[Beta Ver.] CONDENSE von YukihoYT (An jenem schicksalhaften Regentag) ================================================================================ Kapitel 4: Vol. 1 - "Hinedere" Arc: Als der Mond aufgeht und die Sonne vermisst wird ------------------------------------------------------------------------------------ Ich habe allen Grund, mich in diesem Moment absolut nicht wohlzufühlen. Erst platzt da aus dem Nichts jemand ins Klassenzimmer und lenkt alle Aufmerksamkeit auf mich, dann werde ich sexuell belästigt und jetzt auch noch gestalkt. Und die Tatsache, dass sie mich mit dem Absatz ihrer Springerstiefel oder was auch immer das für Schuhe sind, überragt, macht sie kein Stück weniger einschüchternd.   “Failman, du weißt schon, dass Stalking strafbar ist, oder?”, daraufhin schnappt sie wieder dramatisch nach Luft.   “Was, ich und Stalking? Wie kommst du denn auf so eine kranke Idee?”, fragt sie mich mit einem lebensechten Schreck in der Stimme.   “Weil du genau das tust.”,   “Nein, nein, nein, nein, nein, das verstehst du völlig falsch! Ich habe doch nur hier gestanden, weil ich den Schlüssel in der Wohnung vergessen habe und ich, na ja, gleich da drüben wohne!”, teilt sie mir ganz außer sich mit und zeigt mit ausgestrecktem Finger auf die Wohnung, die durch die Straßenbreite von der meinen abgegrenzt wird.   Das ist jetzt nicht wahr.   “Verstehe. Und warum gehst du nicht zum Schlüsseldienst?”,   “Trau mich nicht…”, flüstert sie schüchtern.   “Wie alt bist du noch gleich?”, frage ich und daraufhin lacht sie.   “Schon wieder bringe ich dich in komische Situationen, was?”, resümiert sie gedankenverloren. “Wenn ich dir sage, dass das keine Absicht ist, würdest du mir das glauben?”,   “Nein.”,    “Verstehe. Nach allem, was heute passiert ist, willst du bestimmt nichts mehr mit mir zu tun haben, hab ich recht?”, sie sieht wieder so aus, wie man es traurig nennt. “Das verstehe ich wirklich. Ich denke, an deiner Stelle wäre ich auch aufgebracht. Wenn es wirklich dein Wunsch ist, dass ich fortbleibe, auch wenn es mir das Herz bricht, dann versuche ich vielleicht wirklich, dir keine weiteren Umstände zu-”, ich bin mir sicher, dass sie “bereiten” gesagt hätte, hätte ihr monströses Magenknurren diesen Plan nicht vereitelt.   “Failman, kann es sein, dass-”,   “Schau mal, Ellie, da hinten steht Harry Styles¹!”, unterbricht sie mich und zeigt mit den Finger hinter mich.   “Tut er nicht.”, warum sollte er auch hier sein?   “Schade…”, brummt Failman, immer noch mit leicht geröteten Wangen.   “Willst du vielleicht bei uns essen?”, biete ich an, weil mein Wille, ein guter Elvis zu sein größer ist als meine Abgebrühtheit.   “Ich… würde mich freuen.”,   Wieder muss ich an Shuichiros Worte denken. An die Light-Novel-Action, von der er sprach. Ich fasse es nicht. Dieser ganze Tag ist doch eine scheiß Rom-Com².   ***   Als ich die Tür zu unserer Wohnung öffne, läuft der Fernseher und das Licht ist an. Er ist also da.   “Ich bin zu Hause!”, raune ich im Eingang und versuche, den Fernseher zu übertönen.   “Okay!”, raunt er zurück.   Die Schuhe ausgezogen gehen Failman und ich ins Wohnzimmer, wo Elvis’ Bruder schon auf uns wartet.   “Wie war die Schule, El?”, fragt er, als er sich umdreht und uns sieht. “Und wer ist dieses süße Mädchen neben dir?”, ergänzt er und grinst.   “Das ist Failman. Sie hat sich ausgesperrt, also habe ich sie gezwungenermaßen zum Abendessen eingeladen.”,   “Oh, so ist das also.”, versteht er, erhebt sich von seinem Sitz und wuschelt mir durch die Haare.   “Hast du gut gemacht, Kleiner.”, lobt er mich und wendet sich an Failman, die sich dezent verloren im Raum umsieht.   “Ähm, also…”, murmelt sie verlegen, als er sie eindringlich anstarrt.   Ich gebe zu, an ihrer Stelle wäre mir das auch unangenehm. Wie er sie von oben bis unten abscannt, ist ja widerlich. Auf diesen Gedanken hin fällt mir ein weiterer ein, den ich heute morgen gedacht habe. Das sind also die ungeahnten Kräfte des Zettai Ryouiki. Ich korrigiere, wir sind beide gleichermaßen widerlich.   “Bruderherz, du hast ‘nen echt guten Fang!”, reißt mich der Typ aus den Gedanken.   “F-F-Fang?! Was soll das denn heißen?”, piepst Failman erschrocken.   “Genau, es ist ja nicht so, als würden wir miteinander gehen, oder so.”, schließe ich mich an.   “Wie, tut ihr nicht? Jetzt bin ich irgendwie enttäuscht.”, meint er belustigt.   “Ach, und ich dachte, du willst dich an sie ranmachen.”, lasse ich ihn wissen, wovon er leicht errötet.   “Was?! Ich würde mich doch nie an die feste Freundin meines Bruders ranmachen!”, ist er ganz empört.   “Das ist nicht mal eine normale Freundin. Außerdem hab ich doch ganz gesehen, wo du hingeschaut hast.”, sein Bruder zuckt zusammen.   “Unglaublich, wie dich diese Brüste so beeindrucken können, nachdem deine doch genauso- Aaaaahhhh…”, ich kann den Satz nicht beenden, weil meine Wangen gekniffen werden.   “Das sprichst du nicht vor dem Gast aus, du Ratte!”, faucht er und zieht mein Gesicht nur noch mehr.   “Wenn du mein Gesicht so in die Länge ziehst, leiert es noch aus.”, gebe ich ihm schwer verständlich zu verstehen.   “Gute Idee, dann strenge ich gleich noch mehr an!”, knurrt er und kneift so fest in meine Haut, dass ich wirklich fast glaube, er durchbohrt sie.   Aber dazu kommt es nicht, denn der Gast lacht.   “Ihr beiden seid echt urkomisch zusammen.”, haucht sie und sieht glücklich aus wie den ganzen Tag über nicht.   “Wie auch immer.”, sage ich und nehme die entspannten Hände aus meinem Gesicht. “Lasst uns den Tisch decken.”,   ***   "Und du gehst auch auf die Chinobara? Aber... wie kam es eigentlich, dass du im letzten Jahr der Highschool überhaupt umziehen musst?", versteht sein Bruder nicht ganz, als wir schließlich zu Abend essen.   "Nun ja, vorher, also in der Mittelschule, da habe ich die Schule gewechselt. Zu Hause konnte ich auch nicht bleiben, von daher zog ich vor knapp drei Jahren zu meinen Tanten ans andere Ende unseres Landes. Das war bis zum Ende des zweiten Jahres. Aber dann…”, Failman zögert.   “Aber dann… was? Was ist dann passiert?”, hakt er nach und Failman lächelt so, wie man es geheimnisvoll nennt.   “Unzulässige Information.³”,   “Ach, komm schon!”, jault er unbefriedigt auf.   War das gerade etwa eine Anspielung auf Die Melancholie der Haruhi Suzumiya⁴? Auf Mikuru Asahina, dem Mädchen aus der Zukunft? Sie wird doch wohl unmöglich…   “Und wie war die Schule heute so?”, macht er weiter mit dem Verhör.   “Auf allen Ebenen verstörend und obszön.”, gebe ich mir gar nicht erst die Mühe, über diesen verrückten ersten Schultag zu lügen.   “V-v-verstörend und… obszön?”, stammelt Failman schockiert, als hätte sie nichts damit zu tun.   