Schwarz-Weiße Weihnacht von Maginisha ================================================================================ Kapitel 23: 23.Dezember ----------------------- „Happy birthday to you, Happy Birthday to you, Happy birthday lieber Käää-hään, happy birthday to you!“   Ken lachte und hielt sich die Ohren zu. „Bitte, ich ergebe mich, aber hör auf zu singen, Yoji.“ Der blonde Playboy klappte beleidigt den Mund zu. „Was soll das denn heißen? Etwa, dass ich nicht singen kann.“ „Etwa so gut wie kochen“, unkte Ken. „Ich hoffe, der Kuchen ist nicht von dir?“ „Nein, von mir“, grinste Omi und schob das Gebäck in Richtung Geburtstagskind. „Du musst die Kerzen ausblasen und dir was wünschen.“ Ken überlegte kurz, dann blies er die Kerzen aus. Über den Rauch hinweg sah er Aya, der gerade die Küche betrat. Er nickte Ken kurz zu, bevor er begann, sich einen Tee zu kochen. „Hey, Aya, Ken wird heute volljährig. Wir suchen noch nach Ideen, wie wir diesen Tag begehen können.“ „Zunächst einmal müssen wir den Laden öffnen“, antwortete Aya ruhig. Er sah zu Ken hinüber. „Oder wolltest du heute freihaben?“ Ken spürte, wie er rot wurde. „Nein, ich...also ich weiß eigentlich nicht, was ich heute machen will. Es ist ja nur ein ganz normaler Tag.“ Aya würdigte ihn keiner Antwort und verließ mit seiner Tasse wieder die Küche. Yoji blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „An dem kann man sich ja Gefrierbrand holen. Was hat er denn nur für ein Problem?“ „Vielleicht war sein 20. Geburtstag nicht so...erfreulich“, warf Omi ein. „Ich meine, seine Eltern tot, seine Schwester im Koma, er selbst...nun ja.“ Yoji seufzte laut. „Ist ja gut. Armes Häschen, unser Aya. Aber heute ist Kens Tag. Wobei unser großer Anführer mit einem Recht hat. Wir sollten dringend den Laden öffnen. Man weiß ja nie, wer so vorbeikommt.“ Den Blick, den Yoji Omi dabei zuwarf, konnte Ken nicht so recht deuten. Ihm war das ganze Tammtamm um seinen Geburtstag eher unangenehm und das nicht nur, weil Aya es missbilligte. Er stand einfach nicht gerne im Mittelpunkt. In diesem Moment beneidete er Omi, dessen Geburtstag immerhin nur alle vier Jahre stattfand. Oder Yoji, der kein Problem damit hatte, sich selbst zu feiern. Aber Ken war eben einfach nur er selbst. Was gab es daran schon zu feiern?     Als er sich wenig später seine Schürze umband, fühlte er eine eigenartige Erleichterung von sich Besitz ergreifen. Der Morgen hatte eine unbestimmte Erwartungshaltung in ihm geweckt. Eine Erwartung, die nicht erfüllt werden konnte. Da war es besser, sich auf die Dinge zu konzentrieren, die er haben konnte. Einen ruhigen Tag im Laden, nette, zufriedene Kunden, ein wenig Spaß mit den Jungs und dann hoffentlich niemanden, der mit einer Mappe mit einem Tötungsbefehl vor der Tür stand. Auf letzteres wollte er sich zwar nicht mit Sicherheit verlassen, aber wie es schien, hatten die Schneemassen nicht nur den Verkehr teilweise lahmgelegt. Auch die Unterwelt hielt momentan die Füße still. Wer wusste schon, ob all die wahnsinnigen Erfinder, geldgierigen Giftfabrikanten, und machthungrigen Politiker nicht momentan auch alle Hände voll damit zu tun hatten, sich auf Weihnachten vorzubereiten oder Schnee zu schippen, Plätzchen zu backen oder ihre Heizung zu reparieren. Ken lachte bei der Vorstellung und hob den Schlauch, um eine weitere Pflanze zu wässern, als die Türglocke das Eintreten eines Kunden ankündigte. Er hörte, wie Yoji denjenigen herzlich in Empfang nahm und vermutete somit, dass es sich um eine hübsche, weibliche Kundin handeln musste. Für jemand anderen machte sich der Playboy normalerweise nicht die Mühe, sich von seinem Stuhl am Kassentresen zu erheben. Umso erstaunter war er, als er plötzlich Yoji nach ihm rufen hörte. Er drehte das Wasser ab und wischte sich die Hände an seiner Schürze trocken. Hoffentlich war das keine Reklamation. Die Lieferung, die er gestern gemacht hatte, war ihm in einer Kurve ziemlich ins Rutschen geraten. Einige der Sträuße und Gestecke waren übereinander gepurzelt und er fürchtete fast, dass sich jetzt jemand wegen einem geknickten Stängel oder einer abgebrochenen Blüte beschweren wollte. Da konnte er nur hoffen, dass Aya das nicht mitbekam und darauf bestand, dass er die Kosten aus eigener Tasche ersetzte. Aber immerhin tat Yoji das ja auch nicht, wenn er dauernd irgendwelche Blumen an...   