Charmante Courage von Varlet ================================================================================ Kapitel 10: Shuichis erster Fall: Eine neue Spur ------------------------------------------------ Shuichi tippte mit den Fingerspitzen seiner rechten Hand nervös auf dem Tisch herum. Dass sein erster Fall so knifflig werden würde, hatte er sich vor über einer Woche nicht ausgemalt. Natürlich wusste er, dass die Arbeit nicht wie im Fernsehen lief und hart werden würde. Dennoch hatte er angenommen schon viel weiter zu sein. Stattdessen aber überkam ihm das Gefühl, dass er etwas Wichtiges übersah. Etwas, das er hätte erkennen müssen. Und es nicht tat. Shuichi klickte sich durch die Datei zum Fall und rief das letzte Video auf. Akai sah auf den Hinterhof des Fox. Nach wenigen Minuten tauchte eine schwarz gekleidete Person auf. Das Gesicht war nicht zu erkennen. Sie zog ein schwarzes Etwas. Erst später erkannte man einen Körper. Nachdem das Opfer auf den Hinterhof gelegt wurde, verschwand der Fremde zu seinem Wagen. Shuichi zoomte das Bild näher ran. Der Wagen war ein 0815-Modell und die Kennzeichen im Dunkeln nicht erkennbar. Akai rief das nächste Video auf und verfolgte dadurch die Fahrt des Wagens. Er seufzte, als das Auto aus dem Sichtbereich der Kameras verschwand. Ihr einziger Anhaltspunkt und Verdächtiger war fort. „Verdammt“, murmelte der FBI Agent. Laura sah von ihrem Computer auf. „Mhm? Was ist los?“, wollte sie wissen. „Nichts Neues“, antwortete Shuichi ruhig. „Der Fall…ich hatte gehofft, dass wir langsam einen Durchbruch erreichen würden, aber stattdessen sind wir keinen Schritt weiter.“ „Akai, ich hab es dir doch schon einmal gesagt, die Fälle lösen sich nicht über Nacht.“ „Ja, das weiß ich doch“, entgegnete er. Und trotzdem wurmte ihn der wenige Fortschritt. Bereits in der Vergangenheit zeigte der junge Agent ein hohes Ausmaß an Intelligenz und konnte komplizierte Sachverhalte verstehen. Selbst sein Studium verlief problemlos und er hatte noch Zeit um nebenbei zu arbeiten. Aber das war nicht alles. Die Zusammenarbeit mit Agent Starling – dem Vater seiner Ex-Freundin Jodie – bestärkte seinen Wunsch FBI Agent zu werden. Dass ausgerechnet er bei der Lösung eines schweren Falls helfen konnte und dafür sogar von seinem jetzigen Vorgesetzten gelobt wurde, verlieh ihm ein Hochgefühl. Ja, er würde alles schaffen, wenn er sich nur dahinter klemmte und es wirklich wollte. So dachte er. Leider stellte er nun fest, dass es doch nicht so einfach war. Die Lösung des Falles fiel ihm nicht in den Schoss, egal wie oft er darüber nachdachte. Er hatte den Fall sogar aus anderen Blickwinkeln betrachtet. Unglücklicherweise machten viele Szenarien keinen Sinn. Aber wie sagte man so schön? Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag. Es war ein Zitat aus seinem Lieblingsbuch von Sir Arthur Conan Doyle. Aber Sir Arthur Conan Doyle half ihm nicht bei der Lösung des Falles. Akai biss sich auf die Unterlippe. Die Ermittlung war wirklich kniffliger als er zu Beginn erwartet hatte. Gerade am Anfang wollte er nicht an Selbstmord glauben, nur um ermitteln zu können. Aber nach über einer Woche musste er feststellen, dass der Fall zu viele unbekannte Komponenten bekommen hatte. Kaum hatten sie das Gefühl einen Schritt weiter zu sein, kam eine neue Überraschung