A Cats' Fishing Ground von Darklover ================================================================================ Kapitel 8: 8. Kapitel --------------------- Ihre Wange prickelte noch immer, während Viola ihren hellblauen Bikini anzog und sich ein großes Tuch um die Hüfte wickelte. Zusammen mit einem Badetuch und ihrem Handy hatte sie kurzerhand beschlossen, einen Abstecher ins Freie zu tun, um einmal aus diesem Haus heraus und vielleicht auch ein bisschen von Zin weg zu kommen. Der Kerl war gefährlich für sie und das auf eine Weise, wie andere Männer es bisher nicht gewesen waren. Viola war inzwischen versucht, mehr von sich preiszugeben, als irgendjemand anderem. Herrgott noch mal, sie hatte schließlich geschnurrt! Zin würde es verstehen und nicht gleich die Polizei holen oder gar mit einer Knarre auf sie zielen. Ihre Welten waren vielleicht vollkommen gegensätzlich, aber sie hatten mit ihrer Andersartigkeit wenigstens etwas gemeinsam. Obwohl sie Wasser hasste - wie Viola mit einem weiteren Blick auf das Meer feststellte - mochte sie doch die Bewohner darin auf mehr als nur eine Art und Weise. Sie waren schließlich nicht nur lecker, sondern auch schön anzusehen und wenn sie jetzt auch noch bedachte, dass dort drin mehr war, als sie bisher geahnt hatte, dann wurde das Meer auch noch absolut faszinierend neben ihrer Abneigung gegen die Nässe. Sie suchte sich ein schattiges Plätzchen im Sand, da es in der Sonne inzwischen viel zu heiß geworden war, breitete ihr Badetuch aus und ließ sich auf dem Bauch darauf nieder. Dann schrieb sie kurz Cid eine Nachricht und bette ihren Kopf schließlich auf ihre Arme, während sie dem Wellengang zusah. Bis auf Tess hatte sie weder Nachrichten noch Anrufe auf ihrem Handy gehabt. Warum wunderte sie das bloß nicht? Ein paar Minuten später war das Handy aber auch schon vergessen und Violas Gedanken drehten sich nur noch um diese eine Sache, um die sie sich schon in den letzten Tage drehten. Zin und wie es ihm wohl gerade ging? Ruhte er sich aus? Las er? Was er wohl darüber dachte, dass sie sich einfach so an seine Hand geschmiegt hatte? Gut, sie waren in letzter Zeit schon enger beisammen gewesen, da es eben nicht anders gegangen war, aber das hier ... das hatte nichts mit seinem Zustand zu tun gehabt und es ließ sie auch noch sehr lange nicht mehr los. Zuerst hatte er versucht, in einem der GEO-Hefte zu lesen. Da das Vokabular darin aber schwieriger war, als das Meiste was er bisher gelesen hatte, gab er es nach einer Weile auf und sah sich nur noch interessiert die Bilder an. Zumindest konnte er sich selbst fast davon überzeugen, dass er sich für die kleinen Maschinen und Helfer aus Schaltkreisen für die menschliche Art interessierte. Wäre da nur nicht die Tatsache gewesen, dass er sich das großformatige Bild eines Speicherchips nun schon seit Minuten ansah, ohne auch nur aufzunehmen, was für Farben abgedruckt waren. Geschweige denn, was die kleinen Erklärungstexte beinhalteten. Versonnen kratzte er sich unter dem festen Verband kurz über seinem Hintern und grübelte. Viola hatte nicht so ausgesehen, als hätte sie den Kontakt zu ihm bereut ... oder? Mit einem Seufzen warf Zin das Heft auf den Sessel zurück und drückte sich beide Handballen gegen die Augen, bevor er - nicht zum ersten Mal an diesem Tag - den Fehler machte, sich auf den Rücken rollen zu wollen. Diesmal stöhnte er leise auf und drehte sich als Gegenreaktion einmal vollkommen um, sodass er auf dem Bauch und wieder richtig herum der Länge nach im Bett lag. Sein Atem ging heftig, was ihn wiederum ärgerte. War er wegen dieser zwei Tage vollkommen außer Form? Oder waren es schon drei? Ihm schoss durch den Kopf, dass er Viola nie gefragt hatte, welches Datum sie hatten? Vielleicht war er eine ganze Weile auf dem Meer herumgetrieben, bevor er angespült worden war? Violas Insel war auch ein ganzes Stück von seiner Heimat entfernt. Wie weit eigentlich genau? Konnte man in einem Tag überhaupt hierher schwimmen? Na, bestimmt, wenn