Die Gedanken, die Ken gerade noch gehabt hatte, verflüchtigten sich, als er sah, wer da neben Yoji im Laden stand. Das war nicht möglich. Das war... „Yuriko.“ Er hatte den Namen nur geflüstert, aber ihm war, als dröhne seine Stimme durch den ganzen Laden. Sie war es. Sie war es wirklich. Es bestand kein Zweifel. Aber wie? Und woher? Sein Blick huschte zu Yoji. Dem breiten Grinsen auf dem Gesicht des großen Blonden nach zu urteilen, war das hier ein abgekartetes Spiel. Und sah nicht auch Omi verdächtig neugierig aus? Er nickte Ken zu und hob beide Daumen als Zeichen seiner Zustimmung. Aber...   „Ken?“ Yurikos Stimme war noch genauso, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie lächelte. Ihre Haare waren ein wenig kürzer, ihre Haut sonnengebräunt, aber ihre Augen strahlten genau wie damals. „Ich...ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich hergekommen bin. Deine Freunde haben gesagt...“ Die Welt um Ken herum begann sich zu drehen. Wie oft hatte er an sie gedacht und erfolglos versucht, sich das Mädchen, in das er sich Hals über Kopf verliebt hatte, endlich zu vergessen. Er hatte sie ziehen lassen, als sie ihrem Traum, nach Australien zu gehen, gefolgt war. Hatte ihre Einladung, mit ihr zu gehen, ausgeschlagen. Auch auf Yojis Bestreben hin, der ihn daran erinnert hatte, wer er war und was er tat. Ihm vor Augen geführt hatte, dass seine Hände in Blut getaucht waren. Und doch hatten sie Yuriko hierher geführt? Warum?     „Wie ich sehe, ist Ken ganz überwältigt“, half Yoji ihm unerwartet aus. „Ich denke, ich schnappe mir den Guten mal kurz, damit er den Schock verdauen kann.“ Er wandte sich an Yuriko. „Omi wird sich solange um Sie kümmern, Miss Asakawa. Ich bringe Ihnen Ken gleich wieder zurück.“ Yuriko lachte laut auf. „Ok, ich werde warten. Aber entführen Sie ihn mir nicht zu lange, Mister Kudo. Wir haben heute noch viel vor.“ Yoji zwinkerte ihr zu und schob dann Ken durch die Tür in den Nebenraum. Kaum dort angekommen, wirbelte Ken herum und sah den Playboy mit weit aufgerissenen Augen an: „Was soll das? Warum ist sie hier? Du hast doch gesagt...“ Yoji hob beruhigend die Hände. „Ich weiß, was ich gesagt habe. Aber jeder muss seine eigenen Fehler im Leben machen und es stand mir nicht zu, dir deine zu verbieten. Also gehst du jetzt da raus und hast einen verdammt guten Tag, verstanden? Omi soll sich schließlich nicht umsonst die ganze Mühe gemacht haben, um deine Flamme ausfindig zu machen und unter einem Vorwand hierher zu locken.“ Er grinste ein wenig schief. „Obwohl ich nicht glaube, dass wir sie wirklich täuschen konnten. Als sie gehört hat, dass sie in einen Blumenladen kommen soll, war sie überraschend schnell einverstanden. Du weißt, was das heißt?“ Ken schüttelte verwirrt den Kopf. Das war alles ein bisschen viel. Yoji schlug ihm mit der flachen Hand vor die Stirn. „Das heißt, dass sie dich auch nicht vergessen hat, du Dummkopf. Und jetzt geh endlich. Eine schöne Frau soll man nicht zu lange warten lassen.“     Ken sah ihn noch einmal unsicher an und Yoji konnte förmlich sehen, wie die Erkenntnis über sein Gesicht kroch. Erst hoben sich seine Mundwinkel, dann kamen die kleinen Grübchen, die Ken immer bekam, wenn er lachte und schließlich erreichte der freudige Glanz seine Augen. Hektisch griff er nach den Bändern seiner Schürze, fummelte daran herum, bekam die störrischen Dinger endlich zu fassen und riss sich den Soff vom Leib. „Ich...ich kann...ich...“ Er stotterte und unterbrach sich schließlich selbst. Plötzlich griff er nach Yoji und drückte ihn kurz an sich. „Danke.“ „Jaja“ winkte Yoji ab und schob ihn entschieden von sich. „Heb dir das lieber für sie auf. Ich stehe nicht so darauf, von dir abgebusselt zu werden. Jetzt lauf endlich, sonst hat Omi sie am Ende noch am Hals und der Chibi weiß bestimmt nicht, wie man mit einer Dame ihres Formats richtig umgeht.