Alpha EINS - Game 0n von Puppenprinzessin ================================================================================ Kapitel 3: Into the Ruby Hell ----------------------------- Katie loggte sich an diesem Abend erneut in Alpha EINS ein. Ihr Avatar erschien am Rande der Stadt Arcalia, in einem der riesigen Torbögen, die Einlass gewährten. In der Ferne war zu sehen, wie ein Sandsturm die Wüste aufwühlte und sie machte sich eine gedankliche Notiz, ihr Inventar neu zu organisieren und sich anders auszurüsten, sobald sie die Stadt verlassen würde. Erst einmal checkte sie aber ihren Kommunikator darauf, ob neue Fehlermeldungen eingegangen waren. Sie und Matt arbeiteten mit einem kleinen Support-Team zusammen, das Feedback über das Spiel filterte und kondensierte. So bekam sie auf dem schnellsten Weg mit, sollte es zu irgendwelchen Programmierungsfehlern innerhalb ihres Projektes kommen. Fehlermeldungen lagen keine vor. Was allerdings Pidges Aufmerksamkeit auf sich zog was das Symbol, das anzeigte, dass sie ungelesene Nachrichten im Chat ihrer Party hatte. Nach der kurzen Verwirrung – sie hatte vergessen, dass sie sie nicht verlassen hatte – überflog sie den Chat. Es war nicht viel. Scheinbar waren zwei der Mitglieder zum Mobhunting aufgebrochen und nun eine Stadt weiter gelandet. Ein Gebiet, das von Monstern mit niedrigerem Level frequentiert wurde als die, die um die Wüstenstadt herum auftauchten. Offensichtlich waren sie noch online, den grünen Punkten neben ihren Namen zufolge. Pidge schloss den Chat und kümmerte sich um ihre Ausrüstung. Die Axt wurde gegen eines der Magierzepter getauscht, die auch Matt in dem Event am Vortag benutzt hatte. Es folgte außerdem ein Set aus Roben, die besonders gut gegen magische Angriffe schützten. Sie war zuversichtlich, dass ihre Schutzzauber ausreichten, um keinen ernstzunehmenden physischen Schaden davon zu tragen. Die Stoffe schimmerten in hellblau und weiß, während ihre neue Waffe von einem mysteriösen Lichtschein umgeben war. Er fiel zwar kaum auf, deutete aber an, dass sie einige Aufwertungen durch Alchemie mitgemacht hatte. „Werte Spieler von Alpha EINS“, schallte nur eine Sekunde später durch ganz Arcalia. Matts verzerrte Stimme hallte von den Sandsteinwänden wider und Pidge konnte nicht anders, als in skeptischer Erwartung eine Augenbraue zu heben. „Es ist ein wahrlich wunderbarer Tag – wie jeder Tag in Alpha EINS, wenn wir ehrlich sind – und es ist Zeit, euch eine Kleinigkeit für euer Engagement und eure Motivation zurück zu geben. Für die nächsten vierundzwanzig Stunden erhaltet ihr doppelt so viel Erfahrungspunkte wie es der Regel entspricht. Die Gewinnchancen auf El Harrida erhöhen sich um fünf Prozent und jede Art von Robe wird zwanzig Goldstücke günstiger angeboten. Nutzt die Zeit und habt weiterhin viel Spaß.“ „Ughhhh“, grummelnd ließ Pidge sich gegen den Steinbogen in ihrem Rücken sinken und fuhr sich durch die nicht einmal schulterlangen Haare. Es war ja nett, dass Matt ihren Sieg feiern wollte, aber… [Privat] Pidge: Das schreit nach Serverüberlastung. [Privat] Rebell: Möööööglicherweise. Aber wir hatten keinen Sekt daheim, also musste ich Abhilfe schaffen :D Außerdem haben wir so alle was davon! [Privat] Pidge: Stimmt. ‘nen Arsch voll Arbeit    -___- [Privat] Rebell: Freust du dich nicht? [Privat] Pidge: Natürlich freue ich mich. Irgendwie. [Privat] Pidge: Es ist nur… eine Menge. Außerdem