Ein chaotisches Weihnachtsfest unter Zwillingen von Tokiya-Ichinose ================================================================================ Kapitel 1: Die Zwillinge schmieden Pläne ---------------------------------------- „Verdammt! Warum muss das nur so kalt sein!“, kam es fluchend aus dem vorderen Abteil des Zuges. Nicht zu überhören, dass da jemand ziemlich genervt, von der anhaltenden Kälte war. „Es ist Winter Jacob? Außerdem passt das doch hervorragend zu Weihnachten, findest du nicht? Schau dir doch nur mal an wie es schneit!“ Eine Junge Frau stand am Fenster des Zugwaggons und sah mit Begeisterung und Freude den Schneeflocken beim tanzen zu. „Wirklich, es ist Winter Evie!? Nein... hätte ich nicht gedacht!... Mir wäre es lieber, wenn mir die ganzen Flocken ausnahmsweise mal nicht ins Gesicht fliegen würden!“ Ihr Zwillingsbruder schien wirklich sehr genervt zu sein, was Evie ganz und gar nicht verstand. Sie drehte sich Jacob entgegen und verdrehte die Augen auf sein Kommentar hin. „Jetzt hab dich doch nicht so! Zur Abwechslung könntest du es einfach mal genießen und außerdem... du stehst doch schon vor dem Ofen. Wie kann dir da kalt sein?“ „Ich stehe hier um die Kohlen rein zu schippen, damit wir nicht stehen bleiben!“, warf er verteidigend ein. „Oh! Warte nur ab bis ich Nigel in die Finger kriege!“ Fleißig schippte der junge Mann weiter die Kohlen in den Ofen ihres Zugs. Man sah ihm an, dass er schnell fertig werden wollte. Evie konnte es auf der einen Seite aber auch gut verstehen. Sie schämte sich nur schon fast etwas dafür, ihrem Zwillingsbruder nicht helfen zu können. „Nigel hat gerade seine Eltern wieder gefunden. Warum sollte er Weihnachten da mit uns verbringen? Geschweige den Kohlen für uns schippen?“ „Er ist im Team? Und er hat sich dazu verpflichtet...“ „Du bist unverbesserlich Jacob!“, unterbrach sie ihn. Die junge Frau machte ein paar Schritte. Langsam und vorsichtig, denn sie wollte nicht fallen. Allerdings ruckelte es stark und sie fiel auf ihre Knie. Als ihr Zwillingsbruder das mitbekam, ließ er die Schaufel sofort fallen, hüpfte in den angrenzenden Zugwaggon und kam ihr entgegen. Er kniete sich behutsam zu ihr und stützte sie. „Evie! Du sollst doch Bescheid sagen, wenn du Hilfe brauchst“, ermahnte er seine Zwillingsschwester mit einem strengen, aber auch sanften Unterton. Sie blickte ihm in die Augen und konnte dabei gut erkennen, wie besorgt er um sie war. Das war er schon immer gewesen, seit sie Kinder waren. Jacob war immer für sie da gewesen, zur richtigen Zeit. Das schätzte sie wirklich sehr an ihn und sie war verdammt froh, ihn ihren Bruder nennen zu können. „Mir geht es gut. Nichts passiert“, entgegnete sie sanft. Seine Augen durchdrangen sie, fesselten sie und zwangen sie dazu, die Wahrheit zu sagen. Natürlich hasste sie es, auf andere angewiesen zu sein. Hilfe anzunehmen und dadurch schwach zu wirken. Gerade vor ihm war das eine Herausforderung und er wusste das. Trotzdem scherte er sich kein bisschen darum. „Na komm ich helf dir hoch“, meinte er und zog die Brünette vorsichtig wieder auf die Beine. Evie verzog kurz ihr Gesicht und zischte unterdrückt. Sie wurde letztens am Oberschenkel angeschossen und die Wunde war noch ganz frisch. Laufen fiel ihr daher schwer, doch sie wollte Jacob nicht noch mehr Ärger bereiten und ihn von seinen Aufträgen und Aktivitäten abhalten. Hatte er schon genug zu tun. Evie wurde plötzlich überrumpelt, als Jacob sie mit Leichtigkeit hoch hob. „Jacob was!?... L-Lass mich runter! Es geht schon!