Lügenpalast von DragomirPrincess ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Ich konnte mich nicht erinnern, wie ich nach Hause gekommen war. Zumindest nicht direkt nach dem Aufwachen. Mein Mund fühlte sich so trocken an, dass es beinahe weh tat zu atmen, also zwang ich mich aus dem Bett, auch wenn meine Beinmuskulatur irgendwie schmerzhaft zog – oder saß der Schmerz höher als das? –, und tastete mich mit halbgeschlossenen Augen in Richtung Badezimmer vor. Ich tastete nach dem Lichtschalter, die Augen immer noch zusammengepresst. Irgendwie war das Licht heute morgen heller als sonst, oder? Im Bad trank ich erst einmal in großzügigen Schlucken aus dem Wasserhahn und spritze mir das kühle Nass ins Gesicht. Dann blinzelte ich, bis ich mich an das Licht gewöhnt hatte und sah mich nach der Uhr im Regal neben der Badewanne um. Ich traute meinen Augen kaum! Es war schon nach 13 Uhr und ich war ein bisschen erschüttert von mir selbst. Ich schlief nie länger als bis um 9 Uhr! Nur langsam erinnerte ich mich, dass gestern die Feier des Volleyballclubs gewesen war, die sie zu Ehren ihres Ass-Spielers gefeiert hatten, da dieser Geburtstag gehabt hatte. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich überhaupt eingeladen worden war, denn obwohl ich mir die Spiele unserer Mannschaft immer ansah, war ich kein Mitglied. Immerhin war ich ein Omega und Omegas spielten keine so kompetitiven Sportarten. Ich war nicht unsportlich, sicherlich nicht, aber mit den Teammitgliedern hätte ich nicht annähernd mithalten können. Außerdem hatte ich auch gar keine Zeit dazu einen so zeitintensiven Sport zu betreiben. Ich war Teil des Begabtenförderungsprogramms und einiger naturwissenschaftlichen Forschungsgruppen, die unsere Schule anbot. Ich hatte jenem Assspieler ein- oder zweimal beim Lernen und den Hausaufgaben geholfen – Obwohl er ein Jahr über mir in der Schule war –, aber was war das schon wert? Er erinnerte sich wahrscheinlich nicht einmal an meinen Namen… Letztlich hatte das Volleyballteam aber wohl einfach jeden eingeladen, wenn ich mich an die Zahl der Gäste erinnerte, also war es nicht wirklich etwas Besonderes gewesen und wenn ich ehrlich war, hatte mir die Musik auch nicht im Geringsten gefallen und mit der Stimmung und dem Alkohol hatte ich auch nicht wirklich warm werden können… Zumindest nicht bis Bokuto Kotaro selbst mir ein Glas in die Hand drückte und dieses übertrieben strahlende Lächeln mit mir teilte, das mich irgendwie etwas kribbelig machte. Ich griff nach meiner Zahnbürste, wollte sie gerade unter das Wasser halten und Zahnpasta darauf verteilen, als mein Blick auf den Spiegel fiel und ich die seltsamen roten Kratzer an meinem Hals bemerkte. Ich drehte den Kopf und erstarrte in jeglicher Bewegung. Da, direkt oberhalb meiner Hormondrüse zeigte sich in all seiner roten Pracht ein … roter Fleck; ein Hämatom, wenn ich es ganz genau nahm, wie ein großer blauer Fleck und mir wurde ein wenig flau im Magen, als mir klar wurde, was das war und wie man es im Volksmund nennen mochte: Ein Knutschfleck. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen, als die Bilder an den nackten Körpers eines Alphas in meine Erinnerung zurückkehrten, wie seine breiten Schultern die Welt vor mir abschirmten, die kräftigen Hände über meinen Körper strichen, wie er in mir war, heiß und groß und tief und… Mein Herz raste in meiner Brust. Ich spürte, eine gewisse Feuchtigkeit in meiner Unterwäsche und mir wurde bewusst, dass das wohl noch Nachboten meiner Läufigkeit waren, die jedoch mit dem Sex der letzten Nacht scheinbar bereits ihr Ende gefunden hatte. Es war nicht meine erste Hitze gewesen, auch wenn ich mich erst in meinem dritten Jahr der Mittelschule endgültig als Omega offenbart hatte. Ich wusste allerdings, dass sie in den ersten Jahren noch sehr unregelmäßig sein konnten und damit auch die Länge von Mal zu Mal noch variierte, sodass es mich nicht wirklich verwunderte, dass das Gefühl der Benommenheit, der sexuellen Überstimulation mich nicht mehr belastete. Außerdem hatte ich in der letzten Nacht zum ersten Mal… Sex gehabt. Der Gedanke kribbelte auf meiner Haut. Ich wusste aus dem Biounterricht, dass es zwei Arten geben konnte, wie sich das auswirken konnte: Entweder es trieb das sexuelle Verlangen ins Unermessliche, sodass die Läufigkeit bis zu fünf Tage halten konnte, oder sie endete in kürzester Zeit. Scheinbar war zweiteres bei mir der Fall gewesen. Und doch war es mir eigentlich völlig egal in diesen Moment, denn in meinem Kopf drehte sich alles um das Bild, das sich in meine Erinnerung gebrannt hatte; das Bild desjenigen, der  dieses… Mal auf meinem Nacken hinterlassen hatte; das Bild von Bokuto Kotaros nacktem, muskelgestählten Körper über mir. Ich sollte wütend sein. Ich sollte weinen müssen oder zumindest hilflos sein, weil er mich betrunken gemacht und mein erstes Mal genommen hatte; weil wir uns doch eigentlich kaum kannten, weil ich mich nicht mit klaren Gedanken dafür entschieden hatte, weil ich zu jung und nicht bereit gewesen war und es wohl eigentlich auch zu schnell ging, aber stattdessen kribbelten meine Finger, mein Herzschlag glich dem Flügelschlag eines Kolibris und … irgendwie widersprach diese Reaktion jeglicher Vernunft, aber es war mir egal. Irgendwie war ich einfach… glücklich. Und ich war mir auch nur allzu bewusst, warum ich so fühlte, denn ich war schon die ganze Zeit, seit dem ersten Spiel, das ich gesehen hatte, seit ich ihm das erste Mal in Chemie geholfen hatte, einfach furchtbar in das Ass des Volleyballteams verliebt gewesen; ich und der ganze Rest der Schule. Aber er hatte mit mir geschlafen, hatte mich geküsst und auf meiner Schulter sein Zeichen hinterlassen und mein Herz wollte einfach vor Freude explodieren. Ich verbarg den Knutschfleck dennoch lieber unter einem Schal, bevor ich meinen Eltern unter die Augen trat. Ich war erst siebzehn und ich hatte ihnen ehrlich gesagt auch nichts von der Party erzählt und war einfach gegangen. Genau genommen war auch niemand von uns alt genug für Alkohol gewesen, aber so ganz konnte ich es nicht bereuen. Ich war lange nicht so froh gewesen, dass meine Eltern beide Betas waren, denn so konnten sie ihn nicht an mir riechen. Die Standpauke, die ich sonst bekommen hätte, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Ich konnte mir so oder so nur allzu gut vorstellen, dass sie mich für zu jung für Sex hielten. Es lenkte mich bloß von der Schule und meinen Noten ab, aber letztlich war es früher normal gewesen. Da hatten Omegas in meinem Alter bereits Kinder gehabt. Es war nichts Ungewöhnliches früher, dass sie mit ihrer ersten Hitze ihren Partner zugewiesen bekamen und damit ihre gesamte Bildung für beendet erklärten. Um Missverständnisse zu vermeiden, ich war froh, dass ich nicht in dieser Zeit geboren war, dass ich mich bilden konnte, dass ich über das Begabtenförderungsprogramm vielleicht sogar ein Stipendium für die Uni bekommen könnte. Liebe und Männer waren kein Thema in meinem Leben gewesen, klar, irgendwie hätte ich sicher wen gefunden, irgendwann, … vielleicht, aber vorher stand meine Ausbildung im Vordergrund. Ich wollte Karriere machen und erfolgreich werden und alle diese Dinge, die so viele Menschen Omegas nicht zutrauten! Körperlich würde ich nie an einen Beta heranreichen, geschweige denn an einen Alpha, aber geistig konnte ich es mit ihnen allen aufnehmen und ja, darauf war ich ein wenig stolz. Und wenn ich niemanden fand, würde ich auch allein stark genug sein und zurechtkommen! Dass ich in Bokuto verliebt war, bedeutet nicht, dass ich ihn brauchte. Karriere würde vor jeglichen Gefühlen dieser Art Vorrang haben, das hatte ich mir geschworen. In meinem Bauch tanzten trotzdem Schmetterlinge auf und ab, wenn ich nur an Bokuto dachte. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen. Vielleicht würde ich am Montag wieder einmal beim Training zusehen und danach mit ihm sprechen? Mit diesem Gedanken wusch ich den Geruch nach Alkohol, Sex und Tabak aufgeregt und glücklich von meinem Körper und konnte mit einer Schmerztablette und viel Trinken sogar die Kopfschmerzen vergessen, die mich seit dem Aufstehen plagten. Ich musste nicht bis nach dem Unterricht warten, denn ich stolperte, kaum dass ich am Montag die Schule betreten hatte, fast in ihn und seine Freunde hinein. Sie unterhielten sich, also hielt ich mich zurück, wartete geduldig ab, bis ihr Gespräch zu Ende war. „Gott, shit, Alter“, fluchte Bokuto nicht wirklich wortgewandt, aber irgendwie hätte es anders auch nicht zu ihm gepasst. Er rieb sie den Kopf und zerstörte dabei seine Frisur wohl ein wenig. Nicht dass es mich störte, wenn sich dadurch dieser leicht… warme Geruch in meiner Nase verteilte, der mich irgendwie an einen Sommertag und Strand und Meer erinnerte. „Ich hatte den Kater meines Lebens. Was zur Hölle habt ihr mir da zusammengemischt?“ Das war ein Gefühl, das ich nur allzu gut nachvollziehen konnte und ich hatte definitiv kaum so viel getrunken wie er. Ich musste sogar fast ein wenig lächeln, doch dann sprach er weiter und seine Worte rissen mir den Boden unter den Füßen weg. „Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. Hab‘ ich irgendeins der Mädels abgeschleppt? Ich hab‘ absolut keine Ahnung, wem der Tanga gehört, der in meiner Hosentasche steckte.“ Die Worte bohrten sich wie ein Pflock in mein Herz. Ich hatte nicht gewusst, dass ein paar Silben so eine starke körperliche Reaktion auslösen konnten, denn das war ein spürbarer körperlicher Schmerz, der mich dabei erfasste. Ich konnte nicht einmal sagen, was mehr weh tat: Das Bewusstsein, dass er sich nicht erinnern konnte; dass er schon völlig betrunken gewesen war, als er mit mir geschlafen hatte; oder, dass er in dieser Nacht offenbar nicht nur mich gehabt hatte, sondern auch noch irgendein Mädchen, das ihm ihre… Unterwäsche zugesteckt hatte. Die Kumpels pfiffen, aber das Geräusch rauschte nur in meinen Ohren. „Wie sah er aus?“, wollten sie sofort wissen. „Vielleicht kriegen wir ja raus, wer es war. Sie wäre es definitiv wert, meinst du nicht?“ „Sowas von!“ Ich hatte das Gefühl meine Tasche nicht halten zu können, irgendwie war mir übel und… und ich stolperte beinahe ein wenig, als sie aus meinen Fingern und hörbar auf den Boden fiel, wobei ihr Inhalt sich überall verteilte. Die Volleyballspieler blickten auf und entdeckten mich. Ich schaffte es vor Scham kaum noch mein Gesicht unbewegt zu halten, wie ich es sonst immer tat. „‘tschuldigung“, nuschelte ich und hockte mich hin, um eilig alles wieder einzupacken. „Yo!“, begrüßte Bokuto mich grinsend und es hätte wohl nicht mehr weh tun können, wenn er gar nichts gesagt hätte. Er kam mir zur Hilfe und kurz schien es mir, als würden seine Nasenflügel beben, aber das war natürlich Unsinn. „Wolltest du irgendetwas?“, fragte er, als meine Tasche wieder gepackt war. Ich stockte kurz, dann schluckte ich und schüttelte den Kopf. „Ich wünsch‘ dir nur viel Erfolg bei den Abschlussprüfungen. Ich fürchte ich kann dir nicht weiter mit dem Lernen helfen, also musst du es von hier aus allein schaffen.“ Ich drückte meine Tasche an meine Brust und eilte davon, die Kommentare hinter mir ignorierend, die nach ‚Nerd‘ und ‚seltsam‘ klangen. Wahrscheinlich kam auch noch hübsches Gesicht irgendwo darin vor. Das war zumindest, was ich immer hörte, wenn Leute über mich sprachen: Dass mein Gesicht hübsch war, aber man sonst wirklich nichts mit mir anfangen könnte. Und irgendwie fühlte sich das gerade verdammt wahr an, wenn er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte… Ich hätte es früher merken sollen. Ein Hämatom hätte längst abgeheilt sein müssen! Spätestens nach zehn Tagen sollte davon gar nichts mehr zu sehen sein, selbst wenn es wirklich stark war. Ja, Omegas neigten eher dazu, das wusste ich, aber ich konnte nicht verstehen, wieso ich nach zwei Wochen nicht skeptisch geworden war. Wieso mir erst nach schon fast einem Monat aufgefallen war, dass da immer noch Spuren von dieser Nacht waren? Ich hatte mich einfach so an das Halstuch gewöhnt, dass es mir nicht aufgefallen war und meine Eltern waren auch nicht skeptisch, als ich meinte, dass das mit dem Schal jetzt so modern war. Das, was ich für einen Knutschfleck gehalten hatte, war abgeheilt, ja, alles in allem waren die Spuren dieser Nacht an meinem Hals weniger geworden, aber sie waren noch da und ich konnte nicht glauben, dass ich so dumm gewesen war, dass es mir nicht klar gewesen war, dass ich nicht wenigstens einmal gegooglt hatte, wie ein Knutschfleck aussah. Jetzt saß ich mit zittrigen Fingern über meinem Biobuch und starrte die Abbildung dort an. Das Partnerschaftsmal (nota coniunctionis) entsteht beim Biss eines Alphas im Zuge des Geschlechtsverkehrs, während der vierteljährigen Läufigkeit eines Omegas, auf Höhe der am Hals befindlichen Hormondrüse (gladula coniugii). Dabei entsteht ein einem Hämatom ähnliches Mal, das jedoch nicht abheilt, sondern in einer Art Vernarbung deutlich sichtbar den gebundenen Zustand des Omegas anzeigt. Es ist möglich, dass ein Alpha mehrere Omegas markiert. Das Überbeißen eines bereits existierenden Mals hingegen ist nur unter Schmerzen möglich, da die Hormone, die ein Lustgefühl bei der Bindung an den ersten Partner auslösen, kein weiteres Mal während der Läufigkeit produziert werden, sobald eine derartige Verbindung einmal geknüpft wurde. Ein Band ist lebenslang geknüpft, es lässt sich nicht wieder entfernen. In machen Kulturen wird das Partnerschaftsmal aus religiösen Gründen unter einem Halsband verborgen, das an seiner Stelle signalisiert, dass ein Omega gebunden ist. Möglicherweise wurde dies zur Verhinderung von Übergriffen auf bereits gebundene Omegas eingeführt, da es einen weiteren Biss unmöglich macht, solange das Halsband getragen wird. Obwohl durch einen Biss die eigentlich Geschlechtsreife erst ausgelöst wird, gibt es Studien, die zeigen, dass die Fruchtbarkeit eines Omegas in der Nacht des Bisses auf über 70% ansteigt. Zur Erinnerung: Während der Läufigkeit beträgt die durchschnittliche Empfänglichkeit etwa 50-55%. Außerhalb der Läufigkeit hingegen weniger als 5%. Bei ungebundenen Paaren ist diese Wahrscheinlichkeit noch niedriger, auch wenn hierzu aussagekräftige Zahlenwerte fehlen. Der Handspiegel lag neben mir auf der Matratze. Ich wagte es nicht, ihn wieder anzuheben, denn das Mal an meinem Hals glich demjenigen, das auf der Hochglanzseite abgedruckt war in jedem Detail. Und doch war es nicht das, was ich wieder und wieder las. Es war diese eine Zahl. 70%. Siebzig Prozent. Siebzig verdammte Prozent. Es war unmöglich, nicht wahr? Sicherlich hatten wir verhütet! Wir mussten verhütet haben! Es wäre doch völlig unvernünftig es nicht zu tun, selbst wenn wir betrunken waren. Wieso musste ich mich genau an dieses Detail nicht erinnern können, wo sich doch sonst jeder Muskel an seinem Körper scheinbar in meinen Verstand gebrannt hatte und mich in meinen Träumen verfolgte?! Ich war unmöglich schwanger. Selbst wenn wir nicht verhütet hatten – Was wir sicherlich hatten! –, dann war das auch nur ein statistischer Wert und dreißig Prozent sprachen immer noch dagegen und... Diese Gedanken hatten nur einen einzigen Vorteil: Ich beschäftigte mich zumindest nicht damit, dass ich mein Leben lang an Bokuto Kotaro gebunden war, der absolut kein Interesse an mir hatte. Ich presste meine Hand fester um die blauweiße Verpackung, versuchte sie vor den Blicken aller zu verbergen, die mich dabei entdecken könnten, wie ich einen Schwangerschaftstest kaufte. Ich wollte vor Scham am liebsten im Boden versinken. Was wenn mich jemand so sah? Jemand aus der Schule wohlmöglich. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich hatte das Gefühl, das mich jeder, der das sah, verurteilte. Ich war jung, zu jung. Selbst wenn ich meine Schuluniform nicht trug, musste doch jeder sehen, dass ich noch in der Highschool war. Wieder trug ich den Schal dick um den Hals geschlungen, schämte mich dafür, wagte es nicht in meinem Alter damit öffentlich herumzulaufen, nicht nachdem ich gehört hatte, dass er in derselben Nacht noch ein Mädchen gehabt hatte, dass er es eben nicht getan hatte, weil er mich mochte, auch wenn es mir das Herz brach, wenn ich nur daran dachte. Ich blickte zur Kasse, drückte die Papppackung noch mehr zusammen, spürte, dass sie unter meinem Fingern ihre Form verlor und ich konnte mich doch nicht dazu bringen, hinzugehen. Ich starrte die Kassiererin vom Ende der Regalreihe an, sie blickte nicht auf, bemerkte mich gar nicht und konzentrierte sich auf den Kunden vor sich. Ich wollte mein Gesicht in den Händen vergraben, als mir bewusst wurde, dass sie sehen und erkennen würde, was ich gerade kaufte. Dann war ich bereits auf dem Weg zurück zum Regal, um ihn zurückzulegen, auch wenn ich die Packung fast zerquetscht hatte. Ich starrte die Sachen an, Kondome, Gleitgel, Schwangerschaftstests und mir sackte das Herz in die Hose. Wir hatten doch sicherlich verhütet! Das war doch so leicht. Bei dem Biss… Ich… Wahrscheinlich hatte er die Kontrolle verloren und deshalb… Ich versuchte nicht dran zu denken, dass es lebenslang so wäre, aber eigentlich war es nicht schlimm, richtig? Ich hatte nie heiraten wollen… Wenn ich Karriere machen wollte, brauchte ich niemand bei mir und mit dem Mal am Hals, würde sogar jeder denken, dass ich einen Partner hätte. Würde mir das in der Zukunft nicht sogar Möglichkeiten eröffnen? Natürlich war da noch die Läufigkeit, aber es gab inzwischen genug Medikamente, auch ohne große Nebenwirkungen. Ich würde auch ohne einen Alpha klarkommen und meinen Abschluss machen, mein Stipendium bekommen, studieren, arbeiten, Erfolg haben. Ich würde der Welt zeigen, was ein Omega erreichen konnte, wenn er nur wollte! Ich würde dafür sorgen, dass nicht nur Frauen ein Recht auf Gleichberechtigung bekamen! Nur weil wir als Omegas schwanger werden konnten, hieß das nicht, dass wir nicht intelligent waren, dass wir nicht erfolgreich sein konnten, dass wir abhängig waren und den ganzen Tag zuhause bleiben sollten! Mit festen Schritten ging ich zur Kasse und legte den Test aufs Band. Es ging nur darum, sicher zu sein! Ich war keiner dieser Omegas, die sich nach der Mittelschule, sobald sie sich offenbart hatten, einen reichen Alpha suchten und ihm mit den Pheromonen den Kopf verdrehten, bis er sie durchs Leben bringen würde. Und ich war auch niemand, der wild mit dem erst besten rumfickte! Ich war auf Karriere aus. Ich war intelligent und zielstrebig und stolz. Das war ein einmaliger Ausrutscher! ¥900 und dann steckte ich die Packung in meine Jackentasche. Kein komischer Blick, keine Kommentare. Und selbst wenn: Ich hätte nur einen kühlen Blick für sie übriggehabt, kalt und berechnend. Sie wusste nichts über mich und mein Leben und hatte kein Recht mich zu verurteilen. Dann ging ich nach Hause. Ich würde den Test machen und sicher sein, dass es eine unnötige Sorge war. Ich würde wieder ruhig schlafen und morgen in die Schule und zu meinem Chemiekurs gehen und mich auf meine Prüfungen vorbereiten. Vielleicht würde ich Bokuto noch zum Abschluss gratulieren, immerhin hatten wir lange zusammen dafür gelernt und dann würde er mit dem Mädchen mit dem Stringtanga tun, was auch immer er mit ihr tat – Ich verbat mir den Stich im Bauch – und weiter Volleyball spielen oder was auch immer er jetzt vorhatte. Er würde seine Alphadinge tun und ich würde der Welt etwas beweisen und vielleicht ab und an seine Spiele schauen, wenn es sich anbot, einfach weil ich Volleyball mochte und nicht wegen ihm. Natürlich musste ich irgendwann meinen Eltern etwas von dem Biss sagen, aber was machte das schon? Der Mann interessierte mich nicht, der Biss auch nicht. Ich ließ mich davon nicht beeinflussen, also konnten sie nichts sagen. Meine Eltern waren wie immer bei der Arbeit, also verzog ich mich direkt ins Bad. Es würde nur ein paar Minuten dauern und dann würde er das negative Ergebnis zeigen und alles wäre vorbei. Eine Minute verging, dann eine zweite und dann zeichneten sich deutlich zwei blaue Streifen auf dem Teststreifen ab. Er war nicht negativ. Mein Herz rutschte mir in die Hose, das Herz und alles andere an meinem Körper auch. Ich brach zusammen und spürte die heißen Tränen über meine Wangen laufen. Jede Selbstbeherrschung war dahin und die Sorgen übermannten mich körperlich ebenso wie geistig. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Hände zu Zittern aufhörten, nachdem ich das erfahren hatte. Ich hatte es mit Verleugnen versucht, aber ich konnte es nicht wegreden und das wusste ich, also versuchte ich mir klar darüber zu werden, was ich jetzt tun sollte. Ich musste mit Bokuto reden, mit meiner Familie. Ich musste zum Arzt und… Schon seit Stunden starrte ich die Info-Seite über Abtreibungen bei Omegas an. Das Problem war… Es war in Japan verboten und meine Augen brannten schon lange vor Tränen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr geweint, bei der Vorsorgeuntersuchung vor der Pubertät hatte ich nachts im Bett ein paar Tränen verdrückt. Ich hatte ein Beta sein wollen, wie jeder andere auch. Ich wusste, dass ich kein Alpha war und ehrlich gesagt war ich mir auch nicht sicher, ob ich es gewollt hätte, aber ein Beta… Ja, ich wäre lieber ein Beta gewesen. Ich war schon ein wenig erschüttert gewesen, als es hieß, dass ich mich als Omega offenbaren würde. Schon als Kind hatte ich Karriere machen wollen. Das war etwas, was mir einfach anerzogen worden war. Es hatte lange gedauert, bis ich stolz auf das sein konnte, was ich war, bis ich beschlossen hatte, dass ich der Welt so oder so etwas beweisen konnte, aber geweint hatte ich nach diesem Abend nie wieder. Jetzt weinte ich Sturzbäche, bittere, bittere Sturzbäche. Und doch unterdrückte ich jedes Geräusch, als ich meine Eltern heimkommen hörte und wagte es nicht es ihnen zu erzählen, verbarg den Schwangerschaftstest in meinem Nachttisch und schloss eilig den Laptop, um ihn wegzustecken, bevor sie es ausversehen hätten erfahren könnten. Ich wusste nicht, wie ich es meinen Eltern sagen sollte, also wollte ich es zuerst Bokuto erzählen. Wenn er es haben wollte, würde ich es austragen und er konnte es großziehen, oder so. Wenn er sagte, dass ich ins Ausland sollte, um es loszuwerden… Ich würde ohne mit der Wimper zu zucken gehen. Er konnte jedenfalls jetzt auch nicht einfach so weitermachen wie bisher. Und er trug an dieser Situation genauso Schuld wie ich, vielleicht sogar etwas mehr als ich! Und so stand ich vor der Sporthalle, hatte mich nicht auf Chemie konzentrieren können und war zuletzt früher gegangen. Jetzt lief ich auf und ab, blickte durch die halboffene Tür. Eigentlich sollten sich die Drittklässler nach den Prüfungen auf Uni-Tests vorbereiten, sich bewerben und nicht mehr zum Sporttraining gehen, aber ich hatte Recht behalten und sah ihn, wie er wieder und wieder Spikes schlug und Aufschläge machte. Es war wie immer ein beeindruckender Anblick, wenn er sprang und zuschlug. Ich mochte es, das Quietschen der Schuhe auf dem Hallenboden, das Geräusch, wenn der Ball ungebremst auf den Hallenboden schlug und der Anblick wie er sich über jeden einzelnen Punkt freute als wäre er der Entscheidendste, den er je gemacht hatte. Er war auf diesem Feld zuhause, dafür musste ich ihn nur ansehen. Ihn davon runterzureißen erschien mir herzlos. Ich wusste, wie er war, wenn sein Herz brach, hatte beim Nachhilfeunterricht schnell gemerkt, wie empfindlich er war, wenn ich ihn und seine Antworten kritisierte. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie unglücklich er sein würde und legte mir die Hand auf den Bauch. Konnte ich ihm das wirklich antun? Er würde nicht mehr spielen können, wenn er ein Kind ernähren müsste. Zerstörte ich damit nicht auch noch sein Leben? Nein! Er würde Verantwortung übernehmen müssen! Er würde mir helfen, das Kind loszuwerden oder er würde es großziehen müssen. Ich würde dafür meine Karriere nicht zurückstellen! „Akaashi!“, rief er dann plötzlich aus der Sporthalle heraus. Als ich aufblickte, winkte er heftig und rannte bereits mit strahlendem Gesicht auf mich zu. Ich sah ihn verwirrt an, als er die Arme um mich schlang. Es verunsicherte mich, vor allem, als er hörbar zu schnüffeln begann. „Du riechst irgendwie anders“, meinte er plötzlich und ich spürte, wie sich etwas in meinem Bauch zusammenzog und ich schob ihn leicht weg. „Das bildest du dir ein, Bokuto-san“, murmelte ich verlegen und schluckte. Natürlich roch ich anders. Er hatte mich gebissen, das änderte bereits alles und dann war da ja noch etwas: Ich war schwanger mit seinem Kind. Die Situation lähmte meine Zunge und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich es sagen sollte, aber wie immer war das für Bokuto kein Problem. Er sah mich strahlend an. „Hast du meinen Spike eben gesehen? Ich hab‘ ihn genau auf die Rücklinie geschlagen! Meine Trefferquote wird immer höher!“ Er war immer so leicht und unbeschwert, wenn er sprach, dass es mir schwerfiel, mich davon nicht einfach anstecken zu lassen, aber letztlich würde diese Situation für ihn mindestens ebenso furchtbar werden wie sie für mich bereits war. Aber er war nicht ernsthaft genug, um das zu spüren, und irgendwie fiel es mir schwer seine Freude sofort zu bremsen, also nickte ich leicht. „Ja, habe ich gesehen, aber ich habe nicht wirklich Ahnung davon. War das ein Punkt?“ Ich wusste, dass es ein Punkt war. Ich hatte genug Spiele gesehen, um das zu wissen. Ich wusste aber auch, wie viel Spaß es ihm machte, es mir zu erklären. Als ich einmal den Volleyball in seinem Zimmer genommen hatte, nachdem wir einige Stunden für seine Prüfungen wiederholt hatten, und ihn nur in der Hand gedreht hatte, war er sofort Feuer und Flamme gewesen und hatte mich beinahe wie ein Hund angesprungen. „Kannst du spielen?!“ In jedem seiner Worte spürte ich seine Begeisterung für diesen Sport und es war beinahe bedrängend wie nah er mir dabei kam. Ich versuchte das Kribbeln zu unterdrücken, das ich dabei spürte, und schüttelte den Kopf. „Nein. Wir hatten es in der Grundschule mal im Sportunterricht, aber ich denke nicht, dass ich es ‚spielen können‘ nennen würde.“ Trotzdem setzte ich den Ball auf meine Fingerkuppen und pritschte ihn leicht nach oben, einmal, zweimal, beim dritten Mal fing ich ihn wieder auf. Ich hatte damals ein wenig gesettet, aber mit der endgültigen Zuweisung meines Omega-Status war das vorbei gewesen. Niemand wollte einen Omega im Team haben, auch nicht als Setter. „Ich habe schon seit einer ganzen Weile keinen Ball mehr in der Hand gehabt.“ Dennoch fühlte es sich nicht allzu unbekannt an, ihn in der Hand zu drehen. Bokutos Blick zuckte zum Fenster und mit kurzer Verzögerung wurde mir klar, dass er prüfte, wie dunkel es schon war. „Hast du Lust noch ein paar Bälle zu spielen? Nicht hart, einfach ein bisschen hin und her.“ Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung und obwohl ich einen Blick auf meine Uhr warf und wohl eigentlich wirklich langsam nach Hause sollte – Ich hatte das Pensum, für das er mir etwas bezahlte auch schon längst erreicht – konnte ich es ihm einfach nicht ausschlagen. Vielleicht hatte ich auch einfach Lust dazu. Ich hatte in letzter Zeit so viele Spiele unserer Schule gesehen und auch im Fernsehen und Internet die Profispiele angeschaut. Ich hatte einfach Lust zu spielen und vor allem… „Du willst mit einem Omega spielen?“ Er sah mich völlig unverständig an. „Ja, klar, wieso nicht?“ Und seine Ehrlichkeit dabei war einfach verdammt entwaffnend. Ich hatte es schon vorher bemerkt. Er gab nicht viel darauf, ob jemand Alpha, Beta oder Omega war. Andere Alphas wären zu stolz gewesen von einem Omega Nachhilfe zu bekommen, von meinem Alter mal abgesehen. Er hingegen sah immer aus wie ein Kind, wenn ich ihm Dinge erklärte. Er hatte kaum glauben können, als ich in einem Nebensatz erwähnte, dass Fluorwasserstoff Schokolade auflösen konnte. Ich hatte an die Experimente denken müssen, die ich als Kind gemocht hatte und so hatten wir tatsächlich einen kleinen Backpulvervulkan gebaut. Es war witzig gewesen ihm zu erklären, wieso er ‚ausbrach‘, auch wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob er es wirklich verstand. „Ich denke, jetzt macht es auch keinen Unterschied mehr, ob ich eine Bahn früher oder später nehme.“ Es wurden etliche Bahnen später, ehrlich gesagt beendeten wir unser Spiel erst, als es zu dunkel wurde um den Ball zu sehen. Wir hatten ihn einfach einander zu gespielt, gepritscht, dann auch gebaggert, auch wenn ich darin deutlich weniger gut war als ich es in Erinnerung hatte. Zuletzt hatte ich zugegeben, dass ich mal ein wenig gesettet hatte und er war sofort Feuer und Flamme gewesen und wir hatten die gesamte letzte Zeit damit verbracht, dass ich den Ball für ihn stellte und er ihn gegen eine Wand schlug, von der er möglichst zu mir zurücksprang, damit ich ihn wiederum stellen konnte. Es machte mir Spaß und es versetzte mit beinahe einen Stich, dass ich das eigentlich nie wieder machen könnte. Es gab Omega-Teams, wenn man gut danach suchte, aber das war einfach nicht dasselbe und ehrlich gesagt fehlte mir dabei der kompetitive Gedanke vollkommen. Es musste ja nicht gerade die Weltmeisterschaft sein, aber welchen Sinn hatte es, gut in etwas zu sein, wenn man es niemandem Zeigen und beweisen konnte? Bokuto strahlte ebenfalls über das ganze Gesicht. Er hatte viel mehr Kraft in die Schläge gesetzt, als eigentlich nötig gewesen wäre, und war dadurch viel erschöpfter als er eigentlich hätte sein sollen, aber er sah glücklich aus und irgendwie war es auch ein befriedigender Anblick, wenn er im Zwielicht so grinste und mich überschwänglich lobte. „Das war so gut! Du bist wirklich gut!“ Er übertrieb, das wusste ich gut, aber es war trotzdem schmeichelhaft. „Es wäre cool, wenn du im Team spielen könntest!“ Und da sah ich ihn dann doch ein wenig fassungslos an. Wie kam er denn auf solche absurden Gedanken? Dafür war ich nicht annähernd gut genug, geschweige denn, dass ich mit ihnen mithalten könnte in einem richtigen Spiel. „Erzähl keinen Unsinn“, murmelte ich als Antwort. „Ich hätte keine Chance.“ „Ich meine das ernst! Ich würde gerne mit dir spielen!“ Ich wusste nicht recht, mit seiner Begeisterung umzugehen und es war ehrlich gesagt auch gar kein so furchtbarer Gedanke, nur halt unmöglich in einer Gesellschaft wie unserer. Ich versetzte ihm dennoch lieber direkt einen Dämpfer. „Dafür hätte ich gar keine Zeit.“ Immerhin nahm ich mir schon für die Nachhilfe Zeit, die ich eigentlich auf eigenständiges Lernen verwendet sollte. „Ich kann nicht verstehen, wie du noch neben dem Unterricht Zeit auf mehr Unterricht verwenden kannst! Brauchst du nicht ab und an mal Abwechslung? Bewegung?“ Es war nicht das erste Mal, dass er sich darüber empörte. Die Idee, dass jemand keinen Sport brauchte und Spaß an Themen aus dem Unterricht hatte, war ihm völlig unverständlich. Ich lächelte nur leicht und schüttelte den Kopf. „Ich muss langsam wirklich zur Bahn, Bokuto-san“, meinte ich dann und das musste ich wirklich. Ich verbrachte viel zu gerne Zeit mit ihm und ließ mich viel zu sehr von ihm ablenken. Ich hatte mir schon mehrmals gedacht, dass ich wohl besser aufhören sollte, mit ihm zu lernen, denn sonst würde ich darauf mehr Zeit verwenden als auf mein Selbststudium für die naturwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften, denen ich in der Schule angehörte, und das wäre wirklich schlecht, wirklich, wirklich schlecht. Bokuto sah sich um als wäre er sich gerade erst darüber bewusst geworden, dass es schon dunkel draußen war und wir wahrscheinlich schon an der zwanzigsten Stunde des Tages kratzten, wenn nicht sogar an einer noch späteren. Er lachte jedenfalls und fuhr sich entschuldigend durchs Haar: „Du hast an einem Samstag Abend bestimmt etwas Besseres zu tun, als einem Sport-Fanatiker wie mir bei Stoff aus dem dritten Jahr zu helfen…“ Die Entschuldigung war so entwaffnend ehrlich, dass es mich beinahe ein wenig zum Lachen brachte und ich ihm nicht hätte böse sein können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Außerdem hatte ich eine Ahnung, dass er sich unter Abendbeschäftigung dabei etwas anderes vorstellte als ich, wenn ich an Fachliteratur und Rechenbeweise dachte. „Triffst du dich nicht mit deinen Freunden?“, stellte ich also als Gegenfrage. Er erschien mir nicht als erwachsen genug um Versuchungen wie Alkohol zu widerstehen, auch wenn er noch über zwei Jahre zu jung war, um in diesem Land zu trinken. Ich sah im Licht der Straßenlaterne beinahe etwas wie einen Hauch von Rot auf seinen Wangen und war etwas verwirrt von den Worten, die er dann aussprach. „Ich hab‘ mich wegen unserem Nachhilfetermin abgeseilt. Sie wollten irgendeinen Actionfilm schauen.“ Es verwirrte mich, dass er dabei beinahe verlegen wirkte, konnte nicht wirklich etwas damit anfangen. War er verlegen, dass er Lernen seinen Freunden vorgezogen hatte? Ich konnte es nicht genau sagen. Genauso überraschte es mich, dass er mich scheinbar zur Haltestelle bringen wollte. Wahrscheinlich war das so ein Alpha-Ding? Ich hatte deutlich gemerkt, dass sich geoutete Alphas in der Gegenwart von geouteten Omegas anders verhielten und das gar nicht unbedingt auf einer sexuellen Ebene. Natürlich manche waren absolute Arschlöcher und ich konnte kaum zählen, wie oft mir schon jemand ungefragt an den Hintern gefasst hatte und ich demjenigen am Liebsten eine geknallt hätte, aber auch in anderem Sinn schienen sie einfach beschützerischer zu werden. Ich sprach ihn jedenfalls nicht darauf an und ging einfach mit ihm mit Richtung Haltestelle. „Sollten die nicht auch lieber für ihre Prüfungen lernen?“, schlug ich einfach vor. Ich mochte langweilig sein was das anging, aber es kümmerte mich eigentlich nicht wirklich, was andere über mich dachten. Er nickte begeistert. „Ja, solange er die Linie trifft, ist es ein Punkt!“, rief er und schien beinahe auf der Stelle zu springen, auch wenn er sich eigentlich nicht bewegte. Ich nickte leicht und wusste, dass das natürlich nur stimmte, wenn der Seitenlinienrichter das auch so sah. Er sollte seine Freude daran trotzdem ruhig haben. Also schenkte ich ihm ein Lächeln, das die meisten wohl nicht als ein vollwertiges Lächeln anerkennen würden. Er lächelte kurz, aber strahlend zurück und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es als verlegen bezeichnen. „Das Halstuch steht dir wirklich gut.“ Das Kompliment kam plötzlich und wie aus dem Nichts. Es wunderte mich, dass es ihm überhaupt aufgefallen war und es würde mir wohl gefallen, wenn ich es nicht aus so völlig anderen Gründen tragen würde und eigentlich zu fertig mit den Nerven war, um auf so oberflächliche Nettigkeiten einzugehen. Ich bekam sie oft, aber ehrlich gesagt würde ich sie auch nicht vermissen, wenn ich sie nicht bekommen würde. Ich brauchte dieses schöne Gesicht nicht. Es hinderte mich ehrlich gesagt eher daran mein Ziel zu erreichen, um als mehr als ein Objekt betrachtet zu werden. Und ganz ehrlich: Ich brauchte es nicht und jeder andere Omega auch nicht. Wir rochen schon gut genug, um die Aufmerksamkeit eines jeden Alphas in einem Raum zu bekommen, selbst wenn wir nicht läufig waren. Natürlich nur, wenn sie auch darauf achteten, aber es gab immer Leute, die behaupteten, dass Omegas nichts in denselben Klassenräumen zu suchen hatten wie Alphas, da sie diese nur ablenkten. Diese Menschen waren aber auch diejenigen, die Omegas wohl am liebsten direkt im Haus eingesperrt und als Brutmaschinen benutzt hätten, sobald sie läufig waren. Ihre Fruchtbarkeitsrate war deutlich höher als die einer Frau und vor allem war ihr Zeitpunkt deutlicher und damit leichter abzupassen. Ich nickte also nur leicht auf sein Kompliment, aber es war egal, denn er war eh sofort abgelenkt. Scheinbar hatte er gerade eine Idee. „Ich habe heute einen Anruf bekommen!“, rief er begeistert aus. „Von Talentscouts.“ In einer düsteren Vorahnung rutschte mir das Herz in die Hose. „Die meisten wollen ja immer noch die Noten in den Prüfungen abwarten, bevor sie ihre Stipendien verteilen“ – Auch wenn alle wussten, dass das einzige, was zählte, war, dass sie bestanden waren –, „aber ich habe gerade eine feste Zusage bekommen! Sie waren bei unserem letzten Spiel in der Meisterschaft und haben sich für mich entschieden! Ich krieg die Unterlagen innerhalb der nächsten Wochen zugeschickt und muss sie nur noch unterschreiben!“ Er schien zu leuchten und ich hatte das Gefühl besser direkt im Boden versinken zu wollen, weil ich alles gleich zerschmettern würde und er- „Und weißt du, was das Beste daran ist?! Es kommt von einer amerikanischen Uni!“ Ich sah ihn ungläubig an. Was hatte er gerade gesagt?! „Wie bitte?“ „In Amerika! Akaashi, ich hab‘ ein Sportstipendium für Amerika!“ Und damit wusste ich eins: Ich hatte kein Recht ihm eine so einmalige Chance zu ruinieren. Das war eine Gelegenheit, die nur ein Sportler unter Hunderten bekam, wenn nicht sogar Tausenden. Und ich wusste, dass Englisch sein einziges gutes Fach war. Und gleichzeitig wusste ich, dass mein Leben damit vorbei war, dass ich ihm das niemals wegnehmen konnte und dass ich allein nicht ins Ausland konnte, dass er das Kind nicht nehmen würde und… und meine Eltern… „Gratulation.