher dafür ein Zeichen gewesen. Warum also ... sollte sie weinen?

Sein Herz klopfte so hart, dass ihm selbst die Augen brannten.

Er hatte doch nur ...

Bevor er selbst richtig realisierte, was er da tat und in welche neuerliche Gefahr er sich brachte, packten seine Hände schon zu. Zin zog Viola an den Schultern zu sich hinunter, schlang seine Arme um sie und hielt sie so fest, dass sie ihm schon diese Krallen direkt in die Halsschlagader rammen musste, um ihn zu töten.

„Es ... ging nicht schneller ...“, flüsterte er leise.
 

Oh Gott. Er war wirklich da. Wirklich bei ihr.

Er war nicht tot. Nein, er war hier. Bei ihr. In ihrem Bett und er ... hielt sie im Arm.

Es war so unlogisch, dass sie auch nur noch eine einzige Träne hervorpressen konnte, so trocken gelegt, wie sie inzwischen eigentlich sein müsste. Doch sie flossen wie Sturzbäche. Liefen Zins Hals hinunter, benetzten einen Teil seiner Schulter, und als sie schließlich ihre Arme um seinen Nacken schlang und ihren Körper auf seinem ausstreckte, kamen immer noch mehr hinzu.

Es schüttelte ihren ganzen Körper, doch mehr als dieser eine Schluchzer kam nicht über ihre Lippen, stattdessen versuchte sie so gut wie möglich normal und nicht abgehakt Luft zu holen.

Es gelang Viola kaum.

Stattdessen presste sie ihre Wange an seine. Verstärkte ihre Umarmung, als könne er einfach so wieder verschwinden und drückte sich zugleich an ihn. An seine kühle Haut. Seinen Duft und dem Gefühl seiner Nähe.

„Verzeih ... mir ...“, hauchte sie kaum hörbar, während sie mit Küssen sein Gesicht benetzte. Sie hatte ihn nicht so anfahren wollen. Es ...

„Es tut mir so leid.“

Sie hatte ihm damit nicht wehtun wollen. Obwohl er ihr so sehr wehgetan hatte. Unabsichtlich zwar. Aber das änderte nichts an den Tatsachen und nichts an ihrem Ausraster.

"Bitte ... ich ... Oh Gott, Zin ...“

Sie klammerte sich erneut an ihn, presste ihr Gesicht in seine Halsbeuge, unfähig auch nur eines ihrer Gefühle in Worte zu fassen.

Sie hatte solche Angst um ihn gehabt.
 

Wie er dieses Gefühlschaos, diese Hochs und Tiefs überstehen sollte, wusste Zin in diesem Moment nun wirklich nicht. Zuerst wollte sie ihn schlagen, ihn verletzen und nannte ihn einen Mistkerl und jetzt ... küsste sie ihn? Nein, das verstand er nicht. Und es schmerzte ihn ein wenig, dass Viola ihn zuerst so anfahren musste, bevor sie sich scheinbar darüber freuen konnte, dass er zurück war.

Ein Schatten huschte deswegen über seine Züge, bevor er sich wieder fing.

Es tat ihm auch leid, dass es so lange gedauert hatte. Aber nicht länger, als er geschätzt hatte. Er war keine zwei Wochen lang weg gewesen ... Sonst hätte er ihr irgendeine Nachricht zukommen lassen. Irgendwie hätte er das schon geschafft. Und wenn er eine Möwe hätte dressieren müssen!

Warum war sie denn so wütend auf ihn? Was hatte er denn falsch gemacht?

„Hör doch bitte auf zu weinen ...“, versuchte er es leise.

Denn so aufgelöst hatte er Viola noch nie erlebt. Wütend ja, das kannte er inzwischen. Und auch wenn er ihre Beweggründe im Moment nicht vollständig nachvollziehen konnte ... Ach herrje, es war einfach schrecklich, dass sie so weinte.

Zin streichelte ihre Haare, die so weich waren, wie er es sich vorgestellt hatte. Nachts, wenn er versucht hatte einzuschlafen. Ohne sie. So weit von diesem kleinen Palast entfernt ...

Er hielt sie weiterhin fest und wartete, bis sie sich vielleicht ein bisschen beruhigen würde.

Dabei fielen ihm selbst die Augen erneut zu.

Er hatte ... sich so darauf ... gefreut ... sie wiederzusehen ...
 

Fast hätte sie gelacht. Vermutlich sogar etwas hysterisch, wenn sie dem nachgegeben hätte. Doch so presste sie ihre Augen fest zusammen, drückte ihre Stirn wieder gegen Zins Hals und versuchte den Strom an Nässe zu stoppen, der sie inzwischen selbst in den Wahnsinn trieb.

Dabei hielt sie den Atem an, was es fast noch schlimmer machte, also versuchte sie, so ruhig wie möglich ein und aus zu atmen.

Dadurch konnte sie in vollen Zügen Zins Duft inhalieren, ihn tief in ihre Bronchien aufnehmen und einen Teil von ihm in ihre Blutbahn bringen.

Aber es reichte nicht. Bei weitem nicht. Also versuchte sie, ihn nicht merken zu lassen, dass sie immer noch mit den Tränen kämpfte.

Sie wandte ihren Kopf von ihm ab, hielt sich zugleich aber immer noch an ihm fest und sah über seine Schulter hinweg in das sanfte Morgenlicht, während sie sich nur allzu deutlich der streichelnden Hand in ihrem Haar bewusst war.

Sie hatte das so sehr vermisst. Ebenso wie sie es vermisst hatte, über seine weiche Haut zu streicheln, die kaum die gespannten Muskeln darunter verbergen konnte. Nein, eigentlich betonte sie seinen athletischen Körperbau nur noch und dass er stets nackt zu sein schien. Aber das störte sie nicht. Überhaupt nicht. Im Augenblick hätte sie gar nicht weniger Kontakt zu ihm haben wollen.

Langsam entspannten sich ihre Muskeln und ihr Körper wurde weich auf ihm. Hoffentlich nicht zu schwer. Sie wollte sich nämlich keinen Millimeter von ihm wegbewegen.

„Ich wusste nicht ...“, begann sie schließlich leise.

"Ich meine ... Die Bohrplattform ... Ich ...“

Sie biss sich auf die Unterlippe, ehe erneut das Grauen sie packen konnte, selbst wenn sie nun Zin als lebenden Beweis unter sich spürte, um zu wissen, dass sie ihn nicht verloren hatte. Dennoch ...
 

Seine Hand hielt abrupt inne und Zin öffnete so schnell die Augen, dass sich seine Pupillen nicht früh genug zusammenziehen konnten. Es brannte, aber nicht annähernd so sehr wie die Erinnerung an das, was Viola gerade zu formulieren versucht hatte.

Unwillkürlich versteifte sich sein Körper unter ihrem und Zins Atem wurde unmerklich flacher. Sein Gesicht war für einen Moment wie aus Marmor gemeißelt.

„Du hast davon gehört?“

Als würde es all seine Gefühle Lügen strafen, schlug sein Herz gleichmäßig und ruhig. Es stach nicht einmal besonders, sondern fühlte sich eigentlich eher so an, als wäre es in weiche Watte gepackt. Als könnte ... es gar nicht richtig erreicht werden.

Was gut war.
 

Es wunderte sie nicht, dass ihre Worte die Anspannung in ihm auslösten, die sie nur allzu deutlich spüren konnte. Selbst ihr ging es nicht gut dabei.

Sie hätte es gar nicht ansprechen sollen. Aber sie hatte es getan.

„Die menschliche Version davon, ja“, war ihre leise Antwort, während sie wieder die Augen schloss.

So war es besser. So taten sie nicht so sehr weh. Auch wenn das nicht gerade die Gefühle in ihrem Körper milderte.
 

Zin holte tief Luft. Es war kein Seufzen, aber ein schwerer, belasteter Atemzug. Dabei drehte er den Kopf von Viola weg, die ihn sowieso nicht ansah.

Die menschliche Version.

Sein Körper schien noch schwerer zu werden, seine Muskeln schlaff und müde.

Was sollte er dazu sagen? Es sollte ihn interessieren, was die Menschen erzählten. Wie viel an die Öffentlichkeit gekommen war und was sie vorhatten. Aber gerade jetzt ... wollte er das alles nicht hören. Sein Herz wollte es nicht hören und er wollte nicht daran erinnert werden, wie es sich angefühlt hatte, dort zu sein. Er wollte ... nicht derjenige sein, der dort gewesen war.

Zins Hand glitt von ihrem Haar auf Violas Rücken und blieb ruhig dort liegen. Lediglich seine Fingerspitzen zuckten leicht, während er an einen imaginären Punkt irgendwo an der Wand starrte.

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

Eigentlich ... wollte er gar nichts sagen.
 

Viola wartete ab, ob er irgendetwas darauf erwidern wollte. Doch er tat es nicht. Ganz im Gegenteil, er war beunruhigend still, nach diesem einen ... Seufzer?

Sie wusste nicht, was sie machen sollte. Sie wusste nicht, wie sie richtig reagieren sollte.

Sollte sie jetzt nicht eigentlich glücklich sein, dass Zin hier war?

Ja, doch. Das sollte sie, aber irgendwie wollte sich die bleierne Schwere nicht von ihrem Herz heben.

Er war hier. Aber für wie lange?

Spielte das im Moment überhaupt eine Rolle?

Nein, eigentlich nicht. Nicht jetzt. Nicht in diesem Augenblick.

Langsam, um sich nicht noch mehr zu verraten, wischte sich Viola die letzten Tränenspuren aus dem Gesicht, ehe sie Zins Nacken ganz los und sich von seinem Körper auf die Seite fallen ließ, während ein Bein immer noch über seinen Oberschenkeln lag.

Ihr Kopf war gesenkt, ebenso wie ihr Blick, doch langsam folgte sie der Spur ihrer Hand, die sie zart über seine Brust nach oben streicheln ließ. Über die starken Stränge seines Halses, federleicht seine Kieferkiemen entlang, ehe ihre Hand auf seiner Wange liegen blieb und ihre Augen sich über Zins Kinn hocharbeiteten, seine Nase entlang zu seinen Augen.

Sie schaffte es nicht lange, dort hineinzusehen. Sah sie doch, dass etwas nicht mit ihm stimmte.

Immer stärker tat es ihr leid, dass sie ihn in ihrer rasenden Verzweiflung so angefahren hatte. Sorge getarnt als Wut.

Sie war selbst ein verdammtes Miststück.

Langsam ... fast zögernd und auch unsicher hob sie ihren Kopf, ließ ihre Hand immer noch warm auf seiner Wange liegen, während ihre Lippen vorsichtig Zins Kinn streiften. Zart hauchte sie einen Kuss darauf.

Er wollte nicht reden? Gut. Dann musste er das auch nicht. Er musste gar nichts. Er durfte tun und lassen, was er wollte.

In diesem Augenblick wollte sie erneut für ihn da sein, und zwar nur für ihn. Nur hatte er keine sichtbaren Wunden, die sie hätte versorgen können. Aber das bedeutete nicht, dass sie aufgab. Nein, ganz bestimmt nicht.

Sanft küsste sie seine Lippen, zog sich aber gleich wieder zurück. Wusste nicht, ob er das jetzt wollte, oder nicht. Also hielt sie ihn einfach fest. Versuchte irgendeine Reaktion von ihm zu ergründen, mit der sie umgehen konnte.
 

Die Leere wich aus seinem Blick, als er Violas warme Hand auf seiner Wange spürte. Sie glitzerten nicht wie sonst, waren aber auch nicht mehr so vollkommen starr und müde, wie eben noch, als er in einen nicht vorhandenen Spiegel an der Wand gesehen hatte.

Er blickte zu Viola auf, spürte ihr Haar, das seine Schulter und sein Ohr kitzelte. Sein Blick wirkte fragend und immer noch nicht ganz konzentriert.

Selbst als sie ihn auf die Lippen küsste, änderte sich das nicht.

Was würde als Nächstes passieren? Würde sie ihn von sich stoßen? Oder wieder weglaufen?

Zin fürchtete sich davor, von ihr allein gelassen zu werden. Er verstand Viola nicht. Er wüsste nicht, was er tun sollte ... was sie von ihm erwartete, wenn sie ihn zurückstieß.

Als sie sich von ihm löste, schnellte Zins Hand auf ihren Rücken. Sein Arm legte sich um ihre Taille. Nicht fest, aber seine Muskeln waren so angespannt, als müsse er sofort losspringen, um sie in der nächsten Sekunde einzufangen. Bloß ... was dann? Würde sie ihm diesmal tatsächlich die Haut von den Knochen ziehen?

Er presste die Lider aufeinander und ließ seinen Kopf schwer auf das malträtierte Kissen sinken. Was hätte er dafür gegeben, dass sie ihn noch einmal küsste. Noch dazu, wo er nicht den Mut aufbrachte, es von sich aus zu tun.

„Ich ... Willst du, dass ich wieder gehe?“
 

Konnte ihre Sorge denn tatsächlich noch weiter übertroffen werden? Selbst jetzt, wo Zin bei ihr war?

Das war im Grunde keine wirkliche Frage. Denn die Antwort kam prompt, als er nach ihr griff und sie festhielt. Nicht einengend. Nicht schmerzhaft, aber auf eine Art, wie sie es nicht anders interpretieren konnte.

Er wollte sie nicht gehen lassen und trotzdem ... trotzdem fragte er sie, ob sie ihn loswerden wollte?

„Um Himmelswillen, nein!“, brach es leise aus ihr hervor, ehe sie ihre Arme wieder um seinen Nacken schlang und ihre Hand in einer schützenden und zugleich besitzergreifenden Geste auf seinen Hinterkopf legte.

Er würde ihr jetzt nicht entkommen. Genauso wenig wie sie ihm.

„Ich habe dich vermisst“, gestand sie ihm schließlich etwas unsicher und küsste seine Schläfe.

„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe.“

Ihr Bein umklammerte seine Hüfte. Sie wurde mutiger.

„Ich meine, dir kann doch nicht entgangen sein, zu was für einen Jammerlappen du mich gemacht hast“, scherzte sie leise, auch wenn ihr Gesicht ernsthaft blieb und ihre Lippen über seine Wange streiften.

Das hätte sie gleich tun sollen. Von Anfang an hätte sie anders reagieren müssen. Aber ...

„Ich will nicht, dass du gehst.“

Sie hauchte es leise flüsternd gegen seine Lippen, schmiegte ihren Körper mit mehr Nachdruck an ihn und streichelte ihn weiter. Besänftigend und sich selbst beruhigend.
 

Sein Atem kam zögerlich über seine Lippen. Es klang wie ein winziger Schmerzenslaut und irgendwie ... war es das auch. Jetzt fing Zins Herz an, langsam schneller zu schlagen. In seiner Hülle aus Watte. Es klopfte von innen dagegen, als wolle es die Ummantelung sprengen, von der Zin nicht wusste, wer sie dort angebracht hatte.

Auf jeden Fall ... fühlte es sich richtig an, dass er dagegen protestierte. Auch wenn es wehtat. Und ... ihn schwachmachte.

Plötzlich wurde sein Körper wirklich tonnenschwer. Sein Kopf rollte auf dem Kissen gegen Violas Schulter. Dort blieb er liegen, mit fest geschlossenen Augen und ruhigem Atem. Sein Herz klopfte gleichmäßig. Er ... war noch nicht so weit.

„Ich hab dich ... auch vermisst.“

Er konnte vor sich selbst gar nicht zugeben, wie sehr. Das hätte nur bedeutet, dass er sich auch anderen Gefühlen stellen müsste. Dem von Angst ... Verlust ... und Trauer.

„Ich möchte ... hier bleiben ...“

Seine Arme schlangen sich um ihren Körper, drückten seinen Kopf noch fester gegen ihre Halsbeuge, bis es ihm fast den Atem nahm. Aber das machte nichts. Solange er hier bleiben und sich ... verstecken konnte ... brauchte er keinen Sauerstoff.

Zin spürte, wie Viola ihn streichelte. Wie ihre warmen Hände seiner kühlen Haut gut taten. Wie heiß seine Wangen wurden und ... wie müde er war. So ... unendlich müde.
 

„Dann bleib hier.“

Für eine Weile oder auch für die Ewigkeit, Viola war alles recht, Hauptsache er war hier.

Sie veränderte noch einmal ein bisschen ihre Lage, ehe sie Zin endgültig in Ruhe ließ. Seine Stimme klang so müde, wie sie sich bisweilen in den letzten Tagen gefühlt hatte. Aber jetzt war er sicher. Hier war er sicher. Bei ihr. Sie würde schon auf ihn aufpassen. Das hatte sie vor seiner Abreise getan und würde sie auch weiterhin tun, sofern es in ihrer Macht stand.

Vorsichtig zog sie die Decke wieder weiter über ihre beiden Körper, bis zu Zins Schulter hoch, ehe sie ihren Arm darunter wieder um ihn schlang und ihre Wange an seinen Kopf schmiegte.

Sie war auch müde und ihre Augen musste sie sowieso einmal durch ein paar neue ersetzen, doch sie schlief nicht ein. Selbst dann nicht, als Zins Körper sich in ihren Armen langsam entspannte und seine Atmung gleichmäßig und tief wurde.

Viola wachte über ihn und wehe dem, der es wagte, seinen Schlaf zu stören. Der bekam es mit ihr zu tun!

Zumindest für eine ganze Weile, bis sie selbst langsam einzudösen begann. Aber ganz in Katzenmanier hielt sie immer ein Ohr offen, während ihre Finger ab und zu noch träge über seinen Nacken und die kurzen Haarstoppeln streichelten.
 

***
 

Es war hell im Raum, als er zum dritten oder vierten Mal aufwachte. Diesmal wirklich und nicht nur, um sich kurz zu orientieren, seine brennenden, verquollenen Augen einmal zu öffnen und dann weiter zu schlafen.

Zin fühlte sich ausgeruhter. Noch nicht fit, aber zumindest so, dass er sich ein paar Sachen stellen konnte. Zum Beispiel dem warmen Körper, der da neben ihm lag und sich so um ihn geschlungen hatte, dass Zin an manchen Stellen nicht ganz sicher war, wo Viola begann und er aufhörte.

Es war ein schönes Gefühl. Warm und ehrlich. Und das war etwas, das er wirklich sehr und aufrichtig vermisst hatte. Zwar waren sie vor seiner Abreise nicht für lange dazu gekommen, sich so in den Armen zu halten, aber ... da hatte es doch den einen oder anderen Vorgeschmack gegeben. Allerdings viel zu wenig, um über Tage und Nächte hinweg daran zu zehren.

Das war auch der Grund, aus dem Zin sich sehr vorsichtig streckte, sich ein Stück von Viola losmachte, bloß um sie dann in eine feste, aber liebevolle Umarmung zu ziehen. Er versuchte sie einzuhüllen, nicht nur, sie festzuhalten. Ja, es war schon so, dass er sie nicht mehr loslassen wollte. Aber das war ... bei weitem nicht alles. Sie hatte ihm so sehr gefehlt. So sehr, wie es nach den wenigen Wochen, die sie zusammen verbracht hatten, eigentlich gar nicht sein konnte. Oder doch?

Noch immer war Zin sich nicht sicher, was Viola von der Sache hielt. Wie sie dieses Mal reagieren würde, wenn sie aufwachte und sich in seinen Armen fand. Würde sie ihn schlagen? Ihn von sich stoßen? All das war möglich. Und es ... machte Zin schon wieder müde.
 

Noch vollkommen entspannt und mit geschlossenen Augen, streckte sie vorsichtig die Spitze ihrer Zunge heraus und leckte flüchtig über die kühle Haut, gegen die ihr Gesicht da plötzlich gedrückt wurde.

Den Geschmack auf ihrer Zunge zu analysieren war nicht schwer. Aber zugleich half es ihr, Wahrheit von Traum zu unterscheiden.

„Du bist noch da ...“, murmelte sie leise.

„Das ist gut.“

Sein Geruch alleine hätte ihr nämlich nicht als Beweis dafür gereicht. Zu oft war eine Meeresbrise durch ihr Zimmer gefegt. Bisweilen konnte sie auch noch den unverkennbaren Duft von Mann, und zwar von ihrem Mann in ihren Laken wittern.

Doch es war inzwischen mehr Einbildung, als sonst etwas gewesen.

Einen Moment lang, als irgendetwas sie geweckt hatte, hatte sie tatsächlich geglaubt, Zins Erscheinen geträumt zu haben. Aber der Geschmackstest hatte ihr das Gegenteil bewiesen und auch, dass er sie festhielt ... sie regelrecht umschlang, sollte ihr Beweis genug sein.

Trotzdem schob sie ihre Finger zwischen ihrer beider Körper hervor, strich zuerst über seine Brust, dann über seine schlanke Seite auf seinen Rücken.

Sie konnte sie immer noch spüren, die Narben waren unverkennbar und würde auf immer und ewig ein Teil von Zin sein. Doch das hatte sie noch nie gestört und würde sie auch nie stören. Sie gehörten zu ihm und waren ihr lebender Beweis dafür, dass sie sich tatsächlich begegnet waren. Mehr als einmal.

Violas Hand glitt seinen Rücken hoch, umarmte ihn, während sie ihre Wange gegen sein Schlüsselbein drückte und wohlig seufzte.

Das erste Mal seit Tagen, dass sie auf diese Weise aufgewacht war. Daran hätte sie sich nur allzu leicht gewöhnen können.

Langsam hob sie den Kopf.

„Ich würde ja sagen, zwick mich, damit ich auch wirklich nicht träume, aber ich hab eine bessere Idee.“

Verschlafen und mit halb geschlossenen Augen, suchten ihre Lippen nach seinem Mund.

Die paar Fehleinschätzungen störten sie überhaupt nicht. Sein markantes Kinn war ebenso küssenswert, wie seine Wange oder sein Mundwinkel und letztendlich traf sie ja doch das Ziel.

Nein. Sie träumte nicht. Diesen Geschmack – als sie seine Unterlippe zwischen ihre Lippen sog – konnte sie sich nicht erträumen. Nicht in hundert Jahren.
 

Sie küsste ihn.

Für Zin schien es das erste Mal seit Tagen, dass so etwas wie der Anflug eines Lächelns über seine Lippen huschte. Zwar wurde das im nächsten Moment davon weggewischt, dass er Violas Kuss erwiderte. Aber das machte nichts. Ganz im Gegenteil würde er diese beiden Dinge immer gern gegeneinander eintauschen.

Und er musste ihr recht geben. Es war gut, dass er noch hier war. Dass sie beide noch hier waren.

„Es tut mir leid, dass du auch nur annehmen musstest, ich würde dich wieder allein lassen ...“, meinte er etwas kratzig. Seine Stimme schien sich schon umgewöhnt zu haben und verhielt sich leicht bockig, nachdem er sie so viele Stunden überhaupt nicht hatte nutzen wollen. Naja, das würde schon wieder werden.

Vorsichtig küsste er Violas Lippen, ohne die Augen zu öffnen. Das Bild, die Situation wirkte zu zerbrechlich, um sie mit einem Blinzeln zu zerstören. Oder auch nur zu wagen, sich zu stark zu bewegen. Deshalb streichelte auch nur Zins Daumen über Violas weiche Haut. An der Stelle, wo ihr Hüftknochen in den Schwung ihrer Taille überging. ... Wie so eine Stelle so schön sein konnte ...

Zin seufzte leise, ließ aber erst gar keinen Raum für Fragen oder mögliche Erklärungen. Stattdessen küsste er weiter. Er streichelte Violas Lippen mit seinen eigenen. Stupste seine Nasenspitze an ihre und wurde bald sogar so mutig, mit seiner Zungenspitze die Kurve ihres Mundwinkels nachzuzeichnen.

„Ich hab dich so sehr vermisst ...“
 

Sie konnte es nicht oft genug hören. Dass er sie vermisst hatte. So sehr sogar. Allein dieses kleine Wort 'sehr' trieb Glücksgefühle in ihren Bauch, obwohl sich ihre eigene Gefühlswelt noch nicht so recht der Situation anvertrauen konnte. Doch das änderte sich nach und nach.

Zum einen, als sie langsam ihren Mund öffnete, um Zins Zunge mit ihrer eigenen zu begegnen und zum anderen ließ es sie nicht kalt, wie er ihr über die Hüfte streichelte. Sie hatte so lange, so heftige Schmerzen gehabt und erst seit einem oder zwei Tagen war die Pein des Frauseins und alles Drumherum verblasst. Aber wirklich wohl fühlte sie sich erst jetzt, da Zins Hände sie sanft berührten und jedes restliche Gefühl von Schmerz fortwischten.

Sie wollte gerade ohnehin nicht mehr darüber nachdenken. Eigentlich über gar nichts. Nur über die Art wie ihre Haut auf seine traf. Wie seine Zunge die ihre liebkoste und wie ihre Hände seinen Körper ebenfalls streichelten. Mutiger, als die seinen, aber nicht weniger zärtlich und gefühlvoll.

Sie wollte ihm nicht wehtun. Auch wenn sich das bei ihrer Natur sicherlich nicht vermeiden ließ, so nahm sie es sich doch fest vor und gerade jetzt war jede Berührung von ihr, jede Zuwendung eine Entschuldigung an Zin und seinen Körper.
 

Er küsste sie lange. Wie ein Verdurstender labte sich Zin an diesen Küssen. An der Zuneigung, die er darin zu spüren hoffte. Genauso, wie in den streichelnden Händen, die über seinen Körper wanderten.

Warum ... hatte er sich vorher nie Sorgen darüber gemacht? Dass Viola ihn vielleicht wirklich zurückweisen würde. Dass er sie durch sein Weggehen zu sehr verletzt und es versaut hatte, was auch immer sich da zwischen ihnen angebahnt hatte.

Jetzt erst kam diese Angst. Wie eine Woge wollte sie über Zin schwappen und ihn mit sich reißen.

Und es war nur Viola, die ihn festhielt. Sie war sein Fels in dieser Brandung, selbst wenn er wusste, dass sie es in seinem Element nie sein konnte. Sie war so stark und manchmal doch schwach. So, wie jeder es einmal war. Und auch sein durfte.

Gern gestand Zin ihr zu, was er sich selbst versagte. Schwäche ... Einen Moment, in dem man tat, was man sonst nie tun würde ...

Zin löste sich aus dem Kuss. Musste es einfach, als ihn die Erinnerungen und die Bilder überkamen.

Feuer, Chemikaliengeruch ... Metall. Das Klicken und Ban, wie er Zins Namen schrie.

Ein Schwall Kälte ließ ihn erzittern, den keine warme Decke der Welt hätte stoppen können. Zin fröstelte und eine Gänsehaut zog sich so vehement über seinen Körper, dass er das Gefühl bekam, seine Zähne würden in kürzester Zeit aufeinander klappern.

Nähe und Wärme suchend kuschelte er sich noch stärker an Violas Körper, vergrub sein Gesicht erneut an ihrem Hals und atmete so ruhig wie möglich den Duft ihres Haars ein. Allerdings zitterte sein Atem und ein stacheliger Kloß saß ihm im Hals.
 

Sie konnte spüren, dass etwas nicht stimmte, noch bevor Zin von einer deutlichen Gänsehaut überzogen wurde.

Viola spürte es, wie Hunde ein herannahendes Unwetter spürten, noch ehe man es sehen konnte. Sie spürte es, wie Katzen das Leid ihrer Besitzer spüren konnten. Es war mehr als bloßes Wissen, es war ein tiefes Gefühl. Ein Ziehen an ihrem Herzen und ein unangenehmer Druck in ihrem Bauch.

Sein Körper schien kälter zu werden, als würde irgendetwas jede Restwärme daraus ziehen, wo er doch sonst schon so kühl war.

Es musste unangenehm für ihn sein, und dass er sich keinen Moment später noch stärker an sie kuschelte, verstärkte dieses Gefühl und die Sorge um ihn.

Zuerst zog Viola die Decke bis zu Zins Nacken hoch, ehe sie ihre beiden Arme wie einen schützenden Kokon um ihn schlang und auch ihr Bein um ihn wickelte.

Sie schmiegte ihre Wange an die weichen Stoppeln seines Haares, liebkoste und streichelte seinen Nacken zärtlich. Nicht wie eine Geliebte, sondern wie eine Mutter, auch wenn sie nicht gedacht hätte, dass sie dazu fähig war.

Ihre andere Hand folgte der Linie seines Rückgrats, strich fürsorglich über die Narben, die von seinem Leid erzählten und obwohl es viellicht besser wäre, wenn er endlich aussprach, was ihn quälte, konnte sie ihn doch nicht dazu zwingen.

Allerdings vergrößerte sein Schweigen ihr eigenes Grauen immer mehr.

Sie hatte die Erzählungen des Mannes nicht vergessen. Die Angst um Zin, die sie gepackt und bis jetzt nicht mehr losgelassen hatte.

Für quälend lange Momente hatte sie tatsächlich versucht, seinen Tod zu akzeptieren, obwohl es keine Beweise dafür gegeben hatte und es war ihr nicht einmal ansatzweise gelungen.

Sie gab ihn nicht her. Wollte ihn nicht hergeben und obwohl das alles sie selbst überraschte, sie verwirrte und verunsicherte, war sie sich doch darin einig, dass sie ihn auch nicht in Zukunft hergeben wollte. Nicht in naher Zukunft. Weiter als bis darüber hinaus, hatte sie noch nie über ihr Leben nachgedacht.

„Zin ...“, flüsterte sie leise, fast schon fragend, während sie ihre Wange über sein kurzes Haar streichen ließ.

„Ich ... Ich bin da ... okay?“

Für ihn und nur für ihn würde sie da sein und ihren eigenen Egoismus hinten anstellen. „Ich bleibe auch da.“

Sie küsste sanft seine Schläfe, hielt ihn noch enger umschlungen, bis sie ihm damit fast den Atem rauben musste.

„Versprochen.“
 

Selbst sein Atem schien kalt gegen Violas Haut zu schlagen. Als würde Zin gegen eine Fensterscheibe in einem eingeschneiten Haus hauchen. Bloß, dass ihm nicht von außen, sondern von tief in seinem Inneren kalt war. Violas Arme und ihr ganzer Körper, der sich um ihn geschlungen hatte, konnten daran leider nicht viel ändern. Zwar fühlte Zin sich ein bisschen weniger allein, aber ... schuldig fühlte er sich trotzdem. Und das würde auch immer so bleiben. Schließlich konnte man der Wahrheit nicht entrinnen.

