Lügenpalast von DragomirPrincess ================================================================================ Kapitel 1: Ungewollte Begegnungen --------------------------------- Ungewollte Begegnungen Sieben Jahre später konnte ich mich noch immer in jedem Detail an diesem Tag erinnern und so oft ich Bokuto in seinen Spielen im Fernsehen sah, so oft konnte ich es nicht bereuen. War es in der japanischen Nationalmannschaft oder in den verschiedenen Mannschaften, die ihn über die Jahre eingekauft hatten. Natürlich musste er sich seinen Platz als Ass im Nationalteam mit Ushijima Wakatoshi teilen, aber das war irgendwie zu erwarten gewesen bei dem durchschlagenden Talent, das er schon in der Highschool gezeigt hatte, und es tat seiner Karriere absolut keinen Abbruch, wo er doch sogar für amerikanische Teams gespielt hatte. Ich bereute es nicht ein einziges Mal, weil Bokuto wohl der erfolgreichste Volleyballspieler ganz Japans war und ich, sobald ich mein Kind im Arm gehalten hatte, wusste, wie sehr ich mein Baby liebte, auch wenn ich ihn nie gewollt hatte. Die Schwangerschaft hatte unzählige Türen für mich zugeschlagen, aber die goldenen Augen hatten mein Herz in einem einzigen Augenblick erobert und ich liebte Shou über alles. Dieser lag an diesem Tag jedoch krank im Bett, als mir im Supermarkt das Unvorstellbare passierte, während ich Gemüse und Fleisch für eine Suppe in meinen Korb legte. Ich musste mich schon an der Tür an einigen jungen Frauen vorbeischieben, die über irgendetwas tuschelten, auf das ich nicht achtete, weil ich in Eile war und mein Sohn allein zuhause schlief und ich Musik in den Ohren hatte, um dumme Blicke zu ignorieren, weil mir diese ganze Sache mit dem Halstuch irgendwann einfach zu doof geworden war, und mich ständig, gerade wenn mein Sohn dabei war, Leute fragten, wieso ich denn nicht nach meinem Alpha roch. Was sie allerdings absolut überhaupt nichts anging! Auch wenn ich mich immer noch gerade so davon abhielt, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Stattdessen ging ich mit zügigen Schritten durch die Gänge, sammelte nur ein, was ich brauchte und war bereits auf halbem Weg zu den Kassen, als ich plötzlich auf eine Menschengruppe traf, die mir den Weg versperrte. Ich runzelte sichtbar die Stirn, auch wenn meine Mutter früher immer gesagt hatte, dass ich das nicht tun sollte, weil es mein hübsches Gesicht ruinieren würde. Wer blockierte denn so den Weg zu etwas so Wichtigem wie den Kassen? Mir wurde mit einem schnellen Blick klar, dass sich die Traube nicht wegen eines umgekippten Einkaufwagens oder Dosenstapels bildete, sondern dass sie scheinbar alle wie ein Publikum jemanden oder etwas beobachteten. Kurz fragte ich mich, was für ein Star sich in diesen winzigen Supermarkt in einer so schlechten Gegend verirrt hatte, doch dann beschloss ich mich einfach durch die Menge zu schieben, um zu den Kassen zu gelangen. Allerdings unterschätzte ich wohl eindeutig die Kraft, die aufgeregte Fans, besonders weiblichen Geschlechts aufbringen konnten, und wurde nur allzu schnell zwischen ihnen hin und hergeschoben, während ich doch einfach nur zu den verdammten Kassen wollte, die man auf Grundlage irgendeines nicht besonders großen Planungsgenies nur durch diesen einen blöden Gang erreichen konnte. Dann plötzlich wurde ich gestoßen und fand mich eine Sekunde später in offenem Raum und dann gegen einen muskulösen Männerkörper wieder, der so verdammt gut roch, dass es nur ein Alpha sein konnte. Dass ich außerhalb meiner Läufigkeit eigentlich gar nicht so deutlich riechen können sollte und ich als gebundener Omega sowieso noch viel eingeschränkter war, fiel mir dabei nicht auf. Ich presste einfach den Korb mit Huhn und Gemüse gegen meine Brust, kam wieder auf die Füße und warf ihm nur einen wütenden Blick zu, einfach weil er da stand und wohlmöglich sogar Teil der Show war, die diese Menschen beobachten wollten, statt einkaufen zu gehen und- Ich erkannte ihn auf den ersten Blick und hätte wohl beinahe meine Kochzutaten fallen gelassen, wenn ich nicht damit beschäftigt gewesen wäre, nicht zu stürzen, nachdem mich eine junge Frau, die bei ihm gestanden hatte, zur Seite stieß wie ich es wohl zuvor bei ihr getan hatte. Wahrscheinlich war es ganz gut, denn so brach der Blickkontakt ab und ich konnte mich eilig zu den Kassen wenden und das ‚Stell dich hinten an, wenn du ein Autogramm willst‘ überhören. Ich nuschelte nur ein leises ‚Entschuldigung‘, mehr weil ich ihn fast umgerannt hatte und weniger, weil ich mich ‚vorgedrängelt‘ hatte. Mein Herz schlug schneller in meiner Brust und gleichzeitig stach es schmerzhaft. Wieso war gerade er hier?! Konnte er nicht irgendwo anders einkaufen gehen?! Ich legte einen Einkauf aufs Band. Wahrscheinlich hatte er mich gar nicht erkannt. Immerhin war nichts an mir so auffällig wie an ihm, mit dem zweifarbigen Haar, dass er immer noch wie früher nach oben gegelt trug, wenn auch im Nacken inzwischen länger, und den goldenen Augen, die schon damals immer an eine Eule erinnert hatten. Ich hingegen war gewöhnlich, dunkles Haar, dunkle Augen, vielleicht ein wenig zu groß für einen üblichen Japaner, aber ansonsten war ich nicht besonders, auch wenn mir immer noch manchmal gesagt wurde, dass ich ein zu hübsches Gesicht hatte, um hier zu leben. Er hatte mich, seinen Nachhilfelehrer im dritten Jahr, sicherlich schon lange vergessen, so viele Menschen wie er tagtäglich treffen musste. Die Kassen waren leer – Es kam ja auch niemand durch –, sodass die Kassiererin die Preise sofort abziehen konnte und ich nur das Geld zu ihr rüberschieben musste. Ehrlich gesagt musste ich das schon ziemlich zusammenkratzen, um die Zutaten zu bezahlen, obwohl es noch nicht einmal das Ende des Monats war, aber ich verbot mir, in diesem Moment darüber nachzudenken. Jetzt musste Shou erst einmal gesund werden, das war das Wichtigste, über das Geld musste ich mir danach Gedanken machen. Ich steckte gerade die Sachen in einen Jutebeutel, als ich noch einmal beinahe vom Schlag getroffen wurde, denn während ich mit meinem Einkauf beschäftigt gewesen war, hatte Bokuto hinter mir scheinbar seine Fans abgewimmelt oder ihnen allen ihre Autogramme gegeben. Jedenfalls rief er jetzt: „Akaashi?