SANTA kills (Adventskalendergeschichte) von ellenchain ================================================================================ Kapitel 1: Spion ---------------- Die nächste Schicht in meinem Nebenjob stand an und ich zählte lustlos die Kasse. Meine Gedanken schweiften um Mrs. Iwanowna und ihrer paranoiden Wahnvorstellung verfolgt zu werden. Mit den Russen sollte man nicht spaßen, aber sie war doch eine von ihnen. Wieso klärte sie das auf einmal auf britischem Boden? Etwas an der Sache verunsicherte mich. »Hi Kyle«, begrüßte mich Cindy und zwinkerte mir zu. »Hast du heute Abend schon was vor?« Ich bemühte mich um ein freundliches Lächeln, während ich weiterhin den Blick auf dem Geld in der Kasse hatte. »Ja, leider. Tut mir leid.« »Ein anderes Date?«, hakte sie nach und lehnte sich über den Tresen. In ihrer Hand hatte sie einige Reservierungen von Kleidungsstücken für den Tag in der Hand, die sie noch in den Schrank hinter mir einräumen musste. »Du kannst ehrlich sein.« »Cindy, ich würde immer ehrlich zu dir sein«, versicherte ich ihr und erwiderte ihr vorheriges Zwinkern. Das ließ sie aufkichern. »Du sagst es mir also nicht«, schlussfolgerte sie und verdrehte spielerisch die Augen. »Dann viel Spaß heute Abend bei deinem Date. Aber vielleicht hast du ja Lust mit mir einen Glühwein im Erdgeschoss trinken zu gehen?« Ich schloss die Kasse und spitzte amüsiert die Lippen. »Mit Alkohol oder ohne?« »Mit natürlich«, lachte sie und ging mit großen Schritten hinter mich, um die Reservierungen einzuräumen. »Chefchen muss ja nichts wissen.« »Chefchen wird es aber herausfinden, wenn auf einmal beide Angestellten nicht mehr im Laden sind. Du weißt, dass wir nicht zusammen Mittag machen dürfen.« Doch Cindy knallte nur belustigt die Tür zum Schrank zu und lehnte sich zu mir, als sie mir leise ins Ohr flüsterte: »Ich werde Jack von unten fragen, ob er nachher hochkommt. Dafür gehe ich dann runter, wenn er mit Claire Mittag macht.« »Oh«, gab ich gespielt überrascht von mir und nickte. »Faszinierend, wie gut sich hier alle absprechen.« »Ich nehme das als ein Ja. Bis später dann, Kyle!« Damit verschwand Cindy aus meinem Blickfeld und ging ihrer Arbeit nach. Ich räumte noch Kleinigkeiten von der Kasse und wartete, dass der Ansturm losging. Eigentlich hatte ich kein Interesse an Glühwein. Diese billige Plörre war eine ärmliche Entschuldigung für richtigen Wein. Aber Cindy war eine nette Kollegin und ich mochte sie. Auch wenn das nie etwas Romantisches werden würde. Sie war nicht mein Typ, auch wenn sie mein Alter teilte und auch sonst recht ansehnlich war. Aber mit meinen zwei Jobs war es sowieso schwierig ein Privatleben zu führen – wo sollte da noch eine Beziehung hin? Ohne Night Stands waren in Ordnung, solange niemand in meinen Habseligkeiten schnüffelte. Der Vormittag ging recht schnell vorbei. Die Kunden kamen und gingen. Ich bekam das Meiste nur in einem tranceartigen Zustand mit, um mich selbst zu schützen. Schließlich kam Cindy auf mich zu und deutete mir mit einem Kopfnicken an, dass Jack gleich hochkommen würde, damit wir verschwinden könnten. Na gut, dachte ich, sei es drum. Wird schon gut gehen. Wir beide fuhren in voller Montur unserer Arbeitskleidung mit der Rolltreppe ins Erdgeschoss, wo sich extrem viele Menschen sammelten. Kinder lachten laut, Mütter quatschten laut und alle anderen waren auch ziemlich laut. Die weihnachtliche Musik und das zwischenzeitliche ‚Ho-Ho-Ho‘, welches durch die Lautsprecher ertönte, machte mich zunehmend gereizt. Cindy sprühte dagegen vor Leben und sprintete förmlich zum Glühweinstand, wo sich