Totale Finsternis von beccel ================================================================================ Kapitel 2: Knoblauch -------------------- Es vergingen mehrere Stunden, die sich für Adrien anfühlten, wie eine kleine Ewigkeit. Der Grund dafür war der Professor, der anscheinend schon so senil war, dass ihm nicht auffiel, wie er „die Geschichte von vor 4 Jahren“ mehrfach erzählte. Seinem Vater schien das wenig zu stören, ganz im Gegenteil: Er hing an des Professors Lippen, wie ein Knabe bei einer Bettgeschichte. Adrien rollte mit den Augen und bettete sein Kinn in seiner Handfläche. „Ich bin mit meinem Assistenten Alfred nach Transsylvanien aufgebrochen, um diese Blutsauger zu vernichten, jaja...“ ... „Und dann verliebt sich der Bengel ausgerechnet in die Wirtstochter. Ein hübsches Ding - Das muss selbst ich gestehen.“ ... „Der Vampirgraf -wie hieß er noch? - Graf von Krolock, hatte ebenfalls gefallen an ihr gefunden und trotz meiner Bemühungen konnte er sie verführen, dieser Schuft!“ ... „Und dann verschwindet das Mädchen einfach- in die Arme dieses Blutsaugers. Als ihr Vater sie retten wollte, wurde er leer gesaugt. Natürlich wollte ich ihn sofort erlösen. Sie verstehen.“ Jetzt deutete er mit den Händen eine Pfählung an und untermalte diese mit einem geräuschvollen Zack. „Mit seiner Hilfe konnten wir das Versteck dieser Kreaturen ausfindig machen. Der Graf wollte mir tatsächlich glauben machen, dass er ein ganz gewöhnlicher Mensch sei, Ha! Da hat er nicht mit MEINEM Intelligent gerechnet! Spätestens, als wir ihre Särge gefunden hatten, war mir natürlich alles klar. Logik, Monsieur Agreste, Logik!“ ... Der Graf hatte auch einen Sohn, der Alfred fast gebissen hätte. Und so weiter... und so weiter... Nahm diese Erzählung denn nie ein Ende? ... „Und dieser Graf hatte tatsächlich dutzende Vampire unter sich, die alle nach unserem Blut gierten. Leider konnten wir nicht mehr verhindern, dass das arme Kind gebissen wurde. Eine Schande ist das, wirklich.“ Bei der Beschreibung des Bisses war sein Vater immer besonders aufmerksam und lehnte sich stets ein Stück nach vorn. „Doch wir konnten fliehen. Dank meiner brillanten Idee, ein Kreuz zu errichten. Sie werden nie erraten aus was!“ Aus zwei Kerzenleuchtern, stöhnte Adrien in Gedanken und widerstand nur schwer dem Drang sich gegen die Stirn zu schlagen. „Der Graf erlag der Macht des Kreuzes, nein, ich sollte eher sagen: Der Macht der Wissenschaft, Jawohl! Die Decke des Schlosses stürzte hernieder und erlöste die Welt von diesen Untoten! Jaja... Nur knapp konnten wir entfliehen. Leider ist dabei mein Assistent verschwunden. Vermutlich hat sich der Junge mit der Wirtstochter ein schönes Leben gemacht... Nun ja... Er hätte eh sich nie zu einem guten Vampirjäger gemausert.“ … Der Blondschopf lehnte sich tiefer in die Polsterung der Sitzbank, als Abronsius zum siebten Mal von vorn begann. Er konnte inzwischen schon mitsprechen. Womit hatte er diese Folter verdient? Irgendwann hatte er sogar versucht, sich mit seiner Sitznachbarin zu unterhalten. Doch nach ein paar Sätzen hatte er wieder aufgegeben. Das Mädchen brachte kaum verständliche Worte heraus und lief dabei so rot an, dass er befürchten musste, sie einer Ohnmacht nahezubringen. Vermutlich machte ihr das kalte Wetter zu schaffen, denn je tiefer sie in das Landesinnere vordrangen, desto stärker fraß sich der Frost durch die Wände der Kutsche. Ihr Führer schien schon halb erfroren, als die ersten vereinzelten Hausdächer zu erspähen waren. Die Kutsche hielt vor einem verschneiten Gasthaus, aus dem laute fröhliche Stimmen und rustikale Melodien erklangen. Die Fenster, vor Frost und Dreck