Lügenpalast von DragomirPrincess ================================================================================ Prolog: Prolog -------------- Prolog Ich konnte mich nicht erinnern, wie ich nach Hause gekommen war. Zumindest nicht direkt nach dem Aufwachen. Mein Mund fühlte sich so trocken an, dass es beinahe weh tat zu atmen, also zwang ich mich aus dem Bett, auch wenn meine Beinmuskulatur irgendwie schmerzhaft zog – oder saß der Schmerz höher als das? –, und tastete mich mit halbgeschlossenen Augen in Richtung Badezimmer vor. Ich tastete nach dem Lichtschalter, die Augen immer noch zusammengepresst. Irgendwie war das Licht heute morgen heller als sonst, oder? Im Bad trank ich erst einmal in großzügigen Schlucken aus dem Wasserhahn und spritze mir das kühle Nass ins Gesicht. Dann blinzelte ich, bis ich mich an das Licht gewöhnt hatte und sah mich nach der Uhr im Regal neben der Badewanne um. Ich traute meinen Augen kaum! Es war schon nach 13 Uhr und ich war ein bisschen erschüttert von mir selbst. Ich schlief nie länger als bis um 9 Uhr! Nur langsam erinnerte ich mich, dass gestern die Feier des Volleyballclubs gewesen war, die sie zu Ehren ihres Ass-Spielers gefeiert hatten, da dieser Geburtstag gehabt hatte. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass ich überhaupt eingeladen worden war, denn obwohl ich mir die Spiele unserer Mannschaft immer ansah, war ich kein Mitglied. Immerhin war ich ein Omega und Omegas spielten keine so kompetitiven Sportarten. Ich war nicht unsportlich, sicherlich nicht, aber mit den Teammitgliedern hätte ich nicht annähernd mithalten können. Außerdem hatte ich auch gar keine Zeit dazu einen so zeitintensiven Sport zu betreiben. Ich war Teil des Begabtenförderungsprogramms und einiger naturwissenschaftlichen Forschungsgruppen, die unsere Schule anbot. Ich hatte jenem Assspieler ein- oder zweimal beim Lernen und den Hausaufgaben geholfen – Obwohl er ein Jahr über mir in der Schule war –, aber was war das schon wert? Er erinnerte sich wahrscheinlich nicht einmal an meinen Namen… Letztlich hatte das Volleyballteam aber wohl einfach jeden eingeladen, wenn ich mich an die Zahl der Gäste erinnerte, also war es nicht wirklich etwas Besonderes gewesen und wenn ich ehrlich war, hatte mir die Musik auch nicht im Geringsten gefallen und mit der Stimmung und dem Alkohol hatte ich auch nicht wirklich warm werden können… Zumindest nicht bis Bokuto Kotaro selbst mir ein Glas in die Hand drückte und dieses übertrieben strahlende Lächeln mit mir teilte, das mich irgendwie etwas kribbelig machte. Ich griff nach meiner Zahnbürste, wollte sie gerade unter das Wasser halten und Zahnpasta darauf verteilen, als mein Blick auf den Spiegel fiel und ich die seltsamen roten Kratzer an meinem Hals bemerkte. Ich drehte den Kopf und erstarrte in jeglicher Bewegung. Da, direkt oberhalb meiner Hormondrüse zeigte sich in all seiner roten Pracht ein … roter Fleck; ein Hämatom, wenn ich es ganz genau nahm, wie ein großer blauer Fleck und mir wurde ein wenig flau im Magen, als mir klar wurde, was das war und wie man es im Volksmund nennen mochte: Ein Knutschfleck. Ich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen, als die Bilder an den nackten Körpers eines Alphas in meine Erinnerung zurückkehrten, wie seine breiten Schultern die Welt vor mir abschirmten, die kräftigen Hände über meinen Körper strichen, wie er in mir war, heiß und groß und tief und… Mein Herz raste in meiner Brust. Ich spürte, eine gewisse Feuchtigkeit in meiner Unterwäsche und mir wurde bewusst, dass das wohl noch Nachboten meiner Läufigkeit waren, die jedoch mit dem Sex der letzten Nacht scheinbar bereits ihr Ende gefunden hatte. Es war nicht meine erste Hitze gewesen, auch wenn ich mich erst in meinem dritten Jahr der Mittelschule endgültig als Omega offenbart hatte. Ich wusste allerdings, dass sie in den ersten Jahren noch sehr unregelmäßig sein konnten und damit auch die Länge von Mal zu Mal noch variierte, sodass es mich nicht wirklich verwunderte, dass das Gefühl der Benommenheit, der sexuellen Überstimulation mich nicht mehr belastete. Außerdem hatte ich in der letzten Nacht zum ersten Mal… Sex gehabt. Der Gedanke kribbelte auf meiner Haut. Ich wusste aus dem Biounterricht, dass es zwei Arten geben konnte, wie sich das auswirken konnte: Entweder es trieb das sexuelle Verlangen ins Unermessliche, sodass die Läufigkeit bis zu fünf Tage halten konnte, oder sie endete in kürzester Zeit. Scheinbar war zweiteres bei mir der Fall gewesen. Und doch war es mir eigentlich völlig egal in diesen Moment, denn in meinem Kopf drehte sich alles um das Bild, das sich in meine Erinnerung gebrannt hatte; das Bild