wissen wir nicht, wie es ausgeht, also freuen wir uns womöglich über ungelegte Eier. Und selbst w e n n es klappt – das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es gut läuft. [Privat] Rebell: Ich verstehe, was du meinst. Lass uns später nochmal drüber reden, ja? Ich wollte noch was erledigen. [Privat] Pidge: Deiner Windmagierin ein Set neuer Roben kaufen? :D [Privat] Rebell: Du solltest dich wirklich in Gremlin umbenennen, Kitkat. [Privat] Pidge: ♥ Um sie herum schien langsam die Aufregung zu steigen. Mehrere Spieler trabten in Gruppen an ihr vorbei, um sich in die Wüste zu begeben und dort den Erfahrungsbonus beim Leveln zu nutzen. Pidge sah ihnen nach, überlegte, ob sie des Spaßes halber mitziehen wollte. Es wäre perfekt, um noch ein paar Skillpoints für die magische Ausrichtung ihres Avatars zu sammeln und an ein paar Fähigkeiten zu feilen. Dummerweise wäre es allein eine zähe Angelegenheit und da Matt scheinbar mit Shopping beschäftigt war… Ihr Kommunikator piepte und wieder öffnete sie den Chat ihrer Party vom Vortag. [Party] Ladykiller: He, Zwerg. Bist du da? Was hältst du davon, uns ein bisschen unter die Arme zu greifen, huh? [Party] _HUNK_: Er meint ‚bitte‘. Bitte greif uns ein wenig unter die Arme? [Party] Ladykiller: Mit dir könnten wir sogar Mobs killen, die +5 sind! Da würden wir allein nur draufgehen… [Party] Ladykiller: Komm schoooooon, du hast sicher nichts Besseres zu tun, oder? [Party] Pidge: -_____- [Party] Pidge: Ich hole euch in Alexandria ab. Gebt Kniegas.   Wenige Minuten später hatte Pidge sich mittels Zentraltransportes in Alexandria eingefunden. Eine Stadt, deren Aussehen weniger an Ägypten erinnerte, als an Welten, wie man sie von TRON kannte: Riesige Gebäude reihten sich aneinander, Glasfassaden und Metall kämpften um die Vorherrschaft des reflektierenden Glanzes unzähliger Lichter. In einigen Teilen der Stadt war die Schwerkraft außer Kraft gesetzt und Hoverbikes, -trains und -cars brachten Spieler von A nach B. Alexandria war fast gänzlich nach Matts Vorstellungen entstanden, auch wenn Katie bei der Konstruktion und Programmierung Feuer und Flamme gewesen war. Es war eines der Herzstücke Alpha EINS‘. Und egal, wie häufig Pidge die Straßen der Stadt frequentierte, sie konnte sich selbst den faszinierten Ausdruck nicht vom Gesicht wischen. Hier lagen so viele Geheimnisse geborgen und irgendetwas veränderte sich immer. Alexandria wuchs mit ihren Besuchern und ein kleiner Teil der Essenz eines jeden Spielers würde nie mehr von ihrem Zauber entlassen. Die Stadt lebte und je weiter ihr Blick über die schimmernden Fassaden nach oben glitt, desto mehr schien es, als würde sie atmen – obwohl sie aus so starren Materialien bestand. Pidge erlaubte dem Grinsen, das an ihren Mundwinkeln zupfte, sich zu entwickeln. Jeder der Knotenpunkte von Alpha EINS hatte seine eigenen Vorteile. Alexandrias war definitiv Rover III: Ein Gleiter, der sich nur hier und in den direkt anschließenden Gebieten nutzen ließ. Mit viel Quetschen würden sie möglicherweise zu dritt darauf passen und konnten sich gemeinsam auf den Weg machen. Doch zuerst… musste sie sie wohl finden. Der Zentraltransport spuckte sie auf einer Plattform in mehreren hundert Metern Höhe aus, wo kühler Wind ihr die Haare ins Gesicht blies. Die Sicht war atemberaubend und tiefes Luftholen machte Lust auf die bevorstehende Runde Hunting. Es brauchte einige Momente, bis