matt, ließen nur wenig von dem warmen Licht nach draußen in die dunkle Nacht. Dennoch konnte man das verwitterte Gemäuer durch zwei Laternen schemenhaft erkennen. Es war mit einer steinernen Schlachtszene dekoriert: Okkulte Gestalten schienen im Schutz der Finsternis um die Vorherrschaft zu kämpfen. Die Kreaturen erlagen schließlich der Kraft des Kreuzes, welches von zwei Mönchen gen Himmel gehoben wurde oder der des Knoblauchs, der um die Pfeiler nahe der Tür gewickelt worden war. „Haha! Hier sind wir richtig“, triumphierte der Alte, kaum hatte die kleine Gruppe die Kutsche verlassen, „Das ist Knoblauch! KNOBLAUCH! Sehen Sie, Monsieur Agreste! Diese Gestalten sind Vampire. Eindeutig! Die Zähne, beachten Sie die Zähne! Und – und das Kreuz. Ich spüre es. Unser Ziel ist ganz nah!“ Damit stampfte er frohen Mutes in das Gasthaus, ohne weiter auf die Mitreisenden zu achten. „Père... Dieser Mann ist durchgedreht“, zischte Adrien, kaum war Abronsius außer Hörweite, „Solche Verzierungen gibt es auch in Paris. An jeder zweiten Kirche kämpfen Engel gegen Dämonen und dort wohnen auch keine Drachen! Lass uns umkehren und-“ „Nein... Deine Mutter hat nicht mehr viel Zeit. Ihre Genesung liegt praktisch in den Händen dieses Mannes. Selbst wenn wir umkehren und doch nach Sighișoara reisen sollten, könnte es Tage, wenn nicht Wochen oder Monate dauern, bis wir einen Vampir gefunden haben. Wer weiß ob Emilie noch solange leben wird. Dieser Professor ist ein Experte auf dem Gebiet des Vampirismus. Wenn einer einen Vampir aufspüren kann, dann er. Wir bleiben.“ „Aber-“ „Wir.Bleiben!“, knurrte seine Vater wütend und gestikulierte dem Hünen Emilie in das Gasthaus zu tragen. Kaum war die Tür aufgetan, schwappte ihnen eine Welle aus Wärme, stickiger Luft und Knoblauchdunst entgegen, ganz zu schweigen von den feindseligen Blicken der Einheimischen. Die Musik war schon mit Abronius' Eintreten verstummt. Adrien kommentierte das lediglich mit „super Stimmung“ und schlürfte genervt mit dem Mädchen im Schlepptau zu dem Tresen, an dem das einzige freundliche Gesicht zu finden war. Wobei 'freundlich' eher im Sinne von schmierig grinsend zu verstehen war. Der ältere wohlbeleibte Mann mit den aschblonden fettigen Haaren rieb sich die Hände und beugte sich leicht nach vorn, während er sprach: „Willkommen willkommen in unserem bescheidenen Gasthaus, meine Herren. Was kann ich für Sie tun?“ „Ihre besten Zimmer“, ergriff Gabriel das Wort, „Dazu eine Schüssel heißes Wasser und ein warmes Mahl für jeden von uns.“ Ein Weib tauchte wie aus dem Nichts neben dem Wirt auf und stierte den Designer grimmig an. Ihr von Altersflecken übersätes Gesicht war noch faltiger, als das des Professors - Ein Umstand, den Adrien eigentlich für unmöglich hielt. Die krumme ungesunde Haltung ließ sie noch winziger erscheinen, sodass sie ihren Gegenüber kaum bis zur Hüfte reichte. Ihre krächzende Stimme bestärkte das Bild einer sterbenden Krähe noch, welches sie abgab: „Mir gefällt deine arrogante Art nicht, Grünschnabel. Du kommst hier herein stolziert, wie ein Pfau und herrschst meinen Sohn an, als wäre er dein Sklave. Das passt mir nicht, nein ganz und gar nicht.