desjenigen, der  dieses… Mal auf meinem Nacken hinterlassen hatte; das Bild von Bokuto Kotaros nacktem, muskelgestählten Körper über mir. Ich sollte wütend sein. Ich sollte weinen müssen oder zumindest hilflos sein, weil er mich betrunken gemacht und mein erstes Mal genommen hatte; weil wir uns doch eigentlich kaum kannten, weil ich mich nicht mit klaren Gedanken dafür entschieden hatte, weil ich zu jung und nicht bereit gewesen war und es wohl eigentlich auch zu schnell ging, aber stattdessen kribbelten meine Finger, mein Herzschlag glich dem Flügelschlag eines Kolibris und … irgendwie widersprach diese Reaktion jeglicher Vernunft, aber es war mir egal. Irgendwie war ich einfach… glücklich. Und ich war mir auch nur allzu bewusst, warum ich so fühlte, denn ich war schon die ganze Zeit, seit dem ersten Spiel, das ich gesehen hatte, seit ich ihm das erste Mal in Chemie geholfen hatte, einfach furchtbar in das Ass des Volleyballteams verliebt gewesen; ich und der ganze Rest der Schule. Aber er hatte mit mir geschlafen, hatte mich geküsst und auf meiner Schulter sein Zeichen hinterlassen und mein Herz wollte einfach vor Freude explodieren. Ich verbarg den Knutschfleck dennoch lieber unter einem Schal, bevor ich meinen Eltern unter die Augen trat. Ich war erst siebzehn und ich hatte ihnen ehrlich gesagt auch nichts von der Party erzählt und war einfach gegangen. Genau genommen war auch niemand von uns alt genug für Alkohol gewesen, aber so ganz konnte ich es nicht bereuen. Ich war lange nicht so froh gewesen, dass meine Eltern beide Betas waren, denn so konnten sie ihn nicht an mir riechen. Die Standpauke, die ich sonst bekommen hätte, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Ich konnte mir so oder so nur allzu gut vorstellen, dass sie mich für zu jung für Sex hielten. Es lenkte mich bloß von der Schule und meinen Noten ab, aber letztlich war es früher normal gewesen. Da hatten Omegas in meinem Alter bereits Kinder gehabt. Es war nichts Ungewöhnliches früher, dass sie mit ihrer ersten Hitze ihren Partner zugewiesen bekamen und damit ihre gesamte Bildung für beendet erklärten. Um Missverständnisse zu vermeiden, ich war froh, dass ich nicht in dieser Zeit geboren war, dass ich mich bilden konnte, dass ich über das Begabtenförderungsprogramm vielleicht sogar ein Stipendium für die Uni bekommen könnte. Liebe und Männer waren kein Thema in meinem Leben gewesen, klar, irgendwie hätte ich sicher wen gefunden, irgendwann, … vielleicht, aber vorher stand meine Ausbildung im Vordergrund. Ich wollte Karriere machen und erfolgreich werden und alle diese Dinge, die so viele Menschen Omegas nicht zutrauten! Körperlich würde ich nie an einen Beta heranreichen, geschweige denn an einen Alpha, aber geistig konnte ich es mit ihnen allen aufnehmen und ja, darauf war ich ein wenig stolz. Und wenn ich niemanden fand, würde ich auch allein stark genug sein und zurechtkommen! Dass ich in Bokuto verliebt war, bedeutet nicht, dass ich ihn brauchte. Karriere würde vor jeglichen Gefühlen dieser Art Vorrang haben, das hatte ich mir geschworen. In meinem Bauch tanzten trotzdem Schmetterlinge auf und ab, wenn ich nur an Bokuto dachte. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wieder zu sehen. Vielleicht würde ich am Montag wieder einmal beim Training zusehen und danach mit ihm sprechen? Mit diesem Gedanken wusch ich den Geruch nach Alkohol, Sex und Tabak aufgeregt und glücklich von meinem Körper und konnte mit einer Schmerztablette und viel Trinken sogar die Kopfschmerzen vergessen, die mich seit dem Aufstehen plagten. Ich musste nicht bis nach dem Unterricht warten, denn ich stolperte, kaum dass ich am Montag die Schule betreten hatte, fast in ihn und seine Freunde hinein. Sie unterhielten sich, also hielt ich mich zurück, wartete geduldig ab, bis ihr Gespräch zu Ende war. „Gott, shit, Alter“, fluchte Bokuto nicht wirklich wortgewandt, aber irgendwie hätte es anders auch nicht zu ihm gepasst. Er rieb sie den Kopf und zerstörte dabei seine Frisur wohl ein wenig. Nicht dass es mich störte, wenn sich dadurch dieser leicht… warme Geruch in meiner Nase verteilte, der mich irgendwie an einen Sommertag und Strand und Meer erinnerte. „Ich hatte den Kater meines Lebens. Was zur Hölle habt ihr mir da zusammengemischt?“ Das war ein Gefühl, das ich nur allzu gut nachvollziehen konnte und ich hatte definitiv kaum so viel getrunken wie er. Ich musste sogar fast ein wenig lächeln, doch dann sprach er weiter und seine Worte rissen mir den Boden unter den Füßen weg. „Ich kann mich an gar nichts mehr erinnern. Hab‘ ich irgendeins der Mädels abgeschleppt? Ich hab‘ absolut keine Ahnung, wem der Tanga gehört, der in meiner Hosentasche steckte.