Mosaik von Alaiya (Urban Fantasy Thriller) ================================================================================ [21.08.2011 – D28 – Casino] --------------------------- Der nächste Tag war extrem trocken und für die Jahreszeit ungewöhnlich warm. Hitzeschlieren bildeten sich in der Ferne über der Straße, als sie mit dem Transporter in die Richtung fuhren, die ihr singender Freund ihnen gesagt hatte. Was auch immer es mit dem „Casino“ auf sich hatte … irgendwie glaubte sie nicht, dass sie eine Glücksspielhalle vorfinden würden. Sie waren zu zweit. Murphy hatte erst später Zeit und Pakhet war dankbar dafür. Sie war sich nicht sicher, was sie finden würden, doch ging sie jede Wette ein, dass der Junge es nicht unbedingt sehen sollte. Sie hatten den Transporter genommen, da er weniger auffiel. Nicht zuletzt, da er schon wieder mit Sand verklebt war und verdreckt wirkte. Mit Blick auf das Navi, stupste sie Heidenstein an. Er fuhr. „Such dir hier etwas zum Parken“, wies sie ihn an. Sie wollte nicht zu Nahe an das Gebäude heran. Er nickte stumm. Seine Miene war für ihn ausgesprochen grimmig. Er war nicht begeistert von der Aussicht, hatte aber drauf bestanden mitzukommen. Etwas, wofür sie dankbar war. Letzten Endes hielt er den Wagen hinter der noch genutzten Ruine eines der frühen Wohnungsbauprojekte, die zu Beginn der Apartheit errichtet worden waren. Ein altes Gebäude aus roten, unversiegelten Ziegeln, das heruntergekommen wirkte, wahrscheinlich aber noch von irgendeinem armen Schlucker bewohnt wurde.. Sie waren am südostöstlichen Ende der Flats. Es lag nicht viel zwischen ihnen und dem Farmland. „Wollen wir?“, fragte sie Heidenstein. Er öffnete die Wagentür, seufzte. „Ja. Lass uns.“ Sie tat es ihm gleich, sprang auf die Straße und sah sich um. Niemand war in der Nähe – was gut war, denn ihr Plan involvierte nicht zuletzt die Armreife, die Heidenstein geschaffen hatte. Es wäre für die meisten normalen Menschen auffällig, sie einfach verschwinden zu sehen. Pakhet umrundete den Wagen, da er mit der rechten Seite am Haus stand, gesellte sich zu Heidenstein. Er seufzte noch einmal. Er hatte eine Kamera dabei. Eine von diesen Action-Cams, die in letzter Zeit mehr und mehr genutzt wurden. Die Hoffnung war, dass sie sich eine Übersicht über den Aufbau des Gebäudes verschaffen konnten. „Wenn wir sie finden“, begann Heidenstein vorsichtig und sprach dabei fraglos über Dené, „reicht es eigentlich, wenn wir die Adresse an diesen Tutu weitergeben, oder?“ Auch Pakhet hatte darüber nachgedacht. Ihre Aufgabe war eigentlich nur, herauszufinden, wo Dené war. Natürlich war impliziert, dass sie sie zu Tutu bringen sollten, oder? Eigentlich reichte es, herauszufinden, wo sie war. Sie könnten Bescheid sagen, es die Gangs regeln lassen, die fraglos für Tutu arbeiteten. Immerhin war er bekannt für seine „Security“. Eigentlich hätte es gereicht, ihm zu sagen, was sie nun wussten. Doch Pakhet hasste es, auf die Worte des Scouts zu vertrauen. Sie wollte Bestätigung. Denn auch, wenn er nicht gelogen hatte, wenn er Dené wirklich dahin gebracht hatte, so hieß das noch lange nicht, dass sie sich auch jetzt dort befand. Sie hasste es darüber nachzudenken. „Ja“, murmelte sie matt, schluckte. Ein ungutes Gefühl breitete sich in ihrer Magengegend aus. Noch immer gab es vieles, was ihr an der Sache nicht gefiel. Der Auftrag selbst war ein Teil davon. Sicher, Tutu war dafür bekannt, einer der respektvolleren Pimps zu sein. Seine Mädchen waren sicher, seine Mädchen wurden bezahlt. Aber es waren auch vorher Mädchen verschwunden, das hatte man ihr erzählt, warum also die Bezahlung für Dené? Warum war sie so besonders? Es war eine Menge Geld, um ein einzelnes Mädchen wiederzufinden, wenn er doch andere hatte, die für ihn arbeiteten. Hatte Dené eine besondere Verbindung zu ihm oder hatte er Hintergedanken? Dann war da die Sache, dass sie nicht sicher sein konnten, was sie an dem Casino finden würden. Sie wusste zu wenig über die Leute, hatte kaum Möglichkeiten, mehr herauszufinden. Informationen kosteten Geld – oder sehr viel Aufwand und Zeit. Sie hatte nichts davon. Gut, sie hatte Geld, doch Geld ausgeben, um einen Auftrag, für den sie bezahlt wurde, auszuführen, war widersprüchlich. Und dann war da noch eine Sache: Heidenstein hatte ihr gesagt, dass die Scouts nach aktueller Beweislage nur vierundzwanzig Stunden lang festgehalten würden. Nicht genug. Und dann? Dann konnte das ganze viel komplizierter werden, vor allem nachdem ihr Singvogel sie erkannt hatte. Es wäre wahrscheinlich einfacher gewesen, sie zu töten. „Pakhet?