man - Er gähnte und knubbelte seine Schwimmhaut zwischen den Zehen, während er immer noch grübelnd die Augen schloss. Soo weit konnte es nicht sein. Sonst hätte ihn irgendjemand gefressen. So, wie sein Rücken geblutet hatte. *** Es war Nachmittag, als Viola mit einem Tablett voller Essen wieder in Zins Zimmer kam. Heute hatte sie gebratenen Lachs mit Kräuterrahmsoße und Jungkartoffeln gemacht. Einfach nur, damit er auch einmal wieder etwas Vertrauteres zu essen bekam, obwohl es natürlich heiß und nicht kalt war. Aber wenn er auch nur annähernd so neugierig war wie sie, dann würde es ihm sicher gefallen, zumindest einmal zu probieren. Ein ihm unbekannter Duft schlich an seiner Nase entlang, streichelte Zins Sinne und holte ihn so angenehm aus dem Schlaf, dass er hochzufrieden gähnte, während er sich einmal über die noch kleinen Augen rieb. Gott, er hatte geschlafen wie ein Stein. Aber kein Wunder; bei dieser Hitze fühlte man sich ja ohnehin wie - Seine Gedanken stoppten, als er sich halb herumdrehte, über seine Schulter lugte und Viola mit einem Tablett in der Tür stehen sah. Sie war so ... Scheiße! Zin krümmte sich zusammen, als ihm mehrere Dolche gleichzeitig ins Rückgrat getrieben wurden und seine Kiemen sich noch einmal so anfühlten, als würden sie in tausend Einzelteile zerrissen. Er keuchte laut und seine Finger krallten sich wütend in den Bezug der Decke, auf der er lag, bis er wieder ordentlich Luft bekam. Verdammte Scheiße, er hatte sich nur umdrehen wollen! Viola besaß gerade noch so die Geistesgegenwart, das Tablett abzustellen, ehe sie zu Zin eilte, um nachzusehen, warum er wieder solche Schmerzen hatte. Beinahe hätte sie es einfach fallengelassen. Vermutlich, weil es sein Rücken einfach nicht hinnahm, wenn er zu großen Druck abbekam und das war im Moment ganz und gar nicht leicht zu vermeiden. Sie legte Zin eine Hand auf die Schulter und eine auf seinen Nacken. „Hey, ganz ruhig. Das wird gleich wieder. Einfach weiter atmen.“ Während sie das so ruhig wie möglich sagte, prüfte sie die Verbände, ob auch kein Blut durchsickerte. Was nicht der Fall war. Also war es noch nicht so schlimm. Trotzdem. „Ich hole dir die Schmerztabletten.“ Sie streichelte beruhigend über seine Schulter, prüfte, ob der Schmerz langsam nachließ und sie kurz wegkonnte, ehe sie auf lautlosen Sohlen aus dem Zimmer stürmte, um die Tabletten zu holen. Eigentlich hätte sie ihm schon längst welche geben müssen! Als sie wieder zurück war, hatte sie sich innerlich bereits mehrmals angeschrien, wie sie überhaupt nur so unaufmerksam sein konnte. Doch nach außen hin nagte sie nur frustriert an ihrer Unterlippe, weil sie Zin nicht einfach die Schmerzen abnehmen konnte. Dieses Mal kam sie von vorne auf ihn zu, damit er sie ansehen konnte. „Hier. Wieder nur eine Halbe, aber es wird dir zumindest etwas helfen.“ Während sie das sagte, berührte sie wieder seine Wange und den Nacken. Auch wenn sie nicht wusste, wie das bei seiner Art so ablief, bei ihr waren Berührungen wichtig, besonders bei Verletzten. Sie tat das also schon rein von ihrem Instinkt her, andererseits beruhigte es sie selbst auch, wenn sie sich auf diese Art mit Zin verbinden konnte. Da weiße Feuerkugeln vor seinen Augen explodierten und Zin damit zu kämpfen hatte, überhaupt zu atmen, konnte er nichts auf Violas besorgte Stimme erwidern. Er hörte sie nur davon flattern, während die Klingen aus seinem Rücken quälend langsam herausgezogen wurden und nur ein pochendes Stechen zurückblieb, dass er zumindest ertragen konnte. Zuerst war es Wut, dann Scham, die über ihn hinweg brandeten, als Viola ihm die Tablette hinhielt und ihre warmen Hände sich auf ihn legten, um ihm zu helfen. Es half ihm auch tatsächlich. Was den Knick in seinem Ego allerdings bloß noch tiefer einbeulte, anstatt ihn auszubügeln. Er konnte sich doch nicht wie ein kleiner Junge an sie schmiegen und hoffen, dass dadurch alles vorbei ging! „Es ... geht schon. Das war nur ... dumm von mir.