Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [03.11.2011 – X25 – Die Falle] ------------------------------ Es war dunkel, als sie beim Primrose Park ankamen. Die Straßenlaternen waren angegangen – zumindest die, die funktionierten. Die Gegend um den Park, war eine einfache Wohngegend, jedoch keine der besseren. Entsprechend war die Straße nicht im besten Zustand und auch die Laternen hätten einige neue Birnen vertragen können. Was zur Hölle hatte Jack hier überhaupt gemacht? „Bleib hier“, wies Heidenstein Hazel an, die am Steuer des Transporters saß. Sie hatten sich entschlossen den Transporter zu nehmen, nur falls sie Jack in der Waagerechten transportieren mussten. Davon abgesehen würde zumindest ihr Wagen keine Reinigung gebrauchen. Warum hatten sie überhaupt noch den Transporter? Er war damals für den Teameinsatz geholt worden, aber niemand vom Rest des Teams hatte je versucht, ihn zurück zu nehmen. Im Moment konnten sie dankbar dafür sein. Nur davon, dass Hazel sie fuhr, war Pakhet nicht ganz überzeugt. Doch hatte das Mädchen sie schnell und sicher hergebracht. Offenbar konnte sie Autofahren. Hazel sah Heidenstein nicht an, nickte aber. Angst zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. „Okay“, meinte Heidenstein und wandte Pakhet zu. Sie nickte. „Gehen wir.“ Damit öffnete sie die Seitentür des Wagens und sprang auf die Straße hinaus. Sie waren auf der Ostseite des Parks, doch natürlich gab es keine Spur von Jack. Verdammt. Hätten sie nur eine genauere Angabe, wo er gewesen war. Wo konnte er abgeblieben sein? Als er sie angerufen hatte, war er auf der Flucht vor seinen Angreifern gewesen. Die Angreifer hatten Schusswaffen gehabt. Entsprechend hatte er offene Fläche wahrscheinlich gemieden. Das seltsamste war, dass keine Polizei hier war. Sicher, Gugulethu, das Viertel, war dafür verschrien, dass die Polizei nicht schnell war – und das obwohl es nahe des zentralen Flughafens war. Doch normalerweise bemühte sich jemand, innerhalb von einer halben Stunde da zu sein, besonders, wenn Schüsse fielen. Wortlos liefen sie die Straße hinab, weiter Richtung Osten. Es war ihre beste Wahl. Hier musste doch irgendetwas sein. Verdammt. Pakhet holte ihr Handy heraus, rief Jack an. Sie glaubte nicht wirklich daran, dass er rangehend würde, doch es war immerhin einen Versuch wert. Nichts. Nicht einmal ein Freizeichen. Seine Mailbox ging direktheran. Also konnten sie das hier vergessen. Heidenstein sah zu ihr, doch sie schüttelte den Kopf. Da. Der Knall eines Schusses durchschnitt die Dämmerung. Er kam einige hundert Meter entfernt zu sein, aus dem Südosten. Da hinten gab es einige Schulgelände. Vielleicht war Jack dahin geflohen in der Hoffnung, dass die Schulsicherheit noch da war. Es wäre zumindest kein dummer Plan. Erneut wechselte sie einen Blick mit Heidenstein. Dann liefen sie los. Drei weitere Schüsse. Hoffentlich kamen sie rechtzeitig. Sofern es nicht die Sicherheit war, die auf etwaige Angreifer feuerte. Verdammt, eine Polizeistation war knapp einen Kilometer von hier entfernt. Warum waren sie nicht da? Ein ungutes Gefühl hatte sich in ihrer Magengegend breit gemacht. Was war, wenn sie wegen ihr hinter Jack herwaren? Stille. Sie war nach den Schüssen beinahe noch gruseliger. Verflucht. Hoffentlich war Jack okay. Sie hatte versprochen ihn zu beschützen, nicht? Warum musste das eigentlich alles an einem Tag passieren? Sie rannte weiter, als ein weiterer Schuss erklang. Er schien wirklich von einem der Schulgelände zu kommen. Noch knappe hundertfünfzig Meter, bis sie da wären. Sehr gut. Sie wartete, damit Heidenstein zu ihr aufholen konnte, sah ihn an. „Ich gehe rechts herum, du links“, sagte er leise, atemlos. Für einen Moment zögerte Pakhet, nickte aber dann. Es war so genau so gut wie anders herum. Er war gut genug, als dass er etwaige Angreifer ausschalten konnte. „Geh keine unnötigen Risiken ein.