Nimm mein Herz und führe mich von DieLadi ================================================================================ Kapitel 9: Unter der Frühlingssonne: Fieber und Spaghetti --------------------------------------------------------- Dank Felix ging es recht schnell voran. Es hatte sich in der Vergangenheit im Freundes- und Bekanntenkreis eingebürgert, altes Zeug, das man gerade nicht brauchte, im Kramzimmer der WG abzustellen. „Ich kümmere mich später darum, sobald ich Zeit habe oder Platz dafür finde“, hieß es dann. Aber aus „später“ wurde dann oftmals „nie“. Es hatte ja auch nie jemanden gestört. Jetzt jedoch klemmte sich Felix ans Telefon. Er rief alle möglich Leute an. Und es dauerte gerade mal bis zum nächsten Wochenende. Dann war das Zimmer weitestgehend ausgeräumt. Es blieben ein paar Kleinigkeiten übrig. Ein alter Gartenstuhl aus Plastik. Ein Karton voller Comics. Ein Paar schwarze High Heels. Egal, das wurde in den Keller geschafft, und das Zimmer war leer. Man beschloss, in der kommenden Woche alles zu besorgen und am folgenden Samstag zu renovieren. Am Montag begann Marti zu husten und zu schniefen, und am Dienstag Morgen hatte er hohes Fieber. Rick und Dom kümmerten sich um ihn, kochten Tee, kühlten ihm die Stirn und sorgten dafür, dass Jako kam. Jako warf einen Blick auf seinen Freund, packte ihn ins Auto und fuhr mit ihm zum Arzt. Es war eine Art Sommergrippe, so etwas an dem man nicht stirbt, das sich aber genau so anfühlt, als würde man. Der Arzt verordnete vor allem Bettruhe. Viel schlafen und viel trinken, den Rest würde die Natur schon von alleine richten. Am Freitag ging es ihm schon deutlich besser, und er verbrachte den Abend mit Rick und Steve und einem Film im Wohnzimmer. Jako kam auch noch vorbei, um nach ihm zu sehen. Und ihn ins Bett zu bringen. Marti kuschelte sich in seine Decke. „Ich freue mich darauf, dass wir morgen mein Zimmer renovieren“, sagte er. „Das ist so toll für uns beide, dass Felix diese Idee mit dem Kramzimmer hatte.“ „Stimmt“, sagte Jako, „Aber von WIR kann nicht die Rede sein. Du bist dafür noch nicht fit genug.“ „Doch, es geht mir schon viel besser.“ “Trotzdem ... ich halte es für besser ... du bist immerhin auch noch ganz wackelig auf den Beinen.“ „Ach, ich komme trotzdem mit. Ich schaff das schon.“ Es gibt für alles im Leben ein erstes Mal. So auch jetzt. Jako holte tief Luft. „Nein, Marti, du bleibst morgen im Bett. Du kommst nicht mit.“ Und dann mit einem tiefen Blick aus seinen dunklen Augen: „Ich verbiete es dir.“ Marti senkte den Kopf. Ein seltsamer, aber angenehmer Schauer lief über seine Haut. Und so ein angenehmes Ziehen durch seinen Bauch. Einerseits wollte er so gerne mit, andererseits wusste er, dass Jako ja recht hatte. Und vor allem ... „Ich sehne mich nach gütigen Händen, die mich behutsam durchs Leben führen ...“ Fühlte es sich so an? Wenn ja, dann war es gut. Er seufzte und sagte leise: „Ja, du hast recht.“ Jako gab ihm einen Kuss. „Und nun schlaf, mein Spatz. Dein Zimmer wird toll. Ich verspreche es dir.“ Am nächsten Tag legten Sie los, Felix, Jako und Frodo. Sie schliffen die Türrahmen ab und strichen sie neu. Sie weißten die Wände. Die sollten so weiß nicht bleiben. Wenn die Farbe trocken wäre, würde Jako sich eine Wand vornehmen und gestalten. Das hatte Marti sich gewünscht. Jedenfalls kamen sie gut voran. Gegen halb fünf waren sie fast fertig. Während Jako und Frodo noch aufräumten, stand Felix am Herd und zauberte Spaghetti Carbonara. Es duftete in der ganzen Wohnung köstlich, würzig und ein ganz klein wenig nach Knoblauch. Alle freuten sich auf das gute Essen. Frodo wusch die Hände, schnappte sich die Gitarre und intonierte: „Carbonara e una Coca Cola!" Jako fiel ein, und gerade als Felix aus der Küche rief: „Essen ist fertig!