Totale Finsternis von beccel ================================================================================ Kapitel 1: 1. He ho Professor ----------------------------- He ho Professor     Der Wind peitschte unaufhörlich über die weiße Landschaft und jagte dicke Schneeflocken vor sich her. Sie verfingen sich unaufhörlich in den Haaren, Wimpern und der Kleidung des massigen Kutschers, der zwei prächtige Schimmel über die kaum erkennbaren Straßen trieb. Sein grimmiges sowie kantiges Gesicht war von der Kälte kreidebleich. Dagegen war es in der Kutsche relativ warm. Natürlich. Wie sollte es auch anders sein? Sie war das neueste Modell, prächtig und das edelste, was man mit Geld kaufen kann. Ganz wie man es von der Kutsche des wohlhabendsten Händlers für Textilien aller Art erwarten würde. Nichtsdestotrotz umschmiegten dicke Wintermäntel die Körper der drei Insassen: Die gesamte, wenn auch kleine Familie, die Gabriel Agreste sein eigen nannte. Sein Sohn Adrien, der ihm gegenüber saß und seine Frau Emilie, die zusätzlich in zahlreiche Decken eingewickelt war. Sie war der Grund, warum sich die drei ausgerechnet zu der unangenehmsten Jahreszeit nach Transsylvanien aufmachten. Ihr blondes Haar klebte an ihrem schweißgebadeten Gesicht. Die Krankheit hatte ihre Haut mit einen unansehnlichen Grauton betupft und ihren blutunterlaufenen glasigen Augen dunkle Schatten geschenkt. Die besten Ärzte der Welt wurden die letzten Monate nach Paris zitiert, ebenso wie Exorzisten, Nonnen und Kräuterweiber. Doch nichts schien die mysteriöse Krankheit aufhalten zu können. Auch um das Familienoberhaupt stand es nicht zum Besten. Sein Gesicht war blass und die Sorgen hatten ihn um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte altern lassen. Die ersten silbernen Strähnen schimmerten durch sein eigentlich blondes Haar, auch wenn er sein Bestes gab, diese so unter zu kämmen, dass man sie nicht mehr sehen konnte. Ein inzwischen unmögliches Unterfangen... Sein durchdringender, wenn auch erschöpfter Blick ruhte auf dem zerbrechlichen Körper seiner Frau. Dagegen wusste er vermutlich nicht einmal, welche Farbe der dicke schwarze Mantel seines Sohnes hatte. Es muss schon über ein halbes Jahr her sein, dass er Adrien angesehen, geschweige denn mit ihm gesprochen hatte. Stattdessen verbrachte er jede freie Minute, die er nicht seiner Frau widmete mit Recherchen über unbekannte Krankheiten, Wunderheilungen, Mythen über magische Relikte, die ewiges Leben oder zumindest Gesundheit versprachen, kurzum alles was seiner über alles geliebten Emilie Linderung versprach. Leider war all das fehlgeschlagen. Er hatte schon Unsummen in herkömmliche und besagte alternative Medizin investiert. Ärzte konnten nur den Kopf schütteln, Mönche wie Nonne bekreuzigten sich und boten die letzte Ölung an, angebliche Wunderheiler und Zauberkünstler stellten sich als Scharlatane heraus. Die deprimierende Suche näherte sich immer mehr ihrem traurigen Ende zu. Adrien seufzte tief, als er seine Eltern beobachtete. Es mag herzlos klingen, aber er hatte bereits eingesehen, dass er seine Mutter an die Krankheit verlieren würde und so wie die Situation aussah, auch seinen Vater. Mit jedem Misserfolg zerbrach Gabriel ein Stückchen mehr, wurde er kälter und verbitterter. Das war das Belastendste für den jungen Mann. Er wusste, dass seine Mutter sterben wurde, doch egal wie es ihm das Herz zerriss, er konnte nicht trauern, keine Tränen zeigen, zum Wohle seines Vaters. Solange dieser den Tod seiner Liebsten nicht akzeptierte, war es unmöglich zu ihm zu gehen, in seinen Armen Schutz zu suchen und die Tränen fließen zu lassen. Er würde ihn wütend abweisen, ihn anschreien und beschuldigen. „Es ist noch nicht zu spät!“, würde er brüllen oder „Wie kannst du so etwas sagen. Sie ist deine Mutter!