“ Ein mattes Grinsen. „Ich doch nicht.“ Dann liefen sie weiter. Die Schule bestand aus drei Gebäuden, die jeweils durch überdachte Gänge miteinander verbunden waren. Jedes der Gebäude zwei Stückwerke hoch. Sie rannte zum nördlichen Ende des Geländes, sprang dort über die Mauer, die das Schulgebäude und den dazugehörigen Hof und Sportplatz umgab. Sie drückte sich an die Wand, lauschte, in der Hoffnung etwas zu hören. Da. Stimmen vom Innenhof. Sie zögerte. Was jetzt? Vom Dach des Gebäudes aus hätte sie definitiv eine bessere Ausgangsposition, stand jedoch auch auf dem Präsentierteller, sollte jemand nach oben schauen oder irgendwo ein Ausguck sein. Verdammt. Egal. Sie sammelte ihre Energie, sprang, erreichte den Rand des Daches und zog sich so leise, wie bei dem blechernen Dach möglich, hoch. Dann verharrte sie für einen Moment, zog ihre Waffe. Die Pfeilpistole, da sie definitiv den Vorteil hätte, dass sie ihre Angreifer danach befragen könnten. Gut. Jetzt … Ein weiterer Schuss, dann noch einer. Ein Ruf. Ein Schrei. Heidenstein! „Fuck!“, zischte sie und stellte sich hin. Sie lief über das Dach. Ein Fehler. Sie war nicht die einzige, die diese Ausgangsposition gewählt hatte. Da war noch ein anderer. Ein Mann mit einem kleinen automatischen Gewehr. Er hob den Blick, sah sie, hob die Waffe. Etwas an seiner Bewegung war unnatürlich. Auch sie hob die Waffe, während sie sich zur Seite bewegte. Sie schoss. Einmal, zwei Mal. Ein Fluchen von ihm. Dann automatisches Feuer in ihre Richtung. Sie sprang nach hinten, zum Rand des Gebäudes, ließ sich runterfallen und landete auf dem Boden. Das Feuer verklang. Etwas schweres fiel. Dann ein weiteres Fluchen. Es war in Niederländisch. Kurz hielt Pakhet inne. Was hatte sie gesehen? Da waren fünf Leute gewesen, die auf dem Boden gelegen waren. Einer davon war Jack gewesen. Sie hatte nicht lang genug sehen können, um einzuschätzen, ob er lebte, ob er verletzt war. Es war anzunehmen, doch um etwas zu machen, musste sie nahe kommen. Drei weitere Schüsse. Alle drei aus derselben Waffe. Eine Pistole. Auf wen gerichtet? Wahrscheinlich Heidenstein. Okay. rechts herum. Sie bewegte sich die Länge des Gebäudes entlang, bis sie das Ende erreicht hatte. Die Angreifer waren im Innenhof der Schule gewesen. Das mittlere der Gebäude war nicht ganz so lang wie die beiden äußeren, ließ daher genug Platz, als dass die Gebäude so gemeinsam einen Hof umschlossen, vielleicht dreißig Meter breit. Sie ging um das Ende, hielt inne, lud die Waffe nach, dann sah sie um die Ecke. Jemand hielt eine Waffe auf eine am Boden liegende Person gerichtet, zwei andere standen daneben. Sie konnte einzelne Gesprächsfetzen hören, auch wenn der Hof einen seltsamen Klang hatte. “ … Der Typ, mit dem sie öfter unterwegs ist“, hörte sie von einem. „Nahe“, hörte sie von dem mit der Waffe. „Sucht sie.