alle drum herumtummelten, als wäre es der Schlussverkauf. Hier kamen die kleinen Alkoholiker zum Vorschein, die bereits mittags ihre tägliche Portion einnahmen. Meine Kollegin und ich sollten uns für den heutigen Tag ebenfalls einfügen. Sie kam freudestrahlend mit zwei Tassen auf mich zu. »Hier, die Runde geht auf mich. War ja auch meine Idee«, begann sie und stieß mit mir an. Ich nickte nackend, sagte aber sonst nichts, sondern trank den ersten Schluck der süßen Brühe. Cindy begann etwas zu erzählen, ich hörte nicht ganz so genau hin. Viel eher interessierte ich mich für die lange Schlange an Kindern und Jugendlichen, die ungeduldig am Weihnachtsbaum anstanden. Zuerst vermutete ich, dass es vielleicht gratis Styroporgeschenke gab, um den Kindern die kriminelle Energie gleich vorweg zu nehmen, doch dann sah ich die ebenfalls aufgeregten Mütter daneben stehen. Sie tuschelten angeregt und sahen immer mal wieder zu einem großen Stuhl, auf dem ein Mann saß. Der Weihnachtsmann. Herrgott, wie süß, dachte ich und schmunzelte vor mich hin, während ich noch einen Schluck warmen Weins nahm. Das Center bemühte sich wirklich sehr. Cindy bemerkte meinen Blick. »Schaust du auch zum Weihnachtsmann?«, lachte sie und biss sich spielerisch auf die Lippe. Diese Gestik ließ mich die Augenbrauen zusammen ziehen. »Du wirkst gerade sehr erregt. Bitte erzähl mir nicht, dass du einen Fetisch für Weihnachtsmänner hast«, murmelte ich leise, damit die umherstehenden Personen nichts von unserem heiklen Gesprächsthema mitkriegen, sollte sich meine grauenhafte Vermutung bestätigen. »Quatsch«, schüttelte sie sofort den Kopf, deutete dennoch zum großen Stuhl vor dem Tannenbaum. »Aber sieh‘ ihn dir doch mal an. Genauer meine ich. Darunter steckt kein alter Sack. Der Typ ist recht jung und gut gebaut. Das erkennt man sofort.« »Tut man das?«, hakte ich nach und reckte meinen Hals, um den Mann genauer zu betrachten. In der Tat schien er kein alter Mann zu sein. Der weiße Bart und die weißen Haare waren nicht echt, sondern nur gut angeklebt und Teil einer Verkleidung. Der dicke Bauch fehlte komplett. Doch das fiel gar nicht so auf, da ständig irgendein Kind auf seinem Schoß saß, während die jungen Mütter Fotos machten. Die breiten Arme und Schultern suggerierten tatsächlich eine starke Muskulatur. Die Augenringe hingegen schlaflose Nächte. »Interessant, nicht?«, neckte mich Cindy und stupste mich liebevoll mit dem Ellbogen gegen die Rippen. »Vermutlich«, nuschelte ich, während ich weiterhin die halbwegs nervösen Mamis begutachtete, die sich vermutlich nur deswegen anstellten, um dem Weihnachtsmann nah sein zu dürfen. »Willst du dich auch mal anstellen? Vielleicht kriegen wir ja was«, kicherte Cindy und trank ihren Glühwein aus. »Nein, danke, aber ich begleite dich gerne, wenn du dir etwas wünschen möchtest, während du auf diesem Schoß sitzt, als wärst du noch einmal 10.« Sie schüttelte den Kopf und deutete mir mit der Hand an, ich sollte meinen Glühwein schneller austrinken, damit sie die Tassen zurückbringen konnte. »Wir stellen uns an. Ich bin neugierig und ich sehe, dass du es auch bist.