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Liebe, Lüge, Wahrheit

von

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Klarheit

Oscar war schon seit langem nicht mehr zu der Königin bestellt worden. Nun erfuhr sie auch den Grund dafür. Die Königin bat sie um Hilfe und dabei vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Niemand außer ihnen beiden befand sich in den Gemächern ihrer Majestät. „Ihr seid die Einzige, der ich noch vertrauen kann, Oscar. Versteht Ihr? Ihr seid der einzige Mensch, von dem ich weiß, dass er mein Geheimnis bewahren kann. Ich habe sonst niemanden mehr. Um mich herum sind nur Intrigen und vor Neid erfüllter Hass. Reitet zu ihm und richtet ihm aus, dass ich mit Bedauern unsere Verabredung nicht wahrnehmen kann. Ich hatte völlig vergessen, dass der König heute Abend einen hohen Gast erwartet und ich deshalb die ganze Zeit an seiner Seite verbringen muss. Sagt bitte nicht nein, Oscar, sonnst kann ich Euch nie wieder mit reinem Gewissen ins Gesicht sehen.“

 

Arme Marie Antoinette. Zwischen Pflicht als Königin und der verbotenen Liebe außerhalb der Ehe gefangen, wusste sie weder ein noch aus. Oscar kam zu ihr, fasste ihre Hände und nahm sie sachte vom Gesicht. Sie wusste, von wem die Königin sprach. „Seht mich bitte an, Eure Majestät. Glaubt Ihr allen Ernstes, dass ich Euch jemals die Bitte abschlagen kann?“

 

„Ihr seid der einzige Mensch, von dem ich weiß, dass er mein Geheimnis bewahren kann. Ich habe sonst niemanden mehr.“, wiederholte die Königin und nachdem Oscar ihr erneut versichert hatte, die Nachricht an Graf von Fersen zu überbringen, verabschiedeten sie sich.

 

Oscar wäre jetzt am liebsten weit weg von hier. Aber die Königin hatte sie um etwas gebeten und das würde sie erfüllen, ob sie es wollte oder nicht. Sie verließ das Schloss mit vermehrt zerrissenen Gefühlen und einem schweren Druck im Brustkorb. Draußen wartete André bei den Pferden auf sie. Auch wenn er beim niedergeschlagenen Anblick von Oscar ahnte, dass sie jetzt nicht zum Sprechen animiert war, fragte er sie trotzdem. „Was war denn? Wieso musstest du zu ihr, Oscar?“ Er wollte nur für sich bestätigen, ob es wirklich um Graf von Fersen ging oder nicht.

 

Oscar stieg in den Sattel und ritt an. Weder gab sie ihm eine Antwort, noch wartete sie auf ihn. Das tat ihr selbst im Herzen weh, aber sie musste so schnell wie möglich ihren Auftrag ausführen. Geschwind ritt sie nach Paris zu dem Grafen und André folgte ihr. Obwohl er wusste, dass nichts zwischen Oscar und von Fersen passieren würde, wollte er sie trotzdem keineswegs alleine zu dem Grafen reiten lassen.

 

An dem Haus des Grafen meldete Oscar aus dem Sattel einem Empfangsdiener ihren Besuch und wartete vor seinem Haus, bis er rauskam. Sie überbrachte ihm die Nachricht von der Königin und fügte am Ende noch hinzu: „...und ich soll Euch von ihr ausrichten, dass sie versuchen wird, wenigstens nachher auf dem Ball zu sein. Das war es.“ Ihr Blick wurde intensiver, eindringlicher und in ihrem Kopf rasten die Gedanken schon wieder wie im Flug. Was war das genau, was sie zu ihm empfand? Liebe? Nein, das musste etwas anderes sein. Denn Liebe empfand sie zu André und das war ein ganz anderes Gefühl. Ein Gefühl nach Freude, Zuneigung und Geborgenheit. Bei Graf von Fersen war es umgekehrt. Sie spürte Leid, Schmerz nach unmöglicher Liebe und das sehr viel davon.