hinzu. Und dann waren da noch die Personen, die einen Groll gegen Mason Klein hegten. War einer von ihnen der Mann der die Leiche vor dem Fox ablegte? Wenn sie doch nur eine kleine Spur haben würden. Zwar konnten die Agenten mit der Hilfe eines Spezialisten die ungefähre Größe und Statur abschätzen, aber mindestens 70% der möglichen Verdächtigen blieben weiter im Fokus. Dummerweise hatte jeder von ihnen ein Alibi. Entweder sie waren zusammen oder bei Freunden oder öffentlichen Veranstaltungen zugegen. „Wir haben jetzt auch alle Aussagen zusammen gestellt. Pierce und Fries waren sehr fleißig“, begann Laura. „Wir sollten nach Gemeinsamkeiten suchen.“ Shuichi nickte. „Was anderes wird uns nicht übrig bleiben“, sagte er und sah sie an. „Hat Palmer irgendwas Neues erzählt?“ Laura schüttelte den Kopf. „Aus seinen Protokollen ist auch nichts herauszulesen, was uns helfen könnte.“ „Das gleiche gilt auch für die Protokolle von Sullivan. Hast du schon mal was von dem neuen Trend gehört? Tauschmord.“ „Trend?“ Sie sah ihn ungläubig an. „Das ist tatsächlich ein Trend?“ Akai zuckte mit den Schultern. „Ich lese immer häufiger davon. Es treffen sich zwei Täter und tauschen das Opfer. Die Taten werden entweder parallel oder zeitversetzt durchgeführt. So hat der eigentliche Täter ein Alibi und ein Zusammenhang ist oftmals nicht mehr erkennbar. Ich werde abgleichen, wer im gleichen Zeitraum ermordet wurde oder auf mysteriöse Weise verstorben ist.“ Die FBI Agentin nickte. „Vielleicht ist das ja ein Anhaltspunkt“, sagte sie und rief die Dateien mit den Aussagen aller möglichen Verdächtigen auf. In einem weiteren Dokument notierte sie sich Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Shuichi sah wieder auf seinen Bildschirm und öffnete das elektronische Meldesystem. Dieses erfasste nicht nur alle eingehenden Meldungen des FBIs, sondern auch die bei der Polizei. Akai hatte bereits gehört, dass dieses System nicht freudig aufgenommen wurde, da es an Überwachung der Polizeibehörde erinnerte. Andererseits half es ihnen immens, da nicht mehr die Anwesenheit eines Polizisten erforderlich war um an Informationen zu kommen. Mithilfe der vielen Querverweise konnten sie viel schneller ermitteln und mögliche Zusammenhänge gegenüber stellen. Ein weiterer Vorteil war die bundesweite Suche. Shuichi öffnete die Suchmaske und tippte das Datum des Mordes ein. Überrascht ging er die fünf angezeigten Fälle durch, fand aber keine Gemeinsamkeit und auch keinen Hinweis auf eine Kooperation. Er verengte die Augen und seufzte. „So schlimm?“, wollte Laura wissen. „Naja“, murmelte Akai. „Es gibt zwar fünf weitere Fälle an dem Tag, aber so wie ich das sehe, existiert keine Verbindung. Die Orte sind viel zu weit weg, als das einer unser potentiellen Verdächtigen dort hätte sein können.“ „Mhm…Mist…“, entgegnete die Agentin. „Ich hab bisher auch keine Gemeinsamkeiten raus filtern können. Nur Unterschiede…“ „Ich hab trotzdem das Gefühl, dass wir irgendwas übersehen, aber ich weiß nicht was.“ Laura überlegte. „Die Frage ist: Was?“ Shuichi rief die Suchmaske erneut auf und tippte dieses Mal die Suchbegriffe Häftling, Überdosis ein. Die vielen Ergebnisse irritierten ihn anfangs. Nachdem er den Filter korrekt einstellte und den Zeitraum auf die letzten drei Monate einstellte, blieben nur noch drei Meldungen übrig. Es kann ja nichts schaden, sagte er zu sich selbst und nahm einen Zettel hervor. Shuichi las jeden Bericht aufmerksam durch und notierte sich alle relevanten Namen. Wenn es sein musste, würde er sogar mit den zuständigen Polizisten sprechen. „Hast du was?