“ Doch dieses Lächeln erreichte meine Augen nicht und war so unecht, dass ich nicht glauben konnte, dass ihm das nicht sofort klar war. Kapitel 1: Ungewollte Begegnungen --------------------------------- Ungewollte Begegnungen Sieben Jahre später konnte ich mich noch immer in jedem Detail an diesem Tag erinnern und so oft ich Bokuto in seinen Spielen im Fernsehen sah, so oft konnte ich es nicht bereuen. War es in der japanischen Nationalmannschaft oder in den verschiedenen Mannschaften, die ihn über die Jahre eingekauft hatten. Natürlich musste er sich seinen Platz als Ass im Nationalteam mit Ushijima Wakatoshi teilen, aber das war irgendwie zu erwarten gewesen bei dem durchschlagenden Talent, das er schon in der Highschool gezeigt hatte, und es tat seiner Karriere absolut keinen Abbruch, wo er doch sogar für amerikanische Teams gespielt hatte. Ich bereute es nicht ein einziges Mal, weil Bokuto wohl der erfolgreichste Volleyballspieler ganz Japans war und ich, sobald ich mein Kind im Arm gehalten hatte, wusste, wie sehr ich mein Baby liebte, auch wenn ich ihn nie gewollt hatte. Die Schwangerschaft hatte unzählige Türen für mich zugeschlagen, aber die goldenen Augen hatten mein Herz in einem einzigen Augenblick erobert und ich liebte Shou über alles. Dieser lag an diesem Tag jedoch krank im Bett, als mir im Supermarkt das Unvorstellbare passierte, während ich Gemüse und Fleisch für eine Suppe in meinen Korb legte. Ich musste mich schon an der Tür an einigen jungen Frauen vorbeischieben, die über irgendetwas tuschelten, auf das ich nicht achtete, weil ich in Eile war und mein Sohn allein zuhause schlief und ich Musik in den Ohren hatte, um dumme Blicke zu ignorieren, weil mir diese ganze Sache mit dem Halstuch irgendwann einfach zu doof geworden war, und mich ständig, gerade wenn mein Sohn dabei war, Leute fragten, wieso ich denn nicht nach meinem Alpha roch. Was sie allerdings absolut überhaupt nichts anging! Auch wenn ich mich immer noch gerade so davon abhielt, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Stattdessen ging ich mit zügigen Schritten durch die Gänge, sammelte nur ein, was ich brauchte und war bereits auf halbem Weg zu den Kassen, als ich plötzlich auf eine Menschengruppe traf, die mir den Weg versperrte. Ich runzelte sichtbar die Stirn, auch wenn meine Mutter früher immer gesagt hatte, dass ich das nicht tun sollte, weil es mein hübsches Gesicht ruinieren würde. Wer blockierte denn so den Weg zu etwas so Wichtigem wie den Kassen? Mir wurde mit einem schnellen Blick klar, dass sich die Traube nicht wegen eines umgekippten Einkaufwagens oder Dosenstapels bildete, sondern dass sie scheinbar alle wie ein Publikum jemanden oder etwas beobachteten. Kurz fragte ich mich, was für ein Star sich in diesen winzigen Supermarkt in einer so schlechten Gegend verirrt hatte, doch dann beschloss ich mich einfach durch die Menge zu schieben, um zu den Kassen zu gelangen. Allerdings unterschätzte ich wohl eindeutig die Kraft, die aufgeregte Fans, besonders weiblichen Geschlechts aufbringen konnten, und wurde nur allzu schnell zwischen ihnen hin und hergeschoben, während ich doch einfach nur zu den verdammten Kassen wollte, die man auf Grundlage irgendeines nicht besonders großen Planungsgenies nur durch diesen einen blöden Gang erreichen konnte. Dann plötzlich wurde ich gestoßen und fand mich eine Sekunde später in offenem Raum und dann gegen einen muskulösen Männerkörper wieder, der so verdammt gut roch, dass es nur ein Alpha sein konnte. Dass ich außerhalb meiner Läufigkeit eigentlich gar nicht so deutlich riechen können sollte und ich als gebundener Omega sowieso noch viel eingeschränkter war, fiel mir dabei nicht auf. Ich presste einfach den Korb mit Huhn und Gemüse gegen meine Brust, kam wieder auf die Füße und warf ihm nur einen wütenden Blick zu, einfach weil er da stand und wohlmöglich sogar Teil der Show war, die diese Menschen beobachten wollten, statt einkaufen zu gehen und- Ich erkannte ihn auf den ersten Blick und hätte wohl beinahe meine Kochzutaten fallen gelassen, wenn ich nicht damit beschäftigt gewesen wäre, nicht zu stürzen, nachdem mich eine junge Frau, die bei ihm gestanden hatte, zur Seite stieß wie ich es wohl zuvor bei ihr getan hatte. Wahrscheinlich war es ganz gut, denn so brach der Blickkontakt ab und ich konnte mich eilig zu den Kassen wenden und das ‚Stell dich hinten an, wenn du ein Autogramm willst‘ überhören. Ich nuschelte nur ein leises ‚Entschuldigung‘, mehr weil ich ihn fast umgerannt hatte und weniger, weil ich mich ‚vorgedrängelt‘ hatte. Mein Herz schlug schneller in meiner Brust und gleichzeitig stach es schmerzhaft. Wieso war gerade er hier?! Konnte er nicht irgendwo anders einkaufen gehen?! Ich legte einen Einkauf aufs Band. Wahrscheinlich hatte er mich gar nicht erkannt. Immerhin war nichts an mir so auffällig wie an ihm, mit dem zweifarbigen Haar, dass er immer noch wie früher nach oben gegelt trug, wenn auch im Nacken inzwischen länger, und den goldenen Augen, die schon damals immer an eine Eule erinnert hatten. Ich hingegen war gewöhnlich, dunkles Haar, dunkle Augen, vielleicht ein wenig zu groß für einen üblichen Japaner, aber ansonsten war ich nicht besonders, auch wenn mir immer noch manchmal gesagt wurde, dass ich ein zu hübsches Gesicht hatte, um hier zu leben. Er hatte mich, seinen Nachhilfelehrer im dritten Jahr, sicherlich schon lange vergessen, so viele Menschen wie er tagtäglich treffen musste. Die Kassen waren leer – Es kam ja auch niemand durch –, sodass die Kassiererin die Preise sofort abziehen konnte und ich nur das Geld zu ihr rüberschieben musste. Ehrlich gesagt musste ich das schon ziemlich zusammenkratzen, um die Zutaten zu bezahlen, obwohl es noch nicht einmal das Ende des Monats war, aber ich verbot mir, in diesem Moment darüber nachzudenken. Jetzt musste Shou erst einmal gesund werden, das war das Wichtigste, über das Geld musste ich mir danach Gedanken machen. Ich steckte gerade die Sachen in einen Jutebeutel, als ich noch einmal beinahe vom Schlag getroffen wurde, denn während ich mit meinem Einkauf beschäftigt gewesen war, hatte Bokuto hinter mir scheinbar seine Fans abgewimmelt oder ihnen allen ihre Autogramme gegeben. Jedenfalls rief er jetzt: „Akaashi?“ Ich wollte zurückblicken, wollte ihn begrüßen, aber ich starrte auf meine Füße und ging weiter zur Tür, auch wenn ich den Schmerz in meiner Brust brennen spürte und ich mich mit meinem Stocken wohl längst verraten hatte. „Akaashi!“, rief er noch einmal, doch ich schob mich durch die Tür nach draußen und versuchte einfach weiterzugehen. Es war besser so. Wieso musste er sich überhaupt an mich erinnern? Wieso hätte er mich nicht einfach vergessen können? Ich zwang mich nicht zurückzublicken, während er wohl an der Kasse aufgehalten wurde und beschleunigte meinen Schritt, immer hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, dass er mir nicht folgte und diesem kleinen verräterischen Gefühl einer Verliebtheit, die ich längst begraben hatte und die vollkommen unsinnig war und vielleicht auch nur von dem Band her stammte und in jedem Fall meinem Verstand vollkommen widersprach. Ich vergrub die Finger in dem Stoff der Tragebänder, stapfte eilig weiter und wollte am liebsten einfach loslaufen, nur um sicherzugehen, dass er mich nicht einholen konnte. Ich hätte es wohl besser getan, denn bevor ich mich versah hörte ich die Schritte hinter mir auf dem Gehweg, die zu mir aufschlossen. Ich gab mir nicht die Blöße weiterzulaufen, wurde langsamer und ließ ihn neben mich kommen, auch wenn ich nicht aufblickte. „Akaashi Keiji, oder nicht?“ Ich konnte ihm den englischen Akzent anhören, nachdem er so lange Zeit im Ausland unterwegs gewesen war und es wohl auch immer noch tat, auch wenn er mit seinem 25 Jahren inzwischen wohl schon zu den älteren Spielern gehören mochte. Die meisten hörten wohl zwischen Mitte zwanzig und dreißig auf und kurz fragte ich mich, ob er wohl schon Pläne gemacht hatte, was er danach tun würde, aber er war niemand, der wirklich viel über seine Zukunft nachdachte, bis sie direkt vor der Tür stand. Also nickte ich leicht. „Hallo, Bokuto-san“, meinte ich so höflich ich konnte, ging aber weiter, wollte nicht stehen bleiben, musste ja auch wirklich nach Hause. „Du solltest lieber bei deinen Fans bleiben. Tut mir leid, dass ich so in dich hineingestolpert bin.“ Ich sprach höflich mit ihm, noch höflicher als früher. Jetzt blickte ich auch kurz auf, hob symbolisch meinen Mundwinkel, aber lächelte nicht wirklich. Ich konnte beobachten, wie er sofort enttäuscht aussah und manchmal dachte ich, dass seine Haare dabei abzusinken schienen, was natürlich Unsinn war, da seine Gefühle absolut keinen Einfluss auf die Schwerkraft haben konnten. Ich verzog innerlich das Gesicht, weil ich wusste, dass ich das für ihn falsch ausgedrückt hatte. Eigentlich müsste ich jetzt wohl sagen, dass ich ihn natürlich gerne sehen würde, aber keine Zeit hatte oder so etwas, aber das wäre alles eine Lüge und darauf hatte ich wenig Lust. „Ich muss nach Hause, Bokuto-san.“ Jetzt zog ich meinen Kragen doch lieber ein bisschen nach oben und wünschte mir einen Schal, den ich natürlich nicht dabeihatte, um das Mal zu verbergen. Ich sollte mich damit ihm gegenüber nicht unwohl fühlen, aber ich tat es und ehrlich gesagt war damit alles deutlich schwerer, als ich es mir früher gedacht hatte, auch wenn es mir wohl half, wenn Leute mich nicht kannten und dachten, dass wir eine funktionierende Familie aus armem Umfeld waren. „Was machst du überhaupt hier?“, fragte ich, als ich merkte, dass es nicht genug Aufmerksamkeit gewesen war, um ihn wieder aufzuheitern. „Die asiatische Meisterschaft ist vorbei, also hab‘ ich ein bisschen Zeit vor dem nächsten Training und bin nach Tokyo zurückgekommen bis zum nächsten Spiel und wir haben am Wochenende hier ein Projekt mit Kindern aus Mittelschul- und Highschoolteams.“ Er strahlte und sprach scheinbar ohne Punkt und Komma. Ich hatte eigentlich eher diese Ecke Tokyos gemeint, aber fragte nicht weiter nach, nickte einfach nur. Er griff nach meinem Handgelenk, schien mich zum Anhalten bewegen zu wollen. Ich versuchte ihm den Arm zu entziehen, aber hatte natürlich kaum eine Chance. Er war schon immer stärker als ich gewesen. Das lag in der Natur der Sache. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Was machst du jetzt?“ Er fragte so ehrlich, so wirklich interessiert und völlig unwissend scheinbar, in was für einer Region wir uns hier befanden. „Ich muss wirklich nach Hause, Bokuto-san.“ Ich sah ihn entschuldigend an und wollte meinen Sohn doch nicht erwähnen, wenn ich es vermeiden konnte. „Ich muss kochen.“ Ich zog an meinem Arm bis er nachgab und ging weiter. Er folgte mir immer noch und wenn ich mich so umsah, musste ihm doch langsam klar werden, in welchen Bereich der Stadt wir unterwegs waren. Es war auch nicht wirklich unbekannt, schon damals in der Highschool hatten uns unsere Eltern immer davor gewarnt. Ich wollte nicht daran denken, wie er damit umgehen würde und ich zog bereits jetzt unterbewusst ein wenig den Kopf ein, während ich nur auf die bevorstehende und unvermeidliche Reaktion wartete. „Du wohnst hier?“ Natürlich hörte ich die Wertung, ich war sie gewöhnt und dennoch tat es weh, wenn gerade er es tat. Am liebsten wollte ich gar nicht antworten, aber ich musste auch gar nicht zu einer Antwort ansetzen, denn bevor ich das gekonnt hätte, sagte er einfach: „Darf ich mitkommen?“ Und das traf mich so unvorbereitet, dass ich einfach stehen blieb. „Ich… Hast du nichts anderes zu tun?“, wollte ich unsicher wissen, versuchte einfach weiterzulaufen um nicht völlig dumm dabei auszusehen. „Nein, ich hab‘ heute frei“, zwitscherte er einfach. „Also hab‘ ich mich einfach mal wieder in Ruhe in Tokyo umgesehen. Ich war gefühlt schon ewig nicht mehr hier. Und sieh an, was für ein Glück ich hatte, dich hier zu treffen!“ Er schien sich ehrlich zu freuen und in dem Bewusstsein, was ich vor ihm geheim hielt, brach mir wieder einmal beinahe das Herz. „Eigentlich wollte ich meine Eltern besuchen, aber die sind heute den ganzen Tag nicht da, also hab‘ ich mich morgen mit ihnen verabredet und es reicht aus, wenn ich heute Abend wieder ins Hotel zurückkehre. Die meisten aus dem Team sind sowieso bei ihren Familien oder Freundinnen und Freunden oder ihren Kindern und so etwas. Es vermisst mich jedenfalls niemand.“ Er klang so leicht dabei, als würde ihn die Gegend gar nicht bekümmern und vielleicht ging es einem Alpha auch einfach wirklich so. „Ich weiß nicht…“ Wir hatten inzwischen mein Wohnhaus beinahe erreicht und mir fiel schlichtweg kein Grund ein, ihm nicht zu erlauben, mithineinzukommen. Zumindest keiner, der nicht beinhielt, dass ich einen Sohn hatte, aber das würde er doch eh merken, wenn er hereinkam und die Schuhe sah und die Kinderjacken und… War es nicht besser, wenn ich ihm vorher darauf vorbereitete? Auch wenn ich ihm niemals, wirklich niemals sagen würde, dass es sein Kind war! Er sah mich so hoffnungsvoll an, dass ich einfach nicht wirklich Nein sagen konnte, also nickte ich zögerlich, auch wenn es mir eigentlich ziemlich unangenehm war. „Wenn du unbedingt möchtest…“ Eigentlich waren wir niemals enge Freunde gewesen, deshalb wunderte es mich, dass er so sehr darauf bestand, aber er hatte mich schon von Anfang an, immer nur allzu leicht beeinflussen können mit seinem… Charakter und seiner ganzen Art. Ich betrat den Hinterhof und schob die Haustür auf, die schon seit Jahren kaputt war. Den Geruch nach Urin und Müll konnte ich inzwischen gut ignorieren, auch die Scherben und Holzsplitter am Boden. Ich wandte mich zum Treppenhaus, weil der Fahrstuhl mir ehrlich gesagt mehr als suspekt war und folgte den Stufen nach oben, Bokuto hinter mir. Ich wusste, dass er mich verurteilte, weil ich an so einem Ort lebte. Jeder verurteilte mich dafür. Ich hatte keine Freunde mehr aus meiner Schulzeit. Sie hatten mir alle den Rücken gekehrt, aber wenn ich sie hierhergebracht hätte, ich war mir sicher, dass es unsere Freundschaft beenden würde, aber ich konnte mir mehr einfach nicht leisten. Auch hier zu leben, war oft kaum möglich, aber ich tat alles dafür, um meinen Sohn ein Dach über dem Kopf zu bieten. Dann endlich hatte ich die Tür erreicht und spürte doch die Präsenz des Volleyballspielers deutlich hinter mir, als ich nach meinem Schlüssel kramte. Ich wollte nicht aufblicken und in seinen Augen sehen, was er dachte. Es war immer leicht gewesen, in seinen Augen jeden einzelnen seiner Gedanken zu lesen. Der Flur, in den wir eintraten, war winzig, gerade genug Platz für Schuhe und Jacken und die Stufe nach oben, die direkt ins Wohnzimmer führte, wo nur ein altes Sofa und ein winziger Fernseher standen. An der Wand war außerdem die ‚Küche‘, wenn man es denn so nennen konnte, da es nur ein kleiner Kühlschrank und zwei Herdplatten waren. Ein winziges, fensterloses Badezimmer und der einzige andere Raum der Wohnung gingen ebenfalls von diesem Raum ab. Irgendwann würde ich wohl auf dem Sofa schlafen müssen, wenn mein Sohn nicht mehr mit seinem Vater in einem Raum schlafen wollte, aber bis dahin hatte ich hoffentlich noch einige Jahre Zeit, in denen es kein Problem wäre, wenn wir uns das Zimmer und auch das Bett teilten. „Komm rein“, nuschelte ich und begrüßte leise die Stille mit den traditionellen Worten, auf die ich keine Antwort bekam, weil mein Sohn schlief. Ich zog die Schuhe aus, aber konnte ihm nicht einmal Hausschuhe anbieten. Ich hörte, dass er hinter mir die Tür schloss und ich hatte ihn in meinem ganzen Leben noch nie so still erlebt wie jetzt. Es war beinahe schmerzhaft. „Willst… du etwas trinken? Ich habe … Schwarztee und Leitungswasser. Ich muss das Gemüse für die Suppe schneiden, aber wenn du willst, kannst du dich aufs Sofa setzen.“ Ich wich seinem Blick aus und das schlimmste daran war wohl zu wissen, dass ich selbst mich dafür schämte, dass ich hier lebte. Ich hatte noch nie jemanden von den wenigen Menschen, die ich kannte, hierher eingeladen, jetzt wusste ich auch, wieso. „Wasser klingt gut“, murmelte er und er klang tatsächlich einmal unsicher, während er zögerlich Platz nahm und zu mir hinüberblickte, während ich das Hühnchen aus seiner Packung nahm und abwusch, bevor ich es in einen großen Topf gab und mit Wasser und Salz bedeckte. Dazu kam schon ein bisschen Pfeffer und zwei Zwiebeln und dann stellte ich ihn mit einem Deckel auf die Herdplatte. Das Gemüse würde ich hinzugeben, wenn es geschnitten war. Das Wasser würde sowieso noch lange genug brauchen, bevor es auch nur annähernd kochte. Also wusch ich das Suppengemüse eilig ab und nahm es mit einem Plastikbrett und einem zumindest pseudoscharfen Messer mit zum Sofatisch, der der einzige Tisch im Raum war und begann daran alles in kleine Stückchen zu zerlegen, die ich in eine der gesprungenen Schalen gab. Die meisten meiner Sachen hatte ich entweder von Flohmärkten oder von Sammelstellen, an denen Leute ihre kaputten Haushaltsgegenstände für Bedürftige abgeben konnten. Meine Eltern hatten sich geweigert, mir etwas mitzugeben, also hatte ich ziemlich hilflos dagestanden, als ich mir eine eigene Wohnung hatte suchen müssen. Auch das Glas, das ich für ihn mit Leitungswasser gefüllt hatte, war nicht mehr wirklich hübsch. Das Bild, das einmal darauf gewesen war, war vom häufigen Abwaschen verwischt und es sah nicht mehr wirklich ansehnlich aus, aber es war dicht und das war wohl das Wichtigste. „Ich wusste nicht, dass du kochen kannst“, waren die Worte, die Bokuto wählte, um die Stille zu durchbrechen und sie waren so bescheuert und gleichzeitig erschreckend umsichtig, dass ich gar nicht verletzt sein konnte. „Ich auch nicht, bis ich es plötzlich musste.“ Er sah mich unsicher an. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, meinte er immer noch etwas unsicher. „Ich habe nur ein Messer“, murmelte ich und war froh, dass ich mich wieder auf meine Finger konzentrieren konnte. Ich arbeitete schweigend und er schien mehr aus Verlegenheit als aus irgendetwas Anderem sein Wasser zu trinken. Es passte nicht zu ihm. Er war immer so offenherzig und unbekümmert, aber natürlich ließen jemanden, der als Sportler wohl mehr als genug verdienen musste, solche Lebensumstände nicht kalt. Ich versuchte gar nicht erst ein anderes Thema aufzubringen. Erst als alles Gemüse in der Schale war und ich zum Herd hinüber ging, um es ins warme Wasser zu geben, begann er wieder zu sprechen. „Ich… Lebst du hier allein?“ Ich drehte mich verwundert zu ihm um. Hatte er die Kinderschuhe an der Tür nicht bemerkt? Oder standen sie im Moment wohlmöglich nicht dort? Ich schüttelte den Kopf. Seine Reaktion…. Konnte ich nicht ganz verstehen. Er schien… irgendwie enttäuscht? Und dann war da etwas, was ich nur aus dem Blick von Alphas kannte, etwas Kämpferisches, dessen Grund ich nie wirklich hatte herausbekommen können, aber ehrlich gesagt hatte ich mich auch mein Leben lang von Alphas ferngehalten, weil sie gerade für einen Omega immer auch eine gewisse Gefahr darzustellen schienen. Das hatte ich auf die harte Tour lernen dürfen. Ich fragte wohl besser nicht nach und murmelte nur leise: „Nein, ich lebe hier nicht allein.“ Er wechselte noch einmal das Thema, als ich den Deckel auf den Topf legte und zum Sofa zurückkehrte. „Ich will nicht unhöflich sein, aber ich… ich versteh es nicht. Warum lebst du in so einer Wohnung?“ Er wirkte wie ein kleines Kind, wenn er so sprach, nicht wie ein Mitte Zwanzig jähriger Profisportler. „Du warst so gut in der Schule und in den ganzen Begabentenförderungsprogrammen und…“ Ich blickte zur Seite, wollte ihm eigentlich nicht in die Augen schauen dabei. „Ich habe nie meinen Abschluss gemacht“, gab ich dann aber ehrlich zu. Das erklärte vermutlich so ziemlich alles an dieser Situation... Als Omega einen Job zu finden, war oft schon schwer genug, weil es ihnen regelmäßig einige Tage unmöglich war zu arbeiten, wenn sie läufig wurden und vielen war auch das Schwangerschaftsrisiko zu hoch, aber ohne Abschluss war es so ziemlich unmöglich. „Was? Wieso?“ Er sah mich völlig unverständig an, doch wie als hätte ich ihn gerufen, ging die Tür zum Schlafzimmer auf und aus dem Dunkeln kam auf tapsigen Schritten mein kleiner Sohn hervor. „Dad?“, murmelte er leise, rieb sich die Augen. „Mir ist so heiß.“ Er klang wirklich nicht gut und ich war sofort auf den Füßen und ging vor ihm in die Hocke, um ihm eine Hand auf die Stirn zudrücken. Er hatte immer noch Fieber. „Du hast Fieber, deshalb. Ist dir übel?“, wollte ich besorgt wissen und fuhr ihm nach hinten mit der Hand ins Haar. Er schüttelte den Kopf, wenigstens das nicht mehr. „Ich koche gerade Suppe. Hast du Hunger?“, fragte ich im Gegenzug. Er zuckte leicht die Schultern. „Mir ist ganz kalt“, flüsterte er, obwohl er eine Sekunde zuvor noch das Gegenteil behauptet hatte, und ich hörte seine Zähne klappern. „Dann solltest du nicht außerhalb des Betts sein.“ Ich eilte zum Sofa zurück und griff die Decke von dort, um ihn darin einzuwickeln. Er trug keine Socken, also zog ich ihn aufs Sofa und strich ihm über die Stirn. „Du hast bestimmt Durst, oder?“ Ich ging zur Küche hinüber, machte ihm ein Glas Wasser und gab es ihm. Er trank es gierig. „Darf ich fernsehen?“ Er lehnte sich müde gegen mich, obwohl er wohl den ganzen Tag nichts anderes getan hatte als schlafen oder vielleicht auch gerade deshalb. Ihm war jedenfalls unser Besuch nicht aufgefallen. Also strich ich ihm durch das dunkle Haar und lenkte seinen Blick dabei. „Wir haben Besuch, Shou“, flüsterte ich leise und ich spürte die Reaktion sofort. Immerhin hatten wir wohl alle seine Spiele im Fernsehen gesehen. Er sah ihn mit großen Augen an und Bokuto sah aus wohl eben so großen Augen zurück und erst jetzt wurde mir klar, dass der Junge in dem goldenen Braun seiner Augen etwas von seinem Vater geerbt hatte. Nun, genau genommen fielen mir jetzt so nebeneinander eine Menge Dinge auf, die sie gemeinsam hatten. Ich konnte nur hoffen, dass es Bokuto nicht auffiel, aber vielleicht – hoffentlich war das auch wieder nur eine Sache, die man nur bemerkte, wenn man bescheid wusste. „Bokuto-san, das ist mein Sohn Shou.