Charmante Courage von Varlet ================================================================================ Kapitel 16: Stephan ------------------- Zusammen mit Jodie betrat Grayson das Büro von Lieutenant Svenson. Grayson sah sich um. Das Büro passte zu Svenson. Trist und kühl. Nicht einmal ein Foto stand auf seinem Schreibtisch. Der zweite Schreibtisch war unbesetzt, aber mit zwei Bilderrahmen ausgestattet. „Lieutenant“, grüßte er den Mann und reichte ihm die Hand. „Ich habe wirklich nicht erwartet, dass wir heute noch einmal aufeinander treffen werden.“ Der Polizist stand auf. „Ich muss ehrlich zugeben, dass ich heute noch mit Ihnen gerechnet habe. Setzen Sie sich doch“, sagte er und wies auf den Platz vor seinem Schreibtisch. „Ich hol Ihnen Jennas Stuhl, solange sie nicht da ist.“ „Das kann ich auch machen“, sagte Jodie und ging zum leeren Schreibtisch. Sie beneidete die Ordnung auf diesem. Kurz ließ sie den Blick über die beiden Bilder schweifen. Eines zeigte wohl Jennas Mutter und das andere ihren Vater. Jodie lächelte leicht und schob den Stuhl vor Svensons Schreibtisch. „Es wundert mich, dass Agent Akai nicht mitgekommen ist“, gab Svenson von sich. „Oder weiß er nichts hiervon?“ „Wir hielten es für besser, wenn er im Büro bleibt“, antwortete Jodie ruhig. Leider war es nicht so einfach wie gedacht, aber sie mussten funktionieren. Für Laura. Shuichi ballte die Faust. Mord. Fluchtgefahr. Mord und Fluchtgefahr. Bei jedem anderen Verdächtigen hätte er diese Indizien als ein eindeutiges Zeichen identifiziert, aber bei Stephan? Er kannte den Bewährungshelfer seit Jahren und würde seine Hand für ihn ins Feuer legen. Stephan war alles, aber nicht gewalttätig. Und er machte seinen Job gut. Egal was war, Stephan blieb immer ruhig oder hatte einen lustigen Spruch auf Lager. Shuichi ahnte, dass mehr hier Lauras Mord steckte. Ein Plan, den er noch nicht durchschaute. Und langsam lief ihnen die Zeit davon. Wenn es in diesem Tempo so weiter ging, würde er noch mehr Menschen in seinem Umfeld verlieren, ohne auch nur eine Idee zu haben, wer gegen ihn agierte. Der FBI Agent brodelte innerlich. Und er konnte – durfte – nichts tun. Vieles hätte nur gegen ihn gesprochen und ihrem Gegner in die Karten gespielt. „Der Fall hat sich damit verhärtet“, entgegnete Grayson. „Ich werde gleich zur Befragung von Stephan zum NYPD fahren.“ „Ich komme mit.“ Grayson seufzte. „Akai, das hatten wir doch schon“, fing er an. „Wir werden nichts machen wodurch uns der Fall um die Ohren fliegt. Aus diesem Grund wirst du hier bleiben.“ Shuichi verengte die Augen. „Da nahmen wir noch an, dass Stephan bei einem ehemaligen Häftling ist. Aber jetzt wurde er wegen Fluchtgefahr verhaftet. Willst du, dass das NYPD Stephan für etwas Verurteilt, was er nicht getan hat? Du hast Svenson selbst erlebt. Wenn er sich auf einen Verdächtigen eingeschossen hat, versucht er alles um ein Geständnis zu bekommen. Und wenn es nach ihm geht, bin ich immer noch der Täter. Aber ich komm mit diesen Anschuldigungen klar. Wer weiß, wie sich Stephan dabei fühlt. Vielleicht gesteht er etwas, was er gar nicht getan hat.“ „Ich weiß und ich werde darauf achten, dass man Stephan nichts anhängt.“ Grayson seufzte. „Gut, ich mach dir einen Gegenvorschlag, weil du eh nicht locker lassen wirst. Du bleibst hier und ich nehme Jodie mit.