[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 104: Vol. 5 - An jenem schicksalhaften Regentag Teil 4 -------------------------------------------------------------- Der restliche Schultag geht langweilig und bedeutungslos von statten. Ich habe mich nur wegen des Zwischenfalls umso mehr am Unterricht beteiligt und mir so viele Notizen gemacht, wie ich eben zu machen pflege, Chika wich den ganzen Tag über so gut wie nicht von meiner Seite, außer, dass sie einmal ziemlich schnell aufs Klo musste und dabei panisch aussah. Ich dachte mir nichts dabei, schließlich bin ich wirklich der Letzte, der die schwachen Blasen der anderen hinterfragen müsste. Egaoshita habe ich so gut wie gar nicht mehr gesehen, lediglich in der Pause hat er mich, wie es seiner Art entspricht, vollgequatscht und ist dann wieder abgezogen. Irgendwas an seinem Blick ist irgendwie... ich weiß auch nicht, es ist etwas besorgniserregend, wenn in seinen grauweißen Augen ein Anflug von versteckter Trauer oder extremer Nachdenklichkeit sichtbar ist. Er kann rumalbern wie er möchte, irgendwie ist seit heute etwas anders, nein, nicht nur seit heute, auch am letzten Schultag des zweiten Jahres hat er mich schon so eigenartig angesehen. Ich beschließe jedoch, nicht genauer darüber nachzudenken und bahne mir meinen Weg in ein Zuhause, dass sich jedoch eher wie Mittel zum Zweck anfühlt. Ich bin irgendwie gern zu Hause und gleichzeitig auch nicht. Hauptsächlich wegen meinem Bruder und meinen Eltern, die mit mir wohnen. Irgendetwas in unserer Beziehung und die Atmosphäre zwischen uns ist einfach seit ich denken kann... komisch. Irgendwas riecht da einfach, seit ich bewusst beobachte, nach absolutem Fake. Fälschung. Theater. Reality-TV. Wie ich das hasse. Was meinen Bruder angeht, zwischen uns ist es am schlimmsten. Er hat einfach einen Killerblick, der mir das Blut in den Adern gefrieren lässt und scheint mich einfach aufs Übelste zu missbilligen, in was für einer Weise auch immer. Nun, er war nicht immer so. Als ich noch so, zwischen ein und vier Jahre alt war, da mochte er mich. Fast mein gesamter Lebensinhalt während dieser Zeitspanne in meinem Leben bestand darin, dass mein großer Bruder mit mir spielte und mich unglaublich lieb hatte. Jedoch, nun, er scheint gemobbt worden zu sein, dann begann er mich förmlich zu hassen. Keine Ahnung, was ich damit zu tun habe, dass er gemobbt wurde und womit ich das verdient habe, aber ich ertrage es. Aber mal ganz unter uns, selbst wenn er mich vielleicht nicht ohne zu zögern umbringen würde - weil ihm vielleicht doch noch etwas an mir liegt? - bin ich so oft kurz davor zu sagen, dass er verdammt noch mal selbst schuld daran ist, wenn er ständig alles in sich hineinfrisst, und das meine ich auch so, denn er ist ziemlich dick und hat Problemhaut. Außerdem redet er fast niemals und verbringt die meiste Zeit mit seinem Computer, um irgendwo in den Weiten des Internets Online-Games zu zocken. Alles was er hatte, waren eine Tasche voller Videospiele und ein Riesenvorrat an heruntergeladenen Manga auf seinem Tablet. Ich kann nicht sagen, dass ich Onii-chan, selbst, wenn er es eventuell täte, hassen würde, aber ich bin, seit er aus seiner Wohnung geschmissen wurde und wieder bei uns ist, ziemlich gestresst von ihm. Manchmal frage ich mich, ob wir überhaupt Brüder sind, denke ich und schließe die Haustür meiner Wohnung auf. Meine Mutter sieht sich gerade schweigend eine Folge Slippy Stairs an und mein Vater sitzt im Sicherheitsabstand