Schwarz-Weiße Weihnacht von Maginisha ================================================================================ Kapitel 21: 21.Dezember ----------------------- Das hier war mit Abstand das Peinlichste, was er je in seinem Leben gemacht hatte, und er hatte schon einige schräge Sachen hinter sich. Man erinnere sich nur an den Einsatz, bei dem er als Stewardess unterwegs gewesen war. Aber das war ein Job gewesen. Das hier war...nun ja irgendwie auch ein Job. Allerdings einer, auf den er einfach nicht ausreichend vorbereitet war. Omi biss die Zähne, während er sich langsam weiter vortastete. Er hatte darüber recherchiert, sich Techniken durchgelesen, Videos angesehen. Es hatte so einfach ausgesehen. In gewisser Weise war es sogar noch schlimmer als Ski fahren, denn dabei hatten sich wenigstens alle anderen Anfänger auch ziemlich dämlich angestellt. Und wenn man fiel, fiel man einigermaßen weich. Hier allerdings... „Hey Tsukiyono, wenn du dich weiter am Rand der Eisbahn festklammerst, musst du sie heiraten.“ Lautes Gelächter antwortete dem Kommentar seines Klassenkameraden, dem Omi mit dem breitesten Lächeln begegnete, das er gerade zustande brachte. Er sah ein wenig aus, als hätte er Zahnschmerzen. Die anderen giggelten noch ein bisschen, bevor sie sich wieder auf den dünnen Kufen über die Eisfläche schoben. Einige schneller, andere langsamer. Einige allein, andere in Paaren oder kleinen Gruppen. Und derjenige, der sich über ihn lustig gemacht hatte, war mit seinen zwei besten Freunden in einem deratigen Affenzahn unterwegs, das Omi schon vom Zusehen schwindelig wurde. Jetzt drehte er sich auch noch um und fuhr rückwärts. Großartig. Einfach nur großartig. 'Verdammt, ich bin ein ausgebildeter Assassine, ein begnadeter Hacker und noch dazu fit wie ein Turnschuh. Es kann doch nicht so schwer sein. Reiß dich zusammen, Omi! Augen zu und durch.“   Vorsichtig schob er einen Fuß vor, dann noch einen. Eigentlich gar nicht so übel bis...oh nein, nein, nicht doch. Seine beiden Füße bewegten sich wie von alleine weiter vom sicheren Rand der Eisbahn weg. Allerdings in unterschiedliche Richtungen. Er versuchte, wenigstens einen von ihnen unter Kontrolle zu bekommen, doch keiner der beiden Schlittschuhe reagierte irgendwie auf die hektischen Befehle, die er ihnen gab. Es kam, wie es kommen musste, und Omi landete unsanft auf seinem Hinterteil. „Uff!“ Das Eis war wirklich hart. Verdammte Schlittschuhe, verdammter, dämlicher Klassenausflug, verdammte, blöd grinsende Gänse, die jetzt geschickt aus ihrer Paarformation ausscherten, ihn an zwei Seiten umrundeten, nur um sich dann kurz darauf wieder zu finden und weiter auf ihren Schlittschuhen voranzugleiten, als wäre es das Einfachste auf der Welt. Denn anscheinend war es das auch. Für alle außer für Omi. Er ballte die Faust und schlug damit auf die von losen Eiskristallen bedeckte Fläche, nur um sich kurz darauf die schmerzende Hand zu reiben. Hatte er schon erwähnt, dass das Eis hart war?   „Dann also anders“, knurrte er und schob sich zunächst auf alle Viere. Das wiederum brachte ihm die Erkenntnis ein, dass das Eis obendrein auch noch verdammt kalt war. Er biss die Zähen zusammen und stemmte sich in die Höhe. Ok, nun stand er erst einmal aufrecht. Der Rest müsste doch eigentlich reine Physik sein. Druck, Winkel, Kraft. Knie gebeugt, kleine Schritte, Füße diagonal nach außen. „Es klappt“, jubelte er ein wenig zu laut. Ein paar Mädchen in seiner Nähe kicherten und Omi senkte schnell den Blick. Verdammtes Rotwerden. Das hatte ihm jetzt gerade noch gefehlt. Er wusste, dass in der Anleitung gestanden hatte, dass er nach vorne schauen sollte. Aber es erschien ihm so viel sicherer, nachzusehen, was seine Füße machten, während sie ihn immer weiter weg vom Rand mitten hinein in das chaotische Gewühl auf der Mitte der Eisfläche brachten. Erst, als er aus den Augenwinkeln einen Schatten direkt auf sich zukommen sah, hob Omi den Blick...und erstarrte. Nur mit Mühe konnte er verhindern, wieder auf dem Hosenboden zu landen. „Du?“ Sein Gegenüber sah ihn mit steinerner Miene entgegen. Omi konnte es immer noch nicht fassen. Seine Gedanken rasten. Im Gegenüber stand niemand anderer als dieser Nagi, das jüngste Mitglied von Schwarz, ihren Gegnern mit den übersinnlichen Fähigkeiten. Omi wusste, dass er in der Lage war, Objekte mittels seiner Gedanken zu bewegen. Telekinese. Wie oft hatte Omi schon darüber geflucht, dass er nicht in der Lage war, den anderen mit seinen Wurfgeschossen zu treffen. Und jetzt stand er ihm hier vollkommen unbewaffnet und noch dazu inmitten einer riesigen Menge unschuldiger Zivilisten gegenüber. Was sollte er tun?   „Was willst du, Schwarz?“, knurrte er und versuchte möglichst bedrohlich auszusehen. Sein Gegenüber hob nur eine Augenbraue. „Sieht man das nicht? Ich amüsiere mich.“ Omi wusste nicht, was dieser Nagi normalerweise tat, um sich zu amüsieren, aber dass er das im Moment nicht tat, stand außer Frage. Im Gegenteil wirkte er sogar ziemlich unglücklich damit, hier zu sein. Etwa ebenso sehr wie Omi. Und dann war da noch etwas. „Du trägst ein Rentier-Kostüm.“ Die Feststellung platzte einfach so aus Omi heraus. Entsetzt hob er die Hand zum Mund, als könne er noch irgendwie verhindern, dass er das gerade von sich gegeben hatte. Aber es war zu spät. Nagis Gesicht zeigte keine Regung. Stattdessen taxierte er Omi von oben bis unten. „Und du hast kurze Hosen an.“   Omi sah an sich herab. Er hatte es immer noch nicht geschafft, sich ein paar wärmere Sachen zu besorgen. Er hatte zwar etwas online bestellt, aber aufgrund des Wetters verzögerte sich die Lieferung vermutlich noch bis Weihnachten. Er zuckte möglichst gleichgültig mit den Achseln. „Ay...Abyssinian hat meine Wintersachen mit dem Katana zerlegt, weil ich seinen Lieblingspullover aus Versehen verschenkt habe. Ich hätte mir ja was ausgeliehen, aber...na ja. Die Größe und so.“ Er nickte auffordernd mit dem Kopf. „Und bei dir?“ Nagis Miene hatte sich bei Omis Geschichte nicht im Geringsten bewegt. Jetzt hingegen verfinsterten sich seine Züge zunehmend. „Farfarello und Schuldig haben sich gegen mich verschworen und mich mit ihrem Weihnachtsgetue so wahnsinnig gemacht, dass ich aus Versehen das Haus angezündet habe. Als Rache hat mir Schuldig dieses Kostüm besorgt und Crawford war wohl der Meinung, ich bräuchte eine Lektion, weswegen ich jetzt nur das und...nur das hier zum Anziehen habe.“ Ein leichter Rotschimmer zierte Nagis Nase. Er wirkte so noch ein wenig mehr wie diese eine, berühmte Rentier, dessen Name Omi gerade entfallen war. Einen Augenblick lang starrte er den feindlichen Assassinen nur an. Dann, ohne dass er es verhindern konnte, begannen seine Mundwinkel zu zucken. Er merkte, wie das Lachen in seiner Kehle kribbelte. Er wollte es nicht. Wollte verhindern, dass der anderen den Eindruck hatte, dass er ihn auslachte und deswegen wer weiß was anstellte. Aber die Vorstellung von Schwarz in weihnachtlicher Vorfreude war einfach zu viel. Omi verlor den Kampf und begann lauthals zu prusten. Nur mit Mühe behielt er das Gleichgewicht, während ihn der Lachanfall schüttelte. „Ok“, japste er, als er wieder ein bisschen zu Atem gekommen war. „Du hast gewonnen. Deine Geschichte ist besser als meine.“   Nagi betrachtete ihn mit einer säuerlichen Miene und zuckte zusammen, als ihn jemand hinter ihm zurief, er solle seinen pelzigen Hintern endlich bewegen, damit sie was zu lachen hätten. In Nagis Augen trat ein mörderischer Ausdruck. „Manchmal würde ich sie am liebsten...“ „Ja oder?“, grinste Omi. Er konnte das absolut verstehen. Er hörte auf zu lachen und sah Nagi ernst an. „Wirst du hier was anstellen?“ Nagi rollte nur mit den Augen. „Ich werde wohl kaum so dumm sein, ausgerechnet vor meinen Schulkameraden mit meinen Kräften anzugeben. Die Leute reagieren im Allgemeinen nicht besonders positiv darauf, wenn auf einmal Dinge beginnen zu schweben, die das eigentlich nicht tun.“ Er hielt kurz inne und fügte dann hinzu: „Aber es hilft beim Eislaufen.“ Omi blinzelte ein paar Mal, bevor er begriff, was Nagi ihm sagen wollte. Seine Mundwinkel wanderten in die Höhe. „Du kannst das also auch nicht?“ Nagi schüttelte den Kopf. „Nicht ein bisschen. Aber wenn ich meine Kräfte benutzte, falle ich wenigstens nicht ständig hin.“ Omi gab sich innerlich einen Ruck. Das, was er vorhatte, war zwar vollkommener Wahnsinn, aber angesichts der Lage das Beste, was ihm einfiel. „Wie wäre es mit einem Waffenstillstand? Nur bis das hier“, er wies auf die Eisbahn, „vorbei ist.“ Nagi antwortete nicht. Omi setzte alles auf eine Karte. „Ich könnte wirklich Hilfe brauchen.“ Er setzte sein freundlichstes Lächeln auf und sah Nagi aus großen, blauen Augen an. Sein Gegenüber schien zu überlegen. Schließlich nickte er langsam. „Wenn Schuldig das rauskriegt, bin ich geliefert“, murmelte er noch, bevor er nach Omis Arm griff und anfing, mit ihm zusammen langsame Runden auf der Eisbahn zu drehen.         Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)