Zin lag eine scheinbare Ewigkeit so da. Still, wie aus Marmor und genauso kalt. Erst, als seine Muskeln gegen die unbewegte Haltung protestierten, öffnete er die Augen, atmete versuchsweise tief durch und streckte ein wenig seine Glieder, bevor er seinen Kopf hob, um Viola anzusehen.

„Ich möchte ... mit dir zusammen Frühstück machen.“ Aus großen, gefühlserstickten Augen sah er sie an. „Meinst du ... das geht in Ordnung?“
 

Sie war nicht eingeschlafen, sondern eher in so eine Art mitfühlende Starre verfallen, aus der sie sich erst jetzt, da Zin sich rührte, wieder befreien konnte.

Viola hatte viel Zeit zum Nachdenken gehabt, nachdem er weder gesprochen, sich noch sonst irgendwie gerührt hatte. Aber am Ende hatten sich ihre Gedanken nur noch im Kreis gedreht.

Was war passiert? Wie würde es jetzt weiter gehen? Mit Zin oder ohne sie? Wollte er bei ihr bleiben? War es jetzt vorbei oder würde er wieder gehen?

Irgendwann hatte sie einfach zu denken aufgehört, da sie keine einzige Antwort darauf hatte und somit langsam wahnsinnig wurde.

Wie dankbar sie Zin am Ende war, dass er mit ihr Frühstück machen wollte, bewies nur wieder einmal ihren eigenen Egoismus. Doch sie konnte nichts dagegen tun.

„Natürlich“, meinte sie sanft und ließ ihn langsam los, um ihre eigenen steifen Glieder etwas zu strecken. Noch einmal strich sie Zin über die Wange, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und stand dann schließlich auf, um sich etwas überzuziehen.

Sie gab sich nicht weiter mit Unterwäsche ab, sondern schlüpfte gleich in eine kurze Trainingshose, die ihr nicht einmal bis über die Mitte der Oberschenkel ging, und streifte sich ein ärmelloses Top in der gleichen blauen Farbe über.

Danach griff sie nach Zins Hand.

„Komm.“

Sie lotste ihn an den Wäschebergen vorbei und führte ihn merkwürdig betrübt die Treppe hinunter.

Immer noch nicht wollte sich die Freude über sein Erscheinen in ihr durchsetzen. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den sie gemeinsam taten, hatte sie das Gefühl, sie würde ihn noch mehr verlieren.

Warum das so war, wusste sie nicht. Doch es war etwas zwischen ihnen, dass sie nicht aussprachen. Über das Zin nicht sprechen konnte und sie akzeptieren musste. Dennoch war es schwer, zu akzeptieren, dass er sie von etwas ausschloss.

Doch sie wollte ihm helfen und keine Vorhaltungen machen, weshalb sie nichts dergleichen sagte, sondern stattdessen anfing, ihm nach der Reihe eine Packung Eier, Speck, Tomaten, Käse und Butter in die Hand zu drücken, damit er alles auf die Arbeitsfläche ablegen konnte.

Sie wusste zwar noch nicht genau, was sie frühstücken sollten, da sie noch nicht mal wirklich Hunger hatte, aber solange es ihre und vor allem seine Hände beschäftigte, war es gut.

Zwischendurch fütterte sie auch Flocke, die wieder sehr präsent auf der Anrichte war und sich auch nicht von diesem Platz vertreiben ließ.

Nicht, dass das jemand von ihnen beiden versucht hätte.

29. Kapitel

Zin folgte Viola ein bisschen wie in Trance, ließ sich an seiner kühlen Hand mitnehmen und bemerkte erst, wo sie gelandet waren, als sie ihm hintereinander verschiedene Lebensmittel in die Hände drückte.

Zin sah sich um. Die Küche war ihm vertraut. Genauso, wie das Wohnzimmer.

Sein Blick streifte zu der Tür hinüber, von wo aus man über den Flur das Gästezimmer sehen konnte. Sein Zimmer. Zumindest war es das für eine ganze Weile gewesen. Jetzt wollte er es nicht mehr. Einfach aus dem Grund, dass er gar kein Zimmer in diesem Haus für sich beanspruchen wollte, in dem Viola nicht ständig präsent war. Vor allem nachts wollte er nicht ohne sie sein. Weder hier noch an einem anderen Ort.

Vorsichtig und mit mehr Präzision, als nötig gewesen wäre, legte er die Sachen auf der Arbeitsfläche ab und zuckte kurz innerlich zusammen, als etwas Flauschig-weißes lautlos auf die Küchenzeile sprang.

Flocke.

Wieder huschte so ein blasses Lächeln über Zins Lippen und er streckte die Hand aus, um die Katze ein paar Mal freundlich zu streicheln. Auch an sie hatte er immer wieder einmal gedacht in den vergangenen Tagen. Und er hatte sie auch vermisst. Wenn auch auf ganz andere Art, wie er Viola vermisst hatte.

Ihr warf er einen fast schon verstohlenen Seitenblick zu, bevor er einmal tief Atem holte und dann von hinten seine Arme um sie schlang. Es war wirklich schwierig, sie nicht ständig zu berühren, zu streicheln oder sie in den Arm zu nehmen. Zin kam sich schon vor wie magnetisch von ihr angezogen. Dabei tat Viola eigentlich nichts Anderes, als sie sonst getan hatte. Und trotzdem ... war es anders.

„Was machen wir denn?“, wollte er leise wissen, während er sich nun doch wieder von ihr löste und eine der Tomaten in die Hand nahm, um sie leicht nervös in die Luft zu werfen und anschließend wieder aufzufangen.
 

Als Zin sie von hinten umarmte, ließ sie das Toastbrot sinken und lehnte sich einen Moment mit geschlossenen Augen gegen ihn.

Was ist nur los, Zin? Mit dir? Mit mir? Mit uns? Was nur?

Sie sprach es nicht aus, obwohl sie es tun sollte. Ja, das sollte sie wirklich. Stattdessen drehte sie sich zu ihm herum, als er sie wieder viel zu schnell losließ, und legte das Toastbrot zur Seite.

„Schauen wir einfach, was sich ergibt. Wie wäre es, wenn du die Eier aufschlägst und in einer Schüssel verrührst? Ich schnippel schon einmal die Tomaten klein.“

Paprika wäre vielleicht auch nicht verkehrt und Zwiebeln.

Viola dachte es nur nebenbei. Eigentlich kreisten ihre Gedanken ja um ein ganz anderes Objekt. Besser gesagt, um eine andere Person.

Ach Zin ...

Die Hand mit dem Messer hielt regungslos in der Luft an, bereit, die Tomate zu halbieren, die sie sich auf einem Schneidbrett zurechtgelegt hatte. Für einen Moment starrte Viola ins Leere, während sie das Gefühl hatte, als müsse sie gleich schreien. Einfach nur, um diese erdrückende Schwingung im Raum mit irgendetwas aufzulockern.

Ja, schreien war richtig verlockend.

Doch sie tat etwas anderes.

„Ich habe meinen Vater angerufen“, meinte sie tonlos und zerteilte weiter die Tomate.

Natürlich war das total aus dem Zusammenhang gerissen, aber das kümmerte sie nicht. Das war besser, als zu schweigen ... oder zu schreien.

„Wegen meiner Wasserphobie“, fügte sie etwas erklärend hinzu.
 

Zins Augen verengten sich für einen Moment zu schmalen Schlitzen, während er über seine Schulter sah und gleichzeitig mit dem Schneebesen in der großen Schüssel mit den Eiern innehielt. Ihm sträubten sich die kurzen Nackenhaare und sofort ließ er die Eier, Eier sein und wandte sich Viola ganz zu.

Das Thema war – gelinde gesagt – schwerwiegend. Dafür kannte er Viola gut genug, wenn auch nicht in dem Maße, in dem er es gern getan hätte. Aber er wusste, dass sie nicht oft von ihrem Vater sprach. Was wohl hieß, dass sie kein gutes Verhältnis zu ihm hatte.

Daher war Zin vorsichtig, als er auf ihren Gesprächseinstieg einging.

„Wann hast du mit ihm gesprochen?“

Das kam Zin als Frage am Sinnvollsten vor. Damit sprach er weder ihre Angst vor Wasser noch die Überraschung an, dass sie sich damit auseinandersetzen wollte. Denn damit hätte Zin nicht gerechnet. Schon gar nicht in der Zeit, in der sie ihn vermutlich jeden Tag dafür verflucht hatte, dass er einfach so im Meer verschwunden war. Ohne sagen zu können, wann und ob er zurückkommen würde.

„Hast du etwas herausfinden können?“
 

„Vor zwei Tagen ... Ich weiß nicht mehr genau.“

Viola zuckte mit den Schultern. Die letzten Tage waren wirklich so ineinander übergegangen, dass sie es tatsächlich nicht mehr genau sagen konnte, wann sie mit ihrem Vater telefoniert hatte. Aber dafür wusste sie nur zu gut, was sie erfahren und welche Entscheidungen sie getroffen hatte.

Während sie also nun daran ging, die rote Paprika zu entkernen und klein zu hacken, überlegte sie nicht lange, ehe sie Zin antwortete.

„Ich kam zu ein paar interessanten Erkenntnissen.“

Das wegen der Pille, die sie jetzt nicht mehr nehmen würde, verschwieg sie Zin. Er hatte sie ohnehin noch nicht gefragt, wie sie verhütete oder vielleicht machte er sich auch überhaupt keine Gedanken darüber, dass sie von ihm schwanger werden könnte. Es wäre ohnehin möglich, dass sie von Natur aus nicht kompatibel waren. Was sie persönlich nicht weiter störte. Wie gesagt, sie dachte nicht weit im Voraus.

„Man ... wollte mich ertränken“, gab sie schließlich leiser zu, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben, oder sich in ihrer Tätigkeit unterbrechen zu lassen.

„Erklärt wohl Einiges“, fügte sie schnell hinzu.

„Und mein Vater meinte, ich sollte eine Konfrontationstherapie machen. Scheint die einzig wirkungsvolle Methode zu sein, um mir die Angst vor Wasser zu nehmen.“

Wie und wann sie das tun sollte, wusste sie zwar noch nicht. Aber sie gab hier auch nur nüchterne Fakten zum Besten. Keine ihrer persönlichen Gedanken oder Gefühle.
 

Es war so, als würde er die Szene von außen betrachten. Als würde er sich selbst dabei zusehen, wie er sich in Zeitlupe von der Arbeitsfläche abstieß, in einer fließenden Bewegung wieder hinter Viola stand, seine Hände auf ihre legte, ihr das Messer aus den Fingern wand und sie zu sich herum drehte.

Die Welten fuhren mit einem Schnalzen in Zins Kopf wieder zusammen. Er steckte wieder in seinem Körper, der mit sorgenvollen Augen auf Viola hinabsah und sie festhielt. Sein Atem ging schwer und gedrückt. Als könne er auch nur ansatzweise nachvollziehen, was Viola bei dem empfinden musste, was sie ihm gerade gesagt hatte. Wie es ihr ergangen sein musste, als sie diese Wahrheit von ihrem Vater erfahren hatte. Über das Telefon!

Es wurde heiß in der wattigen Umwicklung, die sein Herz immer noch im Griff hielt. An einigen Ecken und Enden fing die Verpackung an zu schwellen und sich zu schwärzen. Noch schmolz sie nicht, aber ...

„Es tut mir so unendlich leid, dass ich ... nicht hier war.“

Zins Hände schmiegten sich um Violas Gesicht, sanft und vorsichtig, als könne er sie zerbrechen.

„Und wie ... geht es dir? Weißt du, was du jetzt tun willst?“

Schocktherapie hörte sich nicht sonderlich gesund an. Wer war ihr Vater denn, dass er ihr so etwas raten konnte und Viola auch noch in Betracht zog, sich an diesen Ratschlag zu halten?

Er umarmte sie, zog sie an seine Brust und überlegte, was er selbst tun konnte. Immerhin ... wusste er sehr genau, welche Gefahren es im Meer gab. Und die gingen im seltensten Fall vom Wasser selbst aus.

„Wenn ich dir irgendwie helfen kann ... sag es mir bitte.“
 

Viola antwortete nicht, als Zin ihr ins Gesicht sah und sie schwieg auch eine ganze Weile, während sie sich einfach nur nach Zuneigung lechzend an ihn kuschelte. Sie vergrub ihr Gesicht an seiner Schulter, die Hände fest auf seine Brust und die Seiten gepresst, um ihn von sich aus festzuhalten.

So stand sie für eine kleine Ewigkeit da, ohne zu sprechen, auch ohne großartig zu denken. Stattdessen atmete sie einfach nur dieses unglaubliche Gefühl ein, das ihr dieser Mann immer wieder so einfach schenken konnte. Und dass es dabei gar nicht so einfach war, machte es für sie nur noch kostbarer.

„Du hast deine eigenen Schlachten zu schlagen, Zin“, hauchte sie leise, aber deutlich. „Und ich die meinen.“

Wobei ihre Probleme ihr wie Nichts vorkamen, wenn sie an die von Zin dachte. Genau aus diesem Grund jammerte sie hier auch nicht rum. Und weil sie in den meisten Fällen zu stolz war, um Schwäche zu zeigen. Zumindest bei so etwas Wichtigem.

„Und was ich tun werde?“

Viola musste sich dazu zwingen, sich ein Stück von Zin zu lösen, um mehr Rückgrat zu beweisen und ihn anzusehen.

„Keine Ahnung. Mir vielleicht ein heißes Schaumbad einlassen?“

Sie versuchte zu scherzen und brachte auch ein kleines Lächeln zu Stande, aber es war nicht von Dauer.

„Vielleicht könntest du mitkommen. Als moralische Unterstützung sozusagen.“

Mehr an Hilfe wollte sie nicht von Zin fordern, der doch schon schwer genug an seinem eigenen Päckchen zu tragen hatte.
 

Seine Finger strichen über ihr Haar, schoben es ihr sachte hinter ihr Ohr und streichelten dann wieder Violas Wange, während Zin sich unsicher darüber war, wie viel von dem, was sie gesagt hatte, scherzhaft und wie viel ernst gemeint gewesen war.

Ein Schaumbad wollte sie nehmen? Wo Viola schon Regen oder eine Dusche verabscheute? Nein, das wäre wahrscheinlich noch etwas zu viel für den Anfang. Aber egal, was sie tun würde oder für welche Herangehensweise sie sich entschied, eines war sicher.

"Natürlich werde ich das. Ich gebe dir so viel Rückendeckung, wie du brauchst.“

In diesem Moment wäre ihm gern ein Scherz eingefallen. Etwas, das die Stimmung weiter lockern konnte. Aber das Thema war nun einmal alles Andere als locker. Es war schwer und niederdrückend und zeugte bloß von noch mehr Problemen, von denen Zin gar keine Ahnung gehabt hatte. Vermutlich wäre er doppelt so schnell hierher geschwommen, wenn er es gewusst hätte.

„Wann immer du bereit bist.“

Noch einmal drückte er sie an sich, küsste ihre Stirn und atmete tief ihren Duft ein. Die Hitze in seinem Herzen schwoll noch ein bisschen weiter an, griff auf die Umklammerung über, die sich aber weiterhin gegen diesen Angriff behauptete. Er ... konnte noch nicht über sich hinaus. Und im Moment war auch nicht er selbst wichtig.
 

Viola schloss die Augen, um Zins Küsse besser wahrzunehmen. Sie sog diese Berührungen und Gesten förmlich in sich auf, als wäre sie vollkommen ausgedörrt, was Zuneigung anging. Zum Teil kam sie sich aber auch wirklich so vor.

Die Tage ohne Zin waren ihr selbst mit Tess und Dan wie die einsamsten Tage in ihrem bisherigen Leben vorgekommen.

„Ich wüsste niemanden, den ich als meine Rückendeckung wollen würde, außer dir.“ Sie umfing Zins Gesicht ebenfalls mit ihren Händen, ließ ihre Fingerspitzen zart über die Schlitze an seinem Kiefer gleiten und zog ihn schließlich weiter zu sich herab, um seine Lippen küssen zu können.

Die Leidenschaft und das Feuer fehlten. Dafür wurden diese beiden Elemente mit Zuneigung, Hingabe, Wärme und Zärtlichkeit aufgewogen. Sanft waren diese Küsse und zart. Wie eine zarte Blumenknospe, die sich zwar zurückhielt, doch schon die volle Kraft besaß, um sich in voller Schönheit zu entfalten.

Dabei beließ Viola es für den Moment. Hätte sie jetzt weiter gemacht, sie hätte sich nie wieder von Zin losmachen können.

„Ich hab Hunger“, hauchte sie gegen seine Lippen und löste sich dann gänzlich von ihm.

„Wie stets um die Eier?“
 

Hunger ... war ein gutes Zeichen. Er selbst hatte dieses Gefühl in den vergangenen Tagen kaum verspürt. Eigentlich hatte Zin nur dann etwas gegessen, wenn ihn jemand aus seiner Familie dazu genötigt hatte. Und auch jetzt warf er eher einen skeptischen Blick auf die Eier, die er in der Schüssel hatte warten lassen.

Wenn Viola Hunger hatte, sollte sie auch etwas zu essen bekommen. Da würde sich Zin schon einmal ins Zeug legen. Wenn er ihr auch sonst nicht von großer Hilfe sein konnte und sich so mies fühlte, wenn er an die Zeit dachte, die sie hier allein mit dieser Nachricht hatte sein müssen.

„Gib uns noch eine Minute.“ Sagte er daher leise und fing an, sich über seine Aufgabe herzumachen, bis er entschied, dass er Viola sein Werk präsentieren konnte. Vielleicht war es nicht perfekt, aber ... damit würde sie wohl oder übel leben müssen, wenn sie es ihm nicht besser beibrachte. Lernen würde er in jedem Fall.

„Was noch?“
 

Viola sah an Zins Schulter vorbei in die Schüssel, hauchte ihm einen kleinen Kuss auf seinen Bizeps und nahm dann die Schüssel mit dem kleingeschnittenen Gemüse, um es unter die Eier zu mischen.

„Dazu noch Salz und ein paar Kräuter“, erklärte sie, griff nach den Gewürzen und gab nach Gefühl davon in die Schüssel, während sie Zins Taille mit einem Arm hielt, da sie ihn einfach immer wieder berühren musste.

„Jetzt verrührst du das Ganze noch einmal ordentlich und dann kann es in die Pfanne“, erklärte sie weiter und bereitete schon einmal die Pfanne vor.

Sie überließ es Zin, die Rühreier mit dem Gemüse fertig zuzubereiten. Erklärte ihm nur, dass man das Gemüse auch vorher braten konnte, wenn man es nicht so knackig haben wollte. Sie persönlich mochte es jedoch, wenn es noch etwas fest war.

Neben ihm briet sie noch ein paar Speckstreifen, während Toasts in regelmäßigen Abständen aus dem Toaster sprangen.

Zin war so nett und deckte den Tisch, so dass sie sofort mit dem Essen beginnen konnten, nachdem sie auch den Speck fertig hatte.

Aber Viola hatte gelogen, was ihren Hunger anging. Sie verspürte weder Hunger noch Appetit, da sie aber schon seit mehreren Stunden nichts mehr gegessen hatte, war es trotzdem kein Problem für ihren Magen, etwas in sich aufzunehmen. Es schmeckte eben nur nicht wirklich. Obwohl das Essen gut war.

„Wie lange wirst du bleiben, Zin?“, fragte sie schließlich, nach dem die Hälfte auf ihrem Teller verputzt war.

Viola bestrich dabei äußerst gründlich ein Toastbrot mit viel Butter und das so konzentriert, dass sie Zin nicht ansehen konnte.

Sie sollte es vielleicht tun, weil das eine für sie äußerst gewichtige Frage war. Doch sie hatte Angst davor, was sie in seinem Gesicht lesen könnte.
 

Sein Mund blieb ihm offen und die Gabel mit dem Bissen Ei mitten in der Luft stehen, als Viola ihn das so unvorbereitet fragte. Sofort wollte sein Magen rebellieren und etwas in Zin erwartete, dass sein Herz zu rasen beginnen würde. Doch stattdessen wurde ihm wieder kalt, sämtliches Blut wich aus seinem Gesicht und er wurde aschfahl. Auch seine Schultern sanken nach unten, bis er nicht einmal mehr die Gabel halten konnte und sie auf seinem Teller ablegen musste.

„So lange, wie ich kann“, antwortete er wahrheitsgemäß und sah Viola dabei stets an. Selbst wenn sie sich nicht dazu entscheiden sollte, aufzublicken, würde er sich ihr stellen. Und dem, was noch alles an dieser Frage hing.

„Mein Aufbruch war ... etwas hektisch und nur mit meinem Vater abgesprochen. Aber erstmal ... werde ich hier bleiben.“

Die folgende Pause dehnte sich. Lange und immer länger.

„Wenn dir das Recht ist.“
 

Mit unglaublicher Präzession bestrich sie ihr Toastbrot auch noch mit einer hauchdünnen Schicht Erdbeermarmelade und legte es dann beiseite.

Ihre Gefühle waren gemischt, als Zin ihr erklärte, dass er so lange bleiben würde, wie er konnte.

Sie wusste nicht, was das bedeuten sollte. Würde jemand ihn holen kommen? Würde er von selbst gehen? Wie lange konnte er denn bleiben? Und ... was war denn nun bei ihm los? Mit ihm? Warum war der Aufbruch hektisch gewesen? Warum wusste nur sein Vater davon? Und warum fragte er schon wieder, ob sie das ebenfalls wollte? Sollte die Antwort darauf nicht eigentlich klar sein?

Einen Moment lang starrte Viola ihren Speck auf dem Teller an, ehe sie den Blick hob.

Nein. Wie sollte er es denn wissen?

„Wenn es nach mir ginge, könntest du dich hier häuslich einrichten“, erklärte sie schließlich langsam. Es klang vielleicht nicht so, aber das war ein Angebot für ein Privileg, das sie bis auf Flocke bisher niemandem zu Teil werden ließ.

"Die Frage ist: Wie lange kannst du bleiben?“
 

Bei dieser Aussage musste Zin ein bisschen lächeln. Seine Zehen knubbelten seine Schwimmhäute, bis er sich eine Antwort überlegt hatte, die präzise genug, aber doch nicht zu endgültig klang. Immerhin wusste er selbst noch nicht, wie lange er bleiben konnte. Das hing von so vielen verschiedenen Dingen ab. Unter anderem auch von Viola. Aber da sie ihm erklärt hatte, er könne gerne bei ihr bleiben ...

„Das freut mich, zu hören. Wirklich. Ich würde auch sehr gern sehr lange hier bleiben. Bei dir.“

Seine Hand legte sich auf ihre und sein Daumen streichelte über die weiche Haut von Violas Handrücken. Sofort wurde ihm wieder bewusst, wie sehr er sie vermisst hatte. Wie sehr ihm der Kontakt in jeglicher Form zu ihr gefehlt hatte.

„Viola, es ist so ...“ Ohne, dass er etwas dagegen tun konnte, verfinsterte sich Zins Blick. Seine Augen wurden zu einem düsteren Stahlgrau. „Für eine Weile mögen wir den Menschen aus dem Bereich des Riffs vertrieben haben. Aber wir wissen nicht, wann sie wiederkommen. Es ist so viel ...“

Rasierklingen schnitten sich von innen in seinen Hals. „Es ist so viel schief gegangen. Wir haben so viel falsch gemacht. Ich bin mir sicher, dass die Menschen auf die Plattform zurückkehren und weiter bohren werden. Diesmal vielleicht sogar verbissener als zuvor. Bloß wann das sein wird ... da habe ich keine Ahnung.“
 

„Dann ...“ Viola holte einmal tief Luft, dennoch klang ihre Stimme etwas erstickt. „... ist es noch nicht vorbei?“

Zin musste ihr diese fast rhetorische Frage nicht beantworten. Sie konnte es auch so in seinen Augen sehen. In seinen Gesichtszügen und vielleicht spürte sie es auch ein bisschen, durch die Hand, die auf ihrer lag.

„Ich ...“

Viola nahm Zins Hand zwischen ihre Finger und strich hauchzart mit ihren Fingerspitzen über seine Schwimmhäute, während sie die feine Zeichnung seiner Haut betrachtete.

„Bleib hier“, begann sie schließlich.

„Erhol dich. Gib dir Zeit. Denk über alles nach und ... vielleicht ... kann ich dir dann ... helfen. Wenn es so weit ist.“

Sie hauchte einen Kuss auf Zins Handrücken und ließ seine Hand dann los, um aufzustehen und ihr Geschirr wegzuräumen. Sie hatte weder Hunger noch sonderlich Lust darauf, fertig zu essen. Außerdem würde sich Flocke über etwas Abwechslung in ihrem Speiseplan freuen. Vielleicht nicht über die Paprika und die Tomaten, aber über den Rest ganz bestimmt.

„Es muss doch eine andere Lösung geben. Einen anderen Weg, diese Menschen aufzuhalten. Ohne dass du ... oder die anderen euer Leben riskieren müsst.“

Sie hoffte es. Betete inständig dafür. Aber Viola hatte in diesem Punkt keine Ahnung. Sie wusste nur, dass sie nicht noch einmal Tage wie die Vergangenen durchmachen wollte.
 

Als sie aufstand und den Tisch verließ, zog sich das weiche Band noch enger um Zins Herz. Er starrte ins Leere und sah doch Szenen vor sich, gestochen scharf und so real, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen. Wieder wurde ihm kalt und eine Gänsehaut kroch über seine Arme, bevor er die Ellenbogen auf den Tisch stützte und sein Gesicht in den Händen vergrub.

Seine Worte wurden begleitet von einem Seufzen, das so tief aus Zins Innerem kam, dass er es selbst nie für möglich gehalten hätte.

„Ich möchte dich da nicht mit reinziehen, Viola.“

Nein. Sie sollte damit am besten überhaupt nichts zu tun haben. Viola sollte weder zwischen die Fronten noch in Gefahr geraten. Ihr sollte nichts passieren und sie ... sollte nicht ...

Zin sackte ein ganzes Stück in sich zusammen, während weiter ein grausiger Film vor seinem inneren Auge ablief. Sein Atem zitterte und er konnte sich nur sehr schwer losreißen, um wieder bei Viola zu sein. Und zwar ganz allein bei ihr.

„Es ist schon ... genug geschehen. Wenn dir wegen diesem ... ganzen Mist auch noch etwas zustoßen würde ... das könnte ich nicht ertragen. Wirklich nicht.“

Seine Stimme war leise und dünn geworden, zitterte wie trockenes Laub im Wind. Nein, das würde er nicht ertragen. Lieber würde er sich ... vor sie stellen.
 

„Ach ja?“

Es klang nicht sehr freundlich von ihr, und dass sie ihr leeres Trinkglas etwas zu hart abstellte, half auch nicht wirklich.

Dabei zog sich ihr Innerstes zusammen und krümmte sich, konnte sie doch nur zu deutlich Zins ... Leid wittern. Ihm ging es nicht gut. Ganz und gar nicht gut und das sah man ihm auch an. Dennoch wallte leise Wut in ihr auf, wenn sie auch nur ein bisschen länger über seine Worte nachdachte.

Es klang so, als wolle er sie vor dem Unglück beschützen, dass ihn und seine Familie heimsuchte. Es klang so, als wäre so wahnsinnig viel passiert, obwohl er nicht darüber reden wollte. Doch gerade deshalb war ihre Stimme scharf, wenn auch gedämpft, als sie sich wieder zu ihm herumdrehte.

„Glaubst du denn, ich könnte es? Glaubst du denn, ich könnte noch einmal mit ansehen, wie dein Rücken in Fetzen hängt und noch mit der gleichen Gelassenheit herangehen, die ich damals einer mir fremden Person gegenüber empfunden habe? Glaubst du das wirklich? Oder, dass es mir egal ist, dass du einfach dein Leben riskierst?“

Viola stemmte ihre Hände in die Hüften und versuchte immer noch so leise wie möglich zu sprechen, um ihn nicht anzuschreien, denn das hatte er wirklich nicht verdient.

„Weißt du eigentlich, dass ich dir am liebsten den Kopf abgerissen hätte, weil du dich erneut der Gefahr ausgesetzt hast? Ich weiß, dass es gefährlich ist. Aber ich bin kein zartes Blümchen, das schon bei größerer Windstärke eingeht. Ich bin durchaus hart im Nehmen, und wenn du wieder einmal auf die Idee kommst, dein Leben einfach so zu riskieren, dann will ich verdammt noch mal, wenigstens dabei sein, wenn das passiert. Alles ist besser, als diese beschissene Ungewissheit!“
 

„Nein, das willst du nicht.“

Es war ein Grollen. Tief und wankend kam es aus seiner Brust, wo Zins Herz so heftig gegen sein Gefängnis rebellierte, dass es selbst zu zerspringen drohte. Zin schob den Stuhl zurück. Langsam stand er auf, drehte sich herum und sah Viola aus Augen an, die so kalt waren wie Polareis.

„Du bist kein zartes Blümchen und das weiß ich.“

Sie hatte es ihm schon mehrmals gezeigt. Auf Gute, wie auch auf negative Weise. Aber gerade jetzt ... war es nicht an Viola, hier auf den Tisch zu hauen.

Zwar blieb Zin, wo er war, aber seine sonst so schmale Figur schien sich auszudehnen, mehr Masse anzunehmen und wäre da nicht die vollkommene Ruhe in seinen Zügen gewesen, man hätte ihn als bedrohlich bezeichnen können.

„Mir ist klar, dass du mir den Kopf abreißen wolltest. Ich bin mir darüber bewusst, dass die Ungewissheit furchtbar für dich gewesen sein muss. Aber ... Glaube mir, das ist besser, als die Wahrheit zu kennen!“

Im Gegensatz zu Viola war Zin lauter geworden. Sein Blick funkelte dunkel und seine Fäuste waren so fest geballt, dass seine Knöchel weiß hervorstachen.

„Willst du die Wahrheit über denjenigen wissen, den du jetzt nicht mehr einfach so zusammennähen würdest? Ja?“

Die Rasierklingen waren wieder da. Sie schnitten sich tief in Zins Hals, wollten ihn am Weitersprechen hindern. Sein Herz stolperte bei dem bloßen Gedanken, was Viola tun würde. Was sie tun musste ... wenn er weitersprach.

„Ich habe jemanden umgebracht!“

Es trieb Zin selbst die Luft aus den Lungen, als er es endlich aussprach. Seine Knie begannen zu zittern, sein Gesicht wurde grau.

„Ich habe ...“
 

Dass Zin für sie entschied, was sie wollte und was nicht, schmeckte Viola gar nicht. Doch es war mehr die Art, wie er es sagte, die ihr sämtliche Härchen im Nacken aufstellten, während die Wildkatze in ihr die Ohren bedrohlich anlegte und wild mit dem Schwanz zuckte.