“, wollte Laura wissen. „Ich weiß es noch nicht“, gestand er. „Ich hab die Suche ausgeweitet und nach allen Fällen mit Häftlingen geschaut, die an einer Überdosis gestorben sind. Es gibt nur noch drei Ergebnisse. Ich prüfe die Namen in der Hoffnung, dass es eine Verbindung gibt.“ Die Agentin nickte. „Kann zumindest nicht schaden.“ Shuichi blickte wieder auf den Computer und schrieb die zusätzlichen Informationen heraus. Nachdenklich tippte er mit dem Stift auf dem Tisch. „Unterschiedliche Bundesstaaten“, murmelte er leise. „Mhm?“ „Vergiss es, ich denke nur laut“, antwortete er und tippte wieder etwas in der Suchmaske. Die Fälle lagen weit auseinander, dennoch gab es viele Gemeinsamkeiten: Die Toten waren ehemalige Häftlinge und erhielte alle die gleichen Resozialisierungsmaßnahmen. Ihr Verschwinden wurde von ihrem Bewährungshelfer zeitnah gemeldet. Carvin James blieb drei Tage verschwunden, ehe er in Mississippi tot aufgefunden wurde. Roy McAbert wurde erst zwei Wochen später in Missouri gefunden, während Jared Robbins ganze drei Wochen untergetaucht war, ehe er in Kansas tot auftauchte. Allerdings waren alle drei Männer Sexualstraftäter und hatten Probleme sich in der Welt außerhalb des Gefängnisses zu Recht zu finden. „Ich hol mir mal einen Kaffee. Willst du auch?“ „Mhm…“, murmelte der Agent. „Ist das ein Ja?“ Shuichi sah hoch. „Ja, bitte.“ Laura verließ den Raum und holte zwei Becher Kaffee. Als sie zurück kam, war Shuichi in seine Notizen vertieft und hatte allerhand Querverweise auf das Blatt Papier gemalt. Laura sah ihm skeptisch zu. „Hm? Bist du sicher, dass du die Informationen nicht nur sehen willst?“ „Ja, ich bin mir sicher“, begann Shuichi. „Die drei Fälle haben mehrere Gemeinsamkeiten. Die drei Straftäter wurden alle vor einigen Monaten aus dem Gefängnis entlassen und kamen wegen Sexualdelikten ins Gefängnis. Alle drei sind jetzt aufgrund einer Überdosis tot und wurden vor Nachtclubs gefunden. Genau dort, wo sie selbst Frauen gegenüber grausam wurden. Interessant ist, dass alle drei in New York wohnen. Keiner fand es komisch, dass sie in einem anderen Bundesstaat gefunden wurden. Dazu muss ich aber anmerken, dass Carvin James und Roy McAbert erst nach dem Gefängnis nach New York kamen. Andererseits hätten sie die Reise in einen anderen Bundesstaat mit ihrem Bewährungshelfer abstimmen müssen.“ „Dann war die Reise nicht geplant“, murmelte Laura und lehnte sich gegen den Tisch. „Oder sie war so spontan, dass es keine Zeit gab…“ Shuichi nickte. „Sie wurden alle vorzeitig aus der Haft entlassen und mussten das gleiche Programm durchlaufen. Als sie verschwanden, wurden sie von ihrem Bewährungshelfer als vermisst gemeldet.“ Die Agentin schluckte. „Du willst jetzt nicht sagen…das Stephan…“ Sie räusperte sich. „Das Palmer…oh Gott…“ Laura wurde übel. Nicht nur, dass Stephan Palmer gut aussah, er ließ bei ihr nicht locker und letzten Endes stimmte sie einem privaten Treffen zu. Die Agentin wusste ganz genau, dass die Vorschriften keine Dates mit möglichen Verdächtigen erlaubten, aber gegen seinen Charme kam sie nicht an. Aus einem Treffen folgte das zweite, dann das dritte… „Nein. Der hat damit nichts zu tun“, antwortete Shuichi. „Du kannst dich weiterhin mit ihm treffen.