“ Mit geschlossenen Augen atmete er noch ein paar Mal tief durch, glaubte Salz und aufgeheizte Haut zu riechen, bevor er Violas Hand nahm, die an seinem Gesicht lag und sie wegzog. Er wich ihrem Blick aus, als er ihre Finger noch einen Moment in seinen hielt, bevor er leise fragte, ob sie ihm helfen würde, sich aufzusetzen. Sie half ihm, sich aufzusetzen. Allerdings tat sie es mit einem gewissen Stechen in der Magengrube, das nicht körperlich war. Männer! Am liebsten hätte Viola ihn angefaucht, er solle das Scheißding schlucken, damit es ihm wieder besser ging und somit auch ihr. Aber dass sie sich wahnsinnige Sorgen machte, jedes Mal wenn er sich vor Schmerzen krümmte, darauf käme er wohl nicht. Still in sich hineingrummelnd, legte sie die Tablette zusammen mit dem noch fast vollen Päckchen und den Antibiotika neben sein Trinkglas und holte das Tablett, das sie zu seinen Füßen stellte, ehe sie sich selbst auf das Bett pflanzte und zuerst Zin etwas auf seinen Teller anrichtete und dann sich selbst. Zum Nachnehmen war noch genug da. Viola schaffte es sogar, sich ein Stück Lachs herunterzuschneiden, es in den Mund zu nehmen, lange darauf herumzukauen und es anschließend zu schlucken. Dann explodierte sie. Mit den spitzen Zacken ihrer Gabel zeigte sie auf Zin und sah ihn finster an. Wäre sie jetzt in ihrer andern Form, sie hätte die Zähne gebleckt und die Ohren angelegt, während ihr Schwanz wie wild herumgepeitscht wäre. Alles sehr offensichtliche Signale, die sie als Mensch leider nicht ausspielen konnte. Vielleicht hätte das die Ernsthaftigkeit ihrer Laune noch mehr untermalt. "Weißt du, was ich einfach nicht an euch Typen schnalle? Entweder seid ihr die totalen Babys und jammert wegen jedem kleinen Wehwehchen, oder ihr lasst so derart den Starken raushängen, dass man euch am Liebsten ein bisschen Verstand einprügeln würde. Es ist ja bewundernswert, wie du dem zweiten Typ gerecht wirst, aber weißt du eigentlich, wie es mir dabei geht?“ Viola rammte ihre Gabel in eine kleine Kartoffel, ohne diese allerdings zu essen und ließ Zin dabei keine Sekunde aus den Augen. Kurz witterte sie in die Luft, konnte zum Glück aber kein Blut riechen. Zum Glück für ihn. „Jedes Mal, wenn du dich zusammenkrümmst, muss ich befürchten, dass dir vielleicht die Wunden aufgerissen sind und wenn ich mich dann selbst damit zu beruhigen versuche, in dem ich dir helfe, so gut ich kann, wird meine Hilfe natürlich abgewiesen, weil sie ja nicht wirklich von Nöten ist. Und dir beim Aufsetzen zu HELFEN, zählt NICHT dazu! Hast du außerdem schon mal was davon gehört, dass gewisse Menschen dazu neigen, mit anderen mitzuleiden? Wenn du dich also vor Schmerzen krümmst, dann überträgt sich das bei deinem Anblick quasi auf mich. Vielleicht nicht zu Hundertprozent aber gut gehen, tut es mir dabei sicher nicht. Also schluck dein verdammtes Ego wenigstens für ein paar Tage hinunter, bis du mir sicher über dem Berg bist. Danach kannst du es von mir aus wieder raushängen lassen.“ Viola sah weg, nahm die kleine Kartoffel in den Mund und kaute bewusst langsam, während sie sich darauf konzentrierte, das Zittern in ihrem Inneren nicht nach außen dringen zu lassen. Nein, ich wusste es nicht. Ich habe nicht mal geahnt, dass es dir schlecht dabei gehen könnte. Und denkst du denn wirklich, dass du mir nicht hilfst? Wer hat mich denn aus dem Wasser gezogen, in ihr Haus gebracht, meinen Rücken zusammengeflickt und alles getan, was sie konnte? Denkst du, ich bin nicht dankbar für alles, was du für mich tust? Ohne dich wäre ich tot! Das sollte er ihr sagen. Anstatt nur in ihre vor Wut schäumenden Augen zu sehen und den Mund nicht aufzubekommen. So wie immer, wenn es um etwas Wichtiges ging. Um Gefühle von Frauen, die so leicht zu schüren und so schwer zu begreifen waren. Genauso schwer, wie einen Fehler wieder gut zu machen. Schier unmöglich. „Es tut mir leid.