“ Die Worte bohrten sich wie ein Pflock in mein Herz. Ich hatte nicht gewusst, dass ein paar Silben so eine starke körperliche Reaktion auslösen konnten, denn das war ein spürbarer körperlicher Schmerz, der mich dabei erfasste. Ich konnte nicht einmal sagen, was mehr weh tat: Das Bewusstsein, dass er sich nicht erinnern konnte; dass er schon völlig betrunken gewesen war, als er mit mir geschlafen hatte; oder, dass er in dieser Nacht offenbar nicht nur mich gehabt hatte, sondern auch noch irgendein Mädchen, das ihm ihre… Unterwäsche zugesteckt hatte. Die Kumpels pfiffen, aber das Geräusch rauschte nur in meinen Ohren. „Wie sah er aus?“, wollten sie sofort wissen. „Vielleicht kriegen wir ja raus, wer es war. Sie wäre es definitiv wert, meinst du nicht?“ „Sowas von!“ Ich hatte das Gefühl meine Tasche nicht halten zu können, irgendwie war mir übel und… und ich stolperte beinahe ein wenig, als sie aus meinen Fingern und hörbar auf den Boden fiel, wobei ihr Inhalt sich überall verteilte. Die Volleyballspieler blickten auf und entdeckten mich. Ich schaffte es vor Scham kaum noch mein Gesicht unbewegt zu halten, wie ich es sonst immer tat. „‘tschuldigung“, nuschelte ich und hockte mich hin, um eilig alles wieder einzupacken. „Yo!“, begrüßte Bokuto mich grinsend und es hätte wohl nicht mehr weh tun können, wenn er gar nichts gesagt hätte. Er kam mir zur Hilfe und kurz schien es mir, als würden seine Nasenflügel beben, aber das war natürlich Unsinn. „Wolltest du irgendetwas?“, fragte er, als meine Tasche wieder gepackt war. Ich stockte kurz, dann schluckte ich und schüttelte den Kopf. „Ich wünsch‘ dir nur viel Erfolg bei den Abschlussprüfungen. Ich fürchte ich kann dir nicht weiter mit dem Lernen helfen, also musst du es von hier aus allein schaffen.“ Ich drückte meine Tasche an meine Brust und eilte davon, die Kommentare hinter mir ignorierend, die nach ‚Nerd‘ und ‚seltsam‘ klangen. Wahrscheinlich kam auch noch hübsches Gesicht irgendwo darin vor. Das war zumindest, was ich immer hörte, wenn Leute über mich sprachen: Dass mein Gesicht hübsch war, aber man sonst wirklich nichts mit mir anfangen könnte. Und irgendwie fühlte sich das gerade verdammt wahr an, wenn er sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte… Ich hätte es früher merken sollen. Ein Hämatom hätte längst abgeheilt sein müssen! Spätestens nach zehn Tagen sollte davon gar nichts mehr zu sehen sein, selbst wenn es wirklich stark war. Ja, Omegas neigten eher dazu, das wusste ich, aber ich konnte nicht verstehen, wieso ich nach zwei Wochen nicht skeptisch geworden war. Wieso mir erst nach schon fast einem Monat aufgefallen war, dass da immer noch Spuren von dieser Nacht waren? Ich hatte mich einfach so an das Halstuch gewöhnt, dass es mir nicht aufgefallen war und meine Eltern waren auch nicht skeptisch, als ich meinte, dass das mit dem Schal jetzt so modern war. Das, was ich für einen Knutschfleck gehalten hatte, war abgeheilt, ja, alles in allem waren die Spuren dieser Nacht an meinem Hals weniger geworden, aber sie waren noch da und ich konnte nicht glauben, dass ich so dumm gewesen war, dass es mir nicht klar gewesen war, dass ich nicht wenigstens einmal gegooglt hatte, wie ein Knutschfleck aussah. Jetzt saß ich mit zittrigen Fingern über meinem Biobuch und starrte die Abbildung dort an. Das Partnerschaftsmal (nota coniunctionis) entsteht beim Biss eines Alphas im Zuge des Geschlechtsverkehrs, während der vierteljährigen Läufigkeit eines Omegas, auf Höhe der am Hals befindlichen Hormondrüse (gladula coniugii). Dabei entsteht ein einem Hämatom ähnliches Mal, das jedoch nicht abheilt, sondern in einer Art Vernarbung deutlich sichtbar den gebundenen Zustand des Omegas anzeigt. Es ist möglich, dass ein Alpha mehrere Omegas markiert. Das Überbeißen eines bereits existierenden Mals hingegen ist nur unter Schmerzen möglich, da die Hormone, die ein Lustgefühl bei der Bindung an den ersten Partner auslösen, kein weiteres Mal während der Läufigkeit produziert werden, sobald eine derartige Verbindung einmal geknüpft wurde. Ein Band ist lebenslang geknüpft, es lässt sich nicht wieder entfernen. In machen Kulturen wird das Partnerschaftsmal aus religiösen Gründen unter einem Halsband verborgen, das an seiner Stelle signalisiert, dass ein Omega gebunden ist. Möglicherweise wurde dies zur Verhinderung von Übergriffen auf bereits gebundene Omegas eingeführt, da es einen weiteren Biss unmöglich macht, solange das Halsband getragen wird. Obwohl durch einen Biss die eigentlich Geschlechtsreife erst ausgelöst wird, gibt es Studien, die zeigen, dass die Fruchtbarkeit eines Omegas in der Nacht des Bisses auf über 