“ Ich wollte zurückblicken, wollte ihn begrüßen, aber ich starrte auf meine Füße und ging weiter zur Tür, auch wenn ich den Schmerz in meiner Brust brennen spürte und ich mich mit meinem Stocken wohl längst verraten hatte. „Akaashi!“, rief er noch einmal, doch ich schob mich durch die Tür nach draußen und versuchte einfach weiterzugehen. Es war besser so. Wieso musste er sich überhaupt an mich erinnern? Wieso hätte er mich nicht einfach vergessen können? Ich zwang mich nicht zurückzublicken, während er wohl an der Kasse aufgehalten wurde und beschleunigte meinen Schritt, immer hin und hergerissen zwischen dem Wunsch, dass er mir nicht folgte und diesem kleinen verräterischen Gefühl einer Verliebtheit, die ich längst begraben hatte und die vollkommen unsinnig war und vielleicht auch nur von dem Band her stammte und in jedem Fall meinem Verstand vollkommen widersprach. Ich vergrub die Finger in dem Stoff der Tragebänder, stapfte eilig weiter und wollte am liebsten einfach loslaufen, nur um sicherzugehen, dass er mich nicht einholen konnte. Ich hätte es wohl besser getan, denn bevor ich mich versah hörte ich die Schritte hinter mir auf dem Gehweg, die zu mir aufschlossen. Ich gab mir nicht die Blöße weiterzulaufen, wurde langsamer und ließ ihn neben mich kommen, auch wenn ich nicht aufblickte. „Akaashi Keiji, oder nicht?“ Ich konnte ihm den englischen Akzent anhören, nachdem er so lange Zeit im Ausland unterwegs gewesen war und es wohl auch immer noch tat, auch wenn er mit seinem 25 Jahren inzwischen wohl schon zu den älteren Spielern gehören mochte. Die meisten hörten wohl zwischen Mitte zwanzig und dreißig auf und kurz fragte ich mich, ob er wohl schon Pläne gemacht hatte, was er danach tun würde, aber er war niemand, der wirklich viel über seine Zukunft nachdachte, bis sie direkt vor der Tür stand. Also nickte ich leicht. „Hallo, Bokuto-san“, meinte ich so höflich ich konnte, ging aber weiter, wollte nicht stehen bleiben, musste ja auch wirklich nach Hause. „Du solltest lieber bei deinen Fans bleiben. Tut mir leid, dass ich so in dich hineingestolpert bin.“ Ich sprach höflich mit ihm, noch höflicher als früher. Jetzt blickte ich auch kurz auf, hob symbolisch meinen Mundwinkel, aber lächelte nicht wirklich. Ich konnte beobachten, wie er sofort enttäuscht aussah und manchmal dachte ich, dass seine Haare dabei abzusinken schienen, was natürlich Unsinn war, da seine Gefühle absolut keinen Einfluss auf die Schwerkraft haben konnten. Ich verzog innerlich das Gesicht, weil ich wusste, dass ich das für ihn falsch ausgedrückt hatte. Eigentlich müsste ich jetzt wohl sagen, dass ich ihn natürlich gerne sehen würde, aber keine Zeit hatte oder so etwas, aber das wäre alles eine Lüge und darauf hatte ich wenig Lust. „Ich muss nach Hause, Bokuto-san.“ Jetzt zog ich meinen Kragen doch lieber ein bisschen nach oben und wünschte mir einen Schal, den ich natürlich nicht dabeihatte, um das Mal zu verbergen. Ich sollte mich damit ihm gegenüber nicht unwohl fühlen, aber ich tat es und ehrlich gesagt war damit alles deutlich schwerer, als ich es mir früher gedacht hatte, auch wenn es mir wohl half, wenn Leute mich nicht kannten und dachten, dass wir eine funktionierende Familie aus armem Umfeld waren. „Was machst du überhaupt hier?“, fragte ich, als ich merkte, dass es nicht genug Aufmerksamkeit gewesen war, um ihn wieder aufzuheitern. „Die asiatische Meisterschaft ist vorbei, also hab‘ ich ein bisschen Zeit vor dem nächsten Training und bin nach Tokyo zurückgekommen bis zum nächsten Spiel und wir haben am Wochenende hier ein Projekt mit Kindern aus Mittelschul- und Highschoolteams.“ Er strahlte und sprach scheinbar ohne Punkt und Komma. Ich hatte eigentlich eher diese Ecke Tokyos gemeint, aber fragte nicht weiter nach, nickte einfach nur. Er griff nach meinem Handgelenk, schien mich zum Anhalten bewegen zu wollen. Ich versuchte ihm den Arm zu entziehen, aber hatte natürlich kaum eine Chance. Er war schon immer stärker als ich gewesen. Das lag in der Natur der Sache. „Wir haben uns ja ewig nicht gesehen! Was machst du jetzt?“ Er fragte so ehrlich, so wirklich interessiert und völlig unwissend scheinbar, in was für einer Region wir uns hier befanden. „Ich muss wirklich nach Hause, Bokuto-san.“ Ich sah ihn entschuldigend an und wollte meinen Sohn doch nicht erwähnen, wenn ich es vermeiden konnte. „Ich muss kochen.“ Ich zog an meinem Arm bis er nachgab und ging weiter. Er folgte mir immer noch und wenn ich mich so umsah, musste ihm doch langsam klar werden, in welchen Bereich der Stadt wir unterwegs waren. Es war auch nicht wirklich unbekannt, schon damals in der Highschool hatten uns unsere Eltern immer davor gewarnt. Ich wollte nicht daran denken, wie er damit umgehen würde und ich zog bereits jetzt unterbewusst ein wenig den Kopf ein, während ich nur auf die bevorstehende und unvermeidliche Reaktion wartete. „Du wohnst hier?“ Natürlich hörte ich die Wertung, ich war sie gewöhnt und dennoch tat es weh, wenn gerade er es tat. Am liebsten wollte ich gar nicht antworten, aber ich musste auch gar nicht zu einer Antwort ansetzen, denn bevor ich das gekonnt hätte, sagte er einfach: „Darf ich mitkommen?“ Und das traf mich so unvorbereitet, dass ich einfach stehen blieb. „Ich… Hast du nichts anderes zu tun?“, wollte ich unsicher wissen, versuchte einfach weiterzulaufen um nicht völlig dumm dabei auszusehen. „Nein, ich hab‘ heute frei“, zwitscherte er einfach. „Also hab‘ ich mich einfach mal wieder in Ruhe in Tokyo umgesehen. Ich war gefühlt schon ewig nicht mehr hier. Und sieh an, was für ein Glück ich hatte, dich hier zu treffen!