“ Und das meinte er todernst. Zin war wirklich nicht klar gewesen, dass sie sich so um ihn sorgte. Das war ... so untypisch. In seiner Welt ... Aber sie waren nicht in 'seiner' Welt! „Ich wollte sicher nicht -“ Mit einem Seufzen sah er auf den Teller, der schon die ganze Zeit auf seinem Schoß stand und Zins Oberschenkel wegen der Hitze in einem Kreis krebsrot färbte. „Ich bin dir sehr dankbar, für alles, was du für mich tust.“ Aber genau da lag auch das Problem. Sie tat so unheimlich viel für ihn. Viola kannte ihn nicht einmal und da konnte sie so etwas wie eben so aus der Fassung bringen. Das ... sollte es nicht. Zin griff sich die halbe Schmerztablette, schluckte sie hinunter und hob den Teller von seinen inzwischen wirklich überforderten Beinen. Er war ein Idiot. Nein ... Ihr tat es leid. Dass sie ihn so angefaucht hatte, nur um ihre eigene Unsicherheit zu überdecken. Aber das sagte sie ihm nicht. Eigentlich sagte sie eine ganze Weile gar nichts und sah Zin auch nicht an. Sie musste erst einmal mit sich selbst fertig werden und damit, dass sie immer wieder zu Überreaktionen neigte. Herrgott, ganz am Anfang wäre es ihr vielleicht noch relativ egal gewesen, wenn Zin es nicht geschafft hätte. Zu der Zeit, als sie noch nicht einmal seinen Namen gekannt hatte, wäre es ihr zwar um den Fremden leid gewesen, aber sie wäre schnell darüber hinweggekommen, da sie ohnehin nichts hätte tun können. Wenn sie allerdings jetzt daran dachte, dass Zin - dieser Mann der sie faszinierte und von dem sie noch sehr viel mehr kennenlernen wollte - einfach so sterben könnte, dann wäre das nicht mehr so leicht zu verdauen. Eigentlich wurde ihr sogar schlecht bei dem Gedanken. „Weißt du, als ich Flocke blutend am Straßenrand fand, ging es mir eigentlich nur darum, sie von ihren Qualen zu erlösen, da sie wirklich schlimm ausgesehen hat. Wenigstens das konnte ich für eine mir fremde Katze tun. Also brachte ich sie zum Tierarzt, und während er gerade dabei war, die Spritze zum Einschläfern vorzubereiten, da ... hat sie mich auf einmal mit ihrem einen blauen Auge angesehen. Nur kurz, aber ... der Moment war so intensiv, dass ich ...“ Viola lächelte traurig. „Ich habe dem Tierarzt die Spritze förmlich aus der Hand geschlagen und ihm dann auf meine Art klar gemacht, dass er verdammt noch mal alles tun sollte, um das Leben dieser Streunerin zu retten. Bestimmt hatte er mich die ganze Zeit für verrückt gehalten, da die Behandlungskosten meine gesamten Ersparnisse aufgebraucht haben und ich noch Extraschichten einschieben musste, um alles bezahlen zu können. Aber weißt du ...“ Sie sah hoch, offen und kein bisschen mehr böse, blickte sie in Zins Augen. „... das war es mir wert. Seit dem habe ich eine unersetzliche Freundin und das vom ersten Augenblick an, als sie mich angesehen hat. Ich weiß, sie ist nicht perfekt, aber sie ist in meinen Augen trotzdem wunderschön und bringt mich auf eine Weise zum Lachen, wie es andere gar nie könnten. Darum ... glaub nicht, dass dein Leben mir weniger bedeutet, als das von anderen. Wir kennen uns zwar kaum, aber manchmal ... da reicht ein Blick und man weiß, dass man einfach alles tun muss, um zu helfen.“ Es fühlte sich in etwa so an, als hätte sie ihm mit voller Wucht in den Magen getreten und sich dann über ihn gestellt, um ihn auszulachen. Das ... War das ihr Ernst? Zin zwang sich zu einem Lächeln, das Viola überzeugen musste, gerade weil es nicht besonders intensiv war und Zin seinen Blick bald wieder auf seinen Teller richtete, um ihrem Blick nicht zu lange standhalten zu müssen. Sie hatte ihn so voller Freude angesehen. Als wäre das, was sie ihm gerade erzählt hatte, etwas, das ihr wirklich etwas bedeutete. Und das ihn aufmuntern sollte. Es war aber nicht besonders aufmunternd zu erfahren ... dass sie ihn als Haustier betrachtete. Nicht anders, als die Katze, die sie am Straßenrand gefunden hatte. Eine gute Freundin, aber eben nicht mehr als ein Tier. Nun musste Zin seinen Stolz wirklich hinunterwürgen und etwas tun, was er normalerweise nicht tat. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Er log. „Ich bin froh, dass du das so siehst. Flocke und ich ... hatten wirklich Glück.