No Witch's Land von Arcturus ================================================================================ III --- Während Leta sich Verband für Verband seinen Arm hinabarbeitete, taten die halbe Phiole Blutbildungstrank und die warme Luft aus dem Ofen ihre Arbeit. Langsam kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück. Wann sich seine Courage dazugesellte, konnte Leta im Nachhinein nicht mehr sagen. Sie bemerkte sie erst, als sie nach einer sauberen Bandage griff und sich die Finger seiner gesunden Hand in ihr Blickfeld schoben und sich auf die Wundauflage über seinem Unterarm legten. Sie warf ihm einen knappen Blick zu, doch er lächelte nur. Einen Augenblick lang wickelte sie schweigend. »Darf ich fragen, wo sich Leta Woodward zurzeit aufhält?« Beinahe hätte sie die Bandage fallengelassen. Nahezu anklagend starrte sie die weiße Gaze in ihren Händen an. Langsam hob sie den Blick. Er lächelte noch immer, doch die Frage, die er eigentlich hatte stellen wollen, funkelte in seinen Augen. »Durham.« »Durham?« Leta nickte. »Sie müssen verstehen, sie wollte die Armee verlassen und ich Großbritannien.« Sie wandte sich wieder der Bandage zu. Vorsichtig rollte sie die letzten Zentimeter der Gaze um seinen Arm und befestigte das Ende mit einer Verbandsklammer. »Leta Woodward ist Krankenschwester aus Leidenschaft, das war sie schon immer. Als der Krieg ausbrach, ließ sie sich zum Third London General Hospital in Wandsworth versetzen. Dort lernte sie einen jungen Offizier kennen. Dann kam die Schlacht an der Somme. Eine Granate kostete ihm den Arm und ermöglichte ihm das Studium der klassischen Geschichte. Können Sie ihr verübeln, dass sie bei ihm sein wollte?« Einen Moment lang schloss sie die Augen und atmete durch. Letas Lächeln tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie hatte sie nur einmal zusammen mit ihrem Captain gesehen, an ihrem letzten Tag in London. Es hatte die Zweifel weggewischt. Das tat es immer noch. »Wir haben einander einen Gefallen getan. Dafür hat es keine Magie gebraucht. Es sei denn, Sie werten einen gutaussehenden Captain, ein paar hundert innige Briefe und deutsches Artilleriefeuer als Magie.« Scamander lachte leise. »Ich bin mir sicher, Professor Merrythought würde das. Und nicht nur sie.« Aus dem Augenwinkel warf sie ihm einen skeptischen Blick zu. Er erwiderte ihn mit einem Lächeln, das gerade dünn genug war, um nicht naiv zu wirken. Mit einem theatralischen Seufzen schüttelte sie den Kopf. Demonstrativ wandte sie sich dem Verband zu, der seine Hand und Handgelenk umschloss. »Hufflepuffs.« »Elende Romantiker und Weltverbesserer allesamt. Sie sind schrecklich, ich weiß.« Leta verschluckte sich beinahe am »puffs«. Irritiert blickte sie von der Binde auf. Da war es wieder. Noch immer tanzte ein Lächeln über seine Lippen, betonte die Grübchen in seinen Mundwinkeln und das Funkeln in seinen Augen. »Überrascht?« Er suchte in ihrem Blick nach einer Antwort, das spürte sie. Entschieden schlug sie die Augen nieder, entschlossen, nicht noch einmal aufzusehen. »Vielleicht«, gestand sie, während sie die Bandage löste und zu den übrigen legte. »Ich bin es nicht gewohnt, dass ein Scamander den Unterton in meiner Stimme bemerkt.« Oder überhaupt irgendetwas. »Newt?« Sie nickte der Wundkompresse zu. »Ja. Newt.« »Ich gebe zu, derlei Dinge liegen ihm nicht besonders.