SANTA kills (Adventskalendergeschichte) von ellenchain ================================================================================ Kapitel 2: Geisel ----------------- Als ich erwachte, lag ich einem kahlen Raum. Weiß und hell. Sehr klinisch. Vermutlich, weil es ein Krankenhauszimmer war. »Hi Kyle«, begrüßte mich Ethan und winkte mir zu, obwohl er keinen Meter von mir entfernt auf einem klapprigen weißen Stuhl saß. »Wie geht es dir?« Ich brauchte einige Sekunden, um mich zu orientieren. Es war das Krankenzimmer, in dem ich schon öfter aufgewacht war. Es gehörte dem Geheimdienst. Ich lag auf der Arbeit. »Mein Kopf tut weh«, gab ich zu und versuchte mich etwas aufzusetzen. Dabei ziepte es enorm in meinem Brustkorb. »Hast eine ziemliche Gehirnerschütterung gehabt. Und eine Rippe ist angeknackst. Aber nicht schlimm. Die entlassen dich morgen sicher wieder.« Ethan half mir, mich zumindest ein paar Zentimeter aufzusetzen, indem er das Kissen versetzte. Die Infusion in meiner Armbeuge war unangenehm. Nicht gut gesetzt. Als ich zu meinem Kollegen sah und sofort den Berg an Unterlagen in seinem Arm vernahm, seufzte ich laut auf. »Ist das etwa schon wieder der ganze Papierkram, weil mir etwas passiert ist?« »Nein, keine Angst«, beruhigte mich Ethan und lächelte sogar etwas. »Das habe ich bereits für dich erledigt. Weiß doch, wie sehr du das hasst.« Die Erleichterung trat trotzdem nicht ganz ein. »Was ist es dann?« »Informationen über deinen Angreifer.« Ich horchte auf. Als Ethan jedoch nicht weiter erzählte, deutete ich mit einem ungeduldigen Nicken an, dass er fortfahren soll. »An was kannst du dich überhaupt erinnern?«, hakte er stattdessen nach. Ich hob beide Augenbrauen und kratzte mich am Nasensteg, als könnte es meinem Denkvermögen auf die Sprünge helfen. »Da war Mrs. Iwanowna. Sie kam gerade aus dem Gebäudekomplex. Dann die zwei Typen. Einen habe ich angeschossen. Den Fahrer. Der andere hat dann auf mich geschossen, aber nicht getroffen. Beide haben Russisch gesprochen. Letztendlich habe ich mich mit dem einen geprügelt. Er hat wohl gewonnen.« Mein Kollege grinste bei der letzten Schlussfolgerung. »Nicht ganz. Er war dabei, dich umzubringen. Und offensichtlich bist du noch hier.« Ich spitzte neugierig meine Lippen. »Ihr konntet also eingreifen.« Ethan nickte. »Und dann?« »Wir kamen gerade an, als er dich bewusstlos schlug. Als er nach seiner Waffe griff, um dich zu erschießen, kamen wir dazwischen. Er ist dann zum Van geflohen und hat Mrs. Iwanowna mitgenommen.« Sowohl er als auch ich seufzten dabei erschöpft aus. »Shit«, murmelte ich und ließ meinen Blick im Zimmer gleiten. »Irgendeine Nachricht bisher? Erpressung? Tötung?« »Nein, nichts. Ist aber auch erst ein paar Stunden her. Vermutlich werden sie noch abwarten. Die Forderungen kommen dann sicher recht bald. Sofern sie Mrs. Iwanowna wirklich als Geisel nehmen und nicht einfach nur töten wollen.« »Hat sie denn jemals vermuten lassen, dass man sie umbringen will? Ist sie in etwas hineingeraten?« Da zuckte Ethan mit den Schultern. »Keine Ahnung. Ich kann dir auch nur das sagen, was in der Akte steht.« »Das ist einfach zu wenig Information. Ich wusste nicht einmal, ob die Typen Freunde oder Feinde waren. Wir brauchen mehr über Mrs. Iwanowna!« Leichte Kopfschmerzen kündigten sich in meinem Frontallappen an. »Deshalb bin ich hier«, sagte Ethan sanft und überschlug seine Beine. Eine recht feminine Geste für einen Mann wie ihn. Doch ich schenkte der Gestik keine weitere Beachtung, als er anfing, im Papierstapel vor sich zu blättern. »Mrs. Iwanowna ist wohl in keiner festen Beziehung, jedenfalls nicht nach ihren Kollegen. Sie arbeitete in einer Fabrik als einfache Angestellte. Sie kontrollierte die Waren auf Mängel.« »Was wurde in der Fabrik hergestellt?