“ Viola nickte nur und machte einen dazu passenden Laut, ehe sie schweigend weiter aß. Irgendetwas - sie konnte nicht sagen was und vielleicht lag es auch wirklich nur an ihr - auf jeden Fall war die Stimmung gedrückt und es knisterte unangenehm in ihrem Nacken, ganz so, als könnten sich ihre Härchen nicht entscheiden, ob sie sich nun aufstellen oder doch lieber zurückziehen sollten. Es war unangenehm, aber eigentlich sollte es sie nicht wundern. Sie hatte ihn gerade eben noch angeschnauzt. Da konnte sie nicht erwarten, dass jetzt zwischen ihnen alles in Ordnung war. Also aß sie ihren Teller halbleer, weil sie den Geschmack nicht wirklich genießen konnte, ehe sie ihn zur Seite stellte und schon mal den Nachtisch holen ging. Es gab stinknormalen Vanillepudding, aber der ging nun einmal einfach und schmeckte ihr sehr. Da sie ihn in den Kühlschrank gestellt hatte, war er inzwischen fest geworden und abgekühlt. Kommentarlos stellte sie Zin die kleine Glasschüssel mit dem Pudding hin und legte noch einen kleinen Löffel dazu. Dann machte sie es sich wieder auf dem Bett bequem und nahm wieder ihren Teller zur Hand, um auch noch den Rest fertig zu essen. „Der Fisch ist gut“, versuchte es Zin nach einer Weile des Schweigens, die drohte, sich unendlich in die Länge zu ziehen. Es hatte doch niemand etwas willentlich falsch gemacht. Warum also so still nebeneinandersitzen. Wo sie sich doch ansonsten gut unterhalten hatten. Das ... wollte er nicht aufgeben, solange er hier war. „Lachs, richtig?“ Es war nicht gerade ein brillanter Gesprächsbeginn, aber immerhin etwas, über das sie sich bis jetzt immer hatten unterhalten können. Das Gemüse schmeckte ihm auch. Vor allem das viele Salz daran. Und was da in dem Schälchen war, das Viola ihm hingestellt hatte, roch ebenfalls sehr lecker. „Weißt du schon, ob du Morgen wieder arbeiten gehst?“ Er sah sie an, konnte aber ihren Blick nicht wirklich lange halten. Lieber sah er wieder auf sein Essen und passte auf, dass er das Gemüse nicht aus Versehen über das Bett hüpfen ließ. „Und wann?“ „Ja, das ist Lachs. Aus einer Aquakultur und soweit ich das beurteilen kann, wurden da die Fische auch nicht mit lauter Antibiotika vollgestopft, damit so viele wie möglich ihr kurzes Leben auch überleben.“ Viola erzählte es nüchtern. Sie ... wusste immer noch nicht so recht, wie sie wieder zu einem normalen Gesprächsthema zurückkommen sollte. Allein die Erklärung mit der Aquakultur war schon übertrieben. Ganz so, als müsse sie Zin auch noch beweisen, dass sie nicht willentlich die Umwelt schädigte, um ihre Vorliebe für Fisch ausleben zu können. Und das mit den Antibiotika sollte auch keine Anspielung oder so sein. Es entsprach nun einmal leider der Tatsache, das viele Fischfarmen ihre Tiere so mit Medizin zu dröhnten, dass der Verzehr von ihnen am Ende nur noch widerlich war. Zumindest für ihren empfindlichen Gaumen. „Ja, werde ich. Sonst könnte mein Boss noch auf die Idee kommen, mir einen Besuch abzustatten. Soweit ich weiß, bin ich für die Spätschicht eingeteilt. Ich werde also spät am Abend wieder da sein. Kommst du so lange zurecht?“ Das war Violas erste Frage, die wieder mehr von ihren Gefühlen preisgab und sie sah Zin dabei auch tief in die Augen, um keine Reaktion darin zu verpassen. Zin nahm einen weiteren Bissen seines Essens und kaute nachdenklich darauf herum. Nein, es schmeckte wirklich nicht so, als hätte der Fisch irgendwelche Medizin verfüttert bekommen. Er schmeckte gut. So, wie Lachs eben schmeckte. Und selbst wenn Zin wusste, dass es Besseres gab, als Fische dafür zu züchten, sie später töten und essen zu können, warf er das Viola nicht vor. Die Alternative wäre gewesen, dass sie sich ihre Fische selbst fing. Und das funktionierte nicht, wenn man eine Abneigung vor Wasser hatte. Woher die wohl kam? „Er würde zu dir kommen, um zu sehen, wie es dir geht?