Dass er ihr zugestand, sie sei kein Blümchen, besänftigte sie in diesem Punkt kein bisschen. Zudem reagierte sie äußerst empfindlich auf die Stimmung im Raum und ihr war sehr wohl bewusst, dass etwas vorging.

Viola trat keinen Schritt vor Zin zurück, wie sie es vielleicht hätte tun sollen, ob der deutlichen Dominanz die er ausstrahlte. Manche würden es sicher als Bedrohung sehen, doch sie kannte sich damit aus. Das war es nicht. Er bot ihr lediglich die Stirn. Trotzdem wollte sie gerne wissen, was die Wahrheit war. Doch irgendetwas warnte sie. Gebot ihr zu schweigen und stattdessen geduldig und wachsam zu sein.

Ihr Blick huschte zu Zins geballten Fäusten.

Sie bereute ihre Entscheidung nicht.

„Ich habe jemanden umgebracht!“

Der Satz zerschnitt förmlich die bebende Luft zwischen ihnen und für einen Moment wurde Viola ganz starr, während sie immer noch Zin über die Theke hinweg fixierte. Sie bemerkte nicht, wie sich ihre Krallen in das Holz bohrten, oder wie sich all ihre Muskeln anspannten und ihr Herz sich überschlug.

Stattdessen war sie vollkommen auf das fixiert, was Zin ausmachte.

Seine Haltung, sein Geruch, die Art von subtilen Gesten, die man nur mit viel Übung bemerken konnte. Doch sie war eine Jägerin und wusste genau, worauf sie achten musste.

Von Zin ging keine Gefahr aus. War auch nie Gefahr ausgegangen. Nicht für sie und das war das Einzige, was sie wissen musste.

Viola blickte lange in sein fahles Gesicht, ehe sie ihre Krallen wieder einfuhr und sich aus ihrer leicht geduckten Haltung erhob, von der sie selbst nicht einmal gewusst hatte, dass sie diese angenommen hatte.

„Wie kam es dazu?“, wollte sie schließlich wissen. Kühl und ohne irgendwelche Anschuldigungen oder sonstige Gefühle.

Sachlich.
 

Selbst zu blinzeln kam einer Anstrengung gleich. Zins Muskeln waren so angespannt, dass seine Sehnen sich schmerzhaft zu Wort meldeten und sein Nacken sich versteifte. Er sah Viola an. Und ... sah sie doch nicht. Seine Augen huschten hin und her, während sein Verstand zwischen hier und vor zwei Tagen sprang, als wäre es ein und dieselbe Minute.

Und nur deshalb konnte er es erzählen. Nur, weil er für eine gefühlte Ewigkeit nicht zwischen jetzt und dort unterscheiden konnte, bekam Zin den Mund überhaupt auf.

Wäre er sich dessen bewusst gewesen, dass er in Violas Küche stand, vor ihr, und dass sie ihn wirklich hören konnte, er hätte es nicht gesagt.

Er hätte ihr nicht von diesem Abend erzählt. Davon, dass er doch mit auf die Plattform geklettert war. Aus Angst, die Anderen könnten eine Dummheit machen. Er war mitgekommen, weil sie ihn brauchten. Weil sonst ein anderer am Strom herumgeschraubt und sich damit vermutlich selbst umgebracht hätte.

„Ich bin erst wieder an Deck gekommen, als es schon brannte. Irgendetwas ist schief gegangen. Die Menschen hätten uns gar nicht entdecken sollen. Das ... machte alles schwierig.“

Zin hatte die Angst in den Gesichtern der Menschen gesehen. Und die Wut und Trauer in den Augen seiner Familienmitglieder. Es war ein verzweifeltes Aufbegehren der Meermenschen gewesen.

„Sie sind aufeinander losgegangen. Alles ging ... so schnell und doch so langsam.“ Alles brannte, es war heiß. Schüsse fielen. Leuchtraketen und so viel Lärm.

„Man bekam kaum Luft. Rauch überall und darin die verbrannten Partikel des Drecks auf der Plattform. Ich habe ... Kip am Boden gesehen. Er war am Kopf verletzt. Und seine Seite hat geblutet. Irgendwo hat Ban gerufen, dass wir zurück sollten. Einfach von Bord springen ...“

Zin war so froh gewesen, die Stimme seines Bruders zu hören. Es war seine einzige Orientierungsmöglichkeit gewesen.

„Ich hab ihn schließlich gefunden. Direkt an der Reling. Es war nur noch ein Stück. Fast hätten wir es geschafft und dann ...“

Dann hatte sich Bans Gesicht verändert. Die Augen tränend vom Rauch hatte Zin es gesehen, bevor er seinen Namen hörte.

„Ich habe ... mich umgedreht. Kips Körper mit mir herum gerissen. Ich ...“

Sie waren zu Boden gegangen, als der Mensch auf sie schoss. Als Kips toter Körper auf Zin landete.

„Er war von sich genauso entsetzt, wie von unserem Anblick. Ich ... habe es in seinen Augen gesehen.“

Der Mann hatte Angst gehabt. Aber mit der Waffe in der Hand. Mit dieser Macht, die ihn beschützen konnte. Vor den Monstern, die aus dem Meer gekommen waren ... ging diese Panik in etwas Anderes über.

„So schnell konnte ich nicht wieder auf die Beine kommen. Es kamen noch mehr Menschen. Sie hatten den Schuss gehört, wussten, wo wir waren. Ban rannte an mir vorbei, riss den Mann mit der Pistole um. Sie ... rangen am Boden.“

Und dann ... zog ein weiterer Mensch eine Waffe. Zin hatte das Metall in den Flammen des Feuers blitzen sehen.

„Es war nicht einmal eine Sekunde Zeit, um nachzudenken. Wenn ich nicht ... Er hätte Ban erschossen.“

Zin hatte sich auf den zweiten Mann geworfen, hatte das kühle Metall der Waffe in den schwitzenden Händen des Menschen gefühlt. Den gekrümmten Finger um den Abzug.
 

Es fiel Viola nur allzu leicht, das Erzählte aus der Bar, mit Zins Geschichte zusammenzufügen und sich erneut ein Schreckensbild auszumalen, das sie bis in die Knochen erzittern ließ. Sie konnte dabei den Blick nicht von Zin abwenden und sie hätte es auch gar nicht gewollt.

Sie sah, wie er litt. Wie ihm das alles zu schaffen machte, wie er damit kämpfte, nicht alles auf einmal zuzulassen.

Vielleicht konnte er so viel auf einmal gar nicht verarbeiten, und dass er sich schwere Vorwürfe zu machen schien, weil er jemanden umgebracht hat, nagte zusätzlich an ihm.

Viola war nie gut darin gewesen, ihresgleichen zu trösten. Schreien und Fluchen, ja das waren Dinge, die lagen ihr schon eher. Aber das hieß nicht, dass sie es nicht versuchen würde.

Langsam, nachdem Zin einfach nur noch schwieg und ins Leere zu starren schien, als wäre er immer noch gefangen in den Ereignissen vor ein paar Nächten, kam Viola auf ihn zu und schob sich in sein Blickfeld.

„Ich will, dass du mir zuhörst“, sagte sie sanft, aber bestimmt und hob langsam ihre Hände an sein Gesicht.

„Und ich will, dass du mir dabei in die Augen siehst.“

Sie zog seinen Kopf zu sich herunter, wartete, bis seine Augen sie wirklich sahen, ehe sie fortfuhr.

„Zin, hör mir genau zu. Ich kann nicht nachvollziehen, wie dir zu Mute sein muss, aber ich kann dir sagen, dass manche Dinge getan werden müssen. Du musstest es tun, weil du damit deinen Bruder beschützt hast und das ist für mich der einzige Grund, weshalb man so etwas tun sollte, wenn es sich nicht vermeiden lässt. Du hast es nicht aus Rache getan. Denn ich glaube einfach nicht, dass du so etwas tun könntest. Und ganz bestimmt hast du es nicht getan, weil es dir Spaß macht. Nein. Zin, das war Notwehr. Verstehst du das? Notwehr. Nichts anderes. Also bitte halte dich deswegen nicht für schlecht. Denn das bist du in meinen Augen nicht.“

Sie sah ihn noch eindringlicher an.

„Ihr alle hattet keine Wahl. Weder die Männer, die dort arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, noch ihr die dadurch zu Schaden gekommen seid. Die einzigen Schuldigen sind die Leute, die diese Bohrung angeordnet haben. Verstehst du das?“
 

Ja, er verstand es. Natürlich verstand er. Aber das änderte nichts an dem, was er getan hatte und womit er selbst fertig werden musste. Zin hatte vorher noch nie einen Menschen getötet. Nicht einmal einem geschadet. Er war ihnen aus dem Weg gegangen, soweit das irgendwie möglich war. Er wollte niemandem wehtun. Das war einfach nicht seine Art. Wie hatte er da ... nur ein Leben auslöschen können?

Wieder lief eine Gänsehaut über seinen Körper und seine Augen glitten an denen von Viola ab. Aber nicht so weit, dass er sie vergessen hätte. Wie sie sein Gesicht hielt und versuchte, ihm zu helfen.

„Du hast recht. Wenn wir etwas wirklich Sinnvolles tun wollen ... müssen wir die Bohrungen an anderer Stelle verhindern.“

Wenn er nur eine Idee hätte, wie sie das bewerkstelligen sollten.

Auf der Reise hierher hatte er keinen Gedanken daran verschwenden können. Nicht einmal etwas annähernd Logisches hatte sich in seinem Hirn abgespielt. Zin hatte nur ein Ziel gehabt. Jetzt ... wo es erreicht war, wusste er nicht weiter. Zumindest nicht so schnell, wie er es gerne würde.

„Ich habe keine Ahnung, wie ich weiterkomme“, sagte er leise aber wahrheitsgemäß.

Zin sah wieder Viola an, hatte das Gefühl, in ihren Augen zu versinken. Und endlich schaffte er es auch, seine Hände auf ihre Hüften zu legen. „Ich muss mir etwas einfallen lassen.“
 

„Wir werden uns etwas einfallen lassen, okay?“, meinte sie schließlich und ließ ihre Hände zu Zins Hals hinabgleiten, während sie ihn immer noch von unten herauf ansah.

„Aber dieses Mal bitte mit mehr Geduld. Wäre das in Ordnung für dich? Ich meine, solange kein konkreter und gut durchdachter Plan auf dem Tisch ist, könnt ihr sowieso nichts ausrichten. Also bitte, lass dir selbst auch mehr Zeit.“

Er brauchte es. Viola sah es in seinen Augen, dass er erst einmal wieder mit sich selbst halbwegs ins Reine kommen musste, ehe man ihm erneut so zusetzen konnte. Verdammt, wieso konnte er nicht einfach bei ihr bleiben?

„Ist deine Familie vorerst in Sicherheit?“
 

„Ja.“

Dass er damit gleich beide Fragen beantwortete, konnte Viola natürlich nicht wissen. Deshalb ließ Zin mit einer Hand ihre Hüfte los, zog sich einen Stuhl heraus und ließ sich darauf nieder, bevor er Viola so zu sich zog, dass sie schließlich auf seinem Schoß landete. Dass sie sich nicht dagegen wehrte, ließ Zins Herz ein bisschen schneller schlagen und ihm wurde ein wenig wärmer zumute.

„Sie sind in Sicherheit.“

Vorsichtig schob er Viola eine Strähne hinter ihr kleines Ohr.

„Vom Riff war nicht mehr viel zu retten und jetzt, da die Menschen wohl entweder die Bohrinsel abbauen oder sie reparieren werden, ist es zu gefährlich, sich in der Nähe aufzuhalten. Meine Familie ist in unser Winterlager zurückgekehrt.“

Was hieß, dass sie noch ein oder zwei Tage unterwegs sein würden. Vielleicht auch drei – denn sie hatten jüngere Kinder bei sich.
 

„Das klingt beruhigend.“

Viola schlang ihre Arme um Zins Hals und kuschelte sich an ihn. Wie schon so oft drückte sie ihre Nase dabei gegen seine Haut und sog tief den beruhigenden Duft nach Meer, Wind und Mann ein, der Zin so eigen war.

Es beruhigte sie wirklich, das zu hören. Doch noch mehr beruhigte es sie, ihn so halten, ihm so nahe sein zu können. Er war hier und das bedeutete, dass er nicht irgendwo da draußen war und sich irgendwelchen Gefahren aussetzte.

„Und du hast Zeit“, fügte sie gedämpfter hinzu und streichelte nachdenklich über seine Brust.

„Uns wird schon etwas einfallen. Ganz sicher.“

Noch war sie zuversichtlich, obwohl sie keine Ahnung hatte, was sie tun könnten. Doch davon hatte sie sich noch nie abhalten lassen. Und wenn sie diese ganze Bohrinsel höchstpersönlich in die Luft jagen musste. Irgendeine Lösung gab es bestimmt. Nur wäre ihr eine dauerhafte Lösung sehr viel lieber.
 

„Ist es“, meinte Zin knapp und ließ sich noch ein bisschen mehr auf die Wärme ein, die Violas Körper so nah an seinem ihm spendete. Sie war wie ein kleiner Ofen, der da gemütlich auf seinem Schoß saß. Zin bedauerte sehr, dass er im Moment nicht mehr als diese körperliche Wärme empfinden konnte.

Für wärmende Gefühle oder gar ... Hitze, die sich in einer körperlichen Reaktion zeigen würde, war er gerade irgendwie ... nicht zu gebrauchen. Dabei wäre es schön gewesen. Sich mit Viola zu verbinden. Sehr schön sogar.

Zin wurde es etwas leichter um die Brust. Er streichelte Violas Oberarm, hinunter bis zu ihrem Ellenbogen und schließlich ihren Fingern. Er hielt ihre Hand in seiner, bis er einmal tief durchatmete und er sich gerade in seinem Stuhl aufrichtete.

„Und ja, das stimmt. Ich habe ein bisschen Zeit. Zeit, in der ich gerne mehr herausfinden möchte. Über die Bohrinsel, die Firma, der sie gehört und noch ein paar andere Sachen.“ Das wäre zumindest ein guter Anfang. Mehr Informationen halfen weiter. Und verhinderten weitere überstürzte Aktionen, die Zin genauso verabscheute, wie es Viola offensichtlich tat.

„Außerdem möchte ich gern ... Zeit mit dir verbringen.“

Genauso, wie er es vor seinem Weggehen getan hatte. Nur ... anders.

Die Tatsache, dass er dieses Telefongespräch mit Violas Vater verpasst hatte und nicht für sie hatte da sein können, wurmte Zin mehr, als er gerade vor ihr zugeben konnte. Jetzt wollte er es besser machen. Er wollte sich diese wunderbare Frau verdienen, ihr helfen und sie unterstützen. Etwas, das sie schon die ganze Zeit wie selbstverständlich für ihn tat.
 

Das wollte er wirklich? Also so richtig echt und unverfälscht?

Viola sah Zin nicht an, während sie darüber nachdachte, ob sie sich diesem hoffnungsvollen Gefühl in ihrem Bauch hingeben sollte oder nicht. Zin war kein Lügner. Das war er ganz bestimmt nicht. Aber manchmal wusste man selbst nicht, ob man etwas Gesagtes auch später wirklich einhalten konnte.

Für den Moment jedoch wollte sie ihm glauben, dass er Zeit mit ihr verbringen wollte. Es hörte sich so gut an. Tröstend und wiederum auch sehr beruhigend.

Bei ihr konnte ihm nichts passieren. Da war sie sich absolut sicher.

Aber obwohl sie sich innerlich immer mehr zu freuen begann, blieb sie äußerlich ruhig. Es war noch nicht alles in Ordnung und das spürten sie beide wohl sehr deutlich. Darum streichelte sie auch nur ruhig mit ihrem Daumen über seinen Handrücken, während sie durch das Fenster aufs Meer hinaus sah.

„Wir könnten in das einzige Internetcafé gehen, das diese Insel zu bieten hat, um zu recherchieren. Eine wirkungsvollere Methode fällt mir im Augenblick leider nicht ein.“ Sie schloss die Augen, lehnte sich noch mehr an Zin und genoss es einfach, von ihm gehalten zu werden.

30. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

31. Kapitel

Allein in der Küche vermisste Viola Zin bereits und sie konnte nicht umhin, daran zu denken, dass er gerade unter der Dusche war.

Der Ort, dem sie sich eigentlich hatte stellen wollen.

Zumindest wäre es ein Anfang und sie wäre nicht alleine. Nicht, wenn Zin bei ihr war. Wäre es dann vielleicht nicht so schlimm?

Konnte sie ihm denn wirklich ihre Angst vor dem Wasser so deutlich zeigen? Eigentlich war duschen noch nicht so schlimm, wie überall von Wassermassen umgeben zu sein. Daher würde sie vermutlich wie sonst auch, nur wahnsinnig gereizt sein.

Trotzdem.

Sie wollte Zin keine dieser schlechten Eigenschaften von sich zeigen und zugleich war ihr klar, wie viele Seiten er von ihr schon hatte sehen müssen ...

Viola schloss die Kühlschranktür wieder, welche sie schon eine ganze Weile offen gelassen hatte, und machte sich immer noch leicht unentschlossen auf den Weg ins Bad.

Das Rauschen des Wassers war ihr unangenehm und brachte sie langsam aber sicher zum Zittern. Dennoch streifte sie ihren Morgenmantel ab. Wasser würde selbst ihr jetzt gut tun. Schließlich hatte sie ebenfalls gerade eine ausgiebige Runde Sex hinter sich.

Viola musste es einfach rationell sehen. So schlimm war das gar nicht.

Und als sie den Blick hob und Zin in der gläsernen Duschkabine erblickte, schlug ihr Herz aus ganz anderen Gründen schneller.

Eigentlich war sie inzwischen schon an seinen Anblick gewöhnt, da er ständig so nackt herumlief. Doch sie wurde dagegen nicht immun und zugegeben, an ihm sahen die klaren Perlen des Wassers einfach wunderschön aus. Wie sie da seinen Körper hinabflossen und jeden seiner Muskeln betonten.

Scheiße ... sie würde es einfach tun.

Entschlossen trat Viola näher heran und öffnete die Tür der Duschkabine.

„Ist noch Platz?“, fragte sie leise, aber gut verständlich über das Rauschen des Wassers hinweg.

Sämtliche Nackenhärchen standen ihr dabei zu Berge und ihre Muskeln waren verkrampft.

Sie biss die Zähne aufeinander, während sie den feuchten Sprühnebel bereits auf ihrer Haut spüren konnte.
 

Zin stand unter der Dusche und hatte ein leises Summen auf den Lippen. Die dicken Tropfen prasselten auf seine entspannten Muskeln und er schloss immer wieder für längere Momente die Augen. Dabei tauchten Bilder vor seinem inneren Auge auf, die zwar nicht ganz jugendfrei, aber schön anzusehen waren und ihn noch breiter schmunzeln ließen.

Viola war einfach so ... unbeschreiblich. Sie kitzelte Dinge in ihm hervor, die Zin noch nicht einmal für möglich oder vorhanden gehalten hatte.

Blinzelnd und diesmal mit einem durchaus vernehmlichen Summen blickte er auf die Reihe verschiedener Duschgels. Es war nicht unbedingt etwas sehr Männliches dabei. Aber Honig-Milch wäre wohl vertretbar.

Gerade wollte er nach der entsprechenden Flasche greifen, als das Geräusch der sich öffnenden Kabinentür ihn herumriss und er mit leicht ertapptem Blick in Violas Gesicht schaute.

Es dauerte Sekunden, bis er sich aus seiner Überraschung lösen konnte. Und trotzdem hatte sich seine Stimmung schlagartig ins Gegenteil verkehrt. Die Anspannung, die er Viola ansehen konnte, ging ohne Umschweife auf ihn über, seine Kiefer mahlten aufeinander, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. So half er ihr bestimmt nicht. Also streckte er ihr stattdessen seine Hand entgegen und empfing ihren Mut mit einem ehrlichen, warmen Lächeln.

„Natürlich. Für dich ist in meiner Nähe immer Platz.“

Zin war sich nicht sicher, ob sie seine Hand ergreifen oder überhaupt in die Kabine kommen würde. Viola sah eher so aus, als würde sie gleich vor Ekel vor sich auf den gefliesten Boden spucken und wieder verschwinden. Kein Wunder.
 

Viola starrte Zins Hand an und versuchte sich daran zu erinnern, wie viele wunderbare Dinge diese schon an ihr vollbracht hatte und immer noch tun könnte. Es handelte sich hierbei um keine Hand, die ihr schaden wollte. Doch jetzt, nachdem sie wusste, warum sie solche Angst vor Wasser hatte, war es nur dem Umstand zu verdanken, dass es Zins Hand war, der Viola am Ende danach greifen ließ.

Wäre es jemand anderes gewesen, sie hätte niemals diese Hand genommen.

So aber ließ sie sich von Zin in die Dusche führen und schloss die Duschkabinentür hinter sich mit einer solchen Endgültigkeit, als wäre sie nun für immer hier gefangen. Zin hier zu wissen, machte diesen kleinen Kerker durchaus sehr viel erträglicher. Viola schenkte ihm ein flüchtiges wenn auch ein bisschen angespanntes Lächeln.

Sie stand mit dem Hintern an der Fliesenwand gedrückt und somit so weit weg von dem Wasserstrahl, wie es ihr nur in diesem engen Raum möglich war. Doch ihre Hand war immer noch mit Zin verbunden und das Wasser, das darüber rann, machte ihr nicht viel aus.

Nasse Hände war sie gewöhnt. Ein rundum nasser Körper war schon etwas ganz anderes.

Für einen Moment wusste Viola nicht, wie sie ihre Starre lösen konnte. Wie sie sich selbst daran hindern konnte, zu knurren oder ihre Krallen auszufahren oder gar am Ende die Dusche fluchtartig zu verlassen.

Ihr Blick fiel auf die Duschgels, die sie nur für Notzwecke hier stehen hatte, falls sie einmal so verdreckt war, dass ihr gar keine andere Wahl mehr blieb und sie eine Dusche nehmen musste.

Milch und Honig war das Einzige, was sie für Zin noch halbwegs angemessen hielt, da Rose oder Lotus nicht gerade zu ihm passte, also griff sie mit ihrer freien Hand danach und zog ihn dann langsam unter den Wasserstrahl.

Es war besser, erst einmal ihre Hände zu beschäftigen.

Viola sah nicht hoch und fragte Zin auch nicht um Erlaubnis, da sie nicht annahm, es würde ihn gleich umbringen, wenn sie ihm die Brust einseifte.

Und ihr Blick glitt deshalb nicht zu seinen Augen, weil sie befürchtete, sonst das Zittern ihrer Hände nicht lange genug unterdrücken zu können, wenn sie nicht permanent über jede Bewegung wachte.

Also leerte sie eine ausgiebige Menge des wohlduftenden Duschgels auf ihre Handfläche, stellte die Flasche wieder weg und verrieb es zwischen ihre Hände, bis sich ausgiebig Schaum gebildet hatte, ehe sie Zins Oberkörper berührte.

„Ich hab mich die ganze Zeit schon etwas gefragt“, begann sie schließlich in angestrengtem Plauderton, um ihre Kiefer etwas zu entkrampfen.

„Wie ist das eigentlich? Wenn ihr unter Wasser knutscht, habt ihr dann mehr Ausdauer, weil euch der Sauerstoff nicht ausgeht, oder ist es doch ganz anders?“
 

Zin kämpfte eine ganze Weile gegen das übermächtige Gefühl, sie an sich ziehen und sie beschützen zu wollen. Das hätte alles nur noch schlimmer für Viola gemacht. Und das wollte Zin sicher nicht. Sie sah auch jetzt schon angespannt genug aus, wie sie sich da gegen die Wand drückte und bei jedem dickeren Wassertropfen, der sie berührte, fast zusammenzuckte. Zumindest hielt sie seine Hand. Das war schon einmal gut und gab Zin das Gefühl, nicht vollkommen hilflos herumstehen zu müssen. Auch wenn es schlussendlich so sein würde, dass er sie gehen lassen musste, wenn sie es wollte. Er würde sie nicht daran hindern, vor ihren Gespenstern erst einmal noch eine Weile davonzulaufen.

Viola kam allerdings auf ihn zu. Dem Wasser damit einen oder sogar zwei Schritte weiter entgegen. Selbst innerlich vollkommen verkrampft sah Zin ihr aufmerksam dabei zu, wie sie sich Duschgel auf die Hände gab, es aufschäumte und dann so zaghaft seine Brust berührte, als könne sie sich daran verbrühen.

Da kam ihre Frage wirklich vollkommen aus dem Blauen und verwirrte Zin auf eine Art, wie nur Viola es zustande brachte. Er blickte auf sie hinunter, beobachtete ihre Hände, die schüchterne Kreise auf seiner Haut zogen.

„Wir küssen uns nicht besonders oft. Bis jetzt habe ich nur 'geknutscht', wenn es ... Naja, wenn es letztendlich zu mehr geführt hat. Weißt du, alles, was deine Aufmerksamkeit vollkommen von deiner Umgebung abzieht, ist unter Meermenschen nicht sonderlich beliebt. Es ist größtenteils einfach zu gefährlich.“
 

Seine Antwort überraschte sie und lenkte Viola unvermittelt schnell von dem teuflischen Nass ab. Denn einerseits verspürte sie sofort den giftigen Stich der Eifersucht, als er auch nur erwähnte, dass es da andere Frauen gegeben hatte. Andererseits musste sie sich ernsthaft daran hindern, ihn zu fragen, wie viele denn da schon vor ihr gewesen waren.

Es war nicht so, als würde es sie nicht brennend interessieren. Aber da war die Tatsache, dass sie dann eventuell auch eine Antwort auf die Frage nach ihren bisherigen 'Bekanntschaften' hätte geben müssen und natürlich würde eine mögliche Antwort von Zin ihre Eifersucht erst recht noch ein bisschen in die Höhe schießen lassen.

Darum schluckte Viola diese eine Frage hinunter und begann wieder ihre Hände über seine Haut streichen zu lassen, da sie während ihrer Überlegungen vollkommen zum Stillstand gekommen waren.

Wieder wollte ihr die Nähe des Wassers nur zu bewusst werden, also ergriff sie erneut den Faden des Gesprächs.

„Das ist irgendwie ... traurig. Ungewohnt für mich, wenn man bedenkt ...“

Viola hielt noch einmal inne, während sie sich ihre Worte wohl überlegte und schließlich doch langsam zu Zin hochsah, um in seine Augen blicken zu können.

„Wenn man bedenkt, dass Gestaltwandler meiner Art ziemlich ... berührungshungrig sind. Aber du hast sicher recht. Im Meer lauern viele Gefahren und hier an Land kann man in den meisten Fällen nur von unfreiwilligen Beobachtern erwischt werden.“

Als Viola daran denken musste, wie sie Zin bisweilen regelrecht überfallen hatte, begann ihr Herz noch mehr zu klopfen.

„Gibt es denn sonst noch Unterschiede zu ... meinem Verhalten und dem ... was du gewöhnt bist?“
 

Gleichzeitig jede ihrer Bewegungen, die Anspannung in ihren Muskeln und ihren verkrampften Körper mitzubekommen und auch noch auf ihre Fragen mit einigermaßen wenig Reaktionszeit zu antworten, war ein Kunststück. Noch dazu, wenn es so seltsame Fragen waren.

Zin hörte andererseits auch zu, denn es war das erste Mal, dass Viola ihm ein bisschen ihre Sicht auf so manche Dinge eröffnete.

Ihre zweite Seite hatte er kennengelernt. Zwar nur kurz, aber sie hatte die Courage besessen, sich vor ihm zu wandeln. Es konnte nur gut sein, wenn sie ihm auch davon erzählte. Außerdem interessierte es ihn brennend.

„Ich würde es nicht unbedingt 'traurig' nennen. Es hat seinen Sinn und damit lernt man, umzugehen. Natürlich habe ich es lieber, wenn –“.

Er riss sich noch in der angedeuteten Bewegung zurück und blieb wie angewurzelt weiter vor Viola stehen, deren Blick sich sofort verändert hatte. Er durfte nicht so unvorbereitet auf sie zugehen. Von einer Umarmung ganz zu schweigen! Einfach weiter erzählen. Das war das Sicherste.

„Ich habe es lieber, wenn ich meine Gefühle auch ausleben darf. Wenn ich dich küssen und streicheln darf, wenn mir danach ist. Dieses Bedürfnis blüht gerade richtig in mir auf. Es scheint größer zu werden, seit ich dich kenne.“

Diesmal war sein Lächeln unangestrengt und voller Emotionen.

„Und willst du die Unterschiede denn wirklich alle wissen? Da wären wir heute Abend noch nicht fertig.“

Er legte seine Hand vorsichtig auf ihren Oberarm. Wirklich ganz sanft und vorsichtig ...

„Du bist für mich absolut besonders. Manchmal weiß ich überhaupt nicht, wie ich mit all der Überraschung umgehen soll. Aber das macht es ja gerade spannend.

Bin ich denn ... anders?“
 

Viola musste sich dazu zwingen, ihre Hände nicht erneut zu verkrampfen. Es kam ihr verdammt beengend in dieser Nasszelle vor, aber das Gespräch lenkte sie gut ab.

Es ließ sie die Feuchtigkeit ertragen, die sich trotz der Tatsache, dass sie nicht direkt unter dem Wasserstrahl stand, bereits überall erreicht hatte.

Dass Zin so offen und ehrlich zu ihr war, war dieses Mal für sie eine Überraschung. Eigentlich war sie es nicht gewöhnt, mit Männern über offene und vor allem auch ehrliche Dinge zu sprechen. Frau tat mit ihnen, was ihr bisweilen gefiel und das war es bisher auch schon gewesen. Tiefschürfende Gespräche mit Männern hatten bisher sicher nicht auf ihrer Tagesordnung gestanden.

Viola wagte sich etwas weiter nach vorn. Nicht viel. Nur ein paar Zentimeter, doch sie spürte vereinzelte Wasserspritzer, die von Zins Körper abprallten, während sie über seine Seiten streichelte und sich dabei wieder auf ihre Hände konzentrierte.

„Und ich hatte schon befürchtet, ich könne dich mit meinem Verhalten verschrecken“, gab sie schließlich ehrlich zu.

Nur mühsam gelang es ihr dabei, doch hoch und in seine Augen zu sehen.