“ Shuichi grummelte. „In Ordnung“, stimmte er widerwillig zu. Dennoch würde er nicht die ganze Zeit still rumsitzen. Grayson sah zu Jodie. „Bist du soweit?“ „Ja, das versteh ich. Wo haben Sie denn Jenna gelassen?“, wollte der Polizist wissen. „Was meinen Sie?“, wollte Grayson wissen und nahm Platz. „Ich habe Jenna vor ungefähr zwanzig Minuten gebeten Ihnen Bescheid zu geben. Wir haben Stephan Palmer verhaftet.“ Svenson beobachtete die Reaktion der Agenten. „Sie haben die Information nicht von ihr?“ „Haben wir nicht.“ Grayson verschränkte die Arme. „Wie Sie wissen, sind wir mit Agent McKnight und Mr. Palmer seit Jahren befreundet und haben die ein oder anderen Fälle gemeinsam gelöst. Ich versichere Ihnen allerdings, dass wir den Mord an Agent McKnight rein objektiv betrachten und nichts tun werden, was die Ermittlungen irgendwie gefährden könnte.“ Svenson nickte. „Das setze ich natürlich voraus, Agent Grayson. Außerdem hat mich Ihr Vorgesetzter, Agent Black, ebenfalls darüber in Kenntnis gesetzt. Ich verstehe auch, dass Sie uns bei den Ermittlungen unterstützen wollen. Würde Jenna etwas Passieren, hätte ich auch nicht so einfach locker gelassen. Aber Sie müssen verstehen, dass Sie hier nur die zweite Geige spielen. Außerdem frage ich mich, warum Sie es jetzt gerade noch so betonen.“ „Ich wollte nur, dass wir alle auf dem gleichen Stand sind. Sie müssen sich wegen uns keine Sorgen machen.“ „Gut“, nickte der Polizist. „Und woher wissen Sie, dass wir Palmer verhaftet haben?“ „Wir haben ein paar Agenten zur Wohnung und zum Büro von Palmer geschickt. Unsere Leute haben die Verhaftung gesehen und uns unverzüglich informiert.“ „Verstehe. Das FBI hat wirklich überall Augen und Ohren…dabei hielt ich das CIA für den Spitzenreiter darin…“, murmelte der Lieutenant. „Ich muss Ihnen sicher nicht sagen, dass ich kein Fan vom FBI und seinen Agenten bin, aber Ihr Verlust tut mir wirklich leid.“ „Danke“, antwortete Jodie ruhig. „Wir möchten gerne dabei sein, wenn Stephan vom Tod seiner Freundin erfährt. Ich würde vorschlagen, dass ich ihm die Nachricht mitteile.“ „Das könnte schwer werden…“, gab Svenson zu. „Wieso?“ „Bei seiner Verhaftung wurde der Mord an Laura McKnight erwähnt.“ „Was?“ Grayson wurde etwas lauter. „Wieso haben Sie Ihre Kollegen nicht angewiesen, sich angemessen zu verhalten?“ Der Agent schüttelte fassungslos den Kopf. Hatte er es nur mit Stümpern und Besserwissern zu tun? „Armer Stephan“, murmelte Jodie leise. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie es ihm den Boden unter den Füßen wegzog. „Selbstverständlich haben wir unsere Leute nicht wegen einer Verhaftung zu Mr. Palmer geschickt. Sie sollten ihn nur zur Befragung abholen. Vor Ort hätte ich ihm vom Mord erzählt und seine Mimik beobachtet. Allerdings kam Mr. Palmer mit einem Koffer und einem Flugticket in der Hand aus seiner Wohnung. Daraufhin haben unsere Leute ordnungsgemäß gehandelt. Laut meinen Kollegen hat er auf dem Weg hierher ihren Namen geschluchzt und sich problemlos abführen lassen. Auf die Frage nach einem Anwalt haben wir keine Reaktion bekommen, deswegen wird ihm ein Pflichtverteidiger zur Verfügung gestellt.“ „Wir kümmern uns um den Anwalt“, sagte Grayson. „Das Flugticket muss einen anderen Grund haben“, kam es von Jodie. „Atlanta…zwei Tage. Sie kennen das ja, ein Rückflug muss nichts heißen. Es könnte nur eine Fassade sein.