“ Heidensteins fragende Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Sie holte tief Luft, nickte. „Lass uns gehen“, murmelte sie. Sie konnten es nicht länger verschieben. Er musterte sie besorgt, nickte selbst und aktivierte den Zauber. Er verschwand. Auch sie berührte den Armreif, wurde unsichtbar. Für einen Moment stand sie so dort, dann bemerkte sie Heidensteins Hand, die nach der ihren tastete. Instinktiv wollte sie die Hand wegziehen, beherrschte sich aber. Sie wusste, dass es klug war, um sich unsichtbar nicht zu verlieren. Da die Artefakte den Zauber hielten, würde es nicht leicht sein, den anderen wiederzufinden, selbst wenn er ausgeknockt wurde. Also erlaubte sie es ihm, nach dem Gelenk ihrer Prothese zu greifen. Sie atmete durch, roch den Sand und Staub der Straße. Dann machte sie die ersten Schritte, spürte, wie Heidenstein ihr folgte. Sie waren knapp vierhundert Meter von dem Gebäude entfernt, das laut GoogleMaps ein etwas älterer, langgezogener Bau war. Sie vermutete nach den Satellitenbildern, dass es ebenfalls eins jener Reihenhäuser war, die man überall in den Flats gebaut hatte. Eventuell ein altes Obdachlosenheim. Straßenaufnahmen von vor dem Gebäude hatte sie nicht gefunden. Während sie unsichtbar die Straße entlangschlichen, sahen sie kaum jemanden. Ein einzelner Straßenjunge – dreizehn oder vierzehn Jahre alt – stahl sich über die Straße, darauf bedacht im Schatten der Gebäude zu bleiben. Sonst war da niemand. Keine Wagen. Nichts. Es war, als wäre dieser Teil des Ghettos komplett verlassen. Sie gingen weiter, bogen rechts ab. Das Gebäude – es musste das Gebäude sein – kam in einiger Entfernung in ihr Blickfeld. Sie hatte sich geirrt. Das Gebäude war keine der Standartunterbringungen, sondern wirkte viel eher, wie eine längliche Lagerhalle mit weißmetallenen Flachdach. Die Wände waren geweißt, doch die Farbe blätterte ab. Es hätte genau so gut verlassen sein können, wären da nicht die vier Wagen gestanden, die auf der freien, steinigen Fläche vor dem Eingang standen. Das Haus stand etwas Abseits von den anderen Häusern – nicht das es ungewöhnlich war. Die Häuser hier waren mal in unregelmäßigen Abständen errichtet. Ungewöhnlich war jedoch, dass in knapp fünf Metern Entfernung zum Gebäude ein zweieinhalb Meter hoher Maschendrahzaun in die Höhe wuchs. „Da ist jemand paranoid“, flüsterte sie. Heidenstein murmelte eine Zustimmung. Seine Stimme klang belegt. Seine Hand griff die ihr Handgelenk fester. Wie kamen sie rein? Sie hatte keinen Zweifel daran, dass ihre Sprungkraft sie über den Zaun bringen würde. Allerdings saß da ein vielleicht dreißigjähriger Schwarzer vor dem Haus, rauchte. Wenn sie nicht irrte, war der längliche Gegenstand neben ihm ein Gewehr. „Lass uns ums Haus herum laufen“, flüsterte sie. Das Gebäude hatte einmal Fenster gehabt. Mittlerweile waren diese mit Brettern vernagelt. Das ganze wirkte von außen bereits zwielichtig. „Wie kommen wir rein?“, hauchte Heidenstein. „Eher: Wie kommst du rein“, murmelte sie. „Ich kann über den Zaun springen.“ Er schwieg. Dann: „Es muss ein Tor geben.“ Natürlich hatte er damit recht. Wie kamen sie sonst selbst rein, mit ihren Wagen? „Also weiter.“ Sie schlich den Zaun entlang und stellte schnell fest, dass Heidenstein Recht hatte: Es gab ein Tor auf der Rückseite, von wo eine Schotterstraße zur M9 führte. So sicher die Anlage mit dem Zaun auch wirkte, so lächerlich war das Tor: Es war ein einfaches, leicht angerostetes Tor aus weiß bemaltem Stahlrohr, wie es oft auf Schafsweiden verwendet wurde. „Kommst du da rüber?“, fragte sie. „Ja“, erwiderte er. Beinahe war eine Spur Beleidigung aus seiner Stimme zu hören. Sie sagte nichts, sondern zog, damit er die Prothese losließ. Dann nahm sie Anlauf, sprang, setzte einfach über das Tor hinweg und wartete. Sie hörte nichts und das verunsicherte sie. Wenn sie hier Leute gefangen hielten, sollte man nicht etwas hören? Das Klappern des Tores ließ sie zusammenzucken. Einen Moment später hörte sie ein Flüstern in ihrer Nähe. „Pakhet?“ Still ging sie in die Richtung, tastete, bekam Heidensteins Hand zu fassen und zog ihn in den Schatten des Gebäudes. Sie wusste zu gut, dass man den Zauber im hellen Licht leichter durchschauen konnte. Schritte. Jemand kam um das Gebäude herum. Der Typ, der vorne gesessen war. Er ließ seinen Blick den Zaun entlang schweifen. Wahrscheinlich hatte er das Klappern gehört. Dank des Zaubers entdeckte er sie nicht, schüttelte schließlich den Kopf und setzte seinen Weg um das Gebäude herum fort. Pakhet zog Heidenstein in die andere Richtung um das Gebäude herum. Sie wollte zur Vordertür, die sie zuvor gesehen hatte. Was auch immer das Gebäude einmal gewesen war, sie war sich recht sicher, dass sich diese Typen erst später hier einquartiert hatten. Deswegen war auch das Tor nicht in Richtung der Fronttür des Gebäudes. Sie kamen kurz vor dem Typen – war er eine Wache? – an der Vorderseite an, wo er sich wieder hinhockte. Er beachtete sie nicht und die Tür war halb offen. Sie müssten vorsichtig sein, doch sie sollte weit genug offen sein, als dass sie sich durchquetschen konnten, ohne die Tür zu bewegen. Vorsichtig schlich sie nach vorne, zog Heidenstein mit sich. Seine Anspannung war deutlich zu spüren. Sie hatten die Tür kaum erreicht, als zwei Leute rauskamen. Ein Mann und eine