“ Und jetzt zuckte sein Blick zu meinem Hals und entdeckte dort die Bisswunde, die er vor so vielen Jahren selbst dort hinterlassen hatte, nur dass er sich daran nicht erinnern konnte. Und dann plötzlich war er wieder der Mann, den ich einst kennengelernt hatte. „Hallo, Shou“, sagte er mit einem strahlenden Lächeln und griff auf sehr westliche Art und Weise seine Hand. „Es freut mich dich kennen zu lernen!“ Shou schien sprachlos, also zwang ich ihn nicht zu sprechen, strich stattdessen weiter durch sein Haar, auch um ihn dabei zu beruhigen. „Shou ist ziemlich krank. Deshalb musste ich auch so schnell nach Hause.“ Ich griff nach der Fernbedienung für den Fernseher und reichte sie ihm. „Schau doch mal, ob etwas kommt.“ Normalerweise wollte ich eigentlich nicht, dass mein Sohn viel fernsah, aber wenn er krank war, war das ein anderes Thema. Ich beobachtete ihn kurz, wie er das Gerät einschaltete und direkt bei den Sportsendungen blieb. Er schaute nur sehr selten diese ganzen Kinderserien, wahrscheinlich weil wir oft zusammen Volleyball schauten. Das lief im Moment aber nicht, also schaute er einfach Baseball. Manchmal tat es mir leid, dass er nie wirklich hatte Sport machen können, weil uns vor seiner Schulzeit einfach das Geld gefehlt hatte. Jetzt war er in der Schule in der Volleyballmannschaft, aber ich konnte ihm nicht wirklich das bieten, was ich ihm gerne geboten hätte. Nur allzu gerne hätte ich ihn dabei gefördert, aber stattdessen drängte ich ihn dazu, mehr für die Schule zu tun, viel zu lernen. Ich hoffte, dass er die Chance bekäme, durch ein Stipendium eine weiterführende Ausbildung zu machen, denn ehrlich gesagt, hatte ich sonst keine Idee wie ich ihn zur Highschool, geschweige denn auf eine Uni schicken sollte. Er war sicherlich nicht auf den Kopf gefallen, war neugierig und sportlich, aber ich wusste auch, dass es ihm schwerfiel, sich anderen gegenüber zu öffnen und Freunde zu finden. Es war mir klar, dass sich meine Haltung gegenüber dieser Wohnung, meine Scham, sie anderen zu zeigen, auf ihn übertrug, aber es fiel mir schwer, daran etwas zu ändern. Ich zog Shou ein wenig dichter zu mir, hüllte ihn enger in eine Decke und streichelte ihn weiterhin leicht durch sein Haar. Der Fernseher lief nicht besonders laut, aber er konnte es wohl hören, also wandte ich mich leise an Bokuto, um ihn nicht damit zu stören. „Du fragst, wieso. Er ist der Grund.“ Ich zögerte, dann ließ ich meinen Sohn allein sitzen und winkte Bokuto mit mir rüber zur Küchenzeile, um nach der Suppe zu sehen und dann Wasser aufzusetzen, um Tee zu kochen, damit Shou auch noch etwas Warmes zu trinken bekäme. „Die Schule hat mich rausgeschmissen, als es öffentlich wurde.“ Welchen Sinn hatte es denn jetzt noch, es ihm nicht zu erzählen? Ich sah, dass er sich wieder zu ihm umsah, scheinbar mit der Absicht, einzuschätzen, wie alt er war. „Er wird sieben“, erklärte ich ungefragt und er sollte auch mit noch so schlechten Mathenoten selber wissen, dass ich dann bei seiner Geburt am Anfang der dritten Oberschulklasse gewesen war und sich vielleicht auch darüber bewusst werden, dass ich bei seinen Abschlussprüfungen dann schon schwanger gewesen sein musste. Ich griff nach dem Tee, gab ihn in eine Tasse und füllte sie anschließend mit heißem Wasser auf. „Was ist mit seinem Vater?“, wollte er dann konsequenterweise wissen und ich verzog innerlich ein wenig das Gesicht, denn das war das eine sehr gefährliche Thema. Ich blickte nicht auf, sonst hätte ich seine Hand bemerkt, bevor er meinen Kragen nach untern zog und damit das Mal entblößte. „Lass.“ Ich schob seine Hand weg. Es war mir irgendwie unangenehm, wenn er es sah und nicht wusste, dass es von ihm stammte. „Er lebt nicht mit mir hier, falls du das wissen willst.“ „Wieso nicht?“ Ich konnte mir nicht ganz erklären, wieso es ihn so sehr interessierte, aber vielleicht musste er es wissen, bevor er wie jeder Alpha verurteilen konnte, dass mein Sohn ohne seinen Vater aufwuchs. „Wir waren kein Paar oder so etwas“, meinte ich mit einem Seufzen und nahm mit einem Blick auf die Uhr den Tee wieder aus der Tasse heraus. „Und wohl beide ziemlich betrunken.“ Ich brachte die Tasse zu Shou, kam dann aber wieder zur Küche zurück, rechnete jedoch absolut nicht mit der Begrüßung, die er für mich übrig hatte, denn plötzlich griff er mich hart an den Schultern und sah mich so durchdringend an, dass ich fast eine Gänsehaut bekam: „Hat er dich“ – Dann wurde er leiser als wollte er nicht, dass mein Sohn es hörte – „vergewaltigt?“ Ich blinzelte verwirrt, dann schüttelte ich den Kopf. „Er hat ausgenutzt, dass ich betrunken war, aber da er mich nie wieder darauf angesprochen hat, gehe ich ehrlich gesagt davon aus, dass er selbst so betrunken war, dass er sich an nichts erinnern konnte.“ Es fühlte sich falsch an, ihn so zu belügen, auch wenn ich eigentlich gar nicht log, denn immerhin war alles davon wahr, aber halt nicht zu hundert Prozent, weil ich ihm gegenüberstand und trotzdem von irgendjemandem sprach und eben nicht von ihm. Eigentlich war sowieso viel seltsamer, wie heftig seine Reaktion war. „Ich habe mich jedenfalls nicht gewehrt. Ich… es ist nicht gegen meinen Willen passiert“, ergänzte ich noch als Reaktion auf seinen Blick, der nicht besonders beruhigt gewirkt hatte. „Aber er hat dich gebissen!“ Das war unübersehbar. Ich hoffte im Moment am ehesten darauf, dass er mich langsam wieder loslassen würde und griff nach seiner Hand um sie von meiner Schulter zu schieben. Er reagierte auf die leichte Berührung und löste sich damit mehr oder minder freiwillig von mir. Ich zuckte mit den Schultern. „Glaub mir, das habe ich auch schon gemerkt“, meinte ich trocken. Es war irgendwie ironisch und irgendwie witzig gemeint, aber ich lachte nicht darüber, schnaubte eher ein wenig kläglich. „Wenn ich dir sagen könnte, warum er das getan hat, wären wir beide ein wenig schlauer.“ Und das war für ihn wohl sogar in doppelter Bedeutung wahr. Ich warf einen Blick in den Topf, in dem das Wasser jetzt wohl die richtige Temperatur erreicht hatte und legte alle meine Karten offen auf den Tisch. „Es macht das Leben für mich ehrlich gesagt leichter. Außer Alphas bemerkt nämlich niemand, dass der Geruch nach Alpha an mir fehlt und sie denken einfach, dass ich ohne seinen Vater in der Stadt unterwegs wäre.“ „Aber-“ Er stockte, runzelte die Stirn. „Er hat eine Verantwortung zu übernehmen! Dir und ihm gegenüber.“ Den zweiten Satz flüsterte er wieder, nachdem er lauter geworden war. „Ich habe es ihm nie gesagt.“ Schweigend hob ich den Deckel noch einmal an, rührte in dem Topf um, einige Male mehr als nötig gewesen wäre. Bokuto hatte es scheinbar die Sprache verschlagen. Er ging nur immer wieder unruhig ein paar Schritte auf und ab. „Aber-“, setzte er noch einmal an ohne zu wissen, was er eigentlich sagen wollte. „Inzwischen wüsste ich auch gar nicht mehr, wie ich Kontakt aufnehmen sollte.“ Nur dass er gerade direkt vor mir stand und ich ihn glatt anlog. Ich fühlte mich furchtbar dabei. „Dad! Es kommt Volleyball“, rief Shou plötzlich begeistert und lehnte sich über die Lehne in meine Richtung, zumindest bis er Bokuto sah und rot wurde. Ich lächelte leicht. „Dreh es ruhig ein wenig lauter“, erlaubte ich ihm und spürte die Unruhe wieder auf meiner Haut. Es war so peinlich- „Wer spielt denn?“ Und plötzlich war Bokuto wieder selbst fast ein Kind und kam neugierig zum Sofa, setzte sich zu ihm und unterhielt sich begeistert mit dem Jungen über den Sport, der sein Leben bestimmte. Es war ein schöner Anblick und einfach um nicht zu weinen, weil ich beiden das hier verboten hatte, eilte ich ins Bad um das Bettzeug aus der Waschmaschine zu holen, das gestern leider einen Spuckanfall nicht überlebt hatte. Ich hängte es hinter dem Sofa auf, versuchte mich abzulenken von dem Anblick, wie Shou auftaute und über Volleyball sprach und von seinem Schulsport erzählte und davon, dass er neulich einen Spike gelandet hatte. Bokuto ging auf alles ein. Er war so gut mit Kindern, war nicht ohne Grund das Gesicht für die Nachwuchsförderung, auch wenn die Medien immer wieder rätselten, weshalb er selbst keine Kinder haben mochte. Etwas, was ich ehrlich gesagt auch nicht verstehen konnte, denn vermutlich konnte sich ein Profisportler wie er gar nicht vor Angeboten retten, ganz egal, ob von Mann oder Frau. Ich schluckte das dumpfe Gefühl, das ich nach all den Jahren nicht mehr Eifersucht nennen wollte und das sicherlich von dem Mal herstammen musste, herunter und konzentrierte mich darauf, das Bettlaken gerade hinzuhängen, auch wenn es das schon lange tat. „In den Ferien gibt es ein Trainingscamp“, erzählte Shou dann voller Begeisterung und ich wollte nicht noch einmal hören, wie enttäuscht er gleich klingen würde. „Aber wir können es uns nicht leisten.“ Ich wünschte, ich könnte es ihm ermöglichen, aber es war einfach unmöglich. Ich hatte ja nicht einmal eine feste Anstellung, arbeitete überall, wo mich jemand haben wollte oder zumindest nicht ablehnte und hoffte jeden Monat, dass es für die Miete reichen würde. Ich starrte auf die Wäsche als wäre es furchtbar wichtig, wie sie hang, einfach um Bokutos Blick nicht erwidern zu müssen. „Was kostet es denn?“, richtete er die Frage eher an mich. Ich biss mir auf die Lippe. „Das könnte ich nicht annehmen, bitte denk nicht einmal daran“, versuchte ich ruhig zu antworten. Ich konnte Shous Herz beinahe noch einmal brechen hören, aber war zu stolz es auch nur in Betracht zu ziehen, weil es das schlechte Gewissen nur noch verschlimmern und mich wieder einmal in die Pflicht stellen würde, es ihm zu sagen. Dann klingelte es plötzlich und befreite mich aus dieser unglaublich angespannten Situation gerade noch rechtzeitig, bevor sich Bokuto noch Gründe ausgedacht hätte, warum er es doch bezahlen könnte. Ich brauchte dennoch einen Moment, bis mir klar wurde, dass ich aufmachen musste. Eilig ging ich zur Tür und griff nach der Türklinke. Es gab vom Wohnzimmer aus keine Tür zum Flur, sodass, wer auch immer es war, also bis zum Sofa blicken konnte, sobald ich die Tür geöffnet hätte. Aber wer konnte es überhaupt sein? Ich bekam keinen Besuch, außer … War es schon wieder Zeit für die Miete? Mein Vermieter, ein schleimiger Alpha mit mangelnder Körperhygiene stand auf der anderen Seite. „Ich belästige dich natürlich nur ungern, aber du hast diesen Monat wieder vergessen die Miete zu zahlen, Keiji-chan.“ Er hob die Hand an meine Wange und ich wollte der Berührung ausweichen, weil mir übel wurde, wenn er mich so nannte und berührte, aber er konnte mich hier jeder Zeit rauswerfen, das hatte er recht früh klar gemacht, also hielt ich still und spürte die fettigen Finger auf meiner Haut verweilen. „Tut mir leid, es ist irgendwie untergegangen. Shou ist ein wenig krank. Ich hole sie.“ Schnell entzog ich mich der Berührung und eilte zur Küche, betend, dass ich überhaupt genug haben würde. Ich dachte, ich hätte noch eine Woche mehr Zeit und hatte deshalb noch nicht gezählt. Sein Blick folgte meinem Hintern und zu meiner Schande hatte ich mir auf diese Art und Weise schon Mietvergünstigungen ‚erarbeitet‘. Die Gänsehaut kehrte sofort zurück, wenn ich nur daran dachte. Dass Bokuto mir gerade mit seinem Blick folgte, machte alles nur noch schlimmer. Ich holte das Glas mit den Geldscheinen vom Küchenschrank und begann zu zählen. Es enthielt einen 10.000 und zwei 5.000 Yen-Scheine, die einzigen Geldschein in dem Glas. Ich fand noch eine 500 Yen-Münze, dann eine zweite, eine dritte und zuletzt auch noch eine vierte und eine fünfte. Dann verteilte ich den Rest der Münzen auf meiner Hand, musste noch 1500 weitere unter den Münzen finden. Die Miete war günstig und mein Vermieter war kein schlechter Mensch, wenn auch ein Perversling. Er hätte mehr für die Wohnung bekommen können, aber er hatte Mitleid gehabt, und vermietete sie unter Wert. Dennoch rutschte mir das Herz in die Hose, während ich 100 Yen-Münzen zähle. Fünf, sechs, dann auch noch eine siebte waren schnell gefunden, doch es wollte einfach noch nicht reichen. Ich kramte nach dem Wechselgeld, bekam noch 500 zusammen. Dann begann ich auch die Münzen zu zählen, um aus den 50 und 10 Yen-Münzen irgendwie weitere 300 zusammenzubekommen. Zuletzt blieb nur eine Handvoll der kleinsten Münzen übrig, die ich zurück ins Glas warf. Sie klimperten traurig. Dann sammelte ich das gezählte Geld auf und kam zu meinem Vermieter hinüber. „Hier“, sagte ich leise, wusste, dass Bokuto alles gesehen hatte. „Denk daran, dass bald der Aufschlag für die Stadt kommt.“ Er sprach mitleidig und mir rutschte das Herz ehrlich in die Hose. Wie sollte ich das je zusammen bekommen? „Ist gut.“ Meine Stimme blieb fest, auch wenn sie sich zittrig anfühlte. „Tut mir leid, dass Sie wieder zu mir hochkommen mussten. Ich versuche nächsten Monat von mir aus daran zu denken.“ „Ich weiß doch, dass du manchmal viel um die Ohren hast.“ Er lehnte sich vor und ich machte ihm ein wenig Platz an meinem Hals, ließ ihn meinen Geruch einatmen und spürte dann seine Lippen an meinem Hals, auch wenn mir dabei übel wurde. Das war seine Vergünstigung für mich, also hielt ich still. Dann plötzlich hörte ich hinter mit Glas zerbrechen und zuckte sofort herum. Das Wasser tropfte von Bokutos Hand auf seine Hose und den Boden. Alles an ihm sprach von Anspannung, doch ich sah vor Schreck nur, wie sich das Wasser rot färbte und zuckte vor, während zwischen den Alphas wahrscheinlich so ein Alpha-Ding passierte. „Beweg dich nicht, Shou!“, forderte ich, packte eilig ein Handtuch und rannte zum Sofa. „Bokuto-san!“ Als hätte er es gar nicht bemerkt, öffnete sich ganz langsam seine Hand und weitere Scherben fielen zu Boden. Seine Hand war an einigen Stellen eingeschnitten und einige Scherben steckten noch darin. „Tut mir leid, ich habe das Glas kaputt gemacht.“ Bokuto war absolut unmöglich! Ich zog die Scherben heraus, als hinter mir die Tür zuging. Er wimmerte ein wenig wie ein kleines Kind. Selbst Schuld! Was sollte das denn bitte? Man zerbrach ja nicht einfach ein Glas in der Hand! „Komm zum Waschbecken. Tritt nicht in die Scherben“, forderte ich und zog ihn mit, presste das Handtuch auf die Wunden, damit es nicht tropfte. „Auswaschen“, befahl ich weiter. „Ich hole etwas zum Verbinden.“ Und so eilte ich ins Bad, warnte Shou noch einmal vor den Scherben und verband dann vorsichtig Bokutos Hand. „Bitte führ dich nicht so… alpha auf“, bat ich hart und sah ihn anklagend an. „Er hat dich angefasst!“, antwortete er empört. Ich antwortete leise: „Und dafür lässt er mich hier für weniger als 24000 Yen wohnen.“ Was sollte dieser Beschützerinstinkt denn bitte? Ich gehörte nicht ihm– Naja, irgendwie schon, aber davon wusste er immerhin nichts. Er sah mich wütend an und ich drückte kurz ein wenig in die Wunde, damit er sich zusammenriss. „Au!“, fluchte er auf und ich ging so stolz ich konnte an ihm vorbei, nahm das Kehrblech und begann die Scherben aufzufegen. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Bokuto das Geldglas musterte, auf dem ich irgendwann einmal ein Stück Papier mit Miete geklebt hatte. „Was arbeitest du?“, fragte er leise, mitleidig. Ich wollte sein Mitleid nicht und schmiss erst einmal das Glas weg. Ich wusste, was er implizierte und er sollte es eigentlich auch ohne zu fragen wissen, müsste es riechen können. „Alles, was ich finde“, antwortete ich ihm jedoch, rührte die Suppe um und weigerte mich, ihn anzusehen. Die Suppe musste eigentlich noch mindestens eine Stunde kochen, aber ich probierte sie dennoch, einfach um irgendetwas zu tun. „Es gibt nicht viele, die einen Omega anstellen würden, also sind es meist Aushilfsjobs.“ Ich wollte ihn nicht anschauen, wollte nicht jeden Gedanken in seinen Augen lesen können, während er mich mitleidig mustern musste. „Du hast also nichts Festes?“ Hatte ich das nicht gerade gesagt? Und wieso klang er dabei fast erleichtert?! Ich legte den Deckel wieder auf den Topf und nickte leicht. „Wie geht es deiner Hand?“, wechselte ich das Thema. Immerhin war das sein wichtiges Werkzeug bei seiner Arbeit. „Alles gut. Sind nur ein paar Kratzer.“ Kurz fragte ich mich, ob er tapfer sein wollte oder ob es wirklich stimmte, aber letztlich konnte ich eh nichts daran ändern. Als er nichts weiter sagte und mir ebenfalls nichts einfiel, kam ich zum Sofa hinüber und beobachtete kurz das Spiel auf dem Fernseher, bevor ich Shous Haar streichelte. „Wie fühlst du dich?“ Seine Stirn fühlte sich schon nicht mehr ganz so heiß an, oder? „Besser“, flüsterte er leise, klang aber doch noch eher müde dabei. „Willst du noch etwas schlafen? Ich wecke dich, wenn die Suppe fertig ist.“ Er nickte und manchmal machte ich mir sorgen, wie brav er war und nie widersprach, als er den Fernseher ausschaltete und ins Schlafzimmer zurückkehrte. Ich beobachtete ihn noch einen Moment, dann drehte ich mich zu meinem Besucher um und wusste doch nicht recht, was ich machen sollte. Ich wollte ihn nicht hier haben und doch wollte ich ihn auch nicht rauswerfen, konnte es wahrscheinlich auch gar nicht. „Hast du nie überlegt, deinen Abschluss nachzuholen? In der Abendschule oder so? Du würdest sicherlich keine Probleme haben und-“ Ich unterbrach ihn direkt. „Ich habe keine Zeit dafür.“ Und kein Geld und selbst wenn, was sollte ich mit einem Abschluss? Niemand wollte einen alleinerziehenden Omega einstellen. Ich hatte studieren wollen, vielleicht in die Forschung gehen oder mich in einer Firma hocharbeiten, der Welt beweisen, dass ich all das konnte, vollkommen egal was mein zweites Geschlecht war, aber ich hatte meine Chance verspielt, als ich an jenem Abend zu der Party gegangen war, auch wenn ich es nicht gewusst hatte. „Mein Sohn steht an erster Stelle.“ Bokuto wirkte hilflos und schien angestrengt nachzudenken, wusste aber wohl auch nicht mit dieser Situation umzugehen. Es war aber wohl auch eine ungewöhnliche Situation. Nur war Bokuto auch immer schon ein ungewöhnlicher Alpha gewesen. „Ich könnte dich finanziell unterstützen. Die Welt könnte so viel von dir lernen! Du könntest etwas verändern.“ Er klang so begeistert und überidolisierte mich dabei auch vollkommen, aber das war gar nicht, was mich gerade beschäftigte. Ich versuchte nur irgendwie gegen den Kloß in meinem Hals an zu schlucken und die Wut in meinem Bauch zu unterdrücken, von der ich nicht wusste, warum ich sie spürte. „Ich brauche keine Almosen“, antworte ich ein wenig zu impulsiv und wusste, dass es ihn verletzen würde. „Es sind keine Almosen, es ist nur… Ich meine, ohne dich hätte ich meinem Abschluss wohl nicht geschafft und du konntest doch im zweiten Jahr schon alles, was ich im dritten Jahr brauchte und…“ Er wirkte ein wenig hilflos und ich wollte Mitleid haben, wünschte mir, dass ich… Ja, dass ich was? „Ich habe mich für meinen Sohn entschieden.“ Nicht dass ich anders gekonnt hätte, selbst wenn ich gewollt hätte… „Und sein Vater-“ „Ich will nicht über seinen Vater reden“, blockte ich ab, aber Bokuto hörte nicht auf mich. „Wenn du ihn damit konfrontierst… Ich meine, es gibt Möglichkeiten jemanden anhand seiner DNS ausfindig zu machen. Er würde sicherlich-“ „Er würde ihn mir wegnehmen.“ Bokuto war sicherlich ein guter Typ, aber auch er würde ihn hier nicht leben lassen wollen. „Er hätte das Gesetz auf seiner Seite.