Kein Ausweg - Wenn dir nicht einmal mehr die Sterne leuchten von irish_shamrock (Winterwichteln 2018) ================================================================================ Kapitel 5: 5 ------------ Melina wusste kaum, auch nur eine Silbe vorzutragen. Sie starrte zu der Pathologin auf, als habe diese ihr gerade berichtet, dass Schweine fliegen konnten. »Blutleer? Das ist doch Blödsinn!«, zischte Melina, all ihrer Fassung beraubt. »Und was ist das in der Gasse? Auf den Bildern? Ist das etwa kein Blut?« Archer ließ die Zunge schnalzen, blieb jedoch die Ruhe selbst. »Das, was wir im ersten Moment für Blut hielten, war ein Gemisch aus Wasser, Maisstärke und Kreide, mit Zuckercouleur versetzt. All das bekommt man in jedem, herkömmlichen Supermarkt.« »Ich verstehe gar nichts mehr«, gab Melina entkräftet zu. »Chemie, Miss O'Sullivan. Man muss allerdings kein ausgebildeter Chemiker sein -«, begann Williams und wurde jäh unterbrochen, da Doktor Townsend sich vernehmlich räusperte. »Oder Chemikerin«, verbesserte er sich hastig, »um ein solches Gemisch herzustellen.« »Und was heißt das im Klartext?« Beinahe hätte Melina verwirrt aufgelacht, doch sie wusste, dass die speziellen Gefängniszellen für ebenso spezielle Leute, nicht weitab waren. »Das bedeutet, dass man uns auf eine falsche Spur locken wollte«, erklärte Archer. »Kein Raub, keine Vergewaltigung. Selbst die Papiere trug die Tote noch bei sich. Das Einzige, was ihr abhanden kam, war der Lebenssaft.« Unglauben zierte ihr Gesicht. »Und was wollen Sie mir damit sagen? Dass es so etwas wie Vampirismus gibt? Das ist unmöglich!« »Es liegt außerhalb unserer Vorstellungskraft, aber es als unmöglich abzutun, wäre ein Fehler, ein ganz fataler Fehler sogar!«, sagte Detective Williams. »Und wie hat der Mörder es dann angestellt?« Entrüstet warf Melina die Hände in die Luft, ehe in ihren nachfolgenden Worten leichte Ironie mitschwang. »Hat er sie gebissen und dann den Rest mit Nadeln, Schläuchen und diesen komischen Beuteln für später aufgehoben und mitgenommen?« »Aber genauso war es, Miss O'Sullivan.« Detective Archer trug das Offensichtliche kühl und emotionslos vor. Keuchend rang Melina nach Luft und schüttelte ungläubig den Kopf. »Dieses ganze Prozedere würde Stunden dauern!« Die Beamten jedoch schwiegen sich aus. »Wurden denn Einstiche gefunden?«, fragte sie an die Ärztin gewandt. Diese nickte knapp, tauschte jedoch mit den Männern einen besorgten Blick, der Melina nicht entging. »Die Einstiche waren laienhaft, deshalb … konnten die Kollegen beim Eintreffen, im ersten Moment, keine andere Aussage machen. Für einen Junkie war sie zu gepflegt, es konnten auch keine Drogen nachgewiesen werden und der Umgang mit der Nadel war ihr definitiv nicht geläufig«, erklärte Doktor Townsend. »Die Spuren zeigten sich erst in der Pathologie. Es war eine Finte, genau wie diese, vermeintlich dilettante Blutspur, die sich jedoch als äußerst raffiniert erwies. So lenkte der Täter den Fokus auf das Äußerliche.« Doktor Townsend öffnete die Akte und deutete auf ein Foto, das Gabriella Sumners auf dem kalten Stahl des Autopsie-Tisches zeigte. Ein Tuch bedeckte den Oberkörper, das die intimen Stellen der Toten jedoch verhüllte. Allerdings fiel der Blick aller Anwesenden auf die zwei Punkte, die sich schwarz-bläulich auf ihrem rechten Oberschenkel abzeichneten. »Dort befindet sich die Arteria femoralis, die Oberschenkelarterie«, fuhr die Ärztin fort. »Wird diese verletzt, tritt der Tod innerhalb von Minuten ein.