Frau. Er offenbar indischer Abstammung, sie mit schwarzer Haut und muskulös gebaut. Sie redeten in einer Sprache, die Pakhet nicht verstand, schienen alles in allem in gelassener Stimmung zu sein. Sie hatte eine Flasche Alkohol in der Hand – billiger Rum. Es hatte keinen Sinn, sie zu belauschen – aber sie ließen die Tür weiter offen und verwickelten den Mann vorne ebenfalls in ein Gespräch. Sie verfielen in Afrikaans. Kurz zögerte Pakhet, dann aber ging sie zur Tür und schlich hindurch. Der Flur dahinter war mit Fliesen belegt. Diese waren einmal weiß gewesen, wirkten nun aber braun und versifft, viele von ihnen zeigten deutliche Risse. Der Flur bog nach zwei Metern um eine Ecke nach rechts. Auf der linken Seite war eine Tür. Pakhet folgte dem Flur. Hier waren diverse Türen. Was auch immer das Gebäude einmal gewesen war. Eine Tür führte dem Geruch nach fraglos zu einer lang nicht geputzte Toilette. Sie hielt den Atem an, ging weiter, spähte durch eine Angelehnte Tür aus altem, gammeligen Holz. Dahinter lag ein zierdeloser Raum. Kein Bodenbelag, keine gestrichenen oder tapezierten Wände. Nur brauner Beton. Hier lagen einige Matratzen, die offenbar als notdürftige Nachtlager dienten. Hinter einer geschlossenen Tür hörten sie Stimmen. Ein Gespräch in Afrikaans. „Nach Durban“, schnappte Pakhet auf. „Ich sag den Ninern Bescheid.“ „Das Arsch verbraucht sie auch.“ Ein verächtlicher Laut. Eine der beiden Stimmen war eine tiefe Frauenstimme. Gerne hätte Pakhet einen Blick mit Heidenstein getauscht, doch sie konnte ihn nicht sehen. Also blieb ihr nichts, als selbst eine Entscheidung zu treffen. Sie konnte aus keinem der Zimmer Laute hören, die auf Gefangene hindeuteten. Sie war sich dennoch sicher, dass das Gebäude etwas damit zu tun hatte. Oder war es einfach nur eine Drogenküche? Ein Gespräch von draußen. Schritte. Pakhet packte Heidenstein, drückte ihn mit sich selbst an die Wand des Flurs. Doch umsonst: Die beiden, die sie vorher hatten rausgehen sehen, kamen rein. Der Mann ging zur Tür, die Pakhet dem Geruch nach, als Toilette identifiziert hatte, die Frau zur ersten Tür, rechts vom Eingang. „Gib Mongo 'nen Tritt“, scherzte der Mann, halb in der Toilettentür stehend. „Mach ich“, erwiderte die Frau. „Wetten, dass er schon wieder eine fickt.“ „Irgendwann bringt Jaco ihn um.“ Der Mann lachte, verzog sich dann in die Toilette, schloss die Tür. Pakhet drückte Heidensteins Schulter und er griff nach ihrer Hand, machte einen leisen Laut, um zu zeigen, dass er verstand. So schnell und leise wie möglich gingen sie zur Tür, durch die die Frau verschwunden war. Sie hatte sie wieder geschlossen, doch sie hatten keine Wahl. Kurz drückte Pakhet ihr Ohr an die Tür, lauschte. Als sie keine Schritt hörte, öffnete sie die Tür weit genug, um hindurchschauen zu können. Dahinter lag ein leerer Raum, jedenfalls war nicht mehr durch den Spalt zu sehen. Es schien ein Lagerraum zu sein. Noch immer lagen da Säcke. Säcke mit was? Es war auch egal. Sie öffnete die Tür etwas weiter, schlich hindurch und fand den Raum verlassen vor. Was ging hier vor? Doch als ihr Blick durch den Raum glitt, verstand sie. Die paar Säcke, die noch hier lagen, waren nur Teil von anderen Baumaterialien. Wahrscheinlich nicht, was ursprünglich in dem gute fünf mal fünf Meter großen Raum gelagert worden war. Doch im Betonboden, der erneut unversiegelt war, lag die Antwort auf die Fragen, die durch ihren Kopf kreisten: Eine metallene Falttür. Natürlich. Sie hatten ihre Opfer unter dem Haus versteckt. So verhinderten sie auch, dass man Schreie zu weit hörte. Es machte absolut Sinn. Und auf dem Video, das Michael ihr geschickt hatte, hatte es keine Fenster gegeben. „Fuck“, flüsterte sie, als sie zur Tür hinüberschlich. Metall, bereits etwas älter. Es würde sie nicht wundern, wenn die Tür quietschte. Sie blickte sich um. „Was sollen wir jetzt machen?“, fragte Heidenstein. „Gute Frage“, erwiderte sie leise. Sollten sie es riskieren? Hatten sie überhaupt eine Wahl? Sie holte tief Luft. „Wir gehen jetzt. Bevor der andere Idiot zurückkommt. So glauben sie vielleicht es ist er. Du gehst zuerst. Ich halte die Tür.“ Sie würden da unten gefangen sein, wenn sie nicht aufpassten. „Okay.“ Er klang unsicher, diskutierte aber nicht. Das mochte sie an Heidenstein. Er wusste, wann die Zeit war, über Dinge zu sprechen, und wann man schnell handeln musste. Pakhet lauschte. Soweit hörte sie keine weiteren Schritte. Wenn jemand unter der Falttür stand, hatten sie ein Problem. Doch sie mussten einfach hoffen. Also hob sie die Falttür an. Weit genug, als das Heidenstein hindurchpassen sollte. Sie war vorsichtig, hatte Glück. Es erklang ein Quietschen, aber es war nur leise. Sie versuchte es positiv zu sehen. Wenn sie richtig lag, waren nicht mehr als sechs Wachen hier: Der eine Typ draußen, die beiden in der Küche, die beiden, die sie gesehen hatten und dieser Mongo. „Okay“, hauchte Heidenstein. Pakhet glitt durch die Tür, ließ sie