“ Manchmal schien er so offensichtlicher Sachen gar nicht zu bedenken. Selbst im Krankenhaus hatten sie ihn mir wegnehmen wollen für so einen Test, weil ich mich weigerte zu sagen, wer der Vater war. Ich hatte mich selbst vorzeitig entlassen. „Du hast ihn sieben Jahre lang aufgezogen.“ Irgendwie schien er darin ein Argument gegen das Gesetz zu sehen, auch wenn es in diesem Bezug weder Hand noch Fuß hatte. Natürlich stimmte es trotzdem und wäre für jeden Omega auch sinnvoll gewesen, nur halt nicht für die Alphas, die in der Regierung herumsaßen. „Die allgemein verbreitete Meinung wäre, dass ich dazu nicht in der Lage bin und ein Alpha der bessere Vater wäre.“ „Das ist nicht fair!“ Natürlich war es nicht fair, aber es war das geltende Gesetz. „Du hast Unterstützung verdient!“ Ich seufzte hörbar. „Bokuto-san, ich schaffe das schon.“ Er blickte mich an, schien etwas in meinen Augen zu suchen und befand sich zugleich scheinbar in einem Konflikt mit sich selbst, der sich nur allzu gut sichtbar auf den Muskeln seines Gesichts abspielte. Ich beschloss das Geldglas wegzustellen, das jetzt leer war. Ich würde diesen Monat dringend arbeiten müssen. Hoffentlich würde ich etwas finden. Ich wollte nicht wieder auf den letzten Ausweg zurückgreifen müssen. Ich hörte Bokuto hinter mir kramen. Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, hielt er unsicher zwei Geldscheine in der Hand. „Es ist nicht viel, aber… vielleicht für die Suppe? Und immerhin hab‘ ich das Glas kaputt gemacht.“ Angespannt starrte ich auf seine Hand. Es waren ein 5000 und ein 2000 Yen-Schein, definitiv mehr als das Glas vom Flohmarkt und die Suppe wert waren und das bei weitem. Ich konnte das Geld brauche, musste immerhin auch diesen Monat noch mit dem Geld auskommen, aber alles in mir sträubte sich dagegen, es anzunehmen. „Es soll kein Almosen oder so sein… Aber du hast in der Schulzeit viel mehr Zeit in mich gesteckt als meine Eltern dir bezahlt haben und ich… naja, könnte dich nachträglich entschädigen, dass ich nicht wusste, was eine Lösung ist…?“ Ich stockte, war kurz sogar versucht bei der Erinnerung zu lachen, wie er mich wie ein Auto angeblickt hatte, als ich in Chemie von Lösungen gesprochen hatte und er sich mathematische Ergebnisse vorgestellt hatte. Ich erlaubte es mir nicht. Und ich würde mir auch nicht erlauben, das Geld anzunehmen. Vielleicht las er es in meinem Blick, denn er startete einen neuen Versuch. „Okay, okay, wie wäre es damit? Du arbeitest einfach für mich.“ Ich starrte ihn an. Er wurde rot und wedelte dann heftig mit den Händen. „Ich meine, ich hab‘ eine Wohnung hier in der Stadt, aber ich bin viel unterwegs und ich hole mir meistens jemanden ins Haus, der einmal durchwischt, wenn ich herkomme, und ich könnte doch einfach dich dafür fragen.“ Er lächelte, strahlend, aber auch irgendwie unsicher und seine Mundwinkel sanken langsam ab, umso länger ich ihm eine Antwort schuldig blieb. „Ich will nicht sagen, dass du … nur weil du ein Omega bist…“ Es war beinahe belustigend, ihm dabei zuzusehen, wie er sich vollkommen in seinen Aussagen verhedderte, weil er offensichtlich dachte, dass ich mich nicht wertgeschätzt fühlte, wenn er mir einen Putzjob anbot. Ich wollte eigentlich nicht ständig in einer Nähe sein, aber wenn es ohnehin war, bevor er in die Stadt kam? Es wäre dumm gewesen, es abzulehnen, wo ich doch noch nie eine so feste Stelle gehabt hatte. „Wirst du mir einen Vertrag aufstellen und mir nur das bezahlen, was ich auch wirklich gearbeitet habe?“, stellte ich als Bedingung und hätte meinen Stolz wohl verfluchen sollen, doch er nickte nur begeistert. „2500 Yen pro Stunde“, hielt er dagegen und ist starrte ihn an. Das war fast das dreifache des Mindestlohns! Niemand der noch ganz bei Sinnen war, würde soviel für jemanden ausgeben, damit er bei ihm putzte! Jetzt war es wohl an mir, einem Auto Konkurrenz zu machen. „So… jede Woche zwei bis drei Stunden“, schlug er vor und ich brauchte erstaunlich lange, bis mir klar wurde, was er gerade ausgerechnet hatte. 4*2500*2=20000, 4*2500*3=30000. Er hatte meine Miete abgepasst. Ich konnte nicht einmal überrascht sein, dass sein Kopfrechnen sich so sehr verbessert hatte, weil ich mich im selben Moment bereits wieder schlecht fühlte. „1000 Yen pro Stunde“, meinte ich also. Das war immer noch über dem Mindestlohn. Natürlich kam ich dann auch nur auf 12000 Yen, wenn ich jede Woche 4 Stunden arbeitete, aber das war schon mehr als genug. „820 wäre der typische Lohn“, warf ich noch ein. Er blickte mich unglücklich an, aber ich hatte nicht vor nachzugeben. „1500“, versuchte er es noch einmal hoch zu handeln und war vermutlich der erste und einzige Arbeitgeber, den ich je haben würde, der mir möglichst viel bezahlen wollte. „Kein Mensch könnte in Tokyo von dem Mindestlohn leben.“ Das war… überraschend wohlüberlegt. Früher hatte er nie so gewirkt als würde etwas so Öffentliches für ihn überhaupt Sinn ergeben. Vielleicht war er doch älter geworden? Ich seufzte und nickte. „Ich kümmere mich um einen Vertrag!“, meinte er begeistert und ich versuchte mich ebenfalls an einem ehrlichen Lächeln. „Gibst du mir deine Handynummer?“ Zum Glück hatte ich überhaupt eine, die ich ihm geben konnte. Ein Prepaidhandy, das fast nie aufgeladen war. Ich nickte leicht und beobachtete dann, wie Bokuto sein Handy herauszog, neu, teuer. Schweigend tippte ich meine Nummer ein. War das wirklich das Richtige? Konnte ich für ihn arbeiten? Natürlich war es das Richtige, so ein Angebot nicht abzulehnen, aber mich plagten auch Zweifel. Er war derjenige, den ich meinen Alpha nennen sollte; derjenige, den ich einst geliebt hatte und der dann doch auch mein Herz gebrochen hatte. Kapitel 2: Erste Treffen und Kaffee-Dates ----------------------------------------- Erste Treffen und Kaffee-Dates Im Zug war es wieder einmal viel zu voll. Ich zog die Schultern ein und schob mich noch etwas mehr gegen die Scheibe, die die Türen vom Abteil trennte, während ich meine Musik noch ein bisschen lauter stellte. Die Lücke, die durch meine Bewegung entstanden war, wurde direkt von einem warmen Körper gefüllt. Ich hasste Zugfahren. Wieder einmal wünschte ich mir, dass ich doch nur ein bisschen näher an meinem Arbeitsplatz wohnen konnte, um auf anderem Weg dorthin zu kommen. Natürlich könnte ich das, wenn ich bereit wäre, bei einem Freund einzuziehen, der im selben Stadtteil eine Wohnung besaß– Ich verbot mir diesen Gedanken zu Ende zu denken, weil er trotz allem Widerstand, den ich diesem Gefühl entgegenstellte, ein schlechtes Gewissen auslöste. Es war nicht so, dass Kuroo es nicht mehr als einmal vorgeschlagen hatte… Ich lehnte es nur jedes Mal aus demselben Grund wieder ab: Ich wollte nicht von einem Alpha abhängig sein. Plötzlich griff eine Hand so deutlich nach meinem Hintern, dass es gar kein Versehen gewesen sein konnte und ich versteifte mich augenblicklich. In die Lücke hinter mir hatte sich ein anzugtragender Alpha geschoben und grinste mich schief an. „Ganz allein?“, fragte er laut genug, um es trotz meiner Musik zu hören, und ich war versucht mich zu übergeben. Der Geruch meiner gerade vergangenen Hitze mochte noch an meinem Körper kleben oder er war einfach so oder so ein perverses Arschloch, in jedem Fall war sein Verhalten widerlich. „Fassen Sie mich noch einmal an und der ganze Zug wird erfahren, dass Sie ein perverses Arschloch sind“, knurrte ich zurück. Der Typ schnalzte mit der Zunge und wagte es doch tatsächlich meinen Kopfhörer von meinen Ohren zu ziehen. „Was kann ich denn dafür, dass du nicht deine Pflichten erfüllst und dich von einem Alpha richtig durchnehmen lässt und dann Kinder für ihn in die Welt setzt?“ Ich war so kurz davor ihm eine reinzuschlagen, als die Türen vor mir aufgingen und ich auf den Bahnsteig hinausfloh. Wenn ich auf seine Provokationen einging, würde ich ihm nur das Gefühl haben, dass er recht hatte und diese Genugtuung würde ich ihm auf gar keinen Fall gönnen. Es war nicht meine Station, aber ich folgte dem Strom von Menschen ein ganzes Stück Richtung Ausgang, bevor ich mich zur Wand hin zurückzog. Eigentlich war ich bereits eher spät dran, aber ich würde dennoch auf den nächsten Zug warten. Ich setzte die Kopfhörer wieder auf und drehte die Musik noch einmal ein wenig lauter, während ich mein Handy herausnahm und durch meine Kontakte scrollte, um eine Nachricht an einen Kollegen zu schreiben. ‚Habe den Zug verpasst, nehme den nächsten, bin vielleicht ein paar Minuten zu spät. Tut mir leid.‘ Nicht ganz die Wahrheit, aber ich hatte schon oft genug das ganze zweites-Geschlecht-Drama an meinem Arbeitsplatz. Ich hätte meine Forschungsgruppe leiten können, wenn nicht alle mich darauf reduzieren würden, dass ich ein Omega war. Stattdessen kämpfte ich jeden Tag darum, dass ich mein Ding machen durfte und nicht für eine Sekretärin gehalten wurde. Und das, obwohl ich bei der Produktion des letzten Medikaments die entscheidenden Schwierigkeiten behoben hatte. Ich spürte wieder einmal die altbekannte Wut in mir und so war meine Stimmung ziemlich im Keller, als das Handy in meiner Hand sich mit einem Vibrieren meldete und eine Nachricht von besagtem Freund anzeigte, bei dem ich nicht in die Wohnung einziehen wollte, weil ich zu stolz war. Nicht der beste Ausgangspunkt für ein sinnvolles Gespräch mit ihm, bei dem ich nicht unnötig unhöflich zu ihm war… Dennoch öffnete ich den Chat, bevor ich mich wieder in die Reihe einreihte, die auf den nächsten Zug wartete, dieses Mal zwischen zwei Betas. ‚Was hältst du von Mittagessen zusammen?‘, schrieb er mit einem übertriebenen Katzensmiley hinter seiner Nachricht. Ich betrachtete die Nachricht lange und die letzte, die davor gekommen war. Eine halbe Woche hatte Funkstille geherrscht und irgendwie hatte ich ein schlechtes Gewissen deshalb, auch wenn ich das nie laut zugegeben hätte. Es war kein Geheimnis, dass Kuroo Interesse an mir hatte, nicht als Freund, sondern als Alpha, und ich mochte ihn und vielleicht hätte es sogar funktionieren können, wenn ich nicht alles daran hasste, ein Omega zu sein, und mehr als einmal klar gemacht hätte, dass ich ihn auf keinen Fall in meiner Nähe haben wollte, wenn ich meine Hitze bekam. Ich erinnerte mich noch genau, wie ich Kuroo das erste Mal getroffen hatte. Ich hatte mir vor der Arbeit Kaffee holen wollen – Ich brauchte morgens Kaffee, sonst war ich den ganzen Tag absolut unerträglich – und meinen üblichen Laden betreten. Die Schlange reichte beinahe bis zur Tür und mit einem Blick auf die Uhr wurde mir klar, dass ich es nicht mehr pünktlich zur Arbeit schaffen würde, wenn ich mich jetzt hier anstellte. Das hieß dann allerdings auch, dass ich nur das Pladderzeug von dem Automaten im Eingangsbereich des Labors haben würde und damit war der Tag eigentlich schon zu ziemlich gelaufen. Ich war versucht, trotzdem einfach zu warten, aber heute war eine Besprechung und wenn ich eine Chance haben wollte, bei dem neuen Projekt mitzuarbeiten, musste ich pünktlich sein. Also drehte ich mich wieder um, schob mich aus der Reihe heraus und wollte gerade zur Tür, als mir jemand in den Weg trat. Ein hochgewachsener Mann, wenn auch nicht ganz so groß wie ich, dafür aber ein ganzes Stück breiter mit ungekämmtem, dunklem Haar und einem schiefen Grinsen im Gesicht. Ein Alpha, ganz eindeutig. Konnte dieser Tag noch schlimmer werden? Ich machte mich gerade bereit für einen beschissenen Anmachspruch oder einen sexistischen Kommentar, als er mir einen Kaffeebecher entgegenstreckte. „Ich würde sagen, heute ist ein „Schwarz-Tag“.“ Ich runzelte die Stirn, versuchte einen Sinn in seinen Worten zu finden und wusste noch nicht einmal, ob ich jetzt beleidigt sein musste. Als ich gar nicht sagte, fügte er hinzu: „Der Kaffee. Er ist für dich.“ Nicht minder verwirrt starrte ich den Becher in seiner Hand an. „Schwarz, keine Milch, kein Zucker.“ Die Falte auf meiner Stirn vertiefte sich noch ein wenig. „Oder möchtest du doch lieber den Milchkaffee mit Macadamiasirup drin?“ Er hob einen zweiten Becher ein Stück an. „Du sahst aus als wäre heute einer der Tage, an denen du die Extramenge Koffein brauchst.“ Ich überlegte, ob jetzt der Moment war, an dem ich ganz schnell verschwinden sollte: Das waren die beiden Bestellungen, die ich in diesem Laden machte, was er offensichtlich wusste. War er ein Stalker? Er sah nicht aus wie ich mir einen Stalker vorstellte und eigentlich sprachen die einen doch auch nicht direkt an, oder? Er lachte leise und etwas gezwungen. „Es wäre wirklich gut, wenn du jetzt langsam etwas sagen würdest, denn sonst werden die Blicke unangenehm. Wenn du mich so anschaust, wirkt das so als hätte ich dich sexuell belästigt oder so. Ich möchte eigentlich gerne noch weiterhin hier Kaffee trinken und nicht bei allen regulären Kunden als Perversling verschrien sein.“ Seine Stimmlage passte nicht zu seinen Worten, aber ich war mir sicher, dass hinter dem Grinsen eine gewisse Unsicherheit verborgen lag. „Okay, hör zu“, begann er, als ich noch immer nichts sagte, unentschlossen, was er eigentlich von mir wollte. „Ich arbeite hier in der Nähe und hab dich schon oft hier im Laden gesehen vor der Arbeit und ja, ich habe beobachtet, was du so trinkst, aber nicht auf irgendeine gruselige Art, okay? Ich wollte dich einfach nur kennenlernen. Nimm einfach einen der Becher, bevor sie kalt werden?“ Langsam hob ich die Hand und griff nach dem Pappbecher, der nach seinen Worten schwarzen Kaffee enthielt. Was sollte schon passieren? Er konnte mich ja kaum mit dem Kaffee ausknocken wollen vor all diesen Menschen. Vielleicht war er tatsächlich nur nett gewesen, indem er mir etwas ausgab. Das war immerhin vermutlich die respektvollste Anmache, die ich je bekommen hatte. „Danke“, sagte ich langsam und nahm dann einen Schluck. Er hatte genau die richtige Trinktemperatur und war tatsächlich genau das, was ich gerade brauchte. Er seufzte erleichtert auf. „Ich dachte schon, du hättest deine Zunge verschluckt!“ Er nahm den zweiten Becher in die rechte Hand und hob ihn an die eigenen Lippen. Es war kaum zu übersehen, dass er seinen Kaffee nicht mit Milchschaum und Sirup trank, als er das Gesicht verzog. Belustigung zuckte um meine Lippen. Er war scheinbar extra früh gekommen, hatte meine beiden Kaffeebestellungen besorgt und auf mich gewartet. Es war irgendwie seltsam und vielleicht auch etwas besorgniserregend, wenn jemand so etwas tat, aber allem voran fühlte ich mich geschmeichelt. Es war… umsichtig und anders als ich es von Alphas gewohnt war. Dass die schwarze Flüssigkeit mich langsam durchströmte und meine Lebensgeister weckte, half dabei wahrscheinlich auch. „Mein Name ist Kuroo Tetsuroo“, stellte er sich vor, ein hoffnungsvoller Glanz in seinen Augen. Beinahe hätte ich mich hinreißen lassen können, ihn zu mögen, doch stoppte mich schnell. Er war ein Alpha und Alphas wollten alle nur das eine. Und das war ich nicht bereit zu geben. „Und ich muss jetzt zur Arbeit, Kuroo-san, danke für den Kaffee.“ Damit drehte ich mich um und ging mit dem Kaffeebecher in der Hand zu meinem Bürogebäude. Seine dunklen Augen sollten mich noch den ganzen Tag verfolgen. Auf dem Becher hatte seine Nummer gestanden, beinahe so als hätte er geahnt, dass ich ihn dort im Café stehen lassen würde, aber ich hatte ihn entsorgt ohne mich bei ihm zu melden. Als ich nach dem Wochenende wieder zur Arbeit ging und vorher meinen üblichen Zwischenstopp bei dem Café einlegte, hatte ich das Erlebnis schon fast wieder vergessen. Ich hatte einen Platz in der Forschungsgruppe bekommen, deren Mitarbeiter am Freitag bestimmt worden waren, aber nur mit Biegen und Brechen und kaum war ich nach Hause gekommen, hatte ich bemerkt, dass sich meine Suppressiver-Medikamente dem Ende zu neigten. Ich hatte meine Hitze wieder einmal bis zum letztmöglichen Termin hinausgezögert und es beinahe vergessen. Wenn es etwas gab, was ich im Moment nicht brauchen konnte, war es ein Grund, warum sie mich aus dem Team wieder rauswerfen könnten. Allerdings war es gefährlich, wenn ich mehr als die maximale Menge an Medikamenten schluckte. Es konnte erheblich und bleibende Schäden auslösen. Ich erforschte Medikamente, ich wusste, was das hieß, aber ich wollte unbedingt bei diesem Projekt mitarbeiten… Unaufmerksam und abgelenkt von düsteren Gedanken und Ideen lief ich beinahe in Kuroo hinein, der mit in den Weg trat. „Heute brauchst du definitiv Zucker“, stellte er fest und hielt mir einen Becher hin, seine Nummer in großen Buchstaben über den Becher verteilt und in kleineren auf den Deckel geschrieben. „Ich dachte, du hast sie beim letzten Mal einfach übersehen.“ Sein Grinsen war provokant und wenn meine Laune etwas besser gewesen wäre, hätte ich das insgeheim vielleicht sogar witzig gefunden, aber so griff ich nur nach dem Becher und versuchte, mich zumindest kurz auf ein Gespräch einzulassen. „Hast du in Betracht gezogen, dass ich dich vielleicht einfach nicht wiedersehen wollte?“, schlug ich vor und nahm einen großen Schluck von dem zuckrigen Genuss, der durch Milch und eine doppelte Menge an Sirup aus dem Kaffee wurde. „Nein“, antwortete der Dunkelhaarige selbstsicher. „Ich bin viel zu gutaussehend, um so abzublitzen.“ Meine Augenbraue wandert nach oben bis kurz unter meinen Haaransatz. Er lachte laut auf. „Genau so habe ich mir diesen Blick vorgestellt.“ Er nahm einen Schluck aus dem anderen Becher, vermutlich schwarz, denn auch auf diesem erkannte ich seine Nummer. Das schien deutlich besser zu sein als die Sirup-Mischung, aber auch jetzt schien es nicht perfekt zu passen. Irgendwie war ich neugierig, wie er seinen Kaffee wohl eigentlich trank, wenn er nicht gerade versuchte, damit Omegas aufzureißen. Ich steckte die Hand in die Tasche und zog eine 500 Yen-Münze heraus. Es war nicht der exakte Preis, aber es war ziemlich nah dran. Auf der flachen Hand hielt ich sie ihm hin. Ich mochte es nicht, in seiner Schuld zu stehen. Es fühlte sich an, als würde ich es dann wieder ausgleichen müssen, und dabei ging es dann wohl kaum um Geld, sondern um andere Gefälligkeiten, die er sich ganz schnell abschreiben konnte. Seine Augenbraue vollführte eine Bewegung ganz ähnlich meiner zuvor, als er die goldene Münze betrachtete, vielleicht unschlüssig, warum ich sie ihm anbot. „Ich habe nicht vor in deiner Schuld zu stehen. Ich bin dankbar, dass du für mich in der Schlange gestanden hast, um mir diesen Kaffee zu kaufen, aber ich habe nicht vor, dich bezahlen zu lassen“, erklärte ich, als er keine Anstalten machte, die Münze zu nehmen. „Also nimm das Geld. Wenn du willst, bezahle ich den von gestern auch.“ Seinen Blick in diesem Moment zu deuten fiel mir schwer. Kurz dachte ich, dass er gut im Pokern sein musste, so gut wie er seine Emotionen verstecken konnte. Da schien Belustigung bei zu sein, aber etwas viel Ernsteres überwog eindeutig, Skepsis und etwas, das irgendwie an Sorge erinnerte vielleicht? „In meiner Schuld stehen?“, wiederholte er dann. „Ich lade dich nicht zum Kaffee ein, damit du in meiner Schuld stehst. Wenn ich es aus irgendeinem Grund tue, dann weil ich hoffe, dass du dich bei mir melden wirst oder mir zumindest deinen Namen verrätst.“ Klang er verletzt? Wieso hatte jetzt plötzlich ich ein schlechtes Gewissen?! „Tsukishima Kei“, verriet ich ihm, bevor ich mich eines Besseren besinnen konnte. Seine Augen leuchteten auf und kurz erinnerte er mich an eine Katze. „Tsukishima-san“, rollte mein Name von seinen Lippen und ich konnte einen kurzen Moment nicht unterdrücken, dass es mir gefiel, wie es klang. Außerdem war ich positiv überrascht, dass er den Respekt hatte, mich mit meinem Nachnamen anzusprechen. Zu viele Alphas behandelten Omegas wie Kinder, benutzten ohne jede Erlaubnis ihre Vornamen oder eine Verniedlichungsform und waren einfach vollkommen respektlos. Vielleicht war er wirklich kein so schlechter Typ, für einen Alpha zumindest. „Schön dich kennenzulernen“, murmelte ich, ein wenig verlegen, weil ich mich bei unserem letzten Treffen nicht einmal vorgestellt hatte. Ich war besser erzogen als das, auch wenn man das manchmal vergessen mochte, wenn ich zynisch abblockte. Ich nahm noch einen Schluck vom Kaffee und betrachtete dann die Münze in meiner Hand, die ich gesenkt hatte und die sich jetzt doch irgendwie schwer anfühlte. Sollte ich sie wieder einstecken? „Du wirst nicht oft umworben, oder?