« Die Männer schienen ungerührt, doch Melina glaubte zu erkennen, dass Detective Williams ein wenig blasser um die Nase wurde. Doktor Townsend bemerkte den drängenden Blick Archers, und schloss die Akte eilig. »Und nun zu Ihnen, Miss O'Sullivan«, begann der Ältere. »Sie sagen uns jetzt, warum Sie gelogen haben!« Sie wusste nicht, ob die Detectives ihr ihre Geschichte glaubten. Und unter anderen Umständen hätte Melina niemand anderem davon erzählt. »Sie wollen mir also weismachen, dass es Vampire in New York City gibt?«, knurrte sie nach einer Weile der eisernen Stille. Archer und Williams blieben wortkarg, auch Christina Townsend musste wahrlich mit der Erkenntnis kämpfen, die jegliches Verstehen übertraf. Als die Drei jedoch Melinas Frage mit einem einstimmigen Nicken beantworteten, sah sich diese bereit, ihnen Vertrauen zu schenken. In dem Wissen, dass man das Gespräch aufzeichnete, ob durch Kameras oder andere Gerätschaften, erklärte sich Melina O'Sullivan dazu bereit, ihr Schicksal zu teilen. Sie berichtete von ihrem Urgroßvater, und wie dieser, in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, von Irland nach Amerika übersiedelte. Sie hielt sich jedoch nicht mit den Details ihrer Ahnen auf. Einzig, dass sie Ende der achtziger Jahre das Licht der Welt erblickte und seit ihrem siebten Lebensjahr von Träumen gequält wurde, die sie an ihrem klaren Verstand zweifeln ließen. »Glauben Sie, Sie haben so etwas wie hellseherische Fähigkeiten?«, verlangte Doktor Townsend zu wissen. »Ich weiß es nicht«, gestand Melina und blickte auf, die in ihrem Schoß ruhenden, Hände. »Ich weiß nur, dass ich sie sehe.« »Sie?«, hakte Archer nach. »Sie meinen, Sie haben Gabriella Sumners gesehen?« »Nein«, gab Melina zu und hob den Kopf, um die Beamten anzusehen. »Es … ist nicht direkt sehen, es ist mehr … erleben, so, als wäre ich dabei.« »Als Täter?« Melina spürte den abwartenden Blick Detective Williams auf sich. »Nein«, knurrte sie und sah mit zorngeschwängerter Miene zu Williams herüber. »Ich spüre ihre vor Angst schlagenden Herzen, das Brennen in den Kehlen. Ich höre ihre Schreie, fühle das Zerren und Zittern an den Stimmbändern, doch kommt nicht ein Laut daraus hervor. Ich bin in den dunklen Gassen, über mir ein sternloser Himmel und nicht einmal der Mond leuchtet. Ich renne, werde getrieben, gejagt. Und dann ...« Melina war es gleich, ob sich ihre Stimme überschlug. Diese Männer wollten die Wahrheit, und die bekamen sie. »Und dann?«, fragte Archer, nach dem Melina eine Pause eingelegt hatte, um Atem zu schöpfen. »Dann sterbe ich«, erklärte sie. Zu Melinas Überraschung blieb das Gelächter aus. Ihre Befürchtungen, man sperre sie sofort in eine Gummizelle, schienen sich, in diesem Moment, noch nicht zu bewahrheiten. »Und Sie haben diese Träume seit Ihrem siebten Geburtstag?«, bekräftigend nickte Melina die Frage Doktor Townsends ab. »Waren Sie schon bei -?« »Sie meinen, ob ich mir psychologische Hilfe gesucht habe oder bei einem Priester war? Glauben Sie wirklich, ich würde dann jetzt noch vor Ihnen sitzen?« Melina unterstrich ihre sarkastische Aussage mit dem Heben einer Augenbraue. »Touchè, Miss O'Sullivan.« Die Lippen Detective Archers kräuselten sich amüsiert. »Sie wollen doch den Täter finden, richtig? Es bringt Ihnen also nichts, mich als Verrückte abzustempeln, meine Herren, und die Dame.« Melinas Blick huschte zu Doktor Townsend, die die junge Frau jedoch interessiert musterte. »Oh, ich stemple Sie nicht als verrückt ab«, gebot ihr Christina Townsend mit erhobenen, abwehrenden Händen. »Dafür ist das alles hier viel zu tricky.« Verstehend nickte Melina. »Haben Sie diese Träume denn täglich?