“ Er schien sich ehrlich zu freuen und in dem Bewusstsein, was ich vor ihm geheim hielt, brach mir wieder einmal beinahe das Herz. „Eigentlich wollte ich meine Eltern besuchen, aber die sind heute den ganzen Tag nicht da, also hab‘ ich mich morgen mit ihnen verabredet und es reicht aus, wenn ich heute Abend wieder ins Hotel zurückkehre. Die meisten aus dem Team sind sowieso bei ihren Familien oder Freundinnen und Freunden oder ihren Kindern und so etwas. Es vermisst mich jedenfalls niemand.“ Er klang so leicht dabei, als würde ihn die Gegend gar nicht bekümmern und vielleicht ging es einem Alpha auch einfach wirklich so. „Ich weiß nicht…“ Wir hatten inzwischen mein Wohnhaus beinahe erreicht und mir fiel schlichtweg kein Grund ein, ihm nicht zu erlauben, mithineinzukommen. Zumindest keiner, der nicht beinhielt, dass ich einen Sohn hatte, aber das würde er doch eh merken, wenn er hereinkam und die Schuhe sah und die Kinderjacken und… War es nicht besser, wenn ich ihm vorher darauf vorbereitete? Auch wenn ich ihm niemals, wirklich niemals sagen würde, dass es sein Kind war! Er sah mich so hoffnungsvoll an, dass ich einfach nicht wirklich Nein sagen konnte, also nickte ich zögerlich, auch wenn es mir eigentlich ziemlich unangenehm war. „Wenn du unbedingt möchtest…“ Eigentlich waren wir niemals enge Freunde gewesen, deshalb wunderte es mich, dass er so sehr darauf bestand, aber er hatte mich schon von Anfang an, immer nur allzu leicht beeinflussen können mit seinem… Charakter und seiner ganzen Art. Ich betrat den Hinterhof und schob die Haustür auf, die schon seit Jahren kaputt war. Den Geruch nach Urin und Müll konnte ich inzwischen gut ignorieren, auch die Scherben und Holzsplitter am Boden. Ich wandte mich zum Treppenhaus, weil der Fahrstuhl mir ehrlich gesagt mehr als suspekt war und folgte den Stufen nach oben, Bokuto hinter mir. Ich wusste, dass er mich verurteilte, weil ich an so einem Ort lebte. Jeder verurteilte mich dafür. Ich hatte keine Freunde mehr aus meiner Schulzeit. Sie hatten mir alle den Rücken gekehrt, aber wenn ich sie hierhergebracht hätte, ich war mir sicher, dass es unsere Freundschaft beenden würde, aber ich konnte mir mehr einfach nicht leisten. Auch hier zu leben, war oft kaum möglich, aber ich tat alles dafür, um meinen Sohn ein Dach über dem Kopf zu bieten. Dann endlich hatte ich die Tür erreicht und spürte doch die Präsenz des Volleyballspielers deutlich hinter mir, als ich nach meinem Schlüssel kramte. Ich wollte nicht aufblicken und in seinen Augen sehen, was er dachte. Es war immer leicht gewesen, in seinen Augen jeden einzelnen seiner Gedanken zu lesen. Der Flur, in den wir eintraten, war winzig, gerade genug Platz für Schuhe und Jacken und die Stufe nach oben, die direkt ins Wohnzimmer führte, wo nur ein altes Sofa und ein winziger Fernseher standen. An der Wand war außerdem die ‚Küche‘, wenn man es denn so nennen konnte, da es nur ein kleiner Kühlschrank und zwei Herdplatten waren. Ein winziges, fensterloses Badezimmer und der einzige andere Raum der Wohnung gingen ebenfalls von diesem Raum ab. Irgendwann würde ich wohl auf dem Sofa schlafen müssen, wenn mein Sohn nicht mehr mit seinem Vater in einem Raum schlafen wollte, aber bis dahin hatte ich hoffentlich noch einige Jahre Zeit, in denen es kein Problem wäre, wenn wir uns das Zimmer und auch das Bett teilten. „Komm rein“, nuschelte ich und begrüßte leise die Stille mit den traditionellen Worten, auf die ich keine Antwort bekam, weil mein Sohn schlief. Ich zog die Schuhe aus, aber konnte ihm nicht einmal Hausschuhe anbieten. Ich hörte, dass er hinter mir die Tür schloss und ich hatte ihn in meinem ganzen Leben noch nie so still erlebt wie jetzt. Es war beinahe schmerzhaft. „Willst… du etwas trinken? Ich habe … Schwarztee und Leitungswasser. Ich muss das Gemüse für die Suppe schneiden, aber wenn du willst, kannst du dich aufs Sofa setzen.“ Ich wich seinem Blick aus und das schlimmste daran war wohl zu wissen, dass ich selbst mich dafür schämte, dass ich hier lebte. Ich hatte noch nie jemanden von den wenigen Menschen, die ich kannte, hierher eingeladen, jetzt wusste ich auch, wieso. „Wasser klingt gut“, murmelte er und er klang tatsächlich einmal unsicher, während er zögerlich Platz nahm und zu mir hinüberblickte, während ich das Hühnchen aus seiner Packung nahm und abwusch, bevor ich es in einen großen Topf gab und mit Wasser und Salz bedeckte. Dazu kam schon ein bisschen Pfeffer und zwei Zwiebeln und dann stellte ich ihn mit einem Deckel auf die Herdplatte. Das Gemüse würde ich hinzugeben, wenn es geschnitten war. Das Wasser würde sowieso noch lange genug brauchen, bevor es auch nur annähernd kochte. Also wusch ich das Suppengemüse eilig ab und nahm es mit einem Plastikbrett und einem zumindest pseudoscharfen Messer mit zum Sofatisch, der der einzige Tisch im Raum war und begann daran alles in kleine Stückchen zu zerlegen, die ich in eine der gesprungenen Schalen gab. Die meisten meiner Sachen hatte ich entweder von Flohmärkten oder von Sammelstellen, an denen Leute ihre kaputten Haushaltsgegenstände für Bedürftige abgeben konnten. Meine Eltern hatten sich geweigert, mir etwas mitzugeben, also hatte ich ziemlich hilflos dagestanden, als ich mir eine eigene Wohnung hatte suchen müssen. Auch das Glas, das ich für ihn mit Leitungswasser gefüllt hatte, war nicht mehr wirklich hübsch. Das Bild, das einmal darauf gewesen war, war vom häufigen Abwaschen verwischt und es sah nicht mehr wirklich ansehnlich aus, aber es war dicht und das war wohl das Wichtigste. „Ich wusste nicht, dass du kochen kannst“, waren die Worte, die Bokuto wählte, um die Stille zu durchbrechen und sie waren so bescheuert und gleichzeitig erschreckend umsichtig, dass ich gar nicht verletzt sein konnte. „Ich auch nicht, bis ich es plötzlich musste.