“, protestierte die junge Assassine, doch ihr Bruder tat so, als hatte er nichts gehört. Sie kannte das schon. Wenn er etwas nicht hören wollte, hörte er es auch nicht. „Jacob!“, knurrte sie noch einmal genervt und versuchte sich aus seinen Klauen zu befreien. „Du hättest vielleicht eine Katze werden sollen Schwesterherz. So wie du knurrst... Hätte dir sicher gut gestanden!“, scherzte er und grinste sie an. Er ging durch den Wagon und setzte Evie in ihren Sessel ab. Sie wagte langsam wieder einen Blick zu ihm, auch wenn sie immer noch sauer auf ihn war. Eigentlich wollte sie noch einmal anmerken, dass sie die paar Schritte mit Leichtigkeit alleine geschafft hätte, doch sie schluckte ihre Worte runter. Stattdessen schnappte sie sich das Buch, welches auf dem kleinen runden Tisch, neben ihrem Sessel lag. Sie schlug es auf und las darin. Jacob zuckte kurz mit den Schultern und schippte die letzten Kohlen in den Wagon. Die Arbeit musste ja noch fertig gemacht werden. „Danke“, drang es schließlich kaum hörbar an seine Ohren. Moment mal, Evie bedankte sich bei ihm? Das kam... einmal im Jahr vor? Ok, es war ja auch Weihnachten, aber seit wann war seine Zwillingsschwester bitte so 'nett' zu ihm!? Jacob warf ihr einen fragenden Blick zu, doch lächelte dann schließlich wie ein kleines Kind. Er freute sich einfach darüber, denn er wusste, dass Evie es ernst meinte. Weitere Worte brauchte es nicht, denn die beiden verstanden sich auch so blind. Sie waren ein gut eingespieltes Team. Waren immer für den anderen da und halfen sich gegenseitig so gut es ging. Jacob würde alles erdenkliche für seine Schwester tun, auch wenn es ihm das Leben kostete. Doch über den Tod wollte er jetzt nicht nachdenken, denn immerhin war heute Heiligabend und er hatte noch eine Menge vor! „So“, meinte er wenig später und sprang wieder in Evies kleinen, aber feinen Zugwagon. „Das sollte uns erst einmal bis nach Lambeth bringen. Ich wollte mich nochmal mit Wynert treffen. Brauchst du noch was?“ Evie sah zu Jacob auf und schüttelte leicht den Kopf. Eigentlich wollte sie nachfragen, was er genau vor hatte, aber das ersparte sie sich. „Ich komm schon klar“, entgegnete sie dann, womit sich der junge Assassine zufrieden gab und gerade gehen wollte. „Jacob?“, hielt sie ihn noch auf. „Stell bitte keine Dummheiten an und sei heute Abend bitte wieder hier.“ „Was denn Schwesterherz? Heute mal so überaus fürsorglich?“ Ein triumphierendes Lächeln bildete sich auf seinen Lippen. Er war es wirklich nicht gewohnt, dass sie sich solche Sorgen um ihn machte. Aber scheinbar schien ihr das heute besonders wichtig zu sein. Naja, es war ja auch Heiligabend. Da würde er mit Sicherheit vorsichtig und pünktlich sein. „Du kennst mich doch“, gab er nur noch an und verschränkte die Arme vor seiner Brust. „Ich bin IMMER vorsichtig!“ „Deine Vorstellung von 'Vorsicht' kenne ich schon...