Totale Finsternis von beccel ================================================================================ Kapitel 4: Ein[e schöne Tochter] schöner Sohn --------------------------------------------- Was auch immer das für ein Getränk war, es wirkte schnell. Der Alkohol hatte Gabriels Geist schon beim dritten Kelch so benebelt, dass er das Klopfen kaum wahrnahm. Das war sicherlich auch der Grund, weshalb er nicht gehört hatte, wie die Dielen die nahende Anwesenheit quietschend angekündigten. Vermutlich war es Adrien, der sich zu Bette begeben wollte. Seine Zunge war seltsam schwer, als er ihn herein bat. „Guten Abend“, erklang es in einem vornehmen vom rumänischen Dialekt gezeichneten Französisch, „Ich hoffe, ich störe Sie nicht.“ Die erhabene Stimme kam von einer dunklen Gestalt, die langsamen Schrittes auf ihn zu flanierte. Der Designer stutzte kurz. Was nahm sich dieser Fremde heraus ihn zu stören? Oder war es am Ende ein Bediensteter des Hauses, der ihn mit neuem Wein versorgen sollte? So oder so, es war eine seltsame Person. Es mochte an der nicht ganz unerheblichen Menge an Alkohol liegen, aber der überraschende Besuch wirkte geradezu übermenschlich. Seine Bewegungen waren fließend, als würde er schweben. Sein Antlitz, welches hinter einem schwarzen Zylinder und einem ebenfalls schwarzen dicken Umhang verborgen war, wirkte so rein, als wäre es von Künstlerhand aus Porzellan gefertigt worden. Und in seinen strahlenden blauen Augen schien sich der Himmel eines klaren Wintertages zu spiegeln. Der Fremde ließ sich ungefragt auf den gegenüber stehenden Stuhl gleiten und meinte: „Gabriel Agreste, wenn ich mich nicht irre?!“ Der Angesprochene nickte nur und nahm einen weiteren Schluck, wobei er permanent von einem eisigen Augenpaar beobachtet wurde. „Erwarten Sie Besuch, mein Herr?“ Er verwies auf den vollen unberührten Kelch zu der Linken des Älteren. „Für meine Frau“, erklärte dieser knapp, schenkte sich erneut ein und stellte die leere Flasche ungeschickt beiseite. Sein Gast wand sich zu Emilie. „Ich versteh. Nun ich befürchte allerdings, dass sie in ihrem Zustand kein Alkohol zu sich nehmen sollte. Wenngleich dieser Trunk, den die Einheimischen als Wein betiteln, wohl jedem Körper schädigt, ungeachtet dessen, ob er an einer unheilbaren Krankheit leidet oder nicht.“ Die Gestalt nahm den Kelch, schwenkte ihn kurz und trank ihn in einem Zug aus, wobei er stets den Grauhaarigen im Blick hatte. Gabriel tobte innerlich. Wie konnte er es wagen, ungeladen in sein Zimmer einzudringen und den für Emilie bestimmten Kelch zu leeren? Er wollte ihn anherrschen. Er wollte diesen dreisten Eindringling am Kragen packen, ihn für seine Unverfrorenheit züchtigen und ihn anschließend aus seiner Kammer verbannen. Doch er konnte es nicht. Die blauen Augen schienen ihn zu fesseln. Ein jede Bewegung faszinierte ihn mehr: Wie er langsam den Kelch abstellte und seine Zunge die letzten Tropfen des rötlichen Saftes von seinen Lippen leckte, wie seine Hand in den Umhang glitt und eine teuer anmutende Flasche hervor zauberte, diese öffnete und beiden einschenkte. Es war, wie in einem Traum. Der Modeschöpfer nahm, einer Hypnose gleich, seinen Kelch und führte ihn zu seinem Mund. „Ein edler Tropfen“, nuschelte er sichtlich um gute Artikulation bemüht. „In der Tat... Allerdings sollte man ihn mit Vorsicht genießen. Der Geschmack täuscht schnell über den Gehalt hinweg“, antwortete sein Gegenüber und genehmigte sich einen winzigen Schluck, den er mit der Manier eines Sommeliers genoss. Gabriel nickte kurz und starrte in seinen bereits zur Hälfte geleerten Kelch. „Woher wissen Sie das?“ „Bitte?“ „Meine Frau... Sie ist todkrank, haben Sie gesagt. Woher? Sind Sie Arzt?“ „Mitnichten“, erklärte der Fremde kühl. „Es ist nicht zu übersehen. Doch auch ohne hinreichende medizinische Ausbildung, kann ich doch behaupten, dass diese kalten Gefilde für ihre Gesundheit wohl kaum vom Vorteil sein werden. Dürfte ich den Grund Ihrer Reise erfahren, mein Herr?