“ „Lieutenant Svenson“, fing Grayson an. „Machen Sie es sich nicht ein wenig zu leicht? Zuerst haben Sie Agent Akai des Mordes bezichtigt und jetzt wollen Sie Mr. Palmer zum Sündenbock machen. So ermittelt man nicht.“ „Sie wollen mir erzählen, wie man ermittelt? Was ist denn mit Ihnen? Ich habe meine Hausaufgaben auch gemacht. Vor Jahren hat Agent Starling an einem Fall ermittelt, bei dem seine Tochter involviert war. Jahre später wurde Agent Starling – Jodie – angeschossen und Agent Akai, ihr damaliger Ex-Freund, durfte ermitteln. Jetzt ermittelt Jodie Starling in einem Fall, bei dem ihr Freund, Tschuldigung Verlobter, involviert ist. Und Sie, Agent Grayson, waren mit der Ermordeten ebenfalls befreundet. Wenn das nicht Befangenheit ist, dann weiß ich auch nicht.“ Er räusperte sich. „Meine Ermittlungen hingegen belaufen sich auf Indizien oder Beweise. Agent Akai war nun einmal bei der Ermordeten und Mr. Palmer will am Tag ihres Mordes verreisen. Finden Sie das nicht sehr merkwürdig?“ „Vielleicht ist es ja doch Zufall oder eine Falle gewesen“, erwiderte Jodie. „Vergessen Sie bitte nicht, dass Masumi entführt wurde, um zu verhindern, dass wir heiraten. Und jetzt wird Laura ermordet, damit Shuichi in den Vordergrund rückt. Wenn Sie mich fragen, stinkt das sehr.“ „Möglich. Oder es wurde inszeniert, damit Agent Akai einen Grund hat, um Sie nicht heiraten zu müssen. Sie arbeiten doch in Schichten? Woher wissen Sie, dass Sie die einzige sind mit der er das Bett teilt.“ Ehe Jodie sich versah, war sie automatisch aufgestanden und hatte dem Polizisten eine schallende Ohrfeige verpasst. Wie in Trance sah sie auf ihre Hand. Sie wusste, dass sie nun einen Fehler begangen hatte. „Das geht jetzt hier zu weit“, kam es von Grayson. „Danke, Agent Grayson, wenigstens einer der Agent Starlings Aktion nicht gut heißt.“ „Damit habe ich Sie gemeint, Lieutenant.“ Grayson sah zu Jodie. „Mach dir keine Sorgen. Der Lieutenant wird dich sicher nicht melden. Ansonsten müsste er zugeben, dass er dich absichtlich provoziert hat.“ Svenson schnaubte. „Setzen Sie sich, Agent Starling.“ Jodie sah ihn an. Sie wollte sich Entschuldigen, weil es zum guten Ton gehörte, aber kein Wort kam über ihre Lippen. Stattdessen nahm sie wieder Platz. „Nun, ich denke wir werden diese Differenzen nicht überwinden.“ Svenson sah die Agenten an. „Wenn Sie den Anwalt hierher bestellt haben, können Sie mich gerne zur Befragung von Mr. Palmer begleiten.“ Jodie sah Stephan mit einem mulmigen Gefühl an. Sie, Grayson und Svenson saßen auf der einen Seite des Tisches. Stephan und Dr. Hartmann – sein Anwalt - auf der Anderen. „Stephan“, fing Jodie leise an. Der Angesprochene sah nach oben. Sein Blick war leer. „Dies ist eine offizielle Befragung. Du wurdest verhaftet und deswegen…kann alles was du jetzt sagst…vor Gericht gegen dich…verwendet werden. Wir haben Dr. Hartmann engagiert. Wenn du möchtest…kannst du dich mit ihm vorab noch besprechen.“ Stephan reagierte nicht. Jodie schluckte. „Ich hab schon gehört, dass du weißt, was passiert ist. Ich wünschte…du hättest es auf andere Art und Weise erfahren“, sagte sie. „Es tut mir so leid. Laura ist…war ein großartiger Mensch. Das hat sie nicht verdient...