“ Sie rollte mit den Augen und legte ihre Beine vorsichtig hoch. „Jacob ich mein's ernst“, sie blickte noch einmal streng zu ihm. Ihre blauen Augen durchdrangen ihn dabei, sprachen Bände. Wie könnte er ihr da jemals einen Wunsch abschlagen? „Alles klar. Wir sehen uns heute Abend und... mach keine Dummheiten Evie“, noch einmal zierte ein Grinsen sein Gesicht, ehe er nun endlich aus dem Zug sprang und verschwand. Die Brünette schnaufte leise und lehnte sich zurück. Sie konnte sich ein Lächeln trotzdem nicht verkneifen. Zwar wusste sie nicht, ob ihr Zwillingsbruder sich wieder in Schwierigkeiten verrennen würde, aber sie vertraute ihm. Wenigstens heute würde er sich doch mal zusammen reißen können? Oder? Kapitel 2: Gedanken über Gedanken --------------------------------- Evie zog die Schublade ihres kleinen Beistelltisches neben sich heraus und nahm eine hölzerne, alte Kiste an sich. Vorsichtig strich sie mit ihren schmalen Fingern darüber, um die Kiste vom Staub zu befreien. Dieses kleine Schmuckstück bedeutete ihr sehr viel. Es war nicht die Kiste an sich, sondern ihr Inhalt. Evie legte den kleinen Verschluss der Schatulle um und öffnete sie so. In dieser kleinen Kiste bewahrte sie all ihre Schätze und Andenken auf. Es handelte sich dabei um Briefe, Gegenstände ihres Vaters und andere Dinge, die ihr wichtig waren. Darunter auch ein Bild von ihrem Vater und ihrer Mutter. Behutsam nahm sie das Foto heraus und betrachtete es einen Moment lang. Sie schienen ein wirklich tolles Paar gewesen zu sein, denn beide lächelten auf dem Foto und ihre Mutter sah dabei so hübsch aus. Immer wieder hatte sich Evie gefragt, wie ihre Mutter wohl so gewesen war. Es war wirklich schade, dass sie nie die Möglichkeit hatte, sie kennen zu lernen und mit ihr Zeit zu verbringen. Trotzdem war sie ihr Dankbar. Durch sie lebten sie und Jacob und die guten Eigenschaften hatte ihr Bruder wohl von ihr vererbt bekommen. Wenigstens etwas was den Gentleman in ihm anging. Sie schmunzelte bei diesem Gedanken und legte das Bild zurück in die Schatulle. Ihr Augenmerk lag nun auf einen anderen Gegenstand. Einen Gegenstand, welchen sie letztens gut gebraucht hätte. Vielleicht wäre sie dann nicht angeschossen wurden. Aber das konnte nun sowieso niemand mehr ändern. Sie hob den runden Gegenstand hoch und drehte ihre Hand so, dass es sich im Licht spiegelte. Es war ein Talisman, der sie vor allem Schlechten dieser Welt beschützen sollte. Ein Talisman, welchen sie am Sterbebett von ihrem Vater bekommen hatte. Unweigerlich musste sie dabei auch wieder an Ethan denken. Ihr Vater war ein großartiger Mann gewesen, wenn er auch sehr streng gewesen war und gerade mit Jacob hart ins Gericht gegangen war. Er war für die Brünette immer ein großes Vorbild gewesen. All seine Erzählungen und Erlebnisse hatten die junge Assassine fasziniert. Unbedingt wollte sie seine Arbeit fortführen und begab sich deshalb auch auf die Suche nach dem Edensplitter und in seine Ausbildung. Irgendwann würde sie sicher ihr Ziel erreichen und Vater somit die letzte Ehre erweisen. Wenigstens das war sie ihm schuldig, für alles was er für sie und ihren Zwillingsbruder getan hatte. Evie drehte den Talisman ein paar mal in der Hand. Das war ihr wohl wichtigster Besitz von allem, aber sie hatte schon längst einen Entschluss gefasst. Die Zeit in der sie lebten, war nun einmal gefährlich. Und auch wenn Weihnachten über London lag, so war der Frieden nur von kurzer Dauer. Schon Morgen würden sie wieder gegen die Blighters kämpfen und versuchen, die Stadt weiterhin aus den Klauen der Templer zu befreien. Es war ein ewiges Katz und Maus-Spiel und ob sie dieses Spiel jemals gewinnen konnten, würde die Zukunft zeigen. Jetzt aber