Pidge sich losreißen konnte und auf ihrem Kommunikator nach den kleinen Punkten suchte, die den Standort der anderen beiden Partymitglieder anzeigten. Es dauerte, aber da sie scheinbar ebenfalls über den Zentraltransport anreisten, ploppten sie irgendwann unweit von ihr auf. Rover schwebte hinter ihr her, sobald sie sich zu Fuß zu den beiden gesellte. Nun, da sie nicht inmitten eines Gefechtes steckten, konnte sie sich auch einen Moment Zeit nehmen, die Avatare der anderen in Augenschein zu nehmen. Sie waren beide relativ groß, was aus Pidges Perspektive nicht allzu schwierig war. Hunks Charakter war bullig und nach den Geschöpfen einer Erdrasse designt. Hellgrüne, gräulich Schimmernde Haut wurde von robusten Hornschichten ergänzt, die sich über die verletzlicheren Stellen seines Körpers zogen. Ausgeprägte hörnerartige Strukturen brachen aus Kiefer und Schädel hervor, während freundliche Augen in einem warmen Gelb leuchteten. Hunk war in dunkelgrüne und braune Roben gehüllt, während sich seine Harfe in einer Halterung an seiner Hüfte befand. Alles in allem ein ziemlich imposantes Bild – wenn auch nicht so einschüchternd, wie sie vielleicht erwartet hätte. Ihr zweites Partymitglied, Ladykiller, war zwar in etwa ebenso groß, jedoch um einiges schlaksiger. Im Gesamten mutete er sehr menschlich an, was Pidge glauben ließ, er hätte vielleicht einen Scan seiner menschlichen Statur ins Spiel hochgeladen und modifiziert. Nur die Ohren, die ihr bereits bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen waren und ein unter einem Umhang versteckter Fuchsschwanz deuteten auf besagte Modifikation hin. Ladykillers Haut war von einem warmen Braunton und unter einem breiten Schal lugte ein vorwitziges Grinsen hervor. Den im Spiel gewonnenen Bogen trug er auf dem Rücken und unter dem Umhang war eine leichte Lederrüstung erkennbar. „Ihr seid spät dran“, kommentierte sie die Ankunft der beiden gespielt kritisch. Ihr eigener Umhang wehte hinter ihr her, als sie nähertrat. „Ich war noch nie hier“, grüßte Hunk sie, sah aber über sie hinweg in die Weiten Alexandrias. „Dieses Spiel hat echt ‘ne Menge zu bieten. Das ist der Wahnsinn…“ Faszination zog sich über seine Züge und Pidge konnte nicht anders, als ihren Blick dem seinen folgen zu lassen. Die Sonne hing tief im Horizont und ließ Metall und Glas in Rottönen erstrahlen. „Es ist die größte Stadt in Alpha EINS. Die Tempel auf Ôkina Jiin nehmen mehr Fläche ein, aber Alexandria macht das in der Höhe wett. Die Anordnung ist komplexer und kondensierter.“ „Nerd“, klang es etwas verwundert, wenn auch milde beeindruckt hinter ihr. Pidge schloss die Augen und atmete langsam um Fassung ringend aus. „Ich kann dich auch hierlassen“, drohte sie dem Fuchsjungen. Auf die Worte hin drehte sie sich zu Rover und schwang ihr Bein über den Sitz, der dem eines Motorrades ähnelte. Aus den Seiten des Gefährts schwenkten nun turbinenähnliche Gerätschaften hervor, die im Flug für zusätzliche Stabilität sorgen würden. „Zumindest, wenn du nicht bei drei an Bord bist.