von etwa vierzig Zentimetern neben ihr. Von meinem Bruder fehlt jede Spur. Wahrscheinlich spielt er Darksouls oder Call of Duty, wie fast alle Nullacht-Fünfzehn-Gamer es tun. Auf einmal ertönt das Klingeln des Telefons und mein Vater steht auf, um ranzugehen. "Hallo?", höre ich ihn sagen. Sein Gesichtsausdruck versteift sich und er guckt so ernst und aufmerksam wie noch nie. Doch irgendetwas muss gesagt worden sein, dass alles, wirklich alles in diesem Moment für seine Welt zerstört und auf dem Boden hat zerschellt lassen. Plötzlich reißt er die Augen auf und lässt den Apparat wie eine heiße Kartoffel fallen. Und er selbst gleich hinterher. "Shun?", fragt meine Mutter besorgt, fast als wüsste sie, was los wäre, anders als ich. "Papa? War das vielleicht... eine Kündigung?", will ich ganz leise wissen, ob wir jetzt arbeitslos sind. Meine Mutter verdient in ihrem Laden gerade nicht sonderlich viel. Und wenn mein Vater seinen Job als Polizist los wäre, wäre das ein finanzieller Ruin für unsere Familie. "Schlimmer noch...", flüstert er mit noch immer vollkommen verstörten, aufgerissenen Augen. Onii-chan kommt aus seiner Ecke und sieht nach, was los ist, als mein Vater uns mit ersticktem Tonfall mitteilt: "O-onkel Jun ist... Jun ist gerade... gestorben. Er ist einfach weg. Wir werden ihn niemals wiedersehen... Scheiße.", seine Mimik verändert sich nicht und es sieht nicht so aus, als wäre da noch Blut vorhanden oder irgendein... Gefühl in seinem Gesicht abzulesen. Niemand wagt sich zu bewegen, aber aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Onii-chan unentwegt zittert. Diesen verlorene hoffnungslose Anblick volle Verzweiflung der dem unseres Vaters mehr als jeder andere gleicht, werde ich in meinem ganzen Leben wohl niemals vergessen. Onkel Jun ist tot. Wir waren ihn so oft besuchen. Er war so etwas wie der beste Freund meines Vaters, der auch sein Bruder gewesen ist. Den hat er jetzt verloren. Auch ich mochte Onkel Jun. Nun ist er weg. Und ich fühle nichts. Dafür verfluche ich mich. Drei Tage später, nach der Beerdigung voller Leid und Trauer, bin ich, zumindest glaube ich das, allein zu Hause. Meine Eltern haben nicht aufgehört zu weinen, mein Bruder tat dasselbe in seiner Ecke, in der ihn niemand heulen hörte. So schmerzerfüllt war sein Blick auch ohne, dass er weint, noch nie. Ich habe gerade Kopfhörer auf, weil ich nicht jeden an meinem Musikgeschmack teilhaben lassen will, aber auch, um die Musik noch rechtzeitig abzuschalten, wenn nötig. Mir fällt ein, dass ich in dem Zimmer, dass Onii-chan gehört, aber irgendwie auch nicht, mein Buch vergessen habe. Tribute von Panem Band zwei. Ich gehe stark davon aus, dass es noch dort ist, immerhin ändert er selten etwas in einem Zimmer und wahrscheinlich ist er sowieso bereit, so schnell wie möglich abzureisen, weil ich bezweifle, dass er bleiben will. Nur einen Rucksack voller Kleidung, mehr hat er im Grunde auch gar nicht dabeigehabt. Weil es die ganze Zeit so still ist und ich auch in seinem Zimmer Schrägstrich Nicht-Zimmer keine Gaming-Geräusche erfasse - und ich zu nervös bin, um zu klopfen und ein grimmiges 'Herein?!' zu hören - , gehe ich todesmutig - und absolut von allen guten Geistern verlassen - durch die Tür. "Sorry, muss kurz rein.", murmle ich und husche an ihm vorbei, ehe das Donnerwetter über mich hereinbricht. "Was glaubst du eigentlich, wer du bist?! Habe ich herein gesagt, oder kannst du dich selbst einladen?!", keift er und seine Stimme ist so