„Und du bist vollkommen anders. Aber im positiven Sinne. Du weißt, was ich bin. Ich muss mich vor dir nicht verstecken. Ich kann in deiner Nähe ich selbst sein und bisher hast du auch meine Gefühlsausbrüche ertragen. Außerdem ...“

Viola ließ ihren Blick wieder an ihm hinabgleiten. Der Linie zwischen seinen Bauchmuskeln folgend, an seinem Nabel vorbei in tiefere Regionen.

„Ich finde dich sogar verdammt faszinierend.“

Sie grinste ein klein wenig und ließ ihren Zeigefinger eben jene unsichtbare Linie nachzeichnen, der ihre Augen vorhin gefolgt waren.

Ja, es stimmte. Zin war anders gebaut, als all ihre bisherigen Männer, aber das war nicht schlecht.

Eigentlich mochte sie seine Statur sogar sehr. Einmal von seiner Hautfalte abgesehen, gab es nichts, was sich an ihm verstecken konnte. Kein Härchen. Nur glatte, seidig weiche Haut, die sich unter der Nässe des Wassers irgendwie noch besser anfühlte.

Viola wurde wieder ernst, als sie noch ein Stückchen näher rutschte und sie somit viele Wasserspritzer abbekam, die ihren ganzen Körper zusammenkrampfen wollten. Doch sie ließ es nicht zu. Sondern zwang sich stattdessen, sich noch mehr auf das Gespräch zu konzentrieren.

„Zin? Was ist mit euren Frauen?“

Ihre Stimme wurde noch ernster und ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, weil ihr die nächsten Fragen, etwas peinlich waren. Aber ... wenn sie hier schon so offen und ehrlich waren, sollte sie sich lieber erkundigen, was Zin alles wusste und worüber sie ihn über ihre Art noch aufklären musste.

Es würde schließlich nicht mehr lange dauern – vielleicht nur noch zwei Wochen oder so und er würde Seiten an ihr kennenlernen, die ihr selbst noch sehr unvertraut waren.

„Verhalten sie sich anders, wenn sie ...“

Viola schluckte und holte einmal kräftig Luft, wobei ein ganzer Schwall an Feuchtigkeit die Lungen zu überziehen schien, was diesen merkwürdigerweise überhaupt nichts ausmachte.

„... fruchtbar sind?“
 

Er betrachtete nicht gerade verstohlen, wie Violas Blick an ihm hinabglitt und sie ihm wenig später mit ihrem Finger folgte. Es war erstaunlich leicht, mit ihr über diese Dinge zu sprechen. Ganz offen und ehrlich. Ohne versteckte Hintergedanken oder dass Peinlichkeit im Raum schwebte.

Was Zin wieder etwas aus dem Konzept brachte, war die Frage nach den Frauen seiner Art. Eine seiner Brauen hob sich daraufhin und er überlegte eine Weile, was Viola damit meinen könnte. Steckte mehr dahinter?

„Ich weiß nicht genau, was du meinst“, begann er langsam, wollte aber doch das Gespräch am Laufen halten und Viola so gut er konnte, die Frage beantworten.

„Es kommt darauf an, ob sie darauf aus sind, befruchtet zu werden oder nicht. Allerdings sind das die meisten erst, wenn sie sowieso in festen Händen sind. Dann sind sie etwas ... hungriger, was Sex angeht. Aber am Grundsätzlichen ändert sich nichts.“

War das, was sie hatte wissen wollen? Zin wusste es ja selbst nicht genau. Er hatte nie mit einer Frau Sex gehabt, die ein Kind von ihm wollte. So weit war er noch nie gewesen. Und das war auch gut so. Er hatte sich nie bereit gefühlt, Vater zu werden.

Sein Daumen hatte während des Nachdenkens angefangen, kleine Kreise auf Violas Oberarm zu ziehen. War sie tatsächlich noch ein Stück näher gekommen? Er war stolz auf sie. Schon jetzt.
 

Violas Finger hielt dicht über Zins Bauchnabel inne, während ihre andere Hand inzwischen relativ locker auf seiner Hüfte lag, ohne große Zeichen von Anspannung zu zeigen. Vor allem fühlte es sich gut an, wie er sie sachte streichelte.

Seine Antwort enthüllte dann aber doch mehr, als sie erwartet hätte.

Überrascht sah sie zu ihm auf.

„Wenn ich dich richtig verstanden habe, können eure Frauen entscheiden, wann sie fruchtbar sind und wann nicht?“

Verdammt beneidenswert!
 

Oh man ... sah sie süß aus, wenn sie überrascht war.

Zin lachte sich innerlich selbst für diese Erkenntnis aus, ließ aber nur ein weiteres Schmunzeln um seine Lippen spielen, bevor er nickte.

„Ja. Es ist nicht so, wie du dir das dachtest. Wir schwimmen nicht über die Gelege unserer Weibchen und geben unser Sperma auf gut Glück ab.“

Er neckte sie ein bisschen, lächelte dann aber und war wieder für Sekundenbruchteile kurz davor, sich zu ihr hinunterzubeugen, um sie auf die Lippen zu küssen.

„Ist es denn nicht ... deine Entscheidung, ob du schwanger wirst oder nicht?“, wollte Zin nun doch wissen. War es das, worauf sie hinaus wollte?

Ihm wurde heiß in seiner Haut, als ihm ein Licht aufzugehen drohte.
 

Sie musste ein bisschen lächeln, als er ihr noch einmal ihre naive Vorstellung mit dem Eigelege vorlegte, aber bei seiner nächsten Frage, wurde sie wieder etwas ernster. Wenn auch nicht zugeknöpft oder so ernst, als hätte sie einen Stock verschluckt, wie es so gerne ein paar ihrer Lehrerinnen in ihrer Nähe gewesen waren.

„Also im weitesten Sinne ist es natürlich meine Entscheidung, ob ich schwanger werden will oder nicht. Aber das ist fast gleich zu setzen mit: Ob ich Sex haben will oder nicht.“

Viola nahm ihren Finger von Zins Bauch und legte ihre Hand stattdessen auf seine Schulter, wodurch sie noch ein bisschen näher rücken musste, um es bequem zu haben.

Sofern man bei den Wassermassen, die da ihre eigene Schulter trafen, von bequem ausgehen konnte.

„Ich weiß nicht, wie viel du dich in der Menschenwelt umgehört hast, aber ich geh mal von totaler Unkenntnis in diesem Gebiet aus, okay?“

Es war ihr zwar immer noch bis zu einem gewissen Grad peinlich, weil sie sich gerade so vorkam, als würde sie Zin über Dinge aufklären, die in ihrer Welt schon zum Alltag gehörten und somit jeder Teenie spätestens mit Beginn der Pubertät wusste, aber ihr war natürlich klar, dass er es nicht wissen konnte. Nicht, wenn die Frauen seiner Art sich so sehr von ihrer eigenen unterschieden. Außerdem meinte sie es ja auch nicht böse, was seine Unwissenheit anging.

„Du sagst, dass eure Frauen kontrollieren können, wann sie fruchtbar sind und wann nicht. Das ist bei den Menschen und auch bei meiner Gestaltwandlerart nicht der Fall. Wie bei den Menschen werde ich einmal im Monat das ganze Jahr über fruchtbar. Menschen kriegen das in den meisten Fällen nicht einmal mit. Bei mir wird das ... Auswirkungen haben. Charakterliche ...“

Sie gab es nur ungern zu.

„Weißt du, was die Pille ist oder das Kondom? Oder, dass ... menschliche Frauen jeweils nach dieser fruchtbaren Phase eine Weile bluten?“

Viola war unmerklich von selbst so nahe an Zin herangetreten, dass ihre Brüste seinen Brustkorb berührten und der Wasserstrahl ihr zum Teil Feuchtigkeit ins Gesicht nieselte und ihr Haar durchnässte, doch sie war gerade so gefangen von dem Thema 'Aufklärung', dass sie es nur am Rande als nervige Sache bemerkte.
 

Er konnte zu alledem nur immer wieder den Kopf schütteln oder nicken. Das hieß also, dass Viola schwanger werden konnte, außer sie entschied sich zur Enthaltsamkeit? Wow, das war ... hart. Aber hieß das dann, dass sie ... Nein! Dass sie von ihm schwanger werden wollte, schloss Zin vollkommen aus. Warum sollte sie das? Es schien ja wohl so zu sein, dass sie nur zu einer bestimmten Zeit im Monat schwanger werden konnte. Oder hatte er das falsch verstanden?

„Heißt das, du kannst schwanger werden, wenn du ... mit einem Mann Sex hast? Immer?“

Er wagte nicht zu fragen, ob sie von ihm schwanger sein könnte. Das schloss Zin kategorisch wegen ihres Artunterschieds aus. Das würde einfach nicht funktionieren, sowie Hunde und Katzen keine gemeinsamen, lebensfähigen Nachkommen produzieren konnten.
 

„Nein, nicht immer. Nur während der fruchtbaren Phase. Also ein paar Tage vor und während des Eisprungs. Ich glaub, auch noch ein Tag oder so nach dem Eisprung. Also ungefähr ... vier bis fünf Tage, glaube ich.“

Sie zuckte mit den Schultern. Sie wusste es wirklich nicht. Aber wenn wirklich das zutraf, was sie schon bald befürchten musste, dann würde sie es mit Sicherheit wissen.

„Das sind dann die fruchtbaren Tage. Die kritischen Tage würde ich sagen, weil ich dann gemäß meiner Natur. ..“

Viola holte einmal tief Luft und ließ es dann einfach raus.

„Also gemäß meiner Gestaltwandlernatur mutiere ich während meiner fruchtbaren Tage zu einer wahren Sexsüchtigen. Immer in der Aussicht, so viel Sex wie möglich zu haben, um damit die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung zu erhöhen und somit meine Art zu erhalten. Hat was mit den animalischen Trieben meiner zweiten Natur zu tun, die Menschen kaum oder gar nicht mehr so deutlich spüren, wie wir.

Bisher war das für mich kein Problem, weil ich die Pille nahm. Die Pille ist ein Hormonpräparat, das meinen Eisprung jeden Monat verhindert hat. Da ich aber dann ziemlich starke Schmerzen während meiner Tage hatte – also den Tagen, an denen sich meine Gebärmutterschleimhaut abbaut und ich bluten muss – hat mir ... mein Arzt geraten, das Präparat nicht mehr zu nehmen.

Ursprünglich nahm ich es, weil ich mich in meiner Pubertät wegen meines Eisprungs kaum im Griff hatte. Jetzt muss ich mich ... nach Möglichkeit an schwangerschaftsverhütende Barrieremethoden halten. Und da ich keine Lust habe, mir von meinem Arzt ein Diaphragma oder Femidom anfertigen zu lassen, wird das mit Garantie ein Kondom sein und bisher haben wir beide deshalb nicht verhütet, weil ich sehr genau wissen werde, wann es sein muss.“

Punkt.

Jetzt war es raus, und wenn Zin auch nur die Hälfte von dem verstanden hatte, was sie ihm da gerade heruntergeleiert hatte, war er wirklich bemerkenswert gut. Wenn nicht, war das auch kein Problem. Sie würde es ihm sicher noch einmal erklären. Aber es einmal heraus zu haben, war wichtig gewesen. Normalerweise sprach sie nur mit Tess über solche Dinge und das natürlich sehr stark eingeschränkt. Von ihrem Hunger nach Sex während ihrer Triebigkeit konnte sie ihrer Freundin wohl kaum berichten.
 

Zin hoffte bloß, dass seine Augen nicht so groß wie Untertassen geworden waren, während er Viola zugehört und versucht hatte, zumindest den Großteil dessen zu verstehen, was sie ihm da gegen den Kopf warf.

Jetzt stand er da, wusste nicht, was er dazu sagen sollte und wirkte bestimmt wie ein Mittelding aus einem Holzklotz und einem Vollidioten.

Aber was genau sollte er denn sagen? Was wollte Viola denn von ihm hören?

Sie würde noch mehr Lust auf Sex bekommen und scheinbar wollte sie Zin verständlich machen, dass sie verhüten wollte, wenn es so weit war.

„Denkst du denn, dass es zwischen uns beiden gefährlich werden könnte?“, wollte er wissen, während er inzwischen mit der flachen Hand über Violas Rücken streichelte. Es war ein großes Entgegenkommen, dass sie so nah unter der Dusche bei ihm stand.

Wasser lief von seinem Körper über ihren. Zin versuchte, sie nicht darauf aufmerksam zu machen. Es würde vermutlich schwierig genug werden, wenn sie es selbst bewusst mitbekam.

„Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass du ... dass wir ein Kind zeugen könnten.“ Das hörte sich vielleicht etwas seltsam und sehr direkt an. Aber es war nun einmal so.

„Was nicht heißt, dass ich es riskieren würde. Aber ... naja, wir sind nicht von der gleichen Art.“
 

„Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht“, meinte Viola sehr viel leiser und gedämpfter, nachdem sie über Zins Worte nachgedacht hatte.

Allein die Vorstellung, sie könnte einmal Mutter werden, behagte ihr nicht. Aber schlimmer wäre es vielleicht noch, wenn es doch irgendwie möglich wäre, obwohl sie so unterschiedlich waren und das kleine Wesen dann ... nicht vollkommen war. Dieser Gedanke ließ sie schaudern und sich schließlich an Zins Brust kuscheln, obwohl ihr nun das Wasser ganz über den Kopf, aber nicht über das Gesicht lief. Sie hielt ihn ganz fest umschlungen und selbst das Wasser konnte sie nicht davon abhalten.

„Fest steht nur, dass ich nicht einmal eine Fehlgeburt oder dergleichen riskieren möchte und du dann mit meinem Verhalten während meiner fruchtbaren Zeit zurechtkommen musst. Ohne Sex würde ich vermutlich durchdrehen. Aber wenn es schon sein muss, dann ... will ich nur mit dir da durch.“
 

Zart und zurückhaltend legte sich Zins Hand in Violas Nacken, streichelte ihre nassen Haare, während sein anderer Arm sich sanft um ihre Hüfte schlang. Nein, er wollte auch nicht, dass sie irgendetwas riskierten. Allein die Vorstellung, dass er Viola schaden oder sie durch eine weitere seelische Tortur jagen könnte, behagte Zin gar nicht. Es sollte ihr gut gehen.

„Dann machen wir, was wir machen müssen, um sicherzugehen. Das bekommen wir schon hin.“

Er küsste ihren Scheitel und ignorierte das Gefühl in seinem Herzen. Er wusste sehr genau, dass er keine Ahnung hatte, worauf er sich da genau einließ. Es konnte so Einiges heißen, dass Viola es ohne Sex nicht aushalten würde. Vielleicht kam es so weit, dass sie ihre zweite Seite nicht mehr unter Kontrolle hatte ...

Zin unterdrückte ein Seufzen und versuchte sich nicht auszumalen, was das bedeuten konnte. Die paar Kratzer auf seiner Schulter waren kaum zu spüren, aber ... das wäre anders, hätten sich echte Raubkatzenkrallen dort hineingebohrt.
 

Diese Zuversicht aus Zins Mund zu hören, war auf eine seltsame Art sehr tröstlich. Er wusste zwar nicht, worauf er sich da einließ – zumindest glaubte Viola das nicht – aber er zog sich auch nicht im Vorfeld zurück.

Mut hatte der Mann. Das musste man ihm lassen und das hatte sie auch schon vorher gewusst.

Vielleicht war es gerade dieser Mut, der sie selbst weniger Angst vor dem Wasser haben ließ, das da ihren Körper hinabfloss. Vielleicht war es auch der starke Körper, an dem sie sich dabei festhalten konnte und von dem sie keinen Schaden befürchten musste, der sie das hier immer besser durchstehen ließ.

Wie es mit einem Bad in der Badewanne oder einem im Meer aussah, war eine andere Sache. Aber dieses auf sie herab plätschernde Wasser war weit weniger gefährlich, solange er bei ihr war.

Da Viola nicht wusste, was sie noch sagen konnte, zog sie sich ein kleines Stück zurück und griff nach einem Shampoo. So leicht, wie man es unter der Dusche konnte, würde sie sonst nirgends die Haare waschen können. Ansonsten musste sie immer umständlich über dem Rand der Badewanne hängen, um sich die Haare zu waschen. Warum nicht gleich jetzt, wo sie es schon unter die Dusche geschafft hatte?

„Willst du mir dabei helfen?“, fragte Viola sehr viel ruhiger, als noch in den ersten Augenblicken, als ihr die Duschkabine fast schon klaustrophobischklein vorgekommen war.
 

Diese Frau war wirklich einfach unglaublich. Anders konnte und würde Zin es nie beschreiben können. Gerade vor ein paar Minuten hatte sie noch so zerbrechlich und eingeschüchtert gewirkt, dass er sie am liebsten in Watte gepackt hätte. Aber jetzt ... war das fast vollständig wie weggeblasen. Nein, eigentlich keineswegs vollständig. Dafür war die Anspannung immer noch zu deutlich greifbar in der kleinen Kabine. Aber im Gegensatz zu vorher war es ein riesiger Fortschritt. Und das freute Zin so sehr, dass man es seinen strahlend grauen Augen ansehen konnte.

„Sicher. Wenn du mir das zutraust“, meinte er lächelnd und nahm Viola die Shampooflasche ab.

„Wie viel brauchen wir denn?“ Zin hielt ihr seinen Handteller hin und gab so lange Shampoo darauf, bis Viola ihm bedeutete, es sei genug. Dann stellte er die Flasche weg, schäumte das Shampoo zwischen seinen Händen auf und begann es von Violas Scheitel bis zu ihren Haarspitzen hinunter zu verteilen.
 

Eine gewisse Anspannung in ihrem Bauch würde sie wohl noch für sehr lange Zeit nicht verlieren, aber Zins massierende Hände in ihrem Haar, lösten viele Stellen in ihren verkrampften Muskeln, bis sie sich vollständig gegen ihn lehnte, ihre Lippen auf seine Schulter drückte und einmal sogar einen wohligen Laut von sich gab, der in ihrer anderen Form ein Schnurren gewesen wäre.

Nach einer Weile griff sie noch einmal nach dem Duschgel, um sich gründlich waschen zu können und da sie das so dicht an Zin machte, brauchte es nicht viel, um ihn gleich mit einzuseifen.

Manchmal fanden dabei ihre Lippen zu seinem Hals und auch zu seinem Mund.

Die Küsse lenkten sie von dem nassen Alptraum ab und verwandelten ihn zumindest in nichts absolut Beängstigendes mehr.

Sie hatte nicht mehr das Bedürfnis zu knurren, zu fauchen und um sich zu schlagen und ihre Nackenhärchen standen ihr mittlerweile wegen ganz anderen Dingen zu Berge. Viola ertrug es zwar immer noch nicht, wenn das Wasser über ihr Gesicht lief und sie musste es jedes Mal rasch fortwischen, wenn es doch einmal passierte, aber es ging. Es endete nicht in einer Katastrophe und dafür war sie Zin so unglaublich dankbar, dass sie sich mit einem riesigen Frühstück bei ihm dafür revanchierte, als sie beide wieder halbwegs trocken gelegt waren.

32. Kapitel

Zin hatte einen Fuß unter den Esstisch gestreckt und den anderen lässig unter seinem Stuhl platziert. Einmal wieder trug er bunte Shorts, von denen er gar nicht wissen wollte, wem sie ursprünglich gehört hatten. Irgendeinem Ex von Viola, den sie hoffentlich schon vergessen hatte.

Zin stand über dieser Tatsache. Immerhin dachte er selbst kaum an die Frauen, die einmal eine Rolle in seinem Privatleben gespielt hatten. Mal von seiner Familie abgesehen. Und Aya ...

„Wir sollten uns einmal ins Internetcafé setzen und dort Nachforschungen über diese Bohrinsel anstellen ...“

Viola riss ihn – natürlich – sehr nachhaltig wieder aus seinen Gedanken.

„Internetcafé? Bekommt man dort tatsächlich Kaffee und Internet oder ist das wieder so ein Verwirrungsding?“

So etwas gab es öfter einmal bei den Menschen. Deshalb fragte Zin lieber nach.

„Vom Internet habe ich nur gehört und gelesen. Das ist so etwas wie ein elektronisches Netzwerk, richtig?“

Was ihn weiterhin interessierte: Wie sollten sie im Internet herausfinden, wie sie etwas gegen die Bohrinsel unternehmen konnten?
 

„Wenn du währenddessen einen Kaffee willst, kann ich dir sicher einen besorgen.“ Viola lächelte Zin über den Tisch hinweg an und nahm selbst einen Schluck von ihrem eigenen Kaffee.

„Ja, es ist ein Netzwerk, aber du kannst es auch wie eine riesige Bibliothek sehen, die vollgestopft mit Daten ist. Es gibt so gut wie nichts, was man im Netz nicht finden kann und selbst wenn es nur Informationen sind, wie zum Beispiel so eine Bohrinsel aufgebaut ist. Ich würde mich aber mehr an die Umweltsparte halten. Es gibt Organisationen wie der WWF oder Greenpeace, die sich für die Erhaltung der Natur und der Arten einsetzen. Vielleicht gibt es irgendeine Gesetzesregelung, gegen die diese Leute auf der Bohrinsel verstoßen. Zumindest sollten wir es einmal mit dem legalen Weg versuchen.“

Zudem wollte sie nicht noch mehr Opfer riskieren, weshalb ihr dieser Weg vorerst sicherer erschien. Ob er in einer Sackgasse endete, war eine andere Sache.
 

Mit einem leisen Klackern legte Zin das Messer aus der Hand und richtete es auf der Tischplatte genau zur Mitte hin aus. Dabei blickte er so konzentriert auf das Besteck, wie es das Metall nicht verdient hatte. Eigentlich sah er es auch gar nicht. Sein Blick war wieder auf Bilder aus jener Nacht gerichtet. Die Nacht, die ihn zu einem Anderen gemacht hatte. Zumindest ... hatte er das für eine Zeit lang gedacht. Und Zin war immer noch nicht vollständig sicher, dass es nicht so war.

„Das hört sich vielversprechend an.“

Es klang ein bisschen matt und er setzte sich mit geraderem Rücken auf seinen Stuhl, um sich nicht so gehen zu lassen. Es war vorbei, er hatte es getan. Daran konnte er jetzt nichts mehr ändern.

„Ist es schwierig, dort hinzukommen? In das Internetcafé?“

Und wie teuer war es, das Internet zu benutzen? Bei Menschen gab es nie etwas kostenlos. Und Zin hatte kein Geld. Was er Viola auch mitteilte.
 

„Nein, gar nicht.“

Viola nahm ein Wurstblättchen und warf es Flocke hin, die gerade um ihre Beine schlich.

„Es liegt sogar ein bisschen außerhalb der Stadt entlang der Strandpromenade, weshalb wir uns auch nicht mehr mit dem Asphalthorror abgeben müssen.“

Womit sie ihren letzten Supermarktbesuch meinte, der auch für sie nicht sehr angenehm gewesen war.

„Die Schwierigkeit des Internets ist für mich meist nur die, dass ich unter all diesen Daten und Fakten, lange brauche, um wirklich etwas Brauchbares herauszufiltern. Aber vielleicht hast du ja mehr Glück. Das ist der Nachteil an diesem ganzen Wissensschatz. Vieles führt in eine Sackgasse, aber ich denke, wenn wir uns dahinter klemmen, werden wir trotzdem etwas Brauchbares finden und man hat dort auch seine Ruhe, da die einzelnen Monitore weit von den anderen entfernt stehen, um eine gewisse Privatsphäre zu wahren.“
 

„Okay.“

Das war für eine Weile alles, was er sagte, während er weiter Löcher in die Tischplatte zu starren versuchte. Eigentlich war es gut, dass sie etwas tun würden. Das hätte ihn motivieren und von diesem Stuhl katapultieren sollen. Zin hätte voller Tatendrang sein sollen, aber irgendwie ... war er das ganz und gar nicht. Eher im Gegenteil fühlte er sich leer und verbraucht. So, als wäre seine Energie auf einmal vollkommen aus ihm gesogen. Und er konnte sich auch ansatzweise vorstellen, woran das lag.

Es änderte aber nichts.

„Dann sollten wir das bald in Angriff nehmen.“

Sein Rücken meldete sich mit einem dumpfen, unangenehmen Gefühl, als er aufstand und ohne Viola anzublicken den Tisch abräumte. Er wollte nur seine Hände beschäftigen, während sein Hirn auf Hochtouren lief. Etwas, das er wohl nicht verhindern konnte. Egal, wie sehr er es auch wollte.
 

Viola erwiderte nichts, nachdem Zin aufgestanden war, sondern hielt weiterhin ihren Kaffeebecher in der Hand und beobachtete ihn stillschweigend sehr genau dabei, wie er den Tisch abräumte.

Sie war es inzwischen gewöhnt, dass Zin ihr im Haushalt half, obwohl sie es immer noch nicht als Selbstverständlichkeit ansah und hoffentlich auch nie so sehen würde. Sie schätzte es schließlich sehr. Doch im Moment beschäftigte sie eher die Stimmung, die so plötzlich im Raum hing und für ihre zweite Natur genauso deutlich, wahrzunehmen war, als könnte man sie anfassen.

Als Zin den Tisch schließlich fertig abgeräumt hatte und offenbar auch noch dazu ansetzte, das schmutzige Geschirr in Angriff zu nehmen, ließ Viola ihren Kaffeebecher stehen und stand auf, um Zin an der Hand zu nehmen und ihn zu sich herumzudrehen.

„Wir können gleich nachher los, wenn du das willst. Aber wirklich nur dann, wenn du es möchtest. Es ist ja schließlich nur ein Vorschlag. Wenn du etwas anderes tun möchtest, ist das auch okay.“
 

Zin wandte sich um, als Viola seine Hand ergriff. Am liebsten hätte er über ihre Feinfühligkeit geseufzt, aber er brachte nur ein ergebenes Kopfschütteln zustande.

„Viola es ist ...“

Sein Blick war auf den Boden gesunken, ohne dass Zin es wirklich bemerkt hätte. Erst jetzt, als er ihr wirklich antworten wollte, fiel ihm auf, dass er Viola nicht mehr ins Gesicht sah. Das korrigierte er mit schmerzhaft klopfendem Herzen und fasste ihre Hand ein bisschen fester.

„Es ist nicht so, dass ich dir nicht dankbar für den Vorschlag bin. Und ich weiß auch, dass ich etwas tun muss. Wo ich anfange, ist eigentlich egal. Es ist sogar ein sehr guter Anfang, das mit dem Internet.“

Sein Daumen streichelte ihren Handrücken.

„Es gibt nur das Problem, dass ...“

Diesmal gelangte das Seufzen nach draußen.

„Ich will nicht. Doch, ich will schon, aber nicht ...“

Er wischte sich in einer fahrigen Geste mit der freien Hand übers Gesicht und kniff sich in die Nasenwurzel.

„Ich will, dass es vorbei ist. So bald wie möglich. Ich will nicht, dass es noch mehr Tote gibt. Und dass ...“

Seine Schultern fielen herunter und ein Gewicht legte sich so deutlich darauf, dass Zin es fast nicht aushielt.

Er wollte ungeschehen machen, was er getan hatte. Und keinesfalls ... wollte er riskieren, so etwas noch einmal tun zu müssen.
 

Sie konnte ihn verstehen. Ja, das konnte sie wirklich.

Aber gerade deshalb war es nicht leicht, ihm dabei zuzusehen, wie ihn das alles quälte.

Viola nahm auch Zins andere Hand in die ihre, streichelte mit den Daumen über seine Handrücken und sah mit sanftem, zärtlichen Blick zu ihm auf, während selbst ihre Stimme, diese Gefühle übertrugen.

„Zin, ist deine Familie im Augenblick in Sicherheit? Werden sie nicht noch einmal etwas riskieren, sondern vorerst auch in Sicherheit bleiben? Wenn ja, dann haben wir Zeit. Vielleicht nicht allzu lange, aber wir haben Zeit, eine andere Lösung zu finden. Eine bessere. Eine die keinem mehr den Tod bringt. Und obwohl selbst ich manchmal das Vertrauen in die Menschheit verliere, so gibt es doch auch gute Menschen.“

Sanft strich sie ihm über die Wange und lehnte sich dabei gegen ihn.

Berührungen halfen ihr selbst immer enorm. Ob es ihm ebenso ging, musste sie erst noch herausfinden, aber momentan fiel ihr einfach kein besserer Trost ein.

„Nicht alle werden mit dieser Bohrung einverstanden sein und ... ich denke, uns fehlen momentan einfach nur die nötigen Informationen. Es wird eine Lösung geben und die werden wir finden. Vielleicht nicht heute. Vielleicht auch nicht morgen, aber ich bin sicher nicht bereit, einfach aufzugeben und ich weiß, dass du das auch nicht wirst.“ Da war sie sich einfach vollkommen sicher.

„Ich bleibe bei dir, okay? Wir stehen das durch. Noch einmal lass ich dich nicht einfach ins Ungewisse davonschwimmen.“

Garantiert nie wieder!
 

Es tat gut, seine Arme um sie schließen zu können. Vorhin – unter der Dusche – hatte er sich zurückhalten müssen. Aber jetzt durfte er sie wieder an sich ziehen, über ihren Rücken streicheln und seine Nase in ihrem duftenden Haar vergraben.

Zin ließ seine Augen offen, starrte weiter Löcher in die Luft, während er sich bei jedem Atemzug mehr entspannte. Ihm war bis jetzt gar nicht klar gewesen, dass er sich verspannt hatte.

„Danke, Viola.“

Seine Lippen drückten sich kurz in ihr Haar. Ein kleiner Kuss. Vorsichtig, aber nicht so zurückhaltend, wie noch vorhin.

„Ich bin wirklich froh darüber, dass du mir helfen willst. Wirklich.“

Noch ein Kuss. Er hob vorsichtig ihr Kinn an, legte seine Lippen auf ihre ...

„Und ja, sie sind in Sicherheit. Inzwischen weit fort von hier. Und so, wie uns die letzte Aktion alle mitgenommen hat, hoffe ich doch, dass sie nichts weiter unternehmen werden.“
 

„Das hoffe ich auch.“

Viola schlang ihre Arme um Zin, strich mit ihren Händen über die Haut an seinem Rücken, berührte seinen Mund mit ihren Lippen und gab ihm einfach den Halt, den auch er ihr spendete.

Wann genau es passiert war, dass er ihr so viel bedeutete, wusste sie nicht.

Sie wusste nur, dass es sich absolut richtig anfühlte.
 

***
 

„So, hier bitte schön. Ist zwar kein Kaffee, da ich dir lieber etwas Besseres bringen wollte, aber ich denke, heiße Schokolade mit Marshmallows tut es auch.“

Viola stellte den großen Pappbecher mit dem Plastikdeckel neben dem Bildschirm auf den Tisch und setzte sich auf den zweiten Sessel, den Zin bereits für sie reserviert hatte.