“ Sie deutete den beiden mit einer Handbewegung, sich mit auf ihr Gefährt zu begeben, bevor sie wahrhaftig abhob und bis an den Rand der Platte schwebte, die Ankunfts- und Abreisepunkt des Zentraltransportes war. „Ich hoffe, ihr habt stabile Mägen“, lautete die finale Warnung, bevor sie den Gleiter über den Abgrund steuerte, um senkrecht in einen Sturzflug abzudrehen. Selbiger dauerte nur einige Sekunden, aber das Gefühl war atemberaubend. Die Empfindungssensoren, die ins Headpiece der VR-Brille eingebaut waren und sich mit den Hirnströmen verbanden, leisteten großartige Arbeit, als sie ihr den Eindruck vermittelten, sie habe ihre Eingeweide hoch über ihren Köpfen verloren. Das Gefühl von Fallen war real, schickte Kribbeln in jedes ihrer Körperglieder und schickte heißkalte Schauer in ihre Fingerspitzen. Einige Dutzend Meter über dem Boden drehte Pidge ab, zog den Gleiter in die Waagerechte, um sich zwischen den riesigen Bauten hindurch zu manövrieren und nicht die Besucher der Stadt zu irritieren, die unter ihren Füßen ihren Geschäften nachgingen. In hoher Geschwindigkeit rasten Lichterpunkte und Reflexionen an ihnen vorbei, bis sie schließlich auf einen Schlag aufatmende Weite umfing. Die Stadtgrenze Alexandrias kam plötzlich und abrupt. Nur drei riesige rotierende, schwebende Ringe umfassten die Stadt und ließen sie so abgegrenzter und einheitlicher wirken. Der Boden war auf einen Schlag kahl und leergefegt. Pidge ließ den Gleiter tiefer schweben und schaltete einen Gang herunter. Hinter ihr waren Würggeräusche zu vernehmen. „Halt mich bitte fest – ich bin gleich wieder da…“ Pidges Augenbrauen zogen sich hoch bei der gequälten Bitte, von der sie glaubte, sie sei an den Damenmörder gerichtet gewesen. Dennoch sah sie nicht über die Schulter, sondern konzentrierte sich auf die Stecke über die Steppe. Ihr Ziel war eine der Edelsteinhöhlen, die rund um Alexandria angeordnet waren. In ihnen würden sie gemeinsam trainieren können, waren sie doch alle voll von unterschiedlich starken Monstern. Laut der Anzeige des Kommunikators, der sich mit dem Gleiter verbunden hatte und nun die Partyinformationen über das zugehörige Display darstellte, hatte Hunk sich für den Moment in den Standby-Modus begeben. Leichtgewicht, dachte sie sich schmunzelnd. Zugegeben, sie hatte nicht dermaßen rabiat fliegen müssen, aber vielleicht hatte sie gehofft, sie würde unterwegs einen gewissen Spieler verlieren. Spoiler – Hunk war es nicht gewesen.  Wenige Minuten später waren sie an einer der Höhlen angekommen. Sie ließ den Gleiter langsamer werden und stoppte schließlich, um die Distanz zum Boden weiter zu verringern. Leichtfüßig stieg sie dann von ihrem Gefährt ab, um sich schmunzelnd umzudrehen. Hunks Körper war noch immer schlaff, das dafürsprach, dass er noch nicht zurückgekehrt war. Mister Ladykiller dagegen bedachte sie mit einem Blick, der um einiges freundlicher hätte sein können. Mit Müh und Not zwängte er sich unter dem Körper des anderen hervor und stieg ebenfalls ab. „Wolltest du uns umbringen?!“ Er fuhr sich durch die Haare. Die Kapuze war ihm während des Fluges abhandengekommen und seine Ohren im aufgewühlten Wust der braunen Mähne kaum auszumachen. „Das war ‘ne mordsgefährliche Nummer!“ Pidge machte durch ein Schulterzucken klar, dass sie sich nicht beirren lassen würde. „Ihr wolltet meine Hilfe. Meine Hilfe, meine Regeln. Oh, ich glaube, er kommt wieder zu sich.“ In Hunks Körper war wieder Bewegung gekommen. Mit erschöpfter Mimik sah er zu ihnen hoch und stöhnte leise, während der andere Spieler ihrer Party sich grummelnd wegdrehte. „Geht’s wieder?“, fragte Pidge wohl unnötigerweise nach. „Ughhhh“, lautete die wenig hilfreiche Antwort. „Ich habe gerade mein Mittagessen weggebracht. Meine Trauer um die Maccaroni ist groß.