“ Wäre er nüchtern gewesen, hätte er diese unverfrorene Frage sofort abgeschmettert. Aber Alkohol hat nun mal die bekannte Wirkung die Zunge nicht nur zur beschweren sondern gleichzeitig auch zu lockern. „Wir sind nicht wegen der guten Luft hier“, brummelte er, „Schon mal was vom Kuss der Unendlichkeit gehört? Vampire, Sie wissen schon!“ Sein Gesprächspartner hielt inne und dessen blaue Augen weiteten sich überrascht. „Ich bin hier, um einen dieser verdammten Blutsauger zu finden, zu fangen und ihn zu zwingen meine Frau zu heilen.“ „Ein... interessanter Plan, wenn Sie mir gestatten das zu sagen. Wie kommen Sie darauf, dass dieses Unterfangen von Erfolg gekrönt sein wird, mein Herr?“ Die Gestalt nippte an dem Wein. „Ich weiß es einfach!“ Ein Mundwinkel des Gastes zuckte verdächtig nach oben. „Ihre Naivität in allen Ehren, doch ich wage zu behaupten, dass der Preis des etwaigen Triumphs kaum den Einsatz aufzuwiegen vermag.“ Gabriel blinzelte zweimal und versuchte angestrengt die Worte in seinem vernebelten Verstand zu ordnen. „Ich meine, es ist äußerst unwahrscheinlich, dass Sie Ihr Vorhaben umsetzen können, ohne selbst das Leben zu lassen.“ Ein Schnaufen entkam den Designer. „Opfer müssen gebracht werden. Ich werde alles geben, um Sie zu retten.“ „Gilt das auch für Ihren Sohn, mein Herr?“ Der Fremde hatte nun eindeutig ein Lächeln auf seinen sonst so stoischen Zügen. „Würden Sie auch sein Leben geben? Ein menschliches Leben für ein unsterbliches. Ein fast schon unschlagbares Angebot, meinen Sie nicht auch?“ „Was fällt Ihnen ein?!“ Außer sich sprang der Grauhaarige auf, stieß dabei seinen Stuhl um und packte den ungebetenen Besuch am Kragen. „Niemals würde ich mein Kind hergeben!“ Er ließ von ihm ab, um sich, des aufkommenden Schwindelgefühles wegen, auf dem Tisch abzustützen. Sein Gegenüber richtete seine Kleidung und führte unbeirrt fort: „Ich bitte um Verzeihung, mein Herr. Das war taktlos von mir. Ich habe selbst... kein gutes Verhältnis zu meiner Brut. Ich vergesse oft, dass das nicht selbstverständlich ist. Doch erschien mir Ihre Beziehung ebenfalls sehr... unterkühlt.“ „Ich bin kein sonderlich guter Vater. Das ist mir bewusst – Ich... Meine Frau war stets der fürsorgliche Part in der Erziehung und seit dem sie... Ich habe das Gefühl, dass er mir immer mehr entgleitet. Aber NIE würde ich ihn hergeben! Er ist das wertvollste, was ich besitze... “ „Ich versteh... Sie müssen sehr stolz auf ihren Sohn sein“, bemerkte die dunkle Gestalt, was ihrem Gesprächspartner zu einem Lächeln bewog. „Sie sollten ihn sehen! Er ist ein prachtvoller Bursche. Warum Gott mich mit so einem stattlichen Knaben gesegnet hat, werde ich wohl nie verstehen.“ Der Fremde verzog kurz das Gesicht. „Gottes Wege sind unergründlich, wie ein altes Sprichwort besagt.“ „Sie sagen es! Er ist geschickt, intelligent und sein Lächeln erweicht jedes Herz... Er ist perfekt – perfekt, wie seine -“, er brach ab und wand sich mit schmerzverzerrtem Gesicht zu seiner Frau, „wie seine Mutter.“ Er ließ die Tischkante los, bewaffnete sich mit seinem Kelch und wankte zu Emilie, um sich neben ihr auf der Bettkante niederzulassen. Mit glasigen traurigen Augen betrachtete er sie und trank den restlichen Wein in einem Zug aus. Dabei beachtete er nicht, dass ein Teil des Trunks seinem Mund verfehlte, um sein Hemd rötlich einzufärben. Der Fremde verfolgte ihn mit seinem Blick, schloss anschließend seine Augen und erhob sich elegant. „Sie werden ihre Pläne also nicht verwerfen?“, die Stimme des unheimlichen Besuchers nahm einen lauernden Ton an. Er zückte ein schneeweißes Spitzentuch und reichte es seinen unfreiwilligen Gastgeber. „So sei es. Sie werden finden, was Sie suchen, mein Herr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)