Als Platzhalter war er schon einmal sehr gut geeignet und natürlich auch noch in vielen anderen Dingen sehr talentiert.

Sie selbst nippte erst einmal an ihrem Getränk, ehe sie sich dem Bildschirm und der Tastatur zuwandte.

Viola war vielleicht kein Computergenie, aber da Zin sicher noch weniger Kenntnisse als sie mit diesen Dingern hatte, würde sie die Führung übernehmen.

„Also, ich würde vorschlagen, wir versuchen es erst einmal mit Hilfsorganisationen, die sich mit Naturschutz beschäftigen. Greenpeace sind für mich die Bekanntesten.“ Weshalb sie deren Adresse auch auf gut Glück in der Adressleiste eingab und auch sofort auf die richtige Seite verwiesen wurde.

Gespannt darauf, was sie erwarten würde, konzentrierte sie sich auf die Bilder und Texte der Website und scrollte die Themenliste hinunter.

Dass diese Organisation sich mit so vielen Dingen beschäftigte, hatte sie bei weitem nicht gewusst. Umso zuversichtlicher war sie, irgendetwas Nützliches finden zu können und ging einfach unter das Themengebiet 'Meere + Wale'.
 

Zin dankte Viola für das Heißgetränk, hielt es aber erst einmal nur mit einer Hand fest, während er beobachtete, wie seine Begleiterin das Internet bediente. Er selbst hätte das nicht gekonnt. Was nicht etwa daran lag, dass er noch nie einen Computer bedient hatte. Das kam zwar erschwerend hinzu, aber war nicht das eigentliche Problem. Zin konnte nicht schreiben. Lesen ging inzwischen ganz gut, aber im Meer kam er nicht sonderlich oft an Papier, geschweige denn an Stifte heran, mit denen er hätte üben können. Wenn er es einmal gebraucht hatte, war er dazu übergegangen, sich die Worte aus einem Buch zusammenzusuchen und die Zeichen einfach abzumalen. Es hatte ewig gedauert und nicht besonders hilfreich ausgesehen. Aber die ein oder zweimal hatte es funktioniert.

Jetzt allerdings traute er sich nicht zu, sich vor die Tastatur zu setzen und einfach irgendetwas einzugeben. Auch wenn es leichter aussah, als wirklich händisch Buchstaben auf ein Stück Papier zu zeichnen.

Sein Blick war auf den Bildschirm gerichtet, auf die vielen Bilder, die Seiten voller Text und den kleinen Pfeil, den Viola da hin und her schob und mit dem sie neue Seiten und Fakten aufrief.

Diese Menschen von Greenpeace schienen Einiges zum Schutz von Tieren zu tun. Aber Zins Herz wagte noch lange nicht höher zu schlagen, selbst als sie in die Rubrik Meer eintauchten und er lesen konnte, dass etwas für die Sicherung des Walbestands getan wurde.

„Warum zeigen sie Bilder von abgeschlachteten Walen?“, wollte Zin etwas trocken, aber auch mit echtem Interesse wissen.

„Würde es nicht mehr Leute dazu verleiten, etwas für die Tiere zu tun, wenn sie ihre Schönheit, Anmut und ihr Verhalten sehen könnten?“

Gut, vermutlich sollte es Mitleid erregen und Ekel vor denen, die den Tieren so etwas antaten. Aber auf die erste Seite einer solchen Kampagne hätte Zin trotzdem etwas gesetzt, das Menschen mehr anzog, anstatt sie abzuschrecken.
 

„Zin, es liegt in der menschlichen Natur, dass nur Dinge, die sie schockiehren, wirklich neugierig machen. Alles, was schön und heil ist, ist so lange einfach selbstverständlich, bis es das eben nicht mehr ist. Darauf zielen auch Nachrichten und Schlagzeilen. Wer würde sich das noch ansehen, wenn überall von Frieden und Liebe berichtet werden würde? – Nicht, dass ich mir den Quatsch überhaupt einmal ansehen würde.“

Sie seufzte.

„Tatsache ist leider auch, dass für viele Wale und dergleichen einfach zu unerreichbar sind. Es kümmert sie meistens nicht oder sie wissen es auch gar nicht. Der Schutz von seltenen Raubkatzen wie Tiger oder der gleichen, geht den Leuten sicher sehr viel schneller nahe, da sie die Tiere auch in Zoos sehen können. Das ...“

Viola zuckte mit den Schultern.

„... ist einfach so. Leider.“

Sie nippte erneut an ihrem heißen Getränk und klickte sich weiter durch.

„Außerdem ... siehst du, es gibt auch schöne Bilder.“ Damit deutete sie auf eine Aufnahme, eines Walhais, der gerade in die Kamera lächelte. Zumindest sah es so für sie aus.

Aber Wal- und Fischfang, wo auch andere Meerestiere dran glauben mussten, war jetzt nicht ihre Hauptsorge. Natürlich gab es keine Kategorie mit dem Titel 'gefährdete Meermänner'.

Allerdings hörte sich die Überschrift für Meeresschutzgebiete schon einmal ziemlich gut an.

Viola klickte darauf und begann sich die Sache durchzulesen.

Es klang wirklich gut, was diese Organisation da erreichen wollte, wenn auch unwahrscheinlich, dass alles davon umgesetzt werden würde. Weshalb sich Viola mehr für die bereits bestehenden Schutzgebiete interessierte.

„Ich weiß, das ist keine Lösung, aber es wäre zumindest vorübergehend eine Überlegung wert. Könntest du deine Familie nicht in eines dieser bereits bestehenden Schutzgebiete führen? Dort wärt ihr nicht nur vor Bohrungen sicher, sondern auch vor Fischerei und Schiffsverkehr, und wenn das alles stimmt, was diese Leute hier prophezeien, müsste auch das Nahrungsangebot ziemlich hoch sein.“

Natürlich war es keine Lösung für das Bohrproblem direkt vor ihrer Nase, aber zumindest wäre Zins Familie in Sicherheit. Auch wenn das nächstgelegene Schutzgebiet ganz schön weit von hier weg war.

Dennoch sah Viola Zin fragend an.
 

„Stimmt.“

Zin nahm einen großen Schluck des klebrig süßen Getränks und starrte ernst auf den Bildschirm.

„Das ist keine Lösung.“

Nicht für jetzt, nicht für kurz- oder längerfristig.

Seine Familie war naiv und dumm gewesen, zu glauben, dass sie auf diese Art und Weise etwas gegen die Bohrinsel ausrichten konnten. Aber das änderte am Grundsätzlichen nichts. Es war falsch, dass dort gebohrt wurde. Und vor allem waren es die falschen Mittel. Es wurde so viel zerstört und die Familie der Meermenschen war auf so wenige zusammengeschrumpft. Da konnte ... nein, Zin wollte nicht einfach den Schwanz einziehen und sich einfach ein anderes, nettes, lauschiges Plätzchen suchen.

„Ich glaube nicht, dass wir einen Ort finden, wo wir sicher sind. Vielleicht dauert es Jahre. Möglicherweise auch Jahrzehnte. Aber es wird trotzdem wieder irgendetwas auf uns zu kommen. Und es werden mit ziemlicher Sicherheit wieder Menschen sein, die uns an den Rand der Existenz bringen.“

Er raunte es leise, damit niemand außer Viola ihn hören konnte. Trotzdem fehlten keinem seiner Worte die Anspannung und die Schwere, die im Inhalt seiner Aussage lag.
 

Viola starrte eine ganze Weile den Bildschirm an, ohne die Bilder oder den Text darauf zu sehen, während sie über Zins Worte nachdachte.

Natürlich hatte er recht. Menschen waren wie eine Plage. Sie waren überall und einfach nicht aufzuhalten. Daher war es sehr wahrscheinlich, dass selbst an so einem geschützten Ort, wieder irgendetwas schief laufen würde. Vielleicht eine weitere Öltankerkatastrophe oder illegale Aktivitäten. Davon gab es leider genug.

Trotzdem war sie eher mutlos, was das Verhindern dieser Bohrung anging. Sie waren nur zu zweit. Was konnten sie dagegen ausrichten?

Nachdenklich tippte Viola gegen den sich langsam abkühlenden Becher ihres Getränks, das sie schon eine ganze Weile nicht mehr angerührt hatte. Schließlich sah sie vom Bildschirm auf zu Zin.

„Irgendwelche Ideen oder Vorschläge?“
 

Die Plastiklehne des billigen Stuhls knarzte bedenklich, als Zin sich zurücklehnte. Er brauchte eine Sekunde, bis er sich so drapiert hatte, dass es für seinen Rücken nicht unangenehm war. Erst dann stellte er sich Violas Blick.

„Wir können sie nicht zerstören. Wir können sie nicht lange fernhalten. Vor allem, wenn sie bei der Probebohrung schon etwas gefunden haben sollten. Das Einzige, was mir einfällt, ist, aus dem Riff auch einen geschützten Ort zu machen. Aber ... ich habe keine Ahnung, wie das gehen soll.“

Seine Augen richteten sich wieder auf den Bildschirm.

„Was sind denn die Voraussetzungen?“

„Ich habe keine Ahnung“, gab Viola seufzend zu. „Aber wir werden es sicher rausfinden.“

33. Kapitel

Sie hatten es zwar herausgefunden, aber es war unmöglich ihre ganzen Ideen umzusetzen. Nicht etwa, weil sie nicht genug Entschlossenheit dafür besessen hätten, sondern weil sie einfach nicht die Mittel dazu hatten.

Das deprimierte Viola um sehr viel mehr, als die Tatsache, dass sie Zin nicht mit ins Meer begleiten konnte, wann immer er das Bedürfnis danach hatte. So wie jetzt.

Ihr blieb also nichts anderes übrig, als gestrandet zu bleiben, sich noch eine weitere Tasse heißen Kakaos einzuflößen und sich noch ein bisschen enger in die wärmende Decke zu kuscheln, da sie derzeit wieder zwischen Temperaturschwankungen litt. Nicht mehr so extrem, wie früher einmal, als sie ihre Horrortage hatte, aber manches war eben nun einmal so.

Zum Glück waren die Qualen vorbei. Was die nächste Fruchtbarkeitsfrage anging, würde sich allerdings noch zeigen.

Ein bisschen hatte sie schon Angst davor, aber zum Glück oder vielleicht auch leider, lenkten sie momentan ganz andere Sorgen ziemlich zuverlässig davon ab.

Gerade jetzt, wo sie auf Zin wartete und ihre Augen nicht von dem Anblick der Wellen nehmen konnte, die da in regelmäßigen Abständen den Strand hoch schwappten.
 

Zin war von Anfang an ohne Ziel unterwegs. Er schwamm einfach geradeaus, blickte zuerst weder nach links, noch nach rechts, sondern folgte einer imaginären Linie in tiefere Gefilde, weg vom Strand. Weg von den Menschen.

In den vergangenen Tagen hatte er sich wieder einmal über sie geärgert. Sogar so sehr, dass ihm die Wut zu Violas Haus und bis ins Schlafzimmer gefolgt war. Das hatte ihn noch wütender gemacht. Dass er neben einer wunderschönen, nackten Frau liegen konnte und hauptsächlich etwas Negatives empfand, was nicht in diese Situation gehörte. Es war bloß gut, dass sie keine von ihnen war. Genauso wenig, wie er selbst. Natürlich hätte er sie nicht weniger gern gehabt. Aber es machte die Sache etwas leichter, dass er Viola nicht von den Verbrechen der Menschen freistellen musste. Sie war kein Mensch. Und das war gut so.

Ihn umgab immer tieferes Blau. Mal heller, mal dunkler. Ein Stück hatte er die Gesellschaft von kleinen Fischen genossen, dann war er ihnen davon geschwommen und seinen Gedanken nachgehangen. Immer noch hatte Zin das Gefühl, etwas tun zu müssen. Dringend und schnell. Aber das war genau das Problem. In der Lebenswelt der Menschen ging nichts schnell. Schon gar nicht, wenn es mit Natur- und Tierschutz zu tun hatte. Man konnte nicht einfach zu einem Amt gehen und mitteilen, dass ein wertvolles Ökosystem fast vollständig zerstört wird, während man sprach. Das half nichts. Man musste schriftliche Anträge mit unerfüllbaren Bedingungen stellen. Man musste ... man konnte ...

Zin bremste ab, blieb im Wasser stehen und schloss die Augen. Seine Füße zeigten gen dunkler Tiefe, während er seine Arme ausgebreitet neben seinem Körper schweben ließ. Ein tonnenschweres Gewicht drückte seinen Kopf nieder. Er konnte ... nichts tun.
 

***
 

Wassertropfen perlten von seinem Körper, als er über die letzten kleinen Wellen stieg, die sich am Sandstrand brachen. Zins Füße versanken im Sand, während er auf die Böschung zulief, in jeder Hand einen rötlichen, großen Fisch. Sie waren ihm mehr oder weniger in die Hände geschwommen. Das taten sie manchmal. Und wenn das Abendessen sich schon so bereitwillig auf den Teller warf ...

„Hey ...“

Zin schüttelte sich, um nicht triefnass die Terrasse zu betreten und grinste Viola dann schief an, während er ihr seinen Fang zeigte.

„Ich hoffe, du hast Hunger?“
 

Viola war sofort aufgesprungen, als sie Zin an den Strand kommen sah, und obwohl sie sich inzwischen hätte daran gewöhnen müssen, begann doch sofort wieder bei seinem Anblick ihr Herz zu rasen und ihr Bauch zu kribbeln.

Sie gab ihm erst einen langen Kuss auf die feuchten Lippen, ehe sie seinen Fang bewunderte.

„Wie könnte ich nicht?“, war ihre einzige Antwort, ehe sie alles andere stehen und liegen ließ und Zin ins Haus führte, damit sie sich gleich um das Abendessen kümmern konnte.

Manchmal war es so herrlich tröstlich, häusliche Dinge zu tun, die einmal nicht mit ihren Sorgen durchdrungen waren. So gehörte es für sie auch dazu, mit Zin zusammen zu kochen.

Da er ja selbst nie wirklich etwas Warmes zubereitet hatte, wies sie ihn gerne in ihre eigenen bescheidenen Kochkünste ein und selbst den Abwasch danach, machten sie gemeinsam.

So kam gar nicht erst eine Diskussion darüber auf, wer was machte und ihnen blieb mehr Zeit für ... andere Dinge.

„Sollen wir uns zum Essen raussetzen? Es ist heute so angenehm draußen“, wollte Viola schließlich wissen, während sie die Fische auf jeweils einen Teller zubereitete und mit noch ein paar Gewürzen garnierte. Dazu gab es simple Bratkartoffeln, aber simpel schmeckte bisweilen ebenfalls wahnsinnig gut.
 

Mit eindeutig hungrigem Blick betrachtete Zin zuerst seinen Teller und dann Viola, bevor er mit einem breiten Lächeln nickte.

„Klingt gut.“

Er folgte ihr nach draußen, wo es wirklich noch angenehm warm, aber nicht zu heiß war. Es war ein schöner Tag, der da gerade ausklang. Und Zin bekam das Lächeln kaum mehr aus seinem Gesicht, wenn er sich jede Minute daran erinnerte, wie froh er war, so viel Zeit mit Viola verbringen zu können.

Als er ihr den Vortritt auf die Hollywoodschaukel ließ, nahm Zin Viola ihren Teller kurz ab, wartete, bis sie die Decke und sich selbst zu ihrer Zufriedenheit drapiert hatte, und reichte ihr dann mit einer nonchalanten Verbeugung ihr Essen.

„Die Dame ...“

Danach setzte er sich eher lässig neben sie, streckte die langen Beine aus und lehnte sich zurück. Mit einem tiefen Atemzug sah Zin aufs Meer hinaus und griff dann zur Gabel.

„Dann lassen wir es uns schmecken. Riechen tut es schon ausgesprochen gut.“

Er gab Viola einen Kuss auf die Schläfe und dann auf ihre so schön geschwungenen Lippen, bevor er sich mit knurrendem Magen über den Fisch und die Kartoffeln hermachte.

Das Essen war wirklich gut. Schlicht, aber hervorragend. Genauso, wie er es mochte.

Zin hatte einmal in einem Kochbuch von Viola geblättert und sich vorzustellen versucht, wie so viele Gewürze in einem einzigen Gericht überhaupt schmecken sollten. Anschließend hatte er beschlossen, dass er es eigentlich nicht ausprobieren wollte.
 

Viola musste wegen Zins Verhalten grinsen.

Er war immer so erheiternd, zog aber nicht gleich alles ins Lächerliche oder übertrieb. Sie konnte in seiner Nähe oft lachen und sich zugleich sicher und wohl fühlen. Das war etwas, das sie nie mehr wieder hergeben wollte, denn es vermittelte ihr einmal tatsächlich das Gefühl von Heimat.

Selbst das Schweigen zwischen ihnen war nicht unangenehm, während sie still nebeneinandersaßen, ihr Essen verspeisten und das Meer betrachteten.

Als Viola fertig war und Zins Teller ebenfalls nur noch gähnende Leere bis auf das Fischgerippe aufwies, nahm sie ihm seinen ab und stellte alles einfach zur Seite auf den Boden. Danach hob sie eine Seite der Decke und schlang sie hinter Zins Rücken vorbei, während sie sich an seine Seite drängte und die Füße hochzog.

Ihr Kopf ruhte auf seiner Schulter, während ihre Arme locker um seine Taille hingen und ihre Finger ihn sanft streichelten.

„Manchmal würde ich gerne die Zeit anhalten.“

Sie schnurrte es leise gegen Zins Hals, gab ihm einen Kuss und kuschelte sich anschließend wieder bequem an ihn, während sie dem Meer zusah.
 

Als wolle er sie willkommen heißen, schlang Zin sofort seinen Arm um Violas Körper, als sie an ihn heranrückte. Er mochte es sehr, wenn sie sich so an ihn kuschelte. Vor allem, weil sie es immer wieder von sich aus tat und ihm damit warme Schauer der Zuneigung über den Rücken jagte. Sie war wirklich einmalig. Und das sagte Zin ihr auch immer gern, wenn er die Situation passend fand. Immerhin musste Viola auch selbst wissen, wie sehr Zin ihr zu Füßen lag. Wäre es nicht so, hätte sie blind sein müssen.

„Ja, das wäre schön.“

Seine Finger streichelte unter der Decke ihre Seite und Zin lehnte seinen Kopf leicht an Violas Scheitel, wo er sofort vom Duft ihrer Haare eingehüllt wurde. Ein paar Mal atmete er tief durch, ließ sich etwas tiefer in die Hollywoodschaukel sinken und blickte auf einen unbestimmten Punkt am Horizont, der sich langsam in schillernden Tönen verfärbte.

„Viola ... Heute Nachmittag, als ich unterwegs war, habe ich ein bisschen nachgedacht.“ Er sagte es ohne Unterton. In Zins Worten lag keine düstere Vorwarnung oder etwas Anderes. Er wollte ihr nur mitteilen, was er sich überlegt hatte. Auch wenn das bedeuten würde, dass sie sich damit auseinandersetzen mussten.

„Meine Familie, das heißt, der gesamte Schwarm wird bald zurückkommen. Und ich habe immer noch keine Lösung für unser Problem gefunden. Zumindest keine, die mir gefällt. Die Idee mit dem Naturschutz war wirklich gut, aber bis da etwas passiert, sind wir am Ende auch ausgerottet. Seltene Fische oder Naturwunder hin oder her.“

So war es leider. Zwar hätte Zin ein paar Fischarten aufzählen können, die Greenpeace als schützenswert aufreihte und die in der Nähe des Riffs beheimatet waren, aber das würde nichts nützen. Das ging alles nicht schnell genug.

„Ich weiß einfach nicht ... was ich tun soll.“
 

Während Zin sprach, streichelte sie ihn weiter und ließ sich auch nicht von dem Anblick des Meeres abhalten. Inzwischen hatten die ständige Sorge und die andauernde Frage – was zu tun war – dafür gesorgt, dass es sie nicht mehr so sehr quälte.

Sie beschäftigte sich so oft mit dem Thema, ob nun im Beisein von Zin oder auch ohne ihn, dass es ihr keine Gänsehaut mehr über den Körper jagte.

Weshalb Zin auch sicherlich nicht gleich eine Antwort oder Reaktion von ihr erwartete, nachdem er wieder schwieg.

In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Über Zins Familie, dem Naturschutz und was jetzt eigentlich am Wichtigsten war.

Dass Zin und sie selbst erst weiter hinten kamen, hatte sie inzwischen akzeptiert. Aber wie schwer es ihr fiel, sie noch weiter hinten anzustellen, wurde ihr erst bewusst, als sie langsam zu sprechen begann.

„Ich weiß, dir gefällt das nicht, aber für mich fühlt sich diese eine Lösung immer noch am Besten an. Ein bereits bestehendes Schutzgebiet wäre inzwischen schon erholt genug, um deine Familie aufzunehmen und selbst wenn euch nur ein paar Jahre oder Jahrzehnte bleiben, ehe es wieder unruhig wird, denk doch an die Kinder ...“

Viola seufzte schwer, weil sie selbst oft versucht hatte, sich in die Lage von Zins Familie hineinzudenken.

„Zeit würde ihnen bessere Überlebenschancen geben, und auch wenn wir hier noch lange nichts ausrichten können ... es wäre ein Anfang.“

Selbst wenn das bedeutete, dass Zin sehr viel länger weg sein würde, wenn er seine Familie besuchen wollte. Denn dass er das tun würde, stand außer Frage. Er war ein Familienmensch und nun, da sie ihn kannte und kaum noch von ihm loskam, verstand sie dieses Bedürfnis auch.

„Es wäre zumindest keine feige Entscheidung“, fügte sie noch hinzu, falls das irgendwie ebenfalls noch auf Zin lasten sollte. Manchmal war man eben kleiner als der Feind. Das war unvermeidlich.
 

Zin atmete zuerst ruhig, bis sich einer seiner Atemzüge zu einem tiefen Seufzen steigerte, das er nicht einmal im Ansatz zu ersticken versuchte.

„Du hast schon recht. Wenn man es vom Jetzt und Hier aus vernünftig betrachtet, wäre es das Sinnvollste, einfach zu gehen. Zu fliehen ...“

Klein beizugeben. Denn obwohl Zin Viola verstand, konnte er nicht ganz akzeptieren, dass er aufgeben sollte. Seine Heimat, den Ort, an dem er aufgewachsen war.

„Das alles wäre einfacher, wenn ich nicht wüsste, dass es nie wieder so sein wird, wie jetzt. Sie werden ... es zerstören. Bis nichts mehr an den Anblick erinnert, den mein Schwarm kennt.“

Es machte ihn traurig. So sehr, dass sein Herz schmerzhaft in seiner Brust klopfte und Zin seinen Kopf nach hinten lehnte und seine Augen für eine Weile schloss.

„Ich habe nicht einmal eine Idee, wo wir hin könnten. Ein Naturschutzgebiet ließe sich vielleicht im Umkreis finden, aber woher wissen wir, wie genau es überwacht wird. Wenn dort ständig Leute von Greenpeace unterwegs sind, halte ich es auch nicht wirklich für sicher. Zumindest nicht für uns.“

Er sah Viola nicht an, als er sich wieder aufrichtete.

„Und die Polarmeere ... Zumindest wäre es dort abgelegen und niemand würde über uns stolpern können ...“
 

„Wie sicher dieses Naturschutzgebiet ist, müsste man ohnehin vorher herausfinden. Aber ich denke, dein Schwarm weiß da besser als ich, worauf er achten muss. Und meinst du nicht, dass das Polarmeer auf Dauer nicht etwas zu kalt wäre? Ich zweifle die Fischbestände dort nicht an, aber es ist eben doch ... anders als hier.“

Auch Viola entkam ein Seufzen. Allerdings wegen des Gedankens, dass sie Zin dann wohl monatelang nicht mehr sehen würde. Vielleicht sogar nie wieder ...

Unbewusst zog sie sich enger an ihn und ließ den Blick sinken, bis ihre Lippen auf seiner Schulter lagen und sie seinen Duft bei jedem Atemzug einsaugen konnte.

Es würde sich eine Lösung ergeben. Das musste es einfach.
 

Statt zu antworten, schlang Zin seine Arme um Viola, küsste ihre Stirn und raunte ihr leise zu: „Ich würde auch nicht ins Polarmeer ziehen wollen, Viola. Lieber ... bliebe ich hier bei dir.“

Es wäre vielleicht einsamer ohne seine große Familie. Aber Viola würde ihm genügen. Und er könnte seinen Schwarm doch besuchen. Zwar wäre es eine lange Reise ...

„Wäre ... Ich meine ... würdest du das wollen?“
 

Würde sie das wollen? – Ja, verdammt!

Da war sie sich sogar sicher, ohne auch nur eine Sekunde lang darüber nachgedacht zu haben, dennoch brauchte es sehr viel länger, ehe sie auch ihren Mund aufbrachte, um Zin zu antworten.

„Ich würde wollen, dass du bei mir bleibst. So oft und so lange, bis wir uns gegenseitig satthaben. Selbst wenn das nie passieren wird.“

Sie lächelte schwach.

„Aber ich würde dich nicht von deiner Familie trennen wollen. Ich kenne das schließlich nicht, Zin. Ich weiß nicht, wie es ist, sich wo dazu gehörig zu fühlen und diese Zugehörigkeit verteidigen zu wollen. Ich könnte also nie von dir verlangen, deine Familie gehen zu lassen, während ich dich hier festhalte. Auch wenn ich dich am Liebsten an mein Bett ketten will.“

Viola schloss die Augen. Sie wollte Zin wirklich nicht gehen lassen. Nicht einmal für einen Tag, aber sie wusste, sie hatte kein Recht dazu, so etwas von ihm zu verlangen. Familie war wichtig. Selbst wenn sie noch lange brauchen würde, um das richtig fassen zu können.

„Machen wir einfach erst einmal einen Schritt nach dem anderen, okay? Zuerst deine Familie in Sicherheit bringen und dann ... sehen wir weiter.“
 

„Ich finde ja – so machomäßig das auch klingen mag – dass du zu mir gehörst.“

Er lächelte und zwinkerte ihr dann etwas schelmisch zu. „Und das meine ich auf eine sehr freiheitliche Art und Weise.“

Um ihr zu zeigen, dass er sie nicht ärgern wollte, küsste Zin ihre Lippen. Er meinte es wirklich nicht böse. Aber das Thema wühlte ihn auf. Mehr, als er gedacht hätte. Und das lag nicht nur an den Sorgen um seine Familie, sondern auch an dem Gedanken, Viola vielleicht für eine unbestimmte Zeitspanne verlassen zu müssen.

„Es ist schön zu wissen, dass du mich nicht von ihnen fernhalten willst. Das würde mir auch sehr gegen den Strich gehen. Denn ich glaube nicht, dass ich auf Dauer ohne Kontakt zu meiner Familie sein könnte. Aber Viola ... es würde mir noch besser gefallen, wenn du sie kennenlernen und ein Teil der Familie sein könntest.“

Das war ganz flüssig über seine Lippen gekommen. Natürlich ... denn er meinte es ja auch so. Aber im nächsten Moment fuhr Zin innerlich erschrocken zusammen. Er ... Sie ... Er zog seinen Kopf eine Winzigkeit ein, darauf eingestellt, dass Viola mit einem Donnersturm auf seine Worte reagieren würde.
 

„Machomäßig, hm?“

Viola ließ sich auf die Lippen küssen und erwiderte den Kuss auch voller Gefühl, ehe sie Zin anblickte.

„An dir gefällt mir das sogar“, meinte sie leise, dachte im nächsten Moment aber auch schon über seine anderen Worte nach.

Wieder glitt ihr Blick zum Meer hinaus, das so friedlich vor ihnen lag, als könne nichts auf der Welt diesen Frieden stören. Auch wenn sie es beide natürlich besser wussten.

„Eine Katze in einem Schwarm voller Fische. Ich stand schon immer auf ungewöhnliche Familienbegebenheiten.“

Sie lachte leise und kuschelte sich wieder eng an Zin.

„Ich würde sie auch gerne kennenlernen. Deine Brüder fand ich toll. Da wäre ich auf den Rest auf jeden Fall gespannt. Nur ...“

Es folgte ein weiteres tiefes Seufzen an diesem Abend.

„... könnten sie so jemanden wie mich akzeptieren? Ich trage Fell und keine Schuppen. Ich habe Krallen statt Kiemen und es ist ziemlich sicher, dass wir deine Eltern nicht mit neuen Familiensprösslingen segnen werden. Wäre so eine Verbindung überhaupt okay für sie? Mir kommt das selbst immer noch etwas seltsam vor, auch wenn ich dich nie hergeben will.“

Sie zog ihre Arme enger um ihn und vergrub ihren Kopf an seiner Halsbeuge, um Zin tief inhalieren zu können.

Gott, dieser Duft haute sie jedes Mal fast um.

„Ich hab dich schließlich zum Fressen gern.“
 

„Na ... sagen wir für meine Verhältnisse war das machomäßig.“

Was bedeutete, dass sich jeder 'echte' Macho darüber kringelig gelacht hätte. Aber das machte Zin nichts aus. Im Gegenteil machte ihn das sogar ein bisschen stolz.

Was allerdings als Nächstes in ihm aufkam, war Zweifel. Als Viola sagte, dass sie seine Brüder toll gefunden hatte, konnte er das nur ansatzweise glauben. Immerhin hatte sich Ban wieder einmal von seiner hassenswerten Schokoladenseite gezeigt und Viola spüren lassen, wie anders sie doch war. Zumindest im Gegensatz zu Meermenschen. Er konnte ihre Überlegung also sehr gut verstehen.

„Wenn du meine Brüder mochtest, ist dir bestimmt auch aufgefallen, dass zwei Drittel von ihnen absolut kein Problem mit deiner Andersartigkeit hatten.“

Zins Finger streichelte über ihre warme Haut und er fragte sich nur, wie er sich eine Zukunft für Viola vorzustellen hatte, wenn sie wirklich ein Teil seines Schwarms werden sollte. Denn in einem Punkt hatte sie wirklich Recht.

„Und was die möglichen oder unmöglichen Kinder angeht ...“

Er machte eine Pause, wo er vielleicht keine hätte machen sollen. Aber so ganz konnte Zin nicht verdrängen, dass er gern Kinder gehabt hätte. Irgendwann. In der Zukunft. Nicht heute, nicht morgen ... aber irgendwann schon.