 

„Ich danke Euch.“, entriss Graf von Fersen sie aus den tiefen Grübeleien. „Wollt Ihr nicht reinkommen, Oscar? Es wird bald regnen.“

 

„Lebt wohl, Graf.“ Oscar wendete stattdessen ihr Pferd, stieß ihm heftig in die Seiten und galoppierte davon.

 

„Was hat Oscar auf einmal?“, fragte von Fersen ihren Freund, der gerade das gleiche tun wollte wie sie.

 

„Nichts, Graf.“ André folgte Oscar unverzüglich und als sie beide das Anwesen der de Jarjayes erreichten, begann es zu regnen.

 

„Ich werde dann gleich die Kutsche vorfahren.“, sagte André, während sie aus dem Sattel stiegen und die Pferde in den Stall führten.

 

„Das brauchst du nicht.“ Oscar blieb unvermittelt an einer der Boxen stehen und drehte sich zu ihm um. Ihre Blicke trafen sich – wie schon seit langem nicht mehr. Oscar las in dem Grün der Augen ihres Geliebten denselben Schmerz und Leid wie bei Graf von Fersen und ihr Brustkorb zog sich schmerzlich zusammen. Sie konnte nicht mehr länger in diese Augen, die sie früher mit so viel Liebe und Zärtlichkeit angeschaut hatten, hineinsehen und senkte ihren Blick. „Ich werde heute Abend nämlich nicht auf den Ball gehen. Reite hin und sage, dass ich krank bin und mit Fieber im Bett liege.“

 

War das ihr ernst? „Das werde ich nicht tun, Oscar.“

 

Oscar versuchte sich abzulenken, indem sie ihm den Rücken kehrte und begann, ihr weißes Pferd abzusatteln. „Darf ich erfahren, wieso?“

 

Das fragte sie noch? Sie musste das doch am besten wissen! Aber gut, dann würde er es ihr erklären. „Der Ball heute Abend ist sehr wichtig, denn es kommen einflussreichsten Menschen Frankreichs und deshalb solltest du, Oscar François, als Kommandant des königlichen Garderegiments und sogar als Nachfolge der Familie de Jarjayes, auf gar keinen Fall fehlen.“

 

Oscar ließ von ihrem Pferd abrupt ab und drehte sich wieder zu ihm um. Dabei zog sie ihre Augenbrauen streng zusammen. „Schon die Vorstellung, dorthin zu gehen, ist mir ein Graus! Ich werde die herabschauende Blicke nicht mehr ertragen, die diese dummen Aristokraten für ihre Majestät, die Königin, übrig haben.“

 

„Eben und genau deshalb musst du hingehen.“, widersprach André. Das war das längste Gespräch zwischen ihnen seit langem, stellte er nebenbei fest und wünschte sich, Oscar möge sich ihm öffnen. Wenn sie zu dem schwedischen Grafen Gefühle hatte, dann sollte sie es ihm sagen und ihn nicht meiden. Sah sie denn nicht, dass sie damit das Wertvollste zerstörte? Ihre Liebe lag bereits in Brüchen, eine unsichtbare Mauer stand zwischen ihnen und wenn es so weiter gehen würde, dann würde nichts mehr zu retten sein. Aber wie könnte man Oscar das beibringen? „Sie braucht jetzt deine Hilfe.“, sprach er weiter bezüglich der Königin. „Du bist der einzige Mensch, dem sie noch vertrauen kann und ich denke, Graf von Fersen sieht es genauso.“

 

Graf von Fersen? Wieso musste er ihn unbedingt erwähnen? Oscar konnte nicht mehr. Sie brauchte ihren Geliebten, seine Nähe und seine Liebe. Aber nachdem was sie angerichtet hatte, würde er höchstwahrscheinlich nicht mehr so einfach zu ihr zurückkommen. „Ich will aber diese Rolle nicht spielen.“ Auch Oscar blieb bei dem Thema der Königin. „Diesmal nicht. Die Sache geht nur die beiden an und wer denkt dabei an mich?“

 

„Du weißt, dass ich an dich denke.“

 