“ Er kam neben ihnen zum Stehen, checkte, ob sein Hab und Gut noch da war, wo es hingehörte. „Sag mir bitte, dass es sich gelohnt hat. Wo sind wir?“ Mit einer Bewegung ihres Kopfes deutete Pidge auf den Höhleneingang hinter sich. Als Hügel ragte er aus dem ebenen Erdboden heraus; der Weg hinein führte so steil abwärts, dass auf der Oberfläche kaum etwas von der Höhle selbst zu sehen war. Sie fügte Rover ihrem Inventar hinzu und setzte sich dann in Bewegung. „Das hier ist eine der sechs Edelsteinminen von Alexandria“, eröffnete sie einem Tourguide nicht unähnlich. Je weiter sie sich fortbewegten, desto dunkler wurde es. Dafür nahm ein ominöses rotes Leuchten zu. „Das sind Edelsteine?“, fragte Ladykiller hinter ihr. „Rubine“, antwortete Pidge. „Sie sind die einige Lichtquelle hier unten. Warum sie von innen heraus leuchten, weiß niemand, aber scheinbar lockt ihr Schein Mobs an. Je tiefer wir kommen, desto voller wird es.“ In der Tiefe war bereits Kampfgetümmel zu hören. Jedes Geräusch hallte von den Wänden wider und es dauerte nicht lang, bis sie an die erste Abzweigung kamen. Pidge checkte auf ihrem Kommunikator den Weg. „Haltet euch an mich. Die Mobs hier unten müsstet ihr zwei auf eins eigentlich erledigen können. Seht nur zu, dass ihr keine Champion-Level Mobs erwischt und nicht die Aufmerksamkeit mehrerer gleichzeitig auf euch zieht.“ „Es ist ein bisschen gruselig hier“, warf Hunk ein. Er war damit beschäftigt, die Wände intensiv zu mustern. „Vielleicht will er uns nur irgendwo verbuddeln. Auf dass wir nie wiedergefunden werden.“ Ladykiller moserte weiter herum und langsam ging Pidge auf, welche Art von Konstellation sie sich hier angelacht hatte. Sie wären beide ohne sie komplett verloren. Sie hoffte, sie hörten ihr zu. Kollektives Zucken ging durch die Gruppe, als sie eine Abbiegung umrundeten und ihnen etwas Sechsbeiniges von der Decke aus entgegensprang. Pidge riss ihr Zepter hoch, reagierte instinktiv und schleuderte das Biest mit einem Feuerzauber von ihnen weg. In kämpferischer Körperhaltung stellte sie sich zwischen das Monster und ihre Partymitglieder. Das Echo des panischen Schreis, der sich aus Hunks Kehle geschält hatte, verlosch erst jetzt. „Heilige Scheiße, welches Level haben diese Viecher?!“ „Rubinhöhlenmonster liegen auf 26“, biss Pidge zwischen ihren Zähnen hervor. Das Klackern der beiden großen Scheren, die aus den… Schultern? des Monsters zu wachsen schienen, irritierte sie. Ein Wasserzauber war es, der dem Biest unter ohrenbetäubendem Kreischen den Garaus machte. Vielleicht war ein Fernkampf-Equipment für diese Höhle nicht die beste Idee. Seufzend sammelte sie die Goldmünzen ein, die ihr Gegner ihr eingebracht hatte und drehte sich zu den anderen beiden um. Hunk hatte sich hinter Ladykiller versteckt und sah ängstlich über seine Schulter. Letzterer war scheinbar in der Zwischenzeit mit Zählen fertig geworden. „Die sind immer noch drei Level über mir.“ „Und die Mobs mit dem niedrigsten Level rund um Alexandria. Hiervon habt ihr eher was, als wenn ich zurück in die Graslande gereist wäre.“ Mit einem Schulterzucken drehte sie sich um und ging weiter, nun mehr auf der Hut. „Übrigens, Hunk, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Buffs.