70% ansteigt. Zur Erinnerung: Während der Läufigkeit beträgt die durchschnittliche Empfänglichkeit etwa 50-55%. Außerhalb der Läufigkeit hingegen weniger als 5%. Bei ungebundenen Paaren ist diese Wahrscheinlichkeit noch niedriger, auch wenn hierzu aussagekräftige Zahlenwerte fehlen. Der Handspiegel lag neben mir auf der Matratze. Ich wagte es nicht, ihn wieder anzuheben, denn das Mal an meinem Hals glich demjenigen, das auf der Hochglanzseite abgedruckt war in jedem Detail. Und doch war es nicht das, was ich wieder und wieder las. Es war diese eine Zahl. 70%. Siebzig Prozent. Siebzig verdammte Prozent. Es war unmöglich, nicht wahr? Sicherlich hatten wir verhütet! Wir mussten verhütet haben! Es wäre doch völlig unvernünftig es nicht zu tun, selbst wenn wir betrunken waren. Wieso musste ich mich genau an dieses Detail nicht erinnern können, wo sich doch sonst jeder Muskel an seinem Körper scheinbar in meinen Verstand gebrannt hatte und mich in meinen Träumen verfolgte?! Ich war unmöglich schwanger. Selbst wenn wir nicht verhütet hatten – Was wir sicherlich hatten! –, dann war das auch nur ein statistischer Wert und dreißig Prozent sprachen immer noch dagegen und... Diese Gedanken hatten nur einen einzigen Vorteil: Ich beschäftigte mich zumindest nicht damit, dass ich mein Leben lang an Bokuto Kotaro gebunden war, der absolut kein Interesse an mir hatte. Ich presste meine Hand fester um die blauweiße Verpackung, versuchte sie vor den Blicken aller zu verbergen, die mich dabei entdecken könnten, wie ich einen Schwangerschaftstest kaufte. Ich wollte vor Scham am liebsten im Boden versinken. Was wenn mich jemand so sah? Jemand aus der Schule wohlmöglich. Ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich hatte das Gefühl, das mich jeder, der das sah, verurteilte. Ich war jung, zu jung. Selbst wenn ich meine Schuluniform nicht trug, musste doch jeder sehen, dass ich noch in der Highschool war. Wieder trug ich den Schal dick um den Hals geschlungen, schämte mich dafür, wagte es nicht in meinem Alter damit öffentlich herumzulaufen, nicht nachdem ich gehört hatte, dass er in derselben Nacht noch ein Mädchen gehabt hatte, dass er es eben nicht getan hatte, weil er mich mochte, auch wenn es mir das Herz brach, wenn ich nur daran dachte. Ich blickte zur Kasse, drückte die Papppackung noch mehr zusammen, spürte, dass sie unter meinem Fingern ihre Form verlor und ich konnte mich doch nicht dazu bringen, hinzugehen. Ich starrte die Kassiererin vom Ende der Regalreihe an, sie blickte nicht auf, bemerkte mich gar nicht und konzentrierte sich auf den Kunden vor sich. Ich wollte mein Gesicht in den Händen vergraben, als mir bewusst wurde, dass sie sehen und erkennen würde, was ich gerade kaufte. Dann war ich bereits auf dem Weg zurück zum Regal, um ihn zurückzulegen, auch wenn ich die Packung fast zerquetscht hatte. Ich starrte die Sachen an, Kondome, Gleitgel, Schwangerschaftstests und mir sackte das Herz in die Hose. Wir hatten doch sicherlich verhütet! Das war doch so leicht. Bei dem Biss… Ich… Wahrscheinlich hatte er die Kontrolle verloren und deshalb… Ich versuchte nicht dran zu denken, dass es lebenslang so wäre, aber eigentlich war es nicht schlimm, richtig? Ich hatte nie heiraten wollen… Wenn ich Karriere machen wollte, brauchte ich niemand bei mir und mit dem Mal am Hals, würde sogar jeder denken, dass ich einen Partner hätte. Würde mir das in der Zukunft nicht sogar Möglichkeiten eröffnen? Natürlich war da noch die Läufigkeit, aber es gab inzwischen genug Medikamente, auch ohne große Nebenwirkungen. Ich würde auch ohne einen Alpha klarkommen und meinen Abschluss machen, mein Stipendium bekommen, studieren, arbeiten, Erfolg haben. Ich würde der Welt zeigen, was ein Omega erreichen konnte, wenn er nur wollte! Ich würde dafür sorgen, dass nicht nur Frauen ein Recht auf Gleichberechtigung bekamen! Nur weil wir als Omegas schwanger werden konnten, hieß das nicht, dass wir nicht intelligent waren, dass wir nicht erfolgreich sein konnten, dass wir abhängig waren und den ganzen Tag zuhause bleiben sollten! Mit festen Schritten ging ich zur Kasse und legte den Test aufs Band. Es ging nur darum, sicher zu sein! Ich war keiner dieser Omegas, die sich nach der Mittelschule, sobald sie sich offenbart hatten, einen reichen Alpha suchten und ihm mit den Pheromonen den Kopf verdrehten, bis er sie durchs Leben bringen würde. Und ich war auch niemand, der wild mit dem erst besten rumfickte! Ich war auf Karriere aus. Ich war intelligent und zielstrebig und stolz. Das war ein einmaliger Ausrutscher! ¥900 und dann steckte ich die Packung in meine Jackentasche. Kein komischer Blick, keine Kommentare. Und selbst wenn: Ich hätte nur einen kühlen Blick für sie übriggehabt, kalt und berechnend. Sie wusste nichts über mich und mein Leben und hatte kein Recht mich zu verurteilen. Dann ging ich nach Hause. Ich würde den Test machen und sicher sein, dass es eine unnötige Sorge war. Ich würde wieder ruhig schlafen und morgen in die Schule und zu meinem Chemiekurs gehen und mich auf meine Prüfungen vorbereiten. Vielleicht würde ich Bokuto noch zum Abschluss gratulieren, immerhin hatten wir lange zusammen dafür gelernt und dann würde er mit dem Mädchen mit dem Stringtanga tun, was auch immer er mit ihr tat – Ich verbat mir den Stich im Bauch – und weiter Volleyball spielen oder was auch immer er jetzt vorhatte. Er würde seine Alphadinge tun und ich würde der Welt etwas beweisen und vielleicht ab und an seine Spiele schauen, wenn es sich anbot, einfach weil ich Volleyball mochte und nicht wegen ihm. Natürlich musste ich irgendwann meinen Eltern etwas von dem Biss sagen, aber was machte das schon? Der Mann interessierte mich nicht, der Biss auch nicht. Ich ließ mich davon nicht beeinflussen, also konnten sie nichts sagen. Meine Eltern waren wie immer bei der Arbeit, also verzog ich mich direkt ins Bad. Es würde nur ein paar Minuten dauern und dann würde er das negative Ergebnis zeigen und alles wäre vorbei. Eine Minute verging, dann eine zweite und dann zeichneten sich deutlich zwei blaue Streifen auf dem Teststreifen ab. Er war nicht negativ. Mein Herz rutschte mir in die Hose, das Herz und alles andere an meinem Körper auch. Ich brach zusammen und spürte die heißen Tränen über meine Wangen laufen. Jede Selbstbeherrschung war dahin und die Sorgen übermannten mich körperlich ebenso wie geistig. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Hände zu Zittern aufhörten, nachdem ich das erfahren hatte. Ich hatte es mit Verleugnen versucht, aber ich konnte es nicht wegreden und das wusste ich, also versuchte ich mir klar darüber zu werden, was ich jetzt tun sollte. Ich musste mit Bokuto reden, mit meiner Familie. Ich musste zum Arzt und… Schon seit Stunden starrte ich die Info-Seite über Abtreibungen bei Omegas an. Das Problem war… Es war in Japan verboten und meine Augen brannten schon lange vor Tränen. Ich hatte seit Jahren nicht mehr geweint, bei der Vorsorgeuntersuchung vor der Pubertät hatte ich nachts im Bett ein paar Tränen verdrückt. Ich hatte ein Beta sein wollen, wie jeder andere auch. Ich wusste, dass ich kein Alpha war und ehrlich gesagt war ich mir auch nicht sicher, ob ich es gewollt hätte, aber ein Beta… Ja, ich wäre lieber ein Beta gewesen. Ich war schon ein wenig erschüttert gewesen, als es hieß, dass ich mich als Omega offenbaren würde. Schon als Kind hatte ich Karriere machen wollen. Das war etwas, was mir einfach anerzogen worden war. Es hatte lange gedauert, bis ich stolz auf das sein konnte, was ich war, bis ich beschlossen hatte, dass ich der Welt so oder so etwas beweisen konnte, aber geweint hatte ich nach diesem Abend nie wieder. Jetzt weinte ich Sturzbäche, bittere, bittere Sturzbäche. Und doch unterdrückte ich jedes Geräusch, als ich meine Eltern heimkommen hörte und wagte es nicht es ihnen zu erzählen, verbarg den Schwangerschaftstest in meinem Nachttisch und schloss eilig den Laptop, um ihn wegzustecken, bevor sie es ausversehen hätten erfahren könnten. Ich wusste nicht, wie ich es meinen Eltern sagen sollte, also wollte ich es zuerst Bokuto erzählen. Wenn er es haben wollte, würde ich es austragen und er konnte es großziehen, oder so. Wenn er sagte, dass ich ins Ausland sollte, um es loszuwerden… Ich würde ohne mit der Wimper zu zucken gehen. Er konnte jedenfalls jetzt auch nicht einfach so weitermachen wie bisher. Und er trug an dieser Situation genauso Schuld wie ich, vielleicht sogar etwas mehr als ich! Und so stand ich vor der Sporthalle, hatte mich nicht auf Chemie konzentrieren können und war zuletzt früher gegangen. Jetzt lief ich auf und ab, blickte durch die halboffene Tür. Eigentlich sollten sich die Drittklässler nach den Prüfungen auf Uni-Tests vorbereiten, sich bewerben und nicht mehr zum Sporttraining gehen, aber ich hatte Recht behalten und sah ihn, wie er wieder und wieder Spikes schlug und Aufschläge machte. Es war wie immer ein beeindruckender Anblick, wenn er sprang und zuschlug. Ich mochte es, das Quietschen der Schuhe auf dem Hallenboden, das Geräusch, wenn der Ball ungebremst auf den Hallenboden schlug und der Anblick wie er sich über jeden einzelnen Punkt freute als wäre er der Entscheidendste, den er je gemacht hatte. Er war auf diesem Feld zuhause, dafür musste ich ihn nur ansehen. Ihn davon runterzureißen erschien mir herzlos. Ich wusste, wie er war, wenn sein Herz brach, hatte beim Nachhilfeunterricht schnell gemerkt, wie empfindlich er war, wenn ich ihn und seine Antworten kritisierte. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie unglücklich er sein würde und legte mir die Hand auf den Bauch. Konnte ich ihm das wirklich antun? Er würde nicht mehr spielen können, wenn er ein Kind ernähren müsste. Zerstörte ich damit nicht auch noch sein Leben? Nein! Er würde Verantwortung übernehmen müssen! Er würde mir helfen, das Kind loszuwerden oder er würde es großziehen müssen. Ich würde dafür meine Karriere nicht zurückstellen! „Akaashi!“, rief er dann plötzlich aus der Sporthalle heraus. Als ich aufblickte, winkte er heftig und rannte bereits mit strahlendem Gesicht auf mich zu. Ich sah ihn verwirrt an, als er die Arme um mich schlang. Es verunsicherte mich, vor allem, als er hörbar zu schnüffeln begann. „Du riechst irgendwie anders“, meinte er plötzlich und ich spürte, wie sich etwas in meinem Bauch zusammenzog und ich schob ihn leicht weg. „Das bildest du dir ein, Bokuto-san“, murmelte ich verlegen und schluckte. Natürlich roch ich anders. Er hatte mich gebissen, das änderte bereits alles und dann war da ja noch etwas: Ich war schwanger mit seinem Kind. Die Situation lähmte meine Zunge und ich wusste nicht, was ich sagen sollte, wie ich es sagen sollte, aber wie immer war das für Bokuto kein Problem. Er sah mich strahlend an. „Hast du meinen Spike eben gesehen? Ich hab‘ ihn genau auf die Rücklinie geschlagen! Meine Trefferquote wird immer höher!“ Er war immer so leicht und unbeschwert, wenn er sprach, dass es mir schwerfiel, mich davon nicht einfach anstecken zu lassen, aber letztlich würde diese Situation für ihn mindestens ebenso furchtbar werden wie sie für mich bereits war. Aber er war nicht ernsthaft genug, um das zu spüren, und irgendwie fiel es mir schwer seine Freude sofort zu bremsen, also nickte ich leicht. „Ja, habe ich gesehen, aber ich habe nicht wirklich Ahnung davon. War das ein Punkt?“ Ich wusste, dass es ein Punkt war. Ich hatte genug Spiele gesehen, um das zu wissen. Ich wusste aber auch, wie viel Spaß es ihm machte, es mir zu erklären. Als ich einmal den Volleyball in seinem Zimmer genommen hatte, nachdem wir einige Stunden für seine Prüfungen wiederholt hatten, und ihn nur in der Hand gedreht hatte, war er sofort Feuer und Flamme gewesen und hatte mich beinahe wie ein Hund angesprungen. „Kannst du spielen?!“ In jedem seiner Worte spürte ich seine Begeisterung für diesen Sport und es war beinahe bedrängend wie nah er mir dabei kam. Ich versuchte das Kribbeln zu unterdrücken, das ich dabei spürte, und schüttelte den Kopf. „Nein. Wir hatten es in der Grundschule mal im Sportunterricht, aber ich denke nicht, dass ich es ‚spielen können‘ nennen würde.“ Trotzdem setzte ich den Ball auf meine Fingerkuppen und pritschte ihn leicht nach oben, einmal, zweimal, beim dritten Mal fing ich ihn wieder auf. Ich hatte damals ein wenig gesettet, aber mit der endgültigen Zuweisung meines Omega-Status war das vorbei gewesen. Niemand wollte einen Omega im Team haben, auch nicht als Setter. „Ich habe schon seit einer ganzen Weile keinen Ball mehr in der Hand gehabt.“ Dennoch fühlte es sich nicht allzu unbekannt an, ihn in der Hand zu drehen. Bokutos Blick zuckte zum Fenster und mit kurzer Verzögerung wurde mir klar, dass er prüfte, wie dunkel es schon war. „Hast du Lust noch ein paar Bälle zu spielen? Nicht hart, einfach ein bisschen hin und her.“ Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung und obwohl ich einen Blick auf meine Uhr warf und wohl eigentlich wirklich langsam nach Hause sollte – Ich hatte das Pensum, für das er mir etwas bezahlte auch schon längst erreicht – konnte ich es ihm einfach nicht ausschlagen. Vielleicht hatte ich auch einfach Lust dazu. Ich hatte in letzter Zeit so viele Spiele unserer Schule gesehen und auch im Fernsehen und Internet die Profispiele angeschaut. Ich hatte einfach Lust zu spielen und vor allem… „Du willst mit einem Omega spielen?“ Er sah mich völlig unverständig an. „Ja, klar, wieso nicht?“ Und seine Ehrlichkeit dabei war einfach verdammt entwaffnend. Ich hatte es schon vorher bemerkt. Er gab nicht viel darauf, ob jemand Alpha, Beta oder Omega war. Andere Alphas wären zu stolz gewesen von einem Omega Nachhilfe zu bekommen, von meinem Alter mal abgesehen. Er hingegen sah immer aus wie ein Kind, wenn ich ihm Dinge erklärte. Er hatte kaum glauben können, als ich in einem Nebensatz erwähnte, dass Fluorwasserstoff Schokolade auflösen konnte. Ich hatte an die Experimente denken müssen, die ich als Kind gemocht hatte und so hatten wir tatsächlich einen kleinen Backpulvervulkan gebaut. Es war witzig gewesen ihm zu erklären, wieso er ‚ausbrach‘, auch wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher war, ob er es wirklich verstand. „Ich denke, jetzt macht es auch keinen Unterschied mehr, ob ich eine Bahn früher oder später nehme.