“ Okay, die waren hinter ihr her. Verdammt. Ihr Angreifer vom Dach war auf dem Boden gelandet. Ob er noch lebte, wusste sie nicht. Von allem was sie sagen konnte, war es durchaus auch möglich, dass er sich beim Sturz das Genick gebrochen hatte. Egal. Da, einer der anderen beiden ging in ihre Richtung. Okay. Warum hatte sie den Armreif nicht dabei. Unsichtbarkeit wäre gerade wunderbar gewesen. Sie spähte um die Ecke, zielte. Dann schoss sie, so gut sie konnte, ohne ihre Deckung gänzlich zu verlassen. Der Typ schrie auf, packte sich an den Hals. Sie hatte getroffen. „Was ist los?“, fragte der mit der Waffe, der in der Mitte stand. „Irgendetwas hat mich gebissen“, murmelte der Typ und tastete nach seinem Hals. Offenbar fand er den Pfeil, zog ihn heraus, betrachtete ihn. „Scheiße, man.“ „Das muss sie sein!“, rief der eine in der Mitte. Dann wandte er sich um, schien zu überlegen. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen. Schließlich erhob er die Stimme: „Hey. Pakhet. Iron Bitch. Ich weiß, dass du da bist.“ Er rief das in Englisch, wenngleich mit einem seltsamen Dialekt. Sie zögerte. Sie musste zu Heidenstein und Jack, bevor irgendetwas schief ging. Doch gleichzeitig war sie nicht scharf darauf, sich mit beiden noch stehenden anzulegen. Nun, allen drei. Wenigstens der, den sie getroffen hatte, würde nicht mehr lange stehen. Was sollte sie tun? Sie hielt inne. Dann rannte sie zum Ende des mittleren Gebäudes, darauf hoffend, dass der getroffene sie noch sah. Ihr Plan ging auf. „Da!“, rief der eine, mit dem Pfeil in der Hand. Sie wartete, während er näher kam. Hatte die Dosis gereicht? Langsam sollte er umkippen. Innerlich zählte sie, um ihre Gedanken zu konzentrieren, die Waffe im Anschlag. Dann, zwei Meter von der Ecke entfernt, kippte er um, Er zitterte, war noch bei Bewusstsein, schien nicht sicher, was geschah. „Fuck, Leon, was ist los?“, fragte der vermeintliche Anführer wieder auf Niederländisch. „Ich …“ Leon brachte keine klare Antwort zustande. Pakhet ging um die Ecke. Am mittleren Gebäude entlang konnte sie vielleicht ungesehen zum Innenhof kommen. Da hinten war der zweite suchende. Er kam in ihre Richtung. Dann halt so. Er sah sie, hob die Waffe, sie schoss. Zwei Mal. Ein Pfeil schien zu treffen. Sein Oberarm. Stoff war nicht gut darin, die Waffen abzuwehren. Er schoss, kam näher. Jetzt war er vor dem Gebäude. So sollte der Anführer sie nicht sehen. Also sprang sie zur Seite, konzentrierte ihre Energie. Sie musste schneller sein, als ihr Angreifer, um nicht getroffen zu werden. Eine Kugel verfehlte sie nur um wenige Millimeter. Dann hatte sie ihn erreicht. Sie schlug die Waffe zur Seite, verdrehte seine Hand, zog ihn nach vorne. Ihr Knie landete in seinem Solarplexus, dann trat sie gegen seine Kniescheibe, brachte ihn zum Fall, nutzte die Bewegung, um ihn noch weiter nach vorne zu reißen. Sie verdrehte seine Hand hinter seinen Rücken, hielt in fest. „Bitch“, zischte er, klang jedoch beinahe eher erfürchtig. „Zeig dich, Bitch“, stimmte nun auch der Anführer ein. „Zeig dich, oder ich töte einen der beiden. Was sagst du?“ Sie schloss die Augen. Oh, sie mochte den Typen jetzt schon nicht. Was konnte sie tun? Er war allein. Also … Was? Sie konnte versuchen ihn in einen Nahkampf zu verwickeln, ihn in falscher Sicherheit wiegen, indem sie die Waffen ablegte. Besser als kein Plan. Sie zog einen einzelnen Dart aus dem Magazin an ihrem Gürtel, machte ihn an der Innenseite ihrer Lederjacke fest. Der Typ am Boden stand nicht mehr auf, schien langsam das Bewusstsein zu verlieren. Gut. Die Hände erhoben kam sie um die Ecke. „Hier“, sagte sie laut. „Ich bin hier.