« »Tun sie nicht, nein.« Nein, zwischenmenschliche Belange waren Newt immer fremd gewesen. Normen. Erwartungen. Anforderungen. Untertöne. All das war an ihm vorbeigezogen, untergegangen unter Fauchen, Schnauben und Scharren, unter peitschenden Ruten, gebrochenen Flügeln und aufgestelltem Fell. Er hatte noch das Herz jedes Monsters erobert. Und sie hatte seines gebrochen. Die Wundkompresse, ein wirres Spiel aus gebleichter Watte und trocknendem, rotbraunem Blut, brannte sich in ihre Netzhaut, wurde zu Sommersprossen und zerzaustem Haar. Sie presste die Lippen aufeinander. »Was ist mit Ihnen, Leta?« Leta blinzelte. Richtig. Scamander. Theseus Scamander. »Entschuldigen Sie...?« »Nun...« Er warf einen knappen Blick zur Tür, bevor er wieder zurück zu ihr sah. Das hieß: Bevor er zu einem Punkt knapp unterhalb ihrer Augen sah. Dabei zog er kaum merklich die Stirn kraus. Und Leta verstand; wusste was folgen würde, noch bevor er es aussprach. »Es ist für mich nachvollziehbar, weshalb Miss Woodward in England bleiben wollte und weshalb sie so bereitwillig den Platz mit Ihnen getauscht hat. Was ich nicht nachvollziehen kann, ist, was Sie dazu bewogen hat, Großbritannien zu verlassen.« Da war es. Das Erumpent im Raum. Sie schnaubte. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie es einfach totschweigen konnte. Bei Newt hätte sie es totschweigen können. Bei Newt hätte sie es vielleicht nicht einmal totschweigen wollen. Aber das hier war nicht Newt. »Archer Evermonde.« Scamander stockte, nur für einen Augenblick. Er öffnete den Mund, schloss ihn dann doch wieder. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich gebe zu, mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet. Bislang ging ich davon aus, Minister Evermonde hätte immer deutlich zu verstehen gegeben, dass er keine britischen Magier-« »Ich bin keine Britin.« Langsam schloss er den Mund. Er sah ein wenig so aus, als habe sie seinen geliebten Bowtruckle genommen und geschüttelt. »Ich mag den Großteil meiner Jugend bei meinen Verwandten in Großbritannien verbracht haben, doch das ändert nichts an meiner Herkunft. Ich stamme aus Frankreich, Paris. Und glauben Sie mir, ich kenne Minister Evermondes Reden. Ich habe sie gehört, ich habe sie gelesen und zurzeit schickt man sie mir per Brief.« Leta griff nach einer der Pinzetten. »Minister Evermondes Wissen über nichtmagische Kriegsführung«, sie umfasste ein Ende der Wundauflage mit der Pinzette, »stammt aus dem vorletzten Jahrhundert. Zumindest, wenn man das den Reden entnehmen kann, die er noch im letzten Frühjahr so vollmundig gehalten hat. Er geht davon aus, dass die feindlichen Armeen sich tagsüber auf den Wiesen vor Paris treffen, einander mit Stöcken beschießen und pünktlich zum Dinner wieder in ihren Lagern verschwinden würden. Magier«, sie begann an der Wundauflage zu ziehen, »könnten und sollten dem einfach aus dem Wege apparieren.« »Leta.« Sie schnaubte. »Dieses Treffen zieht sich über vierhundert Kilometer von der Nordsee bis zur Schweiz. Und das seit nunmehr zwei Jahren. Niemand kann dem einfach aus dem Weg apparieren.« »Leta, Sie tun mir weh.« Leta öffnete den Mund. Die Wundauflage, mittlerweile halb abgelöst, brannte immer noch in ihren Augen. Sie atmete aus. Langsam ließ sie die Pinzette sinken. »Entschuldigung. Es ... Es ist nur ... Sie haben es da draußen doch selbst gesehen. Arras. Soisson. Verdun. Hier haben nicht nur Muggel gelebt.