“ Das war nett. Zin hatte noch nie davon gehört, dass man das bei Menschen so machte. Aber andererseits ... verstand er auch nicht viel von deren sozialen Strukturen. Eben nur das, was er beobachtet und sich angelesen hatte. Das war schon mehr, als Andere seiner Art wussten, aber trotzdem nur die Spitze des Eisbergs. Es gab noch viel zu lernen. „Ja, sicher komme ich zurecht. Ich habe doch eine Menge zu lesen.“ Mit dem Kopf deutete er in Richtung des Sessels, auf dem sich immer noch die Bücher und Zeitschriften stapelten. „Außerdem scheine ich immer noch eine Menge Schlaf zu brauchen.“ Was sein sehr tiefes Nickerchen vorhin bewies. Wäre es nicht gewesen ... hätte er sich vielleicht nicht mit Viola gezankt. „Ja, das würde er.“ Nun musste Viola doch grinsen. „Weißt du, ich arbeite schon seit meinem sechzehnten Lebensjahr für Dan. Anfangs war es nur ein Nebenjob um ein bisschen Taschengeld hinzuzuverdienen, aber inzwischen mache ich es auch Vollzeit, und wenn es um seine 'Mädchen' geht, ist er sehr eigen. Er hat - glaube ich - so eine Art Vater-Komplex. Letztes Mal, als Nick Hall schon ein paar gekippt und mir dann in seinem Suff an den Arsch gefasst hatte, ist er doch tatsächlich ausgerastet, als er das sah. Ich konnte gar nicht einmal so schnell reagieren, da hatte er Nick schon am Kragen gepackt und vor die Bar gezerrt. Seitdem hat Nick für eine ganze Weile Hausverbot und eine Gipshand.“ Viola wäre auch alleine mit dem Kerl fertig geworden. Aber von Frauen wie ihr erwartete man natürlich, dass sie schutzbedürftig waren. Da sie nicht zu viel Aufsehen erregen wollte, als sie es bisweilen ohnehin tat, ließ sie solche Sachen durchaus auch zu. Warum sich die Hände schmutzig machen? Vor allem war es gut für Nick. Bei ihr hätte er den Gips ganz wo anders tragen müssen. „Mh-hmm. Schlaf ist gut. Davon kannst du dir morgen auf alle Fälle genug abholen und jetzt, da du nicht mehr in meiner Badewanne herumtümpelst, werde ich dich auch länger schlafen lassen. Übrigens war das Wasser verdammt dreckig. Wenn das alles von dir kam, bin ich wirklich froh, dass es wieder draußen ist.“ Es war eine unausgesprochene Aufforderung für Zin, ihr vielleicht ein paar Informationen zukommen zu lassen, was die Ursache für seine Verletzungen anging, aber sie hatte es auch so formuliert, dass er darauf nicht antworten musste, wenn er es nicht wollte. Früher oder später würde sie es schon aus ihm heraus bekommen. Auf die eine oder andere Weise. Da war sie sich sicher. Das war bloß richtig, dass ihr Boss dem Kerl ein paar Manieren beigebracht hatte. Was erlaubte er sich, betrunken jemandem so nahezutreten? Zin wunderte sich kurz über den Ärger, der in wirklich erstaunlichem Maße in ihm aufbrandete. Ja, der Kerl hatte sich daneben benommen. Aber man hatte ihn dafür wirklich ordentlich büßen lassen. Warum ... fuchste es ihn dann so? „Freut mich, dass du dort jemanden hast, der auf dich aufpasst“, meinte ehrlich und freute sich im nächsten Moment, dass sie endlich wieder normal miteinander zu sprechen begannen. Wenn auch über ein merkwürdiges Thema, wenn man es recht bedachte. Aber das war Zin gerade ziemlich egal. Es hatte ihn mehr Steine in den Magen versenkt, nicht mit Viola zu sprechen. Als sie allerdings auf das dreckige Wasser und den 'Dreck' zu sprechen kam, der da in Zins Kiemen gehangen hatte, war die aufgelockerte Stimmung schon wieder wie weggeblasen. Zins Augen verfinsterten sich, nahmen fast den Farbton von kaltem Metall an, bevor er sich wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. „Ich habe ... nicht wirklich viel abbekommen.“ Es war beeindruckend, welche Gefühlswelt da über Zins Augen zu huschen schien, auch wenn Viola kein bisschen etwas davon verstand. Nur, dass es ihn offenbar ziemlich mitnahm. Sonst würde er ... nicht so mit Antworten geizen. Wenn er ihr sagte, dass er nicht wirklich viel abbekommen hatte, was wirklich lächerlich war, weil er verdammt viel abbekommen hatte, dann fragte sie sich, was dann noch Schlimmeres hatte passieren können? „Zin ...