« Ohne eine Antwort von mir abzuwarten, griff sie nach meiner leeren Tasse, ging zum Stand und zog mich sofort zur Schlange mit den Kindern und Eltern. Tatsächlich waren auch einige Erwachsene dabei, die sich mit ihm ablichten ließen. Keiner davon setzte sich jedoch auf seinen Schoß. Das wäre ja auch zu albern gewesen. Cindy wackelte die ganze Wartezeit hinüber mit ihrem Bein und erzählte mir von vorherigen Weihnachten, wo das Center noch keinen Weihnachtsmann hatte. Dieses Jahr wollten sie etwas Neues ausprobieren und haben deswegen für ein paar Stunden am Tag eine Hilfskraft engagiert, um Kindern zu erzählen, was sie alles nicht zu Weihnachten kriegen würden. Denn wenn man ehrlich war: Der Weihnachtsmann hatte nicht mal eben eine Playstation oder Xbox unter seinem Rock versteckt. Eher ein Buch oder was zum Essen. Für die heutige Jugend undenkbare Geschenke. Als wir näherkamen und tatsächlich nur noch zwei junge Damen vor uns waren, die kichernd auf den Schoß des Mannes hüpften, stupste mich Cindy erneut an. »Du zuerst.« »Nein, danke«, verneinte ich erneut und steckte meine Hände in die Hosentaschen. »Ich mache gerne ein Foto von dir und ihm.« »Ach komm schon«, lachte sie und biss sich erneut auf die Unterlippe, als würde sie der Gedanke, dass ich auf dem Schoß von Santa sitze, enorm anmachen. »Ist doch lustig! Einmal, für mich, okay? Ich mach auch kein Foto. Nur so!« »Damit ich Gesprächsstoff für die nächsten Jahre liefere?« Meine Stirn kräuselte sich bei dem Gedanken, dass Cindy mir keine Wahl lassen und ich vermutlich meine Würde zumindest ein Stück behalten würde, wenn ich aus freien Stücken zu ihm ginge. Als die beiden kichernden Damen vom Schoß des Mannes sprangen und ihm noch fröhlich zuwinkten, wibbelte Cindy vor sich hin. »Geh«, sagte ich zu ihr. »Du brauchst es anscheinend dringender als ich.« Sie negierte zuerst, doch als ich ihr einen liebevollen Stoß gab, stolperte sie nach vorne und ging auf den Weihnachtsmann zu. Der lächelte liebevoll, so wie er es die ganze Zeit schon getan hatte, und nahm sie an die Hand. Cindy war nicht sehr groß, vielleicht 160-165 cm. Doch im Vergleich zum Weihnachtsmann wirkte sie noch sehr viel kleiner. Die breiten Schultern, die großen Hände, die starken Arme – alles Indikatoren für einen trainierten Mann. Wieso machte er diesen Job? Wieso arbeitete er nicht bei Abercrombie & Fitch oder Hollister? Jedenfalls dort, wo man seinem Körper noch mehr Aufmerksamkeit schenken würde. Aber vielleicht mochte der Mann keine Konkurrenz. Oder er war einfach kinderlieb. Dem Alter nach zu urteilen hatte er vielleicht selber kleine Bälger zu Hause. Cindy unterhielt sich mit ihm, während sie wie ein kleines Kind auf seinem Schoß saß. Ich zückte vorsichtig mein Handy und machte ein Foto. Dann noch eins – nur zur Sicherheit. Sie lächelte glücklich vor sich hin und gab ihm sogar einen Kuss auf die Wange, als sie wieder aufstand und mich herbeiwinkte. Ich schüttelte den Kopf, doch sie insistierte durch schwankende Bewegungen ihrer Statue und aggressives Wedeln ihrer Hand. Letztendlich bat mich eine Mutter hinter mir, mich durchzuringen und zu gehen. Wenn Fremde sich schon in meine Entscheidungsfreiheit einmischten, war es sowieso schon zu spät. Also ging ich mit erhobenen Schultern und dem Rest meiner Würde auf den Mann im großen Sessel zu. Cindy kicherte, klapste mir einmal auf den Rücken und ging hopsend davon. Ich blieb wie eine Salzsäule stehen, behielt die Hände in den Hosentaschen und presste die Lippen aufeinander. Erst, als ich eine offene Handfläche in meinem Augenwinkel sah, blickte ich nach unten. Der Mann hielt mir seine große Hand hin und lächelte warm. Als ich nicht sofort reagierte, kicherte er dunkel auf. »Ihre Freundin bestand darauf«, ließ er mich wissen, dass das kuschelige und intime Gespräch zwischen den beiden also um mich ging. Seine Stimme war dunkel, aber angenehm. Ein starker Akzent war herauszuhören. Ich war mir jedoch nicht sicher, woher. Etwas Slawisches. Vermutlich war der Mann kein gebürtiger Brite. Oder er hatte Schwierigkeiten mit zwei Sprachen