« »Ja, dessen bin ich mir im Klaren.« Seine Stimme klang rauer als zuvor, aber vielleicht bildete sie sich das auch nur ein. »Genauso, wie ich mir im Klaren bin, dass das französische Ministerium eine gänzlich andere Politik verfolgt, als London.« »Tsk.« In ihrem Augenwinkel warf sie ihm einen düsteren Blick zu. »Trotzdem unterstützen Sie die englische Politik. Lieutenant Scamander. Minister Evermonde ... er kann sich das Leid hier nicht vorstellen. Die meisten Magier in Großbritannien können das nicht. Nicht einmal jene, welche die Muggel aus der Heimat heraus unterstützen. Die meisten von ihnen haben nie miterleben müssen, wie es ist. Wenn jemand gewaltsam stirbt. Wenn sie nur zuschauen können.« Mit einem tiefen Seufzen senkte sie den Kopf. Für einen Augenblick sah sie weder ihre Röcke, noch die Holzbohlen, die man zu einem behelfsmäßigen Boden zusammengenagelt hatte, sondern nur Wasser. Tiefes, nachtschwarzes Wasser. Die Bilder dieser Nacht immer noch vor Augen, schüttelte Leta den Kopf. Die Lippen aufeinandergepresst, zwang sie sich dazu, aufzusehen. Der Blick, mit dem Lieutenant Scamander den ihren erwiderte, erinnerte sie an Newt. Besser war das nicht. Nicht nach alldem, was in ihrem letzten, gemeinsamen Schuljahr vorgefallen war. »Es tut mir leid.« »Tut es nicht«, erwiderte er. Sachte neigte er den Kopf, blickte nun selbst auf die Wundauflage. »Aber das muss es auch nicht. Ich bin derjenige, der sich entschuldigen sollte. Die Realität dieses Krieges ... Sie ist in Großbritannien so unglaublich weit entfernt. Nach allem, was ich in den letzten Tagen gesehen habe, hätte ich mir dessen im Klaren sein müssen. Genauso, wie mir hätte bewusst sein müssen, wie heikel dieses Thema für Sie sein muss. Ich entschuldige mich dafür, ohne die nötige Weitsicht geredet zu haben. Ich hoffe, Sie verstehen, dass ich die Frage dennoch stellen musste.« Sie nickte dumpf. Dass er sprach, half sogar, irgendwie. Es riss ihre Gedanken los, weg von stürmischen Wassern, weg von Newt und von Jarveys. Sie zwang sich dazu, dem Gespräch zu folgen. »Natürlich«, erwiderte sie, ohne sein Lächeln zu erwidern. »Sie sind immer noch Archer Evermondes Feldmaus, Lieutenant.« »Diese Berufsbezeichnung werde ich nicht mehr los, oder?« Leta schnaubte. »Nein«, stimmte sie ihm zu. Noch während sie sprach, hob sie die Pinzette. Erneut fasste sie damit nach der Wundauflage und zog daran, sorgsamer dieses Mal. Bei der Wunde darunter handelte es sich um einen langen, glatten Schnitt. Er zog sich quer über seinen Handballen und spiegelte sich in einer Linie weiterer Risse auf seinen Fingerkuppen. Mit der Wundauflage noch immer im Griff ihrer Pinzette, führte Leta ihren rechten Arm über den Berg mit gebrauchten Bandagen. Unzeremoniell ließ sie sie darüber fallen. »Wissen Sie«, sagte sie schließlich, »die Magier hier draußen sind sich ihrer Pflicht bewusst, das Geheimhaltungsabkommen zu wahren. Jeder hier weiß das. Grelle Zauberduelle werden Sie hier nicht finden. Wenn Sie das Geheimhaltungsabkommen schützen wollen, Lieutenant Scamander, dann tun Sie uns beiden einen Gefallen. Gehen Sie nach Hause.« In ihrem Augenwinkel beobachtete sie ihn dabei, wie er die Verletzungen auf seiner Handfläche musterte. Unter ihrem Blick zog er die Stirn kraus. Dann jedoch bemerkte er sie und sah auf. Er schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.