hinter sich zufallen. Sie hockte auf einer metallenen Treppe und kam sich vor, als wäre sie in einem anderen Haus. Der Gang, der vor ihr lag, hatte sie gar nichts von dem heruntergekommenen Haus oben. Die erste Assoziation, die sie hatte, war ein Krankenhaus. Der Gang knapp eineinhalb Meter breit, mit Linoleum ausgelegt. Die Wand war mit einer glatten Farbe weiß gemalt. Einzig die groben, mit Drahtabdeckung verhängten Kellerlampen an der Decke widersprachen diesem Eindruck. Hier waren auch Geräusche zu hören. Ihr Magen verkrampfte sich. Da war ein Stöhnen und unterdrückte, erstickte Laute. Die Geräusche von Sex. Aber auch andere Geräusche. Weinen, Wimmern. Der Gang war zwischen zehn und zwölf Meter lang. Auf jeder Seite gingen drei Türen ab, eine weitere war am Ende. Eine Tür stand auf und ein Licht von einer anderen, helleren Farbe als das gilblichen Kellerlampen fiel auf den Gang. Jemand – die Frau, die sie zuvor gesehen hatten – sah in den Flur. „Nkulo?“ Sie runzelte die Stirn, wandte sich wieder in den Raum. „Hast du das auch gehört?“ Ein Keuchen war die Antwort. Pakhets Hand fand Heidensteins Arm. Sie griff ihn, hielt ihn fest. Sie wollte etwas tun. Wenn es nur sechs Leute waren, dann wäre es ein leichtes für sie, die Wachen zu überwältigen. Sie könnte wen auch immer sie hier festhielten, befreien. „Ruhig“, presste Heidenstein hervor. Sie nickte. Sie wusste selbst, dass vorschnelles Handeln zu Fehlern führte. Sie machte die ersten Schritte auf den Gang, vorsichtig Geräusche zu vermeiden. Ihre Hand hielt Heidensteins Arm umklammert. Da öffnete sich die Falltür über ihnen. Natürlich. Nkulo kam nach. Fuck. Hier im gut erleuchteten Gang würde er sie sehen, wenn sie stehen blieben. Also eilte sie so leise wie möglich nach vorne. Wo sollten sie hin? Gerade als sie vor dem Zimmer mit der offenen Tür waren, schaute die Frau heraus. „Nkulo?“ Sie runzelte die Stirn, ihre Augen folgten Pakhet und Heidenstein. „Bist du erst jetzt gekommen?“ Sie schaute weiterhin in ihre Richtung. Pakhet konnte nur einen kurzen Blick in das Zimmer werfen. Darin lag ein Mädchen, ein dunkelhäutiges Mädchen, nicht älter als achtzehn, aber wahrscheinlich jünger, mit hinter dem Rücken gefesselten Armen auf einem Tisch. Sie trug nichts weiter, als ein loses T-Shirt, das verschlissen und viel zu groß für sie war, während ein Mann sie vergewaltigte. Sie konnte die Frau einfach ausschalten, dann die beiden Typen, sagte sie sich. Dann konnte sie dem Mädchen helfen. Sie wollte dem Mädchen helfen. Warum tat sie es nicht? „Glaubst du es ist einer der Geister?“, fragte Nkulo, während er zu ihnen kam. Er schaute in den Gang, seine Augen jedoch unfokusiert. Er hatte sie nicht gesehen. Noch nicht. Geister? Sie wussten von Geistern? „Du kannst ihn fragen“, zischte die Frau. Wie sie das „ihn“ aussprach, suggerierte, dass es jemand besonderes war. Also noch eine Wache? „Ich glaube eher, wir haben Eindringlinge.“ „Fuck“, kam es von hinter ihr. Arschlöcher. Und jetzt? Was konnten sie tun? Es war Heidenstein, der nach ihrem Arm griff, sie festhielt. Er sagte nichts, durfte nicht reden, jemand würde sie hören, zog sie jedoch weiter an sich heran. Dann flog etwas durch die Luft. Sie konnte nicht sehen, was es war, doch es landete knapp unterhalb der Treppe, und löste ein fallendes Geräusch aus. Die Klappe bewegte sich. „Sieh nach“, befahl die Frau, fuhr zur Falltür herum. „Fick dich“, murmelte Nkulo. Er schien von der Situation alles andere als überzeugt. Pakhet verstand. Was Heidenstein geworfen hatte, musste ein Trank gewesen sein. Ein schwaches Artefakt. Dergleichen gab es an einigen Orten zu kaufen, wenn man nur wusste wo. Vielleicht hatte er es auch selbst hergestellt, wie die Armbänder. Sie wusste immer noch nicht, wie umfassend seine Kräfte waren. Für den Moment war es nicht wichtig. Während Nkulo zur Treppe ging, eine Waffe vom Bund seiner Hose zog – eine Browning, wenn Pakhet nicht irrte – sah die Frau ihm hinterher. Heidenstein nutzte die Gelegenheit, um die ihnen nächste Tür, an der linken Seite des Flurs, zu öffnen, dagegen zu drücken und Pakhet mit sich in den Raum zu zerren. Sie schloss die Tür hinter ihnen, blickte sich um. Es war dunkel im Raum, doch der Zauber auf ihrem linken Auge erlaubte es ihr, zumindest Umrisse, dann Gestalten auszumachen. Und was sie sah, gefiel ihr gar nicht. Auch hier lagen Matratzen auf dem Boden, doch auf ihnen lagen Jugendliche. Pakhet zählte vierzehn von ihnen. Allesamt gefesselt und schlimmer noch: Wie Hunde mit Halsbändern und Ketten an Ringe in der Wand gebunden. Einige von ihnen wimmerten, weinten, doch schien keiner von ihnen wirklich bei Bewusstsein zu sein. Sie schienen in einem seltsamen Wachschlaf gefangen. Sie hörte ein Knurren. „Pakhet“, hauchte Heidenstein. „Wir müssen hier heraus.“ „Was? Was ist los?“, zischte sie. Sie fuhr herum. Sie konnte nichts erkennen, doch ihre Instinkte schrien. Was war hier los? Irgendetwas Magisches. Aber was? „Astralraum“, antwortete Heidenstein. „Irgendetwas. Geist. Dämon. Raus!