Daraufhin sagt er nichts mehr und nickt unbeholfen, als hätte er auch nur ansatzweise verstanden, was ich gerade gesagt habe.   ***   “Danke, dass ich mit euch essen durfte.”, bedankt sich Failman nach dem Mittagessen, als sie sich die Schuhe anzieht.    “Ach, nichts zu danken, wir helfen doch, wo wir können, nicht wahr, Elvis?”, sucht sein Bruder nach seiner Bestätigung.   “Lass ich gelten.”, kommt es von der Seite des Gefragten und ich finde, ich mache mich gut.   “Ich komme immer noch nicht drauf klar, wie man es schafft, seinen Schlüssel neben der Tür zu lassen.”, schmunzelt er.   “Manno, das kann doch jedem passieren, Onii-sama!”, protestiert Failman.   “Du kannst mich auch Taiyo nennen, Kleines.”, informiert er sie.   “Taiyo?”, scheint sie, sich blöd zu stellen, keine Ahnung, was das soll.   “Das ist mein Name.”, erwähnt er.   “Alles klar, Onii-sama⁵.”, scheint sie zu verstehen, aber irgendwie auch nicht.   “Wenn ich’s mir recht überlege, so ist es auch gut.”, gibt er sich verlegen lächelnd zufrieden.   ***   Als ich Failman dorthin begleitet habe, wo sie hin musste und schlussendlich den gleichen Weg wieder zurück gehe, ist es schon ziemlich dunkel. Die Sterne funkeln und die Umgebung ist unkenntlich. Es ist die Zeit, in der man den Begleiter zu schätzen weiß. Das gilt hauptsächlich für mich, weil ich nicht kämpfen kann und Failman, nachdem sie heute so grob zu mir war, zutraue, dass sie mich im Notfall verteidigen kann, wenn ich es brauche.   “Du musst wirklich mehr auf dein Zeug aufpassen, Failman.”, tadele ich sie wie ein anständiger Mensch.   “Ja, ja…”, summt sie. “Ich danke dir, Ellie.”, flüstert sie.   “Fürs Abendessen?”, frage ich sie und unterm Schein einer Straßenlaterne sehe ich kurz ihr trauriges Lächeln.   “Fürs Tolerieren. Jeder andere hätte bestimmt die Nerven verloren, aber du bist immer noch hier. Das ist lieb von dir.”, rechnet sie mir unwahrscheinlich hoch an.   “Nichts zu danken. Wie mein Bruder schon sagte, wir helfen, wo wir können.”, spiele ich es runter, aber das zählt nicht für sie.   “Stimmt, das hat er gesagt.”, murmelt sie und mir fällt eine weitere Kleinigkeit von eben wieder ein.   “Kann es sein, dass du von uns beiden nur mich wiedererkannt hast, Failman?”, frage ich, um mir ein besseres Bild zu machen.   “Das kann nicht nur sein, das ist so.”, bestätigt sie mich. “Das weißt du natürlich nicht mehr, aber du hast mir damals nie etwas über deine Familie erzählt.”,   “Verstehe, dann war das wirklich das erste Mal.”, erkenne ich und füge das in Gedanken den Informationen über Elvis hinzu.   “Das war es, ja. Er scheint wirklich ein lieb zu sein. Ich bin froh, dass ich ihn sehen konnte.”, seufzt sie zufrieden.   “Ist das wirklich so von Bedeutung? Er ist doch auch nur ein ganz gewöhnlicher Mensch.”, erinnere ich sie daran, dass auch unter seinen roten Haaren und grünen Augen, nichts als Fleisch lauert.   “Er ist Teil deiner Familie.”, widerspricht sie kopfschüttelnd. “Ein Teil von Elvis Kyokei.”,   “Warum bleibst du stehen?”, frage ich sie, als sie im Licht einer anderen Straßenlaterne aufhört, sich fortzubewegen.   “Weil ich nicht will, dass dieser Tag vorbei geht.”, haucht sie fast unhörbar. “Und... ich mich deswegen schlecht fühle. Schließlich ist es das komplette Gegenteil von dem, was du möchtest, nicht wahr?”,   “Failman, bitte. Mach dir doch nicht solche Sorgen um mich. Nur weil ich gesagt habe, was ich gesagt habe, heißt das nicht, dass ich dich verachte. Du bist unverschämt, irrational und um ehrlich zu sein, weiß ich nicht, wie ich mit jemandem wie dir umgehen soll. Trotzdem verachte ich dich deshalb noch lange nicht.”,   “Ach, Ellie…”, haucht sie. “Auch wenn du überhaupt nicht weißt, wer ich bin, weißt du, was zu sagen ist, um mich aufzumuntern.”, säuselt sie und lächelt ganz gerührt.   “Da ist nichts dabei, wirklich. Ich tue nur das, was ich für richtig halte. Und wenn das bedeutet, ein mir wildfremdes Mädchen zum Schlüsseldienst zu begleiten, dann mache ich das auch.”,   “Selbst, wenn du die Dunkelheit mit diesem unverschämten Mädchen verbringen musst? Wieso… wieso tust du das für mich?”, Herrschaft noch mal, ist die verzweifelt…   “Weißt du, mein Bruder scheint dich wirklich zu mögen. Vielleicht nicht auf die Weise, wie du mich, aber ich denke, ihm liegt wirklich was an dir. Glaubst du, es würde ihm gefallen, wenn ich ein Mädchen nachts einfach allein zum Schlüsseldienst gehen lasse? Wohl kaum, oder?”, das bringt sie zum Nachdenken.   “Ja, du hast recht. Wenn ich’s mir recht überlege, das sähe Onii-sama nicht ähnlich. Er kann sich glücklich schätzen, so einen tollen, kleinen Bruder zu haben.”, findet sie lachend.   Der Ausdruck in ihrem Gesicht scheint aufrichtig und zufrieden. Sie sieht aus, wie man es glücklich nennt und ich habe das Gefühl, dass es gut ist, was ich damit erreicht habe. Doch trotz der Dunkelheit, die uns jenseits des Lichtkegels umgibt, sehe ich die Feuchtigkeit in ihren Augen und das Zucken ihrer Gesichtsmuskeln. Zunächst denke ich mir nicht viel dabei. Ich nehme an, es sind Freudentränen, weil sie glücklich ist, "mich" zu sehen. Doch als sie leise schluchzt und Tränen ihre Wangen hinabrennen, werde ich skeptisch.   “Failman? Failman, was ist los?”, frage ich sie und trete einen Schritt näher.   “Es tut mir leid… Es tut mir so leid… Ich wollte nicht weinen, ich wollte wirklich nicht weinen.”, schnieft sie und wischt sich hastig die Tränen aus dem Gesicht. “Ich wollte stark sein. Den ganzen Tag über wollte ich stark sein. Ich wollte einfach nur glücklich sein, überhaupt in deiner Nähe zu sein. Aber das... reicht mir nicht. Ich weiß, dass ich selbst schuld bin. Das ist die Strafe für meine Gutgläubigkeit. Aber… ich glaube, ich kann es nicht mehr halten.”, die Arme fest um ihren Körper geschlungen, signalisiert sie mir, wie einsam und verlassen sie sich fühlt.   “Failman, bitte hör doch auf zu weinen. Du weißt, dass das zu nichts führt.”, rede ich auf sie ein und lege unbeholfen eine Hand auf ihre Schulter. Ich kann weinende Mädchen nicht ausstehen.   “Ich kann aber nicht anders!”, heult sie. “Wie im Regen damals, wie im späteren Regen, wie an jedem anderen Regen, den ich seither je gesehen habe, kann ich nicht anders als zu weinen.”,   “Mir ist wieder klar geworden, in was für einer Lage ich mich befinde. Mir ist klar geworden, dass ich einen Fehler gemacht habe. Dass ich dumm war. Mir ist gerade klar geworden, dass ich etwas verloren habe, was mir sehr wichtig war. Dass es tatsächlich so ist, wie ich es die ganze Zeit über nicht wahrhaben wollte. Dass der Junge, den ich liebe…”, sie atmet ein und wieder aus. “nicht mehr hier ist.”,   “Failman.”, großer Gott, sie hat es erfasst.   “Aber trotzdem… kann ich nicht aufhören, daran zu glauben. Es tut so weh. Ich bin so überglücklich, dass du noch am Leben und dass du gesund bist. Aber ich bin auch des Todes unglücklich, dass du mich vergessen hast. Und dafür hasse ich mich. Dafür, dass ich dich immer noch liebe, obwohl du es nie wieder erwidern könntest. Jetzt bin ich hier. Zurück am anderen Ende des Landes, zurück in einer Stadt, die ich vergessen wollte. Warum bin ich hier, Ellie? Wenn alles Leiden umsonst war, was mache ich dann immer noch hier?”, das ist der Moment, in dem ich meinen Griff um sie zurück an mich ziehe und ihren runterhängenden Kopf an meine Schulter drücke.   “Du hast mich sehr geliebt. Du liebst mich auch jetzt sehr. Du liebst mich mehr als jeder andere in dieser Stadt. Ist es nicht das, was dir gerade durch den Kopf geht?”, flüstere ich ihr unnütze Worte zu und lausche ihrem zitternden Schluchzen.    Ich spüre ihr schüchternes Nicken. Spüre fast schon den Schmerz, der genauso groß ist, wie ihre Liebe zu dem Jungen, der nicht da ist. Sie sagt noch ein paar andere Dinge, die ich nicht so gut verstehen kann.   “Schhhh, sag nichts mehr. Du hast genug gesagt.”, hauche ich und fahre mit der Hand ihren Hinterkopf hoch und runter. Elvis hätte das Gleiche getan.   “Aus Liebe zu handeln, macht dich nicht dumm. Es ist das, was dich zu einem Menschen macht.”, lüge ich an der Stelle, die für Elvis die Wahrheit gewesen wäre. Was soll das überhaupt heißen?   “Es war kein Fehler herzukommen.”, folgt eine weitere Lüge, die ihr Hoffnung gibt.   Daraufhin weint sie aber nur noch mehr. So sehr, dass es mir physische Schmerzen zufügt.  Es ist wieder einer der Momente, in denen ich die Existenz in ihrer vollen Heftigkeit spüre.  Failmans Tränen auf meiner Schulter.  Der schmerzhafte Druck in meiner Brust.  Das gleißende Licht der Straßenlaterne in meinem Gesicht.  Als wäre allein das Haften von Fleisch auf Knochen schon eine Schwerstarbeit.  Sie ist nicht das erste Mädchen, dass ich an Elvis’ Stelle zum Weinen gebracht habe. Wie Shuichiro bereits sagte, alle guten Dinge sind acht. Doch all diese Mädchen haben sich in den Elvis verliebt, der von mir gesteuert wurde. Die gehörten zu dieser Welt, die ich durch “seine” Augen sah. Wenn auch nur für wenige Sekunden. Wenn auch ihre Gesichter allesamt nur Henohenomohejis waren. Der Parasit nimmt Elvis’ Rolle ein, auch wenn er weiß, dass er ihn nicht wirklich ersetzen kann. Auch, wenn seine Familie irgendwo merkt, dass anstelle des Jungen nur noch ich da bin, meine Bemühungen reichen aus, um sie zufrieden zu stellen, da sie genau zu wissen glauben, was Elvis für einen Dachschaden davongetragen hat. Jeder andere Mensch in meinem Alltag tut das nicht. Jeder andere Mensch, ob Hauptcharaktere wie meine Freunde oder Nebencharaktere wie Lehrer, Klassenkameraden und Menschen im Hintergrund, auch für sie reichen meine Bemühungen aus. Wenn ein Mädchen “mir” seine Liebe gesteht, lehne ich es stets ab. Jemandem als Parasit, der sich als einen anderen Menschen ausgibt, eine Beziehung vorzugaukeln, ist mir noch nie richtig erschienen. Bedeutet hat es mir auch nie etwas. Doch zuzusehen, wie dieses Mädchen, dass in den Jungen verliebt ist, den ich aus der Existenz gedrängt habe, weinen muss... das tut weh. Dass ich sie angelogen habe, dass sie “mich” liebt, aber niemals mich lieben könnte, selbst, wenn sie wollte, das wird ihr in Zukunft noch wehtun.   “Der Mond ist heute übrigens wunderschön⁶.”, lasse ich den Protagonisten sagen und drücke das Mädchen an mich, als hätte ich das Recht, so etwas Irreführendes zu sagen und wäre fähig, es zu lieben und zu ehren, wie der Mensch, der ich vorgebe zu sein.   ***   Ich habe nur existiert, weil ich es ihm schuldig bin. Dem Jungen, der vor drei Jahren ums Leben kam. Elvis. Zurück blieb nur sein Körper und eine Seele, welche so zurückgesetzt und zugleich so derbe entstellt worden ist, dass sie nicht mehr mit der des Vorgängers übereinstimmt. Diese Seele bin ich. Aber mal angenommen, ich wäre tatsächlich imstande, mir etwas zu wünschen und würde keinen Platz einnehmen, weil es nun einmal nicht anders geht.  Wenn ich wirklich nicht existieren könnte, ohne mir etwas zu wünschen, wofür würde ich dann leben? Wenn meine Existenz nicht nur dem Zweck dienen würde, den Platz einer anderen Person einzunehmen, wäre es mir dann überhaupt erlaubt, sich nach etwas zu sehnen?   Und nun liege ich hier. In dem Bett, in dem ich immer liege. Ich sehe meine Hand an und frage mich, was um alles in der Welt ich mir dabei gedacht habe. Dabei, sie zu berühren, ihr diese Dinge zu sagen. Das ist nicht meine Hand, mit der ich sie berühre. Ich gebe seine Hand als die meine aus, weil es so leichter ist, sich in sein Leben einzufügen. In seinem Leben weiß ich das erste Mal seit langem auf allen Ebenen nicht weiter. Ich habe sie bereits abgewiesen, weil ich nicht Elvis bin und sie deshalb nicht liebe. Ob Elvis oder nicht, ich wollte vernünftig sein. Warum also habe ich ihr all diese Dinge gesagt? Wieso musste ich mich ausgerechnet in diesem Moment für diesen ganz gewöhnlichen Menschen nur so verantwortlich fühlen?   “Ich brauche ganz dringend Schlaf.”, flüstere ich mir selbst zu, als meine Socken abstreife und seufze.   Völlig egal, wie blöd ich mich am Ende dieses Tages angestellt habe, jetzt kann ich es sowieso nicht mehr ändern. Mehr als nach vorn zu sehen bleibt mir ohnehin nicht übrig. Ich muss jetzt einfach schlafen und mir einreden, dass die Welt, in der ich morgen aufwache doch wieder ganz anders aussähe. Ein Schaf, zwei Schafe, drei Schafe… Es funktioniert. Es funktioniert unerträglich langsam, aber es funktioniert. Mir fehlt die Kraft, weitere Gedanken zu formen und ich merke nach den letzten, wie erschöpft ich wirklich bin. “Mir fällt was ein, okay?”, flüstert mein Bewusstsein in meiner Unentschlossenheit ihr gegenüber und ich merke, wie sich mein Geist entspannt.   Die Decke ist nicht mehr zu spüren, überhaupt ist nichts zu spüren und ehe ich mich versehe gibt es nur mich und die unendliche Dunkelheit. So weit wie das Universum und weiter. Ich nehme nichts mehr war und vergesse, dass ich existiere. Ich fühle weder mich noch die Gedanken in meinem Kopf, mein Dasein oder die Tatsache, was ich bin und folglich tun muss. So sehr ich die Monotonie auch fürchte, diese Art von Leere betört mich immer wieder. Da ist nichts zu sehen, zu denken oder zu fühlen. Und das zu wissen, beziehungsweise, es nicht zu wissen, fühlt sich gut an. Denn nur so glaube ich wahrhaftig zu fühlen, was man "glücklich" nennt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)