“ Ich runzelte die Stirn. Umworben. Das klang wie ein Wort aus einem vergangenen Jahrhundert. Es flirteten oft Alphas mit mir, noch öfter machten sie mich auf abstoßende Art und Weise an, aber noch nie hatte ich das Wort umwerben für irgendetwas davon in Betracht gezogen. „Aus welchem Jahrhundert stammst du denn bitte?“, fragte ich skeptisch, um meine Verlegenheit zu überspielen, und beantwortete seine Frage damit wohl auch schon. „Okay, hör mal, wenn du dich wirklich nicht wohl damit fühlst, kannst du den Kaffee auch bezahlen, aber ich lade dich nicht ein, damit du mir etwas zurückbezahlen musst, schon gar nicht mit Sex.“ Er hatte mich vollkommen durchschaut und klang sehr ernst, während er sprach. „Ich weiß nicht, warum dein Bild von Alphas so schlecht ist, aber, ob du es glaubst oder nicht, Omegas und Alphas können auch einfach befreundet sein. Mein bester Freund aus Kindheitstagen hat sich in der Mittelschule als Omega offenbart und ich hatte nie einen Grund ihn deshalb anders zu behandeln als vorher. Und ich wollte ihn auch nicht sofort bespringen.“ Er legte gerade eine Menge offen und es war mir beinahe schon zu intim, aber ich schwieg und hörte zu. „Ich will nicht sagen, dass ich dich nicht deshalb angesprochen habe, denn ja, ich finde dich unglaublich attraktiv und ja, wenn es nach mir geht, könnten wir gerne mal zusammen im Bett landen, aber ich möchte dich vor allem als Menschen kennenlernen. Und wenn wir uns verstehen, können wir auch einfach Freunde sein, wenn du nicht mehr willst.“ Er klang ein wenig enttäuscht bei dieser Aussicht, aber er schien es ernst zu meinen, und sah mich jetzt eine Antwort erwartend an. Mein Mund fühlte sich vollkommen trocken an, denn eine Antwort auf diese Worte hatte ich nicht wirklich. „Die meisten Alphas sagen mir, ich wäre zu groß.“ Das war vermutlich das dümmste, was ich in dieser Situation hätte sagen können, aber mir fiel einfach keine bessere Erwiderung ein. Er lachte und ich ärgerte mich, mir diese Blöße gegeben zu haben. „Ich habe schon immer Herausforderungen gesucht“, grinste er und ich war mir sicher, was genau an meiner Größe die Herausforderung war und wollte es vielleicht auch gar nicht erfahren. Er blickte auf sein Handy und lächelte dann. „Du musst vermutlich los zur Arbeit und ich sollte mich auch auf den Weg machen. Wirst du dich bei mir melden?“ Ich gab einen undefinierbaren Laut als Antwort und prüfte die Uhrzeit auf meinem eigenen Telefon. Es war tatsächlich noch früh genug, um pünktlich bei der Arbeit zu sein, ohne dass ich mich beeilen musste. Er war beinahe zu aufmerksam. Es machte mich irgendwie unruhig, dass er sogar wusste, wie lange ich zur Arbeit brauchte, und zugleich schmeichelte es mir. Ich dachte sogar ehrlich darüber nach, mich bei ihm zu melden. Die Arbeit lenkte mich jedoch schnell davon ab und der Kaffeebecher landete irgendwann zwischen all meinen Versuchen, meine Position zu rechtfertigen, einfach in einem Mülleimer. Am nächsten Morgen betrat ich den Coffeeshop fast schon hoffnungsvoll, dass Kuroo da sein würde, und ich wurde nicht enttäuscht. Er lehnte an der Bar und grinste mir zu, deutete auf zwei Becher. Dieses Mal war die Nummer in Rot darauf geschrieben, vielleicht sogar noch größer als gestern. Ich unterdrückte ein schnaubendes Geräusch, das viel zu nah an einem Lachen gewesen wäre. „Und welchen Kaffee bekomme ich heute?“, fragte ich so gleichgültig wie ich irgendwie konnte. Kuroo musterte mich. „Schwarz und dazu einen dieser kleinen Kuchen?“, schlug er vor und schob zwei kleine Miniküchlein vor meinen Platz. Einer war braun und dick mit Schokolade überzogen, der andere war heller, Käsekuchen, rot marmoriert und der bloße Gedanke, dass es Erbeer-Käsekuchen sein könnte, ließ meine Laune steigen. Ich musste mich zurückhalten, nicht sofort danach zu greifen, sondern erst den Kaffeebecher anzunehmen. „Du könntest auch warten, bis ich hier bin, dann müsstest du nicht den anderen trinken“, schlug ich vor, mir durchaus bewusst, dass er nicht so begeistert davon war wie ich. Er winkte ab und nahm einen Schluck: „Ich gewöhne mich langsam daran.“ Er deutete an, dass ich mich zu ihm stellen sollte und ich ließ mich darauf ein, indem ich mich gegen die Bar lehnte. „Den Kuchen auch?“, fragte er dann nach und schob den Schokoladenkuchen ein Stück vor. Entweder ein Zeichen dafür, dass er erwartete, dass ich Schokolade bevorzugte, oder aber ein indirekter Wunsch danach, den anderen selbst zu essen. Ich beschloss es zu ignorieren und griff nach dem Käsekuchen. „Wenn ich darf?“, fragte ich der Höflichkeit wegen hinzu, aber konnte mich eigentlich wirklich nicht davon überzeugen, ihn zurückzugeben, falls er ihn wollte. Er nickte überrascht. „Das ist dir nicht zu süß?“, fragte er. Er wirkte interessiert dabei, so als wollte er mich wirklich kennenlernen. „Jeder hat seine kleinen Schwächen, oder?“ Ich zog genussvoll an der Ecke der Verpackung, damit sie sich von ihrem Inhalt löste und nahm mir die Zeit ihn richtig zu genießen. „Ich hätte nicht erwartet, dass du so etwas zugibst“, meinte er überrascht und nahm sich den Schokoladenkuchen. „Hast du eigentlich vor, mich hier jeden Morgen mit Kaffee abzufangen, bis ich mich melde?“, wollte ich nach einem kurzen Moment wissen, in dem wir beide aßen. „Wenn ich das muss, bin ich bereit, eine viertel Stunde Schlaf zu opfern, um pünktlich hier zu sein und mir immer auffälligere Aufschriften zu überlegen.“ Er schaffte es irgendwie gleichzeitig amüsiert und ernst zu klingen und ich wusste nicht genau, wie. „Und wenn ich das einfach ausnutze, um weiterhin kostenlosen Kaffee zu bekommen?“, hakte ich nach. „Gestern wolltest du mir das Geld noch zurückgeben, damit ich nicht für dich bezahle. Glaubst du wirklich, dass ich das für wahrscheinlich halte?“, konterte er. „Außerdem: Wenn du es wirklich nicht willst, musst du es nur sagen, dann höre ich auf, nur dass du es weißt.“ Nachdenklich betrachtete ich das letzte Stück Kuchen – wirklich Erdbeere – und überlegte, ob ich wollte, dass er aufhörte. Irgendwie machte es Spaß ihn hier zu treffen. „Was arbeitest du, Kuroo-san?“, fragte ich dann, anstatt mich festzulegen. Er wirkte überrascht aber ließ sich auf den Themenwechsel ein. „Ich bin Sportmediziner.“ Ich musterte ihn, um sein Alter einzuschätzen. Er war ziemlich jung für ein abgeschlossenes Medizinstudium, aber es war nicht unmöglich. „Ich arbeite mit Nationalspielern." Jetzt wollte er aber angeben, oder? „Aber nicht mit bekannten offenbar, was?“, grinste ich, denn dann hätte er direkt Namen genannt, da war ich mir sicher. „Volleyball ist einfach nicht beliebt genug, aber unser Team ist wirklich gut in den letzten Jahren!“ Volleyball also? Ich hatte wegen meiner Größe für ein paar Jahre gespielt, bevor klar wurde, dass ich ein Omega war, aber ich hatte mich nie wirklich dafür begeistern können, dafür war meine Erfahrung mit der „Sportkarriere“ meines Bruders zu schlecht gewesen. Aber vielleicht würde ich mal wieder reinschauen, wenn es lief… Ich leerte meinen Kaffee und betrachtete den Becher in meiner Hand. „Mal doch morgen mal etwas drauf, vielleicht schreib ich dir dann mal.“ Damit griff ich mir Becher und Kuchenverpackung und ging zum Mülleimer, ein Grinsen auf den Lippen. Am nächsten Morgen erwartete ich beinahe, dass Kuroo wieder auf mich warten würde, doch im Coffee-Shop war er nicht zu sehen, und ich musste mir meinen Kaffee allein kaufen. Irgendwie war ich enttäuscht. Hatte er bereits jetzt aufgegeben? Er hatte gestern deutlich entschlossener geklungen als das… Erst am Abend bemerkte ich die Servierte, die mir mit dem Kaffeebecher gereicht worden war und die ich einfach in meine Tasche gesteckt hatte. Darauf stand in leicht verwischter Tinte eine Telefonnummer und daneben eine grinsende Katze, die beinahe frappierende Ähnlichkeit mit dem Mann hatte, der für sie verantwortlich sein musste. Nachdenklich strich ich das Papier glatt, zog mein Handy heraus und fügte einen neuen Kontakt hinzu: Kuroo, mehr schrieb ich nicht in das Namensfeld, auch wenn ich kurz über einen dieser dummen Katzensmileys nachdachte, die man im Internet fand. In gewisser Weise war das ein Selbstschutz: Selbst, wenn jemand diesen Kontakt auf meinem Handy finden würde, würde derjenige, nichts mit dem Namen anfangen können. Dann holte ich das aufgewärmte Conbini-Essen aus der Mikrowelle und ließ mich auf den einen Stuhl fallen, der an dem kleinen Tisch stand, der Küche von Schlafbereich trennte. Ich sparte mir eine Menge Geld mit dieser kleinen Wohnung, mit dem ich vielleicht irgendwann ein eigenes Forschungsprojekt finanzieren könnte, und eigentlich war ich ohnehin nur zum Schlafen hier. Der einzige Besuch, den ich je bekam, war Yamaguchi und der lebte seit einigen Jahren mit seiner Frau mehrere Stunden entfernt, weswegen er immer seltener vorbeikam. Ich stellte die Plastikschale auf dem Tisch ab, hatte mir nicht einmal die Mühe gemacht, das Essen auf einen Teller zu geben, dann griff ich die Stäbchen und erinnerte mich dann, dass es vermutlich eh noch zu warm war. Also griff ich nach meinem Handy, das wie immer keine neuen Nachrichten hatte, und starrte meinen neusten Kontakt bei Line an. Hallo, Kuroo-san. Kurz wollte ich es dabei belassen, doch dann wurde mir klar, dass es vielleicht doch ziemlich unaussagekräftig war. Ich hatte kein Bild hochgeladen und mein Nutzername war mit einer wahllosen Buchstaben-Kombination auch nicht besser. Danke für die Servierte. Ich hatte das Handy kaum abgelegt, da leuchtete die Benachrichtigungsleuchte schon auf. Überrascht entsperrte ich es wieder. ch wusste es doch, du bist ein Katzen-Typ! Dahinter ein siegreich grinsender Smiley. Ich dachte kurz darüber nach, war aber eigentlich der Meinung, dass die ganze Katzen-Hunde-Typ-Sache ziemlich dumm war. Es kam noch eine zweite Nachricht an, während ich las. Ich freue mich, dass du dich meldest, Tsukishima-san. Ich musste einfach dein grausames Zeichentalent kommentieren. Ich grinste über meine schlagfertige Antwort und nahm die Stäbchen in eine und das Handy in die andere Hand. Wenn du so mit einem Stift umgehst, bin ich froh, dass du kein Chirurg geworden bist. Er ließ sich nicht provozieren und das war beinahe ein wenig enttäuschend. Tut mir leid, dass ich heute Morgen nicht da war. Das Team hatte ein Auswärtsspiel, aber meine Nachricht ist ja scheinbar doch angekommen, entschuldigte er sich stattdessen. Habt ihr gewonnen?, fragte ich und war überrascht, dass ich wirklich interessiert an der Antwort war. Die frittierten Hähnchen-Stücke schmeckten mir viel besser als sonst, auch wenn sie nach all den Stunden im Kühlregal schon etwas schlabberig waren. Ja. Das war die Antwort und ich runzelte die Stirn. Das war jetzt ein hartes Ende für das Gespräch gewesen. Es kam keine weitere Ergänzung und ich war zu stolz, um noch etwas zu fragen. Mein Handybildschirm wurde schwarz und ich konzentrierte mich auf das Essen vor mir. Mein Appetit war wieder vergessen. Stattdessen betrachtete ich die kleine Plastiktüte aus der Apotheke, die ich auf dem Tisch abgelegt hatte, und zog die Papppackung mit den Medikamenten heraus, die ich in der Mittagspause geholt hatte, nachdem mir neben den blöden Kommentaren von meinen Kollegen auch die ersten Anzeichen von Hitzewallungen zu schaffen gemacht hatten. Während ich jetzt unbegeistert in meinem Essen herumstocherte, musterte ich also die Packung Medikamente, die ich eigentlich erst nach meiner Läufigkeit wieder nehmen dürfte. War es denn so schlimm, wenn ich sie einmal durchgehend nahm? Einmal ist keinmal, sagte man doch, richtig? Natürlich wusste ich es besser, aber ich war bis spät in die Nacht im Büro gewesen, um meine Arbeit zu erfüllen, um zu beweisen, dass ich bereit war, alles dafür zu geben, egal wie viele Überstunden das bedeutete. Wenn ich diese Woche ausfiel, wäre alle meine Mühe wieder zunichte gemacht. Ich konnte ihre widerlichen Sprüche schon fast hören, dass ich genau deshalb nie eine führende Position in irgendeinem Projekt bekommen würde, und überlegte doch noch einmal, ob es das nicht wert war. War es nicht eigentlich egal? Ich wollte eh keine Kinder. Wenn es meine Fruchtbarkeit zerstörte, war das doch auch egal, oder? Vielleicht würde ich dann ja gar nicht wieder läufig werden. War das nicht ein guter Nebeneffekt? Die grüne Lampe an meinem Handy lenkte mich von den düsteren Gedanken ab. Tut mir leid, wir sind noch anstoßen und einer der Wing Spiker hat mir mein Handy weggenommen, weil ich zu abgelenkt war. Belustigt tippte ich eine Antwort. Deine Gesellschaft scheint eindeutig besser zu sein als die eines Omegas, der bereit ist, sich für die Arbeit, den Hormonhaushalt und die Geschlechtsorgane kaputt zu machen. Dann löschte ich alles wieder. Gratulation, ich will nicht bei eurer Feier stören. Dann wechselte ich den Chat zu Yamaguchis Namen. Hast du Zeit zum Reden? Kapitel 3: Trainingscamp ------------------------ Bokutos Wohnung war… erstaunlich normal, groß und wirklich gut gelegen. In einer Stadt wie Tokyo war sie vermutlich unbezahlbar, aber alles in allem wirkte sie… wie die Wohnung eines Junggesellen. Wenn man von der starken Verbreitung des Thema Volleyballs absah, gab es kein einziges Zeichen dafür, dass hier ein Profisportler lebte. Was aber fast noch überraschender war, war, dass es dafür, dass er hier gar nicht regelmäßig wohnte, unglaublich chaotisch war. Im Wohnzimmer lagen Sportklamotten, die dringend eine Wäsche brauchten, in der Küche und auch sonst überall in der Wohnung standen Schalen herum, die eigentlich nur den Weg in die Spülmaschine hätten finden müssen. Packungen von Instantrahmen, halb gegessene Chipspackungen, verteilt quer in der Wohnung, im Kühlschrank nur gähnende Leere. Alles wirkte unglaublich ungesund. Und selbst wenn ich gerade erst vor einer Woche da gewesen war, sah es in der nächsten Woche bereits wieder so aus. Bei dem ersten Termin hatte Bokuto mir ohne zu zögern einen Schlüssel gegeben und das mochte absolut naiv von ihm sein, aber es half mir auch dabei, den Profispieler in seiner Wohnung zu vermeiden. Es mochte feige sein, aber ich vermied es, ihn zu treffen. Seit kurzem spielte er wieder für eine japanische Mannschaft und lebte wieder dauerhaft in dieser Wohnung, sodass ich manchmal sogar zweimal in der Woche vorbeikam, wenn es nötig war. Es war der beste Job, den ich jemals gehabt hatte und doch war es an manchen Tagen einfach unerträglich, hier zu sein. Manchmal kam Shou nach der Schule hier her, wenn ich Bokutos Training wieder einmal so abgepasst hatte, dass er nicht zuhause war, und dann beschlich mich dieser Gedanke, dass das hier sein Leben hätte sein können, wenn ich nicht so egoistisch gewesen wäre, ihn bei mir haben zu wollen. Ich hasste diese Tage. Heute war ich vormittags in der Wohnung, machte gerade die Wäsche, und zwang mich nicht darüber nachzudenken, dass mich meine baldige Hitze um eine Woche Lohn bringen würde, während mein Sohn noch in der Schule war. Ich würde noch den Müll wegbringen müssen und vielleicht würde ich noch die riesige Glasfront putzen, damit der Blick über die Stadt wieder klar wäre, als plötzlich ein Schlüssel in der Wohnungstür kratzte und ich wie erstarrt stehen blieb. Laut kam Bokutos Stimme von der Tür. „So ein Unsinn, Kuroo! Wenn Batman Volleyball spielen würde, wäre er definitiv besser darin als Superman!“ Eine zweite Stimme antwortete ihm: „Superman ist superschnell und superstark, Bo, denk doch mal nach!“ Für einen Moment fragte ich mich, wie ich am schnellsten verschwinden könnte, achtete gar nicht auf das sinnlose Gespräch am Eingang und wusste doch, dass es keinen anderen Ausgang aus der Wohnung gab als an ihrem Besitzer vorbei. Es war der Fremde, der bemerkte, dass etwas anders war und das Streitgespräch unterbrach: „Ist jemand hier? Das sind nicht deine Schuhe.“ Der Gedanke von Bokuto in meinen für ihn winzigen Schuhen wäre wohl amüsant gewesen, wenn ich nicht nur ein Ziel bei meiner ganzen Tagesplanung gehabt hätte: Nicht dem Vater meines Sohnes begegnen. Ich konnte die Zahnräder in Bokutos Kopf beinahe aus dem Flur heraus rattern hören, als er nachdachte und war gerade noch schnell genug, mir ein Handtuch um die Schultern zu legen, um das Mal zu verbergen, bevor die Tür aufging und der Wohnungsbesitzer strahlend hereinkam: „Akaashi! Ich hab‘ dich so oft verpasst! Endlich treffen wir uns einmal!“ Ich teilte seine Begeisterung nicht. „Hallo, Bokuto-san.“ Hinter ihm betrat ein zweiter Alpha den Raum, dunkles Haar, das aussah, als hätte er gerade erst sein Bett verlassen und ein neugieriger Blick in seinen Augen. Kurz starrten wir uns an. Er sah aus als würde ihm mein Name etwas sagen. Mir sagte seiner leider nichts. Es dauerte einen langen Moment, bevor Bokuto unseren Blickwechsel bemerkte und er sich an seine Manieren erinnert. „Akaashi, das ist Kuroo Tetsuroo. Er arbeitet bei meinem Team als Sportarzt und Chiropraktiker. Wir haben früher gegeneinander Volleyball gespielt!“ Und tatsächlich war mir sein Gesicht dann doch nicht mehr völlig unbekannt. „Kuroo, Akaashi.“ Ich wurde nicht weiter erklärt, aber der Blick sagte sowieso bereits, dass von mir gesprochen worden war. Bokuto trug sein Herz auf der Zunge, also hatte er vermutlich jedem von meiner Situation erzählt. „Freut mich“, meinte ich kurz angebunden und sah mich dann um, um einen Grund zu suchen, jetzt zu gehen. „Die Wäsche ist noch in der Waschmaschine, aber wenn es in Ordnung ist, würde ich jetzt schon gehen? Dann kann ich noch einkaufen gehen. Sonst ist alles fertig.“ Es war eine glatte Lüge, aber das wusste ja keiner. Bokuto wirkte enttäuscht und ich bemerkte, dass ich mein Handtuch jetzt würde weglegen müssen und tat es widerwillig. „Ich kann sie aufhängen, kein Problem.“ Und wieder einmal schienen seine Haarspitzen abzusinken. Eilig griff ich mir den Umschlag mit dem Geld, das er für mich bereitlegte und suchte den Weg an ihnen vorbei, der am weitesten entfernt wäre, um zu meiner Tasche zu kommen. Gerade als ich an ihm vorbei war, hielt er mich auf und wollte noch meinem Handgelenk greifen. Ich zuckte zusammen und er stoppte, bevor er mich berührte. „Warte!“, forderte er dennoch. „Da ist noch etwas.“ Nervös drehte ich mich zu ihm um. Kuroo beobachtete uns, sagte aber nichts, während Bokuto rumzudrucksen begann. „Es ist kein Mitleid, ja?“, versicherte er mir. „Aber es sind bald Sommerferien?“ Ich verstand nicht, worauf er hinauswollte, aber wollte wirklich gerne bald gehen. „Shou hat doch von seinem Trainingscamp erzählt…“ Jetzt spannte ich mich an und ich wollte bereits etwas dazu sagen, denn ich wollte nicht, dass er es bezahlte – Irgendwie steckte er sowieso in jeden Umschlag ein bisschen zu viel Geld! –, aber er ließ mich nicht. „Lass mich ausreden“, verlangte er, „Ich will es nicht bezahlen oder so, aber ich hab‘ doch von dem Projekt mit den Mittelschul- und Highschoolteams erzählt?“ Ich nickte kaum merklich. „Wir bieten so etwas in den Schulferien noch einmal an und eigentlich ist es erst ab 10 Jahren, aber ich könnte ein gutes Wort einlegen und es ist eh kostenlos und niemand muss mehr machen als er kann und–“ Bokuto hatte nicht geatmet bisher und redete immer schneller, bevor er jetzt Luft holte und zum Punkt kam. „Ich würde ihn gerne auf die Liste setzen?