“ Sie sah ihn überrascht an. „Du…weißt…?“ „Ich hab gesehen, wie er dich abgeholt hat. So wie er mit dir geflirtet hat und so wie du dich verhalten hast, war es ganz leicht. Ich verrate nichts. Aber nur unter einer Bedingung.“ Laura sah ihn fragend an. „Und die wäre?“ „Du zwingst mich nie zu einem Doppeldate.“ „Einverstanden“, antwortete Laura mit einem Lächeln. „Aber ich muss sagen, du hast mir gerade einen Schrecken eingejagt“, gestand sie. „Entschuldigung.“ Shuichi sah auf seinen Computer. „Es waren drei unterschiedliche Bewährungshelfer und das hättest du auch wissen können, immerhin war Klein Palmers erster Fall.“ Laura errötete. Daran hatte sie nicht mehr gedacht. „Naja, egal. Alle drei Opfer und Klein haben noch eine Gemeinsamkeit.“ „Jetzt spann mich nicht auf die Folter“, entgegnete Laura. „Unser Therapeut.“ „Was? Bist du dir sicher?“ Akai nickte. „Jeder war bei ihm als Patient gemeldet. Sullivan hat sie selbstverständlich ebenfalls als abwesend gemeldet, nachdem sie nicht zum vereinbarten Termin erschienen sind.“ „Und wie kommst du dann darauf, dass er es gewesen ist? Er doch nicht einmal ein Motiv. Und nur weil er die einzige Gemeinsamkeit ist…vielleicht will ihn auch jemand reinlegen? Das sollten wir zumindest im Hinterkopf behalten.“ „Das Motiv kenne ich nicht“, entgegnete Shuichi. „Und ich habe nicht behauptet, dass er es gewesen ist, ich vermute es lediglich. Ich möchte auf jeden Fall, dass er uns die Akten der drei Opfer zur Verfügung stellt. Am besten, wir befragen ihn gleich.“ „Erst erzählst du mir, was du sonst noch vermutest.“ „Natürlich“, gab der Agent von sich. „Du erinnerst dich doch noch daran, dass Sullivan von seiner Reise mit seiner Tochter erzählte. Dafür, dass er Familie hat, wirkt sein Büro sehr…klinisch. Kein einziges Foto. Gut, in Anbetracht, dass er Strafgefangene therapiert, wäre dies eine Erklärung. Außerdem erwähnte er die Vorstellungsgespräche seiner Tochter. Ich habe mir die Daten genauer angeschaut, mit dem Protokoll der Sitzungen von Klein abgeglichen und im Internet Termine recherchiert. Als Carvin James gefunden wurde, war Sullivan auf einer Tagung in Mississippi. Danach ging es für ihn weiter nach Missouri…“, erzählte er. „Mhm…ich verstehe.“ Laura verschränkte die Arme. „Er war also in dem Bundesstaat, als man die Toten fand.“ Akai nickte. „Entweder auf einer Tagung oder mit seiner Tochter bei einem Vorstellungsgespräch einer Universität.“ „Aber der Fund von Klein passt nicht in das Bild.“ „Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Nicht zu vergessen, dass wir einen eindeutigen Beweis für Mord haben“, entgegnete Shuichi. „Sullivan war zwar bei der Tagung in Stanford und dann mit seiner Tochter bei dem Vorstellungsgespräch, aber wir haben noch keinen Nachweis, wann er wirklich hier her gekommen ist.“ „Ich verstehe. Du glaubst, er ist früher zurück gekommen und hat sich um Klein gekümmert.“ „Entweder er hat Klein schon vorher umgebracht oder er hat die Tat erst im Nachhinein begangen.“ Shuichi stand auf. „Das sollten wir jetzt heraus finden.“ „Und so tun, als würden wir die Wahrheit kennen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)