aufzuwachsen. »Sie bestand also darauf«, wiederholte nervös ich seine Worte und sah noch einmal zu meiner Kollegin. Sie grinste breit und nickte auffordernd. »Na, schön«, brummte ich und nahm schließlich die Hände aus den Hosentaschen, um sie nervös an meiner schwarzen Hose abzuwischen. Sie waren feucht geworden. Von einem Geheimagenten müsste man eigentlich besseres erwarten, aber Nahkampf war nun mal absolut nicht meine Stärke. »Kommen Sie«, sagte er sanft und nahm meine Hand. Der erste Gedanke von mir bestand aus purer Panik, dass er den Schweiß spüren würde. Der nächste war pure Verzweiflung, als er mich sofort auf seinen Schoß zerrte. Da saß ich nun. Auf dem Schoß eines Mannes, der als Weihnachtsmann verkleidet war inmitten eines Shopping-Centers, in dem ich arbeitete. Sein Blick ging auf das schwarze Poloshirt, was ich trug, und beäugelte mein Namensschild. »Sie arbeiten hier«, stellte er mit gedämpfter Stimme fest. Die laute Musik, die vielen Menschen und die schreienden Kinder rückten auf einmal in den Hintergrund. »Darf ich fragen wo?« Sein Akzent hatte Charme, das musste ich gestehen. Ich lächelte etwas beklemmt, während ich an meinen Nägeln knibbelte. Ich wusste einfach nicht, wohin mit meinen Händen. »Ein Stockwerk höher. Da, sehen Sie es?«, ich nickte hoch zu unserem Schaufenster. Santa nickte und lächelte warm auf, als er zum Laden hochsah. »Ein schöner Laden. Nur leider bieten Sie nur Frauenbekleidung an.« Ich sah auf meine Füße, die zwischen seinen Beinen fest zusammengepresst standen. Ich genierte mich enorm. Als seine große Hand sich auf meinen unteren Rücken legte, dachte ich für einen kurzen Moment daran, einfach panisch aufzustehen und schreiend wegzulaufen. Cindy stand noch immer etwas abseits und beobachtete uns mit einem breiten Grinsen. Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben und dieser peinliche Moment, wo mir die Schweißtropfen bereits in den Nacken rollten, ewig dauern würde. »Ja, leider«, stimmte ich nach einer langen Pause zu. »Ist das dann also ihre Kollegin gewesen?«, fragte er ruhig und lehnte sich etwas zu mir vor, damit ich ihn trotz der Hintergrundgeräusche verstehen konnte. Ich nickte zustimmend. Mein Blick wanderte in seine braunen Augen. Sie waren fast bernsteinfarben und passten gut zu seinen dunklen Augenbrauen und Wimpern. »Machen Sie den Job hier, um Kinder zu beglücken oder weil sie das Geld brauchen?« Meine direkte und vielleicht auch etwas unhöfliche Frage traf ihn unerwartet. Seine Augen weiteten sich etwas und das Lächeln verschwand. Die kleinen Fältchen drum herum suggerierten, dass er etwas älter als ich war. Ein Mann seines Alters hätte nur diese zwei Gründe, einen solchen Job zu machen, oder nicht? Als er nicht sofort antwortete, sondern immer noch überrascht in meine Augen blickte, ruderte ich etwas zurück. »Entschuldigen Sie, wenn die Frage zu direkt war. Ich bin nur neugierig, müssen Sie wissen.« Da lächelte Santa erneut auf. Er hatte sich wieder gefangen. »Schon in Ordnung«, lachte er leise, »ich bin nicht gewohnt, dass man mir Fragen stellt. Den ganzen Tag stelle nur ich die Fragen ‚Was wünschst du dir?‘ oder ‚Was kann ich für dich tun?‘. Da kam Ihre etwas unerwartet.