“ Stephan nickte. Grayson sah den Befragten an. „Stephan? Sie sagen, du warst mit einem Koffer unterwegs.“ Er nickte erneut. „Deswegen haben sie dich verhaftet. Sie glaubten, dass du fliehen wolltest. Kannst du uns sagen, was du vorgehabt hast?“, wollte der Agent wissen. „Ich…“, wisperte der Bewährungshelfer leise und brach ab. „Ich weiß, es ist schwer. Nimm dir alle Zeit der Welt.“ „Ich…ich…sollte heute für…Mike zu einer Weiterbildung…nach Atlanta fliegen. Er ist krank…geworden und ich…sollte ihn vertreten“, murmelte Stephan leise. „Mein Chef weiß Bescheid…Er wird…es bestätigen…“ Stephan kämpfte mit seinen Tränen und Emotionen. Jodie sah zu Svenson. „Ich prüfe das.“ „Hast du…warst du heute bei Laura?“, fragte Jodie. Stephan nickte. „Wir wollten…heute Abend ins Kino. Aber da ich erst…am Morgen von meiner Reise erfuhr, wollte ich mit…ihr…persönlich sprechen.“ Er schluckte. „Sie hat es verstanden und…betonte, dass unsere Arbeit immer höchste Priorität hat. Laura…wollte mich…in zwei Tagen vom Flughafen abholen. Ich habe…verneint…sie sollte sich…am nächsten Tag frei…nehmen, damit wir…die Zeit miteinander…verbringen…“ Stephan schloss die Augen. Er dachte an seinen letzten Moment mit der Agentin. „Stephan?“ „Ja?“ Laura legte die Arme um ihn und küsste ihn zum Abschied. „Ich vermiss dich schon jetzt.“ „Ich dich auch“, sagte er. „Aber es ist ja nicht für lange.“ Sie löste sich nickend von ihm. „Bis dann“, sprach der Bewährungshelfer und öffnete die Tür. Er sah zu ihr und lächelte, ehe er ging. Stephan schluckte. Bis dann Das waren seine letzten Worte zu ihr. Hätte er nicht wenigstens Ich liebe dich sagen können? Stephan begann zu schluchzen. „Laura…Laura…“ Es brach Jodie beinahe das Herz. „Mr. Palmer, ich weiß, dass es schwer für Sie ist, aber wir müssen Ihnen weitere Fragen stellen. Wie Sie von meinen Kollegen bereits erfahren haben, wurde Ihre Freundin ermordet.“ „Laura…Laura….“ „Mr. Palmer!“ „Svenson, jetzt reißen Sie sich zusammen“, zischte Grayson. „Sie sehen doch, dass es ihm nicht gut geht.“ „Ich muss trotzdem die Vernehmung durchführen.“ Svenson grummelte. „Gut, wir machen eine Pause.“ „Laura…Laura…“ Jodie legte ihre Hand auf die Hand von Stephan. „Stephan“, fing sie ruhig an. „Ich weiß, es ist sehr schwer, aber…wir müssen dir Fragen stellen, damit wir…Lauras Mörder finden können.“ Der Gefragte nickte schluchzend. „Stephan, als du bei Laura warst…habt ihr gestritten?“ Er schüttelte den Kopf. „Stephan“, begann Grayson behutsam. „Das NYPD verdächtigt ebenfalls Akai. Er hat die Lei…er hat Laura gefunden und erste Hilfe geleistet. Aber es war leider schon zu spät.“ „Musste…musste sie leiden?“, fragte er leise. Grayson sah zu Svenson. „Nein“, log dieser. „Es ging alles sehr schnell. Mr. Palmer, natürlich verstehe ich, wie schwer das für sie ist, aber ich muss noch diese eine Frage stellen. Danach unterbrechen wir die Befragung, in Ordnung?“ Der Gefragte nickte. „Können Sie sich vorstellen, dass Agent McKnight eine Affäre mit Agent Akai hatte?“ Stephan sah den Polizisten geschockt an. „Was reden Sie denn da?“, wollte er wissen. „Laura ist keine Schlampe. Shuichi ist nur ihr…Arbeitskollege…und ein Freund…“, schluchzte er. „Ich wollte…sie heiraten…ich hab…den Ring schon…Laura…oh Laura…Laura…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)