„Wir wissen gar nichts sicher, was das angeht. Und meine Eltern würden dich lieben, allein weil-“

Zin schien über seine eigene Zunge gestolpert zu sein. Sein Hirn war so viel schneller als sein Körper und genau das brachte ihn – wohl um Haaresbreite noch rechtzeitig – aus dem Takt, so dass er nicht weiter sprechen konnte. Stattdessen sah er mit großen Augen auf seine Zehen.
 

„Momentan wäre ich ohnehin nicht bereit für Kinder. Aber weißt du, Zin ... man kann auch welche adoptieren und sie dann genauso lieben. Das habe ich auch schon oft von anderen Gestaltwandlern gehört, deren Eltern verunglückt sind und dann von anderen ihrer Art aufgenommen wurden. Im Gegensatz zu den Menschen halten wir zusammen und ich könnte nicht eine Sekunde glauben, dass dein Schwarm nicht ebenfalls auf diese Weise für seine Art sorgt.“

Violas Blick fiel auf Zins Zehen, zwischen denen er mit seinen Schwimmhäuten spielte. Automatisch griff sie bei deren Anblick nach seiner Hand, um mit ihren Fingerkuppen über die Häute zwischen seinen Fingern zu streichen.

Zin war für sie auch so absolut andersartig und zugleich der erste Mann, mit dem sie über solche Dinge sprach. Allein diese Tatsache sprach für sich. Das wusste sie und Probleme wie Familienanerkennung, würden da auch nichts ausrichten können.

„Wenn du gehen musst ... wirst du dann auch sicher wieder zu mir zurückkommen?“, wollte sie schließlich mit einem sehr viel leiseren und vorsichtigeren Tonfall wissen, während sie seine Hand festhielt. Ihr Herz sprang ihr dabei fast aus der Brust.

Sie war sich zwar sicher, was Zin betraf und dann doch wieder nicht. Würde er sie mit der Zeit nicht vergessen, wenn der Weg zu weit und die Entfernung zu groß werden würde?
 

Er griff sofort nach ihrer Hand. Drückte sie sanft, aber bestimmt und drehte sich ein Stück herum, sodass er Viola direkter ansehen konnte.

Mit seinen freien Fingern streichelte er über ihre Wange und lächelte sie sanft an.

„Natürlich werde ich das. Ich würde durch alle Ozeane schwimmen, um zu dir zurückzukommen, Viola.“

Und das meinte er genau so, wie er es sagte. Das war kein abgeschmackter Spruch. Zin würde das tun, selbst wenn die halbe Weltkugel zwischen ihnen liegen sollte.

Nicht hastig, aber sich seinem Ziel bewusst, lehnte Zin sich vor. Seine Lippen berührten ihre so sanft, dass es schon fast kitzelte, bevor er sie wirklich küsste. Bevor seine Finger sich um ihren Nacken schlangen und Viola zu sich zogen.

Zin zog sie fast gänzlich auf seinen Schoß, schlang seinen Arm um sie, auch wenn er dafür ihre Hand loslassen musste, und holte so tief Luft, wie er konnte. Er würde den Sauerstoff brauchen, denn so schnell ... würde er nicht aufhören, sie zu küssen.
 

Sie hielt sich an seinen Schultern fest; an seinem Nacken und hatte doch das Gefühl immer noch zu fallen. Dennoch hatte sie keine Angst davor, und als Zins Lippen ihren Mund berührten, explodierten die Endorphine endgültig in ihrem Körper.

Viola küsste ihn hungrig, zärtlich, leidenschaftlich, liebevoll, gierig und verlangend, bis ihr nicht mehr nur vom Sauerstoffmangel ganz schwindelig wurde, sondern von ganz anderen Gefühlen.

Hektisch atmend musste sie sich schließlich doch von den Küssen losreißen und sah Zin dabei tief in die Augen.

„Ich werde auf dich warten ...“, flüsterte sie leise zwischen mehreren schweren Atemzügen und streichelte dabei zärtlich über Zins Wange.

Selbst wenn sie dabei Gefahr lief, an bestimmten Stellen ihres Körpers Staub anzusetzen, sie würde warten. Es gab schließlich nur noch einen Mann für sie und auf dessen Schoß saß sie gerade.

Er gehörte ihr und sie gehörte ihm. Dieses Privileg würde sie vor allem und jeden verteidigen. Selbst vor ihren eigenen Bedürfnissen.
 

Zin spürte genau, dass Viola es ebenso ehrlich meinte, wie er. Sie würde auf ihn warten. Daran hatte er keinen Zweifel. Und trotzdem würde es ihr schwerfallen. Das konnte er in ihren Augen lesen, die ihn so offen fixierten und voller unterschiedlicher Gefühle waren.

„Du weißt, ich würde dich mitnehmen, wenn ich könnte.“

Das würde er sehr gern. Dabei war natürlich auch Egoismus, denn dann hätte er Viola immer an seiner Seite gehabt und sie nicht vermissen müssen. Aber andererseits kam ihm die Reise zu seiner Familie und anschließend zu einem neuen Zuhause auch insgesamt sicherer vor, als Viola einfach hier zu lassen.

Warum das so war, konnte Zin nicht mit Sicherheit sagen. Immerhin war sie keine Meeresbewohnerin und hatte ihr kleines Inselreich sehr wohl unter Kontrolle. Aber nachdem Zin gesehen hatte, wie schnell zerstört war, was man so lange als selbstverständlich vor sich gesehen hatte ... machte er sich viel mehr Sorgen, als jemals zuvor in seinem Leben.

„Ich werde so schnell zurück sein, wie es mir möglich ist. Und dann, Viola ...“

Nun waren es seine Augen, die von Emotionen nur so schwammen. Das Stahlgrau schien zu blubbern, zu kochen und sich entladen zu wollen, so wie es auch dem Rest von Zins Körper und auch seiner Seele ging.

„Dann sehen wir, wie es weiter geht.“

Es war nicht das, was er sagen wollte. Aber es war ... genug für den Moment.
 

„Ja, das sehen wir dann.“

Viola lächelte. Es war nicht unbedingt ein fröhliches Lächeln, aber auch die Bedeutung ihrer Worte, war nicht genau das, was sie zu sein schien.

Ein Insider.

Für Viola würden diese Worte immer so eine Art Insider sein, nur ohne den Witz. Für sie bedeutete es einfach mehr. Sie musste daran glauben.

Schließlich ... liebte sie Zin.

Sicher war sie sich da ganz und gar nicht, weil sie sich in nichts mehr sicher war, seit sie ihn kannte. Aber hoffentlich würde sie das nach all diesen Opfern, die sie gemeinsam erbringen mussten.

Noch einmal kuschelte sie sich einfach nur an seinen kühlenden Leib, schloss die Augen und konzentrierte sich darauf, noch jede Sekunde, die sie mit Zin verbringen konnte, zu genießen.
 

***
 

Es war ein schöner Tag. Ein verteufelt schöner Tag, und Viola hätte auch die strahlende Sonne und das blauglitzernde Meer verfluchen können!

Eigentlich hätten ein Hurrikan und haufenweise Regen besser zu ihrer Stimmung gepasst.

Sie konnte Zin einfach nicht loslassen. Schon seit sie den Strand betreten hatten, klebte sie wie eine Klette an ihm. Sie wollte das einfach nicht ...

Gestern Nacht, nachdem Zin endlich eingeschlafen war, hatte sie sich fest vorgenommen, sie würde ihn mit einem aufmunternden Lächeln fortschicken. Damit es ihm nicht so schwer fiel, wie es für sie war. Doch nun, als sie es endlich schaffte, den Kopf zu heben und in seine Augen zu schauen, verschwamm die Welt vor ihr und Nässe lief ihr brennend heiß über die Wangen.

Sie gab keinen Laut von sich, doch ihre Kehle war vor Qual zugeschnürt und die Finger, die seine Seite festhielten, zitterten.

Viola brachte kein Wort heraus.
 

Der Fels, der auf Violas Seele ruhte, schien Zin bei jedem Schritt in Richtung Meer tiefer in den Sand zu drücken. Sein Nacken war schon ganz verkrampft und sein Magen fühlte sich so an, als hätte man einen Waschmaschinenmotor darin eingebaut. Sie wollte ihn nicht gehen lassen. Und wenn sie so weiter machte –

Er musste nur einen flüchtigen Blick in ihr Gesicht werfen und schon schlossen sich seine Arme ganz von selbst um ihren bebenden Körper. Zin hob sie hoch, hielt sie so, dass sie ihre Beine um seine Hüfte schlingen und ihren Kopf auf seine Schulter legen konnte. Violas Nähe brannte auf seiner Haut.

„Bitte hör auf zu weinen.“

Er küsste ihre Schulter, kuschelte seine Wange in ihr Haar.

„Ich werde nicht lange weg sein. Aber wenn du ... wenn es dir so schlecht damit geht, kann ich nicht fortgehen. Viola, ich ... ich liebe dich. Und ich werde wiederkommen. Ich verspreche es.“

Ihm wurde heiß und kalt, seine Nackenhaare sträubten sich und doch schien nichts, rein gar nichts in Zins Körper oder auch seinem Verstand gegen das aufzubegehren, was er gerade gesagt hatte. Es war alles die reine Wahrheit. Jedes einzelne Wort.
 

Diese drei Worte aus Zins Mund zu hören, war wie eine Naturgewalt abzubekommen. Es warf Viola zwar nicht um, aber es traf sie doch so endgültig und vollkommen, dass sie danach nie mehr dieselbe sein würde.

Zin ... liebte sie?

Zittrig wischte sie sich die Tränen aus den Augen, um ihn besser sehen zu können und tatsächlich ... Sie sah es in seinem Blick, in der Art, wie er sie anschaute, wie er sie streichelte und berührte und wie es ihn selbst offenbar so sehr quälte.

Der Moment wäre wohl gekommen, an dem auch sie ihm sagen sollte, wie sie für ihn fühlte, doch sie brachte es nicht zu Stande.

Stattdessen strich sie zärtlich über Zins Wange, klammerte sich unvermittelt fest an ihn, während sie ihn innig küsste und ihn schließlich langsam, ganz vorsichtig losließ.

Viola trat einen kleinen Schritt zurück und noch einen. Die Arme fest um sich geschlungen, als würde sie gleich zerspringen.

Noch mehr Tränen liefen ihr über die Wangen, aber sie lächelte schwach.

„Geh“, hauchte sie leise mit gebrochener Stimme.

„Bitte geh ...“

Ihr Herz wollte brechen. Solch einen Schmerz hatte sie noch nie verspürt und es brachte sie fast um, noch einen Schritt von Zin wegzugehen. Aber sie musste es tun, sonst würde er niemals die Kraft aufbringen, seine Familie in Sicherheit zu bringen. Dieses Wissen könnte sie niemals auf sich nehmen.

„GEH!“

Noch ein Schritt zurück.

Sie unterdrückte ein Schluchzen.

Viola wandte sich von Zin ab, unfähig noch eine weitere Bewegung zu tun.

„Ich werde ... auf dich warten. Versprochen“, flüsterte sie leise, aber noch gut verständlich.

„Aber bitte ... geh jetzt.“

Sie hatte kaum noch die Kraft dazu, ihn noch einmal zu bitten. Es würde ihr nicht noch einmal gelingen.

Gott, sie liebte ihn so wahnsinnig, aber sie schaffte es nicht, es ihm zu sagen. Noch nicht ...
 

Sie war das genaue Ebenbild seines Inneren. Das kurze Aufflackern von Freude und anderen, großen Gefühlen in Violas Augen war so stark, dass Zin davon das Herz in der Brust wie wild zu hämmern begann.

Ihm wurde auf einmal flammend heiß, und als Viola ihn erneut küsste, hätte er am liebsten laut gejubelt.

Zwar sagte sie ihm nicht, dass sie ihn auch –

Genauso plötzlich und ebenfalls eher zurückhaltend verengten sich Zins Augen, wie Viola sich vor ihm zurückzog. Seine Gefühlswelt überschlug sich. Sie hatte es ihm nicht gesagt. Sie hatte gar nichts zu seinem Geständnis gesagt.

Gut, das machte nichts, denn er würde es trotzdem jederzeit wiederholen, aber ... sie wich vor ihm zurück.

Allerdings war das lange noch nicht das Schlimmste. Wieder schien sich sein Inneres an Violas Äußerem zu spiegeln und Zin glaubte, sich ebenfalls in eine Umarmung schließen zu müssen, damit ihn der Anblick nicht in tausend schmerzende Teile zerriss.

„Geh ...“

Er sollte ...

„GEH!“

Er brauchte sie nur anzusehen, das hätte gereicht. Als Viola ihm aber auch noch den Rücken kehrte, konnten selbst ihre leisen Worte kaum noch etwas daran ändern, dass Zins Herz sich anfühlte, als hätte man ein scharfes Stück Koralle hineingestoßen.

Sie wollte, dass er ging. Jetzt. Es sollte wohl so funktionieren, wie man sich ein Pflaster von der Haut riss. Schnell, damit man es hinter sich hatte.

Zin senkte den Kopf und merkte gar nicht, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Er wusste sehr genau, dass das für ihn nicht funktionieren würde. Der Schmerz würde nicht eher nachlassen, nur weil er es schnell hinter sich brachte.

Trotzdem drehte er sich um. Seine Schläfen pochten und er bekam Kopfschmerzen, weil er die Kiefer so fest aufeinander biss, dass man es fast knacken hören konnte.

Er rannte. Hinunter zum Strand, in die Brandung hinein, die ihn sofort umspülte und seinen Körper wie altbekannte, schützende Hände umfing, als er sich über eine Welle hinweg ins Meer stürzte.

Zin schwamm. Einfach gerade aus, die Augen nur halb geöffnet, sodass er selbst durch sein drittes Augenlid kaum etwas erkennen konnte. Sein Innerstes schien versengt zu werden von diesem Abschied, der keiner gewesen war.

Er hatte Viola zurückgelassen. Mit Tränen auf den Wangen und so, als würde sie in die Knie gehen, sobald ihr bewusst wurde, dass er wirklich gegangen war.

Viola ...

Wie konnte er so verdammt grausam sein? Warum hatte er diese verteufelten drei Worte sagen müssen, bevor er wegging? Gab es überhaupt ein schlechteres Timing dafür?

Zin wollte es nicht zurücknehmen. Dafür war es schon zu spät gewesen, bevor die Worte wirklich über seine Lippen gekommen waren. Aber es schmerzte, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, was es für Viola bedeuten könnte.

Ob sie es ... für einfach dahin geplappert hielt? Bei allen Ozeanen, er hoffte so sehr, dass sie wusste, er hatte es ernst gemeint!
 

Das Geräusch der sich entfernenden Schritte im Sand schnitt ihr so tief ins Herz, dass es eigentlich stehen hätte bleiben müssen. Stattdessen verdoppelte es seine Anstrengungen, als würde es verzweifelt um Violas Leben ringen, doch sie aus ihrer Starre zu lösen, vermochte es nicht.

Erst lange, nachdem nur noch das höhnische Kreischen der Möwen und das fauchende Branden der Wellen zu hören waren, gaben ihre weichen Knie endgültig nach und Viola sank mit einem gequälten Wimmern in den Sand.

Sie löste die krampfhafte Umklammerung ihrer Arme und schlug sich stattdessen die Hände vors Gesicht, ehe der Damm in ihr brach, den sie nach dem Tod ihrer Omi wieder hatte volllaufen lassen und sie begann hemmungslos zu weinen, und zu schluchzen.

Während der Wind ihr mit falscher Hingabe über jeden Zentimeter ihrer nackten Haut schmeichelte und die Sonne immer erbarmungsloser auf sie hinab zu brennen begann, ergab sich Viola viele Stunden lang vollkommen ihrem Schmerz und ihrer Trauer, bis die versengende Hitze des Zenits sie fast in die herbeigesehnte Bewusstlosigkeit eines Sonnenstichs schickte und sie am Ende doch noch den sicheren Schutz ihres Heims aufsuchte, wo sie sich endgültig in einer Tränenflut nach der anderen ertränkte, nun, da sie das Haus für eine sehr lange Zeit wieder für sich alleine haben würde ...

34. Kapitel

Sie war ein Zombie.

Zumindest gab es keinen schmeichelhafteren Ausdruck für ihr Erscheinungsbild und die Wirkung, die sie auf ihre Umgebung hatte, ließ auch keine Fragen mehr diesbezüglich offen.

Kinder zeigten mit Fingern auf sie, während ihre Eltern sie absichtlich vollkommen ignorierten.

Männer, die ihr früher mit eindeutigen Blicken hinterher gegafft hatten, würdigten sie nicht einmal eines Blickes, und als sie sich auf dem Bürgersteig den Riemen ihrer Sandale neu gebunden hatte, damit sie nicht auch noch in ihrem schlafwandlerischen Gang auf die Schnauze fiel, warf ihr doch tatsächlich ein vorbei eilender Geschäftsmann mit Handy am Ohr, eine Münze vor die Füße.

Als wäre sie eine Obdachlose, die um Geld bettelte!

Natürlich hatte Viola die Münze aufgehoben, da es ansonsten Verschwendung gewesen wäre, aber sie war verdammt noch mal kein Penner!

Obwohl ihr Äußeres etwas anderes schrie.

Verblüfft über die seltsame Erscheinung in dem kleinen Spiegel, der bei den Sonnenbrillen im Supermarkt hing, starrte Viola ein Selbst von sich an, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.

Rote, aufgequollene Augen. Tiefschwarze Schatten darunter. Zerzaustes und ... igitt ... fettiges Haar, das bestimmt auch ohne Haargel in jede Richtung abgestanden wäre, wenn man es nur ließe ...

Dazu eine undurchdachte Auswahl an tagelang getragenen Schmuddelklamotten, auf denen man sogar deutlich Spuren von Speiseresten erkennen konnte, die geradezu von vergangenen Fressorgien kündeten.

Der Schokoklecks in ihrem Mundwinkel war da nur noch das Sahnehäubchen oben drauf und ernüchterte sie endgültig.

Hastig wischte Viola sich mit einem Zipfel ihres Schlabbershirts den Mund ab, richtete das Vogelnest auf ihrem Kopf so gut es in diesem Zustand eben ging und zog noch einmal kräftig die wunde und vom vielen Schnäuzen gerötete Nase auf, da sie zu diesem Ensemble bestimmt kein Taschentuch dabei hatte.

In einem Tempo, auf das Superman neidisch gewesen wäre, bezahlte sie ihre Einkäufe, ohne auch nur einmal hochzublicken und verließ schwer beladen mit dem neuen Fressorgiennachschub eilig das Geschäft.

Sie verstaute lediglich die leicht verderblichen Lebensmittel im Kühlschrank, ehe sie sich selbst in Angriff nahm und sich unter die Dusche zwang.

Viola hatte seit Tagen nicht mehr geduscht. Nicht mal ihre tägliche Katzenwäsche vollzogen oder sich die Zähne –

Ach, verdammt. Seit Zin weg war, hatte sie sich vollkommen fallenlassen, und zwar in einen Berg aus Schokolade, Eiscreme und als Kontrast dazu, in Unmengen von salzhaltigem Knabberzeug.

Eigentlich müsste sie bereits zehn Pfund mehr auf den Hüften haben, da sich das Zeug ja leider nicht einfach in ihren Brüsten absetzen würde, doch als sie bebend und bibbernd wegen des kühlen Wassers und ihrer immer noch großen Abneigung dagegen in der Dusche stand, sah alles noch so aus wie zuvor. Zumindest ihre Konturen.

So wie Zin sie verlassen hatte.

Zin ...

Sofort wollten neue Tränen bahnbrechend über ihre Wange kullern, doch dieses Mal drehte Viola ihnen den Hahn zu und griff stattdessen nach dem Shampoo.

Wenn Zin sie jetzt so sehen könnte, würde er sie nicht wieder erkennen und Viola wusste nicht, was er zu ihren fettigen Haaren und zu ihrer neuesten Körperbehaarung sagen würde, die inzwischen wieder fröhlich nachgewachsen war, nachdem niemand sie daran gehindert hatte.

Außerdem roch sie erbärmlich. Was nicht unbedingt allein an ihrer feinen Nase lag.

Es war zwar absolut unwahrscheinlich, dass er in dieser Minute zur Tür hereinspazierte, aber selbst für den winzigen Hauch einer Möglichkeit, dass es doch so kommen könnte, wollte Viola nicht, dass er sie so sah.

Sie hatte sich lange genug gehenlassen, sich ihrer Trauer ergeben, und obwohl sein Verlust sie immer noch wahnsinnig schmerzte, so wusch sie sich doch tapfer ein zweites Mal die Haare, spülte sie gründlich aus, ehe sie den Rest ihres Körpers ebenso gründlich einseifte und so lange schrubbte, bis sie so duftete, wie eine Frau für ihren Mann duften sollte.

Danach zog sie sich frische Sachen an und begann den Müllberg zu beseitigen, der ihr Heim überrollt zu haben schien.

Merkwürdigerweise half Viola das, ihre Gedanken zu klären und ihre Gefühle wieder etwas zu beruhigen, so dass am Ende das Haus so blitzblank war, wie es höchstens zu Zeiten ihrer Oma gewesen sein musste.

Zufrieden damit, sich größtenteils von Zins Verlust mit Arbeit ablenken zu können, stürzte sie sich auch wieder in ihren Beruf und machte somit all die Stunden wieder gut, die sie bereits seit Beginn ihrer Anstellung versäumt hatte.

Erst Tage später, als Viola glaubte, es würde langsam wieder bergauf gehen und sie könnte die Zeit abwarten, bis Zin wieder zu ihr zurückkehrte, ohne dabei verrückt zu werden, wurde ihr bewusst, wie falsch sie mit dieser Annahme lag.

Viola kam in ihre fruchtbare Zeit und somit direkt in die Hölle ...
 

***
 

Sie waren umgeben von allumfassendem Blau. Verschiedene Töne, Varianten und Abstufungen davon. Aber es war und blieb: blau.

Die kleinen Arme, die um seinen Hals lagen, zuckten leicht, als der Junge auf seinem Rücken langsam begann einzuschlafen. Was Zin dazu zwang, sein Tempo etwas zu drosseln und einen Arm auf die Hände des Kindes zu legen, damit er es nicht verlor.

Nicht nur die Kinder waren inzwischen erschöpft. Die lange Reise ohne wirkliches Ziel nagte immer deutlicher auch an den Erwachsenen.

Zin konnte sich selbst dabei sicher nicht ausnehmen. Ihm fielen schon seit Kilometern immer wieder die Augen zu und er musste sich dazu anhalten, auf die Richtung ihres Schwarms zu achten. Und dabei hatten sie nicht einmal eine Ahnung, wohin genau sie schwammen. Irgendwo am Ende des langen Weges sollte eine Inselkette auf sie warten. Weit entfernt vom Festland und kaum mit Schiffen befahrbar.

Was Zin schwer im Magen lag. Natürlich hatte er eingewilligt, seinen Schwarm zu begleiten und heraus zu finden, ob der Ort für sie ideal und bewohnbar war. Aber sofort, als die Angelegenheit zum Thema wurde, hatte er an Viola gedacht.

Als hätte er einmal mehr als zwei Minuten nicht an sie denken können.

Er vermisste sie. So sehr, dass ihm jedes Mal das Herz schwer wurde und drohte, in auf den Grund des Ozeans zu ziehen, wenn er es nur zuließ. Deshalb versuchte er, den Gedanken an Trennung zu verdrängen. Er konnte daran denken, wie es war, bei ihr zu sein. Er durfte sich vorstellen, wie das Wiedersehen sein würde. Aber er konnte es sich nicht erlauben, über seine Sehnsucht nach ihr zu grübeln.

Schon jetzt sah man es ihm an. Er war dünn geworden. Noch sehniger als ohnehin schon und seine Augen lagen tief in ihren Höhlen. Und dabei bemühte sich Zin, fit zu bleiben. Er aß, auch wenn es ihm nicht schmeckte, er schlief, wenn es die Zeitplanung zuließ. Was leider seltener der Fall war, als es jedem lieb sein konnte.

Der Kopf des Jungen auf seinem Rücken rutschte zwischen Zins Schulterblätter und er kam kurz ins Trudeln. Sein Rücken machte ihm Probleme. Nicht ständig, aber immer wieder so nachhaltig, dass er die Zähne zusammenbeißen musste. Dass er teilweise nur mit der halben Kraft eines normalen Meermanns atmen konnte, machte ihm zu schaffen. Bloß hätte Zin das niemals zugegeben. Er wollte dem Schwarm nicht zur Last fallen. Und er wollte schnell vorwärtskommen. Je schneller sie ihr Ziel erreichten, desto schneller konnte er seine Pflichten abgeben. Und sich auf den Weg machen, um Viola abzuholen.

Er würde nicht nur für seinen Schwarm, sondern auch für sie ein neues Zuhause finden. Einiges davon hatte er sich schon genau überlegt. Es würde noch mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber ... sie verdiente es, dass Zin sich zuerst darum kümmerte. Für Viola, die Frau, an die er jeden Moment dachte, für die sein Herz schlug. Und ja: Zu der er verdammt nochmal sofort zurück wollte!
 

***
 

Es war so verdammt heiß!

Schweißperlen liefen ihr über die Schläfen, den Hals hinab, zwischen ihren Brüsten hindurch und wurden erst dort von ihrem knappen Kellnerinnenoberteil aufgesogen. Doch sie konnte den salzigen Perlen nicht entkommen, die sich überall auf ihrem Körper bahnziehend einen Weg zur Erde suchten.

„Einen 'Sex on the Beach' und eine 'Virgin Mary'“, gab sie an Dan weiter, der sie schon die ganze Zeit so seltsam ansah und kurz davorstand, ihr irgendetwas mitzuteilen. Aber an ihrem neu entflammten Arbeitseifer konnte es wohl kaum liegen. Immerhin hatte er sie in der letzten Zeit mehr als einmal gelobt, wie gut sie ihren Job machte und wie froh er war, dass es ihr offenbar wieder besser ging.

Der gute alte Dan.

Er hatte wirklich absolut keine Ahnung.

Während ihr Boss die Cocktails mixte und Viola sich eine Pause gönnte, schnappte sie sich über die Theke hinweg einen Eiswürfel und hielt ihn sich an ihre Schläfe. Seufzend schloss sie die Augen und genoss die Kälte auf ihrer überhitzten Haut. Dabei hatten sie ganz normale Temperaturen, die für sie normalerweise kein Problem darstellten.

Normalerweise. Momentan war nichts an ihr normal. Ihr ganzer Körper spielte verrückt, was sie inzwischen ganz wahnsinnig machte.

Der Eiswürfel glitt samt ihrer Finger von ihrer Schläfe über ihren Hals hinab bis tief in ihren Ausschnitt.

Unbewusst rieb Viola auch ihre Schenkel aneinander, da sie sich so wahnsinnig nach dem einen verzehrte, das ihr seit einer Ewigkeit wie es schien, verwehrt blieb.

Gott, sie wollte Sex! Am besten hier auf der Stelle.

Sogar das ganze Publikum in der vollgestopften Bar wäre ihr egal gewesen!

„Ähm ... Viola?“

Dan räusperte sich vernehmlich, so dass er wieder ihre Aufmerksamkeit gewann und sie den Rest des winzigen Eiswürfels in den Mund nahm, um noch ein bisschen daran zu lutschen, ehe dieser ganz in Wasser aufgehen konnte.

„Was?“, nuschelte sie an dem Eis vorbei und stellte ihr Tablett wieder auf die Theke, damit er ihr die fertige Bestellung geben konnte. Doch er hatte mittendrin einfach aufgehört, was Viola nun doch skeptisch machte.

Sie schluckte den Eiswürfel hinunter und drehte sich ganz zu ihrem seltsam dreinschauenden Boss herum.

„Was ist los, Dan? Habe ich irgendwas im Gesicht oder sowas?“

Dan beugte sich vor, während er sich offenbar bemühte, ihr nur in die Augen zu sehen. Also hatte sie doch irgendetwas im Gesicht.

„Bei dir alles klar?“, wollte er leise aber nachdrücklich wissen.

Viola zuckte nur mit den Schultern.

„Aber klar. Warum nicht?“

Er sah sie nur skeptisch an, was Viola noch verrückter machte. Warum rückte er nicht einfach mit der Sprache heraus? Das fiel ihm doch sonst nicht so schwer.

„Dan, was willst du? Stimmt etwas mit den Bestellungen nicht? Hab ich 'nen fetten Pickel auf der Nase, den du aber lieber umschreiben möchtest? Was ist es?“

„Gott, nein!“

Dan lehnte sich lächelnd zurück und machte sich nun doch daran, die Drinks weiter zu zubereiten, ohne ihr allerdings eine Antwort zu geben.

Viola seufzte und wollte eigentlich nicht weiter nachbohren, aber da ihr der ganze Abend schon so seltsam vorkam, nicht zuletzt wegen ihrer durchdrehenden Hormone, konnte sie es nicht auf sich beruhen lassen. Daher sah sie Dan immer noch auffordernd an.

„Also?“

Er tat noch ungefähr eine halbe Minute lang so, als müsse er die perfekte Position für das kleine bunte Cocktailschirmchen finden, ehe er sich endlich so weit hatte, dass er zu einer Antwort fähig war. Was Viola noch mehr beunruhigte.

„Also, Viola. Ich will mich wirklich nicht über deine Arbeitsweise beschweren, immerhin ist die Bude in letzter Zeit gerammelt voll und die Trinkgelder fließen nur so, aber ich weiß einfach nicht, was ich von deiner derzeitigen Arbeitseinstellung halten soll. Ich meine, du hängst dich so rein wie noch nie, siehst aber nicht so aus, als würde es dir dabei schlecht gehen. Dagegen ist wirklich nichts einzuwenden, aber ich finde ... du solltest dich etwas ... zurückhalten.“

Nun war sie dann doch völlig baff.

„Was?“, konnte sie nur entgeistert fragen. „Inwiefern zurückhalten? Ich mache doch meinen Job ganz normal wie immer. Du selbst hast mich gelobt, dass ich in letzter Zeit so pünktlich und zuverlässig bin und jetzt auf einmal passt dir das nicht mehr?“

Oh nein, sie durfte sich nicht aufregen. Das trieb ihre Temperatur nur noch mehr in die Höhe.

So verstohlen wie möglich wischte sie sich mit einer Serviette den Ausschnitt etwas trocken. Sie zerfloss hier gleich und das nicht nur vor Schweiß.

Dass Dan offenbar ein Problem mit ihr hatte, heizte auch andere Regionen an ihr an, obwohl sie das ganz und gar nicht nachvollziehen konnte.