« »Sie müssen nicht antworten«, lächelte ich höflich und begann mich tatsächlich zu entspannen. Das Gespräch war freundlich. Sehr angenehm zu führen. Die körperliche Nähe zu einem wildfremden Mann, dessen große Hand auf meinem Rücken wie Heißkleber brannte, machte mich trotzdem noch sehr nervös. Die Unprofessionalität war mir ins Gesicht geschrieben. Doch er schien sie nicht zu bemerken. Ganz im Gegenteil: er schien den Moment regelrecht zu genießen. Er machte keine Anstalten, mich von seinem Schoß zu scheuchen und Platz für ein weiteres undankbares Kind zu machen. Vermutlich war ich eine angenehme Abwechslung gewesen. »Ich liebe Kinder«, antwortete er leise und nickte zur Schlange, die mit jeder Sekunde länger zu werden schien. »Ist nur für ein paar Stunden am Tag. Die Bezahlung ist nicht sehr gut, aber ich dachte mir, es würde die Kinder freuen.« Ich mochte es, wie er das R rollte. Mittlerweile war er mir so nah gekommen, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spürte. »Das ist eine schöne Einstellung.« »Mögen Sie Kinder?« Ich lächelte ertappt. »Nicht wirklich.« »Sie können anstrengend sein«, gab er zu und lachte erneut dunkel auf. »Aber ansonsten sind sie wahre Schätze.« Mein unterer Rücken brannte regelrecht vor Hitze. Meine Hände wurden wieder schwitzig. Dieser Mann hatte eine beängstigende und doch beruhigende Aura an sich. Ich erkannte sein Gesicht nicht, das machte es schwierig, ihn einzuschätzen. Statt zu antworten, nickte ich einfach stumm vor mich hin. Er schien zu merken, dass ich gerne aufstehen würde. So gut wie das Gespräch war, so schnell wollte ich es eigentlich hinter mich bringen. »Vielleicht sehen wir uns ein anderes Mal wieder, Mr. Lewis«, hauchte er mir mit diesem gewissen Unterton in den Nacken. Meine Haare stellten sich ungewollt auf. Ich entließ zittrig Luft aus meiner Nase und nickte ihm höflich zu. Schließlich stand ich ohne ein Wort zu verlieren auf. Er führte seine Hand noch ein Stück an meinem Rücken mit, bis ich seinen Radius verließ und mit etwas wackeligen Beinen zu Cindy ging. Diese bemerkte meine Nervosität gar nicht, sondern hüpfte wie ein aufgeregtes Teenie Mädchen auf und ab. »Ist er nicht süß?«, begann sie schrill und hakte sich bei mir ein. Gemeinsam gingen wir durch die Massen zur Rolltreppe. »Ihr habt lange miteinander gesprochen«, bemerkte sie mit erotischer Stimme. »Gefällt er dir?« »Ich habe wohl ihm gefallen«, stellte ich die für mich peinliche Situation klar und sah streng nach vorne, um mich selbst zu beruhigen. Cindys Gezappel würde mich nur noch nervöser machen. Auf der Rolltreppe begann sie dann von ihm zu schwärmen. Wie toll er aussah (obwohl sie ihn ja gar nicht wirklich ohne Maskierung kannte), wie nett er war und wie toll seine Stimme klang. Sie bemerkte auch seinen Akzent und vermutete polnische oder tschechische Wurzeln. Während sie so vor sich hin plauderte und wir die Etage hoch fuhren, blickte ich mich noch einmal um und sah zu Santa. Der hatte bereits ein weiteres Kind auf dem Schoß, dessen Wünsche er pflichtbewusst zuhörte. Sein Blick huschte für eine Sekunde zu mir hoch. Er beobachtete mich, wie ich von der Rolltreppe ging und schließlich den Laden betrat, in dem ich arbeitete. Danach verloren sich unsere Blicke. Die Schicht verlief wie jede Schicht. Der Chef hatte kaum etwas bemerkt, da er für den Tag hauptsächlich in seinem kleinen Büro saß und Rechnungen sortierte. Cindy ging sofort in die andere Etage und vertrat Jack, der mit seiner Kollegin vermutlich genau dasselbe tun wollte, was ich mit Cindy getan hatte. Oder mehr. Als der Laden geschlossen wurde, erhaschte ich einen Blick ins Erdgeschoss. Santa war bereits weg. Der Stuhl war mit einem Schild versehen, dass der Weihnachtsmann Geschenke verpacken ist und morgen wiederkommt. »Und du hast jetzt noch dein Date?«, fragte Cindy, als sie sich ihren Mantel anzog. »Nicht wirklich«, murmelte ich und schlang mir den Schal um den Hals, als würde ich mich selbst damit erhängen wollen. »Ich muss zu meinem anderen Job.