“ Es wurden etliche Bahnen später, ehrlich gesagt beendeten wir unser Spiel erst, als es zu dunkel wurde um den Ball zu sehen. Wir hatten ihn einfach einander zu gespielt, gepritscht, dann auch gebaggert, auch wenn ich darin deutlich weniger gut war als ich es in Erinnerung hatte. Zuletzt hatte ich zugegeben, dass ich mal ein wenig gesettet hatte und er war sofort Feuer und Flamme gewesen und wir hatten die gesamte letzte Zeit damit verbracht, dass ich den Ball für ihn stellte und er ihn gegen eine Wand schlug, von der er möglichst zu mir zurücksprang, damit ich ihn wiederum stellen konnte. Es machte mir Spaß und es versetzte mit beinahe einen Stich, dass ich das eigentlich nie wieder machen könnte. Es gab Omega-Teams, wenn man gut danach suchte, aber das war einfach nicht dasselbe und ehrlich gesagt fehlte mir dabei der kompetitive Gedanke vollkommen. Es musste ja nicht gerade die Weltmeisterschaft sein, aber welchen Sinn hatte es, gut in etwas zu sein, wenn man es niemandem Zeigen und beweisen konnte? Bokuto strahlte ebenfalls über das ganze Gesicht. Er hatte viel mehr Kraft in die Schläge gesetzt, als eigentlich nötig gewesen wäre, und war dadurch viel erschöpfter als er eigentlich hätte sein sollen, aber er sah glücklich aus und irgendwie war es auch ein befriedigender Anblick, wenn er im Zwielicht so grinste und mich überschwänglich lobte. „Das war so gut! Du bist wirklich gut!“ Er übertrieb, das wusste ich gut, aber es war trotzdem schmeichelhaft. „Es wäre cool, wenn du im Team spielen könntest!“ Und da sah ich ihn dann doch ein wenig fassungslos an. Wie kam er denn auf solche absurden Gedanken? Dafür war ich nicht annähernd gut genug, geschweige denn, dass ich mit ihnen mithalten könnte in einem richtigen Spiel. „Erzähl keinen Unsinn“, murmelte ich als Antwort. „Ich hätte keine Chance.“ „Ich meine das ernst! Ich würde gerne mit dir spielen!“ Ich wusste nicht recht, mit seiner Begeisterung umzugehen und es war ehrlich gesagt auch gar kein so furchtbarer Gedanke, nur halt unmöglich in einer Gesellschaft wie unserer. Ich versetzte ihm dennoch lieber direkt einen Dämpfer. „Dafür hätte ich gar keine Zeit.“ Immerhin nahm ich mir schon für die Nachhilfe Zeit, die ich eigentlich auf eigenständiges Lernen verwendet sollte. „Ich kann nicht verstehen, wie du noch neben dem Unterricht Zeit auf mehr Unterricht verwenden kannst! Brauchst du nicht ab und an mal Abwechslung? Bewegung?“ Es war nicht das erste Mal, dass er sich darüber empörte. Die Idee, dass jemand keinen Sport brauchte und Spaß an Themen aus dem Unterricht hatte, war ihm völlig unverständlich. Ich lächelte nur leicht und schüttelte den Kopf. „Ich muss langsam wirklich zur Bahn, Bokuto-san“, meinte ich dann und das musste ich wirklich. Ich verbrachte viel zu gerne Zeit mit ihm und ließ mich viel zu sehr von ihm ablenken. Ich hatte mir schon mehrmals gedacht, dass ich wohl besser aufhören sollte, mit ihm zu lernen, denn sonst würde ich darauf mehr Zeit verwenden als auf mein Selbststudium für die naturwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaften, denen ich in der Schule angehörte, und das wäre wirklich schlecht, wirklich, wirklich schlecht. Bokuto sah sich um als wäre er sich gerade erst darüber bewusst geworden, dass es schon dunkel draußen war und wir wahrscheinlich schon an der zwanzigsten Stunde des Tages kratzten, wenn nicht sogar an einer noch späteren. Er lachte jedenfalls und fuhr sich entschuldigend durchs Haar: „Du hast an einem Samstag Abend bestimmt etwas Besseres zu tun, als einem Sport-Fanatiker wie mir bei Stoff aus dem dritten Jahr zu helfen…“ Die Entschuldigung war so entwaffnend ehrlich, dass es mich beinahe ein wenig zum Lachen brachte und ich ihm nicht hätte böse sein können, selbst wenn ich es gewollt hätte. Außerdem hatte ich eine Ahnung, dass er sich unter Abendbeschäftigung dabei etwas anderes vorstellte als ich, wenn ich an Fachliteratur und Rechenbeweise dachte. „Triffst du dich nicht mit deinen Freunden?“, stellte ich also als Gegenfrage. Er erschien mir nicht als erwachsen genug um Versuchungen wie Alkohol zu widerstehen, auch wenn er noch über zwei Jahre zu jung war, um in diesem Land zu trinken. Ich sah im Licht der Straßenlaterne beinahe etwas wie einen Hauch von Rot auf seinen Wangen und war etwas verwirrt von den Worten, die er dann aussprach. „Ich hab‘ mich wegen unserem Nachhilfetermin abgeseilt. Sie wollten irgendeinen Actionfilm schauen.