Nimm mein Herz und führe mich von DieLadi ================================================================================ Kapitel 28: In herbstlichen Stürmen: warten und malen ----------------------------------------------------- Alle starrten ihn erschrocken an. „Na ja“, versuchte Marti alle, und vor allem sich selbst, zu beschwichtigen. „Eigentlich hat der Arzt gerade von einer tumorösen Veränderung gesprochen, und auch nur von -es könnte sein- und es wäre sehr unwahrscheinlich. Also kein Grund, sich verrückt zu machen.“ Flo, der Marti ansah, dass er längst nicht so optimistisch war, wie das gerade klingen sollte und der Jako ansah, dass sein Herz sich gerade in Stein verwandelte, nahm das Wort. „Marti hat recht. Das klingt doch ganz positiv. Und bevor man nichts genaues weiß, macht es keinen Sinn, sich Gedanken zu machen. Also ist es das beste, dass wir jetzt einfach diesen Abend genießen, okay?“ Marti nickte und klatschte in die Hände. „Felix, was gibt es zu futtern? Ich hab Hunger!“ Jako hatte noch kein Wort gesagt. Er fühlte sich, als würde ihm bei lebendigen Leibe die Haut abgezogen. Nein, dachte er, bitte nicht, bitte nicht... Dann holte er tief Luft. Egal, was jetzt auf Marti zukam. Er musste jetzt stark sein. So, wie Marti ihn kannte. Stark, gelassen, ruhig. Zuversichtlich. Ich schaffe das, dachte er. Ich muss. Für meinen Kleinen. Er legte seine Gefühle auf Eis. Und lächelte. Sie waren zuerst alle etwas unbeholfen, aber nach und nach schlich sich so etwas wie Fröhlichkeit ein. Sie redeten, lachten und vergaßen manchmal sogar für einen Augenblick die Sorge um Marti... Insgesamt war ein Abend unter Freunden das beste, was für ihn und Jako hatte passieren können. So hatten sie keine Zeit zum fruchtlosen Grübeln. Sie fielen erst spät ins Bett, nachdem alle Gäste gegangen waren. Jako schlief schlecht, er schreckte immer wieder hoch und musste sich tastend und kuschelnd vergewissern, dass Marti bei ihm war und es ihm gutging. Marti dagegen, wahrscheinlich auf Grund einer Art emotionaler Erschöpfung, schlief wie ein Stein. Am nächsten Morgen ging Jako nicht in die Uni, natürlich nicht. Er bestand darauf, dass Marti anständig frühstückte. Der hatte eigentlich keine Hunger. Aber Jako stellte ihm einen liebevoll angerichteten Teller hin, und als Marti nichts essen wollte, forderte er energisch Gehorsam ein. Hinterher war Marti ganz froh, er merkte, dass es ihm gut getan hatte, nicht mit leerem Magen in diesen seltsamen Tag zu starten. Jako packte ihn ins Auto und fuhr mit ihm zur Klinik. Dort bestätigte der zuständige Arzt, dass es nicht sehr wahrscheinlich sei, dass das ganze eine bösartige Knochenveränderung sei. Aber es könnte eben doch sein... Und ganz ehrlich, 'nicht sehr wahrscheinlich' ist keine Beruhigung, wenn man eine Scheiß-Angst hat. Es folgten neue Röntgenaufnahmen, ein Blutbild und zu guter Letzt eine Biopsie. Also eine Gewebeentnahme. Keine angenehme Sache, und Marti musste danach auch erst mal ne Weile im Arztzimmer liegenbleiben. Der Arzt besprach mit ihnen, wie es nun weiter gehen würde... Sie sollten am Freitag wiederkommen, bis dahin lägen die Ergebnisse vor. Freitag um zehn. Zwei Tage warten. Zwei Tage Ungewissheit. Zwei verdammte Tage. Jako lenkte das Auto nach Hause. Es war inzwischen Nachmittag. Meine Güte, wenn wir jetzt zu Hause hocken, drehen wir ja beide durch, dachte er. Kurz vor ihrem Ziel änderte er die Fahrtrichtung. „Scheiß drauf“, sagte er, „dein Gips wird mich nicht davon abhalten, jetzt mit dir was schönes zu machen. Ich möchte dich ausführen. Wir gehen jetzt gemeinsam Essen und hinterher ins Kino. Okay?“ Marti zögerte einen Augenblick, dann nickte er und lächelte, wenngleich ein wenig unsicher. Sie fanden eine süße kleine Pizzeria, mit rotweiß karierten Tischdecken und Kerzen auf kleinen runden Tischen. Richtig gemütlich. Sie setzten sich in eine kleine Nische, bestellten ein paar Antipasti und einen großen Teller Spaghetti, den sie gemeinsam Susi und Strolch-like verspeisten. Im Kino entschieden sie sich für einen lustigen Animationsfilm, eigentlich ein Kinderfilm, aber das war genau das was sie brauchten. Leichte Kost und befreiendes Lachen. Es war alles etwas umständlich mit Martis Krücken, aber es ging, und sie genossen den Abend. Sie schafften es sogar, nach dem Kino noch gemeinsam in ihrer Lieblingskneipe etwas trinken zu gehen. Zu Hause brachte Jako Marti ins Bett, es war recht spät inzwischen, und machte sich daran, über Whatsapp an alle, die Bescheid wussten zu schreiben: „Röntgen, Blutbild, Biopsie. Ergebnisse bekommen wir Freitag.