“ Ken grinste noch einmal von einem Ohr zum anderen und stürzte dann fast über seine eigenen Füße, als er zur Tür eilte und in den Verkaufsraum stürzte. Yoji atmete tief ein und aus. „Sie werden ja so schnell groß“, schmunzelte er und griff nach seinen Zigaretten. Die hatte er sich jetzt wirklich verdient. Sinnierend sah er dem Rauch nach, der sich zur Decke kräuselte und versuchte, den kleinen Stich zu ignorieren, die ihm die ganze Sache verpasst hatte. Vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht, war er ein wenig eifersüchtig auf Ken, auch wenn er im Leben nicht mit ihm hätte tauschen wollen. Aber ein Mann konnte Träume haben.       Ken spielte nervös mit der Serviette in seinen Händen. Er und Yuriko saßen in einem Café. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie irgendwo draußen gewesen wären, wo er sich bewegen konnte. Aber vor den hell erleuchteten Fenstern herrschte dichtes Schneetreiben, das eine Unterhaltung unmöglich gemacht hätte. Er schielte über den Tisch zu Yuriko, die lächelnd einen Schluck von ihrer heißen Schokolade nahm. „Wie...wie geht es dir. Ich meine, du siehst toll aus, also...“ Ken spürte dass er rot wurde. Das hier war definitiv nicht seine Stärke. „Danke, es geht mir gut.“ Die lächelte und griff vorsichtig nach seiner Hand. „Ken, ich bin nicht böse auf dich.“ Er schluckte. Jetzt kam es, wovor er sich den ganzen Weg hierher gefürchtet hatte, nachdem die erste Freude über das Wiedersehen abgeklungen war. Yuriko lächelte weiter. „Ich war es erst, als du nicht gekommen bist. Ich dachte, du hättest mich angelogen. Aber dann war ich froh, dass du nicht gekommen bist.“ Kens Kopf ruckte nach oben. Diese Eröffnung traf ihn so unerwartet, dass er nicht wusste, was er darauf antworten sollte. „Du warst froh darüber?“ Yuriko lächelte nur. „Ja, das war ich. Denn weißt du, in dem Moment ist mir klar geworden, dass es nicht fair gewesen wäre, dich mitzunehmen. Nach Australien zu gehen war mein Traum, Ken, nicht deiner. Und indem du nicht mitgekommen bist, hast du eine Entscheidung für dich und deine eigenen Träume gefällt. Ich weiß nicht, ob du deinen Traum schon gefunden hast oder ob du es je tun wirst, aber ich weiß, dass du danach suchen wirst, und ich bin froh, dass es so ist. Ich möchte, dass du deinen eigenen Traum findest, Ken. Und dass er irgendwann in Erfüllung geht.“ Als er ihr in die Augen sah, sah er Tränen darin schimmern. Er wollte etwas sagen, aber sein Kopf war wie leergefegt. „Aber weißt du, es gibt etwas, das ich bereut habe in all der Zeit.“ Sie wischte sich über die Augen und lächelte nun wieder. „Ich habe bereut, dass ich dir das nie sagen konnte. Ich wusste, dass es besser so ist, aber irgendwie...“ Ihre Stimme erstarb und sie sah ihm tief in die Augen. Er fühlte ein warmes Gefühl in seinem Magen, das sich über den ganzen Körper ausbreitete. Er wollte sie gerne in den Arm nehmen, sie trösten, als er plötzlich verstand, dass das nicht notwendig war. Sie hatte endlich bekommen, was sie gewollt hatte. All ihre Träume hatten sich erfüllt und auch, wenn er kein Teil davon war, war sie glücklich. So glücklich, wie er es sich für sie erhofft hatte.   Plötzlich begann Yuriko zu lachen und obwohl er nicht wusste, warum, fiel er mit ein. Sie hatte immer noch eine mitreißende Art, genau so, wie er sie in Erinnerung hatte. „Lass uns heute nicht über die Vergangenheit reden“, bat sie und griff wieder nach seiner Hand. „Ich werde nur ein paar Tage hierbleiben, aber ich möchte die Zeit mit dir verbringen. Nur, weil wir nicht für immer zusammen sein können, heißt das ja nicht, dass wir die Zeit, die wir haben, nicht genießen können. Außerdem: Es ist Weihnachten und du möchtest doch nicht, dass ich den 24. Dezember allein mit meinen Eltern verbringen muss. Das wäre wirklich...“ Ken lachte noch einmal laut auf. „Ich fühle mich ausgenutzt.“ „Oh, das solltest du auch“, grinste sie ihn an. „Ich erwarte, dass du mich ganz groß ausführst, hörst du? Aber ich verspreche dir, dass es nicht zu deinem Nachteil sein wird.“ Er wurde rot, als ihm klar wurde, was sie implizierte, und fühlte, dass sich das warme Gefühl in seinem Inneren in etwas anderes verwandelte. Plötzlich war er sich sicher, dass die tatsächlich der beste Geburtstag seit langem werden würde. Und das beste Weihnachtsfest, dass er je gehabt hatte.       Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)