“ Er sah mich unsicher an. „Kann ich dir irgendwie helfen?“, meinte er immer noch etwas unsicher. „Ich habe nur ein Messer“, murmelte ich und war froh, dass ich mich wieder auf meine Finger konzentrieren konnte. Ich arbeitete schweigend und er schien mehr aus Verlegenheit als aus irgendetwas Anderem sein Wasser zu trinken. Es passte nicht zu ihm. Er war immer so offenherzig und unbekümmert, aber natürlich ließen jemanden, der als Sportler wohl mehr als genug verdienen musste, solche Lebensumstände nicht kalt. Ich versuchte gar nicht erst ein anderes Thema aufzubringen. Erst als alles Gemüse in der Schale war und ich zum Herd hinüber ging, um es ins warme Wasser zu geben, begann er wieder zu sprechen. „Ich… Lebst du hier allein?“ Ich drehte mich verwundert zu ihm um. Hatte er die Kinderschuhe an der Tür nicht bemerkt? Oder standen sie im Moment wohlmöglich nicht dort? Ich schüttelte den Kopf. Seine Reaktion…. Konnte ich nicht ganz verstehen. Er schien… irgendwie enttäuscht? Und dann war da etwas, was ich nur aus dem Blick von Alphas kannte, etwas Kämpferisches, dessen Grund ich nie wirklich hatte herausbekommen können, aber ehrlich gesagt hatte ich mich auch mein Leben lang von Alphas ferngehalten, weil sie gerade für einen Omega immer auch eine gewisse Gefahr darzustellen schienen. Das hatte ich auf die harte Tour lernen dürfen. Ich fragte wohl besser nicht nach und murmelte nur leise: „Nein, ich lebe hier nicht allein.“ Er wechselte noch einmal das Thema, als ich den Deckel auf den Topf legte und zum Sofa zurückkehrte. „Ich will nicht unhöflich sein, aber ich… ich versteh es nicht. Warum lebst du in so einer Wohnung?“ Er wirkte wie ein kleines Kind, wenn er so sprach, nicht wie ein Mitte Zwanzig jähriger Profisportler. „Du warst so gut in der Schule und in den ganzen Begabentenförderungsprogrammen und…“ Ich blickte zur Seite, wollte ihm eigentlich nicht in die Augen schauen dabei. „Ich habe nie meinen Abschluss gemacht“, gab ich dann aber ehrlich zu. Das erklärte vermutlich so ziemlich alles an dieser Situation... Als Omega einen Job zu finden, war oft schon schwer genug, weil es ihnen regelmäßig einige Tage unmöglich war zu arbeiten, wenn sie läufig wurden und vielen war auch das Schwangerschaftsrisiko zu hoch, aber ohne Abschluss war es so ziemlich unmöglich. „Was? Wieso?“ Er sah mich völlig unverständig an, doch wie als hätte ich ihn gerufen, ging die Tür zum Schlafzimmer auf und aus dem Dunkeln kam auf tapsigen Schritten mein kleiner Sohn hervor. „Dad?“, murmelte er leise, rieb sich die Augen. „Mir ist so heiß.“ Er klang wirklich nicht gut und ich war sofort auf den Füßen und ging vor ihm in die Hocke, um ihm eine Hand auf die Stirn zudrücken. Er hatte immer noch Fieber. „Du hast Fieber, deshalb. Ist dir übel?“, wollte ich besorgt wissen und fuhr ihm nach hinten mit der Hand ins Haar. Er schüttelte den Kopf, wenigstens das nicht mehr. „Ich koche gerade Suppe. Hast du Hunger?“, fragte ich im Gegenzug. Er zuckte leicht die Schultern. „Mir ist ganz kalt“, flüsterte er, obwohl er eine Sekunde zuvor noch das Gegenteil behauptet hatte, und ich hörte seine Zähne klappern. „Dann solltest du nicht außerhalb des Betts sein.“ Ich eilte zum Sofa zurück und griff die Decke von dort, um ihn darin einzuwickeln. Er trug keine Socken, also zog ich ihn aufs Sofa und strich ihm über die Stirn. „Du hast bestimmt Durst, oder?“ Ich ging zur Küche hinüber, machte ihm ein Glas Wasser und gab es ihm. Er trank es gierig. „Darf ich fernsehen?“ Er lehnte sich müde gegen mich, obwohl er wohl den ganzen Tag nichts anderes getan hatte als schlafen oder vielleicht auch gerade deshalb. Ihm war jedenfalls unser Besuch nicht aufgefallen. Also strich ich ihm durch das dunkle Haar und lenkte seinen Blick dabei. „Wir haben Besuch, Shou“, flüsterte ich leise und ich spürte die Reaktion sofort. Immerhin hatten wir wohl alle seine Spiele im Fernsehen gesehen. Er sah ihn mit großen Augen an und Bokuto sah aus wohl eben so großen Augen zurück und erst jetzt wurde mir klar, dass der Junge in dem goldenen Braun seiner Augen etwas von seinem Vater geerbt hatte. Nun, genau genommen fielen mir jetzt so nebeneinander eine Menge Dinge auf, die sie gemeinsam hatten. Ich konnte nur hoffen, dass es Bokuto nicht auffiel, aber vielleicht – hoffentlich war das auch wieder nur eine Sache, die man nur bemerkte, wenn man bescheid wusste. „Bokuto-san, das ist mein Sohn Shou.“ Und jetzt zuckte sein Blick zu meinem Hals und entdeckte dort die Bisswunde, die er vor so vielen Jahren selbst dort hinterlassen hatte, nur dass er sich daran nicht erinnern konnte. Und dann plötzlich war er wieder der Mann, den ich einst kennengelernt hatte. „Hallo, Shou“, sagte er mit einem strahlenden Lächeln und griff auf sehr westliche Art und Weise seine Hand. „Es freut mich dich kennen zu lernen!“ Shou schien sprachlos, also zwang ich ihn nicht zu sprechen, strich stattdessen weiter durch sein Haar, auch um ihn dabei zu beruhigen. „Shou ist ziemlich krank. Deshalb musste ich auch so schnell nach Hause.“ Ich griff nach der Fernbedienung für den Fernseher und reichte sie ihm. „Schau doch mal, ob etwas kommt.