“ Dann würde er in sich zusammenbrechen, den Weinkeller aufsuchen und seine Schuldgefühle, sein Versagen mit der nächsten Flasche Hochprozentigen herunterspülen. So brutal es sich vielleicht anhört, aber Adrien wünschte sich nichts mehr, als dass sein Vater aufgibt, seine Mutter in Frieden verscheiden lässt und wieder für ihn da ist, gemeinsam mit ihm trauert. Vor ein paar Monaten war es fast soweit: Gerade hatte ein buddhistischer Mönch, die zu dieser Zeit letzte Hoffnung seines Vaters, mit ehrlichem Bedauern seine Ratlosigkeit verkündet. Gabriel war wütend in sein Arbeitszimmer gestürmt und hatte in einen Tobsuchtsanfall alles zertrümmert, was halbwegs in die Brüche gehen konnte. Dann hatte er sich der Resignation und dem Wein hingegeben. Agreste Junior hatte damals gehofft, dass sobald der Ältere seine Niederlage hinnahm, er auch wieder so wie früher werden würde: rational, jeden ans Übersinnliche Glaubenden verspottend – sein Fels, der ihm in seiner Verzweiflung halt geben würde. Doch es kam anders. Einer der Schneider unter der Agreste Familie hatte ein Buch vergessen und- Innerhalb von Sekunden brach Chaos in der Kutsche aus. Die Pferde bäumten sich wild wiehernd auf. Der Kutscher donnerte eine beachtliche Reihe an Schimpfwörtern. Das Gefährt an sich wankte, ächzte und stöhnte. Panisch versuchte sein Vater Emilie zu stabilisieren, während er sich an die Sitzbanklehne klammerte. In dem ganzen Lärm ging der hohe weibliche Schrei beinahe unter. Als sich die Lage wieder beruhigt hatte, steckte Adrien seinen Blondschopf nach draußen und besah sich der Schuldigen für das Durcheinander. Zwei Gestalten standen vor der Kutsche: eine junge Frau und ein sehr alter faltiger Mann, der hitzig auf den Bediensteten einredete. „Wo haben Sie Ihren Schein gemacht? In der Gosse?“, keifte der Alte und wedelte mit einem Schirm wild umher, „Ich will sofort Ihren Herren sprechen!“ Oh nein, das glaube ich nicht, dachte Adrien amüsiert, während er in Richtung seines sehr wütenden Vaters schielte. Dennoch wurde Ihm sein Wunsch erfüllt. „Was geht hier vor?“, knurrte Gabriel erbost und gesellte sich zu der kleinen Gruppe. Die junge Frau zuckte unter der kalten Tonlage sichtlich zusammen und ließ ihren Kopf gesenkt. „Sie ist vor die Kutsche gestolpert“, knurrte der Hüne und zerrte das Mädchen nach vorn. „Kein Grund ungehalten zu werden, junger Mann!“, wetterte der kleine Alte unbeirrt weiter und gab ihn einen Schlag mit dem Schirm. Dann wand er sich an den Neuankömmling, „Ihr Kutscher hätte uns beinahe ins Grab gebracht, ja ja... Als ob die Jagd nach diesen vermaledeiten Blutsaugern nicht schon gefährlich genug wäre! Nein! Ha! Da muss man sich schon vor solchen, solchen... Tölpeln“, er gestikulierte in Richtung des gorilla-artigen Fahrers, „in Acht nehmen und-“ Normalerweise würde sein Vater seinen Gegenüber einfach ignorieren, wieder in die Kutsche steigen – vor allem, da er zitterte, wie Espenlaub – und weiterfahren. Aber das Wort „Blutsauger“ hatte sein Interesse geweckt. So unterbrach er ihn stattdessen: „Sagten Sie Blutsauger? Dürfte ich fragen, wer Sie sind?“ Wow, er klang sogar freundlich, für seine Verhältnisse jedenfalls. Der Kleine schien sich vor Stolz aufzublähen und überreichte ihn eine bereits vergilbte Visitenkarte: „Professor Abronsius aus Königsberg“ „Der Professor Abronsius?“, kam die erstaunte Antwort. Oh nein, dachte Adrien genervt, diese unverhohlene Überraschung und dieses blitzen in Papas Augen kann nichts gutes Bedeuten. „Ich las Ihre Bücher, Professor und ich muss gestehen, ich bin ein sehr großer... Bewunderer Ihrer Arbeit. Es wäre mir eine Ehre, Sie ein Stückchen in meiner Kutsche mitzunehmen.“ Der jüngere Agreste blinzelte verwirrt. Seit wann war sein Vater so... umgänglich und höflich? Ihm wurde auf seinen fragenden Ausdruck hin die Visitenkarte in die Hand gedrückt.   Professor Abronsius Dozent für Paranormalität und Vampirismus an der Universität in Königsberg Autor von „die Fledermaus“, „die Fledermaus 2: Forschungen am lebenden Objekt“ und „Der Vampir: Ein bissiger Zeitgenosse“   Das.konnte.doch.nicht.wahr.sein! Mitten im Nirgendwo trafen sie ausgerechnet auf den Autor dieser verdammten Bücher, die seinen Vater diese Schnapsidee in den Kopf gepflanzt hatten. Seit dem er das von dem Schneider vergessende Buch „Die Fledermaus“ überflogen hatte, war er nicht mehr davon abzubringen einen Vampir aufzuspüren. Einen VAMPIR! Der Blondschopf konnte lediglich die Augen rollen. Von allen verrückten ach so magischen Wunderheilungsversuchen, war die einen Vampir zu finden die mit Abstand bescheuerteste. Doch seit der Erkrankung seiner Mutter, waren rationale Argumente verschwendete Atemluft. Wenn Gabriel Agreste es sich in den Kopf gesetzt hatte, dass Vampire wirklich existieren, dann gab es sie auch. Punkt. „Mit dem größten Vergnügen, Herr...?