“ da klingelte es an der Tür. Jako, immer noch singend, öffnete – und stockte mitten in einem vor Schreck ziemlich schief geratenen Ton. „Marti!“ Ja, da stand tatsächlich Marti vor der Tür, mit fieberglänzender Stirn und wackligen Knien. „Marti, was zum Henker tust du hier?!“ „Ich hatte Langeweile. Dom ist nicht da, und Rick und Steve sind mit 'nem Dreh beschäftigt. Und ich wollte so gerne schauen, wie es hier aussieht.“ „Das glaub ich ja wohl nicht!", schimpfte Jako. Er drehte sich zu Frodo um. „Ich denke, ich muss jetzt hier erst mal was klären.“ Dann schnappte er sich Marti am Handgelenk und zog ihn hinter sich her in sein Zimmer. „Oh Oh“, sagte Frodo. „Ick globe, dat da gerade eener richtig Ärger kriegt.“ „Mag sein“, sagte Felix, der neugierig aus der Küchentür geschaut hatte. „Aber die beiden schaffen das schon.“ „Biste sicher?“ „Ja. Die kommen klar.“ Und da Frodo, wie so ziemlich jeder, Felix' Menschenkenntnis vertraute, schlenderte er in die Küche. „Ick hab jehört, hier gibtet wat zu futtern?“ Jako knallte die Zimmertür hinter sich zu. Er ging zum Schrank, öffnete die Tür, hinter der ein paar von Martis Sachen lagen, nahm eine Jogginghose und warf sie ihm zu. „Zieh dir das bequeme Ding an und dann ab ins Bett. Du hast Fieber, du brauchst Ruhe.“ Marti, der sich viel zu kaputt fühlte, um gegen die etwas rüde Behandlung zu protestieren, tat wie ihm geheißen. Jako bebte vor Zorn. „So, und jetzt erklär mir mal bitte, was das soll???“ Er musste sich echt zusammenreißen, um nicht zu schreien. Es gelang ihm nicht mal halb. Das war Marti jetzt doch zu viel. Er sprang aus dem Bett. „Ich wollte einfach mithelfen. Und bei dir sein. Ist das so schwer zu verstehen?“ Er war nun tatsächlich auch laut geworden. „Und da rennst du mit Fieber durch die Stadt? Verdammt, am liebsten würde ich dir ernsthaft den Hintern versohlen!“, schrie Jako nun doch. „Davon wird das Fieber auch nicht besser!“, brüllte Marti. Sie standen voreinander, wie zwei wütende Stiere. Plötzlich wurde Marti bewusst, wie absurd das Gebrülle eigentlich war. Und wie er eben so war, fingen seine Mundwinkel an zu zucken, er begann zu kichern und kurze Zeit später schallend zu lachen. Und nun zeig mir einer den Menschen, der ernst oder wütend bleiben kann, wenn Marti lacht. Jako konnte es nicht. Kurze Zeit später lagen sie nebeneinander auf dem Bett und lachten, lachten und bekamen fast keine Luft mehr. „Hab ich 's nicht gesagt?“, sagte Felix in der Küche, denn das Lachen war bis hier zu hören. „Mmmh“, kam von Frodo. Der konnte nix klangvolleres sagen, denn er hatte den Mund voll Spaghetti. Nachdem sie beide wieder atmen konnten, schwiegen sie eine Weile. Dann sagte Jako: „Verdammt, ich hab Hunger. Felix hat gekocht. Komm lass uns essen gehen.“ „Okay.“ Marti hatte auch Hunger. Und wenn Felix kochte, dann erst recht. „Aber hinterher, mein Freundchen, reden wir“, schob Jako nach. In der Küche wurden sie von zwei erwartungsvollen Augenpaaren angeschaut. „Alles okay bei Euch?“, fragte Felix. Und als beide gleichzeitig „Bestens!“ sagten, guckten sie sich an, prusteten los und bekamen den nächsten Lachflash. „Oh Mann“, meinte Frodo zwischen zwei Gabeln Spaghetti. „Felix, ham wa uns ditte auch jut überlegt?“ „Ach“, sagte Felix, „langweilig wird es mit ihnen nicht. Und außerdem sind sie doch total niedlich zusammen, stimmts?