Die Leiden des jungen Pizzaboten von Mondtaenzerin (Manchmal hat man Pech und manchmal einfach kein Glück) ================================================================================ Kapitel 11: ... Gibt es immer noch Nachschlag --------------------------------------------- Fassen wir einmal zusammen: ich hatte die Frau, die ich liebte, nach Afghanistan vertrieben, meine beste Freundin vergrault. Ich hatte einem Mann Beziehungstipps gegeben, obwohl ich selbst der größte Depp auf diesem Themengebiet war. Das Angebot eines guten Bekannten ausgeschlagen, den Abend feiernd mit ihm zu verbringen, eine weitere Freundin beim Sex mit einem Freund erwischt – nachdem ich mir ungefragt Zutritt zu ihrer Wohnung verschafft hatte - von dem ich glaubte, dass er sich in New York befand. Ich hatte mich beklauen lassen auf ziemlich plumpe Art und Weise und ich schaffte es nicht einmal Weihnachten, richtig Kontakt zu meiner Familie zu halten, weil Elektrogeräte sich gegen mich verschworen. Ich glaube, in all den zwölf Jahren, in denen ich in den USA lebte, habe ich mich nicht einmal so einsam gefühlt. Mittlerweile das Kissen umklammert, blieb ich einfach eine gefühlte Ewigkeit auf dem Bett liegen und wäre vermutlich irgendwann einfach so eingeschlafen, wenn meine Blase mitgespielt hätte. So quälte ich mich unter der Decke hervor, schlurfte zum Badezimmer und erleichterte mich. Während ich meine Hände wusch, zeigte mir die Uhr an dem Radio in Nemo-Form – jetzt tut nicht so, als würdet ihr den kleinen, orangenen Fisch nicht kennen – an, dass dieser verfluchte Tag nur noch etwa eineinhalb Stunden andauern sollte. Dann hatte ich es geschafft. Es konnte nur besser werden. Als ich schließlich das Bad verließ, beherrschten vorrangig zwei Gedanken mein Gehirn: "Zum Glück hast du deine Hose hochgezogen" und "´Scheiße, hast du doch was geraucht und es nur vergessen?" Drei Personen hatten die Hände zum Gruß erhoben und grinsten mich verschwörerisch an. Die Frau mittleren Alters wollte schon auf mich zustürmen, doch ich streckte meine Arme weit von mich, musste diesen Moment erst einmal verarbeiten. „Halt! Stopp!“ Abwechselnd blickte ich zu den Menschen, die urplötzlich in meiner Wohnung standen. „Was wird hier gespielt? Ihr wart doch eben noch da...“ Ein Arm wanderte deutend auf meinen Computer, während der andere meine Familie noch auf Abstand hielt. „Einer von euch sagt mir jetzt, wie ihr das gemacht habt und dann entscheide ich, ob mich dieses pinkhaarige Biest nicht auch noch vergiftet hat oder ob das rea...“ Der fast einen Kopf kleinere Mann ignorierte geflissentlich meine Ansage, schloss nur die Arme um meine Taille, während er seinen Kopf an meine Brust legte. Das war definitiv echt. Noch während ich versuchte, den Kloß in meinem Hals, der mit jeder Sekunde anwuchs, in der ich realisierte, was hier gerade geschah, legte ich ebenfalls die Arme um meinen großen-kleinen Bruder, drückte ihn etwas mehr an mich, vergrub mein Gesicht in seinem Haar, mit dem mir Zauselkopf, der Zweite – oder musste ich nicht der Zweite sein? - ordentlich Konkurrenz machte. Unwissend, wie sehr er mir gefehlt hatte. Ich atmete tief durch, um die Fassung zu waren, blickte dann auf. „Wie...?“, fragte ich in Richtung meiner Eltern, die zwar schon lange geschieden waren, es aber weiterhin vorbildlich schafften, wie erwachsene Menschen miteinander umzugehen. Mein Vater machte sich grinsend daran, zwei riesige Taschen hereinzuschleppen, zwischen den ganzen Geschenken meinte ich auch, einen winzigen, künstlichen Tannenbaum zu erkennen. Ihm folgte schließlich eine Person, mit der ich nun wirklich nicht gerechnet hatte. Meine Mutter schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Das hast du ihr zu verdanken.“ Fast schon schüchtern sah Grace mich an, die Hände vor sich ineinander verknotet. „Frohe Weihnachten, Harry.“ „Fuck.