wollte sich Evie keine Gedanken um Morgen oder ihre Feinde machen, sondern an heute Abend denken. Sie hatte etwas geplant und wenn sie etwas plante, dann mit höchster Sorgfalt. So war es bei ihr Gesetz und jetzt wo Jacob nicht da war, war es umso besser ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die Brünette setzte sich wieder gerade hin, passte dabei auf, ihr verletztes Bein nicht zu überanstrengen. Sie schnappte sich die alte Zeitung, welche Sie immer neben dem Sessel liegen hatte und riss ein Stückchen Papier ab. Damit wickelte sie den kleinen silbernen Talisman ein. Zur Sicherheit wickelte sie noch ein zweites Blatt Papier herum. Zufrieden nickte sie dann. Das war zwar ein sehr sehr einfaches Geschenk für ihren Bruder, aber bekanntlich zählte ja der Wille und das man aneinander dachte. Sie war sich allerdings nicht sicher, ob Jacob ihr Geschenk annehmen würde. Er war da doch ziemlich eitel. Sie war also sehr gespannt, auf seine Reaktion. Kapitel 3: Ein besonderes Geschenk ---------------------------------- Jacob hatte zwar angegeben, dass er sich noch mit Wynert treffen wollte, doch natürlich hatte er dies nur als Vorwand genutzt, um sich davon schleichen zu können. Evie in diesem Zustand allein zu lassen, schmeckte ihm zwar ganz und gar nicht, aber er wusste auch, dass sie es regelrecht hasste umsorgt zu werden. Sie spielte immer schon die taffe, unerschrockene Frau, die alleine besser zurecht kam. Eine Eigenschaft, die er sehr an ihr schätze. Mit Sicherheit war ihre Mutter genauso gewesen. Tja, der Apfel fiel eben doch nicht weit vom Stamm. Kurz schmunzelte er. Ja, seine Zwillingsschwester kam für den Moment alleine zurecht. Und so lange würde er heute mal ausnahmsweise auch nicht brauchen. Er wusste nämlich genau was er besorgen wollte. So zog er durch die tristen, grauen Straßen Londons. Sein Ziel hatte er klar vor Augen, doch schon wieder traf ihn ein eisiger Windzug. Diese fürchterliche Kälte! Und jetzt schneite es auch noch! Oh, wie sehr er diese Kälte doch hasste! Das war schon immer so gewesen, allerdings musste er sich damit wohl für's erste geschlagen geben. Jacob murrte und schlang den schweren Ledermantel enger um seinen Körper. Schließlich setzte er seinen Weg fort und dieser führte zu keinem anderen, als zu Alexander Graham Bell. Jacob hatte ihm vor kurzem eine Taschenuhr gebracht. Diese hatte er in einer engen, dunklen Seitenstraße gefunden, doch leider funktionierte die kleine Uhr nicht mehr. Da Bell ein Genie für solche filigranen Dinge war, war er auch genau der richtige Mann, sie zu reparieren. Energisch betrat er sein 'Geschäft'. „Alex mein alter Freund!“, er grinste, als er den kleinen Laden des Erfinders betrat und schaute ihm neugierig über die Schulter. „Wie ich sehe sind sie voll in ihrem Element. Wie sieht's mit der Uhr aus?“ „Oh Jacob! Ich meine Mister Frye!“, begrüßte er den jungen Assassine und drehte sich zu diesem um. Bell wusste sofort, was den Brünetten zu ihn führte. „In der Tat! Sehen Sie~ Ich musste das gesamte Uhrwerk auseinander nehmen, um den Fehler zu finden. Oh! Glauben Sie mir... das war keine erfreuliche Arbeit gewesen...“ Jacob rollte gelangweilt mit den Augen. „Und, was war der Fehler?“ „Der Fehler, genau! Der Fehler war eigentlich kein anderer, als dass von einem winzig kleinen Zahnrad, ein Zahn abgebrochen war“, erklärte der Erfinder und schwenkte die goldene Taschenuhr in seiner Hand. „Ich habe dieses Zahnrad ersetzt und das ist noch nicht alles!