“, begann Viola vorsichtig, da sie ihre vorlaute Klappe auch in solchen Dingen zügeln musste, um es nicht gar so ... deutlich anzusprechen, wie es ihr mehr behagt hätte. „... wenn du sagst, dass du nicht viel abbekommen hast und wir beide wissen, wie dein Rücken aussieht, was könnte dann noch schlimmer sein? War ...“ Viola schloss für einen Moment die Augen, um noch einmal zu überdenken, ob sie das wirklich fragen wollte, andererseits, wenn es wirklich so schlimm war, wie sie dachte, dann sollte Zin das nicht alleine mit sich herumtragen müssen. „Es hat nicht dich alleine getroffen, oder? Ich meine, der Grund, weshalb du überhaupt so schwer verletzt wurdest, hat noch mehr Schaden angerichtet. Nicht wahr? Persönlichen?“ Scheiße, eigentlich hätte sie ihn am Liebsten einfach nur gefragt, wie es passiert war und ob er jemanden oder etwas für ihn Wichtiges dabei verloren hatte. Nicht wegen ihrer Neugier oder weil sie sich am Leid anderer weidete. Nein, sondern um ihm vielleicht besser helfen zu können. Auch in seelischen Belangen. Obwohl Viola zweifelte, dass sie besonders qualifiziert dafür war, bedachte man ihre eigene Starrsinnigkeit in Sachen Probleme, die nur sie was angingen. Dennoch konnte sie auch anders. Das war nun einmal ihre Natur. Zin hatte seine Hände in seinem Schoß verschränkt und blickte aus dem Fenster. Seine Miene versteinert und sein Atem ging flach von den Bildern, die vor seinen Augen abliefen – für Viola ungesehen. Er konnte jedes Detail in seinem Kopf abrufen. Das Licht, wie es die tarnenden Muster auf seiner Haut gestreift hatte. Ayas Blick ... Dass sein Atem zitterte, als er Luft holte, bemerkte Zin nicht. Er war ... vollkommen weggetreten. Für Momente, eine Ewigkeit, in der er sah, was er erlebt hatte. Was man ... ihnen angetan hatte. „Ja, sie haben ...“ Seine Stimme verfing sich in seinem trockenen Hals, raspelte sich ab und kam kaum über seine Lippen. „Ich weiß nicht mal, ... ob jemand überlebt hat.“ Viola wusste nicht, was schlimmer war. Zu warten, bis sich die Sekunden zu Minuten ausdehnten, während Zin vollkommen weggetreten war - vermutlich bei dem Geschehen selbst - oder seine darauf folgenden Worte. Gesprochen in einer Tonart, die ihr kalte Schauer über den Körper jagte. Einen Moment lang, wusste sie gar nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Besser gesagt, sie hätte schon gewusst, wie sie auf so etwas für gewöhnlich reagierte, nämlich mit intensiven Berührungen. Viola hätte Zin in den Arm genommen, ihn geerdet und ihn wissen lassen, das er nicht alleine war. Dass alles irgendwann wieder gut werden würde, auch wenn das nicht unbedingt der Wahrheit entsprach. Tatsache war aber auch, dass Zin nicht von ihrer Art war. Das er ein anderes soziales Leben hatte als sie selbst und dass sie selbst schon lange kein so inniges soziales Leben mehr hatte, wie sie es früher bei ihrer Omi gewohnt gewesen war. Darum saß sie einfach nur da. Stocksteif, mit dem instinktiven Bedürfnis, Zin zu berühren und zu trösten, aber sie konnte nicht. Vielleicht war ihm das zu viel. Vielleicht würde sie ihn dann erst recht dazu bringen, sich zurückzuziehen. Schließlich war ihr sein Ego nicht entgangen. So viel würde er ihr wohl kaum gestatten. „Was ist passiert?“, fragte sie ihn schließlich leise, sachlich. Viola wollte im Moment nicht, dass er mitbekam, wie sehr es sie selbst mitnahm, auch wenn sie noch nicht einmal dabei war, oder diejenigen gekannt hatte, die es vermutlich nicht überlebt hatten. Zuerst blickte er sie an, ohne sie wirklich zu sehen. Violas Worte schienen sich einen langen Weg zu ihm suchen zu müssen und schafften es trotzdem, Zin aus seinen finsteren Welten zu reißen, als würde Viola ihn aus einem Albtraum zerren. Auch wenn ... sie von ihm wissen wollte, was genau dieser Albtraum gewesen war. Er musterte sie. Lange und eingehend, während seine Finger vollkommen still ineinander lagen und obwohl Zin das Gefühl hatte, sie wären absolut verkrampft und steif, sahen sie doch entspannt aus. So, wie der Rest seines Körpers, der ihm nur durch seinen kantigen Herzschlag immer wieder Beweise dafür erbrachte, dass er noch funktionierte. „Wir ...