„André...“ Natürlich wusste sie das, aber sie meinte dabei etwas anderes. „Was erwartest du denn von mir? Soll ich mein Schwert gegen die richten, die sich das Maul über sie zerreißen und denen die Augen auskratzen, die sie schief ansehen?“

 

André fand diese Vorstellung etwas amüsant und schmunzelte gequält. „Die Idee ist gar nicht so schlecht, probiere es mal.“

 

Oscar hätte sich am liebsten an ihn angelehnt und sich in seinen starken Armen trösten lassen, aber das schlechte Gewissen ließ das nicht zu. Es war zu viel zwischen ihnen zerbrochen, um es schnell wieder errichten zu können. Es brauchte seine Zeit, aber die Zeit war schon längst verstrichen und es war zu spät, um neu anfangen zu können. Oscar wünschte sich, es wäre nie passiert, sie hätte nie irgendwelche Gefühle zu Graf von Fersen empfunden und zeitgleich kam ihr ein gar nicht so abwegiger Gedanke in den Kopf, wie sie der Königin helfen konnte. Bis der Regen aufhörte, suchte sie für sich eine neue Garderobe aus und zog sie an.

 

„Mama sieht schön aus!“, schwärmte François und André musste ihm recht geben. „Die Kutsche steht auch bereit.“, sagte er und Oscar nickte. „Dann lass uns aufbrechen.“

 

In Versailles waren die Hofdamen von ihrer neuen Uniform entzückt und wünschten sich, Lady Oscar würde mit ihnen tanzen. Oscar jedoch hatte nur die Königin in den Augen. „Heute Abend werde ich Euer einziger Tanzpartner sein.“

 

Marie Antoinette verstand und tanzte die ganze Nacht mit ihr. Auf diese Weise schützte Oscar sie vom weiteren Klatsch und Tratsch. Auf dem Heimweg, am früheren Morgen, schmerzten Oscar die Füße in der Kutsche. Aber das ignorierte sie und versank in Gedanken. Etwas war mit ihr während des Tanzes geschehen und sie versuchte herauszufinden, was das war. Die Kutsche blieb plötzlich stehen und Oscar schaute aus dem Fenster. Vorne stand noch eine Kutsche und neben ihr ein Mann. Oscar war äußerst überrascht. „Graf von Fersen?“ Sie stieg aus und auch André sprang vom Kutschbock und stellte sich an ihre Seite.

 

„Ich danke Euch, Oscar.“, begann Graf von Fersen eine lange Rede zu halten. „Wenn Ihr in Eurer neuen Uniform nicht erschienen wärt und mit der Königin nicht getanzt hättet, dann wäre ich den ganzen Abend nicht von ihrer Seite gewichen. Denn wenn ich sie sehe, dann wünsche ich mir nur in ihrer Nähe zu sein. Aber genau dann würde man mir meine Gefühle ansehen. Das würde sie mit Sicherheit in einen noch größeren Skandal verwickeln. Es war falsch, noch einmal zu ihr zu gehen, aber es ist nun mal geschehen. Meine Unachtsamkeit ist Grund allein für all den Ärger. Wenn ich Marie Antoinette wirklich lieben würde, dann hätte ich mehr Rücksicht auf ihre Lage nehmen müssen. Ich hätte mich nicht in sie verlieben dürfen. Ich habe ihr damit nur Schmerzen und tiefes Leid zugefügt. Ja, ich weiß, es gibt nur noch eine Möglichkeit, ihr zu helfen. Deswegen werde ich Frankreich verlassen. Ich werde einfach weggehen und je weiter, desto besser, für uns alle. Gebt Acht auf sie, hört Ihr, Oscar?!“ Ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, hob von Fersen die Hand zum Gruß, stieg in seine Kutsche und fuhr fort.