“ Unruhig zuckten meine Finger an meinem Hosenbein, als ich mir deutlich bewusst über Kuroos Blick wurde und wusste, dass ich nicht einfach ablehnen konnte, wenn jemand dabei war. Dennoch war ich hin und hergerissen. „Er ist noch keine acht“, sagte ich langsam, aber nicht besonders überzeugend. „Wenn es zu viel für ihn wird, kann er sich einfach ausruhen!“, versprach mit Bokuto aus großen Augen. „Wenn es hilft, hole ich ihn auch ab und nehme ihn mit zur Sporthalle und bringe ihn abends nach Hause und–“ Ich stoppte ihn, bevor er wieder übereifrig wurde. „Ich kann ihn bringen und wieder abholen, das ist kein Problem.“ Ich wusste zwar nicht, wo genau es war, aber ich würde das schon hinkriegen. „Ist das ein Ja?“ Er strahlte über das ganze Gesicht und ich wusste, dass ich jetzt nicht mehr zurückkonnte. „Ich werde ihn fragen.“ Aber wir wussten beide, wie seine Antwort sein würde. Bokuto war sein Idol und er liebte Volleyball und wollte unbedingt besser werden, damit sein Team ihn anerkannte und ich wollte ihm ja auch die Möglichkeit dazu geben. „Toll!“, rief der Profispieler aus, als wäre ihm selbst gerade eine neue Anstellung angeboten worden und dann kehrte unangenehme Stille ein und ich blickte zu meiner Tasche, bevor ich mich verabschiedete und danach griff. „Ich werde nächste Woche nicht kommen können“, sagte ich unwohl mit der Situation zu dritt. „Vielleicht kannst du mir Datum und Ort einfach schicken?“, schlug ich vor und hoffte sehr, dass er die Gründe ohne Nachfragen verstehen würde. Er tat es, auch wenn sein Blick plötzlich seltsam und undeutbar wurde. „Das werde ich“, versicherte er mir und ich verabschiedete mich noch kurz von Kuroo und eilte dann nach Hause, wo Shou erst einige Stunden später von seinem Ferienprogramm erfahren würde.   Natürlich war mein Sohn außer sich vor Freunde, also brachte ich ihn zwei Wochen später mit dem Bus durch die halbe Stadt zu der großen Sporthalle, die sie für das Ferienprogramm nutzten. Ich wusste, dass der Geruch meiner Pheromone noch immer auf mir lag und auch ein Deo es nicht hätte überdecken können, aber ich nahm es schweigend hin, wenn im Bus oder auf der Straße die Nasenflügel von Alphas sich weiteten und sie mich mit hungrigen Blicken ansahen. Shou merkte nichts davon, war noch zu jung, um Zeichen seines eigenen zweiten Geschlechts zu zeigen oder eine veränderte Wahrnehmung zu entwickeln und ich versuchte ihn nicht damit zu belasten. Die letzte Woche war schon schwer genug für uns gewesen. Wir hatten nur ein Zimmer und die Medikamente, um die Symptome zu unterdrücken, waren bei weitem zu teuer für mich. Also bereitete ich Essen für mehrere Tage im Voraus vor und verbrachte viel Zeit im Badezimmer, auch wenn es alles andere als bequem war. Wie gern hätte ich eine heiße Dusche genommen, um meine Muskeln zu lösen, wie gern eine kalte, um den Schweiß von meinem Körper zu waschen, doch Wasser war teuer und so duschte ich nur kurz, bevor ich mich abends zu meinem Sohn ins Bett legte, der wohl noch nicht annähernd verstand, was ich dort eigentlich tat und warum ich es tun musste. Vor der Sporthalle hatten sich Gruppen von Kindern und Teenagern gesammelt, einige in den Jacken ihrer Sportclubs und alle so viel größer als mein kleiner Sohn. Ich machte mir Sorgen, wenn ich das jetzt so sah, doch nie hätte ich es übers Herz gebracht, es ihm jetzt noch zu verbieten. Außerdem waren das ja hier die Highschool-Schüler, richtig? Einige der Mittelschüler mussten doch eher seine Größe haben? Shou zog mich an der Hand in Richtung Eingang, ungeduldig und aufgeregt und so stolz, dass er seinen Teamkameraden in der Schule nach den Ferien davon erzählen könnte, was er gemacht hatte und vor allem, wen er getroffen hatte. Drinnen war es bereits laut, Stimmen überschlugen sich und Turnschuhe quietschten auf dem Hallenboden. Ich war froh, dass ich Shou schon zuhause seine Sportsachen hatte anziehen lassen, sodass wir nur unsere Schuhe am Eingang zurücklassen mussten und dann mit der Sporttasche über meiner Schulter den Weg zu der Halle hinab finden konnten. Auf den einzelnen Feldern machten sich einige junge Erwachsene warm, spielten einander zu oder machten Angaben gegen die Wand. Doch mein Ziel war leicht zu entdecken: An einer der langen Seiten der Halle standen in ihren Uniformen die Spieler der Nationalmannschaft, groß und unübersehbar. Sie unterhielten sich leise, doch einer schien zu viel Energie zu haben, um stillzustehen, wippte auf seinen Ballen auf und ab, und auf ihn steuerte ich zu, weil ich sonst einfach nicht wusste, wohin mit meinem Sohn. Zögerlich näherte ich mich ihm, Shou, der sich mit riesigen Augen umsah, hatte kein Problem mit dem plötzlich viel langsameren Tempo. Ich fühlte mich komisch so auf Bokuto zuzugehen, wenn ich jetzt darüber nachdachte. Er wirkte wie ein Star und ich erschien mir selbstcunwürdig, wenn ich so beobachtete, wie all die jungen Spieler ehrfürchtig Abstand hielten und ihre Vorbilder lieber aus der Ferne beobachteten als sie anzusprechen. Dann traf ich Kuroos Blick, der sich von einem Platz auf einer Bank aus aufmerksam umsah, und konnte zusehen, wie er seinen Freund auf die Schulter tippte. Dieser zuckte kurz erschrocken zusammen, blickte zu dem Schwarzhaarigen und dann trat ein Strahlen in seine Augen, das ich ganz sicher nicht verdiente. Einem Flummi nicht ungleich und mit einem beinahe peinlichen Geräusch kam er eilig auf mich zu und winkte. Seine Teamkollegen bemerkten es natürlich und blickten ebenfalls in meine Richtung. Ich wand mich ein bisschen unter der plötzlichen Aufmerksamkeit. „Akaashiii!“ Dann blieb er vor mir stehen und grinste breit. „Shou!“ Er winkte zu dem Jungen hinab, der sich ein wenig zögerlich hinter mir verbarg, aber zögerlich hervorkam, als Bokuto in die Hocke ging. Bokuto hielt ihm eine Hand hin und nach kurzer Unsicherheit schlug mein Sohn bei ihm ein. „Schön, dass du da bist!“ Wie immer, wenn sie sich so nahe waren, versetzte es mir einen Stich und ich schluckte, als Bokuto zu mir auf grinste. „Ich hatte ehrlich gesagt etwas Sorge, dass du es dir anders überlegst.“ Er klang so als wäre das die größte Enttäuschung, die er sich vorstellen konnte, und wenn nicht Shou seit ich ihm davon erzählt hatte, von nichts anderem mehr gesprochen hätte, wäre ich vielleicht heute wirklich nicht gekommen, besonders weil ich wusste, dass der Geruch der Hitze noch an mir klebte, doch Bokuto schien das nicht einmal zu bemerken. Es war erfrischend, dass er mich nicht darauf reduzierte. Dennoch hatte ich die Arme vor der Brust verschränkt, eine Abwehrhaltung, die mein Körper inzwischen nur allzu gut kannte. Ich hatte beobachten können, wie Shou sie nachahmte, wenn er spürte, dass ich mich in einer Situation unwohl fühlte, doch gerade zeigte er nichts davon. Er lächelte und wirkte so glücklich wie lange nicht mehr. Bokuto hatte ihm irgendetwas erzählt, seine Stimme wie ein Wasserfall, doch ich hatte sie ausgeblendet, während ich mit meinem schlechten Gewissen rang. „Willst du die anderen Spieler kennen lernen?“, rissen mich Bokutos Worte dann aber aus den Gedanken und ich war mir nicht sicher, ob er mit Shou, vor dem er immer noch hockte, oder mit mir sprach. Ich wollte abblocken, wollte sagen, dass ich zur Arbeit musste und dass ich Shou später abholen würde, doch meine Zunge war zu träge und so war der Profispieler vor mir aufgesprungen und hatte nach der Hand meines Sohnes gegriffen, um ihn dorthin mitzunehmen, wo seine Teammitglieder warteten, nicht wenige bekannte Gesichter aus seiner Schulzeit, die ich bei jenen Spielen, die zu unser Schulzeit in Tokyo stattgefunden hatten, längst gesehen hatte. Shou blickte über seine Schulter zurück und winkte nach mir und ich wusste, dass meine Chance dieser Begegnung zu entkommen, längst vergangen war. Also folgte ich ihnen und war sogar bereit, zumindest einen Arm so zu senken, dass der zweite, die Hand am Oberarm des anderen, quer über meiner Brust lag, und nicht länger beide beschränkt waren. Wohler fühlte ich mich deshalb nicht unbedingt und ich massierte unruhig den Muskel dort, der wohl nicht einmal halb so ausgeprägt war wie Bokutos, den man – nicht nur ich! – enorm gut ansehen konnte unter den kurzen Ärmeln des Trikots. „Ich wusste nicht, dass Bokuto einen Omega hier in Tokyo hat“, waren die ersten Worte, die ich hören konnte, als wir die Gruppe der anderen Spieler erreichten, die sich inzwischen fast alle zu uns umgedreht hatten. Am liebsten wäre ich im Boden versunken. Es war einer der beiden Zwillinge mit dem fragwürdigen Charakter „Und ein Kind“, antwortete ihm sein Bruder und war nicht unbedingt darauf bedacht, dass ihn niemand hörte. Bokuto jedenfalls schien es einfach zu ignorieren. Stattdessen flötete er eine Vorstellung. „Das sind Akaashi und sein Sohn Shou.“ – Ich war mir sicher, dass jemand mit einem skeptischen Heben einer Augenbraue das ‚sein‘ wiederholte, fragend – „Er hat mir in der Highschool Nachhilfe in so ziemlich allem gegeben. Eigentlich hab‘ ich vermutlich nur dank ihm meinen Abschluss geschafft.“ Er lachte. Niemand sonst schien es witzig zu finden. „Tut mir leid dafür. Wenn ich mir etwas weniger Mühe gegeben hätte, hätte ich ihn euch vielleicht ersparen können.“ Ich war selbst erschrocken davon, wie trocken diese Worte meinen Mund verließen. Es war nicht so, dass ich sowas nicht oft dachte, aber normalerweise sprach ich es nicht aus. Der Schock, der mir aus den Augen der Anwesenden – außer Ushijima Wakatoshi, der immer stoisch geradeaus zu starren schien als wäre er eine gruselige Schaufensterpuppe – entgegenschlug, musste sich in meinen eigenen widerspiegeln, doch er wurde von einem irgendwie katzenhaften Lachen aus Kuroos Mund unterbrochen, in das Bokuto einstimmte als hätte ich ihn gerade nicht total beleidigt. Vielleicht hatte er es auch wirklich nicht so verstanden, denn wirklich bösartig waren meine Worte eigentlich nicht gemeint. „Spitze Zunge für einen Omega“, kommentierte jemand und ich machte mir nicht die Mühe, mich umzudrehen. Ich war es gewöhnt, dass Alphas so sprachen und genau deshalb sprach ich solche Gedanken normalerweise nicht aus. „Er riecht überhaupt nicht nach dir, Kotarou“, kommentierte jemand weiter und ich konnte sehen, wie sich einige Nasenflügel bewegte, um meinen Geruch genau aufzufangen. Ich bohrte mir die Finger in den Arm, um nicht einfach loszulaufen. Wenn ich es gewagt hätte, durch die Nase zu atmen, war ich mir sicher, dass mich der Geruch nach Alphas in dieser Sporthalle überwältigt hätte. Nicht ohne Grund hatte ich mir am Morgen etwas parfümierte Creme unter der Nase verteilt. Ich war durch den Gefährtenbiss weniger empfindlich geworden, doch eine Halle voller Sportler wäre selbst dann für mich zu viel geworden, besonders in den Nachwehen meiner Hitze. Jemand lachte und noch bevor er den Mund geöffnet hatte, ahnte ich bereits, in welche Richtung seine Worte gehen würden. „Solltest dir mehr Mühe geben, ihn durchzunehmen, wenn wir schon einmal im Land sind.“ Innerhalb von Sekunden passierten zwei Dinge auf einmal in meinem Körper. Das erste war eine bewusste Entscheidung, meinem Sohn ganz eilig die Ohren zuzuhalten, damit er die vulgären und sexistischen Worte nicht hörte. Das zweite war, dass ich mich impulsiv zu dem Sprecher umdrehte. Und wenn Blicke hätten töten können, hätte die Nationalmannschaft jetzt wohl einen Spieler weniger gehabt. Ich schaffte es tatsächlich, dass er kurz zusammenzuckte, war mir nicht sicher, ob das Fauchen, das ich zu hören glaubte, tatsächlich meiner Kehle entstammte. Meine Gedanken überschlugen sich und alles an meiner Haltung musste ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ schreien, denn niemand sagte für einen Moment ein Wort. Dann war da eine Hand an meiner Schulter und ich wusste, dass nur einer diese Geste wagen würde. Ich zuckte unter den Fingern weg und blickte auf seine Finger als wären sie eine Waffe, die auf mich gerichtet war. Verteidigend hob er sie an. „Ich muss los“, brachte ich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und ich spürte, dass Shou ungeduldig an meinen Händen zog, die noch immer seine Ohren bedeckten. „Ich muss arbeiten.“ Ich widersetzte mich noch kurz dem Druck an meinen Fingern. „Pass ja auch meinen Sohn auf. Ich hole ihn heute Abend ab.“ Dann ließ ich los, als Shou gerade zu quengeln begann: „Mama!“ Ich hockte mich zu ihm und alle Anspannung wich aus meinen Zügen, als ich sein Gesicht in meine Finger nahm. „Tut mir leid, Baby. Mama muss jetzt los, aber ich hole dich nachher ab, ja? Du hast eine Bentobox in deiner Tasche und eine Flasche Wasser. Füll sie dir am Wasserspender auf, wenn sie leer ist und vergiss nicht zu trinken.“ Ich strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn, plötzlich von Angst erfasst, ihn für einen ganzen Tag aus meinen Augen zu lassen. „Überanstreng dich nicht und ruh dich lieber aus, wenn du müde bist, okay? Du musst nicht alles schaffen, was die Älteren schon können.“ Dann presste ich meine Lippen auf seinen Scheitel und schloss kurz die Augen, versank nur im milden Geruch meines Sohnes, der mich an das Meer erinnerte, das mein Sohn doch noch nie gesehen hatte. Es beruhigte mich und ich konnte all die Blicke, die auf mir lagen, ignorieren, wenn ich ihn roch. Ihn, der doch wie eine sanftere Kopie seines Vaters roch. „Ich hole dich heute Abend ab!“ Er lächelte, vielleicht ein wenig unsicher von meinem seltsamen Verhalten, aber nickte. „Ich passe auf, versprochen.“ Dann umarmte er mich fest und ich trennte mich von ihm, als er einen Schritt nach hinten machte. „Ich habe mein Handy dabei, falls etwas ist“, meinte ich noch mit einem kurzen Blick zu Bokuto, dann machte ich auf dem Absatz kehrt und versuchte die Halle zu verlassen, ohne zu zeigen, was mich die Anwesenheit so vieler Alphas an Energie gekostet hatte. Draußen lehnte ich mich für einen Moment kraftlos gegen die kühle Wand des Gebäudes und holte zitternd Luft. Wenn ich mit Bokuto allein war, war es so leicht zu vergessen, dass nicht alle Alphas so waren wie er. Mit eiligen Schritten machte ich mich auf den Weg zur Arbeit, Inventur in einem großen Einkaufszentrum. Die monotone Arbeit würde mich hoffentlich von all den Gedanken ablenken, die mich verfolgten, wenn ich daran dachte, dass Bokuto eines Tages sein Recht an meinem Sohn einfordern könnte und ich ihn dann nie wieder sehen würde. Kapitel 4: Gerüche ------------------ Natürlich hatte Yamaguchi Zeit gehabt und natürlich hatte er es geschafft, mich davon abzuhalten, alle meine Tabletten auf einmal zu nehmen. Meine Gesundheit war wichtiger als meine Karriere, auch wenn ich dagegen oft zu argumentieren versuchte. Freinehmen hatte ich mir dennoch nicht wollen, also betrat ich den Coffeeshop am nächsten Morgen trotz beginnender Kopfschmerzen. Ich stellte mich in die Schlange ohne aufzublicken, aufgebracht, weil ich einfach niemanden sehen wollte und alles zu hell war und ich meinen Körper dafür hasste, dass er sich für Migräne als Vorboten für meine Hitze entschieden hatte. Konnte ich nicht Heißhungerattacken haben wie jeder andere Mensch auch? „Hey, du denkst doch nicht, dass du dir deinen Kaffee wieder selbst kaufen musst, nur weil du mir jetzt geschrieben hast“, riss mich plötzlich Kuroos Stimme aus meinen Gedanken und hielt mir bereits einen Becher entgegen. Ich fragte gar nicht mehr, was er enthielt, und nahm einen großen Schluck, selbst wenn ich mir dabei die Zunge verbrannte. Schwarz und bitter, genau so wie ich mich fühlte, perfekt. „Du riechst heute verdammt gut“, meinte Kuroo plötzlich, als ich ihn zu einem der Tische begleitet hatte, kaum ein ‚Hallo‘ für ihn übrig habend. „Noch besser als sonst, meine ich.“ Ich spannte mich an. Alphas bemerkten so viel schneller als alle anderen die Veränderungen, die mit der Läufigkeit kamen. Meine Laune wurde noch schlechter in dem Bewusstsein, dass er mich jetzt gleich anmachen würde und alle Freundlichkeit von zuvor vergessen wäre. Vielleicht hatte er mich wirklich kennenlernen wollen, aber wenn ein Omega läufig wurde, hatte er doch in den Augen der Alphas ohnehin nur noch eine einzige Aufgabe: Auf dem Rücken liegen und die Beine spreizen. Mein Gesicht mochte meine Gedanken verraten haben, in jedem Fall aber bewies Kuroo noch einmal sein Geschick darin, Menschen zu lesen, denn ein wissender Laut verließ seinen Mund, als ich wortlos meine Abneigung deutlich machte. „Hättest du dir dann nicht lieber freinehmen sollen?“, schlug er nach einem kurzen Zögern vor und ich hätte mich übergeben können, so sehr hasste mich seine blöde irgendwie einfühlsame Art. Offiziell musste mir mein Arbeitgeber freigeben, doch die gaben im Allgemeinen einen Scheiß darauf, was in irgendwelchen Gewerkschaftstexten stand. „Wenn ich meine Anstellung behalten will, arbeite ich solange ich kann“, knurrte ich beinah. Ich war gar nicht sauer auf ihn. Immerhin konnte er ja letztlich nichts dafür, aber ich war sauer auf meine Biologie und auf seine Biologie ebenfalls, denn auch wenn ich es nicht laut sagen wollte: Ich mochte seine Gesellschaft und ich hatte absolut keine Lust mir ein neues Café für meinen Kaffee am Morgen zu suchen. Er runzelte die Stirn, ich starrte meinen Becher an und nahm einen großen Schluck, während ich noch auf das sexistische Angebot wartete, das ich wohl gleich bekommen würde. „Ich habe Migräne“, brummte ich, als er es immer noch nicht einfach sagte und versuchte trotz seiner Temperatur schnell meinen Kaffeebecher zu leeren. Er griff nach meiner Hand und zog mich aus dem Laden und meine Alarmglocken hätten wohl schon ausgeschlagen, wenn mein Kopf nicht so gedröhnt hätte, als er mich in eine schmale Gasse neben dem Gebäude zog. Dann, geschützt vor neugierigen Blicken, zog er mich dicht an sich und entblößte mir seinen Nacken. Ich war ein wenig zu groß, um von selbst auf der richtigen Höhe zu sein, aber ich konnte ihn auch so ganz eindeutig riechen, angenehm, kühl und sauber, ein wenig wie Minz-Zahnpasta, aber gleichzeitig auch wie Schokolade mit einem brennenden Unterton. Es war eine seltsame Kombination, aber meine Kopfschmerzen schienen augenblicklich ein wenig besser zu werden. Ich spannte mich dennoch in seinem Griff an, zerquetschte den zum Glück leeren Kaffeebecher in meiner Hand beinahe bis zur Unkenntlichkeit. Kuroo ließ mich los, blieb aber dicht bei mir stehen, sodass mir sein Geruch weiterhin in der Nase blieb, so wie er seinen Nacken zur Seite gestreckt hatte, um ihn mir zu entblößen. Es war eine Geste, wie sie sonst von Omegas erwartet wurde und es war befremdlich für mich, sie an einem Alpha zu sehen, doch ich hatte jetzt die Möglichkeit von ihm wegzutreten, wenn ich es wollte. „Komm schon“, meinte der dunkelhaarige Alpha vor mir jedoch. „Ich will dir nur mit den Kopfschmerzen helfen. Hast du noch nie Gerüche ausgetauscht?