“   Zehn Minuten später waren sie an ein eine Stelle gekommen, an der sich die Höhle verbreiterte. Der Raum, der sich offenbarte, war hoch genug, dass die Rubine an der Höhlendecke an Sterne erinnerten, während sich durch einen Spalt im Boden ein ausladender werdendes Rinnsal Flüssigkeit ihren Weg bahnte. Es leuchtete ebenso ominös wie der Rest der Höhle und erinnerte dabei an radioaktive Verseuchung. Scheinbar diente die Quelle als eine Art Lockmittel für Monster: Etwa ein halbes Dutzend von ihnen trieb sich in ihrer unmittelbaren Umgebung herum. „Nehmt das da ganz rechts. Ich knöpfe mir die anderen in der direkten Nähe vor, dann solltet ihr eure Ruhe haben.“ Pidge konzentrierte sich auf ihren nächsten Zauber, während ihre Schritte an Geschwindigkeit verloren, um die Mobs nicht unnötig auf sie aufmerksam zu machen. In ihrer Konzentration hörte sie es hinter sich einmal mehr mosern und beinahe hätte sie sich umgewandt und dem Fuchsjungen den gerade gesponnenen Zauber auf den Hals gehetzt. Hunk kam zu seiner Rettung. „Ignorier ihn einfach, ja? Er hat Stress mit seiner Freundin und heute extreeeeem schlechte Laune deswegen. Eigentlich verhält er sich anständiger, versprochen!“ Er hatte beide Hände in einer schlichtenden Geste erhoben und hoffte wohl, Pidge würde davon absehen, sie einfach beide umzumangeln oder den Monstern zu überlassen. Ersteres war eigentlich regelwidrig und eigentlich wäre sie damit 24 Stunden vogelfrei, aber… Nunja. Sie ließ ihre Irritation an dem anvisierten Mob aus, welches inzwischen ihre Anwesenheit bemerkt und auf sie zugekrabbelt kam. „Vielen Dank fürs Breittreten meines Privatlebens, Hunk. Echt, große Klasse!“ „Hey. Man. Komm schon, Lance, es ist doch nichts dabei. Wir haben alle mal miese Tage!“ „Hab ich PMS oder was?! Wenn du so weitermachst, kannst du zusehen, wie du morgen zur Uni kommst!“ Langsam aber sicher… Pidge konnte die Zornader an ihrer Schläfe förmlich pulsieren spüren. „Ouch, das ist nicht fair! Und obendrein gegen die Abmachung, dann bekommst du nämlich kein Frühstück und Ro-“ „Hunk! Sag. Nicht. Ihren. Namen. Okay?! Das hier ist ‘ne freundinnenfreie Zone! Ich brauch‘ auch mal ‘ne Pause und das hier ist nicht entspannend, klar?!“ „AAARGH!“ Es war Pidges Brüllen, das nun durch die Höhle schallte und die Aufmerksamkeit aller anwesenden Individuen auf sich zog. „Das hier ist nicht entspannend? Weißt du, was nicht entspannend ist, Fuchsjunge?! Ihr! Ich weiß nichtmal, warum ich hier bin, wenn ich eins nämlich nicht hab, dann einen Helferkomplex! Ich sollte mich einfach ausloggen und euch hier versauern lassen, auf dass ihr das Tageslicht nie wiederseht!“ Rotes Leuten, das definitiv nicht von den umliegenden Rubinen herrührte, erfüllte ihre Augen und waberte in immer ausufernderen Wellen um sie herum. Sie hatte unbewusst ihren Berserkermodus aktiviert – ein Modus, der nach einer bestimmten Anzahl getöteter Monster verfügbar war und den Angriff und die Agilität des Avatars für kurze Zeit vervierfachte. Krampfhaft schlossen sich ihre Finger um das Zepter, bevor sie sich kurzerhand dazu entschied, abzudrehen und… In kurzer Reihenfolge landeten mehrere Münzhaufen auf dem Boden. Zischen und Brutzeln erfüllte die Luft und unter Kreischen gingen Mobs zu Boden und lösten sich in Luft auf. Inmitten des Kampfgetümmels fragte sie sich, wieso sie nicht bei den Äxten geblieben war; für Frustrationsabbau wären sie besser geeignet gewesen. Andererseits machte sich das hier auch nicht schlecht. Pidge ließ der über den Tag hinweg aufgestauten Anspannung freien Lauf, nutzte Zauber, mit denen sie wie mit Kanonen auf