Es war ja schließlich nicht so, als wäre sie scharf darauf, Sex mit Dan zu haben. Immerhin war er mehr wie ein Vater für sie. Aber dieses Gezanke ...

"Da, genau das meine ich!“

Erschrocken hielt Viola in ihrer Bewegung inne. Sie war mit der Serviette gerade in ihrem Nacken angekommen.

Allerdings nahm sie ihre Hand nun runter und hatte diese vagen Andeutungen nun wirklich satt.

„Okay, Dan. Wenn du nicht willst, dass ich jetzt einfach gehe, um mich zuhause in meinen Kühlschrank zu setzen, sprichst du jetzt besser Klartext mit mir. Ich verstehe einfach nicht, worauf du hinaus willst.“

Dan kniff sich um Beherrschung ringend mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel, während er für einen Moment lang die Augen schloss.

Ja, er könnte wirklich ihr Vater sein.

Offenbar war es schlimmer, als sie angenommen hatte. Man sah ihm an, wie sichtlich unwohl er sich fühlte, als er sich endlich dazu durchringen konnte, mit der Wahrheit herauszurücken.

„Viola hätte ich das Geld dafür, hier eine Klimaanlage zu installieren, ich würde allein dir zuliebe eine hier rein stellen.“

Was auch immer das jetzt bedeuten sollte.

„Ich mache mir einfach Sorgen. Nicht etwa, ob du krank bist, denn das bist du offensichtlich nicht, so wie du vor blühendem Leben nur so strotzt, aber ich bin nun einmal nicht der einzige Mann hier, dem das auffällt. Also könntest du bitte, weniger freizügig sein und meine Gäste nicht so nach dir hecheln lassen? Sonst muss ich dir auch noch Begleitschutz mit auf dem Weg geben, wenn du nach Hause gehst.“

Also das war es ...

Lächelnd stellte Viola die Drinks auf ihr Tablett und hob es hoch.

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich bin schon ein großes Mädchen.“ Und ein paar spitze Männer wären ihr immer noch lieber, als ein fetter Pickel auf der Nase. Da könnte sie sich wenigstens in einer ordentlichen Auseinandersetzung abreagieren. Denn eines stand für Viola fest: Obwohl sie während ihrer fruchtbaren Zeit fast umkam vor Verlangen, gab es nun einmal nur einen Mann, mit dem sie es stillen wollte und der war leider unzählige Seemeilen von ihr entfernt. Was bedeutete, dass sie sich schön brav von Orgien fernhielt und nach der Arbeit nach Hause ging, um alleine in ihrem Bett zu schlafen. Allerdings zurzeit erst, nachdem sie sich mit unzähligen Fantasien in denen Zin die Hauptrolle spielte, in den Schlaf gestreichelt hatte. Was am Morgen ihre Sehnsucht nach ihm nur noch unerträglicher machte, da die Stelle in ihrem Bett neben ihr verlassen geblieben war.
 

***
 

Nicht einschlafen.

Zin wusste nicht genau, ob er sich selbst oder die Frau meinte, die neben ihm her schwamm. Ihre Augen waren schon halb geschlossen und immer wieder trieb sie einfach nur so dahin und wurde weiter an die Oberfläche gezogen. Sie konnten alle langsam aber sicher nicht mehr weiter.

Zum x-ten Male sah Zin sich nach den Oberhäuptern des Schwarms um und gab ihnen ein Zeichen. Sie nickten auch wieder, was Zin ein wenig erleichtert stimmte. Sobald es möglich war, würden sie rasten. Bloß ... wo in dieser blauen Unendlichkeit würden sie einen geeigneten Ort dafür finden?

Eigentlich hatten sie alle schon vor Stunden mit einem Vulkankegel oder zumindest einem Riff gerechnet. Hier in der Gegend musste irgendwo ein Gebirge im Meer aufragen und eine Inselkette bilden.

Hatten sie sich falsch orientiert und waren in eine andere Richtung unterwegs, als ursprünglich geplant?

Seine Brüder und er hatten immer wieder die Strömungsrichtungen, den Stand der Sonne und bald deren letzten, wärmenden Strahlen gelesen. Sie mussten auf dem richtigen Weg sein. Warum aber dauerte es so lange?

Inzwischen trug Zin zwei kleine Kinder auf seinem Rücken, bei denen er immer mehr die Müdigkeit und auch die Kälte bemerkte, die ihnen unter die Haut kroch. Das Mädchen zitterte leicht und hatte ihre Arme – anstatt um Zins Hals – um den Körper ihres nicht sehr viel älteren Bruders geschlungen. Sie mussten bald ankommen. Sie mussten einfach.

Wie er es schon seit Stunden tat, horchte Zin auch jetzt wieder in sich hinein. Ein paar wenige Kraftreserven hatte er noch. Aber lange würde auch er nicht mehr durchhalten. Sein Rücken schmerzte und ihm wurde immer wieder schwindelig von der Anstrengung, die Kinder zu tragen. Seine Kiemen machten ihm Schwierigkeiten und er schwamm schon eine ganze Weile in Schonhaltung, auch wenn er das versuchte, vor den Anderen zu verbergen.

Viola, vielleicht habe ich einen Fehler gemacht ...

Er schüttelte seinen Kopf, um nicht weiter an sie zu denken. Um nicht einmal die Idee zu bekommen, dass er sie nie wieder sehen würde.

Dass sein Schwarm bis jetzt noch keinen Unterschlupf gefunden hatte, hieß nicht viel. Vielleicht hatten sie sich bei der Strecke ein bisschen verrechnet. Aber eine Insel, ein Unterwassergebirge ... konnte nicht einfach verschwinden. Sie würden es finden. Noch bevor die Nacht zu Ende war.
 

Die Mutter nahm ihm die Kinder ab und sah selbst so aus, als hätte sie sich gern an jemanden gelehnt, um endlich ein bisschen zu schlafen. Zin konnte es ihr nachfühlen. Aber für ihn war es noch nicht so weit. Der einzige Trost blieb, dass er vielleicht helfen konnte, die Situation für alle zu verbessern.

Mit schmerzenden Augen und Gliedern drehte er sich um, warf einen Blick auf die kleine Mannschaft von Ausgewählten und gesellte sich zu ihnen. Ein paar Absprachen wurden getroffen, bevor sie sich aufmachten.

Vor ihnen ragte ein Atoll in die Höhe. Eines von mehreren, die von qualmenden Unterwasserschloten unterbrochen wurden. Das Wasser war warm und voller Leben. Etwas, das nicht nur Zin gefiel, sondern vor allem auch den Kindern wieder ein wenig Leben in die müden Körper hauchte.

Doch leider war es nicht so, dass alles, was schön aussah, sich auch zum Leben eignete. Deshalb war eine kleine Gruppe zusammengestellt worden, die sich das nächstliegende Atoll einmal genauer ansah.

Zin hatte sich dazu einteilen lassen, den Part unter der Oberfläche zu übernehmen. Zwar wäre es für seine Kiemen sicher leichter geworden, sobald sie an Land gingen. Andererseits würde der Aufstieg ihnen und seiner Schwimmblase zu schaffen machen. Er hatte bereits gemerkt, dass es diesem Organ in den letzten Stunden immer schlechter gelungen war, mögliche Wassertiefenänderungen auszugleichen. Also blieb wohl fürs Erste nur die Felsspalte vor ihm.

Einmal schloss Zin fest die Augen, dann öffnete er sie wieder und atmete tief durch, bevor er seine Hände auf den rauen Stein legte, der von bunten Korallen und Weichtieren überwuchert war. Er zog sich in die Felsspalte und damit in die vollkommene Dunkelheit.
 

***
 

Das Wasser schlug ihr um die Knöchel, während sie langsam und mit hängendem Kopf den Strand entlang spazierte. Das Mondlicht verfing sich in ihrem Haar und erhellte Viola zugleich den Weg, obwohl es dank ihrer Natur nicht nötig gewesen wäre. Eigentlich machte sie der Anblick des Vollmonds sogar noch melancholischer.

Sie konnte nicht schlafen.

Bald würde der Höhepunkt ihrer fruchtbaren Zeit überschritten sein, doch bis es so weit war, stand sie wie unter Strom. Sich selbst zu streicheln brachte ihr keinerlei Befriedigung mehr, sondern hinterließ in ihr noch mehr Sehnsucht nach dem Mann, der ihr von Tag zu Tag mehr fehlte, obwohl man eigentlich meinen sollte, dass es mit der Zeit besser werden würde. Immerhin hatte sie vor Zins Erscheinen auch alleine gelebt und das sehr lange. Sie wusste also, wie es ging, doch irgendwie konnte sie sich diese alte Haut nicht mehr überziehen.

Viola war herausgewachsen und würde wohl auch nie wieder hineinpassen. Was sie auch gar nicht wollte. Sie wollte einfach nur Zin.

Ein schweres Seufzen kam über ihre Lippen. Eines von vielen in dieser Nacht. Ihr war so elendiglich zu Mute.

Dabei war es nicht einmal Zins Körper, den sie im Augenblick so sehr vermisste und welche Erlösung er ihr schenken könnte. Nein, sie vermisste seine Persönlichkeit, seine Gegenwart, das Gefühl seiner Nähe.

Eigentlich vermisste sie alles an ihm.

Die Art, wie er sich von anderen Männern unterschied, wie er sowohl feinfühlig wie auch stark sein konnte. Sein Unwissen über viele alltägliche Dinge und seinen Drang danach, diese zu ergründen, aber vor allem vermisste sie an ihm, wie er mit ihr umging ...

Viola blieb mit dem Gesicht zum Meer gewandt stehen und ließ das Wasser bis über ihre Waden strömen, ohne Angst davor zu empfinden. Denn inzwischen war ihr klar, dass keine ihrer Ängste größer sein konnte, als die Angst davor, Zin vielleicht nie wieder zu sehen.

Sie wusste nicht, wie es ihm ging. Ob er noch unterwegs war, es geschafft hatte, oder ob ihnen auf dem Weg zu ihrer neuen Heimat etwas zugestoßen war und diese Unwissenheit war um vieles schlimmer, als die Angst vor dem Wasser.

Lange blieb sie so stehen, mit starrem Blick aufs Meer hinaus und immer den Tränen nahe, doch am Ende gestattete sich Viola nur noch eine einzige Träne, die ihr über die Wange lief, ehe sie diese entschlossen wegwischte und sich mit energischen Schritten zurück zu ihrem Haus aufmachte.

Sie wusste zwar nicht, wie es Zin ging, aber sie wusste, was zu tun war, wenn er wieder zu ihr zurückkam und das konnte sie auch ohne ihn. Sie durfte einfach nicht die Hoffnung verlieren, denn das war alles, was ihr noch blieb.
 

***
 

In vollkommene Dunkelheit gehüllt, atmete Zin ruhig aus und ein. Was er hier am ehesten erwarten konnte, waren schlafende Haie, Muränen oder Steinfische. Alles keine sonderlich netten Zeitgenossen. Aber Zin wusste, wie er sich verhalten musste, um nicht gebissen oder anderweitig verletzt zu werden.

Jetzt allerdings war er nur von Stein umgeben, ein paar kleinere Fische schwammen an ihm vorbei oder verbargen sich vor seiner großen Silhouette in Ritzen und Löchern. Der Durchgang war nicht lang. Etwa vier Meter, bevor wieder gräuliches Licht zu erkennen war, auf das Zin sich langsam und vorsichtig zu bewegte.

Mit offenen Augen und aufmerksamem Blick steckte er seinen Kopf aus dem schmalen Felsspalt und sah sich um. Vor ihm öffnete sich eine Art natürlicher Brunnen. Ein fast kreisrundes Loch im Plateau. Von oben fiel Licht herein und beschien die bewachsenen Felsvorsprünge.

Das erste Mal seit vielen Tagen musste Zin lächeln.
 

***
 

„Viola?“

Tess betrat ungeniert das alte Haus durch die sperrangelweit offen stehende Haustür, doch von Viola war nichts zu sehen, dafür standen haufenweise gestapelte Kartons und ebenso viele, die erst zusammengefaltet werden mussten, herum.

Seltsam.

„Hier!“

Violas Stimme drang nur gedämpft aus den Tiefen des normalerweise gar nicht mal so großen Hauses zu ihr durch und ließ Tess verwundert die gleichfarbige Augenbraue heben.

„Wo?“, rief sie daher nach einem Moment zurück, in dem sie jedes Zimmer im Erdgeschoss nach Viola abgesucht, sie aber nicht gefunden hatte.

„Dachboden!“

Dachboden? Seit wann ging Viola auf den Dachboden? Das letzte Mal war sie dort gewesen, um die Habseligkeiten ihrer Oma dort oben für immer zu versiegeln, so dass niemand auch nur ein Kleidungsstück oder sonst etwas von den Habseligkeiten der alten Dame mitnehmen konnte. Sie diese aber zugleich auch nicht mehr sehen musste.

Damals war sie total am Boden zerstört gewesen und Tess hatte geglaubt, dass der alte Plunder dort oben eher verrotten würde, als irgendwo anders hinzukommen. Andererseits verhielt sich Viola in letzter Zeit ohnehin ziemlich merkwürdig.

Nachdem ihre Trauer um ihren neuen Freund ein bisschen nachgelassen und sie sich in ihre Arbeitswut hinein gesteigert hatte, dachte Tess eigentlich, es würde langsam wieder bergauf gehen, aber das hier ...

Im ersten Stock stapelten sich noch mehr Kisten. Sowohl alte, mit Staub bedeckte Kartons, wie auch welche aus dem neuen Baumarkt.

Neugierdehalber lugte Tess in einen der Neuen hinein, nur um verwundert einen von Violas Badeanzügen herauszuziehen, den sie erst letzten Sommer gekauft hatte.

Da sie nicht zu den Frauen gehörte, die sich Klamotten kaufte, nur um sie dann nur einmal zu tragen, fragte Tess sich, was es wohl damit auf sich hatte. Immerhin war der Badeanzug nicht das Einzige, was Viola in die neuen Kartons verstaut hatte.

Während Tess an Violas Zimmer vorbeiging, konnte sie sogar die Farbe des Fußbodens erkennen – dunkle Kirsche. Den Boden hatte sie all die Jahre noch nie gesehen!

Kein Wunder bei Violas Hang zur Unordentlichkeit, doch davon war inzwischen in dem Zimmer nichts mehr zu sehen. Ganz im Gegenteil, es war so akkurat aufgeräumt, als wäre ein General eingezogen. Was bedeutete, dass nicht einmal mehr Fotos oder Poster an der Wand hingen. Man sah zwar noch die Abdrücke, aber die vielen Andenken an schöne Zeiten waren verschwunden. Eigentlich alles, was man als persönliche Gegenstände ansehen konnte.

Jetzt bekam Tess es tatsächlich mit der Angst zu tun. Wollte Viola denn wegziehen?

„Vy?“

Vorsichtig erklomm sie die wackelige Leiter zum Dachboden und steckte den Kopf hinein, um nach Viola zu suchen, die gerade leise vor sich hin hustend, einen weiteren Karton aus einer der hintersten Ecken des riesigen Raumes hervor zog. Vermutlich Bücher, so schwer, wie sie die Kiste über den Boden schleifenlassen musste.

"Was machst du ... hier?“

Tess fiel beinahe die Kinnlade herunter, als Viola ins Licht eines der Dachfenster trat und dabei eine Seite von sich zeigte, die sie so noch nie an ihrer Freundin gesehen hatte.

Heilige Scheiße, was war nur mit Viola los?

Feine Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, während ihre Wangen leicht gerötet waren. Das Haar fiel ihr etwas wirr über die Schultern, obwohl Viola sie eigentlich mit einer Haarspange zu bändigen versucht hatte. Die knappe Kleidung klebte ihr feucht und wie eine zweite Haut am Körper, als hätte sie gerade wilde Stunden körperlicher Anstrengung hinter sich, sah dabei aber so aus, als wären es schöne körperliche Anstrengungen gewesen.

Tess hatte Viola noch nie so strahlen sehen, obwohl in ihren Augen immer noch Trauer stand.

Eigentlich war die Blondine noch nicht einmal bisexuell, aber Violas Ausstrahlung war so intensiv, dass sie sich das fast überlegen müsste, wäre Viola dem nicht ebenso abgeneigt, wie sie selbst.

„Ich räume den Dachboden aus. Siehst du doch“, war Violas schlichte Antwort, während sie den schweren Karton neben Tess und der Dachbodenluke stehenließ und wieder nach hinten in einen der dunkleren Winkel verschwand, um vermutlich eine weitere Kiste zu holen.

Tess brauchte immer noch einen Moment, um sich von dem Schock eben zu fangen. Am Ende schob sie die Erscheinung einfach auf die Lichtverhältnisse hier. Das hatte sie sich sicher nur eingebildet.

„Aber ... warum auf einmal jetzt und warum hast du dein Schlafzimmer vollkommen ausgeräumt?“

Während sie sprach, kam Tess noch ein paar Stufen weiter hinauf, um einen besseren Überblick zu haben. Es war fast erschreckend, wie leer der Dachboden war. Früher hatte man hier kaum einen Meter weit gehen können ...

„Weil ich damit am Längsten von allen Räumen gebraucht hätte. Daher habe ich ihn mir als Erstes vorgenommen.“

Tess' erste Frage ignorierte sie einfach. Stattdessen brachte sie einen sehr viel leichteren Karton zu ihrer Freundin und drückte ihn ihr in die Hand.

„Wenn du schon mal hier bist, kannst du dich auch gleich nützlich machen. Räum den bitte nach unten.“

Und damit verschwand sie auch schon wieder.
 

***
 

„Hier. Iss etwas.“

Mit einem Nicken, das Ergebenheit genauso wie Dankbarkeit auszudrücken vermochte, nahm Zin das kleine Päckchen entgegen. In Algen eingewickeltes Fischfilet. Die Farbe deutete auf Thunfisch, den Zin normalerweise sehr gern aß. Aber jetzt war ihm eigentlich egal, was er zu sich nahm. Er aß, weil er es musste. Weder hatte es etwas mit Genuss, noch mit Bedürfnis zu tun. Sein Körper musste stark bleiben, das war alles. Das Hungergefühl, das ihn noch vor Stunden geplagt hatte, hatte er überwunden. Jetzt fühlte er sich nur leer und müde.

So wie der Rest des Schwarms.

Wenn er sich umsah, blickten ihm erschöpfte Gesichter mit tiefen Ringen unter den Augen entgegen. Die Kinder hatten sich an Ort und Stelle irgendwo zusammengerollt und schliefen die Zeit, die sie hatten. Die Kleineren von ihnen waren teils noch nicht zur Ruhe gekommen und klammerten sich an ihre Mütter, die ebenso reif für Erholung aussahen, wie Zin sich fühlte.

Er biss in seinen Fisch, kaute und schluckte. Eigentlich schmeckte er gar nichts, aber sein Magen schien sich über die Energiezufuhr zu freuen.

Zin unterdrückte ein Gähnen und sah zu seinen Brüdern hinüber, die sich leise unterhielten. Nicht sicher, ob ihre Worte ihn interessieren sollten, seufzte Zin innerlich und ließ es für jetzt auf sich beruhen. Wenn es etwas Wichtiges gab, würden sie es dem Schwarm als Ganzem erzählen. Dann würde auch er die Neuigkeiten erfahren. Die Beschlüsse, von denen er noch nicht sicher war, ob sie ihn überhaupt betreffen würden.
 

Irgendwann war es dunkel geworden. Die Familien hatten sich einen Schlafplatz gesucht, sich zum Gefühl der Sicherheit zusammen gekuschelt und hatten zum größten Teil endlich den lang verdienten Schlaf gefunden.

Wachen waren aufgestellt worden und Stille hatte sich über die Gruppe gelegt. Noch hatte niemand etwas darüber verlauten lassen, ob sie längerfristig hier bleiben würden. Es war ein geeigneter Ort. Der Erste, den sie gefunden hatten. Aber noch schien niemand sich dem vielleicht trügerischen Glück hingeben zu wollen. Was, wenn jemand beschloss, dass es doch nicht sicher war? Dass sie zu nah an der Küste waren oder ... einfach irgendetwas an diesem Ort nicht stimmte?

Zin legte seinen Kopf auf seinen Unterarm und wandte das Gesicht zur Oberfläche hinauf. Das Meer war ruhig und er konnte den Schleier der Sterne darüber erkennen. Er dachte an Viola und fragte sich, ob sie wohl schon schlief. Wie es ihr ging und ... wie lange er noch brauchen würde, um zu ihr zurückzukehren.
 

***
 

„Ich kann nicht glauben, dass Zin dir das angetan hat.“

Tess' Blick war ebenso an der Grenze zu reinem Entsetzen, wie auch ihre Stimme, doch davon ließ sich Viola wenig beeindrucken. Stattdessen nahm sie einen ausgedehnten Schluck von ihrem Eistee und blickte durch die offene Terrassentür zum Meer hinaus.

„Zin hat mir gar nichts angetan. Es war ganz allein meine Entscheidung.“

Ihre eigene Stimme war ruhig und gefasst. Kein Zittern, kein Beben, noch nicht einmal ein Hauch von Verunsicherung.

Viola war sich in ihrem Leben noch nie bei etwas so sicher gewesen. Zwar gab es da diese kleine fiese Stimme in ihrem Hinterkopf, die ihr ständig einreden wollte, dass Zin ja gar nicht mehr zu ihr zurückkehren könnte, doch die meiste Zeit konnte Viola sie ausblenden und dann fühlte es sich richtig an, was sie getan hatte, auch wenn es in Tess' Augen so falsch erschien.

„Aber du hast das doch nur für ihn getan? Weil du offenbar genau weißt, dass du weggehen wirst. Warum? Warum kann er nicht einfach hier bei dir bleiben? Immerhin besitzt du ein eigenes Haus!“

Tess versuchte es schon seit Stunden mit den unterschiedlichsten Argumenten, doch bisher war es ihr nicht gelungen, Viola von ihrem Vorhaben abzubringen. Stattdessen hatte sie Stück für Stück dabei mithelfen müssen, die Sachen ihrer Freundin in frische Kartons zu packen und in den Flur zu stellen, bis dort nur noch ein schmaler Gang übriggeblieben war, der gerade so zum Durchschlüpfen reichte. Morgen würden Männer von einer wohltätigen Stiftung kommen und alles abholen.

Viola hatte so gut wie alles, was nicht niet- und nagelfest war – vom Mobiliar einmal abgesehen – verschenkt!

"Weil er eine große Familie hat und diese braucht und die ist nun einmal nicht hier. Ich habe nichts, was mich hier halten könnte. Meine Familie ist tot.“ Oder so gut wie. Ihren Vater wollte sie ohnehin nicht sehen und anrufen könnte sie ihn im Notfall immer noch. Violas Mutter war in ihren Augen schon längst gestorben, selbst wenn sie dort draußen immer noch irgendwo in der Weltgeschichte herumhuren sollte.

„Und was ist mit mir?“

Die leise gehauchte Frage ließ Viola dann doch aufhorchen und sie wandte ihren Blick vom Meer ab, direkt ihrer Freundin zu.

Tess saß im Schneidersitz auf dem gemütlichen Couchsessel, ihr Glas Eistee stand immer noch unberührt vor ihr auf dem Tisch, während sie ihre Hände im Schoß hielt und mit dem Saum ihres Hosenbeins spielte. Auf ihrem Gesicht spiegelten sich deutlich ihre Gefühle wider und trafen somit mitten in Violas Herz.

Sie sprang so schnell von der Couch auf, dass sie etwas Eistee verschüttete, ehe sie ihr Glas auf dem Tisch abstellen und zu Tess hinüber eilen konnte, um ihrer Freundin die Arme um die Schultern zu schlingen.

„Du weißt doch, dass du für mich trotzdem die allerbeste Freundin der Welt bleiben wirst.“, versuchte Viola sie zu trösten, aber natürlich half das nicht viel. Gerade jetzt wollte sie noch nicht über alle möglichen Abschiede nachdenken, das würde sie später noch genug fertigmachen. Dennoch war es nicht leicht, Tess so zu sehen. Immerhin kannten sie sich, seit Viola von ihrem Vater hierher geschickt worden war und sie hatten ebenso viel Scheiße zusammen durchgestanden, wie sie Unsinn angestellt hatten und das war wirklich eine Menge gewesen.

Eine Weile schwiegen sie beide, während Viola ihre Freundin festhielt, bis Tess sich wieder straffte und Viola von der Seite her angrinste.

„Okay, ich werd hier keine Szene machen, aber nur wenn du mir vor deiner Abreise noch verrätst, was zur Hölle noch mal dein Geheimnis ist. Vy, selbst verschwitzt und verstaubt siehst du immer noch verdammt scharf aus und dass sag ich als absolute Penis-Liebhaberin!“

Darauf konnte Viola nur zu lachen beginnen und einen Moment später hatte sie auch schon Tess angesteckt.

Wie viel Zeit sie hier auch noch haben würde, es wäre niemals genug, aber für Zin würde sie sogar bis ans Ende der Welt gehen, solange sie nur bei ihm sein konnte.

35. Kapitel

Die Wellen spülten Wasser um seine Hüften. Das Meer rauschte laut in seinem Rücken und vor ihm lag die kleine Insel so ruhig da, dass sie fast unbewohnt wirkte.

Zin runzelte die Stirn und fragte sich nicht zum ersten Mal, ob es richtig war, Viola von hier weg zu holen. Natürlich war es ihre eigene Entscheidung und er würde sie zu absolut nichts zwingen, aber ...

Er hatte die neuen Konstruktionen vor der Küste gesehen. Stählerne Gerippe, die über der Wasseroberfläche emporragten wie düstere Skelette.

Bei dem Gedanken kroch eine Gänsehaut über Zins Arme. Seine Miene wurde hart und für einen Moment so düster, wie ihn kaum jemand je sah. Für ihn stand fest, dass er von hier wegwollte. Und dass Viola mit ihm kommen sollte. Nicht allein, um ihn glücklich zu machen, sondern um sie zu beschützen. Vor den Menschen und dem, was sie noch alles zerstören würden.

Die Vorstellung, dass man eines Tages Violas Natur entdecken und was man dann mit ihr tun würde, wollte Zin den Magen umdrehen. Nein. Sie musste hier weg.

Es mochte feige sein, sich einfach aus dem Staub zu machen. Aber was brachte es, sich töten zu lassen?

Langsam lief Zin den ansteigenden Strand hinauf, trat aus dem Wasser und ließ die Tropfen an sich hinunterlaufen, bevor er sich sehr viel langsamer in Bewegung setzte.

Auf dem Weg hierher, über diese ganzen Kilometer ... hatte er sich Gedanken darüber gemacht, wie es sein würde, sie wieder zu sehen. Vielleicht hatte sie sich verändert. Vielleicht ... hatte sie entschieden, ihn aus ihrem Leben zu streichen.

Verdenken konnte Zin ihr das nicht wirklich. Er hatte sie sehr viel länger hier wartenlassen, als er es selbst gewollt hatte. Jeder Tag, jede Woche, die verstrichen war, hatte ihn mürber gemacht. Die Zeit hatte an Zin genagt und ihn oftmals unsicher gemacht.

Trotzdem wollte er nicht zurück.

Schritt für Schritt lief er auf das Haus zu, das ihm inzwischen schon fast wieder fremd erschien. Wie viele Tage hatte er hier verbracht? Er konnte sich nicht erinnern. Aber es waren gute Tage gewesen. Und gute Nächte.

Mit einem unsicheren Schmunzeln blieb er vor der Terrasse stehen und blickte zur Eingangstür hinauf. Er erinnerte sich an den Tag, als er sich aus dem Fenster geworfen hatte, um nicht entdeckt zu werden. An die Situation, als Viola versucht hatte, ihn mit Jod direkt auf die Kiemen zu behandeln und er das Gefühl gehabt hatte, sie wollte ihn umbringen, anstatt ihm zu helfen.

Sein Lächeln wurde breiter.
 

Viola stand vor dem Badezimmerspiegel nur mit einem Handtuch bekleidet und wollte gerade ihre feuchten Haare föhnen, als Flocke plötzlich überraschend von ihrem Platz auf der Waschmaschine aufsprang und zur Tür hinausflitzte, als regne es draußen plötzlich Fische und sie könnte den Schauer verpassen.

Eigentlich nichts, was Viola beunruhigt hätte. Doch gerade, als sie den Föhn einschalten wollte, hörte sie ihre Süße auch schon bitterlich maunzen, als würde der dreibeinigen Katze tatsächlich ein Fischschauer entgehen, da alle Türen für die Nacht verschlossen waren und sie nicht raus konnte.

„Da muss wohl jemand dringend sein Geschäft verrichten, was Süße?“

Seufzend legte Viola den Föhn wieder zur Seite und rubbelte stattdessen mit einem zweiten Handtuch noch etwas weiter an ihren Haaren herum, während sie durch den leeren Flur in die karge Wohnküche ging, um Flocke über die Terrassentür hinauszulassen, damit diese ihr kein stinkendes Präsent auf dem Teppichboden hinterlassen konnte. Als Dankeschön sozusagen, da Viola mal wieder nicht ihren Arsch hochgekriegt hatte. Wäre nicht das erste Mal, obwohl das zum Glück selten vorkam.

Mit einer Hand den Knoten des Handtuchs festhaltend, der sich langsam lockerte, warf sie sich das andere Handtuch um die Schultern und schob die Terrassentür auf, um ihre Süße in die Nacht zu entlassen.

„Na los, ab in die Freiheit.“

Viola wollte die Tür schon wieder zuschieben, als sie mit einem Schlag erstarrte.

Da in der Wohnküche alle Lichter brannten und sie die Terrassenbeleuchtung nicht eingeschaltet hatte, konnte sie nicht viel erkennen, zudem war sie auch nicht gerade aufmerksam gewesen, aber der Geruch, den ihr da der Wind zugetragen hatte, den hätte sie nicht ignorieren können.

Es roch nach ihrem Lieblingsduft. Meer und Mann in einem.

Beinahe knickten ihr die plötzlich viel zu weichen Knie ein, als Viola hoch und die ihr immer noch so vertraute Silhouette eines Mannes sah, der da nur wenige Meter von ihr entfernt in der Dunkelheit stand und um dessen Beine ein weißer, haariger Fleck herumstrich.

„Z-Zin ...?“

Sie brachte es fast nicht über die Lippen, während ihr auch noch ihr Herz mit nur wenigen Schlägen fast aus der Brust springen wollte.