“ Der Angesprochene hob lediglich eine Augenbraue, griff in seinen hellen Wintermantel, um sein Portemonnaie hervorzuholen und mehrere Münzen über den Tresen zu schieben, wobei er penibel darauf achtete, dass er nicht mit dessen verdreckter Oberfläche in Berührung kam. Die stumpfen Augen der Frau leuchteten auf und ihre mit zahllosen Ringen besteckte Hand schnellte nach vorn, um die Münzen mit ihren Zähnen auf deren Echtheit hin zu überprüfen. Dann wand sie sich an ihren Sohn: „Worauf wartetest du noch, Horia? Wir haben zahlende Gäste. Mach dich an die Arbeit! Grăbește-te!” Sie schnaufte herrisch und betrachtete die Gruppe vor sich. „Entschuldigt die raue Begrüßung, aber oft kommen Hausierer in dieses Gasthaus, die vor dem herzlosen... äh... Wetter fliehen.” „Dem Wetter? Dem Wetter! Pah! Es ist nicht das Wetter, wovor sie Schutz suchen, nicht wahr?”, mischte sich der Professor wirsch ein und drängelte Agreste Senior grob zur Seite, „Es sind die Blutsauger, die Blutsauger!” Sofort brach ein wüstes Gemurmel aus. Alle Gäste des Wirtshauses schienen um ein paar Nuancen bleicher geworden zu sein, auch wenn man es unter dem Schmutz sowie den Lumpen, die sie ihr eigen nannten, kaum erkennen konnte. Die Krähe zuckte leicht zusammen, nur um knarzend zu erwidern, dass auch die Wölfe gefährlich seien, vor allem zu dieser Jahreszeit. Das machte selbst Adrien stutzig. Diese abwegige Reaktion war keinesfalls normal. Irgendetwas verheimlichten diese Leute. Vielleicht trieb hier ja doch jemand sein Unwesen. Ein Mörder, der Freude daran hatte des Nachts wehrlose Passanten zu überfallen. Die Einheimischen schenkten den Neuankömmlingen allesamt ein unheimliches falsches Lächeln, ehe sie ihre Nasen, so unauffällig, wie nur möglich wieder in ihre Metkrüge versenkten und über den Schneefall sinnierten. Ein anderer begann erneut die Violine zu spielen, wenn auch die Musik ein wenig gequält erschien. „Aus denen kriegen wir nichts heraus”, nuschelte der Professor in seinen Bart und schüttelte ungläubig seinen Kopf. Adriens Vater pflichtete ihn bei und versuchte es mit einem kleinen Strategiewechsel. „Auf dem Weg hierher konnten wir die Türme eines Schlosses erblicken. Steht es zum Verkauf?” „Ein Schloss?”, wiederholte die Alte mit einem nervösen Unterton, „Du musst dich irren, Jüngling, hier-” „Unmöglich”, unterbrach ihr Sohn sie, als er mit einem Tablett zurückkam auf dem dampfende Schüsseln mit Suppe ruhten, „Das Schloss kann man von hier aus gar nicht sehen.” „Taci!”, fuhr das Weib ihn an und gestikulierte eine Ohrfeige, „Mein Sohn ist nicht ganz bei Trost. Er hat wohl etwas zu viel getrunken.” Der Wirt biss sich auf die Unterlippe, richtete aber ohne weitere Kommentare einen Tisch her. Die Jüngsten der Gruppe fackelten nicht lang und machten es sich auf den Stühlen bequem. Hungrig schlangen sie die Suppe herunter, deren Hauptbestandteil -wie sollte es auch anders sein- Knoblauch war. Aber es war immerhin ein warmes Mahl. Der Professor gesellte sich schon bald dazu. Anscheinend siegte der Hunger über seine Wissbegierde. Gabriel zögerte noch etwas. Einerseits war das Verhalten dieser Leute mehr als verdächtig - Hier musste ein Vampirgraf auf die Jagd gehen. - andererseits war es sinnlos weiter die Dorfbewohner auszufragen, auch wenn diese die einzige Spur darstellten. Sie würden nicht reden, so viel war klar. Vermutlich lähmte die Angst ihre Zungen. Nur der Teufel wusste über was für diabolische Fähigkeiten diese Kreaturen verfügten. Vielleicht wurde er in diesem Moment beobachtet? Sein Blick wanderte zu einem der vergilbten Fenster. Draußen wütete noch immer der Schneesturm. Flocken wirbelten im Schein einer vereinzelten Laterne umher. Dann stellten sich plötzlich seine Nackenhaare auf. Der Designer spürte wie seine Beine sein eigenes Gewicht nicht mehr tragen wollten und er in sich zusammen zu brechen drohte, hätte ihn nicht die besorgte Stimme seines Sohnes aus seiner Trance befreit. Er holte tief Luft, von der er nicht einmal wusste, dass er sie die ganze Zeit angehalten hatte. Dann schüttelte er den Kopf und strich sich über die müden Augen. Als er sie wieder öffnete und sich erneut dem Fenster zu wand, war