“ Normalerweise wollte ich eigentlich nicht, dass mein Sohn viel fernsah, aber wenn er krank war, war das ein anderes Thema. Ich beobachtete ihn kurz, wie er das Gerät einschaltete und direkt bei den Sportsendungen blieb. Er schaute nur sehr selten diese ganzen Kinderserien, wahrscheinlich weil wir oft zusammen Volleyball schauten. Das lief im Moment aber nicht, also schaute er einfach Baseball. Manchmal tat es mir leid, dass er nie wirklich hatte Sport machen können, weil uns vor seiner Schulzeit einfach das Geld gefehlt hatte. Jetzt war er in der Schule in der Volleyballmannschaft, aber ich konnte ihm nicht wirklich das bieten, was ich ihm gerne geboten hätte. Nur allzu gerne hätte ich ihn dabei gefördert, aber stattdessen drängte ich ihn dazu, mehr für die Schule zu tun, viel zu lernen. Ich hoffte, dass er die Chance bekäme, durch ein Stipendium eine weiterführende Ausbildung zu machen, denn ehrlich gesagt, hatte ich sonst keine Idee wie ich ihn zur Highschool, geschweige denn auf eine Uni schicken sollte. Er war sicherlich nicht auf den Kopf gefallen, war neugierig und sportlich, aber ich wusste auch, dass es ihm schwerfiel, sich anderen gegenüber zu öffnen und Freunde zu finden. Es war mir klar, dass sich meine Haltung gegenüber dieser Wohnung, meine Scham, sie anderen zu zeigen, auf ihn übertrug, aber es fiel mir schwer, daran etwas zu ändern. Ich zog Shou ein wenig dichter zu mir, hüllte ihn enger in eine Decke und streichelte ihn weiterhin leicht durch sein Haar. Der Fernseher lief nicht besonders laut, aber er konnte es wohl hören, also wandte ich mich leise an Bokuto, um ihn nicht damit zu stören. „Du fragst, wieso. Er ist der Grund.“ Ich zögerte, dann ließ ich meinen Sohn allein sitzen und winkte Bokuto mit mir rüber zur Küchenzeile, um nach der Suppe zu sehen und dann Wasser aufzusetzen, um Tee zu kochen, damit Shou auch noch etwas Warmes zu trinken bekäme. „Die Schule hat mich rausgeschmissen, als es öffentlich wurde.“ Welchen Sinn hatte es denn jetzt noch, es ihm nicht zu erzählen? Ich sah, dass er sich wieder zu ihm umsah, scheinbar mit der Absicht, einzuschätzen, wie alt er war. „Er wird sieben“, erklärte ich ungefragt und er sollte auch mit noch so schlechten Mathenoten selber wissen, dass ich dann bei seiner Geburt am Anfang der dritten Oberschulklasse gewesen war und sich vielleicht auch darüber bewusst werden, dass ich bei seinen Abschlussprüfungen dann schon schwanger gewesen sein musste. Ich griff nach dem Tee, gab ihn in eine Tasse und füllte sie anschließend mit heißem Wasser auf. „Was ist mit seinem Vater?“, wollte er dann konsequenterweise wissen und ich verzog innerlich ein wenig das Gesicht, denn das war das eine sehr gefährliche Thema. Ich blickte nicht auf, sonst hätte ich seine Hand bemerkt, bevor er meinen Kragen nach untern zog und damit das Mal entblößte. „Lass.“ Ich schob seine Hand weg. Es war mir irgendwie unangenehm, wenn er es sah und nicht wusste, dass es von ihm stammte. „Er lebt nicht mit mir hier, falls du das wissen willst.“ „Wieso nicht?“ Ich konnte mir nicht ganz erklären, wieso es ihn so sehr interessierte, aber vielleicht musste er es wissen, bevor er wie jeder Alpha verurteilen konnte, dass mein Sohn ohne seinen Vater aufwuchs. „Wir waren kein Paar oder so etwas“, meinte ich mit einem Seufzen und nahm mit einem Blick auf die Uhr den Tee wieder aus der Tasse heraus. „Und wohl beide ziemlich betrunken.“ Ich brachte die Tasse zu Shou, kam dann aber wieder zur Küche zurück, rechnete jedoch absolut nicht mit der Begrüßung, die er für mich übrig hatte, denn plötzlich griff er mich hart an den Schultern und sah mich so durchdringend an, dass ich fast eine Gänsehaut bekam: „Hat er dich“ – Dann wurde er leiser als wollte er nicht, dass mein Sohn es hörte – „vergewaltigt?“ Ich blinzelte verwirrt, dann schüttelte ich den Kopf. „Er hat ausgenutzt, dass ich betrunken war, aber da er mich nie wieder darauf angesprochen hat, gehe ich ehrlich gesagt davon aus, dass er selbst so betrunken war, dass er sich an nichts erinnern konnte.“ Es fühlte sich falsch an, ihn so zu belügen, auch wenn ich eigentlich gar nicht log, denn immerhin war alles davon wahr, aber halt nicht zu hundert Prozent, weil ich ihm gegenüberstand und trotzdem von irgendjemandem sprach und eben nicht von ihm. Eigentlich war sowieso viel seltsamer, wie heftig seine Reaktion war. „Ich habe mich jedenfalls nicht gewehrt. Ich… es ist nicht gegen meinen Willen passiert“, ergänzte ich noch als Reaktion auf seinen Blick, der nicht besonders beruhigt gewirkt hatte. „Aber er hat dich gebissen!“ Das war unübersehbar. Ich hoffte im Moment am ehesten darauf, dass er mich langsam wieder loslassen würde und griff nach seiner Hand um sie von meiner Schulter zu schieben. Er reagierte auf die leichte Berührung und löste sich damit mehr oder minder freiwillig von mir. Ich zuckte mit den Schultern. „Glaub mir, das habe ich auch schon gemerkt“, meinte ich trocken. Es war irgendwie ironisch und irgendwie witzig gemeint, aber ich lachte nicht darüber, schnaubte eher ein wenig kläglich. „Wenn ich dir sagen könnte, warum er das getan hat, wären wir beide ein wenig schlauer.“ Und das war für ihn wohl sogar in doppelter Bedeutung wahr. Ich warf einen Blick in den Topf, in dem das Wasser jetzt wohl die richtige Temperatur erreicht hatte und legte alle meine Karten offen auf den Tisch. „Es macht das Leben für mich ehrlich gesagt leichter. Außer Alphas bemerkt nämlich niemand, dass der Geruch nach Alpha an mir fehlt und sie denken einfach, dass ich ohne seinen Vater in der Stadt unterwegs wäre.“ „Aber-“ Er stockte, runzelte die Stirn. „Er hat eine Verantwortung zu übernehmen! Dir und ihm gegenüber.“ Den zweiten Satz flüsterte er wieder, nachdem er lauter geworden war. „Ich habe es ihm nie gesagt.“ Schweigend hob ich den Deckel noch einmal an, rührte in dem Topf um, einige Male mehr als nötig gewesen wäre. Bokuto hatte es scheinbar die Sprache verschlagen. Er ging nur immer wieder unruhig ein paar Schritte auf und ab. „Aber-“, setzte er noch einmal an ohne zu wissen, was er eigentlich sagen wollte. „Inzwischen wüsste ich auch gar nicht mehr, wie ich Kontakt aufnehmen sollte.“ Nur dass er gerade direkt vor mir stand und ich ihn glatt anlog. Ich fühlte mich furchtbar dabei. „Dad! Es kommt Volleyball“, rief Shou plötzlich begeistert und lehnte sich über die Lehne in meine Richtung, zumindest bis er Bokuto sah und rot wurde. Ich lächelte leicht. „Dreh es ruhig ein wenig lauter“, erlaubte ich ihm und spürte die Unruhe wieder auf meiner Haut. Es war so peinlich- „Wer spielt denn?