“ Sie verstand. Wenn die Frage „menschliche Wachen oder Dämon“ lautete, dann nahm sie die menschlichen Wachen. Fuck. Es war vielleicht ein Fehler gewesen, hier herunter zu gehen. Sie saßen in der Falle. Nein, es gab keinen Grund panisch zu werden. Selbst wenn diese Truppe von Magie wusste, selbst wenn sie einen Schamanen oder vergleichbares bei sich hatten, so hieß das noch lange nicht, dass dieser mächtig genug war, um wirklich gefährliche Wesen aus der Anderswelt oder von der Astralebene zu beschwören. Wahrscheinlich waren es nur einfache Geister, simple Elementare, niedere Dämonen. Nichts, mit dem man nicht klar kam, sobald man selbst im Astralraum oder der Dämon materialisiert war. Ihre Hand tastete nach der Tür, während sie die Jugendlichen ansah. Sie konnte Dené nicht unter ihnen erkennen, sah jedoch kaum genug Kontrast, um sicher ausschließen zu können, dass sie unter ihnen war. Pakhet öffnete die Tür, quetschte sich heraus, sah sich um. Die Falltür war offen, die Frau stand davor. Ein anderer Mann kam aus der noch immer offenen Tür, machte seine Hose zu und zog dann die Waffe, während ein leises Weinen aus dem Raum zu hören war. Er blockierte ihnen den Weg. Großartig. Verdammt. Was jetzt? Was? Das Knurren erklang hinter der Tür, durch die sie gerade gekommen waren, ließ auch die Frau und Nkulo herumfahren. „Ich wusste doch, dass jemand hier ist!“, rief die Frau aus und dann fokussierten sich ihre Augen auf ihre Schatten. Ach, verflucht. Es hatte keinen Sinn. Pakhet zog die Pfeilpistole. Zielen war schwer, wenn man die eigene Hand, die eigene Pistole nicht sah, da sie für sie genau so unsichtbar war, wie für alle anderen. Doch sie schoss. Zwei Pfeile. Nach Gefühl. Einer endete im Nacken Nkulos, der sich mit der Hand hinfuhr. „Was zum  …“, keuchte er, zog den Pfeil aus dem Nacken hervor. Die Frau zog ihre Pistole, kam langsam auf sie zu. „Was?“, fragte Heidensteins Stimme leise. „Lass mich“, erwiderte sie. Sie versuchte auf die Frau zu zielen, während diese versuchte, dasselbe umgekehrt zu tun. Sie durfte sie auf keinen Fall Treffen. Wenn es hier einen Magier gab, durfte er ihr Blut nicht in die Finger bekommen. Magier, die das eigene Blut hatten, war ein ziemlich sicherer Weg, den Tod zu finden. Sie schoss. Drei Pfeile, ob der Entfernung. Eine Überdosis würde die Frau töten, doch im Moment war es Pakhet egal. Nkulo fiel um, während sich der Finger der Frau anspannte. Sie fluchte, machte mit der linken eine Bewegung. Dann schoss sie. Instinktiv sprang Pakhet nach vorn, verschwand durch die genüberliegende Tür und fand sich in einem ihr bekannten Raum wieder. Der Raum, in dem das Video, das sie gesehen hatte, gedreht worden war. Er war leer. Heidenstein war hinter ihr. Er keuchte. „Alles okay?“, fragte Pakhet. „Ja, bisher“, erwiderte er. Er hielt inne, sah sich wahrscheinlich seinerseits um, fluchte. Neben dem Sofa, auf dem das Video gedreht worden war, fanden sich hier tatsächlich drei Kameraständer. Sie schienen solche Videos häufiger zu drehen. Übliche Verkaufsstrategie? Der Gedanke ließ Übelkeit in ihr aufkommen. Das Geräusch eines fallenden Körpers, dann ein Ruf, Schritte auf der Treppe. Heidenstein bewegte sich. Er ging zur Tür. Das leise Zischen seiner Dartgun war zu hören und ein wütender Aufschrei. Schüsse erklangen im Flur, doch Heidenstein war schon wieder bei ihr. Sie warteten, während die Schritte näher kamen. Dann fiel auch der dritte Typ, wohl Mongo, um. „Du ahnst gar nicht, wie dankbar ich für das Zeug bin“, hauchte Pakhet. Im Moment war es ihr wirklich egal, ob sie tötete – es ihr nur darum, wie viel sauberer die Dartgun war. Das Gift wirkte, die Leute fielen um. Nicht vollkommen ohnmächtig, aber unfähig noch was zu tun und vor allem ohne viel Krach zu machen. „Was jetzt?“, fragte Heidenstein. „Wir schauen uns um“, antwortete Pakhet, „verschaffen uns eine Übersicht. Dann sehen wir zu, dass wir zumindest das Mädchen herausholen.“ „Okay.“ Seine Hand suchte nach der ihren. Als sie ihm entgegen kam, merkte sie, dass er die Kamera in der Hand hatte. „Ich kümmer mich um das Mädchen, du siehst dich um.“ „Okay.“ Sie nahm die Kamera. Sie hatte keine Zeit, sie sich umzubinden, hielt sie stattdessen vor sich und ging aus dem Zimmer heraus. Sie war im letzten Zimmer auf der rechten Seite. Das Zimmer, in dem sie zuvor gewesen waren, war das letzte auf der linken gewesen. Das Zimmer am Ende des Raumes, war das naheliegendste. Sie streckte ihre Hand nach der Türklinke aus, hielt dann aber inne. Ein ungutes Gefühl überkam sie. Was zur Hölle? Sie konnte erst die anderen Zimmer überprüfen. Also ging sie: Das mittlere Zimmer auf der rechten Seite war das, in dem ein nun sichtbarer Heidenstein auf das Mädchen zuging. Sie sah ihn angsterfüllt an, während er sanft auf sie einredete. „Alles in Ordnung. Ich bin hier um dir zu helfen.“ Er sprach mit der Stimme eines Arztes, sprach in Afrikaans. „Verstehst du mich?