sie verschwunden: Die Gestalt, der Schatten, den er glaubte gesehen zu haben. Diese Gestalt, die im Schutz der Nacht lauerte, fern vom Licht, welches die Lebenden stets zu umhüllen scheint. Diese Gestalt, die raubtierartig ihre Beute inspiziert, um auf den perfekten Moment zu warten um zuzuschlagen. Erneut schüttelte er den Kopf und bändigte ein paar widerspenstige graue Strähnen, die sich in sein Gesicht verirrt hatten. Es war eine anstrengende Reise gewesen, ganz zu schweigen von den ermüdenden Monaten. Seine Fantasie musste ihm einen Streich gespielt haben. Adrien beorderte gerade eine zweite Schüssel Knoblauchsuppe, als ihm auffiel, dass nicht alle zu Tisch gekommen waren. Die Abwesenheit des Kutschers war schnell geklärt. Er saß mit Emilie in den Armen am Kamin und wärmte seine Knochen. Doch auch sein Vater fehlte. Nicht das dieser sich viel aus gemeinsamen Essen machte... Der Blondschopf sah sich kurz um, eh er den Älteren ertappte, wie er geistesabwesend aus den Fenster starrte. Dass er dort etwas interessantes erkennen konnte, war äußerst unwahrscheinlich, immerhin ließen das die dreckigen Scheiben kaum zu. Der Junge schnaufte kurz und wollte sich daran machen, sein Essen zu verspeisen, als er im Augenwinkel sah, wie sein Vater einfror. Sämtliche Farbe verschwand aus seinem geschockten Gesicht. Dann fing er an zu zittern und unsicher nach hinten zu taumeln. „Vater, was ist mit dir?” Keine Antwort. „Père?” Der Angesprochene zuckte kurz zusammen, schüttelte ungläubig seinen Kopf, rieb sich über die Lider und betrachtete wieder das Fenster. Dieses mal schien er nichts ungewöhnliches zu sehen, denn er entspannte sich sichtlich und knurrte etwas mit einem verächtlichen Ton. Als Gabriel bemerkte, dass sämtliche Blicke auf ihm gerichtet waren, räusperte er sich kurz. „Ich... Ich werde in meinem Zimmer zu Abend essen”, murmelte er möglichst beiläufig, schnappte sich eine Schüssel und nickte den Hünen am Kamin zu, der sich auch sogleich in Bewegung setzte. Dann sagte er etwas zu der Krähe, die sich daraufhin die Hände rieb und ihn mit ein paar Weinflaschen bewaffnet folgte. Adrien konnte nur genervt mit den Augen rollen. Das würde eine lange Nacht werden. Er nahm einen weiteren Schluck von der Knoblauchsuppe. Es war schon seltsam. Diese Menschen schienen regelrecht süchtig nach Knoblauch zu sein. Überall konnte man ihn entdecken. Die Knollen hingen sogar von der Decke und um den Hälsen der meisten -nein bei näherer Betrachtung – um den Hälsen aller, die hier lebten. Der verwirrte Jüngling wand sich an den Wirt, der ein weiteres Tablett jonglierte: „Warum habt ihr alle Knoblauchketten um den Hals? Ist das hier Mode oder so?“ Dieser wurde augenblicklich bleich und hätte beinahe seine kostbare Fracht fallen gelassen. Auch die anderen Leute hielten Ihrer der Bewegung inne. Die Musik verstummte mit einem schrecklichen schiefen Ton. Die Alte blieb so abrupt stehen, dass Agreste Senior beinahe über sie stolperte. „Knoblauch?“, wiederholte der dickliche Mann und kratzte sich am Hinterkopf. „-hilft gegen vielerlei“, unterbrach ihn seine Mutter mit einem falschen beinahe zahnlosen Lächeln, ehe er sich wieder verplappern konnte. „Und gut fürs Herz, ganz nebenbei“, stieg der Violinenspieler mit ein. „Es hilft gegen Pickel“, kreischte eine Frauenstimme von hinten gefolgt von einem, „Und ist gut für die Standfestigkeit. Ha!“ Es brach ein wüstes Durcheinander an Stimmen aus, die allesamt die Nützlichkeit der Knolle priesen und das in einer Lobeshymne gipfelte. „Komm mit, Bursche“, krächzte die Krähe über den Lärm hinweg, „Dein Zimmer ist gleich da vorn.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)