“ Und plötzlich war Bokuto wieder selbst fast ein Kind und kam neugierig zum Sofa, setzte sich zu ihm und unterhielt sich begeistert mit dem Jungen über den Sport, der sein Leben bestimmte. Es war ein schöner Anblick und einfach um nicht zu weinen, weil ich beiden das hier verboten hatte, eilte ich ins Bad um das Bettzeug aus der Waschmaschine zu holen, das gestern leider einen Spuckanfall nicht überlebt hatte. Ich hängte es hinter dem Sofa auf, versuchte mich abzulenken von dem Anblick, wie Shou auftaute und über Volleyball sprach und von seinem Schulsport erzählte und davon, dass er neulich einen Spike gelandet hatte. Bokuto ging auf alles ein. Er war so gut mit Kindern, war nicht ohne Grund das Gesicht für die Nachwuchsförderung, auch wenn die Medien immer wieder rätselten, weshalb er selbst keine Kinder haben mochte. Etwas, was ich ehrlich gesagt auch nicht verstehen konnte, denn vermutlich konnte sich ein Profisportler wie er gar nicht vor Angeboten retten, ganz egal, ob von Mann oder Frau. Ich schluckte das dumpfe Gefühl, das ich nach all den Jahren nicht mehr Eifersucht nennen wollte und das sicherlich von dem Mal herstammen musste, herunter und konzentrierte mich darauf, das Bettlaken gerade hinzuhängen, auch wenn es das schon lange tat. „In den Ferien gibt es ein Trainingscamp“, erzählte Shou dann voller Begeisterung und ich wollte nicht noch einmal hören, wie enttäuscht er gleich klingen würde. „Aber wir können es uns nicht leisten.“ Ich wünschte, ich könnte es ihm ermöglichen, aber es war einfach unmöglich. Ich hatte ja nicht einmal eine feste Anstellung, arbeitete überall, wo mich jemand haben wollte oder zumindest nicht ablehnte und hoffte jeden Monat, dass es für die Miete reichen würde. Ich starrte auf die Wäsche als wäre es furchtbar wichtig, wie sie hang, einfach um Bokutos Blick nicht erwidern zu müssen. „Was kostet es denn?“, richtete er die Frage eher an mich. Ich biss mir auf die Lippe. „Das könnte ich nicht annehmen, bitte denk nicht einmal daran“, versuchte ich ruhig zu antworten. Ich konnte Shous Herz beinahe noch einmal brechen hören, aber war zu stolz es auch nur in Betracht zu ziehen, weil es das schlechte Gewissen nur noch verschlimmern und mich wieder einmal in die Pflicht stellen würde, es ihm zu sagen. Dann klingelte es plötzlich und befreite mich aus dieser unglaublich angespannten Situation gerade noch rechtzeitig, bevor sich Bokuto noch Gründe ausgedacht hätte, warum er es doch bezahlen könnte. Ich brauchte dennoch einen Moment, bis mir klar wurde, dass ich aufmachen musste. Eilig ging ich zur Tür und griff nach der Türklinke. Es gab vom Wohnzimmer aus keine Tür zum Flur, sodass, wer auch immer es war, also bis zum Sofa blicken konnte, sobald ich die Tür geöffnet hätte. Aber wer konnte es überhaupt sein? Ich bekam keinen Besuch, außer … War es schon wieder Zeit für die Miete? Mein Vermieter, ein schleimiger Alpha mit mangelnder Körperhygiene stand auf der anderen Seite. „Ich belästige dich natürlich nur ungern, aber du hast diesen Monat wieder vergessen die Miete zu zahlen, Keiji-chan.“ Er hob die Hand an meine Wange und ich wollte der Berührung ausweichen, weil mir übel wurde, wenn er mich so nannte und berührte, aber er konnte mich hier jeder Zeit rauswerfen, das hatte er recht früh klar gemacht, also hielt ich still und spürte die fettigen Finger auf meiner Haut verweilen. „Tut mir leid, es ist irgendwie untergegangen. Shou ist ein wenig krank. Ich hole sie.“ Schnell entzog ich mich der Berührung und eilte zur Küche, betend, dass ich überhaupt genug haben würde. Ich dachte, ich hätte noch eine Woche mehr Zeit und hatte deshalb noch nicht gezählt. Sein Blick folgte meinem Hintern und zu meiner Schande hatte ich mir auf diese Art und Weise schon Mietvergünstigungen ‚erarbeitet‘. Die Gänsehaut kehrte sofort zurück, wenn ich nur daran dachte. Dass Bokuto mir gerade mit seinem Blick folgte, machte alles nur noch schlimmer. Ich holte das Glas mit den Geldscheinen vom Küchenschrank und begann zu zählen. Es enthielt einen 10.000 und zwei 5.000 Yen-Scheine, die einzigen Geldschein in dem Glas. Ich fand noch eine 500 Yen-Münze, dann eine zweite, eine dritte und zuletzt auch noch eine vierte und eine fünfte. Dann verteilte ich den Rest der Münzen auf meiner Hand, musste noch 1500 weitere unter den Münzen finden. Die Miete war günstig und mein Vermieter war kein schlechter Mensch, wenn auch ein Perversling. Er hätte mehr für die Wohnung bekommen können, aber er hatte Mitleid gehabt, und vermietete sie unter Wert. Dennoch rutschte mir das Herz in die Hose, während ich 100 Yen-Münzen zähle. Fünf, sechs, dann auch noch eine siebte waren schnell gefunden, doch es wollte einfach noch nicht reichen. Ich kramte nach dem Wechselgeld, bekam noch 500 zusammen. Dann begann ich auch die Münzen zu zählen, um aus den 50 und 10 Yen-Münzen irgendwie weitere 300 zusammenzubekommen. Zuletzt blieb nur eine Handvoll der kleinsten Münzen übrig, die ich zurück ins Glas warf. Sie klimperten traurig. Dann sammelte ich das gezählte Geld auf und kam zu meinem Vermieter hinüber. „Hier“, sagte ich leise, wusste, dass Bokuto alles gesehen hatte. „Denk daran, dass bald der Aufschlag für die Stadt kommt.“ Er sprach mitleidig und mir rutschte das Herz ehrlich in die Hose. Wie sollte ich das je zusammen bekommen? „Ist gut.“ Meine Stimme blieb fest, auch wenn sie sich zittrig anfühlte. „Tut mir leid, dass Sie wieder zu mir hochkommen mussten. Ich versuche nächsten Monat von mir aus daran zu denken.“ „Ich weiß doch, dass du manchmal viel um die Ohren hast.“ Er lehnte sich vor und ich machte ihm ein wenig Platz an meinem Hals, ließ ihn meinen Geruch einatmen und spürte dann seine Lippen an meinem Hals, auch wenn mir dabei übel wurde. Das war seine Vergünstigung für mich, also hielt ich still. Dann plötzlich hörte ich hinter mit Glas zerbrechen und zuckte sofort herum. Das Wasser tropfte von Bokutos Hand auf seine Hose und den Boden. Alles an ihm sprach von Anspannung, doch ich sah vor Schreck nur, wie sich das Wasser rot färbte und zuckte vor, während zwischen den Alphas wahrscheinlich so ein Alpha-Ding passierte. „Beweg dich nicht, Shou!