“ Pakhet nahm die Tür gegenüber, machte das Licht hier an. Dasselbe wie im Nachbarraum, nur weniger Jugendliche – und es waren ausnahmslos Jugendliche. Keiner von ihnen war Älter als vielleicht einundzwanzig, maximal dreiundzwanzig. Auch sie in einem Wachkoma gefangen, auch sie einem gefangen. Ihr fiel auf, dass knapp die Drittel der Jugendlichen weiß waren. Entweder sie suchten speziell danach oder es sagte etwas darüber aus, von wo sie die Jugendlichen einsammelten. Einer der dunkelhäutigen Jungen – Pakhet schätzte ihn auf nicht älter als sechszehn – der Nahe an der Tür lag, rührte sich anders als die anderen nicht. Er weinte nicht, wimmerte nicht, zitterte nicht. Seine Augen waren glasig. Unwillkürlich ging Pakhet zu ihm hinüber, kniete sich neben ihn, tastete nach seinem Puls. Da war nichts. Seine Haut war kalt. Verdammt, was machten sie mit diesen Jugendlichen? Wieso waren sie ohnmächtig? Pakhets Augen glitten über die Gruppe und sie erkannte schließlich einen braunen Schopf. „Dené“, hauchte sie, stand auf, ging zur ihr hinüber. Das Mädchen zitterte, wimmerte, wie die anderen. Pakhet schüttelte sie. „Dené?“ Sie ahnte, dass es keinen Sinn hatte. Dennoch versuchte sie es. Dann ein Knurren. Natürlich. Was hatte sie erwartet? Sie schaute gerade rechtzeitig auf, um zu sehen, wie eine Bestie auf sie zusprang. Das Wesen war gute zweieinhalb Meter groß, erinnerte an einen Schakal, nur das es kein Fell hatte, das Maul unnatürlich in die Länge gezogen war und seine beinahe schwarze Haut so eng an den Knochen lag, dass es wirkte, als wäre sie über das Skelett gezogen. Die Augen des Wesens glühten wie rote Kohlen. Pakhet sprang zur Seite. Zu spät erkannte sie, dass das Ungeheuer, aus dessen Pfoten lange Klauen ragte, die Jugendlichen automatisch zerreißen würde. Doch nichts dergleichen geschah. In der Luft stieß sich die Bestie von einer unsichtbaren Wand ab und schnappte nach Pakhet. Sie duckte sie, spürte aber, wie die Fänge über ihre Weste glitten. Wäre das Leder nicht verzaubert, wären sie zu ihrer Haut durchgedrungen. Pakhet rollte sich über den Boden, zog ihr Messer aus der Schneide an ihrem Bein, machte derweil die Kamera an ihrem Gürtel fest, in der Hoffnung, dass sie den Kampf überlebte. Sie deaktivierte den Armreif, wohl wissend, dass er gegen die Bestie eh nutzlos war. Das Wesen knurrte sie an. Zu ihrer Überraschung schwang Sprache in dem Knurren mit – auch wenn sie die Sprache nicht verstand. „Chetem!“ „Lass diese Kinder in Ruhe!“, erwiderte sie. Wahrscheinlich verstand das Wesen genau so wenig, wie sie. Einige der Jugendlichen rührten sich. Also war es die Magie dieses Wesens, dass sie gefangen hielt? Was sollte sie tun? Was konnte sie tun? Sie musste das Ungeheuer umbringen. Vielleicht konnte sie die Jugendlichen so wecken! Der Schakal machte sich zum Sprung bereit, sprang auf sie zu – sofern man von in dem kleinen Raum von einem Sprung reden konnte. Sie duckte sich, leitete Energie in ihre Beine und sprang nach vorne. Sie rollte unter den Schakal, hackte mit dem Messer nach seinen Beinen. Wenn sie die Sehen durchtrennte, würde der Kampf einfacher werden. Der Kopf des Wesens wandte sich nach unten. Zwei lange, zähnebesetzte Kiefer schnappten nach ihr, aber sie war schneller. Ihr Messer schnitt durch die Sehnen an den Hinterbeinen, brachte es zu Fall. Es würde heilen, doch so lange würde sie ihm keine Zeit lassen. Sie sprang auf den Rücken der Kreatur, die versuchte, sich zu drehen. Pakhet schaffte es dennoch das Gleichgewicht zu halten, als die Kiefer wieder in ihrem Weg waren. Sie musste ausweichen, schaffte es jedoch mit dem Messer einen Schnitt über die Nase zu versetzen. Verdammt. Die Kiefer würden sie erwischen, wenn sie vorging, wie sie es vorhatte. Also ein anderer Plan. Sie wich zurück, während der erste Jugendliche zu schreien begann. Es war ein Schrei des blanken Horrors. Kam es mit dem Erwachen? Sie musste sich später darum kümmern. Erst einmal andere Prioritäten. Sie wich zurück, durch die Tür, auf den Flur. Sie hielt das Messer vor sich. Sie hatte auch noch eine normale Pistole im Holster. Wenn sie von den Jugendlichen weg war. Mit hochgezogenen Lechzen folgte das Ungeheuer ihr, schnappte mehrfach nach ihr, die glühende Augen auf ihr Messer fixiert. Das Holster war an ihrer linken Seite, so dass sie mit ihrer Prothese nach der Pistole greifen musste. Sie brauchte länger, als mit ihrer normalen Hand, das Holster zu öffnen. „Pakhet, was  …“, fragte Heidenstein, der das Mädchen stützte. „Bring sie zurück.“ Sie sah ihn nicht an. Dafür hatte sie keine Zeit. Sie wollte den Schakal keine Sekunde aus den Augen lassen. Sie beschleunigte ihren Rückwärtsgang, brachte etwas Abstand zwischen sich und das Ungeheuer. Sie hatte jetzt die Pistole in der Prothese, hob sie, griff sie mit der Rechten, hielt sie zusammen mit dem Messer, als das Ungeheuer zu ihr sprang. Sie schoss. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Vier Mal  … Sie entleerte das gesamte Magazin in Kopf und Brustkorb des Ungeheuers, das zurückstolperte, ehe seine Augen verloschen. In einem Moment tropfte schwarzes Blut zu Boden, im nächsten Moment löste sich das Monster in schwarzen Dampf auf, der innerhalb von fünf Sekunden verschwand. „Doc!“, bellte Pakhet. „Bring sie raus. Ich hole Dené.“ Heidenstein nickte. Er nahm das Mädchen. „Wir müssen gehen. Ich bringe dich hier weg.“ Sanft schob er sie auf den Flur, während Pakhet zurück zur Tür lief, aus der nun mehrere Schreie erklangen. Die anderen Jugendlichen mussten erwacht sein. Was sollte sie mit ihnen machen? Sie hatte keine Möglichkeit sie wegzubringen. Aber sie konnte sie auch nicht einfach hier lassen. Und wenn sie etwas über Wachgeister wusste, dann, dass es meistens einen Schamanen gab, der wusste, wenn seine Kreatur kämpfte. Sie war auf halben Weg zur Tür, als ein Geräusch dafür sorgte, dass sie sich umdrehte. Wie hatte sie es überhaupt über die Schreie gehört? Sie schaute sich um und stellte fest, dass sich die Tür am Ende des Ganges geöffnet hatte. Das Licht einer Flamme war darin zu sehen. Dann erschlug der Gestank sie förmlich, der faulige Geruch des Todes. „Was  …“, würgte sie, als ein Schatten aus dem Zimmer glitt. Sie brauchte eine Sekunde, um zu begreifen. „Doc!“, rief sie. Doch es war zu spät. Sie konnte nicht schnell genug reagieren. Ein dunkler Kopf schnellte vor, ignorierte sie, fasste nach etwas anderem. Pakhet schlug mit dem Messer zu, jagte die Klinge tief in den Rücken der Schlange, deren Körper so breit, wie ihr Unterarm lang war. Das Mädchen schrie und zu spät erkannte Pakhet, dass die Schlange ihre Zähne tief in der Hüfte des Mädchens vergraben hatte. Erneut schlug sie mit dem Messer zu, durchtrennte mit drei kräftigen Hieben den Körper der Schlange bis auf ein letztes Stückchen Sehnen und Haut. Der Kopf ließ locker, löste sich auf – auch die Schlange war ein Dämon. Natürlich. Blut floss aus der Wunde hervor. Das Ungeheuer musste eine Arterie erwischt haben. Nein. Heidenstein fing das Mädchen, ließ sie zu Boden gleiten, drückte seine Hand gegen die Wunden. Er schloss seine Augen, machte sich wahrscheinlich bereit zu zaubern. Derweil lag der Körper der Schlange immer noch da, spannte sich an und dann schoss – umgeben von einem seltsamen gräulichen Schleim – ein neuer Kopf aus dem Hals der Schlange hervor, schnellte auf Heidenstein zu. Pakhet hieb erneut zu. Sie dachte darüber nicht nach. Ihr Instinkt befahl ihr, zu versuchen, die Schlange mit dem Messer festzuhalten. Sie wusste, dass sie anders nicht gegen die Bestie ankam. Es funktionierte. Irgendwie. Der Kopf der Riesenschlange ruckte, fuhr dann zu Pakhet herum. Sie zischte, versuchte nach ihr zu schnappen und Pakhet schaffte es nur knapp ihr auszuweichen. Fuck. Was hatte es mit diesen Dämonen auf sich? Sie hatte nichts hier, um einen Dämon zu versiegeln und wie dieses Biest aussah, auch nichts, um es zu zerstören. Es sei denn … Sie sah zu Heidenstein, der sich um das Mädchen kümmerte. Es gab einen Weg. Sie hatte zwei Granaten dabei. Wie immer. Sie mochte Granaten nicht, aber sie waren eine Lösung für diverse Notfälle. Dämonen gehörten zu den Notfällen. Dämonen gehörten definitiv dazu. Sie musste nur aufpassen, die Jugendlichen nicht zu verletzen oder diesen verfluchten Keller einstürzen zu lassen. Sicher, sie rechnete damit, dass im zweiten Raum – vielleicht auch in einem dritten – noch ein Schakal war. Mit den Schakalen kam sie klar, da sie offenbar ihre physische Gestalt verloren, wenn man tat, was normale Tiere getötet hätte. Diese Schlange war anders. Ein mächtigerer Dämon. Sie hasste die Monsterjagd, hatte es aber zwei oder drei Mal mit einem ähnlichen Biest aufgenommen. Sie regenerierten, aber Explosionen und Feuer löschten sie zumeist aus. Heidenstein würde einige Minuten brauchen. Sie musste sie ihm verschaffen. Als die Schlange erneut nach ihr schnappte, stieß sie das Messer durch das Maul des Biests, um so die Kiefer zu blockieren. Sie malte sich aus, dass es eine bessere Möglichkeit war, als den Kopf erneut abzuschlagen. Selbst wenn der Schlange irgendwann die Energie zur Regeneration ausgehen würde. Sie wich weiter zurück, während die gelblichen Augen der Schlange ihr folgten. War es Hass, der in ihnen funkelte? Vielleicht bildete sie es sich nur ein, aber Pakhet wich zurück. Sie stolperte fast über den langen Körper der Schlange, der den ganzen Flur auszufüllen schien. Wie lang war das Untier? Sie war länger als der Flur, lag doch noch immer ein Teil von ihr in dem Zimmer am Ende. Das Zimmer! Wenn sie darin die Granate hochgehen ließ   … Vielleicht. Es konnte funktionieren. Sie hasste es Risiken der Größenordnung einzugehen, hatte im Moment allerdings kaum eine Wahl. Also lief sie. Sie hatte die nun offene Tür innerhalb weniger Sekunden erreicht, zwang sich, weiterzulaufen, auch als der Gestank unerträglich wurde. Der Kopf der Schlange folgte ihr, als das