« »Oh«, war dann alles, was sie noch sagte. Letztendlich verabschiedeten wir uns und gingen unserer Wege. Ich verbrachte den Abend erneut im Auto vor Mrs. Iwanownas Haus. Ein anderer Dienstwagen sollte verschleiern, dass ich bereits am Vortag da gewesen war. Man sollte ja nicht sofort etwas vermuten. Ich hatte den morgigen Tag im Laden frei, also wollte ich den für weitere Recherchen nutzen. Letztendlich saß ich dann trotzdem schon mal mit einem Kaffee über den Unterlagen und konzentrierte mich mehr auf die Informationen, die mir Ethan gegeben hatte, als auf die Straße. Es dauerte jedoch nicht lange, da erhaschte eine Gestalt meine Aufmerksamkeit. Es war wieder der Mann an der Ecke, der rauchte. Sein Kragen war sehr weit hoch gezogen, sodass man noch weniger von seinem Gesicht erkennen konnte, als das letzte Mal. Erneut rauchte er nur kurze Züge. Wenn ihm so kalt war, wieso zog er sich dann nicht dicker an? Vielleicht Faulheit? Oder er kam tatsächlich nicht zum Rauchen raus. Sondern, um zu beobachten. So wie ich. Ich blinzelte immer mal wieder zu ihm. Die Nacht machte das Auto so dunkel, dass er mich nicht hätte bemerken können. Trotzdem hatte ich das Gefühl, er starrte zu mir. Doch ich konnte nicht erkennen, in welche Richtung er sah. Er hätte auch genauso gut an mir vorbei starren können. Auf ein anderes Haus oder ein anderes Auto. Einige Minuten vergingen bis im Wohnkomplex von Mrs. Iwanowna das Licht anging. Das Treppenhaus war nun hell erleuchtet. Heraus kam ein dunkel gekleideter Mann. Auch er war mit Schal und hohem Kragen fast unerkenntlich. Nur seine Statue und der großzügige Bart verrieten, dass er männlich war. Er ließ die Tür achtlos hinter sich zufallen und stapfte davon. Der rauchende Mann an der Ecke schnippte seine Zigarette weg und stieß sich von der Wand los. Mit großen, aber langsamen Schritten ging er zum Wohnkomplex und klingelte. Die Tür öffnete sich tatsächlich. Er betrat das Haus. Die Tür fiel wieder zu. In dem Mehrfamilienhaus wohnten maximal zehn Parteien. Eine davon war Mrs. Iwanowna. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei sehr ungewöhnlich schaurige Typen im selben Komplex wohnten wie sie, war schon sehr gering. Auch wenn die Gegend nicht die schönste war – so gefährlich war sie nun doch nicht. Die Leute mussten mit Mrs. Iwanowna in Verbindung stehen. Entweder waren es ihre Peiniger oder ihre Freunde. Wenn es ihre Peiniger waren – wieso griffen sie nicht an? Warteten sie auf etwas? Wenn es ihre Freunde waren – wieso diese Geheimnistuerei? Unsere Männer waren es jedenfalls nicht. Das hätte man mir gesagt. Als das Licht im Treppenhaus schließlich wieder ausging und nichts weiter passierte, stieg ich langsam aus. Die Neugierde packte mich, einfach mal bei Mrs. Iwanowna zu klingeln. Vielleicht würde sie auch mir einfach so aufmachen. Dann müsste ich mit der guten Frau mal ein ernstes Wort über Sicherheit reden. Ich richtete meinen Kragen und ging mit ruhigen Schritten den Gehsteig zum Haus entlang. Niemand außer mir war auf der Straße. Kurz bevor ich Mrs. Iwanownas Wohnkomplex erreicht hatte, hörte ich ein Auto ankommen. Es war ein großer, schwarzer Van. Und wann waren große schwarze Vans schon ein gutes Zeichen? Ich ging einige Schritte zurück, hielt mich bedeckt im Schatten der Laternen und drückte mich an eine Hauswand, in der Hoffnung, man hatte mich nicht gesehen. Der Van hielt mit quietschenden Reifen vor dem Komplex. Der Mann, der das Haus erst vor wenigen Minuten verlassen hatte, stieg aus, öffnete die hintere Tür und wartete, bis das Licht im