laut, dass sie in meinem Kopf sogar leicht echot. Ich bin starr vor Schreck und sprach- und bewegungsunfähig. "Glaubst du, du darfst einfach alles, nur weil du hier noch wohnen kannst?! Raus aus meinem Zimmer, Mann!", schreit er und nun steht er direkt vor mir. Ich fasse nun doch Fuß und mache auch mal den Mund auf. "Jetzt reicht's doch mal, echt! Musst du mich immer zusammenstauchen, obwohl ich nichts gemacht habe, huh?! Was ist dein scheiß Problem?! Wieso muss ich immer herhalten, wenn du einen auf Männerperioden-Opfer machst?! Du machst mich echt sauer mit deinem Schmarotzer-Lifestyle! Ich habe nur Tribute von Panem holen und wieder gehen wollen, aber vielen Dank, jetzt ist mir die Lust vergangen!", das war hart. "Ich soll ein Schmarotzer sein?! Du bekommst doch alles in deinen verwöhnten Arsch geschoben! Schon mal darüber nachgedacht, dass es noch andere Menschen gibt und dir nicht die ganze Welt gehört?! Allein deine Anwesenheit nervt mich!", oh nein, das hätte er nicht sagen dürfen! "Oh, oh, jetzt habe ich aber Angst, du glaubst, ich sei egoistisch?! Fein, wann habe ich jemals etwas Egoistisches gesagt oder getan, huh? Schieß los, Bruder! Ich finde ganz ehrlich, dass du definitiv mehr Dreck am Stecken hast als ich, dass du es weißt!", jetzt scheinen wir mit jedem Schlagabtausch wütender und lauter zu werden. Das ist doch wohl nicht wahr! "Du bist oberflächlich wie scheiße und fragst mich Müsli kauend nach der Butter, nur, um dich über mich lustig zu machen! Ich sehe doch wohl, wie du auf mich herabsiehst!", brüllt er und ich wage kaum, ihn ins Gesicht zu sehen, nur ab und zu. "Wie soll es auch anders sein?! Du sagst nie etwas, duscht vielleicht einmal die Woche und ich dachte vor zwei Jahren, dass ich dich nach dem Auszug nie wieder sehe, bis du letztens doch zurückkamst, weil du die Miete nicht bezahlen konntest! Wie soll ich da denn nicht auf dich herabsehen, wenn ich nicht so tief gesunken bin wie du?!", mir wird immer weniger bewusst, wie Arschloch-like ich mich anhöre, aber das beruht ja unschwer erkennbar auf Gegenseitigkeit. "Ich glaub' es harkt, wenigstens schleime ich mich nicht mit der noch stilleren, selten was sagenden Höflichkeit in Person bei unseren Eltern ein!", das wird er bereuen, denke ich und gehe zum Gegenangriff über. "Ach ja? W-wenigstens bin ich kein Vollversager und fett!", das hat gesessen, bemerke ich, als es zu spät ist. Mein Bruder ist schneller als er aussieht. Mit gefühlten 80 km/h brettert er meinen erwürgt werdenden Hals gegen die Wand und drückt zu, bis ich fast nicht mehr imstande bin, zu atmen oder vernünftig nachzudenken. "O-onii-chan, ich...", krächze ich, als er mir die Luft abdrückt und ich die Kälte der Zimmerwände auf meinem Nacken zu spüren bekomme. "Wag es ja nicht, je wieder so über mich zu reden. Was glaubst du eigentlich, wer ich bin und wer du bist? Halt verfickt noch mal deine vorlaute kleine Fresse im Zaum!", höre ich ihn bedrohlich knirschen, ehe er ausholt und ich durch seine andere Faust einen vernichtenden und sich fast schon tödlich schmerzhaft anfühlenden Schlag in die Magengrube einstecke. Während ich Onii-chans Blick nicht deuten kann, höre ich mich selbst stumm und erstickt nach Hilfe schreien, kriege jedoch keinen Ton heraus, als die Welt in tiefes Schwarz eintaucht und verschwindet. Als ich wieder zu mir komme, ist das ohnehin schon leer gewesene Zimmer, noch leerer als zuvor. Als wenn niemals wieder jemand zurückgekehrt wäre und es auch in Zukunft nie wieder tun würde. Ich will aufstehen, da durchfährt mich ein zerreißender Schmerz in der Magengegend. Ich heule fast auf, doch beiße ich die Zähne zusammen, weil ich nicht weiß, ob meine Eltern beide schon zu Hause sind. Es brennt. Dermaßen. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Bauchschmerzen. Schon gar nicht, weil mir irgendjemand dort reinschlug. Meine Kopfhörer hängen mir nun auf den Schultern und ganz leise höre ich noch etwas von der fripSide-Playlist, die ich mir zusammengestellt habe, weil mir die Songs so gut gefallen. "Only my railgun can shot it, im Augenblick.", murmle ich zu dem Lied, obwohl das die falsche Strophe ist, die zweite und nicht die erste, die ich gerade mit meiner hundsmiserablen, auch noch verkloppten Stimme, die gerade eher flüstert als singt, nachahme. Mein Gott, mir tut, obwohl er mich bloß im Magen getroffen hat, irgendwie alles weh. Scheiße weh. Ich war gerade verdammt noch mal bewusstlos deswegen. Ich hoffe, die Nachbarn haben nichts gehört. Heute ruft mich keiner, weil es Abendessen gibt. Es sind alle immer noch zu weggetreten und traurig wegen Onkel Jun. Ich weiß noch nicht einmal, ob jemand da ist, geschweige denn meine Anwesenheit und die Abwesenheit Onii-chans zur Kenntnis genommen hat. Ich schaffe es langsam wieder mich trotz der Schmerzen wieder aufzurichten und sehe einen Spiegel. Seit Onii-chan vor zwei Jahren ausgezogen ist, gleich nach der Highschool, hat meine Mutter in dem leeren Zimmer einen Spiegel angebracht. Fragt mich nicht, wieso. Ich sehe mein noch immer leichenblasses Gesicht in der Spiegelwelt aufleuchten und sehe mich lange an. Warum juckt dich nicht, wenn jemand stirbt? Wieso ist dir egal, dass Egaoshita, dein bester Freund nicht mehr in deiner Klasse ist? Was zur Hölle ist falsch mit dir?! All das schreie ich mir in Gedanken ins Gesicht. Was ist los mit mir? Ist es, weil ich spüre, dass etwas innerhalb meines Umfeldes nicht stimmt? Dass meine Familie wirklich nicht das ist, was ich zu glauben vorgebe? Wo bleibt das Mitgefühl, wenn man es braucht? Wo ist die Liebe? Wieso kann ich ihnen nicht im Geringsten zurückgeben, was sie mir geben? Ich nehme den Spiegel in die Hand. Meine Augen sehen verzweifelt aus und meine Lippen zittern. Ich sehe aus, als wäre ich kurz davor, irgendetwas Wahnsinniges zu tun. Wer weiß, vielleicht bin ich ja des Wahnsinns?! In dem Moment lasse ich die spiegelnde Fläche, und das ist nur eine Platte ohne Rahmen und ohne nichts, fallen. Ich lasse es einfach auf dem Boden zerschellen und das Gefühl der Zerstörung befriedigt mich. Ich grinse und lache auf. Nur kurz. Dann holt mich wieder jenes Gefühl ein, das ich fühle, wenn ich nicht weiß, wohin mit mir. Ich bücke mich und studiere die Splitter, die ich erschaffen habe. Eines sieht besonders scharf aus. Ich nehme es in meine Hand und fahre mit voller Absicht und Kraft über meine andere Handfläche, ich drücke dabei richtig zu. Ich drücke das Stück Spiegel in meiner Faust zusammen und Blut läuft aus meiner Hand. Ich bin wie versteinert. Es macht mir fast schon Angst, zu sehen, wie mein Blut, das eigentlich drin bleiben sollte, hervortritt. Na ja, irgendwann ist immer das erste Mal. Aber was mich noch mehr beschäftigt... "Wieso… wieso fühle ich nichts...? Was ist falsch bei mir?", flüstere ich fast klanglos und die Tränen fließen. Warum weine ich? Was mache ich eigentlich hier? Wieso fühle ich mich so leer? Wieder kommt keiner. Ich bin allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)