« Die Ärztin neigte den Kopf. »Ich versuche sie Mithilfe von Tabletten einzudämmen, aber glauben Sie mir, Ihnen verginge garantiert auch die Lust, jeden dritten Tag Bettwäsche und Nachthemd wechseln zu müssen«, murmelte Melina. Als Detective Archer geräuschvoll die Luft einzog, richtete sich Melinas Fokus wieder auf diesen aus. Plötzlich bemerkte sie, dass Williams offenbar den Raum verlassen hatte. »Wo-?«, begann Melina, doch Archer schüttelte knapp den Kopf. »Er ist sofort wieder da«, gebot er ihr, doch Melina schluckte vernehmlich. »Miss O'Sullivan, keine Panik. Wir sind ebenso an der Lösung des Falles interessiert, wie Sie. Williams holt nur ein paar Akten. Es könnte nur eine Weile dauern, da diese im Archiv verstauben.« Misstrauen spiegelte sich auf ihrem Gesicht wider. »Wenn Sie mich in eine Zwangsjacke stecken, kriegen Sie den Täter nie«, zischte sie, doch nun hallte ein Lachen durch das Verhörzimmer, tief und grollend. Nachdem man ihr freundlicher Weise einen Kaffee anbot, genehmigte sich auch Detektive Archer eines dieser koffeinhaltigen Heißgetränke, während Doktor Townsend zu einem Hagebuttentee nicht Nein sagte. Das Warten wurde den Dreien jedoch zu lang, sodass sich die Ärztin von Melina und dem Beamten verabschiedete. Allerdings verlangte sie, immer auf den neuesten Stand gebracht zu werden, doch dasselbe riet ihr Archer ebenso. Nach weiteren Minuten und einem Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, gebot Archer ihr, ihm zu folgen. So traten sie wieder auf den Flur hinaus. »Unser Archiv ist eigentlich nicht weit von hier«, murrte Archer und zog grübelnd die Stirn in Falten. »Lassen Sie uns mal nachsehen, was meinen jungen, ambitionierten Kollegen davon abhält, uns zu beehren.« Wortlos kam Melina seiner Aufforderung nach. Sie verließen den Gang und Melina erkannte die Eingangshalle wieder, die die Zwei nun durchschritten. Knapp erhaschte sie einen Blick auf die Uhr, die über dem Empfangstresen leise tickte und deren Zeiger bereits auf kurz vor zwölf verwiesen. Mrs. McClafy hob den Blick, den Melina mit einem zaghaften Lächeln erwiderte. »Es ist uns streng untersagt, Zivilisten in unser Archiv zu lassen, Miss O'Sullivan«, brummte Archer, als er sie durch die verschlungenen Wege des Hauptquartiers führte. »Dann warte ich draußen?« Ihre Frage quittierte er schnaubend. »Auf gar keinen Fall«, sagte Detective Archer. »Wir, also Detective Williams, und ich, und all die anderen kleinen Arbeitsbienen, wären Ihnen jedoch sehr verbunden, wenn Sie das Stöbern in unseren Archiven nicht unbedingt an die große Glocke hängen würden. Wenn Sie verstehen ...« »Ja«, gab Melina knapp zurück. Vor einer Tür hielt Archer inne. Einzig ein kleines Schild auf der rechten Seite beschrieb jene Räumlichkeiten als Archiv. Sowie Archer sie eintreten ließ, spürte Melina ein jähes Zittern. »Ist alles in Ordnung, Miss O'Sullivan?«, fragte der Detective, der ihr Zögern bemerkte. »Mir ist ein wenig flau im Magen«, gestand Melina. »Das ist normal, oder leiden Sie an Klaustrophobie?«, hakte Archer, der Vorsicht halber, nach. »Nein, wenn dem so wäre, dann hätten Sie mich gar nicht erst in dieses Verhörzimmer sperren können«, murrte sie und verspürte abermals ein leichtes Brennen auf den Wangen. »Meiner Begeisterung zum Trotz!« Kopfschüttelnd ließ Archer ihr den Vortritt. Der Duft von Metall und Staub hing in der Luft, ebenso ein leicht modriger Geruch. »Vor Jahren gab es hier einmal einen Wasserschaden.« Archers Stimme hallte durch den hiesigen Raum. »Hoffen wir, dass das, was wir suchen, nicht allzu sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde.« »Archer?