“ Ihre geschwungenen Lippen öffneten sich nur ein winziges Stückchen. Einen Millimeter vielleicht, aber Zin glaubte in dieser Mimik ... Gefühle zu sehen, die er sich nicht erklären konnte. Es war nicht nur Neugier, oder? Seine Augen suchten nach Spuren auf Violas Gesicht. Für seine Befürchtungen, sie könnte nur auf eine abenteuerliche Geschichte aus sein, auf ... Als sein Blick ihren traf, biss Zin die Zähne hart aufeinander. Sein Herz klopfte verhöhnend gleichmäßig in seinem Brustkorb. Ganz so, als ging es das alles gar nichts an. „Es gibt Mineralien und andere Rohstoffe unter dem Riff, in dessen Nähe mein Schwarm lebt. Öl, Gase ... alles Mögliche, das scheinbar Nutzen bringen könnte für ... die Industrie.“ Das letzte Wort spuckte er aus, als könne er sich die Zunge verätzen, wenn er es zu lange im Mund behielt. „Vor ein paar Wochen haben sie angefangen. Boote und Schiffe haben Anker gesetzt. Schon allein dabei sind Riffbänke zerstört worden. Manche über hundert Jahre alt. Einfach zerschlagen von dreckigem Metall.“ Zin schluckte hart und sein Blick löste sich von Violas Augen. Er sah nirgendwo mehr hin, auch wenn sich seine Augen auf einen Punkt irgendwo hinter Violas Rücken richteten. „Eine moderne Bohrinsel wurde errichtet. An Ort und Stelle und so schnell, dass wir kaum reagieren konnten. Zuerst ... haben sie auch nur gebohrt. Vorsichtig, bis ... sie auf etwas gestoßen sind.“ Seine blanken Zähne kamen zum Vorschein, als er bei der Erinnerung die Lippen krauste. „Dann war bohren nicht mehr schnell genug. Nicht mehr ... effizient genug. Es wurde ... gesprengt. Und wir ... hatten uns den falschen Tag herausgesucht, um den Bohrer zu sabotieren. Wir ... wussten nicht, dass sie sprengen würden. Sonst wären wir nie so nah ran gegangen.“ Obwohl er in Gedanken weiter erzählte ... Obwohl er Erklärungen suchte, für das, was passiert war, schwieg er. Die Lippen fest aufeinander gepresst sah er immer noch auf den Punkt, der keiner war, und hielt seine eigenen Hände in seinem Schoß fest. Zin hätte gern gewusst ... ob jemand außer ihm ... überlebt hatte. Je mehr er erzählte, je mehr er sich ihr öffnete, umso mehr nahm es Viola mit. Sie war normalerweise keine sehr weinerliche Frau, die bei der kleinsten Tragödie in Tränen ausbrach, aber eine so schlimme Sache aus dem Mund eines so starken Mannes zu hören, war ... niederschmetternd. Selbst als er schwieg und sich immer mehr Stille zwischen ihnen beiden ausbreitete, fühlte sich ihr ganzer Körper taub und gefühllos an. Er hatte so viele verloren, die er kannte. Zin nannte es seinen Schwarm. Er war also sehr gruppenbezogen, und wenn dann mit dieser Gruppe etwas geschah, dann traf es einen, selbst noch härter. Viola war eine Einzelgängerin. Sie konnte es nicht vollkommen nachvollziehen, wie Zin sich fühlen musste. Wie es sein musste, wenn jemand seine Heimat zerstörte und die tötete, die ihm etwas bedeuteten. Aber sie wusste, wie schlimm es sie selbst getroffen hatte, als ihre Omi eines Tages nicht mehr aufgewacht war. Überraschend und unvorbereitet. Sie hatte wochenlang gar nichts gefühlt und dann tagelang hindurch nur geweint. Es war Jahre her und sie vermisste sie immer noch wie wahnsinnig. Zin musste schrecklich leiden. Noch immer wortlos, weil ihr ein so dicker Kloß im Hals hockte, dass sie kaum etwas heraus bekommen hätte, schob Viola das Tablett mit den Tellern zur Seite und krabbelte auf Zin zu. Sie suchte nicht seinen Blick, oder griff nach seinen angespannten Händen, sondern schlang ihre Arme um seinen Nacken und schmiegt ihr Gesicht an seine Brust. „Tut mir leid“, meinte sie leise mit rauer Stimme. „Ich brauche das jetzt ganz dringend.“ Und das war ihr voller Ernst. Sie weinte vielleicht nicht, aber sie zitterte am ganzen Körper und das Bedürfnis, irgendjemanden zu berühren, war einfach sehr viel stärker, als alles andere im Moment. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)