“ „Agreste, Gabriel Agreste“, stellte er sich wie nebensächlich vor und geleitete den Professor zur Kutsche. Jetzt meldete sich zum ersten mal die junge Frau zu Wort. Bei der Erwähnung seines Namens, schnellte ihr Kopf in die Höhe und ihre Augen funkelten vor Freude. „Gabriel Agreste?“, fragte sie aufgeregt, „Der Modekönig? Ich fasse es ja nicht! Sie sind mein absoluter Lieblingsdesigner! Oh Ihre letzte Kollektion war ja so umwerfend. Ich bin Marionette äh- Marinette Dupain-Cheng. War das jetzt richtig?! Ich äh-“ Ihre Wangen färbten sich rot und sie legt ein breites entschuldigendes Grinsen auf. Seltsamer Weise schien es sehr ansteckend zu sein, denn Adrien kam nicht daran herum es zu erwidern, was sie noch mehr erröten ließ. „Meine neue Assistentin...“, erklärte der Professor knapp, „Alfred, mein alter Assistent ist bei meiner letzten Mission leider verschwunden. Ach, eine Schande ist das...“ Der kalte abschätzige Blick den das Familienoberhaupt der jungen Frau zu warf, wanderte wieder zu dem Alten, als er beiden gestikulierte, es sich in der Kutsche bequem zu machen. „Sie reisen also mit Ihrem Sohn und Ihrer kranken Frau nach Sighișoara?“, erkundigte sich der Professor neugierig, „Ich muss Sie warnen. Laut meinen Forschungen ist dies eine der Vampir Hochburgen! Das ist kein Ort, um Urlaub zu machen.“ Adrien verdrehte erneut die Augen und verkreuzte die Arme vor der Brust. Genau das war der Grund, warum sie diese verdammte Stadt aufsuchen wollten. Die Hochburg der Vampire – natürlich... Einer verrückter als der Andere. „Oh wirklich?“, erwiderte Gabriel mit durchaus überzeugender, wenn auch gespielter Überraschung, „Das ist aber ungünstig... Nun ja, ich bin sicher mit Ihnen als Experte auf dem Gebiet des Vampirismus haben wir nichts zu befürchten. Sie wollen doch sicherlich auch nach Sighișoara, nicht wahr?“ „Wo denken Sie hin, nein! Ich bin zwar, wie Sie völlig zutreffend gesagt haben, ein wahrer Vampir-Experte, doch sollte man diese hinterhältigen Blutsauger nicht unterschätzen. Wenn meine Nachforschungen korrekt sind, leben dort über 15 Vampir-Clane. Ich bin unter den Vampiren nicht ganz unbekannt, verstehen Sie, und ich muss auch an meine Gesundheit denken. Wenn ich sterbe, wer soll dann diese Kreaturen aufhalten?“ „Nun das ist sehr unerfreulich. Ich hatte mich schon darauf eingestellt Ihren neuesten Schlussfolgerungen zu lauschen, Professor.“ „Das hört man gern, Monsieur Agreste. Ich wünschte ich hätte solch interessierte Persönlichkeiten in meiner Heimat. Vielleicht könnten Sie mich ja nach Usturoi begleiten?“ „Ust...uroi?“, wiederholte der Designer ungläubig, „Warten Sie! Sie sind auf der Suche nach Vampiren in einem Dorf, das Usturoi also Knoblauch heißt?“ „Ganz Recht. Logik, Monsieur, Logik! Sehen Sie, gerade wegen des Namens würde kein Vampirjäger auch nur auf die Idee kommen dort nach den Blutsaugern zu suchen. Nun ja, aber sie haben nicht mit der überragenden Intelligenz von mir Professor Abronsius gerechnet. Ha!“   Gabriel tauschte einen zweifelnden Blick mit seinem Sohn aus, was Adrien sehr begrüßte. Vielleicht würde die Anwesenheit des Alten seinen Vater nicht in seiner Idee bestärken, sondern im Gegenteil ihn von seinem Vorhaben abhalten. „Es... wäre mir ein Vergnügen“, murmelte er schließlich doch nur mit einem erheblichen Anteil Unsicherheit in der Stimme. Seine Frau hatte nicht mehr viel Zeit. Er musste so schnell wie möglich einen dieser Untoten auftreiben, um sie zu retten. Und dazu brauchte er nun mal diesen Professor.   „Wie können Sie sich so sicher sein, dass es dort auch wirklich Vampire gibt, Professor?“, mischte sich der Blonde nun ein, „Was ist, wenn die Vampire … ähm... Sie in eine Falle locke-“ Mit einen scharfen Blick brachte sein Vater ihn zum Schweigen. „Nein, nein, mein Junge. So schlau diese Kreaturen auch sein mögen, mit meinem Intellekt können sie nicht mithalten.“ Adrien schnaufte nur genervt und ließ sich tiefer in die Polsterung der Sitzbank sinken. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)