“ Der Anführer schien überfordert. Er hatte zuvor Heidenstein mit der Waffe bedroht. Heidenstein war am Boden, hielt sein Bein. Er musste getroffen sein. Nun schwenkte die Waffe des Anführers auf sie. „Waffe weg!“, wies er sie an. Sie holte tief Luft. „Schon gut.“ Langsam, vorsichtig, die Hände in der Höhe, ging sie in die Hocke, legte die Pfeilpistole ab, dann ihre normale Sig Sauer . Dann richtete sie sich wieder auf. Der Anführer schien dem Braten nicht ganz zu trauen. „Was zur Hölle hast du gemacht?“, fragte er und sah zu seinen Leuten. Sie schenkte ihm ein breites Lächeln. „Natürlich meine magischen Kräfte genutzt.“ Es war nur ein dummer Witz. Sie ging auf ihn zu, doch er war nicht dumm. Langsam wich er vor ihr zurück. Entweder ahnte er, was sie vorhatte oder hatte einfach nur zu viel Angst. Wirklich zu begreifen schien er nicht. Die Waffe, die auf sie gerichtet war, zitterte. Dann wanderte sie auf einmal zur Seite, zeigte auf Jack, der gegen die Wand des Gebäudes lehnte. Er blutete. Stark. Doch er blutete noch. Er blinzelte. Ein blauer Fleck zierte seine Wange. „Da bist du ja, Honigkuchen“, meinte er mit zitternder Stimme. Fuck. Er brauchte ärztliche Behandlung. Jetzt. „Was hast du mit meinen Leuten gemacht?“, wiederholte der Anführer. „Du. Er. Was ist mit ihnen?“ Sie verdrehte die Augen. „Entspann dich. Es ist nur ein Betäubungsgift. Denen geht es gleich wieder besser.“ Er sah sie zweifelnd an, sah dann zu dem Typen, den sie zuerst ausgeschlaltet hatte. „Er nicht.“ Tatsächlich konnte er Recht haben. Der Typ zuckte und zitterte noch immer. Irgendeine schlechte Reaktion auf das Gift, dessen war sie sich sicher. Sie zögerte. Sie sollte das hier schnell zuende bringen, wenn sie Jack retten wollte. „Der wird schon wieder.“ Sie ging auf den Anführer zu, doch er spannte seinen Finger an. „Komm mir nicht näher oder er stirbt.“ Die Waffe war nun recht sicher auf Jacks Kopf gerichtet. „Alles okay“, erwiderte sie. Sie zögerte. „Wurdet ihr nicht angeheuert, mich zu töten?“ „Gibt einen Bonus, wenn du noch lebst“, zischte er. Wertvolle Informationen. Sie nickte nur. „Ich sage dir was. Ich gebe deinem Kumpel dahinten das Gegenmittel, dann kannst du mich mitnehmen.“ Er zögerte. Natürlich traute er ihr nicht. Doch schien ihm tatsächlich etwas an seinem Teamkollegen zu liegen. Deswegen hielt er inne, holte tief Luft. „Okay.“ Sie nickte, ging zu Heidenstein hinüber. „Was machst du da?“, fragte der Typ. „Er hat das Gegengift“, antwortete sie und kniete sich neben Heidenstein. Er blutete aus dem Bein, rechter Oberschenkel. Da war noch eine weitere Wunde, in seiner Hüfte. Fuck. Er war bei Bewusstsein, sah sie an. Mit den Lippen formte er die Worte: „Was machst du?“ „Improvisieren“, antwortete sie auf dieselbe Art. Dann sprach sie leise: „Wo ist das Gegenmittel?“ „Innentasche“, erwiderte er mit zitternder Stimme. Sie nickte, öffnete den Mantel, den er trug, und tastete nach der Innentasche. Sie fand, was sie suchte. Eine kleine Schattulle mit verschiedenen Spritzen. Schon wollte sie sich aufrichten, doch er hielt sie fest, sah sie an. Wieder formte er ein Wort mit den Lippen: „Heiltränke.