“ Dann kuschelte er sich zu seinem Schatz, und, lag es an der Erschöpfung oder auch an den paar Bier... diese Nacht schliefen sie beide recht fest. Am nächsten Tag wachte Marti und schaute aufs Handy. Erschrocken weckte er Jako. „Du hast verschlafen!“ „Blödmann“, knurrte der ins Kissen, „glaubst du ernsthaft, ich fahre heute zur Uni und lass dich hier grübeln? Nix da. Wir machen es uns heute schön gemütlich.“ Jako gähnte herzhaft. „Oh Mann“, sagte er, „wie freu ich mich doch auf die Zeit, wenn ich dich wieder scheuchen kann, um Frühstück zu machen!“ Er grinste. Marti grinste auch. Er freute sich ebenso darauf, denn er liebte es, Jako zu bedienen und hasste es, dass das wegen des kaputten Fußes derzeit nicht ging. Sie frühstückten richtig schön, ließen sich viel Zeit dabei. Anschließend breitete Jako alte Zeitungen auf dem Küchentisch aus und darüber ein großes Stück übrig gebliebene Tapete. Beschwerte sie an den Rändern mit Kaffeetassen. Holte ein paar Farben und Pinsel, Bleistifte, Wachsmalkreiden. „So, mein zukünftiger Gatte“, sagte er. „Wir beide werden jetzt Pläne schmieden. Und hier auf diese Tapete zeichnen, malen, klecksen oder schreiben. Dinge, die wir gemeinsam tun und erleben wollen in den mindestens 60 Jahren unserer noch vor uns liegenden Ehe.“ Einen Augenblick lang packte eine eiskalte Hand nach Martis Herz, aber er schüttelte diesen Gedanken ab. „Gut“, sagte er, „ich kann das aber nicht so besonders...“ „Egal, das muss kein Kunstwerk werden. Das wird nur für uns sein. Tu einfach, was dir in den Sinn kommt und so wie du es fühlst.“ Marti nahm einen Bleistift und zeichnete, unbeholfen aber doch erkennbar, ein paar ineinander verschlungene Ringe. „Das ist der Anfang“, sagte er. Nach und nach ließen beide ihrer Kreativität freien Lauf, Jako auf seine ganz eigene künstlerische Art, aber auch Marti gelang es, auf seine Weise das, was er darstellen wollte, so auszudrücken, dass es für sie beide klar und eindeutig war. Es entstand eine irgendwie großartige, ganz besondere Collage. Heiraten. Urlaub am Meer. Tanzen. Einen Tanzkurs belegen. Den Brocken erklimmen. Einen Motorradführerschein machen. Venedig. Hand in Hand pitschnass durch den Regen laufen. Eine Pferdeschlittenfahrt im Schnee. Geschmückte Christbäume. Und vieles mehr. Sie brachten den ganzen Tag damit zu. Nachmittags kamen Felix und Frodo vorbei. Beide fanden das Kunstwerk großartig. Marti und Jako merkten, wie hungrig sie inzwischen waren, und so bestellten alle zusammen Pizza. Anschließend zockten sie gemeinsam, Mariokart, Worms und andere Dinge, die man prima in der Runde spielen kann. Es wurde recht spät. Auch diese Nacht wieder wurde Marti der Segen eines festen Schlafes zuteil. Jako dagegen kriegte kein Auge zu. Er war am nächsten Morgen wie gerädert. Egal. Er war jetzt nicht wichtig. Es ging um Marti. Stark sein, sagte er sich immer wieder, stark sein. Für meinen Schatz. Ich schaffe das. Und sein Herz war immer noch versteinert. 10 Uhr. Sie saßen im Arztzimmer und mussten noch etwas warten. Sie hielten sich bei den Händen, während die Sekunden endlos langsam dahinflossen. Jakos Hand war fast taub, so sehr wurde sie von Martis gequetscht, der das gar nicht bemerkte. Mag die Angst unendlich sein...ja verdammt, das war sie. Sein wunderbares Leben mit Jako hatte doch gerade erst begonnen... Bitte, lieber Gott, bitte... bitte... Der Arzt betrat das Zimmer. Er gab beiden die Hand. „Guten Morgen, Herr Fischer. Und Sie sind?“ „Jakob Joiko, ich bin Herrn Fischers Verlobter.“ Der Arzt stockte einen Augenblick, nickte dann und wandte sich an Marti: „Herr Fischer, wir haben in paar Sachen zu besprechen, aber das wichtigste zuerst: Die Veränderung an ihrem Knochen ist gutartig. Sie müssen keine Angst mehr haben. Es wird Ihnen nichts geschehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)