“, forderte ich, packte eilig ein Handtuch und rannte zum Sofa. „Bokuto-san!“ Als hätte er es gar nicht bemerkt, öffnete sich ganz langsam seine Hand und weitere Scherben fielen zu Boden. Seine Hand war an einigen Stellen eingeschnitten und einige Scherben steckten noch darin. „Tut mir leid, ich habe das Glas kaputt gemacht.“ Bokuto war absolut unmöglich! Ich zog die Scherben heraus, als hinter mir die Tür zuging. Er wimmerte ein wenig wie ein kleines Kind. Selbst Schuld! Was sollte das denn bitte? Man zerbrach ja nicht einfach ein Glas in der Hand! „Komm zum Waschbecken. Tritt nicht in die Scherben“, forderte ich und zog ihn mit, presste das Handtuch auf die Wunden, damit es nicht tropfte. „Auswaschen“, befahl ich weiter. „Ich hole etwas zum Verbinden.“ Und so eilte ich ins Bad, warnte Shou noch einmal vor den Scherben und verband dann vorsichtig Bokutos Hand. „Bitte führ dich nicht so… alpha auf“, bat ich hart und sah ihn anklagend an. „Er hat dich angefasst!“, antwortete er empört. Ich antwortete leise: „Und dafür lässt er mich hier für weniger als 24000 Yen wohnen.“ Was sollte dieser Beschützerinstinkt denn bitte? Ich gehörte nicht ihm– Naja, irgendwie schon, aber davon wusste er immerhin nichts. Er sah mich wütend an und ich drückte kurz ein wenig in die Wunde, damit er sich zusammenriss. „Au!“, fluchte er auf und ich ging so stolz ich konnte an ihm vorbei, nahm das Kehrblech und begann die Scherben aufzufegen. Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Bokuto das Geldglas musterte, auf dem ich irgendwann einmal ein Stück Papier mit Miete geklebt hatte. „Was arbeitest du?“, fragte er leise, mitleidig. Ich wollte sein Mitleid nicht und schmiss erst einmal das Glas weg. Ich wusste, was er implizierte und er sollte es eigentlich auch ohne zu fragen wissen, müsste es riechen können. „Alles, was ich finde“, antwortete ich ihm jedoch, rührte die Suppe um und weigerte mich, ihn anzusehen. Die Suppe musste eigentlich noch mindestens eine Stunde kochen, aber ich probierte sie dennoch, einfach um irgendetwas zu tun. „Es gibt nicht viele, die einen Omega anstellen würden, also sind es meist Aushilfsjobs.“ Ich wollte ihn nicht anschauen, wollte nicht jeden Gedanken in seinen Augen lesen können, während er mich mitleidig mustern musste. „Du hast also nichts Festes?“ Hatte ich das nicht gerade gesagt? Und wieso klang er dabei fast erleichtert?! Ich legte den Deckel wieder auf den Topf und nickte leicht. „Wie geht es deiner Hand?“, wechselte ich das Thema. Immerhin war das sein wichtiges Werkzeug bei seiner Arbeit. „Alles gut. Sind nur ein paar Kratzer.“ Kurz fragte ich mich, ob er tapfer sein wollte oder ob es wirklich stimmte, aber letztlich konnte ich eh nichts daran ändern. Als er nichts weiter sagte und mir ebenfalls nichts einfiel, kam ich zum Sofa hinüber und beobachtete kurz das Spiel auf dem Fernseher, bevor ich Shous Haar streichelte. „Wie fühlst du dich?“ Seine Stirn fühlte sich schon nicht mehr ganz so heiß an, oder? „Besser“, flüsterte er leise, klang aber doch noch eher müde dabei. „Willst du noch etwas schlafen? Ich wecke dich, wenn die Suppe fertig ist.“ Er nickte und manchmal machte ich mir sorgen, wie brav er war und nie widersprach, als er den Fernseher ausschaltete und ins Schlafzimmer zurückkehrte. Ich beobachtete ihn noch einen Moment, dann drehte ich mich zu meinem Besucher um und wusste doch nicht recht, was ich machen sollte. Ich wollte ihn nicht hier haben und doch wollte ich ihn auch nicht rauswerfen, konnte es wahrscheinlich auch gar nicht. „Hast du nie überlegt, deinen Abschluss nachzuholen? In der Abendschule oder so? Du würdest sicherlich keine Probleme haben und-“ Ich unterbrach ihn direkt. „Ich habe keine Zeit dafür.“ Und kein Geld und selbst wenn, was sollte ich mit einem Abschluss? Niemand wollte einen alleinerziehenden Omega einstellen. Ich hatte studieren wollen, vielleicht in die Forschung gehen oder mich in einer Firma hocharbeiten, der Welt beweisen, dass ich all das konnte, vollkommen egal was mein zweites Geschlecht war, aber ich hatte meine Chance verspielt, als ich an jenem Abend zu der Party gegangen war, auch wenn ich es nicht gewusst hatte. „Mein Sohn steht an erster Stelle.“ Bokuto wirkte hilflos und schien angestrengt nachzudenken, wusste aber wohl auch nicht mit dieser Situation umzugehen. Es war aber wohl auch eine ungewöhnliche Situation. Nur war Bokuto auch immer schon ein ungewöhnlicher Alpha gewesen. „Ich könnte dich finanziell unterstützen. Die Welt könnte so viel von dir lernen! Du könntest etwas verändern.“ Er klang so begeistert und überidolisierte mich dabei auch vollkommen, aber das war gar nicht, was mich gerade beschäftigte. Ich versuchte nur irgendwie gegen den Kloß in meinem Hals an zu schlucken und die Wut in meinem Bauch zu unterdrücken, von der ich nicht wusste, warum ich sie spürte. „Ich brauche keine Almosen“, antworte ich ein wenig zu impulsiv und wusste, dass es ihn verletzen würde. „Es sind keine Almosen, es ist nur… Ich meine, ohne dich hätte ich meinem Abschluss wohl nicht geschafft und du konntest doch im zweiten Jahr schon alles, was ich im dritten Jahr brauchte und…“ Er wirkte ein wenig hilflos und ich wollte Mitleid haben, wünschte mir, dass ich… Ja, dass ich was? „Ich habe mich für meinen Sohn entschieden.“ Nicht dass ich anders gekonnt hätte, selbst wenn ich gewollt hätte… „Und sein Vater-“ „Ich will nicht über seinen Vater reden“, blockte ich ab, aber Bokuto hörte nicht auf mich. „Wenn du ihn damit konfrontierst… Ich meine, es gibt Möglichkeiten jemanden anhand seiner DNS ausfindig zu machen. Er würde sicherlich-“ „Er würde ihn mir wegnehmen.