“, meinte er und klappte die Taschenuhr auf. Eine liebliche Melodie wurde abgespielt, als er sie aufklappte und stoppte wieder, als er sie wieder zuklappte. „Das ist doch wirklich beeindruckend, nicht wahr!? So etwas ist mir noch nie in die Hände gekommen! Schätzungsweise ist diese Uhr mehr wert, als das Gold in ihr! Alleine diese Verarbeitung... Ich denke, sie wurde aus den fernen Osten importiert. Sofern sie nicht einem Adligen gehört hatte“ Jacob war verwirrt, aber auch sehr verblüfft. Dass die Uhr so viel wert war, hätte er nicht gedacht. Für ihn sah sie wie eine gewöhnliche Taschenuhr aus, die hier wohl jeder zweite mit sich herum trug. Tja, so konnte man sich also irren. Interessant war auch, dass die Melodie nur abgespielt wurde, wenn die Uhr aufgeklappt war und dabei hatte er nicht einmal im Traum daran geglaubt, dass so was möglich war! „Es ist also eine Uhr und Spieluhr zugleich?“, hakte Jacob nach und sah Bell direkt in die Augen. Dieser nickte eifrig und lächelte. „Richtig! Hier~ Sie gehört doch Ihnen“ Bell überreichte Jacob die Uhr, vorsichtig. Dieser schwenkte das kleine Wunder in der Hand. Er prüfte noch einmal den kleinen Trick und er funktionierte. Diese Uhr sah nicht nur gut aus, sie war auch noch ganz schön was wert. Jacob war begeistert. „Behalten Sie diese Uhr?“ „Nein. Ich werde sie Evie schenken“, erklärte der junge Assassine nachdenklich und klappte die Uhr wieder zusammen. Er strich sanft über den Rücken des Gehäuses. „Sie wird Miss Frye sicherlich gefallen! Da können Sie überhaupt nichts verkehrt machen“, schwärmte Bell für den Moment. Jacob steckte die Taschenuhr nun vorsichtig in seine Manteltasche und klopfte Bell dann eifrig auf die Schulter. „Was hätte ich nur ohne Sie gemacht Alex? Ich schulde Ihnen was. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn sie mal 'Hilfe' brauchen“, dabei grinste er schelmisch und verschwand wieder aus dem 'Laden' des Erfinders. Evie würde diese Uhr mit Sicherheit gefallen, denn er wusste, dass sie Spieluhren sehr mochte. Eine gute Gelegenheit. Kapitel 4: Tea-Time und Eifersucht ---------------------------------- Evie hatte es sich inzwischen, mit einem Buch in der Hand, gemütlich gemacht. Draußen dämmerte es schon und Jacob war immer noch nicht zurück. Leicht genervt schnaufte sie. Wenn Jacob wieder mal mit einem blauen Veilchen 'nach Hause' kam, gab es richtig Ärger! Sie wusste, wie sich ihr Zwillingsbruder in ihrer Abwesenheit benahm. Von Schlägereien, bis hin zu Diebstahl und Trinkspielchen in der Kneipe, war alles drin. Und ihr war auch bewusst, dass das meiste Unheil was er anrichtete, Konsequenzen hatte. Sie fragte sich, was er dieses Mal anstellte, doch um ehrlich zu sein, wollte sie das eigentlich gar nicht wissen. Jacob war noch immer ein Kind! Obwohl er fast genauso alt war wie sie, war er noch immer nicht in der Lage, seinen Kopf einzuschalten und über die Dinge nachzudenken. Es war immer das gleiche mit ihm. Er ging stiften und sie musste es ausbaden. Aber warum sollte sie sich darüber noch aufregen? Und warum heute, an Heiligabend? Sie schüttelte kurz den Kopf. Das machte doch wirklich keinen Sinn. Gerade als sie weiter lesen wollte, betrat jemand ihren Abteil im Zug. Sie neigte den Kopf zur Seite, als sie die helle Stimme neben sich vernahm. „Guten Abend Miss Frye. Ich hoffe ich störe Sie nicht?