« Etwas in seinen Augen, in der Art, wie er seine Augenbrauen ein wenig zusammenzog, sagte ihr, dass dieser Punkt nicht diskutabel war. Er erinnerte sie an Newt und die Frage, ob er seinen Nifflerwelpen nicht lieber bei seiner Hauslehrerin abgeben sollte. Vielleicht hätte sie es wissen sollen, als sie die beiden vorhin im Schnee miteinander verwechselt hatte. »Hören Sie, Scamander. Ich weiß nicht, ob es Ihr Protego war, der Sie gerettet hat, oder Ihr magischer Selbsterhaltungstrieb. Sie hatten da draußen nahezu unverschämtes Glück. Diese Kugeln haben keine größeren Gefäße verletzt und dieser Schnitt hier ist nicht tief, auch wenn er gräulich anzusehen ist. Der Schuss dort hat Ihren Knochen dennoch nur um Millimeter verfehlt. Und hätten Sie diese Wunden nur mit einem Heilzauber geschlossen, ohne sie vorher umfassend zu reinigen, hätten Sie sich wer weiß welche Krankheiten einfangen können. Sie können sich nicht darauf verlassen, dass Sie dieses Glück begleitet.« »Dessen bin ich mir bewusst.« Leta öffnete den Mund zum Protest, verwarf die Worte, die ihr bereits auf der Zunge brannten, dann aber doch wieder. Sie kannte Newt und sie kannte seine Entschlossenheit. Der Blick seines Bruders gab ihr keinen Grund zur Annahme, dass sich die beiden Brüder in diesem Punkt unterschieden. Scamanders. Anstatt ihm zu antworten, besann Leta sich auf ihre Aufgabe und warf den Schnitten auf seiner Handfläche einen kritischen Blick zu. Ohne aufzusehen legte sie die Pinzette zur Seite und tauschte sie gegen ein feineres Exemplar. Sorgsam begann sie damit, die sichtbaren Verunreinigungen aus der Wunde zu entfernen. Für einen langen Moment waren das Klirren des Operationsbestecks und das ferne Grollen der Artillerie die einzigen Geräusche, die die Stille zwischen ihnen unterbrachen. Ihrem Patienten warf sie nur von Zeit zu Zeit Blicke zu. doch dieser schien mit ihrem Schweigen zufrieden zu sein. Er beobachtete ihre Arbeit mit derselben Neugier wie zuvor, die Augen wach, die Lippen nur von Zeit zu Zeit aufeinandergepresst und ohne einen Laut. Selbst den Reinigungszauber, den sie nach einem knappen Blick in Richtung Tür sprach, nahm Lieutenant Scamander klaglos hin, genauso wie die in Diptam getränkte Wundkompresse. Erst, als sie die neue Bandage mit einer Klammer fixierte, ergriff er das Wort. »Das war es?« Leta nickte. »Wenn Sie unter der Uniform keine weiteren Wunden verstecken, ja, das war es«, stimmte sie zu. »Der Heiltrank wird die Wundheilung unterstützen. Wenn Sie bis morgen Abend keine Anzeichen einer Infektion zeigen, können Sie die Wunden mit einem der üblichen Heilzauber schließen. Bis dahin erwarte ich, dass Sie sich schonen. Keine Apparationen. Kein Zauberstabgefuchtel. Keine Feldmäusereien. Haben Sie mich verstanden?« »Ja, Ma’am«, antwortete er und salutierte dabei. Es war eine ungeschickte Geste, noch dazu mit links. Mit einem leisen Prusten schüttelte Leta den Kopf. »Sie üben noch, hm?« Leise lachend fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Vielleicht?« »Lassen Sie das nicht Ihren Captain sehen«, antwortete Leta mit einem dünnen Lächeln. Sie stand auf. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen Ihr Bett.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)