“ Bokuto war sicherlich ein guter Typ, aber auch er würde ihn hier nicht leben lassen wollen. „Er hätte das Gesetz auf seiner Seite.“ Manchmal schien er so offensichtlicher Sachen gar nicht zu bedenken. Selbst im Krankenhaus hatten sie ihn mir wegnehmen wollen für so einen Test, weil ich mich weigerte zu sagen, wer der Vater war. Ich hatte mich selbst vorzeitig entlassen. „Du hast ihn sieben Jahre lang aufgezogen.“ Irgendwie schien er darin ein Argument gegen das Gesetz zu sehen, auch wenn es in diesem Bezug weder Hand noch Fuß hatte. Natürlich stimmte es trotzdem und wäre für jeden Omega auch sinnvoll gewesen, nur halt nicht für die Alphas, die in der Regierung herumsaßen. „Die allgemein verbreitete Meinung wäre, dass ich dazu nicht in der Lage bin und ein Alpha der bessere Vater wäre.“ „Das ist nicht fair!“ Natürlich war es nicht fair, aber es war das geltende Gesetz. „Du hast Unterstützung verdient!“ Ich seufzte hörbar. „Bokuto-san, ich schaffe das schon.“ Er blickte mich an, schien etwas in meinen Augen zu suchen und befand sich zugleich scheinbar in einem Konflikt mit sich selbst, der sich nur allzu gut sichtbar auf den Muskeln seines Gesichts abspielte. Ich beschloss das Geldglas wegzustellen, das jetzt leer war. Ich würde diesen Monat dringend arbeiten müssen. Hoffentlich würde ich etwas finden. Ich wollte nicht wieder auf den letzten Ausweg zurückgreifen müssen. Ich hörte Bokuto hinter mir kramen. Als ich mich wieder zu ihm umdrehte, hielt er unsicher zwei Geldscheine in der Hand. „Es ist nicht viel, aber… vielleicht für die Suppe? Und immerhin hab‘ ich das Glas kaputt gemacht.“ Angespannt starrte ich auf seine Hand. Es waren ein 5000 und ein 2000 Yen-Schein, definitiv mehr als das Glas vom Flohmarkt und die Suppe wert waren und das bei weitem. Ich konnte das Geld brauche, musste immerhin auch diesen Monat noch mit dem Geld auskommen, aber alles in mir sträubte sich dagegen, es anzunehmen. „Es soll kein Almosen oder so sein… Aber du hast in der Schulzeit viel mehr Zeit in mich gesteckt als meine Eltern dir bezahlt haben und ich… naja, könnte dich nachträglich entschädigen, dass ich nicht wusste, was eine Lösung ist…?“ Ich stockte, war kurz sogar versucht bei der Erinnerung zu lachen, wie er mich wie ein Auto angeblickt hatte, als ich in Chemie von Lösungen gesprochen hatte und er sich mathematische Ergebnisse vorgestellt hatte. Ich erlaubte es mir nicht. Und ich würde mir auch nicht erlauben, das Geld anzunehmen. Vielleicht las er es in meinem Blick, denn er startete einen neuen Versuch. „Okay, okay, wie wäre es damit? Du arbeitest einfach für mich.“ Ich starrte ihn an. Er wurde rot und wedelte dann heftig mit den Händen. „Ich meine, ich hab‘ eine Wohnung hier in der Stadt, aber ich bin viel unterwegs und ich hole mir meistens jemanden ins Haus, der einmal durchwischt, wenn ich herkomme, und ich könnte doch einfach dich dafür fragen.“ Er lächelte, strahlend, aber auch irgendwie unsicher und seine Mundwinkel sanken langsam ab, umso länger ich ihm eine Antwort schuldig blieb. „Ich will nicht sagen, dass du … nur weil du ein Omega bist…“ Es war beinahe belustigend, ihm dabei zuzusehen, wie er sich vollkommen in seinen Aussagen verhedderte, weil er offensichtlich dachte, dass ich mich nicht wertgeschätzt fühlte, wenn er mir einen Putzjob anbot. Ich wollte eigentlich nicht ständig in einer Nähe sein, aber wenn es ohnehin war, bevor er in die Stadt kam? Es wäre dumm gewesen, es abzulehnen, wo ich doch noch nie eine so feste Stelle gehabt hatte. „Wirst du mir einen Vertrag aufstellen und mir nur das bezahlen, was ich auch wirklich gearbeitet habe?“, stellte ich als Bedingung und hätte meinen Stolz wohl verfluchen sollen, doch er nickte nur begeistert. „2500 Yen pro Stunde“, hielt er dagegen und ist starrte ihn an. Das war fast das dreifache des Mindestlohns! Niemand der noch ganz bei Sinnen war, würde soviel für jemanden ausgeben, damit er bei ihm putzte! Jetzt war es wohl an mir, einem Auto Konkurrenz zu machen. „So… jede Woche zwei bis drei Stunden“, schlug er vor und ich brauchte erstaunlich lange, bis mir klar wurde, was er gerade ausgerechnet hatte. 4*2500*2=20000, 4*2500*3=30000. Er hatte meine Miete abgepasst. Ich konnte nicht einmal überrascht sein, dass sein Kopfrechnen sich so sehr verbessert hatte, weil ich mich im selben Moment bereits wieder schlecht fühlte. „1000 Yen pro Stunde“, meinte ich also. Das war immer noch über dem Mindestlohn. Natürlich kam ich dann auch nur auf 12000 Yen, wenn ich jede Woche 4 Stunden arbeitete, aber das war schon mehr als genug. „820 wäre der typische Lohn“, warf ich noch ein. Er blickte mich unglücklich an, aber ich hatte nicht vor nachzugeben. „1500“, versuchte er es noch einmal hoch zu handeln und war vermutlich der erste und einzige Arbeitgeber, den ich je haben würde, der mir möglichst viel bezahlen wollte. „Kein Mensch könnte in Tokyo von dem Mindestlohn leben.“ Das war… überraschend wohlüberlegt. Früher hatte er nie so gewirkt als würde etwas so Öffentliches für ihn überhaupt Sinn ergeben. Vielleicht war er doch älter geworden? Ich seufzte und nickte. „Ich kümmere mich um einen Vertrag!“, meinte er begeistert und ich versuchte mich ebenfalls an einem ehrlichen Lächeln. „Gibst du mir deine Handynummer?“ Zum Glück hatte ich überhaupt eine, die ich ihm geben konnte. Ein Prepaidhandy, das fast nie aufgeladen war. Ich nickte leicht und beobachtete dann, wie Bokuto sein Handy herauszog, neu, teuer. Schweigend tippte ich meine Nummer ein. War das wirklich das Richtige? Konnte ich für ihn arbeiten? Natürlich war es das Richtige, so ein Angebot nicht abzulehnen, aber mich plagten auch Zweifel. Er war derjenige, den ich meinen Alpha nennen sollte; derjenige, den ich einst geliebt hatte und der dann doch auch mein Herz gebrochen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)