“ Hatte ich noch nie, nur um das klarzustellen. Alle Alphas, die mir kurz vor meiner Hitze begegnet waren, hatten mich immer direkt in ihr Bett komplimentieren wollen, wenn man es denn überhaupt so nennen konnte. Meine Eltern waren Betas, genauso wie mein Bruder und selbst wenn sie etwas anderes gewesen wären, hätte ich ihnen kaum nahe genug gestanden, um mich von ihren Gerüchen beruhigen zu lassen. Es war eine intime Geste und ich kannte Kuroo eigentlich nicht gut genug dafür, aber mein Kopf fühlte sich noch immer an als würde er gleich aus allen Nähten platzen, und der kühle Geruch schien die Hitze vertreiben zu können, wie kein Medikament es je gekonnt hätte und langsam senkte ich mein Gesicht in seinen Nacken hinab, um den Geruch tief einzuatmen. Mein eigener Nacken streckte sich dabei auf eine Art wie ich es mir nie zuvor erlaubt hatte, doch Kuroo nutzte es nicht aus. Er blieb einfach stehen und ließ mir die Zeit, die ich braucht, bevor ich mich wieder löste, endlich in der Lage, meine eigenen Gedanken wieder klar zu hören. Meine Wangen glühten, als ich mich zurückzog, doch Kuroo kommentierte es nicht und als ich den Blick auf ihn hob, sah ich, wie angespannt er war, die Hände zu Fäusten geballt und beinahe erwartete ich, dass seine Hose sich peinlich über seinem Schritt spannen würde. Sie tat es nicht, doch im Gegensatz zu mir hatte ihn dieser Prozess eindeutig nicht entspannt. Hätte ich ihm doch anbieten sollen, dass auch er sein Gesicht an meinem Hals vergraben konnte, wenn auch nur für einen kurzen Moment? Ich hörte, wie er langsam ausatmete und seine angespannten Muskeln ein wenig löste. „Wenn du willst kannst du…“ Er machte eine etwas ungelenke Bewegung mit seinen Händen, bei der seine Handballen aneinander rieben, scheinbar unfähig in Worte zu fassen, was er ausdrücken wollte. Ich verstand es auch so. Er wollte mir anbieten meine Hormondrüse gegen seine zu reiben. „Es würde deinen Geruch unterdrücken und du hättest länger etwas von… meinem Geruch bei dir? Gegen die Migräne, meine ich…“ Seine Wangen wurden rot und ich war mir sicher, dass es ihm ebenso unangenehm war wie mir. Vielleicht hätte ich es nicht annehmen sollen, doch wenn ich an den Tag dachte, der noch vor mir lag, schien mir jegliche Erleichterung gut und so nickte ich leicht, fuhr mir mit der Hand über den Nacken, bevor ich wieder auf ihn zutrat. An für sich passten wir erstaunlich gut aneinander was unsere Größen anging, auch wenn ich mich ein wenig vorlehnen musste, um meinen Nacken gegen seinen zu drücken. Ich starrte die graue Hauswand vor mir an, während ich mich zögerlich an seiner Schulter festhielt und auch er nach kurzem Zögern meine griff, eine leicht kreisende Bewegung initiierend. Es fühlte sich peinlich an, so etwas in einer kleinen Straße neben einem Café zu tun, so als würde man sich in der Öffentlichkeit entblößen und so musste ich Kuroos Angebot noch ein wenig mehr anerkennen. Immerhin hatte er das hier absolut nicht nötig. Er bekam hieraus nichts außer vielleicht einen leichten Hauch von Omega-Pheromonen, die allzu bald wieder verfliegen würden. Ich hingegen hätte voraussichtlich noch einen ganzen Tag Ruhe vor Migräne. Noch einen Moment genoss ich das wohlige Gefühl, das seine Nähe in mir auslöste, dann gewann ich die Kontrolle über meinen Körper zurück und löste mich von ihm, zupfte verlegen an meinem Hemdkragen und wich seinem Blick aus. „Danke“, nuschelte ich beinahe und fühlte mich doch besser als seit Tagen. Es war frustrierend, dass ich dafür so abhängig von einem Alpha war, aber noch ärgerlicher war, dass ich jetzt endgültig das Gefühl hatte, in Kuroos Schuld zu stehen, selbst wenn ich ihm inzwischen fast glaubte, dass er es nicht deshalb tat. „Kein Ding.“ Auch er klang ein wenig von Verlegenheit berührt und so schwiegen wir uns einen Moment an, bevor ich mich wieder zusammenriss und mich räusperte. „Ich denke, ich sollte jetzt los zur Arbeit. Wir schreiben?“ Er nickte, schenkte mir ein Grinsen. „Zeig ihnen, was du draufhast!“ Und dieses Vertrauen in meine Fähigkeiten kribbelte vielleicht ein wenig in meiner Magengegend, ein Gefühl, das nichts mit dem Geruchsbinden zu tun hatte. Und dann tat ich etwas was absolut nicht meine Art war, drehte auf dem Absatz um, bevor ich den Mut verloren konnte und presste einen kurzen Kuss auf seine Lippen. „Hey, Tsukki, was ist los?“, war Yamaguchi sofort mit der Tür ins Haus gefallen, sobald die Verbindung zustande gekommen war. Ich konnte im Hintergrund ein Kind lachen hören. Dennoch war es vor allem Überraschung in der Stimme meines besten Freundes. Immerhin hatten wir erst gestern telefoniert und normalerweise meldete ich mich nicht so oft. Die Überraschung reichte der Sorge die Hand. „Geht es noch um die Tabletten?“, wollte er wissen. „Ich habe heute Morgen einen Alpha geküsst.“ Ich wusste nicht, warum ich das mit Yamaguchi teilen wollte. Immerhin hatte ich alle belustigten Blicke, die Kuroo heute bei der Arbeit an mir gerochen hatten, gezielt ignoriert, aber mein Körper hatte sich angefühlt als würde er explodieren und ich hatte es einfach irgendjemandem erzählen müssen. Für einen Moment herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Du hast was?“, fragte Yamaguchi dann unglücklich und ich hörte eine Tür klicken. Wahrscheinlich hatte er gerade seine Frau, Yachi, mit den Kindern allein gelassen und war in ein anderes Zimmer gegangen. Er klang beinahe angespannter als gestern, als ich ihm davon erzählt hatte, dass ich kurz davor war, meine Tabletten einfach weiter zu nehmen, auch wenn ich die maximale Menge längst überschritten hatte. Wahrscheinlich, weil er das Verhalten von mir kannte. Einen Alpha zu küssen hingegen war vermutlich das letzte, was er jemals von mir erwartet hätte. Also begann ich zu erklären. „In dem Café, in das ich jeden Morgen gehe, um erträglichen Kaffee zu bekommen, hat mich vor einigen Tagen ein Alpha angesprochen. Er hat mir meinen Kaffee bezahlt. Also genau genommen wusste er, wie ich ihn trinke, und hat ihn schon vorher gekauft und mir nur gegeben.“ „Gruselig?“, schlug Yamaguchi in der Pause vor, die ich machte, um zu atmen und meine Gedanken zu ordnen. „Fand ich auch“, stimmte ich zu und beschloss, dass ich mir Tee machen sollte, wohlweißlich, dass ich morgen vielleicht nicht mehr dazu in der Lage sein würde und mir jetzt schon welchen in meine Thermoskannen abfüllen sollte. Außerdem fiel es mir leichter zu reden, wenn meine Hände beschäftigt waren. „Aber er war am nächsten Tag wieder da und er hat keine dummen Sprüche gemacht.“ Ich schüttelte den Kopf. „Also eigentlich schon, aber anders als Alphas das sonst tun. Er war… charmant? Meinte, dass er mich umwerben wolle.“ Ich kramte in der Schublade nach den Teefiltern. „Umwerben? Wie in so einem alten Film?“ Ich lachte leise. Yamaguchi wusste immer, was ich dachte, deshalb verstanden wir uns wohl auch so gut. „Ja, total kitschig.“ Yamaguchi sagte nichts, drängte nicht darauf, dass ich meine Erklärung fortsetzen sollte. Er erwartete es dennoch, das wusste ich und so sprach ich weiter, nachdem das heiße Wasser über den Tee gegossen war. „Ich bin heute früh zur Arbeit gefahren–“ Ein empörter Laut antwortete mir und ich ließ Yamaguchi sprechen, auch wenn ich längst wusste, was er sagen würde. „Tsukki! Du könntest jeden Moment läufig werden! Was wenn es im Zug oder im Büro passiert?! Das ist super gefährlich! Du solltest zuhause bleiben!“ „Wir haben ein wichtiges Projekt und ich hatte gestern noch Migräne. Du weißt, dass es erst so weit ist, wenn die vorbei ist.“ Es war eine halbherzige Verteidigung, aber Yamaguchi nahm sie mit einem Schnauben hin. „Jedenfalls war er wieder im Café und hat auf mich gewartet und dann hat er bemerkt, dass ich anders rieche. Alphas sind da super empfindlich und merken das immer total früh. Und dann hat er mich aus dem Laden raus gezogen und eine Gasse.“ Ich konnte beinahe hören, wie er sich angespannt aufsetzte, bereit wütend zu werden und Kuroo zu finden und zu bestrafen, selbst wenn er nur ein Beta war und sicherlich zehn Zentimeter kleiner als der Alpha. Ich sprach eilig weiter um seine Sorge zu stoppen. „Er hat mit seinen Nacken entblöst.“ „Er hat was?“ Irritation nahm den Platz von Wut ein. „Er hat mich seinen Geruch einatmen lassen.“ Yamaguchi würde vermutlich nie verstehen, was genau das für einen Effekt auf mich hatte, aber er war immer offen gewesen, mehr darüber zu lernen, um mich besser zu verstehen. „Er hat mir sogar erlaubt, meinen Nacken gegen seinen zu reiben.“ „Ihr habt Gerüche ausgetauscht?“ „Mhm.“ Ich entsorgte inzwischen die Teeblätter. „In einer Gasse hinter einem Café. Und er hat mich nicht einmal angefasst dabei.“ Seine Hände an meiner Schulter zählten nicht. Ich hatte sie kaum gespürt. Ich stellte die Thermosflasche in die Spüle und dachte einen Moment über die nächsten Worte nach. „Ich habe mich bei ihm bedankt, indem ich ihn geküsst habe. Aber ich hätte es auch getan, wenn er das nicht getan hätte. Ich mag ihn. Irgendwie zumindest. Er ist nicht so aufdringlich und ich glaube, er mag mich nicht, weil ich ein Omega bin, sondern weil ich… ich bin.“ Ich konnte mich noch genau erinnern, wie ich Tadashi einst geschworen hatte, dass ich niemals einen Mann in mein Leben lassen würde. Hatte Kuroo mich in diesen wenigen Tagen so verändern können? „Ich will nicht mit ihm schlafen!“, stellte ich eilig klar. „Aber es wäre schön, jemanden hier in Tokyo zu haben, mit dem ich reden kann…“ Es sollte keine Anklage sein, aber ich hatte eigentlich keine Freunde mehr hier seit Yamaguchi aufs Land gezogen war und Kuroo hatte mir das Gefühl gegeben, dass ich nicht allein sein musste, wenn ich meine Mauer nur ein kleines bisschen senkte. Yamaguchi schwieg und ich begann den Tee in die Thermoskanne zu füllen. Ich wollte gerade die Stille brechen, als er sich zu einer Antwort entschlossen hatte. „Wie hat sich der Kuss angefühlt?“, wollte er von allen seltsamen Fragen, die er hätte stellen können, wissen. Ich runzelte die Stirn. „Wie ein Kuss halt.“ „Tsukki, du hast noch nie jemanden geküsst. Zumindest niemanden, bei dem du es auch wolltest!“ „Ich habe dich geküsst“, erinnerte ich ihn. „Weil du vergessen wolltest, wie seine Lippen schmeckten.“ Er sprach den Namen nicht aus, aber wir wussten beide, um wen es ging. Ich seufzte geschlagen. „Er war kurz. Keine Zunge oder so etwas. Nur Lippen auf Lippen. Meine waren feucht, seine eher trocken, aber warm. Es war… angenehm?“ Mir fielen keine Worte ein, um das zu beschreiben, was ich in diesem Moment gefühlt hatte, aber wer wusste schon, ob das nicht auch nur an dem Geruchs-Binden zuvor gelegen hatte? „Hast du danach mit ihm gesprochen?“ Wieso wusste Yamaguchi immer, welche Fragen er stellen musste? „Er hat mir geschrieben, aber ich habe die Nachrichten nicht gelesen…“ „Oh, Tsukki!“ „Was, wenn er jetzt plötzlich denkt, dass er mich rumgekriegt hat?“, sprach ich die Sorge aus, die mich schon seit ich zuhause war, beschäftigte. „Dann schießt du ihn in den Wind, wie du es bisher mit jedem anderen Alpha auch getan hast“, betonte mein bester Freund das Offensichtliche. „Du brauchst ihn nicht. Lass ihn das ruhig wissen. Eine Beziehung funktioniert nur, solange ihr beide etwas davon habt und wenn er wirklich kein Arsch ist, wie du sagst, dann weiß er das auch.“ Es war seltsam, wie sehr es mich beruhigte, diese Worte aus Yamaguchis Mund zu hören, aber er schaffte es, meine Sorgen auszumerzen und mein Selbstvertrauen zu stärken. Beziehungen waren ein Feld, in dem er sich einfach so viel besser auskannte als ich. Dass ich noch nie eine gehabt hatte, mochte das sichtlich bevorzugen. „Erzähl mir von Yachi“, wechselte ich das Thema. „Ist sie schon genauso rund wie bei der ersten Schwangerschaft?“ „Tsukki, sie ist noch nicht mal im vierten Monat! Man sieht kaum etwas.“ Er lachte und begann dann zu erzählen. Es beruhigte mich und ich bereitete noch etwas mehr Tee vor, warm und kalt. Als wir unser Gespräch beendet hatten, öffnete ich Line und tippte eine Antwort auf Kuroos Frage, wie es meinen Kopfschmerzen ging. Er hatte den Kuss mit keinem Wort erwähnt. Mein nächster Morgen begann um drei Uhr früh, als ich aus meinem Schlaf hochschreckte, die Decke in Schweiß gebadet stand meine Haut in Flammen, während sich alles unterhalb meines Bauchnabels in eine klebrige Flüssigkeit aufzulösen schien. Wenn mein Mund nicht so trocken gewesen wäre, hätte ich kotzen können. Stattdessen riss ich die Decke von mir und versenkte in derselben Bewegung eine Hand in meiner Unterwäsche. Gerne hätte ich darauf verzichtet, doch ziellos tastete ich nach dem Plastik-Schaft, um irgendwie das Brennen in meinem Innern zu stillen, das nach einem Alpha verlangte, den ich ihm niemals geben würde. Eine Stunde später konnte ich zumindest wieder ein wenig geradeaus denken und griff nach dem Glas, das ich wohlweißlich auf meinem Nachttisch platziert hatte und leerte es in einem Zug. Daneben lag mein Handy und in einem seltsamen Moment erschien es mir wichtig, es zu entsperren, um eine einzige Nachricht zu schreiben. Morgen kannst du deinen Kaffee so kaufen, wie du ihn magst. Nur mit Milch? Das letzte war eine Vermutung und irgendwie spürte ich ein Lächeln auf meinen Lippen, als ich die Nachricht abschickte. Er würde es verstehen, richtig? Dann glitt ich einen erschöpften Schlaf ab. Die Vorhänge waren zugezogen und ich war in den letzten Stunden so oft zwischen Hitze und Schlaf hin und hergeglitten, dass ich das Zeitgefühl völlig verloren hatte, doch als ich dieses Mal aufwachte, war es nicht das neue Aufwallen der Hitze, das mich auf dem Reich der Träume riss, sondern ein Klingeln an der Tür. Ich ignorierte es und füllte stattdessen einen Becher mit Tee, um für einen Moment klar zu denken. Es klingelte noch einmal. Ich vermutete einen penetranten Postboten- Vielleicht sollte ich auch duschen, aber eigentlich fühlte ich mich zu ausgelaugt. Hatte ich noch einige von den Proteinriegeln in der Wohnung, die Ärzte so gern empfahlen, wenn es um Läufigkeit ging? Wahrscheinlich hatte ich vergessen sie aufzufüllen… Ich sollte in den Schubladen in der Küche noch Instantramen haben. Das war zwar weniger nahrhaft, aber es würde seinen Zweck tun. Dieses Mal ließ derjenige an der Tür den Finger für mehrere Sekunden auf dem Knopf. Das Geräusch dröhnte in meinem Kopf und ich verfluchte den Störenfried. Kein Paket der Welt war so wichtig! Müde setzte ich mich im Bett auf. Ich fühlte mich leer, leer und klebrig, aber mein Körper hatte noch nicht wieder begonnen, Schlick zu produzieren und darüber war ich froh, als der Klingelwütige begann Rhythmen nachzumachen. Verdammte Scheiße noch mal, wie schwer war es denn zu verstehen, dass ich nicht an die Tür kommen wollte?! Das Klingeln verstummte und ich erhob mich, um in Richtung Bad zu gehen. Vorher machte ich aber einen Umweg zur Küche, um Wasser aufzusetzen. Dann plötzlich klopfte es an der Tür und ich erstarrte mitten in meiner Bewegung. Jemand hatte den Klingler ins Treppenhaus gelassen und jetzt stand er vor meiner Wohnungstür. Noch nie in meinem Leben hatte ich mir mehr einen Spion in der Tür gewünscht. Das Klopfen ahmte die Rhythmen von zuvor nach und mein Temperament gewann die Oberhand und ich riss die Tür auf, auch wenn ich kaum meinen Schlafanzug richtig trug und jeder Selbsterhaltungstrieb dagegensprach. „WAS?!“ Vor mir stand Kuroo und seine Augen weiteten sich, seine Nasenflügel flatterten und sein Geruch schlug mir entgegen wie eine Wand. Meine Knie wurden weich, doch meine Instinkte waren genug abtrainiert worden, dass ich alle meine Kraft zusammennahm, um die Tür so schnell es ging wieder zuzuschlagen. Der Schwarzhaarige fing sie ab und plötzlich packte mich Angst, als Kuroo einen Schritt in den Raum machte. Mein Körper wollte sich ihm entgegenwerfen, begann augenblicklich damit, neue Feuchtigkeit zu produzieren und doch taumelte ich zurück, wohl wissend, dass Kuroo nicht grundlos so viel breiter gebaut war als ich. Erst als ich die Wand beinahe erreicht hatte, hin- und hergerissen dazwischen, meinen Nacken zu entblößen, während ich meinen Hintern in die Luft streckte, und mit allem zu kämpfen, was ich hatte, bemerkte ich, dass Kuroo einen Arm über seine Nase gedrückt hatte und etwas neben der Tür abstellte. Er sprach nicht mit mir, sein Blick traf nur für einen winzigen Moment meinen, seine Pupillen geweitet, die Hose sichtbar zu eng – ein Versprechen, nach dem mein Körper verlangte – und dann drehte er sich um und schloss die Tür hinter sich. Als ich dieses Mal die Flammen befriedigte, war es Kuroos Geruch, sein Gesicht, das in meinem Kopf Bilder formte und ich hasste ihn dafür so sehr, so unglaublich, unendlich doll. Warum hatte er alles ruinieren müssen? Mein innerer Omega lockte mich in der nächsten Hitzewelle zu dem, was er dort abgestellt hatte, und was seine Geruch durch den Raum verteilte, ein Pullover, den er noch vor kurzem getragen haben musste, wenn der Geruch nach Zahnpasta und Chili-Schokolade irgendetwas zu sagen hatte. Darunter waren Tupperdosen, doch mein Körper war benebelt von dem Geruch, den ich nie wieder so wahrnehmen könnte, wie ich es bisher getan hatte, und statt dem Angebot zu widerstehen, vergrub ich meine Nase in dem weichen Stoff und schloss meine Hand um mein Glied, während ich noch dort an der Tür die Finger hilflos in meinen Körper stieß, verzweifelt auf der Suche nach etwas, was groß genug wäre, um die große Leere dort zu füllen. Als es endlich vorüber war, versenkte ich den inzwischen schmutzigen und verklebten Pullover im Waschbecken, schaltete den Rauchmelder aus und tränkte ihn in Spiritus, bevor ich ein Streichholz auf den schwarzen Stoff warf und zusah, wie er in Flammen aufging. Ich wollte schreien, weil mein Kopf die Erinnerungen an die letzten Tage niemals so ausbrennen könnte, wie ich es gerade mit dem Pullover tat. Er hatte alles ruiniert. Alles. Absolut alles. Selbst wenn er reingekommen und über mich hergefallen wäre, hätte er es nicht schlimmer machen können. Ich spürte heiße Tränen auf meinen Wangen, wohl wissend, dass jegliches gute Gefühl, das ich je für Kuroo empfunden hatte, für immer mit den Erinnerungen an meine verhasste Hitze überlagert sein würden. Und das schlimmste war, dass in diesem Moment ein leises Ping-Geräusch die Ankunft einer neuen Nachricht verkündete. Geht es dir besser? In scheinbar unschuldigen Buchstaben waren es diese vier Worte, die etwas in mir platzen ließen. ICH HASSE DICH!, hämmerte ich auf die Tastatur und machte mir nicht die Mühe, mögliche Rechtschreibfehler zu korrigieren, bevor ich auf den Absend-Pfeil drückte und das Handy in eine Ecke pfefferte. Es war leichter, nicht an den Schwarzhaarigen zu denken, nachdem ich alle Fenster aufgerissen hatte. Im Flur stand die Kiste mit den Tupperdosen darin. Sie alle enthielten Mahlzeiten, selbstgekocht, wenn ich das richtig sah. Alle waren schlecht geworden, während mein Stolz es mir verbat, einen Blick auf ihre Inhalte zu werfen. Ich entsorgte eine Portion nach der anderen bis sich die leeren Dosen in der Spüle stapelten. Mir war schlecht. Ich hatte seit Tagen kaum etwas gegessen, aber der bloße Gedanke an Essen ließ Magensäure in mir aufsteigen. Ich wollte die Tupperware nicht abspülen, aber ich wusste, dass ich es bereuen würde, wenn ich es nicht tat, also versuchte ich es zu tun, ohne an Kuroo zu denken, der Wut und Scham und Hass in mir brennen ließ, während mein Kopf Bilder hervorrief, die so nie geschehen waren, aber sich realer anfühlten als sie es sollten. Die Tupperdosen stapelten sich zuletzt sauber in der Kiste und ich wollte sie am liebsten zum Verschenken auf die Straße stellen, doch verstaute sie stattdessen in der hintersten Ecke meiner Küchenzeile auf einem Schrank, wo ich sie hoffentlich nie wiedersehen würde. Kuroo würde sie jedenfalls nicht zurückbekommen, denn seinen Anblick würde ich wohl nie wieder ertragen können. Mein Handybildschirm hatte einen Sprung, als ich es irgendwann aus der Ecke herausholte, doch es funktionierte noch und zeigte mit in drohenden roten Nummern verpasste Nachrichten und sogar einen Anruf an. Mir war schlecht und ich schaffte es gerade noch, seinen Chat stumm zu schalten, bevor ich würgend über dem Waschbecken hing und Essen hervorwürgte, das ich nicht gegessen hatte. __________________________________________________________ Wieder einen herzlcihen Dank an diejenigen, die eine Review geschrieben haben, und bis hoffentlich bald! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)