“ „Stümmt“, nickte Frodo, grinste und widmete sich wieder seinem Teller. Einige Zeit später saßen die zwei wieder auf dem Bett in Jakos Zimmer. Bequem die Beine hochgeschlagen, Marti tief in Jakos Arm gekuschelt. „Es tut mir echt leid, Jako. Ich hab einfach nicht nachgedacht.“ „Ach Marti, ich hab mir doch nur Sorgen gemacht. Ich möchte, dass du wieder gesund wirst. Ich hab dich einfach so lieb.“ Marti strahlte. „Ich dich auch.“ „Dennoch, Marti. Wir müssen das klären. Du erinnerst dich, was du gesagt hast: Ich sehne mich nach gütigen Händen, die mich behutsam durchs Leben führen ...“ „Ja ...“ „Ich möchte das für dich sein. Aber das geht nur, wenn du das auch wirklich willst.“ „Ja.“ „Jetzt hab ich dir zum ersten Mal etwas verboten. Und du hast drauf gepfiffen. Im Prinzip ist das völlig okay, denn ich habe keinerlei Recht dazu.“ „Doch ...“, kam es leise von Marti. „Jako, es tut mir wirklich leid, dass ich dir nicht ...“ Nein, er brachte das Wort, das hier passte, einfach nicht heraus. Worte wollen gesprochen werden. Das ist ihre Natur. Aber dieses kleine Biest sperrte sich. Es hielt sich mit winzigen Krallen an seinen Hirnwindungen fest und wollte nicht über die Lippen. „Marti, ich meine das ernst. Wir können unsere Beziehung auf diese Weise führen: Ich entscheide und du akzeptierst meine Entscheidungen. Auch dann, wenn sie dir mal nicht gefallen. Das waren deine Worte. Ich möchte das wahnsinnig gern. Aber wir haben gerade erst damit angefangen. Und wir können das alles noch ändern, wenn du es lieber doch anders willst.“ „Nein, Jako. Ich möchte es so. Ehrlich und wirklich und aus tiefstem Herzen. Ich habe noch nie einem Menschen so sehr vertraut wie dir. Ich möchte, dass du mir Dinge erlaubst und verbietest und so. Und ich möchte dir ...“ Marti brachte es nicht fertig, es auszusprechen. Es ging immer noch nicht. Das kleine Luder hatte sich inzwischen in ein Loch verkrochen und darin festgesetzt. Manchmal hilft es in so einem Moment, sich selber auszutricksen. „Gib mir einen Augenblick Zeit. Vielleicht kann ich dann den Satz beenden. Es fällt mir gerade sehr schwer, das richtige Wort auszusprechen. Es weigert sich, mir über die Lippen zu kommen. Es will mir einfach nicht … gehorchen...“ Da war es. Es stand ganz erschrocken im Raum und fühlte sich ein wenig seines eigentlichen Zusammenhangs beraubt. Aber es war draußen, und Worte, die einmal ausgesprochen sind, neigen dazu, sich gerne wiederholen zu lassen. Marti holte tief Luft. „Ich möchte, dass du entscheidest, Jako, und ich möchte dir gehorchen.“ Er drückte sich an seinen Schatz. Und Jako hielt ihn fest. Stark und warm und gut. „Weißt du eigentlich, wie total altmodisch wir uns anhören?“, fragte Jako nach einer Weile grinsend. „Und weißt du eigentlich, wie völlig wurscht mir das ist?“, kicherte Marti. „In Ernst, Jako. Das ist unsere Liebe, unsere Beziehung, unser Leben, und da geht es keinen was an, wie wir uns darin einrichten. Wir haben unseren Weg gefunden. Und was andere davon halten ist mir tatsächlich völlig egal.“ Sie küssten sich. Lange und intensiv. Die Frühlingssonne, die sich vorhin, während ihres Streites, verschreckt hinter einer Wolke verkrochen hatte, kam wieder hervor und schickte ihnen ihre letzten Strahlen. Sie schaute bei dem Kuss in aller Ruhe zu. Und schämte sich nur ein klitzekleines bisschen. Sie konnte nicht anders, denn die beiden waren einfach so niedlich anzuschauen. Sie seufzte zufrieden. Jetzt konnte sie beruhigt schlafen gehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)