«, hakte ich nach, da Ethan schon mit dem Finger zum nächsten Punkt rutschte. Etwas verwundert über meine unterbrechende Frage, rutschte er mit dem Finger zurück nach oben und suchte die Stelle, die ihm die Antwort auf meine Frage verriet. »Irgendwelche Kugelschreiber.« »Kugelschreiber?«, hakte ich nach und blinzelte verwundert. »Sie arbeitet in einer Kugelschreiberfabrik? Wird das heutzutage nicht alles in Asien hergestellt? Oder sind das diese Luxuskugelschreiber?« Ethan war sichtlich überfordert mit meinen Fragen, sodass er etwas aggressiv zur nächsten Seite umschlug. »Unwichtig, Kyle. Viel wichtiger sind die Kerle, die sie begleitet haben.« Dem stimmte ich zwar nicht unbedingt zu, aber die Akte könnte ich mir später selber ansehen. Also nickte ich freundlich und gab Ethan das Zeichen, er könne fortfahren. »Tatsächlich gehören die Typen dem russischen Mafia an.« Ich zog scharf die Luft ein, verblieb jedoch still und horchte den weiteren Worten. »Der Typ, den du angeschossen hattes, sitzt gerade in Untersuchungshaft. Hat natürlich direkt nach einem Anwalt gefragt und fordert jetzt seine Rechte ein. Geredet hat er bisher nicht. Wir sind da aber dran.« »Passt auf, was er tut… die Mafia ist andere Umgangsformen gewöhnt. Wenn es sein muss, erhängen sie sich mit dem Telefonkabel im Besprechungsraum.« Der als einfacher Hinweis gedachte Kommentar ging völlig nach hinten los. Ethan lachte verzweifelt auf und hob dabei die Augenbrauen. »Ja, natürlich. Die Russen haben doch alle Kapseln im Mund versteckt, die sie zerbeißen können, wenn es sein muss.« »Jetzt übertreibst du«, murmelte ich und runzelte die Stirn. »Die sind zwar um einiges härter als wir, aber den Tee durch Wodka ersetzen ist vielleicht auch nicht immer von Vorteil.« Mein Kollege ignorierte den schlechten Witz und fuhr fort, nachdem er sich mit der Hand durch sein langes Haar glitt. »Der Mann in der Zelle heißt Sergej Kusmin. Über ihn sind keine genauen Informationen bekannt, aber er scheint seit mehr als 20 Jahren als Gangster in den Straßen Russlands zu arbeiten. Wieso er allerdings hier in Großbritannien ist… Keine Ahnung. Da sind wir wie schon erwähnt noch dran. Viel schlimmer ist der andere Kerl. Der, der dir den Kopf zerschlagen wollte.« Ich ahnte bereits, dass der Fahrer eben nur der Fahrer und die mysteriöse Figur am Straßenrand mit der Zigarette der eigentliche Jäger war. »Alexej Wolkow«, sprach Ethan den Namen aus, als wäre er Gift. »Der grausame Wolf, wie er gerne genannt wird.« »Der gute Mann hat also schon einen Ruf?« »Er ist dafür bekannt, seine Opfer mit bloßen Händen auszuweiden.« Mir fuhr ein leichter Schauer über den Rücken. Gut, dass ich diese Information nicht schon gestern hatte. Sonst wäre ich sofort auf dem Absatz umgedreht und hätte nicht den Helden gespielt. Ein Glück, dass meine Kollegen mich vorher retten konnten. Mein Gesichtsausdruck sagte wohl bereits alles aus, was Ethan über meinen Gefühlszustand wissen musste. »Ja«, stimmte er zu, obwohl ich nichts gesagt hatte. »Mit dem Typen ist nicht gut Kirschen essen. Ganz im Gegenteil, Kyle. Halt dich von ihm fern.« »Wie soll das gehen – jetzt, wo Mrs. Iwanowna in seinen Händen ist?« »Vielleicht bekommen wir sie anders raus. Ihr Standort muss erst einmal ermittelt werden. Dann schauen wir weiter. Du wirst jetzt sowieso erst einmal wieder gesund.« Sein Blick wanderte zu meinem Tropf. Nachdenklich spielte er am Schlauch, was mich etwas nervös werden ließ. »Dass Alexej Wolkow hier ist, macht uns alle etwas nervös. Normalerweise schicken die Russen ihren besten Schlächter nicht einfach so vorbei, wenn sie eine einfache Dame entführen wollen. Wir sind uns noch nicht so sicher, was das zu bedeuten hat.« »Vermutlich geht es hier um eine größere Sache, als wir dachten. Vielleicht geheime Informationen?« Ethan zuckte auf einmal mit den Schultern, als wäre es ihm egal. »Wir werden sehen. Wolkow wird dich auf jeden Fall hier nicht finden. Aber vielleicht woanders. Er hat nämlich dein Gesicht gesehen, so wie du seins. Freya hat schon darauf bestanden, dass du dir Urlaub nimmst und erst einmal zu Hause bleibst. Mit Personenschutz natürlich.