“, drang es entschuldigend an ihre Ohren. „Darf ich Ihnen vielleicht eine heiße Tasse Tee bringen?“, hakte ein dunkelhäutiger Mann mit gebrochenem Akzent nach. Evie schenkte ihm ein sanftes Lächeln. „Es heißt Evie~“, stellte sie gleich klar. Er musste nicht so höflich sein, wenn sie alleine waren. „Aber ja, sehr gerne Mr Green“, gab sie freundlich wieder und legte das Buch mit dem Lesezeichen bei Seite. Henry Green war ungefair in ihrem Alter und ebenfalls Assassine. Sie schätzte ihn wirklich sehr, denn er war die Ruhe in Person. Wenn der Inder in ihrer Nähe war, fühlte sie sich sicher und ausgeglichen. Abgesehen davon tat ihr seine Gesellschaft richtig gut! Er stellte die Tasse auf ihrem Beistelltisch ab und goss ihr vorsichtig den Tee auf. „Geht es ihrem Bein besser Mrs Frye? Ich meine... Evie?“, hakte er entschuldigend nach und suchte den Blickkontakt mit ihr. Sie erwiderte diesen und sah ihm in die dunklen Iriden. „Es schmerzt noch ziemlich stark, aber Mrs Nightingale ist zuversichtlich, dass alles gut verheilt“, erklärte sie Henry, welcher ihr aufmerksam zuhörte. „Ich verstehe. Dann trägt mein Tee vielleicht auch etwas zur Linderung der Schmerzen bei?“ Dieses mal war er es, der ihr ein Lächeln schenkte. Schließlich reichte er ihr die Tasse mit dem Hinweis, dass sie heiß war. Evie nickte daraufhin und war vorsichtig. Als sie an der Tasse nippte, stellte sie fest, dass der Tee wirklich gut schmeckte. „Henry! Wo haben sie diese Teesorte her! Der schmeckt ja hervorragend!“, brachte die Dunkelhaarige erstaunt ein und sah begeistert zu dem jungen Inder. Das sie ihn gerade beim Vornamen genannt hatte, war keine Absicht gewesen und so war es ihr fast schon peinlich, als sie über ihre letzten Worte nachdachte. Beherzt entschuldigte sie sich dafür zugleich, doch Henry schüttelte nur seinen Kopf. „Nennen Sie mich ruhig Henry. Das ist mir sogar noch lieber. Außerdem darf ich Sie ja auch Evie nennen.“ Er beobachtete die junge Frau und konnte nicht leugnen, dass ihr die zarte Wangenröte sehr gut stand. Schon immer war er fasziniert von ihr gewesen und er schätzte ihre Gesellschaft mindestens genauso sehr, wie Evie seine. „Diese Teesorte ist ein Importprodukt aus dem Westen. Wo ich sie speziell her habe, verrate ich Ihnen allerdings nicht. Nur so viel: Es wurden echte Jasminblüten verwendet.“ Henry wusste, dass die junge Assassinin clever war und bestimmt konnte sie das Rätsel der mysteriösen Teesorte lösen. Darin bestand absolut kein Zweifel, zumal Evie sicher noch ihr gemeinsam angefertigtes Herbarium im Sinne hatte. „Sie faszinieren mich immer wieder aufs neue Henry Green, wissen sie das?“, sie lachte dabei etwas und nahm einen weiteren Schluck des lieblich schmeckenden Tees. „Er fasziniert dich immer wieder auf Neue Evie?“ Jacob betrat das Zugversteck und gesellte sich sofort zu den beiden Turteltauben. Um genauer zu sein, er stellte sich zwischen diese und schwenkte den Blick zu Henry. „Kann ich mir gut vorstellen“, fügte der Assassine noch leise hinzu. Es war kein Geheimnis, dass er Henry nicht leiden konnte. Um ehrlich zu sein, war er einfach eifersüchtig auf ihn. Seine Schwester und er verstanden sich viel zu gut und die beiden zusammen zu sehen, war für ihn einfach Gift. Allerdings konnte er Evie auch verstehen. Dieser Typ hatte was. Er sah gut aus, hatte einen gebrochenen Akzent und war charmant. Eigenschaften, die für Jacob absolut nichts waren. Er war ein Draufgänger, ein Chaot der sich nicht an die Regeln hielt und trotzdem konnte er sich benehmen, wenn er denn mal wollte. „Jacob! Wo bist du so lange gewesen?