Treppenhaus wieder anging. Tatsächlich sah man mehr als einen Kopf die Treppe herunterkommen. Schließlich trat der rauchende Mann aus der Tür. Plus einer Frau. Mrs. Iwanowna. Sie sah ängstlich aus und hielt den Kopf bedeckt. Ihr Blick war starr auf den Boden vor ihr gerichtet. Nicht gut, dachte ich. Gar nicht gut. Panik stieg in mir hoch. Ich schrieb Ethan schnell eine SMS, dass ich Verstärkung bräuchte. Ich überlegte, ob es besser war, dem Van zu folgen oder gleich einzugreifen. Zwei vermutlich bewaffnete Männer gegen einen bewaffneten Mann, der aber aus dem Hinterhalt angreifen würde. Mrs. Iwanowna hatte den Van noch nicht ganz erreicht, da bemerkte der Fahrer meine Figur am Straßenrand. »Hey!«, rief er und deutete seinem Kollegen an, dass ich anwesend war. Er drehte sich sofort wieder zu mir um und nickte mir aggressiv zu. »Кто ты?« Russen, dachte ich. Das war russisch. Nicht gut, gar nicht gut, waren erneut meine Gedanken, als der Fahrer bedrohlich auf mich zukam. Nahkampf war nicht meine Stärke. Aber wenn ich jetzt den Schwanz einziehen würde, wäre Mrs. Iwanowna vielleicht in ein paar Minuten verloren. »Keine Bewegung«, schrie ich und zückte meine Waffe. Der Fahrer blieb sofort stehen, griff jedoch auch nach hinten, um an seine Waffe zu kommen. Ich schoss, eher er sie auf mich richten konnte. Der Fahrer ging zu Boden, hielt sich die Schulter. Er war nicht tot, würde es aber bald sein, würde man ihn nicht medizinisch versorgen. Mrs. Iwanowna schrie auf, wurde vom anderen Mann zu Boden geworfen. Man wollte sie also lebend haben. »Проваливай!«, schrie er und griff schneller nach seiner Waffe, als gedacht. Er schoss auf mich, traf jedoch nicht. Das Adrenalin in meinem Blut ließ mich hinter mein Auto sprinten. Dort suchte ich Deckung. Schnell zählte ich meine verbleibenden Kugeln. Ich hatte erst eine abgefeuert. Blieben noch neun. Ethan klingelte an, ich spürte die Vibrationen meines Handys in der Jackentasche. Ein sehr ungünstiger Zeitpunkt. Ich war so mit mir selbst, den Kugeln und meinem Handy beschäftigt, dass ich gar nicht die Hand kommen sah, die nach mir packte. Der stämmige Mann riss mich vom Auto hervor und schleuderte mich auf die Straße. Ich verlor dabei meine Waffe, die über den etwas gefrorenen Asphalt schlidderte. »Fuck«, presste ich aus meinen Lippen und griff nach meinem Messer, welches ich am Gürtel hatte. Der große Mann richtete zwar die Waffe auf mich, schoss jedoch nicht. Sein Fehler, dachte ich, hievte mich nach vorne und versuchte ihn zu treffen. Doch er wich aus, schoss erneut um sich und traf mich nicht. Ich nutzte die Gelegenheit, um auch ihn zu entwaffnen und seine Pistole gefühlt an das andere Ende der Straße zu werfen. Es folgte ein ordentlicher Faustkampf, bei dem ich absolut unterlegen war. Der Typ war nicht nur größer, er war auch stärker als ich. Seine Kraft war so enorm, dass ich mir sicher war, er hätte mein Genick mit nur einem Griff brechen können. Mrs. Iwanowna kauerte noch immer hinter dem Van und bewegte sich nicht. Alles, was ich zwischen der Rangelei und den Schlägen sehen konnte, war das Gesicht des Mannes. Und seine eisblauen Augen, die so hell waren, dass sie selbst im faden Mondlicht strahlten. Doch sie strahlten Feindseligkeit und Kälte aus. Aggressivität. Wut. Und Mord. Er schlug mich ins Gesicht. So fest, dass ich zu Boden ging und einige Sekunden brauchte, um mich wieder zu fangen. Meine kleine Gehirnerschütterung kostete mich zu viel Zeit. Der Mann packte erneut nach mir und schlug meinen Kopf zu Boden. Danach wurde alles schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)