« »Urlaub ist keine Option. Weinachten steht vor der Tür… Urlaubssperre.« »Dann bist du eben krank«, seufzte Ethan genervt auf und klappte die dicke Mappe zu, aus der er mir vermutlich nicht einmal einen vollständigen Satz vorgelesen hat. »Ich geh zur Arbeit«, sagte ich entschlossen und rang mich zu einem Lächeln ab. »Aber hier nehme ich gerne Urlaub.« Da stand mein Kollege auf und schüttelte belustigt den Kopf. »Hier gibt’s keinen Urlaub. Das weißt du.« Damit ging er aus dem Zimmer und schloss leise die Tür. Ich seufzte laut auf und ließ mich im Kissen sinken. Natürlich hatte er die Akte mitgenommen, damit ich nicht mehr darin lesen konnte. Wieso hatte ich das Gefühl man hielte mir Informationen vor? Kein Fall der Welt würde so blauäugig bearbeitet werden. Vielleicht war das der erste Akt, bei dem man hoffte, ich würde als Köder fungieren und die bösen Jungs aus ihrer Disko locken. Wenn dem so wäre: Guter Job, Freya. Ich habe die bösen Jungs rausgelockt. Am Abend konnte ich bereits wieder aufstehen und alleine durch das kleine Abteil der Firma laufen, welches sich für die ärztliche Versorgung der eigenen Mitarbeiter verschrieben hatte. Einige andere Kollegen wurden hier behandelt. Ein paar Schusswunden waren dabei, doch häufig nichts schlimmeres. Dass jetzt die Russen mit uns spielen wollten, verhieß nichts Gutes. Die Wunden würden schlimmer werden. Mit Sicherheit. Im wunderschönen weißen Baumwoll-Morgenmantel schlich ich mich durch die Gänge. Einige beäugelten meine weißen Einwegpantoffel der Klinik, andere rügten mein legeres Auftreten in einer sonst professionellen Umgebung. Erst, als ich die kleine Haftanstalt betreten wollte, ließ man mich nicht durch. »Anordnung von Mrs. Hill«, verkündete ein Türsteher, der seine Arbeit sehr gewissenhaft durchführen wollte. »Freya lässt mich nicht rein? Wieso?«, hakte ich genervt nach und verschränkte die Arme. Mit dem Fuß trommelte ich auf den schwarzen Fliesen rum, sodass ich wie eine hysterische Hausfrau aussah, die ihren Mann gerade rügte, weil er erneut eine Flasche Bier getrunken hatte, obwohl man sich auf Wasser einigte. »Sie möchte, dass Sie erst gesund werden, bis Sie den Gefangenen sehen.« »Bullshit«, rutschte mir sofort raus. Der Türsteher in zugegeben toller Uniform zuckte sofort zusammen und riss die Augen auf. »Sorry«, war dann noch alles, was ich aus mir heraus bringen konnte. Ich schlurfte einen Gang zurück und versuchte es an einer anderen Stelle. Doch auch dieser Mann verweigerte mir den Einlass. Erst beim dritten Eingang, der vermutlich eher ein Ausgang war, stand eine verunsicherte junge Dame, die wohl ihren ersten Tag hatte. Sie sah mich mit großen Augen an und wusste mich nicht einzuordnen. »Hi«, begann ich mit meinem charmantesten Lächeln. »Ich würde gerne zum Inhaftierten.« Sie schluckte und richtete ihren braunen Pferdeschwanz. »H-Haben Sie eine Autorisierung dazu?« »Ich denke schon«, lächelte ich sie aufmuntern an, »Ich bin derjenige, der ihn angeschossen hat.« Da sprang sie einige Zentimeter zur Seite. »Dann sind Sie Mr. Lewis?« Für einen kurzen Moment überlegte ich, ob ich lügen sollte. Aber die gute Dame hatte vermutlich wirklich ihren ersten Tag, da wollte ich nicht sofort einen schlechten Eindruck hinterlassen. Also nickte ich zustimmend. »Der bin ich.« »Ich bin von Mrs. Hill angeleitet worden – « »Ich weiß«, unterbrach ich sie mit ruhiger Stimme. »‘mich nicht reinzulassen‘. Aber gute Dame… Jetzt, wo ich doch schon einmal hier bin?