“, hakte seine Schwester gleich streng nach und musterte ihren Bruder von oben bis unten. Erstaunlicherweise konnte sie keine Verletzungen oder ähnliches feststellen. Auch nach Bier roch er nicht. Wo also war er so lange? „Was denn? Bekomm ich etwa keinen Tee zur Begrüßung? Greenie?“, grinste er frech. Sein Blick blieb förmlich an Henry hängen, der ihm scheinbar nicht folgen konnte und die Schultern hoch zog. Auch Evie zog eine Augenbraue hoch. „Lenk nicht vom Thema ab Jacob Frye!“ Sie warf ihm einen ernsteren Blick zu. Es war jener Blick, welchen er schon viel zu gut kannte. Genervt seufzte der Jüngere und ließ sich auf das Bett seiner Schwester nieder. Er gab sich somit geschlagen. „Hab noch was erledigt und nein... ich war weder bei Topping und noch in unserer Stammkneipe, falls du das wissen willst.“ Der junge Assassine blickte seine Schwester an und bemerkte, dass sie immer noch skeptisch war. Deshalb lehnte er sich zurück, nur um im gleichen Moment Anlauf zu nehmen und wieder aufzustehen. „Ach komm schon Evie, heute ist Heiligabend! Ich dachte du würdest mich zur Abwechslung mal loben, für gutes Benehmen“, er schmunzelte daraufhin nur. „Gutes Benehmen!?“ Evie musste sich das Lachen verkneifen. „In letzter Zeit hast du mehr angerichtet, als ich wieder gut machen kann! Aber...“, sie pausierte und stellte die leere Tasse Tee zurück auf ihren Beistelltisch. „Wenigstens scheinst du heute mal keinen Blödsinn angestellt zu haben.“ Nun schenkte sie ihrem Bruder ein sanftes Lächeln, welches sie auch wirklich so meinte. Wenn sich ihr jüngerer Bruder mal benehmen konnte, dann war sie doch irgendwie stolz auf ihn. „Oh! Entschuldigt mich bitte, wenn ich euch unterbreche“, warf Henry ein und sah zwischen Jacob und seiner Schwester hin und her. „Ich freue mich, dass ihnen mein Tee geschmeckt hat Mrs Frye. Aber ich fürchte, ich muss sie nun verabschieden. Ich habe noch einen wichtigen Auftrag zu erledigen.“ Er verbeugte sich entschuldigend und ging auf die Dunkelhaarige zu. Schließlich zog er sie sanft vom Sessel hoch um umarmte sie. Innig, aber auch vorsichtig, wie zerbrechliches Porzellan und die junge Assassinin wusste gar nicht wie ihr geschah. Sie lief puterrot an, erwiderte die sanfte Umarmung aber, wenn auch nur mäßig. Ihr Herz pochte dabei schwer gegen ihren Brustkorb. Sie hatte Angst, dass er es hören konnte und das war ihr peinlich. Henry Green umarmte sie! Der Mann, welcher sie schon immer fasziniert hatte. War das ein Traum, oder die Wirklichkeit!?... Jacob war baff von der Aktion und stand immer noch wie angewurzelt da. Was sich da vor seinen Augen abspielte, war eindeutig zu viel zu für ihn. Diese innige Umarmung, die Blicke seiner Zwillingsschwester dabei, als ob sie nie etwas anderes gewollt hätte. Sie liebte diesen Greenie! Das war offensichtlich und ihm gefiel das nicht. Aber was sollte er machen? Evie war offenbar glücklich und er wollte ihr ihr Glück auf keinen Fall kaputt machen. Nein, er konnte sich nicht gegen sie stellten, ganz egal wie sehr es auch in ihm brodelte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)