Die Leiden des jungen Pizzaboten von Mondtaenzerin (Manchmal hat man Pech und manchmal einfach kein Glück) ================================================================================ Kapitel 10: Wenn die Portion Glück nicht reicht... -------------------------------------------------- Es war dieser nervige Klingelton, der mich aus meiner Starre riss. Ich rieb mit mit den Handballen kurz über die Augen, versuchte das Gedudel zu lokalisieren, als ich checkte, dass ich gerade einen Anruf über Skype erhielt. Ich brachte mich auf die Beine, stolperte zum Wohnzimmertisch vor meiner Schlafcouch, auf dem das Notebook stand. Elliot. Abermals unternahm ich einen kräftigen Atemzug, sammelte mich, um meinem zwei Jahre älteren Bruder keine Sorgen zu bereiten. Zum Glück war er hartnäckig und versuchte mich zu erreichen, bis ich soweit war, das Gespräch anzunehmen. „Fröhliche Weihnachten, Harry! Fröhliche Weihnachten von uns!“, blubberte Elliot in seiner gewohnt verwaschenen und nicht ganz grammatikalisch korrekten Sprache los und ließ mich gar nicht zu Wort kommen. Sein pausbäckiges Gesicht zu sehen, brachte mich zum Lächeln. „Was du heute gemacht? Wir sind...“ „... Bei Tante Lory! Also, auf dem Weg nach Hause. Ach Henry! Auch nach einunddreißig Jahren hatte ich mich nicht an diesen Vornamen gewöhnt. Junge, hast du wieder abgenommen? Wie kann man nur zur Weihnachtszeit an Gewicht verlieren? Was ist mit dem Paket, das wir dir geschickt haben? Ist es noch nicht da?“ Meine Mutter hatte Elliots Smartphone an sich gerissen und war nun grinsend auf dem Bildschirm zu erkennen. Das Video wackelte ein wenig, was deutlich machte, dass sie im Auto unterwegs waren. „Ihr habt euch das echt angetan? Also, Tante Lory? Mit Kirche, Gedichten und der Engelsammlung, die sie jedes Jahr rausholt?“ Bewusst ging ich nicht auf die Themen ein, die meine gluckenhafte Mutter sonst noch ansprach, erfreulicherweise schien das Thema dann für sie gegessen. „Gedichte?“, hörte ich Elliot im Hintergrund, doch meine Mum ließ sich nicht beirren. „Es war halb so schlimm, wir sollen dir schöne Grüße ausrichten und sie hofft, dich im nächsten Jahr mal wieder in der Heimat zu sehen.“ Die Worte entlockten mir ein Schmunzeln, weil ich ganz genau wusste, dass das nicht nur der Wunsch meiner Tante war, sondern vor allem der meiner Mutter. Und tatsächlich sehnte ich mich gerade mehr denn je nach Hause. Der Drang, einfach online Tickets zu buchen und mich in den nächstbesten Flieger zu setzen, wurde nur von meinem chronischen Pleitesein verhindert. „Was das?“ Elliot war nun wieder der Herr seines Telefons und sein Finger verdeckte das halbe Bild, sodass ich nicht um ein Lachen umhinkam, jedoch trotzdem nicht wusste, was er meinte. „Huh?“ „Hinter dir, Harry." Ich wandte mich um, nahm Lynns Gitarre, hielt sie vor das Notebook und kaum sah ich Elliots Gesicht, wusste ich, was sogleich folgen sollte. „Spiel' ein Lied. Bitte. Unsicher kratzte ich an meiner Wange. Ich konnte zwar etwas spielen, aber das war eher auf Amateuerniveau. Hatte schon seinen Grund, warum ich der Drummer der Band war. Elliot spürte natürlich mein Zögern, war jedoch erbarmungslos. Trotz seiner Behinderung wusste er genau, welche Knöpfe er bei mir drücken musste. Oder gerade deswegen. „Ich wünsche das mir! Heute ist Weihnachten!“ „Aber es gibt doch auch in England erst morgen früh Geschenke“, versuchte ich mich herauszureden, doch Elliots, für das Down-Syndrom typischen, schräg gestellten Augen hatten mich eindringlich fixiert. „Harry. Bitte.“ „Das ist Erpressung, du Sack, das weißt du?“, unternahm ich noch einen halbherzigen Versuch, hatte die Gitarre dann aber längst schon angesetzt. Einen Augenblick überlegte ich, welches Lied ich zum Besten geben sollte, entschied mich dann aber für einen Klassiker. „... See the blazing Yule before us. Fa-la-la-la-la, la-la-la-la. Strike the harp and join the chorus. Fa-la-la-la-la, la-la-la-la. Follow me in merry measure. Fa-la-la-la-la, la-la-la-la. While I tell of Yule-tide treasure. Fa-la-la-la-la, la-la-la-la...“ Natürlich verspielte ich mich zwischendurch, natürlich traf ich nicht immer hundertprozentig den richtigen Ton, doch das tat der Stimmung keinen Abbruch, Elliot stimmte natürlich sofort mit seiner eigenen Interpretation des Textes ein und ich konnte sogar das tiefe Lachen meines Vaters vernehmen. Für den Moment waren all die Trübseligkeit und selbst der blöde Diebstahl vergessen. „… Santa had a chance of heart… A change of heart… An we know it wasn’t easy!“, begann ich dann, nun richtig in Fahrt, einen eher neumodischen Weihnachtssong. Wohlwissend, dass es eines von Elliots Lieblingsliedern war –was er trotz seiner Behinderung mit ziemlicher Textsicherheit bewies, sodass ich, je weiter der Song fortschritt, nur noch ein paar Akkorde zupfte, während Elliot aus vollstem Herzen in das Mikrofon seines Smartphones gröhlte: „All I really wanted was: pretty girls, christmas light, mistletoe, holy nights – don’t it sound like heaven on a cloud?“ Don’t it sound like heav-“ Die Verbindung des Anrufes wurde abrupt unterbrochen, ebenso plötzlich, wie ich mein Gitarrenspiel beendete. Sofort versuchte ich Elliot wieder anzurufen, mehrfach. Auch meine Mutter, nur um die unerträgliche Stille zu durchbrechen, die wie ein Hurricane über mich hereinstürzte. Doch keine Chance. Achtsam legte ich die Gitarre an den Rand meiner Schlafcouch, nur um dann selbst darauf zu fallen, ein Kissen auf mein Gesicht zu drücken, das meinen anschließenden Schrei zum Glück deutlich dämpfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)