“ Ich konnte nicht verhindern, dass meine verdammten Augen feucht wurden, wandte mich ab, um mir mit dem Handrücken über die Lider zu wischen, was Gelächter der anderen zur Folge hatte, in das sogar noch halb schluchzend einstimmte. Ich brauchte einen Moment, um mich zu fangen, bevor ich mich kopfschüttelnd den anderen wieder zuwandte, dann Gracie betrachtete. Unsere Blicke trafen sich, einen Augenblick herrschte Schweigen im Raum, bevor es aus ihr heraussprudelte: „Da war dieses Last Minute-Angebot und ich wollte das du dich freust und es musste alles ganz schnell gehen und es sollte eine Überraschung sein und... und... Mir ist keine bessere Ausrede eingefallen! Es tut mir leid, Harry!“ „Nein, mir tut es leid. Was ich gesagt habe und so...“, murmelte ich und wir gaben uns stumm mit den Augen zu verstehen, dass wir das Gespräch auf später verlegen wollten. Gerade wollte ich meine beste Freundin in die Arme schließen, als meine Mum sich dazwischen drängte. „Henry George Louis Graham! Was hast du wieder angestellt? Oh Gott, du hast wirklich abgenommen... Gracie, bekommt er nicht genug zu essen? Du musst auf ihn aufpassen, er ist dazu nicht selbst in der Lage!“ Sorgenvoll betatschte Mum mein Gesicht und ich ließ das Prozedere über mich ergehen. Eine andere Wahl besaß ich ohnehin nicht. „Hey Junge“, begrüßte mich mein Vater mit einer gewohnt lockeren Umarmung und reichte mir ein Bier, nachdem er allerlei Getränke und Snacks noch in die Wohnung geschleppt hatte. „Ihr habt wirklich an alles gedacht“, merkte ich an und er nickte. „Bedank' dich bei deiner Mutter und Grace... Eigentlich hatten wir geplant, schon heute Nachmittag einzutreffen, aber unser Flug hatte natürlich Verspätung. Dann gab es noch Probleme mit dem Mietwagen und wir hatten auch etwas Ärger, weil Check-In eigentlich nur bis 18 Uhr in unserem Hotel ist. Aber es hat ja noch einmal alles geklappt.“ Ich runzelte die Stirn. „Dann war das in dem Auto nur Show? Und wie seid ihr hier eigentlich reingekommen?“ Ich nippte an meinem Bier, während mein Vater ein breites Grinsen zeigte, dann nur eine alte, abgelaufene Kreditkarte hin die Höhe hielt. „Du solltest dir angewöhnen, die Tür abzuschließen, Junge.“ „... und für Morgen hat Grace Elizabeth...“ - „Du hast ihr meinen Zweitnamen gesagt?“ - „...Ja den Truthahn besorgt und um 15 Uhr schauen wir ja die Weihnachtsansprache der Queen... Die Kekse. Wo sind die Kekse? Harry, iss' doch ein paar Kekse.“ Meine Mutter drängte sich zwischen uns Männer und aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, wie Gracie sich das Kichern verkneifen musste, als sie mir den Teller mit den britischen Biscuits vor der Nase hielt. „Wir fliegen erst zurück, wenn du mindestens zwei Kilo zugenommen hast!“ „Bitte nicht...“ „Oh mann... Manchmal glaube ich, für Mum ist Harry das behinderte Kind“, mischte sich nun auch Elliot wieder ein, ein freches Grinsen auf den schmalen Lippen. „Elliot!“, wurde er direkt vom weiblichen Familienoberhaupt zurechtgewiesen, doch die Stimme meiner Mutter ging in unserem lauten Lachen komplett unter. Jetzt sitze ich hier, beobachte diesen verrückten Haufen und könnte glücklicher nicht sein. Wünsche? Ob ich Wünsche habe? Das Sonor SQ2 wäre ganz nett, aber dieses Schlagzeug kostet ein kleines Vermögen. Ansonsten wünsche ich mir, dass Luigis Bank ihm keinen Kredit gewährt – bei dieser Frau habe ich kein gutes Gefühl. Ich wünsche mir, dass Mister Hale für sich die richtige Entscheidung getroffen hat. Ich wünsche mir, dass Tony eine fette Party feierte. Ich wünsche dieser Diebin die Pest an den Hals viel Spaß mit dem Geld. Ich wünsche mir, dass Liam und Lynn viel Spaß hatten und es nicht bereuen. Und das Lynn mich nicht tötet. Der Schlüssel, die Gitarre und 'Last Christmas' könnten mögliche Gründe sein. Vor allem aber wünsche ich mir, mich immer wieder daran zu erinnern, wie wichtig die Zeit mit seinen Liebsten ist. Und diese auch zu nutzen. Kitschig? Ein bisschen. Aber deswegen nicht weniger wahr. Ich für meinen Teil stopfe mir gleich noch ein paar Plätzchen in den Mund, damit meine Mutter Ruhe gibt. Gleichzeitig achte ich darauf, dass Elliot sich nicht zu sehr mit dem Glühwein abschießt. Und dann habe ich Gracie noch versprochen, All I want For Christmas zu spielen – heute werde ich ihr garantiert keinen Wunsch mehr abschlagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)