 

Er hatte sich als Hauptmann für den Krieg in Amerika gemeldet, erfuhr Oscar später von André. Auf diese Weise wollte er also die Königin schützen, verstand sie und auf dem elterlichen Anwesen dachte sie darüber nach, wie sie André und seine Liebe wieder zurück gewinnen könnte. Sie stand am Fenster ihres Salons, er saß am Tisch und erzählte ihr seinen Eindruck über Graf von Fersen. „Ein tapferer Mann, das muss man ihm lassen. Willst du nicht hingehen und dich von ihm verabschieden? Sie werden heute noch in Richtung Amerika aufbrechen.“

 

Oscar sagte nichts, dafür aber François, der mit André am Tisch saß und seine heiße Schokolade trank. „Was ist Amerika?“

 

„Ein sehr großes Land, das weit weg von hier liegt. Man kann sagen, am anderen Ende der Welt.“, erklärte André und schaute zu Oscar, die ihn anscheinend gar nicht zugehört hatte. Vermisste sie etwa den schwedischen Grafen schon jetzt? André schmerzte diese Vorstellung und er wollte nur noch weg. „Falls du mich suchst, ich bin im Stall, die Pferde müssen neu beschlagen werden.“ Er stand auf und François folgte ihm auf Schritt und Tritt. „Ich komme mit dir mit, Papa! Wo ist das Ende der Welt?“

 

Oscar hörte die Antwort von André nicht mehr. Sie sah ihn aus dem Fenster mit François wenig später den Hof passieren und konnte sich selbst nicht mehr ertragen. Ihr Herz schmerzte und rief, sie sollte André zurückholen und ihn um Vergebung bitten. Aber würde er ihr verzeihen können? Sie hatte Angst, dass er sie abweisen würde und aus diesem Grund zögerte sie, ihn um Vergebung zu bitten. Aber es war ohnehin schon zu spät dafür und es würde nicht mehr so sein, wie es einmal war. Oder bestand doch noch eine zweite Chance für sie? Wenn sie daran nur glauben könnte...

 

Unwillkürlich musste Oscar an Marie Antoinette und Graf von Fersen denken. Die beiden taten ihr aufrichtig leid. Das war genau das, was sie beim Tanzen mit Ihrer Majestät verstanden hatte und ihr leuchtete so vieles ein. Nicht die Liebe oder Zuneigung empfand sie zu von Fersen, sondern sie hatte das große Mitgefühl für sein Seelenleid. Er durfte nicht mit der Frau seines Herzens zusammen sein und sie lieben, weil diese mit dem König von Frankreich verheiratet und eine sehr wichtige Persönlichkeit war. So etwas Ähnliches geschah auch mit ihr, Oscar. Weil sie in ihrem Posten als Kommandant der königliche Garde hoch angesehen war, durfte André sie nicht lieben. Umgekehrt durfte sie auch niemanden lieben, weil sie das Leben eines Offiziers führte. Dennoch hatte sie es geschafft, die Liebe im Verborgenen zu halten und sogar ein Kind hatte sie von ihrem geliebten André bekommen, ohne dass ein Mensch jemals davon erfuhr. Bis auf Graf de Girodel und dank seiner Verschwiegenheit wusste niemand etwas davon. Bei der Königin war es jedoch etwas anders. Schon seit ihrer ersten Begegnung mit Graf von Fersen vor etlichen Jahren, wusste jeder wie zugetan die beiden zueinander waren. Marie Antoinette ging noch immer offen mit ihren Gefühlen um und hatte es noch immer nicht gelernt, sie zu verbergen. Deshalb hatte es nicht lange gedauert, bis der Hofklatsch und die Gerüchte über möglichen Affären zwischen der Königin und dem Grafen aus Schweden entstanden waren. Nun, da der Graf nach Amerika aufgebrochen war, würde es hoffentlich besser werden. Oscar seufzte schwer und versuchte nicht mehr daran zu denken. Sie überlegte lieber, was sie tun konnte, um Andrés Herz und seine aufrichtige und bedingungslose Liebe zurück zu gewinnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Tito
2020-02-11T12:59:24+00:00 11.02.2020 13:59
Das sieht ja so wie Licht am ende des Tunnels aus.
Das Oscar und André wieder zu einander finden.
Auch wenn die gesamtsituation kompliziert ist.
Antwort von:  Saph_ira
22.02.2020 10:07
Das stimmt, es sieht zur Zeit nicht gerade rosig für die beiden, aber die Liebe gewinnt meistens. ;-)
Danke dir für deinen Kommentar


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