« Detective Williams trat zwischen zwei Regalen hervor und erschreckte Melina so sehr, dass dieser ein spitzer Schrei entfuhr. »Du brauchst eindeutig zu lange, Greenhorn«, schnaubte der Ältere. »Und, bist du fündig geworden?« Mit einem knappen Nicken deutete Williams auf den schmalen Gang, aus dem er gekommen war. »Kommen Sie Archer und Sie auch, Miss O'Sullivan!« Auf einem Tisch waren Akten über Akten gestapelt. Williams umriss knapp die Geschichte des Hauptquartiers, ebenso berichtete er von dem Wasserschaden, den Archer zuvor erwähnt hatte. »Die Aufzeichnungen beginnen mit dem Umzug an diesen Ort«, erklärte Williams. »Und wir müssen jetzt jedes Jahr durchforsten? Ginge das mittels Internet nicht schneller?«, fragte Melina. »Nun, Miss, da haben Sie nicht Unrecht, allerdings wurde unser Archiv nur bis in die 50er Jahre digitalisiert, alles, was davor war, finden Sie hier«, fuhr Detective Williams fort. »Es ist schon eine gefühlte Ewigkeit her«, bemerkte Archer und besah sich die ersten Akten. »Doch mein Großvater erzählte mir davon, dass es um die Jahrhundertwende zu vermehrten Morden kam.« »Ihr Großvater?« Melina neigte den Kopf. »War er auch Polizist?« Archers Lippen verbogen sich zu einem stolzen Grinsen, ebenso schwoll ihm die Brust. »Ich entstamme einer Familie von Polizisten, Miss O'Sullivan.« »Aber das wäre, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen«, murrte Williams. »Schließlich gibt es jeden Tag blutige Verbrechen.« Melina hielt sich vornehm zurück, pflichtete dem jungen Detective jedoch im Stillen bei. »Wo befinden sich die Aufzeichnungen von und um das zwanzigste Jahrhundert?«, fragte sie stattdessen. Archer deutete hinter sich. »Oh«, keuchte Melina auf und spürte, wie ihr sämtliche Farbe aus dem Gesicht wich. »Das ist – aber eine Menge!« Hinter Archers Rücken erstreckten sich raumhohe Regale, angefüllt mit Kartons. Leitern sollten das Herankommen erleichtern, doch Melina wurde schon allein bei dem Gedanken daran, auf eine Leiter zu steigen, schwarz vor Augen. Sie wankte leicht, war jedoch bemüht, standhaft zu bleiben. »Wollen Sie sich setzen? Die Luft kann einem hier ganz schöne Kopfschmerzen bereiten«, sagte Detective Williams und bot ihr einen der beiden Stühle an, die an dem Tisch verweilten. »Gut, dann machen wir uns mal an die Arbeit.« »Aber haben Sie nicht noch andere Fälle, die einer Lösung bedürfen?«, fragte Melina. »Momentan, Miss O'Sullivan, besteht unser Fall aus einem Irren, der Frauen das Blut aussaugt. Was meinen Sie, was Vorrang hat?«, vernahm sie Archers Stimme. Dieser hatte sich bereits eine der Leitern geschnappt und die oberen Fächer erkundet. Melina seufzte auf, nahm die erste Akte vom Stapel und wühlte sich durch die Geschichte New Yorks. So verfuhren die Beamten, mit Melina im Schlepptau, die nächsten zwei Tage, doch diese versprachen keinen Erfolg. »Bekommen Sie eigentlich Zuschläge, wenn Sie das Wochenende im Archiv verbringen?«, fragte Melina und schloss das soeben gesichtete Dokument. »Sie meinen, weil heute Samstag ist?«, hakte Williams nach und Melina zuckte bejahend mit den Schultern. »Miss O'Sullivan, wie haben Sie in den letzten Nächten geschlafen?« Verdutzt blinzelte Melina über seine Neugierde. »Nicht gut. Ich bin selten ausgeruht, nach einer Nacht, in der ich durch die Straßen gehetzt werde.« »Nehmen Sie Tabletten?«, verlangte Detective Williams zu wissen. »Verhören Sie mich, oder flirten Sie mit mir? Ich kann Ihr Vorhaben leider nur schlecht einschätzen, wenn ich mit einem Bein in der Klapsmühle stehe«, knurrte sie, doch die Lippen des jungen Mannes bogen sich zu einem Lächeln. »Weder noch, Miss O'Sullivan«, gab Williams zurück. »Hey, ihr beiden.