übergroße Reptil sich wandte, um sie zu verfolgen. So waren zumindest Heidenstein und das Mädchen sicher. Sie war an der Tür. Fackeln erhellten den Raum dahinter, der zu Pakhets Überraschung rund, nicht eckig war. Er war wie ein Dom aufgebaut. Ein Radius von knapp sechs Metern. Die Wände waren mit Zeichen bemalt, die Pakhet nicht erkannte. Sie hatte auch nicht genug Zeit ihnen zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. Das Feuer der Fackeln wirkte unnatürlich. Magie? Und der Gestank! Der Gestank  … Pakhet sprang über den Körper der Schlange, landete im Zimmer, hörte ein trockenes Knacken, wie ein großer Ast. Der Boden war klebrig, nass. Sie blickte zu Boden, bereits ahnend, was sie sehen würde. Überreste. Man konnte nicht einmal mehr von einer Leiche sprechen. Überreste. Menschliche Überreste. Knochen. Vermodertes Fleisch. Und etwas, das in der Luft hing. Etwas  … Sie sah sich um. Die Tür wirkte viel weiter weg. Das hier musste eine Taschendimsion sein! Eine Falle! Ein  … Sie hörte eine Stimme. Die Stimme eines Mannes. Er sprach, sang fast, auch wenn sie ihn nicht verstehen konnte. Und da war er, in der Mitte des Raums, ein abgemagerte Mann, dessen Alter sie nicht hätte schätzen können. Er war glatzköpfig, hatte glühende Augen – wie die Schlange. Er fixierte sie, ehe einen Augenblick später eine unsichtbare Hand nach ihr zu greifen schien. Sie konnte sich nicht bewegen. Aber sie musste. Sie musste. Schmerz. Sie merkte, wie Blut von ihrer Schulter tropfte. Erst dann wurde ihr bewusst, dass die Zähne der Schlange ihre Haut durchdrungen hatten. Wie? Es musste ein Zauber sein, der sie festhielt. Es brannte. Die Zähne der Schlange brannten. Ein Schrei wollte ihrer Kehle entrinnen, doch sie beherrschte sich. Sie konnte ihren linken Arm bewegen, die Prothese, die nicht unter dem Zauber zu liegen schien. Also bewegte sie sie, griff an den Gürtel, in die kleine Tasche, in der die Granaten lagen. Und jetzt? Wollte sie sich selbst mit dem Biest in die Luft sprengen? Nein. Wollte sie nicht. Sie musste hier heraus. Sie musste hier heraus. Die Zähne der Schlange waren giftig und sie musste hier heraus, bevor das Gift sie übermannte. Dann würde sie enden wie die kläglichen menschlichen Überreste auf dem Boden. Waren das auch einmal Jugendliche gewesen? War ein Teil von ihnen dieser Schlange geopfert worden? Blutopfer machten Dämonen stärker  … Sie konnte ihre rechte Hand etwas bewegen. Genug um die Granate zu halten, die sie mit der Prothese in die Hand legte. Sie schloss die Augen, sammelte ihre Energie. Zauber übermannten den Geist, nicht den Körper. Ihr Wille würde den Zauber abschütteln, nicht ihr Körper. Also legte sie ihre Energie darein, in ihren Willen, versuchte die unsichtbaren Ketten des Zaubers zu durchbrechen. Fuck. Es war ein mächtiger Zauber. Ein Zauber wie unsichtbarer Stahl. Doch sie konnte hier nicht sterben. Sie durfte nicht! Hatte Michael davon gewusst? War das eine Falle gewesen? Hatte er gewollt, das sie starb? Hätte er sie dann nicht vor sieben Jahren sterben lassen können? Sie spürte die Wut, als sie an Michaels Worte dachte, an seine Art. Nein. Sie würde nicht hier sterben. Das würde sie ihm nicht geben. Sie konnte ihren Arm bewegen, schaffte es das Maul der Schlange zu packen. Sie erinnerte sich an den Reflex der Schlangen loszulassen, wenn Druck auf ihren Kiefer kam. Galt es auch für Dämonenschlangen? Vielleicht war das der Moment es herauszufinden. Also schlug sie zu und spürte, wie sich der Kiefer der Schlange lockerte. Nun packte sie die Granate, löste die Sicherung, zündete sie und steckte sie in das Maul der Schlange. Dann lief sie. Nein, eigentlich hinkte sie mehr zu der Tür, die jetzt viel weiter weg schien. Sie musste hier heraus. Blut lief über ihre Weste, ihren Arm, tropfte an ihr zu Boden. Der Boden war mit menschlichen Überresten übersät. Hier würde ihr Blut verunreinigt werden, verunreinigt mit den Überresten anderer Menschen. Es würde nichts bringen, aber im Flur. Sie musste hieraus, ehe die Granate hochging. Sie musste  … „Pakhet!“, erklang Heidensteins Stimme. Er war an der Tür. Was war mit dem Mädchen? Es war bleich. Irgendwie erreichte sie die Tür, schob ihn in den Flur, schlug die Tür zu. „Granate.“ „Was ist mit dir passiert?“, fragte er. „Schlange“, erklärte sie. Sie wusste, dass sie nicht lange mehr würde stehen können. „Das Mädchen?“ Er schüttelte den Kopf. Der ferne Klang einer Explosion. Ein Schrei. Die Schreie der Jugendlichen waren verklungen. War es vorbei? Pakhet sank halb gegen Heidenstein. Sie merkte, wie er etwas gegen ihre Wunde drückte. Fuck. Sie musste hier weg. Sie musste  … „Pakhet“, hörte sie Heidensteins Stimme. Sie meinte Schmerz aus der Stimme zu hören, aber auch Panik. Er zog sie hoch. „Pakhet?“ Sie presste die Augen zusammen, öffnete sie dann. Das Bild vor ihren Augen war verschwommen. Verdammt. Sie musste  … Sie musste hier heraus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)