Spatzen schoss und erschöpfte ihren Magiepunkte-Vorrat beträchtlich. Eine Drehung brauchte es noch, bis sie das letzte Monster in Sichtweite mit ihrem stärksten Feuerzauber auseinandernahm. Das rote Leuchten verblasste wie auf Knopfdruck und mit einem Seufzen ließ Pidge die Schultern hängen. Mittlerweile hatte sie eine beträchtliche Distanz zwischen sie und die beiden Jungs gebracht, was jedoch nicht weiter schlimm war – bis neue Monster spawnten waren sie außer Gefahr. Sie hatte die Höhle effektiv sauber gewischt. „Das tat gut“, stellte sie leise fest. Zumindest war sie jetzt etwas entspannter. „PIDGE!“ Braune Haare flogen herum, als sie sich umwandte. Sie konnte noch einen Blick in Hunks schockierte Miene werfen, bevor sie etwas Schweres von hinten umtackelte. Mit ekelerregender Lautstärke drang das kreischende Geräusch von Nägeln auf einer Tafel an ihre Ohren – neben ihrem Kopf bohrten sich krabbenartige Beine aus steinhartem Material in den Boden.  Ihr Blickfeld wurde von zwei großen, klackernden Scheren vereinnahmt und für den Moment dachte sie wirklich, es wäre aus mit ihr. In letzter Sekunde hatte sie sich auf den Rücken gedreht und lag nun festgepinnt Angesicht zu Angesicht mit einem Monster, das scheinbar auf dem Championlevel war: Größer und stärker als ein gewöhnliches Monster seiner Gattung. „Fuck“, entfuhr es ihr leise aber mit Nachdruck. Zugegeben, die Biester waren im Grunde nicht so konzipiert, dass sie sie fressen würden – aber durch die Empfindungssensorik würde sie die wohl folgenden Treffer durchaus merken und bei voller Vitalität würde es eine Weile dauern, sie klein zu kriegen, was fast schon auf eine Art von Folter hindeutete. Zunehmend verschreckt tastete sie nach ihrem Stab – erfolglos – während sie unter den näherkommenden Scheren die Wahrscheinlichkeit berechnete, hier heil herauszukommen. Das Vieh hatte zu allem Überfluss ihre Roben durchbohrt und hinderte sie am Fortkommen. Ein surrendes Pfeifen ertönte, dann ein Kreischen direkt über ihr. So schnell wie sie gekommen waren, waren die Beine und die Scheren über ihr verschwunden. Hastig rappelte Pidge sich auf, erspähte ihr Magierzepter einige Fuß von sich weg und hechtete in die entsprechende Richtung. Geistesgegenwärtig beschwor sie mit ihren letzten Magiepunkten einen Eiszauber, der den Boden unter den Beinen des Monsters gefrieren ließ und es nach seinem vorherigen Taumel ins Schleudern brachte. Erst jetzt bemerkte sie den Pfeil der aus einem seiner acht Augen ragte. Der Pfeil, zu dem sich im nächsten Moment ein weiterer gesellte. Wieder kreischte die Mischung aus Riesenkrabbe und Spinne auf, verlor kurz darauf das Gleichgewicht und rutschte über den leicht abschüssigen, nun eisbedecken Boden in die Mitte der Quelle. Es war als würde man es in Säure tauchen. Das Kreischen wurde ohrenbetäubend, fast übertönt von den zischenden Geräuschen, die hinzukamen. Ein Blick in Richtung der merkwürdigen Flüssigkeit zeigte, wie das Monster unter emporsteigenden Schwaden langsam verendete. Pidge kniff die Augen zusammen und wünschte sich, sie könnte dasselbe mit ihren Ohren tun. Stocksteif verharrte sie, bis es vorbei war. Erst, als Ruhe einkehrte, ließ sie sich mit sich nun langsam beruhigenden Herzschlag auf den kühlen Steinboden nieder, um durchzuatmen. Auf der anderen Seite der Höhle senkte Ladykiller erst jetzt seinen Bogen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)