« Melina reckte den Hals, während sich Williams gezwungen sah, sich nach seinem Kollegen umzudrehen. Archer trat an sie heran und warf ihnen eine Akt vor die Nase. Die ersten Seiten ergaben nichts, dann jedoch entfuhr Melina ein aufgeregtes Keuchen. »Was?«, verlangte Detective Williams zu wissen. »Dieser Artikel hängt bei Ihnen auf dem Flur an der Wand. Sie hatten die Informationen direkt vor der Nase!«, knurrte Melina unwirsch. Archer und Williams überflogen die Zeilen, die von einer Tat sprachen, die den jüngsten Ereignissen nicht unähnlich war. Eine Frau, Anfang dreißig, ledig, wurde tot in einer Gasse entdeckt. Die Polizei sprach von einem Tierangriff, doch auf dem Bild, das die Schlagzeile untermauerte, ließ sich, dank der damaligen Fotografie, nicht sonderlich viel ersehen. Das brauchten sie auch nicht, denn die Aufzeichnungen der ermittelnden Beamten bestärkten den Verdacht, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit nicht um ein Tier handelte, das sein Opfer blutleer zurückließ. »Ihr wurde die Kehle aufgerissen«, las Detective Williams vor, hob den Kopf und suchte Archers Blick. »Womöglich, um eine falsche Spur zu legen?« »Möglich«, raunte Archer, schüttelte jedoch den Kopf. »Kaum zu glauben, dass das, was wir aus Filmen oder Büchern kennen sollen, wahrhaftig existiert.« Seine Worte hingen schwer wie Blei in der Luft. Wie in den letzten Abenden zuvor, schärften ihr die Detectives noch immer ein, Stillschweigen über den Fall zu bewahren. Des Weiteren sollte Melina alles Ungewöhnliche zu Papier bringen, das ihr auffiel. Insbesondere sollte sie dabei auf ihre Träume achten, ob diese nicht irgendeinen Hinweis lieferten, der diesem Schrecken ein Ende bereitete. Träge schleppte sie sich von der U-Bahnstation nach Hause. Dass die Ringe unter ihren Augen immer dunkler wurden, betrachtete Everly mit großer Sorge und Melina war sich gewiss, dass sie in wenigen Minuten abermals in den Genuss ihres besorgten Blickes kam. Everly wusste zwar um die Freistellung Melinas, doch was diese den Tag über trieb, entzog sich ihrer Kenntnis und die Lippen Melinas blieben versiegelt. Dabei wäre es eine solche Erleichterung, Everly von der stetigen Suche nach Hinweisen zu erzählen. Melina seufzte und kramte in der Jackentasche nach ihren Schlüsseln. Sowie die Haustür aufgesperrt war, zerrten ihre Beine sie wie von selbst in die Wohnung hinauf. Ein schönes, heißes Bad, vielleicht ein Tee. Doch auf die Pillen, die Everly ihr gab, würde Melina verzichten, auch wenn die furchtbaren Träume wieder zu ihr kämen. Ihr war nie wohl bei dem Gedanken, sich mit Tabletten in den Schlaf zu wiegen. Zwar hatten auch die Baldrian-Pillen geholfen, doch das, was Everly ihr anbot, schien die Visionen nur noch zu bekräftigen. Als Melina den oberen Absatz erreichte, hielt sie, aus einem Impuls heraus, inne. Ihr Blick huschte über den Gang, doch wirkte alles friedlich. Langsam näherte sie sich der Wohnung und stutzte. Die Tür war einen kleinen Spalt geöffnet, und Kratzer verrieten, dass sich jemand an dem Schloss zu schaffen gemacht hatte. Melina stupste mit dem Fuß gegen das Holz, die Tür schwang leicht auf und wurde jedoch von einem Gegenstand blockiert, der ein weiteres Öffnen verhinderte. Schwer schluckte sie. »Evie?«, rief Melina in die Wohnung hinein und war versucht sich durch die schmale Ritze zwischen Tür und Rahmen zu quetschen. »Everly? Wo steckst du, Everly Hughes? Ich bin zu Hause.« Doch die Wohnung blieb stumm. Erst, als es Melina gelang, in den Flur zu schlüpfen, entfuhr ihr ein gellender Schrei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)