“ Sie verstand, nickte. Vielleicht konnte es auch helfen, Jack zu stabilisieren. Langsam ging sie zu dem anderen Typen hinüber, der zitterte, sich verkrampfte. Er hatte auch uriniert. Offenbar irgendeine Art von Anfall. Beinahe tat er ihr leid, wären die Typen nicht hier, um sie auszuliefern. Nel oder Jaco wahrscheinlich. „Wenn du irgendetwas dummes versuchst, ist dein Kumpel hier tot“, warnte der Anführer sie. „Schon klar“, erwiderte sie. Sie nahm eine der Spritzen, die mit einer im dunklen schwer genauer zu erkennenden Flüssigkeit gefüllt waren, drehte den Typen auf den Rücken. Er zitterte zu sehr für die Armvenen, also nahm sie die an seinem Hals, ohne großartig vorsichtig zu sein. Das wunderbare an Magie: Sie wirkte beinahe immer sofort. Sein Zittern wurde beinahe augenblicklich besser. Seine Augen wurden klarer, suchten nach etwas, das ihm sagte, was los war. Er sah sie, erkannte sie, nahm seine Waffe, hielt sie an ihren Kopf. „B-bitch“, stotterte er. Sie lächelte steif. Fuck. Warum musste das ganze so gut wirken? Jetzt hatte sie doch wieder zwei da. Zwei, während Heidenstein und Jack am Boden lagen. Beide kämen nicht so vom Platz und von der Blutlache um Jack herum ausgehend war es ein Wunder, dass er am Leben, geschweige denn bei Bewusstsein war. Oh, fuck. „Hey“, rief sie aus, während der gerade Geheilte mit ihr zusammen aufstand, ihr die Waffe an den Kopf hielt. „Ich komme mit euch mit, aber lass mich erst meinen Kumpel hier stabilisieren.“ Sie nickte in Jacks Richtung. „Du bist nicht in der Position Ansprüche zu stellen, oder?“ Der Anführer grinste. Einer seiner Eckzähne fehlte, war durch ein Goldzahn ersetzt. „Nein, bin ich nicht“, erwiderte sie. „Aber ich könnte einen Kampf anfangen und dann könntest du zum einen deinen Kumpel hier verlieren, zum anderen könnte ich dabei sterben, oder? Kein Bonus. Wäre schade.“ Sie schenkte ihm ein breites Lächeln. Innerlich rasten ihre Gedanken. Fuck. Sie kam sie hier heraus? Sie musste Jack retten. Sie musste irgendwie selbst hier herauskommen. Heidenstein konnte sich im Notfall vielleicht selbst heilen oder zumindest stabilisieren. Doch wie kam sie hier heraus, ohne das Leben der beiden zu riskieren? Auf einmal ein anderer Gedanke, dieser weit weniger rational, beinahe schon panisch: Was, wenn sie hier beide draufgingen? Sie und Heidenstein. Was wäre dann mit Murphy? Es war albern. Immerhin konnte Crash sich um ihn kümmern. Warum dachte sie so etwas überhaupt? Sie ging langsam auf den Anführer zu. Der andere Typ folgte ihr, die Waffe weiterhin auf ihren Kopf gerichtet. Ihr Blick jedoch war auf den Anführer gerichtet. „Komm schon. Sei kein Arsch. Ihr wollt mich, nicht Jack. Er wird sterben, wenn ich ihm nicht helfe.“ Der Anführer hielt inne, zögerte, nickte dann aber. „Okay. Ich gebe dir drei Minuten.“ Sehr zufälliger Zeitrahmen. Aber gut. Sie ging zu Jack hinüber, während der Anführer zu Heidenstein zurückwich, um ihn zu bedrohen. Sie nahm eine weitere Spritze aus der kleinen Ledertasche, machte sie bereit, kniete sich neben Jack, dessen Augen unfokussiert wirkten. Doch er atmete noch. Das war gut. „Hey“, flüsterte sie leise. „Bleib bei mir, Jack.“ Er blinzelte sie an. „Sorry“, hauchte er. Sie zwang sich zu einem Lächeln, nahm dann seinen Arm und setzte die Spritze an. Jack schloss die Augen, während sie ihm den Trank verabreichte. Ein Zittern ging durch seinen Körper, doch sein Atem wurde nach ein paar Sekunden entspannter. Er sah sie an, nickte. „Danke.“ „War das alles?