“ Es verwirrte mich, dass er dabei beinahe verlegen wirkte, konnte nicht wirklich etwas damit anfangen. War er verlegen, dass er Lernen seinen Freunden vorgezogen hatte? Ich konnte es nicht genau sagen. Genauso überraschte es mich, dass er mich scheinbar zur Haltestelle bringen wollte. Wahrscheinlich war das so ein Alpha-Ding? Ich hatte deutlich gemerkt, dass sich geoutete Alphas in der Gegenwart von geouteten Omegas anders verhielten und das gar nicht unbedingt auf einer sexuellen Ebene. Natürlich manche waren absolute Arschlöcher und ich konnte kaum zählen, wie oft mir schon jemand ungefragt an den Hintern gefasst hatte und ich demjenigen am Liebsten eine geknallt hätte, aber auch in anderem Sinn schienen sie einfach beschützerischer zu werden. Ich sprach ihn jedenfalls nicht darauf an und ging einfach mit ihm mit Richtung Haltestelle. „Sollten die nicht auch lieber für ihre Prüfungen lernen?“, schlug ich einfach vor. Ich mochte langweilig sein was das anging, aber es kümmerte mich eigentlich nicht wirklich, was andere über mich dachten. Er nickte begeistert. „Ja, solange er die Linie trifft, ist es ein Punkt!“, rief er und schien beinahe auf der Stelle zu springen, auch wenn er sich eigentlich nicht bewegte. Ich nickte leicht und wusste, dass das natürlich nur stimmte, wenn der Seitenlinienrichter das auch so sah. Er sollte seine Freude daran trotzdem ruhig haben. Also schenkte ich ihm ein Lächeln, das die meisten wohl nicht als ein vollwertiges Lächeln anerkennen würden. Er lächelte kurz, aber strahlend zurück und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich es als verlegen bezeichnen. „Das Halstuch steht dir wirklich gut.“ Das Kompliment kam plötzlich und wie aus dem Nichts. Es wunderte mich, dass es ihm überhaupt aufgefallen war und es würde mir wohl gefallen, wenn ich es nicht aus so völlig anderen Gründen tragen würde und eigentlich zu fertig mit den Nerven war, um auf so oberflächliche Nettigkeiten einzugehen. Ich bekam sie oft, aber ehrlich gesagt würde ich sie auch nicht vermissen, wenn ich sie nicht bekommen würde. Ich brauchte dieses schöne Gesicht nicht. Es hinderte mich ehrlich gesagt eher daran mein Ziel zu erreichen, um als mehr als ein Objekt betrachtet zu werden. Und ganz ehrlich: Ich brauchte es nicht und jeder andere Omega auch nicht. Wir rochen schon gut genug, um die Aufmerksamkeit eines jeden Alphas in einem Raum zu bekommen, selbst wenn wir nicht läufig waren. Natürlich nur, wenn sie auch darauf achteten, aber es gab immer Leute, die behaupteten, dass Omegas nichts in denselben Klassenräumen zu suchen hatten wie Alphas, da sie diese nur ablenkten. Diese Menschen waren aber auch diejenigen, die Omegas wohl am liebsten direkt im Haus eingesperrt und als Brutmaschinen benutzt hätten, sobald sie läufig waren. Ihre Fruchtbarkeitsrate war deutlich höher als die einer Frau und vor allem war ihr Zeitpunkt deutlicher und damit leichter abzupassen. Ich nickte also nur leicht auf sein Kompliment, aber es war egal, denn er war eh sofort abgelenkt. Scheinbar hatte er gerade eine Idee. „Ich habe heute einen Anruf bekommen!“, rief er begeistert aus. „Von Talentscouts.“ In einer düsteren Vorahnung rutschte mir das Herz in die Hose. „Die meisten wollen ja immer noch die Noten in den Prüfungen abwarten, bevor sie ihre Stipendien verteilen“ – Auch wenn alle wussten, dass das einzige, was zählte, war, dass sie bestanden waren –, „aber ich habe gerade eine feste Zusage bekommen! Sie waren bei unserem letzten Spiel in der Meisterschaft und haben sich für mich entschieden! Ich krieg die Unterlagen innerhalb der nächsten Wochen zugeschickt und muss sie nur noch unterschreiben!“ Er schien zu leuchten und ich hatte das Gefühl besser direkt im Boden versinken zu wollen, weil ich alles gleich zerschmettern würde und er- „Und weißt du, was das Beste daran ist?! Es kommt von einer amerikanischen Uni!“ Ich sah ihn ungläubig an. Was hatte er gerade gesagt?! „Wie bitte?“ „In Amerika! Akaashi, ich hab‘ ein Sportstipendium für Amerika!“ Und damit wusste ich eins: Ich hatte kein Recht ihm eine so einmalige Chance zu ruinieren. Das war eine Gelegenheit, die nur ein Sportler unter Hunderten bekam, wenn nicht sogar Tausenden. Und ich wusste, dass Englisch sein einziges gutes Fach war. Und gleichzeitig wusste ich, dass mein Leben damit vorbei war, dass ich ihm das niemals wegnehmen konnte und dass ich allein nicht ins Ausland konnte, dass er das Kind nicht nehmen würde und… und meine Eltern… „Gratulation.“ Doch dieses Lächeln erreichte meine Augen nicht und war so unecht, dass ich nicht glauben konnte, dass ihm das nicht sofort klar war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)