« Sie zögerte einen Moment und schien zu überlegen, was nun das Richtige wäre: Mich reinzulassen und damit ihre Anweisungen ignorieren, oder mich nicht reinzulassen und dann ordentlich Ärger von mir zu bekommen. Mein hoher Rang sollte mir ausnahmsweise einmal helfen. Dass der einen Scheiß wert war, wenn Freya Anweisungen gab, schien sie offensichtlich nicht zu wissen. Erst, als sie langsam anfing zu nicken und ich anfing Hoffnung zu schöpfen, hörte ich das Klacken der italienischen Pumps von Freya. »Mr. Lewis«, mahnte sie mich aus einer Entfernung von über 50 Metern. »Gehen Sie zurück ins Bett. Und zwar sofort!« Ich lächelte schwach. »Nicht einmal ganz kurz? Ich hätte einige Fragen an ihn.« »Die haben wir alle«, stellte sie streng fest und warf der kleinen Neuen einen vernichtenden Blick zu. Freya war groß, hübsch, schlank und mächtig. Wenn sie wollte, dass England seinen Frieden hatte, war dem auch so. Wenn sie wollte, dass England brenne, dann würde England gleich am nächsten Tag brennen. »Zurück mit Ihnen ins Krankenzimmer. Sie haben eine angeknackste Rippe und eine Gehirnerschütterung. Sie würden im Moment gar nichts erreichen, bis auf ein vielleicht verwirrendes Gespräch mit einem unserer wichtigsten Häftlinge.« Mit ihren langen schlanken Fingern hielt sie zwei Akten in der Hand. Ich konnte jedoch nicht erkennen, um was es sich handelte. Ihr teures Chanel Kostümchen war im Weg. »Wann darf ich denn mit ihm reden?«, hakte ich nach und steckte meine Hände in die Taschen des Morgenmantels. Freya warf ihre gelockten Haare hinter die Schulter. »Wenn ich es sage. Und im Moment sind die Ereignisse noch zu jung. Hat Mr. White Sie eingewiesen?« Ich nickte langsam. »Ja, der hat mich vorhin besucht. Allerdings fehlen mir noch immer einige wichtige Informationen. Besonders um den Verbleib von Mrs. Iwanowna. Und mehr Hintergrundinformationen zum grausamen Wolf wäre auch toll.« Freya formte ihre Augen zu schlitzen. Sie überlegte wohl, ob ich mich gerade durchmogeln wollte, weil ich Ethan nicht richtig zugehört hatte, oder ob er mir tatsächlich einen Scheiß erzählte. Letztendlich nickte sie ein einziges Mal, bevor sie mit großen Schritten an uns vorbei ging. »Ich werde Ihnen die Unterlagen zukommen lassen. Machen Sie Urlaub.« »Nein, danke«, rief ich ihr hinterher, doch sie hörte mich wohl nicht mehr. Die kleine schüchterne Maus neben mir wurde im Nu noch kleiner und verkroch sich zurück auf ihre Position neben der Tür. Ich lächelte ihr aufmunternd zu. »Keine Sorge. Sie trifft keine Schuld. Einen Versuch war es wert.« Sie erwiderte zwar mein Lächeln, doch es wirkte sehr verkniffen. Als würde sie gerade versuchen herauszufinden, was ich wirklich im Schilde führte. Zurück auf der Krankenstation ließ ich mich noch ein wenig Betüddeln, bevor ich wieder nach Hause fuhr. Cindy hatte mir tatsächlich eine SMS geschrieben, dass sie sich morgen etwas verspäten würde, da sie noch etwas trinken gehen wird, und fragte nebenbei, ob ich nicht vielleicht früher kommen könnte, damit unser Chef nicht alleine im Laden stände. ‚Von mir aus‘ war dann alles, was ich ihr antwortete. Meine netten Floskeln hatte ich im Kampf mit dem grausamen Wolf auf unbestimmte Zeit verloren. Zu Hause angekommen warf ich mich sofort ins Bett. Oder kroch so gut es ging unter die Bettdecke, da meine Rippe noch immer schmerzte und mein Kopf brummte. Meine Gedanken schweiften zur armen Mrs. Iwanowna, die jetzt vermutlich in irgendeinem Keller bei Wasser und Brot hausen musste. Gott weiß wie man sie behandeln würde. Dass allerdings niemand wirklich wusste, was eigentlich hinter dem Bäckermädchen stand, machte mich stutzig. Sie war die Tochter zweier ganz normaler Eltern, wie es schien. Entweder war der Vater in Geldschulden gekommen und man wollte nun seine Tochter als Druckmittel verwenden oder die Mutter hatte Dummheiten gemacht. Oder: Irina hatte ihre eigenen Probleme mit den Russen bekommen. Aber wieso so einen Aufwand? Hatte sie von etwas Wind bekommen, von dem sie besser hätte nichts mitkriegen sollen? Ich wälzte mich noch einige Male hin und her, bis ich in einen unregelmäßigen Schlaf fiel. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)