“, fragte der Angreifer, während sie die Kappe wieder auf die Spritze setzte, um Zeit zu schinden. Sie holte tief Luft, ging in die Hocke. Sie musste etwas versuchen. Langsam drehte sie sich um, tastete dabei möglichst unauffällig nach dem Ende ihres Stiefels. Ihr Blick suchte den Heidensteins, sah zu ihm. Er verstand, bemühte sich, sich etwas aufzustehen. Okay. Es musste klappen. Sie fand den Heft ihres Kampfmessers, stand langsam auf, zog es dabei hervor. Dann beschleunigte sie ihre Bewegung, zielte mit dem Messer auf die Hand des Typen hinter ihr. Er war zu langsam. Er schoss, traf ihre Schulter, doch da bohrte sich das Messer durch seinen Unterarm. Er schrie auf, die Waffe fiel zu Boden. Gleichzeitig rief auch der Anführer überrascht auf. „Fuck. Was zur …“ Heidenstein hatte seine Hand mit der Waffe gegriffen, ihn daran zu Boden gezerrt. Pakhet hob die Waffe des anderen Typen vom Boden, zielte auf den Anführer, der versuchte seine Hand zu befreien. Dann ein lauter, entfernter Knall. Es ging zu schnell. Sie verstand nicht, was geschehen war. Schon traf sie etwas gegen die Brust, warf sie zu Boden. „Pakhet!“, rief Heidenstein aus. Dann ein weiterer Schuss. Er schrie. Fuck. Sie sah zum Nachthimmel hinauf. Ihr Bewusstsein verarbeitete langsam, dass ein Sniper sie getroffen hatte. Wo zur Hölle hatten sie in dieser Gegend einen Sniper positioniert? Verdammt, er musste sie in die Brust getroffen haben. Ihre Rippen schmerzten. Aber nur ihre Rippen, wurde ihr dann klar. Sie spürte kein Blut. War es der Schock? Doch ihre Gedanken waren seltsam klar. Sie lebte noch? Was zur Hölle ging hier vor? „Verdammte Bitch“, hörte sie die Stimme des Anführers. Er kam auf sie zu. Noch immer schrie der eine Typ. Noch immer stöhnte Heidenstein schmerzerfüllt. Seine Stimme war dennoch klar, ungläubig. „Pakhet?“ Wahrscheinlich dachte er, sie war tot. Auch der Anführer musste das denken. Noch immer hatte sie den Pfeil im Ärmel. Sie konnte ihn spüren. Der Anführer hockte sich neben sie. „Verdammt“, knurrte er auf Niederländisch. Seine Hand tastete nach ihrem Puls. Sie löste den Dart aus der Jacke. Offenbar war alles für ihn zu viel. Er musste bemerkt haben, dass da kein Blut war. Zumindest bemerkte sie kein Blut. Doch gleichzeitig war sie eindeutig getroffen. „Was?“, murmelte er, als er ihren Puls fand. Er wollte aufstehen, doch dann hatte er den Pfeil in seiner Hand. Er schrie überrascht auf. Sie zog ihn zu sich, brachte ihn aus dem Gleichgewicht, rollte sich zur Seite. In einer fließenden Bewegung war sie auf ihm, hielt seinen Arm hinter seinen Rücken. Sie hatte Recht. Sie blutete nicht. Es ging ihr, von den schmerzenden Rippen abgesehen, gut. Wie auch immer das passiert war. Ihre Weste war normalerweise nutzlos gegen höhere Kaliber, doch darüber konnte sie später nachdenken. Sie nahm das Paar Handschellen von ihrem Gürtel, fesselte ihn damit, während sein Atem unregelmäßig ging. „Du verdammte Bitch“, zischte er. Sie sagte nichts. Beinahe rechnete sie mit einem weiteren Schafschützenschuss, doch nichts dergleichen passierte. Stille. Nur unterbrochen vom Schreien des Angreifers mit dem Messer im Arm und Heidensteins ungläubiger Stimme. „Pakhet?“ Atemlos kniete sie über dem Anführer und sah zu Heidenstein, dessen Hand Blutüberströmt an seinem Bauch lag. Sie zwang sich zu einem matten Lächeln. „Mir geht es gut.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)