Erneut trug der Wind ihr seinen Duft zu und dieses Mal war sie sich sicher. Er war es. Er musste es einfach sein, obwohl sie es immer noch nicht glauben konnte.

Doch das war im nächsten Augenblick auch schon völlig unwichtig, als sie sich mit einem kurzen spitzen Schrei von der Stelle löste und Zin ansprang, als wäre der Boden plötzlich zu heiß für jede weitere Berührung und sie könne sich nur so davor in Sicherheit bringen. Sie brauchte nur eine Sekunde lang seine Haut zu berühren und Viola war sich seiner sicher. Es war Zin, um die sich da ihre Arme und Beine besitzergreifend schlangen und ihn so fest hielten, als könne er sich jeden Moment wieder in Luft auflösen.

„Zin!“, entkam es ihr wieder, doch dieses Mal sehr viel sicherer, während sie ihr Gesicht gegen seine Halsbeuge presste und tief seinen Duft inhalierte. Dabei störte es sie kein bisschen, dass seine Haut immer noch nassfeucht vom Meer war und salzig schmeckte. Ganz im Gegenteil, sie bekam einfach nicht genug davon.
 

Als die Tür sich unerwartet öffnete und einen Lichtstrahl ins Freie ließ, machte Zins Herz einen Satz. Er erschrak und zuckte innerlich so stark zusammen, dass er sich am liebsten ausgelacht hätte. Trotzdem konnte er nichts dagegen tun, dass er da stand, wie vom Donner gerührt.

Dass sich vibrierendes, warmes Fell gegen seine Waden drückte und Flocke sich um seine Aufmerksamkeit bemühte, registrierte Zin nur ganz am Rande seines Bewusstseins.

Sein Blick hatte sich an dem Schemen im Rahmen der Tür festgebrannt. Und obwohl ihm das Licht in den Augen kribbelte, wagte er nicht einmal zu blinzeln.

Nach einer Weile wollten sich zumindest seine Lippen bewegen, er wollte sagen, dass er es wirklich war. Dass sie nicht denken musste, er würde nicht hier stehen und sie würde sich vielleicht täuschen.

„Vi–“

Mehr brachte er nicht zustande, denn er brauchte all seine Reaktionsschnelle, um seine Arme zu heben und sie rechtzeitig um den Körper zu schlingen, der sich mit einem unzweideutigen Schrei auf ihn warf.

Zin kam ins Schwanken und das nicht nur körperlich, als Viola sich um ihn wand, sich an ihm festkrallte und ihren Kopf so fest an seinen Hals presste, dass er Sorge bekam, sie würde ihn im nächsten Moment mit Haut und Haar verspeisen.

Nicht, dass Zin etwas dagegen gehabt hätte.

Ohne darauf zu achten, dass Viola ihm fast die Luft aus den Lungen drückte, schloss er seine Arme um sie, hielt sie fest und legte seine Wange an ihr Haar.

„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat.“
 

Es war ... ein merkwürdiges Gefühl. Sie konnte ihn riechen, ihn schmecken, ihn fühlen und sogar hören, aber irgendwie wollte ihr Verstand es immer noch nicht ganz glauben. Egal wie fest sie sich an ihn klammerte, Viola hatte immer noch Angst, er könnte sich jeden Moment in Luft auflösen, weshalb sie gar nicht weiter reagierte, außer sich weiterhin an ihm festzuhalten, bis das Gefühl langsam in sie sickerte.

Da war seine angenehm kühle Haut, die fühlbaren Narben auf seinem Rücken. Sein Atem, der über ihr Haar strich. Wie er sie festhielt, obwohl sie ihn fast ersticken musste.

Erst da ließ sie nur ein winziges Stückchen lockerer, damit Zin atmen konnte, aber bestimmt war er auch wahnsinnig müde. Immerhin war er wirklich lange weg gewesen und das kam mit Sicherheit auch davon, dass es ein verdammt langer Weg gewesen war.

Sie war wirklich eine schöne Freundin, dass sie ihn so überfiel!

„Mir tut es leid“, hauchte Viola leise, ehe sie sich langsam von Zin löste und auf ihre wackeligen Beine kam.

Ohne ihm in die Augen zu schauen, nahm sie seine Hand in die ihre und führte ihn zum Haus.

„Du musst völlig erledigt sein. Komm rein und setz dich. Hast du ... hast du vielleicht Hunger?“

Gott, was war nur mit ihr los? Wieso benahm sie sich plötzlich so angespannt, nachdem der erste Freudenschub vorüber war?

Es war nicht so, dass Viola Zin nicht sofort auf der Stelle noch einmal wie ein Klammeräffchen hätte anfallen können, viel eher lag das Problem darin, dass sie es zu sehr wollte. Dass sich an ihren Gefühlen für ihn offenbar während der langen Zeit nicht das geringste verändert hatte, nein, sie waren wohl eher intensiver geworden. Viola hatte fast Angst davor, es zu zeigen. Es war so lange her, seit ihrem Abschied. Es konnte sich so viel verändert haben.

Zin könnte sich verändert haben ...
 

Zin lächelte und hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er es so nichtssagend tat. Bei allen Meeren, er hatte sie so sehr vermisst! Er hatte von ihr geträumt und war voller Sehnsucht aufgewacht, weil sie nicht bei ihm gewesen war. Und jetzt ... konnte er sie nicht einmal wirklich ansehen, ohne ... ohne sich seltsam dabei zu fühlen.

So unsicher kannte Zin sich überhaupt nicht. Jede Faser seines Körpers schien angespannt und seine Augen flitzten so unruhig hin und her, als müsste er jede Sekunde, die verging, auf irgendein Zeichen hin überprüfen. Was für ein Zeichen das sein sollte, wusste er selbst nicht. Vielleicht ... wollte er nur bestätigt sehen, dass das eben dort draußen keine Überreaktion gewesen war. Viola hatte sich auf ihn gestürzt und jetzt sah sie ihn an, als wüsste sie nichts weiter mit der Situation anzufangen.

Ob es ihr so ging wie ihm?

„Nein. Nein, danke.“

Seine Stimme klang hohl und abwesend. Das lag aber nur daran, dass ihn Essen nun wirklich keinen Deut interessierte. Er wollte ...

Diesmal zuckte er wirklich zusammen, als ein lautes Geräusch ihn von hinten überfiel und ihn erschreckte. Doch im nächsten Moment musste Zin so laut lachen, dass der Schreck und die Anspannung mit einem Schlag von ihm abfielen.

Immer noch mit einem breiten Grinsen ging er in die Hocke und streichelte Flocke am Kopf. Die kleine, schneeweiße Katze hatte sich hinter ihm in Positur gesetzt und so beleidigt ein Maunzen von sich gegeben, dass Zin wirklich zusammengefahren war. Jetzt entschuldigte er sich ausführlich bei der eingeschnappten Dame und versuchte es mit Kraulen und Streicheleinheiten wieder gut zu machen.

Erst, als endlich ein zufriedenes Schnurren erklang, sah er zu Viola hoch, die sich keinen Zentimeter bewegt zu haben schien.

Der Ausdruck in Zins Augen wurde weich und drückte endlich die Gefühle aus, die er schon die ganze Zeit eigentlich hatte, in die Welt hinausschreien wollen.

In einer geschmeidigen Bewegung stand er auf, ging auf Viola zu und blieb so dicht vor ihr stehen, dass er ihre Wärme auf seiner Haut spüren konnte. Sein Zeigefinger strich die Linie ihres Gesichts bis zu ihrem Kinn hinunter, das er dann vorsichtig anhob.

„Ich habe dich vermisst.“

Es war die absolute Wahrheit, und obwohl Viola sich nicht wehrte, war es doch ein vorsichtiges, schüchternes Herantasten, als er seinen Kopf senkte, seine Lippen den ihren näherte und diese eine Sekunde auf ihre Zustimmung wartete, bevor er es wagte, sie zu küssen.
 

Viola hätte eifersüchtig auf Flöckchen sein müssen, wären ihre eigenen Gefühle nicht so chaotisch, dass sie kaum zusammenhängend denken konnte. Da beneidete sie das fast schon schlichte Gemüt ihrer Katze, die offen zeigen konnte, was sie wollte und es auch bekam.

Doch nur allzu schnell wandte sich Zin wieder ihr zu und je näher er ihr kam, umso wilder begann ihr Herz zu schlagen. So dass sie nicht nur wegen des viel zu lockeren Knotens des Handtuchs ihre Hand darauf legte, um es wieder einmal festzuhalten.

Viola stockte der Atem, als sie Zins Finger auf ihrem Gesicht spürte. Eine Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper, während sie wie elektrisiert einfach nur in seine wunderschönen Augen sehen konnte.

Oh Gott, sie hatte ihn doch auch so wahnsinnig vermisst. Sie hatte –

Der Bann brach mit der Berührung seiner Lippen auf den ihren. Da war nur noch ein Moment des Zögerns, als sie die samtene Kühle auf sich spürte, ehe sich ihre anfängliche Unsicherheit in eine geballte Form von den Gefühlen umwandelte, denen sie permanent während Zins Abwesenheit ausgeliefert gewesen war.

Viola ließ den Knoten ihres Handtuchs los und schlang erneut die Arme um Zins Nacken, doch dieses Mal, um ihn ungeniert und in Anbetracht all ihrer Gefühle küssen zu können. Sehnsucht lag darin. Sowie eine fast schon strafende Wildheit, aber auch Besitzanspruch.

Er gehörte ihr. Er war ihr Mann, das machte sie mit jedem ihrer Küsse klar und deutlich. Ebenso, wie Viola ihm mit ihrem ganzen Körper zeigte, dass sie die Seine war. Aber irgendwie ... reichte das nicht ...

Das Handtuch konnte dem nicht lange standhalten und rutschte schließlich zu Boden, dort wo auch das andere schon längst gelandet war. Doch Viola störte sich nicht daran. Da war nur Haut an Haut. Wärme an Kühle und ihr Herz, das wie wild so dicht an dem von Zin schlug.

„Ich ... liebe dich!“, kam es Viola keuchend zwischen zwei Küssen über die Lippen, während sie sich noch enger an Zin drängte.

„Ich hätte ... es dir ... früher sagen ... sollen ...“

Sie drängte Zin weiter zurück in Richtung Couch, ohne auch nur eine Sekunde von ihm abzulassen, bis er sich gezwungenermaßen darauf niederlassen musste, da Viola ihm gar keine andere Wahl ließ.

Sofort war sie auf seinem Schoß und küsste ihn noch verzweifelter, während Viola eine einsame Träne über die Wange lief.

„Bitte ... geh nie wieder weg ... Zin!“
 

Anstatt irgendetwas zu sagen, schlang er seine Arme fest um sie, schloss die Augen und ließ sich auf das Gefühl ein, das ihre Worte bei ihm auslösten. Was Violas ganzes Verhalten bei ihm auslöste.

Seine Hände fanden erneut ihr Gesicht, sein Daumen strich sanft eine Träne von ihrer Wange und unter gesenkten Lidern sah er zu ihr hoch. Zin wollte nicht, dass sie traurig war.

Dass Viola weinte, schnürte ihm den Hals dermaßen zu, dass er nicht wirklich daran glaubte, dass ihm ein einziges Wort über die Lippen kommen konnte. Vielleicht klang er deswegen ein wenig kratzig, als er ihr versicherte, dass er nicht fortgehen würde.

Zumindest nicht ohne dich, fügte er im Stillen für sich hinzu.

„Viola, es tut mir so leid, dass ich dich verletzt habe. Wäre es nicht nötig gewesen, ich wäre gar nicht gegangen.“
 

„Das ... Das weiß ich doch ...“, flüsterte Viola so leise, dass man es kaum hören konnte. Doch Zin musste es gehört haben, denn sie sprach es knapp an seinem Ohr aus, ehe jegliche Spannkraft sie verließ und Viola sich gegen seinen Körper sinken ließ. Einen Arm schlang sie um seinen Rücken, während ihre andere Hand auf seiner Brust zum Liegen kam. Ihre Stirn lag an seiner Halsbeuge gekuschelt und nur langsam beruhigte sich ihr Atem wieder.

„Sonst hätte ich dich gar nicht erst gehen lassen.“ Und das sagte sie mit einem gewissen Hochmut in der Stimme, immerhin hätte sie schon Mittel und Wege gewusst, um Zin bei sich zu behalten. Gerade deshalb hatte sie ihn bei ihrem Abschied so von sich stoßen müssen. Sonst hätten sie sich nie für so lange Zeit getrennt.

„Ist deine Familie denn jetzt in Sicherheit?“

Viola streichelte ihn, schmiegte sich an ihn und sog erneut tief seinen Duft ein. Langsam, wirklich nur sehr langsam, beruhigte sich auch ihr wild pochendes Herz wieder.

Der Sturm war noch in ihrem Bauch, aber für den Moment war er gezähmt. Sie wollte Zin nicht noch mehr schlechte Gefühle einreden, immerhin hatte er richtig gehandelt und keinerlei Wahl gehabt. Sie verstand es also wirklich.
 

Er streichelte ihr weiches Haar und lächelte sanft. Ja, Zin glaubte, dass Viola Wege gefunden hätte, ihn hier zu behalten. Er traute ihr so gut wie alles zu, wenn sie sich erst etwas in den Kopf gesetzt hatte. Und es war nun einmal für sie beide schwer gewesen.

Umso besser fühlte es sich jetzt an, dass sie wieder zusammen waren.

Mit einem tiefen Atemzug so Zin Violas Geruch ein. Warm und wohlig, wie er es sich oft vorgestellt hatte. Aber in natura noch so viel besser und süßer, als es seine Phantasie je erdenken konnte.

Entspannt schloss er die Augen und erlaubte es sich, den Kopf auf die Kissen der Couch sinken zu lassen und Viola noch ein bisschen fester an sich zu drücken.

„Es geht ihnen gut.“

Vorerst hatten sie einen Ort gefunden, der sich eignete, um eine Weile dort zu leben. Auf etwas Endgültiges wagten sie immer noch nicht zu hoffen. Das wäre auch zu viel gewesen, wenn man die jüngste Vergangenheit bedachte, die den Schwarm aus seiner gewohnten Umgebung gerissen und ihnen die Heimat genommen hatte.

„Es ist schön dort und –“

Er brach ab, ließ seine Worte im Sande der Stille und Flöckchens leisem Schnurren verlaufen. Noch wollte er nicht von Entscheidungen und Zukunft reden, die über die nächsten Stunden hinausging. Zin wollte nur jetzt und hier sein.

Vorsichtig, als könne sie unter ihm zerbrechen, drückte er Viola einen Kuss auf den Scheitel und wickelte sich eine Strähne ihres Haares um den Zeigefinger.

Seine Augen waren immer noch geschlossen und in Zins Innerem wartete die bleierne Müdigkeit wie ein sprungbereites Raubtier darauf, dass er auch nur ein wenig Schwäche zeigte.
 

Viola wartete darauf, dass er weiter sprach; ihr mehr von dem erzählte, was er erlebt hatte und ob die lange Trennung sich am Ende doch ausgezahlt hatte. Doch er sagte nichts weiter, streichelte sie nur und unter ihrer Hand auf seiner Brust wurde auch sein Herzschlag ruhiger.

Es mussten viele Minuten vergangen sein, bis Viola klar wurde, dass Zin hier und heute nichts weiter dazu sagen würde und um ehrlich zu sein, im Augenblick war es ihr sogar lieber so.

Sie konnte es immer noch kaum fassen, dass er endlich wieder bei ihr war und auch ein stundenlanges Gespräch würde im Moment nichts daran ändern. Viel lieber genoss sie seine so intensiv spürbare Nähe und sog jedes noch so winzige Detail in ihren Geist auf. Als müsse sie Rationen anlegen, die sie später brauchen würde, sollte er wieder verschwinden. Doch im Gegenteil zum letzten Mal gab es nun wirklich keinen Grund mehr für sie, Zin so einfach und kampflos gehenzulassen und das würde sie auch garantiert nicht mehr tun.

Er gehörte zu ihr und das würde sie sich nicht nehmen lassen. Aber zu allererst wollte sie sich um ihn kümmern, denn obwohl sie immer noch eine rosarote Brille zu tragen schien, sah sie doch, wie abgekämpft Zin war. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen, und obwohl sie das bei ihm und seiner sportlichen Gestalt nur schwer sagen konnte, sah er auch so aus, als hätte er Gewicht verloren.

Hatte er überhaupt in den letzten Wochen und Monaten einen Tag der Ruhe gehabt? Viola wusste es nicht, aber als sie sich langsam von ihm losmachte und aufstand, um sich das Handtuch erneut um den Körper zu wickeln, nahm sie sich vor, dafür zu sorgen, dass Zin zumindest von jetzt an, etwas Ruhe bekam.

Dass er keinen Hunger hatte, hatte er ihr bereits mitgeteilt. Aber sie wusste auch so, dass es da noch etwas anderes gab, wonach ihm im Augenblick verlangte. Weshalb sie auch sanft seine Hand in die ihre nahm und ihn schließlich von der Couch hochzog.

Ohne Worte führte sie ihn durch das inzwischen spärlich möblierte Haus, in dem kaum noch persönliche Sachen von ihr vorhanden waren, die Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer. Dort zog sie die Bettdecke zur Seite und drückte Zin auf die Matratze, ehe sie um das Bett herum ging, dabei das Handtuch über die Lehne ihres Schreibtischsessels hängte und zu Zin unter die Bettdecke kroch.

Sie musste nicht um Erlaubnis fragen und zögerte auch keinen Moment lang, um sich an seine Brust zu kuscheln und ihre Beine mit den seinen zu verschlingen.

Schlafen würde sie zwar sicherlich nicht wirklich können, aber es ging hier auch nicht um sie, sondern um ihren Mann. Alles andere war im Augenblick unwichtig.
 

Ihm fiel am Rande auf, dass das Haus sich verändert hatte. Dass es leerer war, wie ausgeräumt wirkte. Aber er war trotzdem zu dankbar für die Stille zwischen ihnen, als dass er sie mit Fragen hätte unterbrechen können.

Im Schlafzimmer angekommen, ließ er sich ohne Gegenwehr ins Bett drücken, betrachtete Viola mit Neugier, als sie sich das Handtuch vom wunderschönen Körper zog und sich schließlich zu ihm unter die Decke legte.

Kurz dachte Zin daran, dass sein Körper auf diese schöne, nackte Frau, die sich da an ihn kuschelte, auf jeden Fall reagieren würde. Aber obwohl das absolut sicher war, fühlte Zin sich nicht imstande, etwas in diese Richtung zu unternehmen. Wenn er Viola körperlich lieben wollte, nach all dieser Zeit, die sie getrennt gewesen waren, dann bei vollen Kräften. Und daran war nun gerade wirklich nicht zu denken.

Er seufzte leise, schloss sie in die Arme und erlaubte es sich, die Augen zu schließen und das Gewicht der Decke auf seinem Körper zu genießen. Violas Körper neben ihm strahlte Hitze aus, die er schon sehr vermisst hatte. Schon fast vergessen war die Energie, die durch diese Frau pulsierte, selbst wenn sie im Bett lag und schlief.

Sie war einfach ... unglaublich.

„Geht es dir gut?“

Seine Stimme war tief und leise, aber Zin war noch so wach, dass er auf eine Antwort würde reagieren können. Er wollte wirklich wissen, ob es ihr gut ging.
 

Zunächst reagierte sie nicht auf seine Frage, sondern hoffte mehr, dass er bald einschlief und sich endlich seine wohlverdiente Ruhe gönnte, doch sein Atem wurde nicht tiefer. Auch nach einer Weile nicht, also kuschelte Viola sich noch enger an Zin und seufzte leise.

„Jetzt, ja“, war alles, was sie dazu sagen konnte. Obwohl es mehr geflüstert war. Danach blieb sie stumm und reglos und lauschte lange auf Zins Atmung, bis er endlich eingeschlafen war und sie sich wieder etwas entspannen konnte.

Wie sie es sich gedacht hatte, konnte sie sehr lange nicht einschlafen, sondern war unersättlich darin, Zins Herzschlag zu lauschen, ihn vorsichtig und sanft zu streicheln, damit sie ihn nicht aufweckte und seine Rückkehr zu realisieren.

Irgendwann schlief sie dann doch ein, nachdem auch Flocke sich zu ihnen gesellt und es sich bei ihren Füßen gemütlich gemacht hatte.

36. Kapitel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Epilog

Die Tür einzuhängen hätte eigentlich kein Problem sein sollen. Allerdings stellte sich dann doch der Rahmen etwas quer und Zin zerrte eine Weile an der Tür herum, bevor sie endlich richtig saß und sich auch in den Angeln bewegte, ohne einen irrsinnigen Lärm zu verursachen.

Vor zwei Tagen hatte es geregnet und jetzt, wo wieder die pralle Sonne auf die Insel schien, dampfte alles fröhlich vor sich hin. Zin eingeschlossen.

Viola war schon eine Weile unterwegs, ließ ihre katzenhafte Seite die Insel auf ihre ganz eigene Art erkunden und hatte – so hoffte Zin – viel Spaß dabei.

Außerdem konnte er dann in der Zwischenzeit unbeobachtet nicht nur die Fensterläden, sondern auch die Tür einhängen und schließlich ein kleines Geschenk für Viola anbringen, mit dem sie möglicherweise nicht rechnete.

Aus einer Wandnische zog Zin ein längliches Päckchen hervor, befreite es von seiner Verpackung und brachte es hinaus in den strahlenden Sonnenschein, wo er nach der perfekten Stelle suchte.

Schließlich fand er sie, direkt am Strand, in der Nähe einiger Büsche und zwischen zwei leicht gebogenen Palmen.

Lächelnd und in Vorfreude auf Violas Reaktion machte er sich an die Arbeit, zog hier, befestigte dort und betrachtete anschließend sein Werk, das ihn auch wegen ein paar sehr heißer Erinnerungen grinsen ließ.

Ein Strandhäuschen ohne eine Hängematte ... war einfach nicht perfekt.

Mit einer nebensächlichen Bewegung wischte Zin sich den Schweiß von der Stirn und wandte sich anschließend zum Wasser. Er wollte sich zumindest kurz abkühlen, bevor Viola zurückkam.
 

***
 

Also DAS trieb Flöckchen neuerdings!

Viola hätte breit gegrinst, wenn sie richtige Lippen gehabt hätte, so allerdings entkam ihr ein zufriedener Brummlaut, während sie in ihrer Deckung zwischen ein paar Farnwedel ihre kleine Süße dabei beobachtete, wie sie mit einem ein bisschen abgerissen wirkenden Kater anbandelte. Vermutlich mehr Wildkatze, denn Hauskatze, aber ein stattlicher Kerl, dem Flocke gleich ordentlich kontra gab, als er ihr so ruppig zu nahetrat.

Violas mentales Grinsen wurde noch breiter. Sie kannte sich mit Katzengehabe aus. Sie wusste also, dass Flocke ihren Verehrer nur zappeln ließ und ihm scheinbar die kalte Schulter zeigte.

Hochzufrieden mit ihrem neuen Zuhause und den neuen Begebenheiten, ließ Viola die beiden Turtelkätzchen alleine. Vielleicht gab es ja dann bald Nachwuchs. Schließlich hätte sie ihrer Süßen niemals eine Sterilisation antun können. Bisher war nur nie ein passender Kater in der Gegend gewesen, was sich ja hier offenbar geändert hatte. DAS musste sie sofort Zin erzählen. Schließlich schien er genauso verrückt nach Flöckchens Fell zu sein, wie nach ihrem, nun da sie es neuerdings sehr viel öfter trug. Wie würde das dann erst sein, wenn da lauter kleine maunzende Fellknäuel herumliefen?

Mit flinken Sätzen rauschte Viola durchs Unterholz über den frischen Trampelpfad, den sie selbst angelegt hatte, zurück zum Strand, wo Zin von Tag zu Tag ihr kleines Reich vergrößerte und wohnlicher machte, obwohl sich das hier auch irre gut anfühlte.

Kurz bevor sie da war, stoppte sie schließlich und drückte sich gegen den feuchten Waldboden. Immerhin war ihre neueste Lieblingsbeschäftigung, sich an Zin heranzupirschen. Immer gelang es ihr nicht, aber sie wurde besser. Doch zuerst einmal musste sie ihn finden.

Seine Witterung hing dicht beim Haus frisch in der Luft und dieser Spur folgte sie dem Waldrand entlang, damit er sie nicht sehen konnte.

Allerdings ließ Viola unverhofft ihre Deckung fallen, als sie wortwörtlich mit ihrer Nase auf eine vorher nicht da gewesene Hängematte stieß und überall daran hing Zins Duft.

Er ... Er hatte wirklich ...

Es gab keinen Ausdruck für Violas Freude über diese Geste und sie konnte es auch nicht einfach laut hinausschreien. Stattdessen tat sie in dieser Form etwas anderes. Sie rieb sich genüsslich an den zwei Palmen, zwischen denen die Hängematte gespannt worden war, und markierte somit mit ihrem Duft dieses Fleckchen Erde als ihr persönliches Eigentum. Zin war natürlich gestattet, diesen Platz aufzusuchen, aber nur ihm alleine.

Viola fand ihn im Wasser, nachdem sie es endlich geschafft hatte, sich von dem Anblick loszureißen und dieses Mal war ihre Freude wirklich groß genug und die Zeit auch endlich gekommen, da sie ihm auch unbedingt eine Überraschung geben musste.

Er sah zu ihr hinüber, als sie aus dem Stand lossprintete und in voller Fahrt ins Wasser schnellte, wo sie kurz vor dem Aufprall mit Zin sich zurück verwandelte und ihn dann mit ihrem Schwung umwarf, während sie ihm küssend die Arme um den Hals schlang, um ihm tausendmal und öfter für die Hängematte zu danken.
 

Er sah sie pfeilschnell auf sich zu rennen.

Schon als sie sich die Hängematte ansah, hatte Zin Viola aus den Augenwinkeln bemerkt. Doch er war leider nicht schnell genug gewesen, um noch aus dem Wasser zu kommen, um sie zu begrüßen. Stattdessen blieb er wie angewurzelt stehen und schaffte es gerade noch, die Arme auszubreiten und aus Reflex den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen, bevor Viola ihm im wahrsten Sinne des Wortes umwarf. Platschend landeten sie zusammen im warmen, flachen Wasser.

Sofort kämpfte Zin sich wieder hoch, hob Viola an die Oberfläche und wollte sich schon auf die Füße rappeln, um ihr aufzuhelfen, als er bemerkte, dass ... es ihr gut ging. Statt des Gesichtsausdrucks, den er erwartet hatte, strahlte ihm eine glückliche Viola aus feurigen Augen entgegen. Und sie schien überraschenderweise auch nicht sofort vor den kleinen, sich kräuselnden Wellen flüchten zu wollen.

So ganz traute Zin der Situation allerdings nicht.

„Alles in Ordnung? Wollen wir rauf an den Strand?“, fragte er daher lieber vorsichtig nach. Vielleicht ... war Viola sich ihres Übermuts selbst gerade gar nicht wirklich bewusst.
 

Breit grinsend wischte sich Viola eine nasse Haarsträhne aus dem Gesicht, während sie sich auf Zin setzte, den sie mit dem Rücken voran in den weichen Sand presste, wobei die Wellen des Meeres ihn umspülten und seine Kiemen an seinem Kiefer zu reizen schienen.

Sie antwortete nicht gleich, sondern küsste ihm seine anfängliche Überraschung von den Lippen, wobei sie sich genüsslich auf ihm ausstreckte, ohne Angst haben zu müssen, ihn dabei zu erdrücken. Das Wasser ließ sie sich leicht anfühlen und wirkte belebend und schmeichelnd auf ihrer nackten Haut. Da war keine Angst mehr, da waren nur noch Zin und das Vertrauen zu ihm, dass er sie immer vor den Gefahren des Wassers beschützen würde.

Neckend knabberte sie sich zu seinem Ohr voran, das gerade noch so aus dem Wasser ragte, während sie sich ein bisschen lasziv an ihm rieb.

Unverblümt wie eh und je gestand sie ihm schließlich, was sie dachte: „Nein, will ich nicht. Schließlich denke ich schon die ganze Zeit darüber nach, wie es sich wohl anfühlt, dich im Wasser zu vernaschen. Aber bevor ich das jetzt herausfinde, muss ich dir noch etwas gestehen ...“

Sie gab ihm noch einmal einen langen Kuss auf die Lippen und lächelte liebevoll auf ihn herab, ehe sie ihm feierlich und ernst gestand: „Zin, ich habe schnorcheln gelernt ...“
 

– Ende –
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Und da wären wir auch schon wieder am Ende angekommen ...
Ein Stück Nostalgie das an mir – Darklover – vorüberzieht und mich an die schönen alten Zeiten erinnert, als ich mit meiner Freundin noch viele Stunden lang gemeinsam in die Tasten gehauen habe. Lang ist es her, aber wenigstens bleiben mir unsere Geschichten als Andenken erhalten.

In diesem Sinne hoffe ich, dass auch ihr als Leser eure Freude daran hattet. ^___^
Alles Liebe euch allen dort draußen und noch viel Glück bei eurer Suche nach weiterem Lesestoff.

Eure Darklover Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Caildyn
2019-05-01T23:54:43+00:00 02.05.2019 01:54
Ich muss ja sagen... Ich liebe die Art, wie du Geschichten erzählst.

Klingt jetzt vielleicht übertrieben, aber jedes Mal, wenn ich ein neues Kapitel von dir lesen kann, ist der Tag gerettet.

Die Art, wie deine Charaktere sich geben und ihre Emotionen ausleben, wie sich die Beziehungen zwischen den Charakteren im Laufe der Geschichte entwickeln und wie die Charaktere miteinander agieren fasziniert mich.

Das ist - im Rahmen des Übernatürlichen - so einfühlsam alltäglich geschrieben, so nachvollziehbar und vor allem nachspürbar, dass man einfach nicht anders kann, als schon mit den ersten Sätzen in die Geschichte gezogen zu werden.

Mach bitte so weiter!
Antwort von:  Darklover
02.05.2019 14:26
Hey Rabenkraehe!

Erst mal tausend Dank dafür, dass du dir die Zeit genommen hast, mir einen Kommentar dazulassen. So etwas rettet mir oft den Tag. ^____^
Aber es freut mich sehr, dass meine Freundin und ich dir mit dieser Geschichte was Gutes tun können.
Ich setze mich heute Abend wieder hin, um das nächste Kapitel zu korrigieren, damit du wieder was zu lesen hast.

Vielen Dank für deine lieben Worte. Ich werde sie auch an meine Schreibpartnerin weitergeben. :)

Liebe Grüße
Darky


Zurück